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Kinder und Naturgeschichte

Die beste Erziehung ist keine Erziehung.

Die Seele des Kindes

»Kind« – heilig ernstes, großes Wort! Das süßeste im Leben und das schwerste zugleich. Wer bist du, Leserin oder Leser, daß du ein Kind dein eigen nennen darfst! Kannst du diese Last tragen? Hast du deine Kräfte auch richtig eingeschätzt? Weißt du, was du sollst und willst?

Du sollst einem Geiste die Pforten des sinnlichen Daseins öffnen und behütend und helfend über ihm wachen, dein Bestes als Schutzmauer um ihn her stellen und auch dann nicht verzagen, wenn er deines Schutzes nicht begehrt.

Hast du die Liebe, die sich nicht erbittern läßt, die nicht ungeduldig wird, die ihre heiligste und schönste Aufgabe darin sieht, sich für den hereingetretenen Geist aufzuopfern?

Nur Eines macht verständlich, daß wir unter der Last solcher Aufgabe nicht zusammenbrechen, nämlich das, daß wir selbst ebenbürtige Geister sind, die ihrem ganzen Sein nach dem gewachsen sein können, was sie auf sich nahmen. Darin liegt die hohe Würde und Seligkeit des Elternstandes. Das Leben wird uns nie einen höhern Wert bieten als die Sorge, die Mühe, die Last, das ganze Glück, das unsere Kinder verursachen.

Ein Kind ist der einzige Besitz, den wir aus der Zeit mit hinausnehmen. Alle Besitztümer gehen verloren, wenn wir das Leben hergeben müssen. Sogar der Ruhm bleibt nicht, oder er wechselt jedenfalls mit den Anschauungen der kommenden Geschlechter. Nur das Eine bleibt, daß wir Eltern waren und Kindern ins Dasein halfen. Bleiben wir, so bleiben auch unsere Kinder. Auch sie gehören der Ewigkeit und stehen über der Zeit.

Ist das also deine größte Freude und Sorge, deine Last und dein Entzücken – die Seele deines Kindes?

Laß uns einmal ganz schlicht und einfach davon reden. Wir treiben hier keine Wissenschaft von der Seele, sondern reden aus dem Leben, du und ich. Und für das Leben. Dein Kind ist ein Geist, ein Ich, etwas Unbegreifliches und Unerklärbares. Aber du verstehst es, soweit du es bedarfst, denn dein Kind ist dein Du.

Am Geiste deines Kindes wirst du nie etwas ändern. Er ist und wird nach seinen eigenen Gesetzen. Du kannst nur demütig bewundernd daneben stehen, neben dem Unerforschlichen, und vielleicht gehen dir Ahnungen auf von einer Welt unendlicher Größe, Tiefe, Weite.

Wenn du den Sternenhimmel betrachtest und dir sagen lässest, in was für Fernen du schaust, dann lernst du das Sternchen deiner jetzigen Heimat anders ansehen. Sieh, ebenso ist's mit dem Geiste deines Kindes. An ihm kommen dir vielleicht Ewigkeitsgedanken und der Sinn für das Unermeßliche.

Dein Kind ist ein Geist. Aber es hat einen Leib und hat eine Seele.

Den Leib kennst du. Ein wenig. Du hegst ihn und pflegst seiner. Die Hauptsachen davon weißt du auch nicht. Die Wissenschaft müht sich um dieses Wissen, aber sie merkt auch, daß es immer schwieriger wird, je weiter sie kommt. Aber von Wissenschaft reden wir nicht, und für den Hausgebrauch weißt du genug.

Für die Seele bist du auch der berufene Pfleger. Das ist schon schwieriger. Leib und Seele hängen enge zusammen. Wir können vom Körper nicht ganz schweigen, wenn wir von der Seele deines Kindes handeln.

Wir wollen uns aber klar werden, was wir unter Seele verstehen wollen. Es ist nur der Verständigung halber. Denn das Wort ist vieldeutig und in mancherlei Sinne gebraucht worden.

Wir nennen hier Seele die Empfindungswelt deines Kindes. Wir müssen also von der Stellung der Kinder zu den Eltern sprechen. Auch das ganze Gebiet der Religion gehört hierher. Nicht minder die Wissenschaft. Kurz alles Geistige, soweit es vergänglich und an die Zeit gebunden ist, ist das Gebiet der Seele.

