Rudolf Lindau
Das Glückspendel
Rudolf Lindau

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II

Warren blieb mehrere Tage bei seinem Freunde Fabricius. Er erschien diesem als der anspruchloseste Mensch, den er jemals angetroffen hatte. Er verlangte nach nichts und schien stets mit allem, was ihm geboten wurde, zufrieden. Jeder Vorschlag, den Fabricius ihm machte, erhielt denselben Bescheid: »Sehr wohl.« – Aber wenn Fabricius nichts anregte, so machte es sich Warren mit seiner kurzen Pfeife auf einem Lehnstuhle bequem, nahm ein Buch in die Hand, in dem er jedoch nur wenig las, blies dicke Rauchwolken vor sich hin und schien mit sich und der Welt vollständig zufrieden. – Fremde Leute, sagte er, sähe er lieber nicht. Die wenigen jedoch, die zu Fabricius kamen und mit denen er eine oberflächliche Bekanntschaft anknüpfte, fanden in ihm einen wohlunterrichteten, bescheidenen Mann. Er gefiel jedermann, mit dem er in Verbindung trat. Er hatte etwas ihm eigentümlich Gefälliges, Anziehendes. Fabricius machte sich nicht klar, worin diese Eigentümlichkeit bestand; aber er selbst konnte sich dem Einfluß derselben nicht entziehen. Er hatte Warren in wenigen Tagen die opferfreudige, innige Freundschaft zurückgegeben, die er als junger Mann für ihn gefühlt hatte. – »Jedermann muß ihn liebgewinnen,« sagte er sich. »Es sollte mich nicht wundern, zu erfahren, daß Ellen Gilmore ihn geliebt hat . . . Ich möchte, ich könnte ihn glücklich machen.«

Fabricius führte seinen Freund eines Abends in ein Theater, in dem eine ausgelassene Posse vorzüglich gespielt wurde. Er erinnerte sich daran, daß Warren als Student große Vorliebe für derartige Vorstellungen gehabt und sich dort immer außerordentlich gut vergnügt hatte. Das fröhliche, frische Lachen seines Freundes klang ihm aus der Zeit noch in die Ohren. – Aber Fabricius fand eine neue Enttäuschung. – Warren wohnte dem Stücke teilnahmslos bei. Fabricius, der ihn von der Seite beobachtete, sah ihn nicht ein einziges Mal lachen. Er hörte eine Weile aufmerksam zu, dann schien er den Versuch, das, was er sah und hörte, zu verstehen, aufzugeben, und sah sich zerstreut im Hause um. Als Fabricius ihn endlich nach dem Ende des zweiten Aktes fragte: »Wollen wir nicht nach Hause gehen?« antwortete er schnell: »Ja, komm! Ich kann dem Unsinn keinen Geschmack mehr abgewinnen. Laß uns eine Pfeife rauchen und schwatzen. Das ist vernünftiger und angenehmer.«

Warren glich dem Freunde, den Fabricius vor fünfzehn Jahren gekannt hatte, gar nicht mehr. Aber er war Fabricius deshalb nicht weniger teuer. Er beobachtete ihn, mit schwerer Sorge im Herzen, wie einen geliebten, kranken Sohn. Er wurde nie müde, ihn aufheitern zu wollen; er wäre eines großen Opfers fähig gewesen, um ein zufriedenes Lächeln auf die starren Züge seines Gastes hinaufzuzaubern. Warren bemerkte dies, und als er von ihm Abschied nahm, drückte er ihm mit Rührung die Hand und sagte: »Du willst mir wohl, alter Freund, das sehe ich wohl . . . und glaube mir, ich bin dir dankbar dafür. Wir wollen uns nicht wieder aus den Augen verlieren. Ich werde dir regelmäßig schreiben.«

Wenige Tage nach Warrens Abreise erhielt Fabricius einen Brief für ihn aus Amerika. Das Monogramm auf dem Umschlag zeigte die Buchstaben » E. H.« – Ellen Howard, den Namen der von Warren geliebten Frau. Fabricius beförderte den Brief sofort weiter und schrieb dazu: »Ich hoffe, Du empfängst hiermit erfreuliche Nachrichten aus Amerika.« – Warren ließ diesen Satz in seiner Antwort unberücksichtigt und sprach überhaupt nicht von Ellen. Er beschrieb seinen neuen Wohnsitz, in dem er sich bequem eingerichtet hatte, und lud Fabricius ein, ihn dort bald und auf längere Zeit zu besuchen. Im ferneren Verlaufe des Briefwechsels verabredeten sich die beiden Freunde, die Weihnachts- und Neujahrstage miteinander zu verbringen.

