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Erlebnisse zur Judenfrage

 

Ich habe euch Leben und Tod,
Segen und Fluch vorgelegt,
daß du das Leben erwählest,
und du und dein Same leben mögest.

Deut. 20, 19.

 

Joseph Rabinowitsch

Als meine Militärzeit zu Ende ging, sagte Franz Delitzsch zu mir: Was werden Sie nun tun, wenn Sie frei sind? Sie haben den Doktortitel erworben. Das war die würdigste Quittung, die Sie der Verwaltung des Lutherstipendiums ausstellen konnten – wollen Sie akademischer Lehrer werden? Nein, erwiderte ich, ich weiß, daß es mir dazu an Begabung mangelt.

Es war eine schwere Versuchung für mich, diesen Weg nicht zu gehen, aber ich habe sie bestanden. Ich trauere dieser Möglichkeit nicht nach.

Das ist gut. Ich glaube, daß Sie recht haben. Aber ich habe einen Auftrag für Sie. Gehen Sie nach Bessarabien, wenigstens für eine kurze Zeit. Dort wird eine Hilfe gebraucht an der deutschen Gemeinde in Kischinew, und ich möchte gern, daß Sie die Arbeit übernehmen. Ich kenne Sie und möchte jemanden dort wissen, auf den ich mich verlassen kann.

So ungefähr war der kurze Sinn einer allerdings längeren Aussprache. Da ich, wenn auch nicht als Angestellter, so doch in Wirklichkeit sein Privatsekretär war, kannte ich alle seine Sorgen und Gedanken, und das Wort Bessarabien traf mich nicht unvorbereitet. Ich wußte, welches Interesse er gerade an Kischinew hatte.

Delitzsch war der bedeutendste Hebraist unter den deutschen Gelehrten, aber zugleich ein Talmudkenner wie wenige Der Talmud ist ein ungeheures Werk, das die Bibel um ein Vielfaches an Umfang übertrifft, wird aber von den Juden sehr geheim gehalten, so daß eigentlich niemand den letzten Inhalt ihrer Religion kennt. Ein besonderes Geheimnis umgibt noch die Kabbalah.

Man weiß nun bei den Juden niemals, was ihr eigenes ist, und was sie anderswoher stillschweigend übernommen haben und als ihr Eigentum ausgeben. In der Bibel finden sich recht wesentliche Stücke, die einfach nicht jüdisch, sondern von andern Völkern übernommen sind. Worauf eigentlich ihre Religion hinausläuft, das wird wohl ewig verborgen bleiben, und was man so drüber lehrt, das ist alles Mutmaßung und Gerede. Jedenfalls klingen auch die Teile ihrer Glaubensschriften, die allen zugänglich sind, also die Bücher des Alten Testaments oder des Thenachs, wie die Juden sagen, in jüdischen Ohren grundanders wie etwa in deutschen. Wir sind stillschweigend gewöhnt, über manches hinwegzulesen, manches umzudeuten, was der Jude wortwörtlich versieht, und was in ihn einen Dünkel gepflanzt hat, den ein Fremder einfach nicht verstehen kann, der übrigens auch äußerst geheim gehalten wird.

Wer nun Talmud studieren will, hat nur eine Möglichkeit, es »al pi« zu lernen, d. h. vom Munde des Lehrers. Irgendwelche Hilfsmittel gibt's nicht. Auch in den jüdischen Schulen wird das Wissen den Kindern nur beigebracht durch unendliche Wiederholung des ausgesprochenen Worts, das so im Gedächtnis haften bleibt und bei manchen eine erstaunliche Gedächtniskraft erzeugt hat.

Daher kommt die Art der Juden, überall Schlagwörter zu prägen und die in beständiger Wiederholung den Köpfen einzuhämmern, und es gibt nichts Törichteres und Undeutscheres, als auf dieses Spiel hineinzufallen. Nachplappern ist gut für Orientalen, dem Arier geziemt Denken. Die Orientalen aber bringen es darin zu merkwürdiger Meisterschaft.

Ich traf einmal auf einer russischen Eisenbahn einen Knaben, den ich auf 12 Jahre schätzte, der das ganze Thenach auswendig wußte. Man brauchte nur irgendeinen Satz zu sagen, so wußte er die Fortsetzung, solange man wünschte. Solche habe ich eine ganze Reihe gekannt, wenn auch nicht in dieser Jugend.

Ein Freund von mir hatte in Berlin einen hebräischen Lehrer und Talmudgelehrten, der sich eine Bibel aufschlagen, mit einer Nadel einen Buchstaben durchstechen ließ und dann angab, welche Buchstaben auf den folgenden Seiten durchstochen waren. Das ist keine Fabel. Mein Freund versicherte mir, er habe den Versuch oft gemacht. Es ist natürlich nur möglich, weil alle hebräischen Bibelausgaben stereotypiert sind.