Daher ist die Seele so recht der Ort alles Entwickelungsmäßigen im Menschen, das mit irdischen Zeitmaßen gemessen, sichtbaren Veränderungen unterliegt.

Die Seele verhält sich zum Geiste, wie ein Planet zur Welt. Es gibt kosmisches Werden und planetarisches Werden. Kosmische Schnelligkeit, kosmische Entfernung ist uns im allgemeinen unverständlich, wohl aber haben wir klare Anschauungen über irdische Entfernungen, irdische Werte und irdisches Werden.

Laß also den Geist deines Kindes ruhig beiseite. Er folgt seinen eigenen Gesetzen, die wir nicht ergründen können, auch nicht zu ergründen brauchen. Er steht über der Zeit. Aber der Seele nimm dich an, wie du kannst. Die Seele ist das Gebiet des Werdens für dieses Leben, der Boden für die Erziehung. Was du mit deinem Kinde zu tun hast, oder das Leben ihm wird, das prägt sich mit unverwischbaren Spuren ein in seine Empfindungswelt, seine Seele.

Hier handelt sich's drum, ob dein Kind dein Freund oder dein Ankläger wird. Aber mehr noch um das Eine, daß du dein Bestes gibst und das einzige Meisterstück deines Lebens leistest, das wirklich und bedingungslos wert ist, alle Kraft dafür einzusetzen.

Zu ganz Großem bist du berufen. Freue dich!

Wie Kinder werden

Wäre gebären oder geboren werden deutsches Reichspatent, so würde niemand Kinder bekommen, der nicht einen behördlich beglaubigten Befähigungsnachweis mit Siegeln und Unterschriften beizubringen vermöchte, daß er Kinder ernähren und erziehen kann. Diesen bekäme man natürlich nur auf Grund von Lehrjahren und Prüfungen – Examen sagt man auf deutsch.

Ohne Examina dürfte ebenso kein Kind sich gebären lassen. Es müßte doch mindestens über die wichtigsten Dinge im Leben aufgeklärt werden und darüber Rechenschaft geben können. Man müßte es also von Staats wegen unterrichten.

Leben ist das Schwerste, was es gibt. Jeder Mensch hat Zeiten, in denen er verzweifeln möchte, dieses Leben überhaupt durchzubringen, und Unzählige verzweifeln wirklich daran. Ein Leben wäre nötig, um leben zu lernen. Aber in der Wirklichkeit ist alles grundanders. Es gibt nichts, das uns so unvorbereitet trifft, wie das Leben.

Um das Recht zu erhalten, Taufscheine auszustellen, gleichgültige Papiere zu siegeln u. s. f., muß man mindestens 13-14 Jahre studieren. Um in einem Glaubensbekenntnis zu bestehen, wird man viele Jahre unterrichtet; um ein Handwerk auszuüben, bedarf's großer Vorbereitung. Nur um zu leben, ist uns auch die leiseste Besinnung nicht gegönnt!

Warum ist das so? Weil das Gebären ein natürlicher Vorgang ist. Die Natur ist die große Unbefangene und hält Unbefangenheit für den gesündesten Zustand.

Wer wird nicht alles Mutter und Vater! Menschen, die oft gar nicht wollen, oft gar nicht wissen, was mit ihnen vorgeht, die meistens keine Ahnung haben von dem gewaltigen Ernst der riesengroßen Aufgabe!

Die Natur setzt uns Kinder in den Schoß in den Jahren, wo uns jegliche Erfahrung und innere Reife mangelt, und wenn wir sie mühsam erworben haben, versagt sie uns die süßeste Aufgabe zu lösen, der wir unser ganzes Können widmen würden.

Wer sich nach Kindern sehnt – ach, wie heiß oft sehnt! Wer die günstigsten Bedingungen vorweisen kann, um sie zu pflegen und zu betreuen, dem werden sie meistens nicht gewährt. Es scheint oft, als ob Sehnsucht nach Kindern die Fähigkeit ersticke, welche zu bekommen.

Wenn wir aber keine Kinder wollen, weil es uns scheint, daß wir wichtigeres zu tun haben, daß wir nicht Kraft und Mittel haben, sie zu erziehen, dann rückt ein kleiner Gast nach dem andern an und richtet sich mit größter Selbstverständlichkeit und Behaglichkeit bei uns ein, ohne einen Gedanken daran, ob's uns so genehm und passend ist.