Zu Anfang des Monats Dezember schrieb Warren, Fabricius möchte seine Abreise so sehr wie möglich beschleunigen.

»Ich befinde mich nicht wohl« – hieß es in dem Briefe –, »und ich fühle mich manchmal so matt und müde, daß ich das Zimmer gar nicht verlassen mag. Ich kenne hier noch niemand und habe auch nicht die Absicht, Bekanntschaften anzuknüpfen. Deine Gesellschaft würde mich sehr erfreuen. Ich habe mich wieder an Dich gewöhnt, und Du fehlst mir aller Orten. Ich habe Dir ein Zimmer eingerichtet, in dem Du nach Herzenslust, gerade ebenso gut wie in L . . . und jedenfalls ungestörter als dort, arbeiten kannst. Warte also nicht bis zum 23., sondern komm, je eher, je lieber. Wir können Weihnachten am 15. Dezember gerade ebensogut feiern, wie am 25.«

Fabricius war in der Lage, dem Wunsche seines Freundes folgen zu können, und langte noch in den ersten Tagen des Monats Dezember bei ihm an. Er fand ihn sehr abgemagert und elend aussehend. Warren hatte noch keinen Arzt zu Rate gezogen und weigerte sich auch, dies zu tun.

»Was kann mir der Doktor nützen?« sagte er. »Ich weiß sehr wohl, wo mich der Schuh drückt und weshalb ich hinke. Er würde mir Zerstreuung empfehlen, gerade wie er einem armen, kranken Manne kräftige Speisen und alten Wein verordnen würde. Der arme Mann dürfte das dazu nötige Geld nicht besitzen. Man hat nicht immer die Mittel, sich gerade das zu verschaffen, was einem wohltun würde. – Wie sollte ich mich zerstreuen? – Reisen? – Ich liebe nichts so sehr wie Stillsitzen. – Fremde Gesichter sehen? – Du bist der einzige Mensch, dessen Gesellschaft ich dem Alleinsein vorziehe. – Bücher? – Ich habe keine Lust mehr am Lernen, und das, was ich weiß, interessiert mich nicht mehr.«

Fabricius machte, wie bei dem ersten Zusammentreffen mit Warren, die Bemerkung, daß dieser beinahe gar nichts aß, dagegen ziemlich viel trank. Seine freundliche Sorge um Warrens Gesundheit gab ihm den Mut, davon zu sprechen.

»Du hast recht,« antwortete ihm Warren. »Ich trinke zu viel; aber ich kann nicht essen und fühle doch das Bedürfnis, irgend etwas zu mir zu nehmen, was meine Kräfte aufrechterhält. Ich bin in der traurigen Verfassung eines der jammervollen invalides du sentiment von Gavarni: › Toutes ces bêtises m'ont dérangé la constitution.‹«

Eines Abends, als die beiden Freunde im behaglich warmen Zimmer zusammen saßen, während es draußen stürmte und tobte, fing Warren an, von Ellen zu sprechen.

