Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einleitung: Niedersachsen

– 1895 –

Der preussische Gesandte bei den Hansestädten und den Höfen Mecklenburg und Oldenburg hat seinen Sitz in Hamburg, was zugleich die zentrale Lage und die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der jüngst entwickelten unter den drei letzten Hansestädten beleuchtet. In der That bildet Hamburg noch heute in mancher Beziehung den Mittelpunkt für das ganze Gebiet, den es im vergangenen Jahrhundert, wo es kulturell wohl die erste Stadt Deutschlands war, für einen noch weiteren Umkreis ausgemacht hat.

Trotz grosser Selbständigkeit der einzelnen Provinzen hat dieser diplomatisch zusammengelegte Nordwest doch einen einheitlichen Charakter sowohl durch die Gleichartigkeit des Volkstums wie durch die verwandten sozialen Charakterzüge.

Überall liegt das niedersächsische Volkstum zu Grunde. Doch wird es an den drei äusseren Enden im Osten, Westen und Norden durch fremde Einflüsse deutlich gefärbt. Im Osten, in Mecklenburg, das durch die Niedersachsen kultiviert und dem plattdeutschen Sprachgebiet gewonnen wurde, spürt man die Beimischung westslavischen Blutes. Der Mecklenburger ist lebhaft und von allen Plattdeutschen der sprachgewandteste, er ist namentlich ein hochbegabter Erzähler und Schilderer. Fritz Reuter stellt den Idealtypus dieses scharfcharakterisierten Volksschlages dar. Der Schleswig-Holsteiner vermittelt uns skandinavisches Wesen, obwohl er bis auf die Grenzbewohner ein guter Niedersachse ist. Im Westen spricht das friesische und holländische Element bereits sehr stark mit. Schon in Bremen lassen sich holländische Züge wahrnehmen.

Hamburg nimmt eine Stellung für sich ein. Der früher mächtige englische Einfluss hat sehr abgenommen. In vielen einflussreichen Hamburger Familien macht sich in neuerer Zeit durch die Beziehungen zu Südamerika die Beimischung spanischen Blutes und spanischen Wesens sehr fühlbar, und hier allein im ganzen Nordwest giebt es altansässige Judenfamilien, die, in Leben und Anschauung Hanseaten geworden, auf das öffentliche Leben erheblichen Einfluss ausüben.

Das ist der Untergrund des Volkstums. Die alte einheimische Kultur stammt aus niederländischer Wurzel und hat hie und da eigenartige lokale Schösslinge getrieben, deren Zusammenhang mit dem Mutterstock jedoch immer fühlbar bleibt. Niedersächsisch ist das überall durch die Fürstenzeit des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts gerettete freiheitliche Wesen des Bauern und Bürgers, in Mecklenburg wenigstens der Städte und des Adels. Nirgend hat in Stadt und Land der Fürst jemals alle Kräfte sich dienstbar machen können. Niedersachsen ist etwas wie die Schweiz Norddeutschlands.

Derselbe Umstand hat auch verhindert, dass dies niedersächsische Gebiet zu irgend einer Zeit für eine gemeinsame Kulturarbeit zusammengefasst worden wäre. Auch die Hansa hatte wesentlich eine politische Funktion. In Kunst und Litteratur hat sich der Nordwest noch nicht ausgegeben.

Diese bäuerische und städtische Atomisierung der Volkskraft äussert sich am deutlichsten im Verhältnis zur höheren Bildung. Es giebt auf dem ganzen Gebiet keine Malerakademien und polytechnischen Hochschulen, Universitäten nur in Kiel und Rostock.

Auch die ökonomischen Verhältnisse sind sehr gleichartig. Zahlreiche Seestädte mit reichentwickelten Handelsbeziehungen sitzen in einer ackerbauenden Bevölkerung des Landes und der Landstädte. Residenzen von beherrschender Stellung giebt es nicht, und die Fabrikthätigkeit ist sehr jung. Hier kommt ausser Hamburg, das mit Altona und Harburg in der letzten Generation, ehe es sich dessen recht versehen, eine sehr bedeutende Fabrikstadt geworden ist, kein Platz in Betracht. Städte wie Neumünster mit seiner grossen Tuchindustrie bilden eine seltene Ausnahme. Der Landmann, der Kaufmann, der Seefahrer, der Fischer, das sind die Berufstypen des Volkes.