Ist das alles nur Zufall, oder liegt ein tiefer Sinn in dem allen? Handelt sich's nicht hier um Gedanken, die soviel höher sind, als der Himmel höher ist als die Erde? –

Offenbar ist das alles, was wir Erziehung, Lehre, Unterricht nennen, etwas sehr Kleines und Unbedeutendes, etwas oft nicht ganz Unbedenkliches, und die Natur hält uns alle lächelnd in starken Armen – »herausfallen könnt ihr ja doch nicht!« – und verfolgt einen eigenen, großen Erziehungsplan. Soviel wir nun endlich sehen können, heißt dieser Entwickelung, und die beste Verfassung, in der wir in sie eintreten, ist – Unbefangenheit.

Das ist also das erste, wo wir staunend vor den Kindern stille stehen, und mit allen unsern Erziehungsmaßnahmen dahinten bleiben müssen, wenn wir sehen, wie Kinder werden. Da kann man nur anbetend zuschauen.

Ja schauen! Damit finden sich die ersten Verbindungsfäden zwischen dir und der Seele deines Kindes.

Wer merkt, daß ihm ein Kindlein werden soll, der muß seine ganze Seele auf das neue Wesen einstellen, unbekümmert um alle Nebengedanken. Er muß die Umwelt soviel als möglich aus dem Spiele lassen und sich um ihre Gepflogenheiten und Anschauungen nicht mehr kümmern, sondern sich einstellen auf die Innenwelt und ihr keimendes Leben. Still, ganz still. Schauen und wieder schauen.

Und noch eins. Ausgeweitet werden für Liebe und Freude.

Wunderbare Wege geht die Natur mit uns. Ein keimendes Leben ist ihr von ursprünglichster Wichtigkeit. Zu seinem Schutze hat sie sinnige und weitangelegte Vorkehrungen getroffen. Davon können wir hier nicht viel reden, weil es zu weit führt. Aber eins darf nicht verschwiegen werden. Das geht euch an, liebe Mütter.

Selten ist ein Mensch wirklich ganz gesund. Das ist einmal so und muß auch so sein Vrgl. darüber Lhotzky, »Die Zukunft der Menschheit«, S. 34 ff.. Das werdende Wesen soll aber so gesund wie irgend möglich zur Welt treten. Es gelingt auch meistens.

Da wird alles Unbehagen, alles Leiden auf die Mutter gepackt und ihr, unbekümmert um ihr Wohl oder Wehe, alles vorhandene Schwere aufgelegt, um dem Kindlein Behagen und Gedeihen zu schaffen. Daher ist die Geburt eine »Genesung«, wie die Sprache tiefsinnig verstanden hat. Für die Mutter ein Aufhören von viel Leid, das sie an Stelle des Kindleins getragen hat. Die Natur weiß, daß sie einer Mutter viel zumuten darf. Eine Mutter kann alles tragen.

In der schweren Zeit aber muß von der Mutter um des Kindes willen verlangt werden, daß sie sich dennoch mit Freude füllt und alle schwarzen Gedanken, die aus dem Befinden und vielen Lebensumständen herausquellen, tunlichst verbannt. Je mehr Lebensgedanken sie in sich aufnimmt, desto mehr erleichtert sie dem Werdenden das Leben.

Was hier versäumt wird, kann nie mehr nachgeholt werden. Wer weiß, ob nicht der Grund zu manchem verfinsterten Menschenleben gelegt wird, noch ehe es in das Licht dieser Welt eintrat!

Liebe Mutter, werde voll von Liebe und Freude um der Seele deines Kindes willen, und halte dich innerlich ganz frei und unbefangen für das neue Wesen, dem du die Lebenspforte öffnen darfst!

Wenn es da ist

Ein heilig ernster und trauter Raum ist ein Wochenzimmer, eine Stätte der reinen Liebe und Herzensfreude.

Darum hinaus mit allen Mißtönen! Wer des Vertrauens gewürdigt werden soll, es zu betreten, muß vorher geprüft werden. Eines ernsten, treuen Arztes halte dich vergewissert. Es gibt solcher nicht wenige. Gottlob! Eine stille, behutsame Pflegerin, die selbst mit der ganzen Seele dabei ist, soll Mutter und Kind betreuen. Aber hinaus mit den geschwätzigen Vetteln, die ein Wochenzimmer durch Aberglauben oder schlechte Witze verunreinigen, und sich in widriger Vertraulichkeit einnisten! Die Neuzeit hat auch hier Fortschritte gemacht. Das ist gut.