Nun stand infolge seiner Studien Franz Delitzsch mit allen möglichen interessanten und gelehrten Juden in lebhafter Verbindung, er hatte auch ausdrücklich für Juden eine geradezu mustergültige Uebersetzung des Neuen Testaments in das Hebräische geliefert, eine ganz hervorragende Leistung in klassischem Hebräisch, und auf diesem Wege war er zunächst schriftlich, später auch persönlich mit Josef Rabinowitsch in Kischinew bekannt geworden. Daher kam sein Wunsch, jemanden in seiner Nähe zu wissen, auf den er sich verlassen konnte. Da ich alle Gedanken, die Delitzsch leiteten, und auch alle näheren Zusammenhänge genau kannte, war für mich kein Zweifel, daß ich den Auftrag annahm. Ich wurde also zunächst gastweise, später aber auf meinen Wunsch ordentlich angestellt als Hilfsprediger an der Kischinewer deutschen Gemeinde. Welcher Art diese sogenannte Gemeinde war, davon wird später zu reden sein. Hier muß ausreichend des Josef Rabinowitsch, der der Anlaß zu meiner Uebersiedelung war, gedacht werden, um so mehr, als ich der einzige bin, der ihn wirklich kannte.

Es haben viele von ihm erzählt, solange er lebte, aber sie kannten ihn alle nicht und erzählten, was sie sich über ihn ausgedacht hatten, und was sie für wahr hielten. Man hat seine Geschichte auch als Bekehrungsgeschichte eines getauften Juden ausgeschlachtet, aber sie ist für erbauliche Zwecke nicht verwendbar. Ich möchte nur ein Erinnerungsblatt geben an einen heute Vergessenen, der einmal berühmt war, von einem, der ihn geliebt hat, nachdem er ihn lange nicht verstanden.

Er war ein rassereiner Jude russischer Herkunft und Heimat, wenn man bei Juden von Heimat reden darf. »Jossel« nannten ihn seine Eltern und Freunde bis an sein Lebensende. Und er hatte den klugen Kopf und die weite Ueberlegung der reinen Rasse. Schlauheit funkelte aus den kleinen grauen Augen.

Er machte auch ganz die Laufbahn des echten Juden durch. Er besuchte die Chederschule, dann tauchten sie ihn tief ein, aber sehr tief in den Talmudismus. Das Talmudwesen ist etwas Schweres, ein Sammelbecken spitzfindiger Unwirklichkeiten. Das Schlimme dran ist, daß es heute noch eine Geistesfessel ist, die für weite Schichten des jüdischen Volkes noch nicht gesprengt ist. Ein rabbinischer Zug aus dem Talmud hing seinem Denken lebenslang an. Nicht zufällig hieß er »Rabinowitsch«.

Da ihm wohl von Geburt ab ein Fuß verkrüppelt war, war er an sich mehr auf Stille und Denken angewiesen als andre seines Volkes. Trotzdem schüttelte er das Talmudwesen ab, wie viele tun, gründete als Halberwachsener einen Hausstand und begann einen kleinen Handel. Aber gerade hierbei hinderte ihn seine natürliche Unbeweglichkeit, und er verlegte sich auf eine mehr geistige Tätigkeit. Er begann Zeitungsartikel zu schreiben, Geschäftsberater in verzwickten Fällen zu werden, und schließlich brachte er's zum Rechtsbeistand vor Gericht. Er übte diese Tätigkeit in Kischinew, der Hauptstadt Bessarabiens, aus. In Deutschland, wo man nur studierte Rechtsanwälte anerkennt, nennt man solche Leute Winkeladvokaten.

Mir sagte er einmal, als er von seinem Leben diese notdürftigen Angaben machte: Sie sind ein furchtbar langweiliger Mensch. Erst haben Sie alle möglichen Schulen besucht, dann haben Sie die Universität durchgemacht, alles mit Examen und Zeugnissen belegt, dann haben Sie eine »Stelle« bekommen. Als Sie die hatten und sicher gestellt waren, haben Sie auch geheiratet, und ich glaube, jetzt werden Sie noch in eine Lebensversicherungsgesellschaft eintreten. Bei mir dagegen ging alles durch lauter Plötzlichkeiten. Examina habe ich keine bestanden, staatlich anerkannte Schulen überhaupt nie besucht. Zuerst habe ich geheiratet, dann einen Lebensunterhalt gesucht, und alles was ich geworden bin, bin ich ohne Norm und Regel allein durch das Leben geworden. Darum denke ich nicht an heute, noch weniger an morgen und freue mich des Lebens, während Sie nie aus dem Sorgen und Denken herauskommen, weil bei Ihnen alles nach Schnur und Regel geht. –

Hat nicht Jesus im gleichen Stile gelebt und gedacht und gehandelt? Hat er nicht ebenso den Seinen gesagt: Sorgt euch doch nicht für den andern Morgen, macht's doch wie die Lilien und die Sperlinge. Steckt euch doch kein Geld ein. Nehmt einen Stecken in die Hand, und fertig seid ihr zur Reise in die Welt! Ueber diesen »Text« habe ich viel predigen hören, auch selbst viel darüber gesprochen. Aber gesehen in dieser unbeabsichtigten, selbstverständlichen Wirklichkeit hab' ich's nur bei Juden, besonders bei diesem Juden. Eine Wirklichkeit ist immer noch etwas Mächtigeres als die schönste Auseinandersetzung, ein Erlebnis mehr als die klarste Lehre.