*

Da die Fürsten keine übermächtige Stellung besessen haben, sind andere historische Bauten als Kirchen und Rathäuser auf dem ganzen Gebiete sehr selten. Charakteristischer Weise wirken diese Gebäude und die Bauernhöfe monumentaler, als selbst die Schlösser und Patrizierhäuser. Alten Kunstbesitz hat ausser der Kirche und einzelnen Rathäusern nur der Schweriner Hof in unser Jahrhundert gerettet. Kirchen, Rat- und Bauernhäuser waren die wesentlichen Quellen, aus denen die an allen Orten errichteten historischen Sammlungen und Gewerbemuseen, die man wohl schon unter einer Rubrik aufzählen darf, Denkmäler einheimischer Kunst und Kultur schöpfen konnten. Was der Adel, was die Patrizier bewahrt hatten, war meist nur ein kostbares Einzelstück. Ihr einst sehr reicher Besitz an Gemälden, Kunstsachen und Hausrat ist zerstreut.

In Schwerin bildet denn auch die Grossherzogliche Sammlung die Grundlage der Staatsmuseen, vor allem die wichtige Gemäldegalerie, an alten Meistern die hervorragendste im Nordwest. Die Oldenburger Galerie alter Meister ist jung, erst seit Anfang dieses Jahrhunderts ausgebildet, aber sie enthält eine Anzahl ausgezeichneter Gemälde. Noch jünger ist die Galerie alter Meister in der Hamburger Kunsthalle. Sie ist aus den letzten Resten des einst unermesslichen Privatbesitzes an alten, namentlich holländischen Meistern zusammen geflossen. Die ansehnliche Sammlung Hamburgischer Meister seit dem fünfzehnten Jahrhundert ist erst vor einigen Jahren gegründet worden. Kleinere Sammlungen alter Meister werden noch in den Museen von Bremen und Lübeck und in der Universität zu Kiel aufbewahrt. Lübeck besitzt in seinen alten Kirchen eine hochbedeutende Sammlung von Bildern des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, und überall finden sich in den Kirchen einzelne wichtige Kunstwerke.

Privatsammlungen alter Meister sind recht selten geworden. Manches steckt noch in den Mecklenburger Schlössern, Lübeck und Bremen haben noch einige Sammlungen aus älterer Zeit. In Hamburg sind die umfangreiche Galerie des Konsuls Weber und die Sammlung des verstorbenen Hauptpastors Glitza am bekanntesten.

Kupferstichkabinette von Bedeutung sind die zu Bremen – Kleinmeister, Handzeichnungen von Dürer – und Hamburg – alte Italiener, Deutsche, Holländer etc., Handzeichnungen aller Schulen, moderne Radierungen – .

Die Gewerbemuseen, unter denen das von Justus Brinckmann gegründete und geleitete in Hamburg einen Weltruf besitzt, finden sich fast überall in rationeller Weise mit den historischen Museen vereinigt. Sammlungen kunstgewerblicher Gegenstände von erheblichem Wert dürften im Privatbesitz nur in Hamburg und Bremen vorhanden sein.

Für neuere Kunst ist bisher nur in den grösseren Zentren etwas geschehen. Fast überall war naturgemäss die Sorge für die Erhaltung und das Verständnis der Reste alter Kunst der Ausgangspunkt, nur das unhistorisch fühlende Hamburg hat schon in den zwanziger Jahren mit der Pflege der lebenden Kunst eingesetzt. Es steht jetzt mit seiner Gemäldegalerie, seiner Skulpturensammlung, der modernen Abteilung seines Kupferstichskabinetts im Nordwest voran. In Oldenburg hat sich Grossherzog Peter als ein feinsinniger Freund und Sammler lebender deutscher Meister bewährt; in Schwerin ist der Grund einer modernen Galerie gelegt, ebenso in Bremen, Lübeck und Kiel. Privatgalerien lebender Meister muss man in Hamburg [Behrens, Amsinck, Pini, Berkefeld, Antoine-Feill, Weber, Freiherr von Westenholz, Dr. A. Wolffson, Kalkmann] und Bremen suchen. In Kiel besitzt Prof. Hänel eine kleine, aber höchst gewählte Sammlung lebender Meister. Die Freude an modernen Originalradierungen lebt eben wieder auf. Den bedeutendsten Sammler hat Bremen in Dr. H. H. Meier aufzuweisen. – Als Handzeichnungssammler hat sich Arnold Otto Meyer in Hamburg einen Namen gemacht durch die Umsicht und Einsicht, mit der er die deutschen Künstler der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts studiert hat. Neben ihm ist A. Glüenstein zu nennen.