Nirgends ist Leibespflege und Seelenpflege so nah beieinander wie im Wochenzimmer.

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Von grundlegender Bedeutung für ein Menschenleben ist der erste Schrei. Zum ersten Male füllen sich die Luftwege mit Luft, und der wunderbare Blasebalg, der fähig ist, schier ein Jahrhundert ununterbrochen Tag und Nacht, Jahr um Jahr zu arbeiten, die menschliche Lunge, setzt sich zum ersten Male in Bewegung. Das kleine Herz schlägt schon lange, aber zum ersten Male weitet die Lunge sich aus.

Das geschieht im ersten Schrei. Es ist aber leicht begreiflich, daß es nicht gleichgültig ist, was für Luft zum ersten Male eintritt, Stickluft oder Lebensluft.

Es ist außerordentlich wichtig, daß die Lunge ganz ausgeweitet und in ihren schweren Dienst eingestellt wird. Findet sie Stickluft vor, so öffnen sich die Wege mit Unlust und zögernd wie in unwillkürlichem Innehalten. Der nicht volle Gebrauch erzeugt Schwächung. Freu dich, wenn dein Kind recht kräftig schreit. Das ist Lebenshunger, nicht Unart. Stille ihn, so gut du vermagst.

Die Natur bietet dir umsonst die einzige Lebensspeise, die es für die ersten Tage gibt, frische Luft. Du verderbst dein Kind nach Leib und Seele, wenn du sie nicht benutzest, wie sie umsonst dargeboten wird. Sie kommt nicht aus der Apotheke oder vom Drogisten, sondern von der Mutter Natur selbst. Rein und unverfälscht.

Im ersten Schrei werden viele Kinder zum ersten Male vergiftet und oft wird der Grund zu dauernder Verkümmerung gelegt. Was nicht froh atmen lernt, verkümmert auch seelisch. Viele ahnen nicht, wie wichtig der erste Schrei ist.

Sorge dafür, daß dein Kind bei offenem Fenster zur Welt kommt und in möglichst guter Lebensluft seine Lungenwege öffnet. Halte darauf, daß die ganze Wochenzeit hindurch immer reine gute Luft da ist, dann sorgt das Kind später selbst dafür und schreit so unbändig, bis ihm Luft gewährt wird.

Unter keinen Umständen darf ein Wochenzimmer als Trockenraum oder Waschküche benützt werden. Hörst du, unter keinen!

Wir hatten ein Kind, dem mußten wir, weil wir gerade einen großen Umzug mit vielen Reisetagen bewerkstelligten, eine Wärterin nehmen, die sich als erste an unbekanntem Orte anbot. Keine sonst wollte so weit mit uns reisen.

Sie war alt, und wir ahnten nicht, wie unsauber. Da schrie das Kind Nächte und Nächte hindurch, wenn es mit ihr das Zimmer teilte. Wir nahmen es zu uns ans offene Fenster. Da wurde es ruhig und schlief erquicklich die lange Nacht. Lebensluft! Die Wärterin wurde entlassen.

Man sollte tunlichst junge Personen um Kinder haben, namentlich sie nicht bei alten schlafen lassen. Du bist selbst jugendlich, liebe Mutter. Dem Alter tut wohl die aufsprossende Jugend gut, aber nicht der Jugend das welkende Alter. Die Natur zeigt sehr deutlich die Wege und vertraut dem Alter keine Kinder mehr an.

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Bis zum dritten Tage ist Luft die beste Nahrung. Dann beginnt von selbst ein neuer Lebensquell zu quellen, der ebenso wichtig ist.

Milch und Blut sind sehr verwandt, und im Blute liegt das Leben. Liebe Mutter, du kannst deinem Kinde Teil an deiner Seele geben und bist so glücklich und unbeschreiblich geehrt, daß du es mit deinem Selbst nähren darfst! Nie im Leben kannst du ihm wieder so innig nahe kommen nach Leib und Seele. Kannst du das verweigern? Ist's dir wirklich lieber, den Apotheker oder irgend einen Fabrikanten oder Chemiker zu beauftragen, die erste Nahrung für dein Kind zu beschaffen, als ihm das Beste zu geben, was du überhaupt geben kannst, die Lebensquelle an deinem Herzen?