Rabinowitsch hat mich oft getröstet. Mir schien's manchmal, wie das oft jungen Leuten so geht, als sei mein Leben so unnütz und wertlos, so elend und in den Winkel gestellt. Da sagte er: Warum kränken Sie sich darüber? Leben Sie doch! Was Ihr Leben zu bedeuten hat, das können Sie gar nicht wissen. Es gibt einen großen Plan, der liegt in der Hand eines großen Feldherrn und kommt unaufhaltsam vorwärts. Aber der Feldherr hat viele Soldaten. Den einen heißt er marschieren, den andern schießen, und einem gibt er eine Trompete und befiehlt ihm, er soll weiter nichts machen als Täterretäh! Alle nützen, aber keiner hat etwas zu bedeuten. Und jetzt gehen Sie nach Hause und machen Sie Täterretäh!

Was tun? Der Jude hatte eigentlich recht. Ich ging also und machte Täterretäh, bis mir die Trompete aus der Hand genommen wurde.

Rabinowitsch hatte ein großes Sprachtalent. Er schrieb und sprach ein klassisches Hebräisch, ebenso ein fertiges Russisch. Für gewöhnlich aber redete und schrieb er einen wilden Jargon, den er aber in einer Beweglichkeit zu handhaben verstand, die einzig im Jargon, diesem zwischensprachlichen Mischgebilde, möglich ist. Er verständigte sich aber mit allerlei Leuten, obgleich es ihn nie jemand gelehrt hatte. Ich traf ihn einmal an einem englischen Briefe herumbuchstabieren. »Geben Sie her«, sagte ich, und nahm den Brief. Leider brachte ich auch nichts Rechtes heraus. Es war eine grauenhafte Handschrift. Mit überlegenem Lächeln sah mir der Jude zu. »Glauben Sie mir, ich werde mit dem Brief ganz allein fertig. Ich will jeden Brief lesen und verstehen, wenn er mich interessiert. Ich brauche nur etwas Zeit.«

Als er Zeitungen schrieb, arbeitete er besonders für die große hebräische Zeitschrift »Melitz«. Damals tauchte der bekannte Plan einer jüdischen Kolonisierung Palästinas auf, der ja später durch den Juden Herzl bedeutsame Gestalt gewonnen hat. Rabinowitsch trat mit Wort und Schrift für den Plan ein und sah schon damals in der Wiedergewinnung Palästinas die Lösung der Judenfrage. Der eifrige Artikelschreiber muß auch in jener Zeit in irgendein Palästinakomitee gelangt sein, jedenfalls machte er mit den Mitteln eines solchen und im Interesse des »Melitz« eine Reise nach Palästina.

Die großen Rothschildschen Kolonien waren zu jener Zeit schon vorhanden. Es war Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Sie wurden ja seinerzeit als Keim der Zukunft begrüßt und mit ganz unglaublichen Kosten ins Werk gesetzt. Rabinowitsch sah sie, aber er sah auch, daß das keine Lösung der Judenfrage sei. Was immer nur von außen geschürt und gestützt werden muß, das hat keine eigene Gesundheit. Die Kolonien stehen trotz reichster Unterstützung vielleicht heute noch nicht auf eigenen Füßen.

Da fragte er: Was fehlt eigentlich dem armen Juden, daß er nicht zur Ruhe kommen kann unter den Völkern? Er ist der Gescheiteste von allen, er ist der Erwählte Gottes aus alter Zeit, er ist auch der Reichste und doch der Allerärmste, der Abscheu der Völker und trotz der ungeheuren Reichtümer doch auch an Geld der Aermste, wenn man die Massen ansieht. Und merkwürdig, die Christen, diese Gojim, haben's gut. Sie gedeihen politisch, sie haben Macht, Ehre, Bildung, auch weit allgemeineren Wohlstand. Warum haben wir alles das nicht? – Der Jude neidet immer und will alles haben.

So stand er und überlegte und rechnete und fand schließlich, daß die Christen alles den Juden geraubt hätten, und enthielten ihnen ihr rechtmäßiges Erbe nur vor. Denn woher hatten's die Christen? Von einem Juden. Seit die Völker den Juden Jesus hatten, seitdem war mit ihnen ein Umschwung eingetreten, und seit die Juden Jesum sich hatten nehmen lassen, seitdem waren sie so gequält und verarmt. Gebt also den Juden Jesus, dann gebt ihr ihnen Reichtum, Bildung, Ehre, Macht, Freiheit. Dann ist die Judenfrage gelöst. Sie wird aber nicht durch Rothschildschen Landkauf gelöst. Umgekehrt. Der politische Besitz folgt Jesus nach.