»Wir stehen jetzt in regelmäßigem Briefwechsel,« sagte er. »Sie schreibt mir, sie hoffe, mich bald wiederzusehen. – Weißt du wohl, Hermann, daß mir die Frau geradezu unerklärlich wird? Daß sie mich nicht wie den ersten besten behandelt, das steht fest. – Aber was veranlaßte sie, die Verbindung mit mir aufrechterhalten zu wollen? – Liebe? – Der Gedanke ist lächerlich. – Mitleiden wohl. – Das ist also das Ende meiner stolzen Träume: ich bin ein Gegenstand des Mitleids geworden. Ich habe ihr geschrieben, daß ich mich hier festgesetzt habe und daß es meine Absicht sei, mein unnützes Leben in Untätigkeit und Zurückgezogenheit zu beschließen. Ich werde sie nie wiedersehen . . . Erinnerst du dich der Stelle aus den ›Reisebildern‹, wo der Student das hübsche Mädchen am Fenster küßt, und diese es sich gefallen läßt, weil er dabei sagt: ›Morgen ziehe ich weiter und sehe dich vielleicht nie wieder.‹ – Der Gedanke, jemand nie wiederzusehen, gibt einem den Mut, manches zu sagen, was man sonst kaum anzudeuten wagen würde. – Ich fühle, daß es mit mir zu Ende geht. – Sage nichts dagegen, lieber Freund. Ich weiß, es ist so. Ich habe es Ellen geschrieben . . . Ich habe ihr noch viel mehr geschrieben . . . Unsinn! . . . Alles, was ich im Leben getan habe, ist unnütz und zwecklos gewesen. Es ist ein harmonischer und logischer Abschluß meines Daseins, daß ich auf dem Sterbebett eine Liebeserklärung gemacht habe. – Gibt es etwas Zweckloseres? – Ich habe es doch getan.«

Fabricius hätte gern etwas Näheres über diesen Brief erfahren; aber Warren wollte sich nicht auf bestimmte Antworten einlassen. – »Hätte ich eine Abschrift von dem Briefe,« sagte er, »so würde ich sie dir gern zu lesen geben. Du kennst meine ganze Geschichte, und ich schäme mich vor dir keiner Albernheit, die ich begangen habe, wie groß und unnütz sie auch sein möge. – Ich schrieb den Brief vor vierzehn Tagen, als ich das Nahen des Todes zuerst mit Sicherheit fühlte. Ich lag im Fieber. Ich hatte keine Furcht vor dem Tode, der wirklich wenig empfängt, indem er mir das Leben nimmt. Aber ich war aufgeregt, begeistert. Es ist möglich, daß ich ein hochpoetisches Machwerk verfaßt habe – einen Schwanengesang. Ich wünsche es nicht ungetan. Nein, ich bin froh, daß Ellen endlich wissen wird, wie ich sie geliebt habe: ohne meine Liebe zu gestehen, ohne Gegenliebe zu erflehen, zu hoffen. – Das nenne ich uneigennützig!«

Die Festtage gingen still und traurig vorüber. Warren war so matt, daß er sich täglich nur wenige Stunden von seinem Lager erheben konnte. Fabricius hatte nun aus eigener Machtvollkommenheit einen Arzt an das Krankenbett seines Freundes gerufen. Aber der Mann der Wissenschaft konnte auch nicht helfen. Warren litt nicht an einer bestimmten Krankheit. Seine Lebenskraft war aufgezehrt. Er erlosch langsam, wie ein Licht, das sich ausbrennt. Manchmal noch, in selteneren und längeren Zwischenräumen, flackerte sein Geist hell auf und sprühte Funken; aber schon lagerten sich die Schatten des Todes über ihn, und es wurde dunkler und dunkler.

Am Silvesterabend stand Warren gegen elf Uhr auf. »Ich will das neue Jahr mit dir in alter Weise begrüßen,« sagte er zu Fabricius. »Möge es dir Freude bringen. Mir bringt es Frieden.«

Wenige Minuten vor Mitternacht trat er an das Klavier und spielte feierlich, einem Chorale gleich, ein Lied von Robert Schumann: »Auf das Trinkglas eines verstorbenen Freundes.« – Mit dem Glockenschlag zwölf füllte er zwei Gläser. Er hob das Glas und sprach aus dem Liede, das er soeben gespielt hatte, langsam und nachdenklich eine Strophe nach:

»Was ich erschau' in deinem Grund,
Ist nicht Gewöhnlichen zu nennen.«

Dann beugte er sich zurück und leerte das volle Glas in einem langen Zuge. – Er hatte während des Sprechens und des Trinkens gar nicht auf Fabricius geachtet, der ihn bestürzt und sprachlos beobachtete. Jetzt erblickte er ihn, und sein Auge leuchtete hell und freudig in jugendlichem Feuer auf.