Öffnest du lieber die Spalten des Wochenblättchens, die unsauberen, um nach Nahrung für deinen Liebling auszuschauen, als die eigene Brust? –

Wie wichtig das Stillen für dich selbst ist, das laß dir vom Arzt erklären. Verlange vollste Offenheit von ihm und erwäge selbst aufs Gewissenhafteste, ob es dringlich und nötig ist, auf das köstlichste Mutterrecht herzlos zu verzichten. Was das Stillen aber für die Seele deines Kindes ist, das mag dir der Volksmund sagen, wenn du's nicht selbst durchfühlst.

»Mit der Muttermilch eingesogen«, sagt das Volk in tiefer Weisheit. Damit meint es seelische Eigenschaften eines Menschen.

Es ist kein Wunder, wenn es wirklich so ist. Wer stillt, gibt ein Lebensteil an sein Kind. Leben ist keineswegs bloß eine Bewegung von Stoffteilchen, sondern eine Offenbarung viel tieferen Wesens. Dein Bestes, dein Heiligstes strömst du mit über auf dein Kind.

Sieh, wie es in unbegrenztem Vertrauen ganz wehrlos und unerschütterlich sicher in deinen Armen liegt! Vielleicht traut dir niemand ganz und hat vielleicht Recht dazu. Trotzdem kränkst du dich drüber.

Aber dein Kind traut dir ganz und unbedingt. Und noch jemand. Das ist eigentlich ein Geheimnis. Dein Gott traut dir auch. Er hat dir dein Kind anvertraut durch seine ausgereckte Hand, die Natur. Er traut dir, weil du Mensch bist und ihm gerade so wehrlos im Arme liegst wie dir dein Kind.

Es ist merkwürdig, daß unbegrenztes Vertrauen die edelsten Seiten im Menschen hoch bringt. Viele schlechte Menschen sind doch ganz gute Eltern. Warum? Sie bringen's nicht fertig, solches Vertrauen zu erschüttern. Sobald wir fähig werden, sie richtig einzuschätzen, offenbaren sie ihre Bosheit. Solange ihnen solches Vertrauen entgegenkommt, sind sie zuverlässig. Haben die wehrlosen Kinder sie dann nicht viel richtiger eingeschätzt?

Der natürliche Kinderschutz ist Liebe. Diese wird aber geweckt durch entgegengebrachtes Vertrauen. Wie hoch sind doch die Lebendigen eingeschätzt, daß ihnen das heiligste und wichtigste Glied der Entwickelung anvertraut ist! Auch das wildeste Raubtier, auch der schlechteste Mensch wird bezwungen und in den Dienst des folgenden Geschlechts eingestellt durch kein anderes Mittel als restloses Vertrauen.

Das Selbststillen der Mutter ist eine ganz besondere Liebesbrücke. Da schlingen sich Fäden von Seele zu Seele. Das Besondere, was nur eine Mutter sein kann, ruht nicht zum letzten hierin.

Bringst du's wirklich fertig, dein Bestes deinem Kinde zu entziehen? Kannst du aber nicht geben, was du sollst und willst, so demütige dich doppelt und opfere dein ganzes Leben und wirb um die Seele deines Kindes.

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Drei Dinge gewährt die Natur umsonst für ein junges Menschenkind. Also dürfen wir sie ihm nicht leichtfertig entziehen.

Das erste ist Luft. Das zweite die natürliche Nahrung. Die einzige Nahrung, die umsonst gegeben wird! Alles was sonst wächst und gedeiht auf Erden, steht bereits unter dem Eigentumsrecht und ist vergeben, verpachtet und verkäuflich. Nur Muttermilch quillt umsonst. Es steht aber zu befürchten, daß durch fortgesetzten Nichtgebrauch seitens verzärtelter Mütter auch diese Quelle mit der Zeit schwächer wird.

Die dritte freie Gabe ist Wasser. Halte dein Kind vom ersten Augenblick an so sauber als irgend möglich. Das Kind gewinnt bald solche Freude an der Reinlichkeit, daß es alle Unsauberkeit selbst meiden lernt. Auch das hat tiefe seelische Wirkungen.

Die Pflege der Seele beginnt am Körper des Neugeborenen.

Wieviele es sein sollen

Manche Menschen können eines nicht erziehen, geschweige denn mehrere.

Manche Menschen? – Wer überhaupt kann sagen, er könne Kinder erziehen! Wenn es solche Leute gäbe, dann müßte doch auch einmal ein wahrer Mensch als Ergebnis von Erziehung werden. Aber das gibt's nicht.