Der Gedanke tauchte blitzartig bei ihm auf, als er auf dem Oelberge stand und Jerusalem sah. Dort rechnete er nach, ob es richtig sei. So rechnete er aus der Weltgeschichte Jesus heraus. Es läßt sich gegen diese Rechnung ja mancherlei einwenden, aber er rechnete wie Abraham und alle seine Väter gerechnet hatten. Ihm lag doch am Christentum nichts. Er wollte nur Wirklichkeitswerte, wollte Freiheit und Macht für sich und sein Volk, wollte, wie alle Juden, die Weltherrschaft für das auserwählte Volk. Wenn ein Jude einmal auf diese Spur gesetzt ist, dann ist er spursicher.

Wer war nun der Jude Jesus, den sein Volk so verabscheute? Am Ende hatte er gerade das Beste seines Volkes gewollt und gesucht, und sie hatten ihn nur mißverstanden! Auch die zwölf Jünger Jesu haben nach dem Bericht der Evangelien nichts anderes gedacht als jüdische Weltherrschaft unter der Führung Jesu. Mir scheint sogar, daß die Apostel, außer Paulus natürlich, keine andere Vorstellung hatten. Jüdische Weltherrschaft ist heute noch der Traum aller Juden. Darum sehen sie in uns nur ein jüdisches Reich deutscher Nation und behandeln uns auch so. Nur wollen sie ihr Judenreich ohne Jesus; Rabinowitsch wollte dasselbe mit Jesus, weil er's für aussichtsreicher hielt. Irgendwoher verschaffte er sich die Lebensgeschichte Jesu, und aus dieser hörte er den Volksgenossen heraus.

Wenn ein Jude die Bibel des Alten oder auch Neuen Testaments liest, so studiert er zunächst keine Religion, sondern das Volksbewußtsein erfaßt ihn. Der Jude hört den Juden und fühlt die Blutsverwandtschaft. Da fesselte ihn besonders Paulus. Paulus hat ja auch den rabbinischen Zug nie verleugnen können. Das zündete geradezu in Rabinowitsch. Dieses uns schwer verständliche Umspringen mit dem Alten Testament, was der große Apostel gelegentlich übt, war gerade das, was den alten Talmudisten begeisterte. Wer so die Bibel lesen kann, der hält den Schlüssel zum Fortschritt des Volkes in der Hand. Paulus und Jesus sind die großen Volksbefreier, und diese haben die Juden verloren. Daher das nationale Unglück! Wir müssen sie für die Juden wiedergewinnen! Nur so gewinnen wir die Weltherrschaft.

Also kurz umgekehrt vom Oelberg, Komitee Komitee sein lassen, nach Hause gegangen und dort den Kischinewer Juden die neueste Neuigkeit mitgeteilt: Jesus ist unser Bruder. Den müssen wir wieder bekommen. Dann hat alle Not ein Ende.

Das war natürlich nicht so leicht gemacht. Da seine Verkündigung ungeheures Aufsehen erregte, war es ratsam, sich dazu einen Schutz der Polizei zu sichern. Im zarischen Rußland lebte sich's außerordentlich frei und behaglich. Nirgends fühlte man sich so wenig beengt wie da. Zudem fehlte dem ganzen gesellschaftlichen Leben das Hasten und die Unrast, die sonst überall in der Welt außer vielleicht in Afrika die Nerven zerrüttet und nicht zur Ruhe kommen läßt. Man durfte nur eines in Rußland nicht. Man durfte kein Aufsehen erregen. Berühmte Leute kann Rußland schlechthin nicht vertragen. Sie sind verdächtig und wurden polizeilich beaufsichtigt und bewacht. Das Land war die reine Genesungsstation für sonst unheilbare Berühmtheiten. Alles was irgendwie hervorragte, ging entweder freiwillig über die westliche oder unfreiwillig über die östliche Grenze des europäischen Rußlands. Das lag mit im Wesen des Absolutismus, wo nur Einer groß sein darf.

Diesen Fehler mußte also Rabinowitsch zu meiden suchen. Er wandte sich also an die Oberen der Polizei und brachte diesen den Glauben bei, daß er der unbedeutendste und harmloseste Mensch sei, verschaffte sich Empfehlungen nach Petersburg und Moskau, besuchte russische Bischöfe und Erzbischöfe, war überall so unbedeutend wie möglich und bat schließlich die Behörden ihm zu gestatten, eine jüdische Synagoge zu gründen für Israeliten des neuen Bundes und der Stadtbehörde Kischinews zu befehlen, den Zugehörigen zu dieser Synagoge eine Begräbnisstätte zuzuweisen.