»Ein anderes Glas!« rief er. »Der Freundschaft! Prosit, Bruder!«

Er leerte das zweite Glas wie das erste und ließ sich dann schwerfällig auf einen Sessel nieder. Der Blick wurde wieder starr und ausdruckslos, und willig, wie ein schläfriges Kind, ließ er sich bald darauf von Fabricius zu Bett geleiten.

Während der nächsten Tage konnte er nicht aufstehen. Der Doktor schüttelte bedenklich den Kopf und teilte Fabricius, den er für einen nahen Verwandten hielt, mit, daß er sich auf das Schlimmste vorzubereiten habe.

Am 8. Januar brachte ein Diener aus dem Gasthof der Stadt, in deren unmittelbarer Nähe Warrens Landhaus gelegen war, einen an diesen gerichteten Brief, der, wie der Bote sagte, sofortige Erledigung erheischte, und den Fabricius öffnete, da sein Freund seit mehreren Stunden in einem träumerischen Fieberzustand lag, der an vollständige Bewußtlosigkeit grenzte. Der Brief war »Ellen Howard« unterschrieben und lautete wie folgt:

»Eine Reise nach Europa, die mein Vater bereits seit längerer Zeit beabsichtigte, ist plötzlich zur Ausführung gekommen. Ich habe Ihnen dies nicht früher mitteilen wollen, um das Vergnügen zu haben, Sie zu überraschen. Hier erfahre ich nun aber durch den Gastwirt, daß das Unwohlsein, von dem Sie in Ihrem letzten Briefe sprachen, noch nicht gehoben ist. Ich mag deshalb nicht unangemeldet vor Ihnen erscheinen und frage zunächst an, ob Ihr Zustand Ihnen erlaubt, uns zu empfangen. Ich bin hier mit Francis, der wie ich darauf bestanden hat, Ihnen, werter Freund, auf der Durchreise einen kurzen Besuch zu machen. Mein Vater ist geradeswegs von Hamburg nach Paris gereist, wo mein Bruder und ich uns in wenigen Tagen wieder mit ihm vereinigen werden.«

Fabricius dachte einen Augenblick nach. Dann nahm er seinen Hut und sagte dem Boten, er werde die Antwort auf den Brief selbst bringen. – In dem kleinen Gasthause angelangt, wurde er ohne weiteres bei der »fremden Dame« vorgelassen. Er hatte ihr durch den Kellner seine Karte geschickt mit den Worten: »Im Auftrage des Doktor Warren.«

Ellen war allein. Fabricius musterte sie schnell. Sie war sehr schön. Ihre großen blauen Augen waren unruhig fragend auf den Eintretenden gerichtet.

Fabricius war in seinem Leben nur wenig mit Frauen umgegangen und erschien gewöhnlich verlegen in ihrer Gesellschaft. Aber in diesem Augenblick waren alle seine Gedanken bei dem kranken Freunde, und er konnte ohne Anstrengung vollständig unbefangen sein. Er erzählte in wenigen Worten, Warren sei krank – sehr krank – sterbend. Er habe den an seinen Freund gerichteten Brief erbrochen und gelesen.

Ellen sah ihn stumm, gewissermaßen erstaunt an. Sie schien das, was sie hörte, nicht zu fassen. Aber langsam füllten sich ihre Augen mit Tränen.

»Ist es mir erlaubt, Herrn Warren zu sehen?« fragte sie endlich.

Fabricius bejahte dies.

»Soll mein Bruder mich begleiten, oder ist es besser, daß ich allein gehe?«

»Ich halte es für geraten, daß Sie zunächst allein kommen. Ihr Bruder kann unsern armen Freund vielleicht später sehen.«

»Wird die Überraschung den Kranken nicht ermüden?«

»Sicherlich nicht. Jede Freude kann ihm nur wohltun; und ich weiß, er wird sich freuen, Sie zu sehen.«

Ellen war in wenigen Minuten bereit, Fabricius zu folgen, und bald darauf befanden sich beide in Warrens Hause. Fabricius bat seine Begleiterin, in der Wohnstube zu warten, und ging zunächst allein in das Krankenzimmer.