Wir haben die besten Erziehungsweisen und die umfänglichsten Bücher darüber, aber was herauskommt, nun das wissen wir ja: der Durchschnitt. Nicht mehr.

Ich kannte einmal einen Professor der Erziehungskunst. Er hat auch viele Bücher über diesen Gegenstand geschrieben und hielt den Studenten Vorlesungen darüber. Heute ist er längst tot, aber seinen Namen darf ich nicht nennen, weil er heute noch berühmt ist.

Der hatte einen einzigen Sohn, den er nach dieser Weise erzog als Muster und Probe seiner Erziehungskunst. Er war ein lieber guter Junge. Wir studierten zusammen. Er hatte aber einen einzigen Fehler, der ihn für dieses Leben unbrauchbar machte. Das war – seine Erziehung. Sie bewirkte, daß nichts aus ihm wurde. Sie allein.

Man mag wohl drauf achten. Wer etwas besonderes aus seinen Kindern erziehen will, kommt in der Regel daneben. Ich könnte schmerzliche Beispiele dafür angeben.

Erziehen will nur die Natur selbst. Wir können nur werden lassen, was von dieser Weisheit hineingelegt ist und ein schützender Zaun sein, daß werden kann, was werden soll.

Darum ist es nie gut, wenn's nur ein Kind ist. Denn die Einkinder werden in der Regel erzogen. Das bedeutet in ihrem Falle soviel wie verzogen.

Unsere Bauern sagten: Ein Kind ist kein Kind. Sie hatten recht. Jedenfalls ist Ein Kind ein Sorgenkind.

Auch zwei Kinder erziehen sich schlecht. Es ist dabei die Gefahr, daß in einem der Vater, im andern die Mutter ihren Liebling sieht, besonders wenn noch ihr Geschlecht verschieden ist. Lieblingswirtschaft in der Erziehung zerreißt oft genug das ganze Familienleben.

Je weniger Kinder da sind, um so leichter bildet sich dieses schädliche Lieblingswesen. Sie sind zu leicht zu übersehen und den Eltern immer gegenwärtig. Das verführt sie nur zu leicht, sich einzumischen in Dinge, die die Natur nun einmal selbst besorgen will und nur selbst besorgen kann.

Mindestens sollten es – drei sein. Das ist ein Elternpaar schon der Menschheit schuldig. Das neue Geschlecht muß doch mindestens eines mehr sein als das alte. Sonst ist's ja kein Fortschritt.

Aber unter den dreien müssen zwei Geschlechter vertreten sein. Hat man nur Buben, so fehlt etwas. Das Fehlen des Weiblichen ist immer störend und wird auf die Dauer immer empfindlicher. Die Natur will durchaus, daß die Geschlechter von Klein auf aneinander gewöhnt werden.

Der Unterschied der Geschlechter nimmt aber zu, je mehr die Bildung zunimmt. Auf einer niederen Stufe sind die Geschlechter sich sehr ähnlich. Die körperliche Kraft ist annähernd gleich, und die Verrichtungen, zu denen die Kinder erwachsen, sind auch nicht sehr verschieden.

Anders wird es, wenn die Bildung kommt. Das Leben der gebildeten Menschen unterscheidet die Geschlechter immer mehr. Das prägt sich körperlich und seelisch aus. Das ganze Denken des gebildeten Mädchens läuft fühlbar andere Bahnen als das des gebildeten Knaben. Auch auf die Arbeit des Lebens, die ganze Verfassung des Körpers wird dieser Unterschied mehr und mehr übertragen.

Hat man aber nur Töchter, so fehlt erst recht etwas. Die armen Mädchen bekommen nie einen rechten Begriff vom Manne, wenn sie nicht mit einem Bruder aufgewachsen sind. Gerade wo der Geschlechtsunterschied größer wird, bilden sich die abenteuerlichsten Vorstellungen von dem Manne bei den heranwachsenden Mädchen. Die Folgen sind in der Regel die bittersten Enttäuschungen.

Es ist aber auch nicht gut, wenn unter dreien nur eines das andere Geschlecht darstellt. Das arme wird gewöhnlich verwöhnt und verzogen und als etwas ganz besonderes angesehen.

Darum sollten's schon – vier sein, unter der Voraussetzung, daß zwei Brüder und zwei Schwestern einander gegenüberstehen. Hier wäre es noch viel schrecklicher, wenn sie in drei und eines geteilt wären nach Geschlechtern.