Museumsbauten sind in Bremen (am frühesten), Hamburg, Oldenburg, Schwerin, Kiel und Lübeck errichtet, jedesmal nach einem neuen und eigenartigen Plan, der weder von dem Berliner noch von dem Münchener Typus abhängig ist.

Die Gründer der öffentlichen Sammlungen sind entweder, wie in Mecklenburg und Oldenburg, die Fürsten oder, wie in Hamburg und Bremen, die Kunstvereine, hie und da auch historische Vereine oder, wie in Lübeck, die Gemeinnützige Gesellschaft. In Kiel pflegt die Universität die Sammlungsinteressen. Wenig haben die Staaten und Städte bisher aus öffentlichen Mitteln zu thun gefunden. Nur in Hamburg sorgt der Staat für die Ausbildung des Museums für Kunst und Gewerbe und des Kupferstichkabinetts der Kunsthalle.

So weit die Sammlungen.

*

Was den ganzen Nordwesten von den übrigen deutschen Kulturgebieten unterscheidet, ist die mangelnde Fürsorge für die Erziehung der höheren künstlerischen Begabungen. Handwerkerschulen, Gewerbeschulen, Bauschulen giebt es überall. Aber es kann keins der zwischen Oldenburg, Schwerin und Flensburg aufkeimenden wirklichen Talente sich als Bildhauer, als Maler, als Architekt auf dem Boden der Heimat seine volle Ausbildung verschaffen.

Die Folgen dieser Gleichgültigkeit gegen das in der Volkswirtschaft unschätzbare Produkt, das Talent, liegen klar zu Tage.

Zunächst ist es eine grosse Armut an hervorragenden Malern, Bildhauern und Architekten. Die Sehnsucht aller Talente ist: hinaus! Nach Berlin, nach München, nach Paris! Bei der allgemeinen Wohlhabenheit, der grossen Mildthätigkeit sind auch die Unbemittelten leicht in der Lage, Stipendien zu erhalten. Wer in den Kunststädten Anschluss findet, kehrt nicht so leicht wieder, und das sind naturgemäss nicht gerade immer die schwächeren Begabungen. Dagegen kommen zurück, die daran verzweifeln mussten, sich draussen eine Existenz zu schaffen, oder denen ihre äusseren Verhältnisse keine Wahl lassen. Seltener kommt es vor, dass die Liebe zur Heimat der wirkliche Grund der Rückkehr war. Unter der Schar dieser dem Heimatboden gegen ihren Wunsch Wiedergegebener sind verhältnismässig Wenige auch nur mit dem bescheidenen Mass von Können ausgerüstet, das sich auf den deutschen Akademien bisher erwerben liess. Die Meisten haben nur eine ganz oberflächliche Schulung. So ist es kein Wunder, dass Rückbildung und Versumpfung eher die Regel als die Ausnahme bilden. Viele kämpfen lange Jahre mit unzulänglichen Mitteln in einer Umgebung, die sie nicht versteht, unter beständiger Sehnsucht nach draussen, bis sie mit sich und der Welt zerfallen sind und erlahmen. Andere ergeben sich schneller. Sehr Wenige haben die Kraft, sich durchzuringen.

Und da in diesem wohlhabenden Gebiete doch mancherlei Aussicht auf Erwerb winkt, bildet es die Zuflucht von reisenden Künstlern, die die scharfe Konkurrenz in den Kunststädten nicht aushalten können. Dass sie nicht durch ernste Leistungen, die ihnen auch in den Kunstzentren eine Stellung sichern würden, ihren Weg machen, sondern eher durch Anpassung an den Durchschnittsgeschmack vorankommen, versteht sich von selbst.