Jüdische Synagogen mag's in Kischinew, das damals unter nicht ganz 200 000 Einwohnern mindestens 80 000 Juden zählte, hunderte geben. Sie bestehen mit und ohne polizeiliche Erlaubnis. Kein Mensch kümmert sich drum. Aber eine solche, wie Rabinowitsch sie ins Werk setzen wollte, war natürlich den meisten Erzbischöfen nicht unangenehm, bedurfte aber für mancherlei Möglichkeiten seitens der wahneifrigen Judenschaft besondern Schutzes und grundlegender staatlicher Erlaubnis. Hat man nun in Rußland einen Schein mit Siegel und ministerieller Unterschrift, dann ist man wohl geborgen. Jeder Polizeidiener klappt ehrfurchtsvoll vor diesem Papier zusammen. Man darfs nur nie aus der Hand geben. Es gewährt Duldung für Jahrhunderte, solange man's in der Urschrift besitzt. Der Buchstabendienst war in Rußland noch viel mehr ausgebildet als in Deutschland.

Rabinowitsch wußte all das wohl und verstand es zu benutzen.

Missionserlebnisse

In diesem eigentümlichen Augenblick seines Lebens fiel Rabinowitsch in die Hände von Missionsgesellschaften. Man hätte ihm wünschen mögen, es möchte nie geschehen sein. Aber es geschah, und er mußte einfach durch alle Folgen, die das nach sich zog, hindurchgehen.

Es kam ganz einfach. Ein junger, begabter, feuriger Missionar, der eben seine erste Missionsreise nach dem Osten unternahm, lernte den merkwürdigen Juden kennen, hörte ihn, sah die eigenartige Niederschrift seines neuen Glaubensbekenntnisses, in dem er einige bestimmte Lehrpunkte als für Israeliten des neuen Bundes aufgestellt hatte, und berichtete seiner Gesellschaft darüber. Er nahm auch eine Abschrift dieser »Dokumente von Joseph Rabinowitsch« mit, und Franz Delitzsch, der große Kenner und Freund des Judentums, gab sie in deutscher Uebersetzung heraus. So gelangte Rabinowitsch in die Oeffentlichkeit des Auslandes und erregte die Aufmerksamkeit der Missionsfreunde. Das geschah im Jahre 1884.

Missionsgesellschaften verstehen es ohne Zweifel, tüchtige und begeisterungsfähige Leute an sich zu ziehen. Sie brauchen auch Menschen, die Opfer bringen können. Es gibt solche und nicht wenige. Nun gibt's irgendwo einen Bibelspruch, der heißt: Geht hin in alle Welt, lehrt alle Völker und tauft sie. Zu wem und wann das gesagt ist, danach fragen die Leute nicht. Es steht da, und sie sind fertig in die Welt zu gehen und alles bestmöglichst auszuführen, wie die Vorschrift besagt. Solche Soldaten kann man sich eigentlich nur wünschen. Sie haben auch unzweifelhaft viel fertig gebracht und an der Umgestaltung und Gesittung der Weltverhältnisse viel mitgearbeitet. Wenn der Konsul, der Kaufmann, der Soldat, der Pflanzer, der Forscher in die Welt geht, warum soll da nicht auch der Religionsmann gehen? Er wird draußen das öffentliche Gewissen darstellen, daß die andern nicht zu wild werden und sehr wesentlich an der Hebung und Gesittung der Völker mitarbeiten.

Aber anders liegen die Verhältnisse, wenn der Missionar zu den Juden geht. Der Jude ist nicht draußen, sondern überall drinnen und könnte ganz genau wissen, wie es mit dem Christentum steht. Das Christentum ist ja nicht wie das Judentum eine Geheimlehre, sondern im Gegenteil kann es geradezu durch seine Geheimnislosigkeit das öffentliche Mitleiden erregen. Der Jude kennt es auch, und weil es ist, wie es ist, darum zieht es ihn nicht an. Rabinowitsch sagte einmal: Ich bin durch die Stätten der verschiedenen Missionsgesellschaften gereist: Lauter Schaufenster, in denen Waren ausgelegt sind, für die gewaltig gelärmt wird. Aber alles Waren, die man eigentlich nicht braucht. –

Was noch am meisten an ihnen von Juden geschätzt wird, ist, daß sie vielen zu persönlicher Bildung helfen. Sie haben manchem Jüngling ermöglicht, sich eine Bildung und Lebensstellung zu erobern. Daher wollen alle, die zu den Missionaren kommen, selbst Missionare oder irgend etwas Höheres werden, sie wollen gleichsam Volkstum und Religion so teuer wie möglich verkaufen. Der Jude hat nur Sinn für Wirklichkeitswerte. Wenns dann durchaus sein muß, behängt er sich mit der neuen Religion, aber billig ist das Geschäft keinesfalls für den Verkäufer, und im Grunde will der Jude nichts anderes, als eben Jude bleiben, wenn er sich auch eine andere Kappe aufsetzt.