Warren lag mit weitgeöffneten, im Fieber leuchtenden Augen auf dem Bett. Er redete irre. Er erkannte jedoch den Eintretenden und bat diesen, ihm etwas zu trinken zu geben. Nachdem er seinen Durst gelöscht hatte, schloß er die Augen, als wolle er schlafen.

»Ich habe dir einen guten Freund geholt,« sagte Fabricius, »willst du ihn empfangen?«

»Fabricius? – Er sei willkommen!«

»Nein. – Einen Freund aus Amerika.«

»Aus Amerika? . . . Da habe ich lange, lange gelebt . . . Wie traurig, trostlos die Ufer!«

»Willst du den Freund sehen?«

»Ich gleite den dunkeln Strom hinunter – hinunter. In nebeliger Ferne: hohe, dunkle Formen, bewaldete Höhen . . . Ich kann sie nimmer erreichen.«

Fabricius entfernte sich auf den Fußspitzen und trat nach wenigen Sekunden mit Ellen wieder in das Zimmer. Warren schien nichts zu bemerken. Er sprach mit leiser, tonloser Stimme weiter:

»Der Strom nähert sich dem Meere. Ich höre sein dumpfes Brausen. Die Ufer werden grün. Die Berge rücken näher. Das sind die Bäume, unter denen ich so oft geruht . . . Waldesdunkel . . . Zwischen den Bäumen schwebt eine lichte Gestalt daher . . . Ellen!«

Sie trat an sein Bett. Der Sterbende blickte sie, ohne Überraschung, freundlich lächelnd an.

»Gottlob! Ich sehe dich noch!« sagte er. »Ich wußte, daß du kommen würdest.« Er lallte noch einige unverständliche Worte; dann lag er lange Zeit still da. Plötzlich rief er: »Hermann!«

Der Gerufene stand neben Ellen.

»Das Glückspendel! Du verstehst mich?« – Ein kindliches, harmloses Lächeln flog über sein Antlitz. Er hob die magere Rechte in die Höhe, und mit dem Zeigefinger eine weite Pendelschwingung in der Luft beschreibend, sagte er dazu: »Früher!« Dann machte er in derselben Weise eine kurze Bewegung von rechts nach links, die er langsam wiederholte, und sprach: »Heute!« – Endlich hielt er den Zeigefinger, wie drohend, fest und unbeweglich in die Höhe: »Bald!« – Darauf schloß er die Augen und lag einige Minuten lang schwer atmend, sprachlos da.

Ellen beugte sich weinend zu ihm hinab und rief leise: »Heinrich! Heinrich!« Er öffnete die müden Augen noch einmal. Sie näherte ihren Mund seinem Ohr und flüsterte unter Tränen: »Ich habe dich immer geliebt.«

»Ich wußte es von Anfang an,« antwortete Warren ruhig und überzeugt. – Die starren Züge wurden noch einmal sanft und belebt. Das Auge blickte freundlich, zutraulich, wie vor langen Jahren. Er ergriff Ellens Hand und führte sie an seine trockenen Lippen. Ein Lächeln verklärte sein Antlitz.

»Wie fühlst du dich?« fragte Fabricius.

Die alte Antwort kam: »Sehr wohl . . .« Die kraftlosen Finger zerrten an der Bettdecke, als wollten sie sie in die Höhe ziehen. Dann streckten sich die Arme lang aus, und die Finger lagen still. – »Sehr wohl . . .« wiederholte Warren noch einmal leise. Er schien darauf in tiefes Nachdenken zu versinken. Eine lange Pause trat ein. Dann richtete er das brechende Auge liebevoll und traurig auf die Geliebte, und zögernd, leise, mit schwachem Ausdruck auf das erste Wort, sagte er: » Ganz wohl.«


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