An allen Ecken und Enden hört man, dass im Nordwesten die Künstler zur Zeit ihrer stärksten Empfänglichkeit dem Heimatboden entfremdet und den zufällig wechselnden Einflüssen der Akademiestädte ausgesetzt waren. Dass das Bodenwüchsige, der Erdgeruch ihren Produkten fehlt, ist fast die Regel.

In der Gesellschaft spielt der Künstler als solcher keine Rolle. Hie und da kommt es vor, dass sich einem Einzelnen aus irgend welchen Ursachen die Thüren des Salons öffnen, Künstlerschaft an sich macht nicht gesellschaftsfähig. So kommt es, dass der persönliche Einfluss der wenigen bedeutenden und dabei gebildeten Künstler sich auf ganz enge Kreise beschränkt. Breiten Schichten der vornehmen Gesellschaft ist völlig unbekannt, wie viel Anregung der Verkehr mit Künstlern bieten kann, und das ist wiederum ein Hemmschuh am Wagen, der die neuen Ideen bringt.

*

Nun wird aber nicht allein sehr wenig wirklich bedeutende Kunst im Nordwesten geschaffen, es gelangt auch von Aussen wenig dahin. Denn Kunsthandel und Ausstellungswesen liegen darnieder.

In der vergangenen Generation wirkten z. B. in Hamburg noch die bedeutendsten Kunsthändler, wie Harzen, Commeter, Christian Meyer, gelehrte Kenner ihres Faches, von deutschem, sogar europäischem Rufe. Sie haben weder auf dem Gebiete der alten noch auf dem der neuen Kunst ebenbürtige Nachfolger gefunden. Berliner, Münchener, Pariser, holländische Kunsthändler liefern die teuren Bilder, aus Wien und München kommt in ungeheuren Massen die Schleuderware, die einheimischen Kunsthändler – sehr gering an Zahl – haben schwer zu kämpfen. Von der führenden Thätigkeit nach Art der Pariser, Londoner und Dresdener Kunsthändler, die in einem anziehend entwickelten Ausstellungswesen einen so ausserordentlich starken Einfluss auf das Publikum üben, ist in Niedersachsen noch nicht viel zu merken.

In Hamburg waren noch in den fünfziger Jahren die Ausstellungen des Kunstvereins die mannigfaltigsten Deutschlands. Fast ein Jahrzehnt hatten sie jetzt ganz aufgehört, und das gerade zu der Zeit, wo München die phänomenale Entwickelung als Kunstmarkt durchmachte. Von dem Besten, was in Deutschland entstand, kam in der letzten Generation das Wenigste nach Nordwestdeutschland.

Eine Reaktion bereitet sich vor. In Hamburg bemüht sich der Kunstverein – im Bunde mit dem Künstlerverein und der Kunsthalle –, seine grossen Ausstellungen zur alten Bedeutung zu erheben, in Bremen und Kiel haben sich die jüngeren Künstler zusammengethan, um ihre eigenen Werke zur Ausstellung zu bringen, in Lübeck hat ein junger Kunsthändler den Mut gehabt, Klingers Kreuzigung auszustellen.

*

Diese Bestrebungen müssten zuerst den einheimischen Künstlern zu gute kommen, denn gesunde Zustände können nicht erreicht werden, wenn nicht der eigene Boden bestellt wird. Nirgends in Deutschland haben bisher die einheimischen Künstler so schwer zu kämpfen gehabt wie in Nordwest, sie hatten nicht einmal die letzte Zuflucht des Kunsthandels. Der Nordwesten verhielt sich zu seinen Talenten wie ein Landstrich, der edelsten Wein bauen könnte, aber diesen Stoff von aussen bezieht.

Über den Stand der künstlerischen Produktion ist nicht viel Allgemeines zu sagen. Ihre Schwäche geht aus den eben dargelegten Umständen hervor. Malerei, Architektur, Kunstgewerbe tragen im allgemeinen den Stempel des Importierten.

Die Architektur hat keinen selbständigen Charakter mehr. Jene eigenartige und oft höchst liebenswürdige, hie und da sogar grossartige Weiterentwickelung holländischer Baugedanken, die bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts währte und auf dem Lande heute erst zu verdorren droht, wurde in den Städten unter dem Flugsande des Klassizismus begraben. Dann kämpften Berliner Klassizismus und Münchener Romantik, denen sich für Hamburg Pariser und Londoner Einflüsse zugesellten, bis schliesslich Berliner Neurenaissance, Neubarock und Neurokoko sich mit der Backsteingotik Hannovers, der nächstgelegenen Fachschule, den Rang streitig machen. Hie und da wirken einzelne Talente, aber im ganzen Nordwesten entspricht weder die öffentliche noch die private Architektur der Wohlhabenheit und Bildung der Bewohner, und ganz ausnahmsweise knüpft sie mit Bewusstsein bei der lokalen Vergangenheit an.