Was konnten wohl diese Gesellschaften einem Rabinowitsch bringen? Ihre geheimsten Gedanken kannte der kluge Mann schon, ehe sie sie aussprachen. Aber eines hatten sie, das war für ihn wertvoll, und schmunzelnd steckte er ein, was von denen, die sich an ihn herandrängten, so leicht zu erlangen war. Er hatte vermeintlich biblisches Recht dazu. Schon Jesajas sagt: Die Macht der Heiden wird zu dir kommen, die Menge der Kamele wird dich bedecken. Sie werden aus Seba alle kommen und Gold und Weihrauch bringen.

Wahrhaftig das sollten diese Gojim tun. Und sie brachten durch ihre Kamele beides, Gold und Weihrauch in Mengen, wie es verheißen war. Gold ist Freiheit, und für Weihrauch ist ein Judenherz sehr empfänglich. Rabinowitsch bedurfte der Freiheit. Er löste sich vom Melitz, löste alle geschäftlichen Beziehungen zu den Juden, erwarb ein schönes Grundstück in der Stadt und erbaute sich darauf eine schöne neue Schule, wo er den »Israeliten des neuen Bundes« allsabbatlich predigte. In England und Schottland hatten sich verschiedene Gesellschaften erboten, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Sie schätzten sich glücklich, seinen Kindern eine gute Ausbildung zu geben und an seinem großen Werke mitzuhelfen. Da der Wettbewerb der Helfenden groß war, so stiegen selbstverständlich in Kischinew die Werte nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Rabinowitsch kam dadurch in eine recht erträgliche Stellung der Unabhängigkeit in dieser Welt. Allmählich hat er seinen Freunden auch die nötige taktvolle Verschwiegenheit beigebracht.

Das war namentlich anfangs sehr lästig, daß die Missions-blättchen so wenig verschwiegen waren. Alles wurde immer gleich gedruckt. Sie müssen das tun. Ohne Bericht kein Geld. Will man also Geld haben – und ohne Geld gibts keine Mission – so muß man fleißig berichten. Sie brachten unglaubliche Dinge in Wort und Bild. Einmal sogar eine Augenblicksaufnahme von der »Bekehrung des Rabinowitsch auf dem Oelbergs«, wo er mit einem Neuen Testament in der Hand und Hangendem Kopfe angesichts Jerusalem sich sichtlich bekehrte. Rabinowitsch pflegte solche Dinge mir vorzulegen, schweigend, aber mit so unbeschreiblichem Lächeln in den Augen, den Schultern, den Händen, dem ganzen Körper, wie nur ein Jude lächeln kann. Und er nahm so viel Gold und Weihrauch, als die Kamele der Gojim nur irgend herzuschleppten aus Seba. Er fühlte sich vollständig berechtigt dazu. Er tat ja auch eine Gegenleistung. Er gab seinen ehrlichen Judennamen Joseph Rabinowitsch als Aushängeschild. Damit ließ sich zu jener Zeit prachtvoll klappern und lärmen, und die Einnahmen der Komitees waren immer höher als die Ausgaben. Aber allmählich gewann er sichre Leute, die ohne Lärmen große Summen zuwege brachten, und es gelang ihm, sich vom Missionsmarkt zu lösen und sichre Verbindungen einzugehen.

Er hatte namentlich England besucht und studiert und kannte es ganz genau. Die englische Heuchelei muß immer etwas haben, womit sie sich spreizen kann. Dafür legt sie gern auch größere Summen an. Also ließ Rabinowitsch gern seine Kinder in England ausbilden. Aber nur die Töchter.

Ich verstehe heute vieles, was mir damals dunkel war. Ich habe Herzls Tagebücher gelesen und weiß ganz genau die Kala des Palästina planes und vieler jüdischer Unternehmungen. Der Jude hält sich für berechtigt, die Welt zu beherrschen. Jossel Rabinowitsch wollte diesen Traum, der keineswegs ohne biblischen Anhalt ist, durch das Bekenntnis zu Jesus verwirklichen. Aber wohlgemerkt! er wollte die Rasse nirgends andern Völkern angleichen und das Judenvolk in den Christen aufgehen lassen, sondern eher umgekehrt, den Juden Jesus wieder herauslösen und als jüdisches Eigentum und Welteroberer in Anspruch nehmen. Dadurch würde Juda siegen und alle seine Feinde unter seine Füße treten. Herzl wollte angeblich Palästina für die Juden reklamieren oder irgendein Land, um einen Boden für den Judenstaat zu schaffen, ein Jerusalem, zu dem alle Völker von allen Himmelsrichtungen wallfahren und ihm ihre Hoheit zu Füßen legen sollten. Die heutige Judenschaft halt beides für entbehrlich und will die Herrschaft durch den Alleinbesitz des Goldes, also den Mammon erringen. Ueber Deutschland ist ihr das anscheinend gelungen. Deutschland hat keine Selbständigkeit mehr, sondern ist nur noch ein geographischer Begriff. Das Ziel aber ist bei allen dreien immer das gleiche: Weltherrschaft Israels.