Am besten wären es natürlich – fünf, beide Geschlechter irgendwie unter ihnen vertreten. Dann gibt's eine richtige Familie. Es gibt ja doch nichts Schöneres in der Welt, als das Leben in einer nicht zu kleinen Familie.

Aber die Erziehung! Gott sei Dank, die geht ja verloren auf diese Weise. Immer von einem zum andern eilt die Sorge der Eltern und kann sich nicht auf eins oder zwei verdichten.

Immer das Kleinste beansprucht die meiste Pflege und Fürsorge. Inzwischen gelingt es den älteren, ihr eigenes Leben zu entfalten unter dem allgemeinen Schutze, der über ihnen ruht. Zehn Jahre werden etwa vergehen, wenigstens ist's zu wünschen, bis fünf Kinder laufen lernen. Da ist das älteste schon im Erwachsen und lernt dabei die Fürsorge mit dem schwächsten Gliede. Eine herrliche Erziehung. Aber diese schafft die Natur, nicht du.

Vielleicht wird sogar das halbe Dutzend voll. Welche Freude für Groß und Klein!

Aber die Erziehungskosten! Richtig, die hätten wir beinah vergessen. Sie sollen womöglich alle gebildet sein. Das kostet natürlich viel.

Unsere Tataren hatten ein feines Sprichwort. Sie sind ein ungebildetes Volk. Aber die Weisheit der Ungebildeten ist oft die Weisheit der Natur, die Weisheit Gottes.

Sie sagten: Wo ein Kopf ist, da findet sich auch eine Kappe drauf. Nun gut. Sagen wir: Wo ein Kopf ist, da findet sich auch ein Inhalt.

Es ist eine wichtige Erfahrung der Menschen, daß die Kinder am besten geraten, deren Werden viel Sorgen umspielt hat. Die bedeutendsten Leistungen haben in der Regel nicht die Einkinder reicher Leute vollbracht, sondern die, die als Kinder in den Sorgenkreis ihrer Eltern mit hineingezogen wurden.

Aber kann man denn so vielen wirklich Elternpflege angedeihen lassen? Es könnten ja auch sieben und mehr werden.

Ja, liebe Eltern! Denket nur nicht, daß ihr in der Erziehung allein seid. Viel besser als ihr erziehen sich eure Kinder gegenseitig. Sie sind aufmerksamer, denn ihre Aufmerksamkeit wird nicht durch die Buntheit des Lebens und der Sorgen zerstreut. Sie sind gerechter, denn niemand hat so viel Sinn für Wahrheit als ein Kind und – sie sind strenger. Davon reden wir noch später.

Jugend ist streng, das Alter wird immer milder. Darum ist ein Naturgesetz: Nur Jugend kann Jugend erziehen. Bis ihr – sieben und mehr Kinder habt, kommt ihr schon an die Vierzig. Da werdet ihr schon sehr milde und sehr fähig, lindernd einzugreifen in das Allzustrenge.

Also wer recht gut erziehen will, sorge dafür, daß es recht viele sind. Viele, die wenig Kinder hatten, haben um Erziehung gesorgt und sich in Sorgen erschöpft, so daß es nur wenige werden konnten. Aber wer ihrer viele hat, der wandelt die Bahnen der Natur.

Leicht ist's nicht. Ich weiß es. Wir hatten ihrer neun, bedauern aber heute noch, daß eines in dieser Zahl fehlt. Aber wer nicht ein Leben opfern kann für Kinder ist nicht wert, daß er welche hat.

Und keine Sorgen! Wenigstens keine unnötigen. Sie zerfressen euer Leben und berauben eure Kinder des Liebsten und Nötigsten, der Eltern und ihrer fröhlichen Unbefangenheit. Seid getrost, in der Welt gibt's viele Wege. Eurem Häuflein wird schon hier und da ein Weglein sich öffnen, das andere nicht finden.

Einmal wurde ich zu einem sterbenden Bauern gerufen. Er war eigentlich kein Bauer, sondern ein armer Häusler. Es kam auch nicht zum Sterben. Das war gut. Denn plötzlich deutete er auf eine Wiege neben seinem Lager: »Das ist nun mein einundzwanzigstes, aber die Freude ist gerade so groß, als wenn's das erste wäre.«

Da schämte ich mich aller Sorgen, die auch mich oft genug beschleichen wollten, und habe noch oft an ihn gedacht.

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