Auf den Kunstausstellungen erscheint die Architektur nicht mehr, und es ist ein Zeichen der Zeit, dass der Vorstand eines grossen Architektenvereins im Nordwesten beschlossen hat, von der Beteiligung abzusehen, da sich das Publikum doch nicht dafür interessiere.

In der Malerei herrscht, wie überall, der Kampf zwischen den Alten und den Jungen, und wird mit denselben Mitteln geführt. Aber ein höchst wichtiges Symptom zeigt sich überall: die Jugend will den Boden nicht mehr dauernd verlassen. In Bremen haben sich die Leute von Worpswede zusammengethan, die Künstlerschaft in Schleswig-Holstein ist geeinigt und stellt in Kiel aus, und die jüngsten Hamburger sind wenigstens darin einig, dass sie sich die Darstellung der Heimat wieder als Ziel erwählt haben. Hiermit thun sie den Schritt in ein unerschöpfliches Gebiet, denn kein anderer Landstrich in Deutschland ist malerisch, an Fülle und Mannigfaltigkeit der Motive und Stimmungen der Landschaft sowie an malerischer Vielgestaltigkeit des Lebens, dem Nordwesten auch nur annähernd zu vergleichen, der zugleich an der weichen tonigen Natur der Nordsee und der harten koloristischen der Ostsee Teil hat. – Auf die Architektur und das Kunstgewerbe ist die Malerei ohne Einfluss.

Sehr schlecht geht es überall der Skulptur. Sie hat im Bürgerhause keine Sympathie. Die wenigen Talente laufen Gefahr, von den Architekten und Maurermeistern ruiniert zu werden, denen sie die wüste Ornamentik für die Stuckfassaden zu modellieren haben.

Die Gartenbaukunst siecht unter der einseitigen Herrschaft der verkommenen englischen Tradition dahin. Von einer Rückkehr zu architektonischen Prinzipien findet sich auf dem ganzen Gebiet kaum eine Spur, der Aufwand aber, der überall mit dem Garten getrieben wird, ist ganz enorm, und wenn ein Teil davon dereinst einer Kunst des Gartenbaus dienstbar gemacht wird, brechen herrliche Zeiten an.

Das Kunstgewerbe hat dieselbe Entwickelung durchgemacht wie im übrigen Deutschland. Es hat im ganzen nicht mehr Eigenart als die Architektur, wenn auch einzelne Zweige eine selbständige Entwickelung aufweisen. Der lebenden Kunst steht es fern.

*

Was an den künstlerischen Zuständen im Nordwesten unzulänglich ist, ergiebt sich im letzten Grunde aus der verkehrten Einrichtung des Bildungswesens. Überall sorgen Staat und Gemeinde für die niedere Bildung in bester Absicht, überall vernachlässigen sie die höhere. Es ist nicht möglich, auf diesem Wege Kultur zu schaffen. Die weiteste Verbreitung von Elementarkenntnissen im Handwerkerstand wiegt die Bedeutung eines wirklich produktiven malerischen Genies, eines kultivierten, originellen Architekten nicht auf, wenn sie in der Heimat ihr Wirkungsgebiet finden. Es kommt immer darauf an, dass das Höchste geleistet werde, nur dann hebt sich das Niveau auch des Niedrigsten. Wenn im Nordwesten die leitenden Mächte nicht einsehen, dass ihre Sorge sein muss, den künstlerischen Begabungen auf dem Boden der Heimat die höchste Ausbildung und Bildung zu geben, so werden wir binnen kurzem das alte Kulturgebiet zu einem Brachacker werden sehen, auf den alle Unkräuter der Fremde einwandern.

Schutz vor dem lahmlegenden Import von Ideen und Erzeugnissen von aussen gewährt nur die höchste Entwickelung der eigenen Produktion.


 << zurück weiter >>