Judensöhne müssen die Rasse fortsetzen. Diese behielt er daheim. Denn er dachte nicht einen Augenblick daran, etwa nicht Jude zu sein. Sein Ziel war, gerade erst recht Jude zu werden, den gestohlenen Jesus unter die Juden zu tragen, damit auch die Schätze der Welt den Juden eigen würden. Es ist ihm doch nie eingefallen, ein christliches Fest zu feiern. Den Sabbat und die Synagogenfeste hielt er, zuweilen gedachte er der christlichen mit ehrender Erwähnung, aber sie lagen ihm ferne.

Als bei Rabinowitsch die Missionsverbindungen begannen, war aber auch eine sehr mißliche Frage da, die Tauffrage. Rabinowitsch hätte vielleicht niemals an Taufe gedacht, die Missionsleute hielten die Taufe für unumgänglich. Es erhob sich nun die neue Schwierigkeit unter ihnen, wer taufen sollte. Alle wollten. Das schaffte Rabinowitsch eine Zeitlang Ruhe. Gar zu gern hätte ihn der lutherische Ortspastor von Kischinew getauft. Dieser betrieb seit vielen Jahren im Nebengeschäft ein kleines Missionsunternehmen, für das er viel Geld brauchte und sammelte, und das im Laufe von 25 Jahren ungefähr 200 Judenseelen der Christenheit einverleibte. Es war aber sehr kostspielig und hatte für Rabinowitsch nichts übrig von Gold und wenig von Weihrauch.

Dieses Angebot kam für Rabinowitsch von vornherein nicht in Betracht. Das hätte ihm erstens eine sehr lästige Aufsicht und fatales Dreinreden in seine Angelegenheiten verschafft, ihn aber außerdem gründlich aus seinem Volke ausgewurzelt und ins Luthertum verpflanzt. Dafür aber war er nicht zu haben, auch um Gold und Weihrauch nicht.

Da trat ein englischer Missionsunternehmer auf, ein gewisser Wilkinson, ein geriebener Herr, wahrscheinlich auch von der reinen Rasse. Er fühlte, daß er diesen Erwerb für seine Unternehmungen dringend nötig habe, und war sehr leistungsfähig. Er erbat von Rabinowitsch eine geheime Unterredung irgendwo auf dem Festlande. Alle Unkosten wurden im voraus reichlich gedeckt. Natürlich nahm der an und erschien vor Wilkinson und dessen Stabe. Die Zusammenkunft endete damit, daß Wilkinson allerdings Gold und Weihrauch opfern durfte, aber beides ohne den Alleinvertrieb und das Recht der Ausschließlichkeit zu erwerben. Rabinowitsch meinte, er müsse, da er in Deutschland sei, durchaus den alten Vater Delitzsch in Leipzig sprechen.

Delitzsch war damals mit seiner ganzen Person für Rabinowitsch, den er von Angesicht nicht kannte, eingetreten, indem er seine »Dokumente«, in denen er seine Volkshoffnungen und Gedanken aussprach, veröffentlicht hatte.

Delitzsch war eine makellose Persönlichkeit durch und durch und genoß in allen des Hebräischen kundigen Kreisen, ebensowohl christlichen als jüdischen, ungemessenes Ansehen. Er war zudem ein Mann von unendlicher Liebe und Hoffnungsfreudigkeit und sah in Rabinowitsch eine Erfüllung aller Wünsche, die er je von Juden gehegt. Er verstand ihn, nur war er doch zu sehr lutherischer Theolog, um ihm Tauffreiheit zubilligen zu können. Aber das natürliche Gefühl sagte Rabinowitsch, daß nur Delitzsch ihn im Wettbewerb der Gesellschaften so sicher stellen könnte, daß er, ohne Eigenes zu opfern, doch der Schätze der Gojim teilhaft bleiben könnte.

So kam er nach Leipzig, von Wilkinson und denen um ihn eifersüchtig und streng bewacht. Ich hatte damals bei Delitzsch die Vertrauensstellung eines Privatsekretärs, als die interessanten Herren ankamen. Was tun? Delitzsch veranstaltete eine Besprechung, zu der »och ein befreundeter Gelehrter aus Berlin kam, und nun wurde der ganze Fall Rabinowitsch theologisch erörtert. Mir fiel die Abfassung der Sitzungsberichte zu. Da warf irgend jemand die Tauffrage auf. Ich glaube, es war jemand, der Rabinowitsch nicht wohl wollte und ihn dadurch in Verlegenheit bringen wollte. Ob er die Absicht habe, sich taufen zu lassen? Rabinowitsch wand sich und schwieg. Ob er sich etwa geradezu nicht taufen lassen wolle? – For wus net (warum nicht)? lautete die vorsichtige Antwort. – Dann sollte es doch geschehen. – Einverstanden. – Aber sogleich geschehen. – Ebenfalls einverstanden.

Aber das war bei Wilkinson das brennende Interesse. Er hätte so nötig gehabt, ihn zu taufen. Das hatte Berichte gegeben, noch nie dagewesene. Als er aber sah, daß ihm unmöglich dieses Gute allein zugebilligt werden könne, sollte es wenigstens auch der Wettbewerb nicht haben. So kam ein eigenartiger Ausgleich zustande. Getauft sollte Rabinowitsch werden, und zwar sogleich, aber von einem Engländer, der kein Missionsmann sei, und aus deutschem Boden, aber nicht in Leipzig. Nicht immer geht es in christlichen Kreisen ideal zu.

In der Bethlehemkirche in Berlin auf der Wilhelmstraße wurde an einem der nächsten Tage von einem amerikanischen Professor und Prediger, ich weiß nicht mehr genau in welcher Sprache, die denkwürdige Taufe vollzogen. Die Taufe selbst sollte eine interkonfessionelle Stellung schaffen und dem Rabinowitsch nur den Charakter Christ verschaffen, ihn aber im übrigen in seinem Judentum in keiner Weise antasten. In der kleinen Taufgesellschaft waren, wie mein Freund v. G. behauptete, nicht zwei Menschen eines Glaubens.

Delitzsch selbst konnte als lutherischer Theolog dieser interkonfessionellen Taufe nicht wohl beiwohnen, weil er aber doch gern dabei sein wollte, schickte er mich. Ich war der Unbedeutendste und vertrat als solcher das Luthertum in dieser christlichen Gesellschaft. Als ich meinen Bericht erstattete, sagte Delitzsch: Gehen Sie nun nach Kischinew und sehen Sie dort zu, wie es geht. Ihm war sehr bange. Er beschwor die Missionsmänner, doch mit dem elenden Mammon sich nicht zu versündigen und das Keimende nicht mit Gold zu verderben. Er erbot sich, persönlich alle etwaig notwendigen Unterstützungen gewissenhaft übergeben und verwenden zu lassen. Er wollte einen Menschen nach Kischinew stellen und alles selbst öffentlich verrechnen unter eigner Verantwortung. Aber Wilkinson ließ alles das scheitern. Er brauchte für sein Unternehmen zu nötig eine Abteilung »Rabinowitsch«, als daß er anders als nur scheinbar auf die Vorschläge der Ehrenhaftigkeit hätte eingehen können. Er war zu sehr Engländer und Heuchler, vielleicht auch selbst Jude und konnte gar nicht ehrlich sein. Und der Jude Rabinowitsch hatte alles so gut durchschaut und ließ es geschehen. Das Sprenklichte mußte ihm zufallen, und er sorgte dafür, daß die ganze Herde sprenklicht wurde.

Lehrjahre neben Rabinowitsch

Ich habe damals Jahre des tiefsten Wehs und der furchtbarsten Einsamkeit verlebt. Voll idealer Begeisterung war ich dem Auftrage meines väterlichen Freundes und Lehrers gefolgt. Das Christentum hielt ich für die Wahrheit, aller Wahrheit. Ich meinte, es könnte gar nicht anders als die Welt erobern, es müsse durchdringen. Ich machte mich auf Haß und Feindschaft gefaßt, aber zehn Leben hatte ich dafür hingegeben. Aber man wurde gar nicht gehaßt. Es war alles wie süßer, klebriger Sirup. Das »Wort Gottes« ließ die Menschen urgleichgültig und erzeugte Gähnen. Ueberall ein vorsichtiges Schleichen, kein unaufhaltsames Daherstürmen. Von dem englischen Missionsbetrieb war mir vollends übel geworden.

Die Taufe hatte auf Rabinowitsch sichtlich auch den leisesten Eindruck nicht gemacht. Ich hatte immer gelernt »wirket Vergebung der Sünden, erlöst vom Tode und Teufel und gibt die ewige Seligkeit ...« Das muß man doch merken. Sie soll sogar heiligen Geist geben, aber zu sehen und zu merken ist nichts davon. Rabinowitsch sagte einmal ganz gemütlich zu mir: Sagen Sie bitte, kennen Sie alle Ihre Gemeindeglieder genau? »Nein.« Und doch beunruhigen Sie sich nicht sonderlich darüber. Warum machen Sie Anspruch, den Juden ganz genau kennen zu wollen, wenn er Ihr Gemeindeglied werden will. Taufen Sie ihn doch ganz ruhig. Was er ist, wird man dann sehen. So viel wie Ihre Gemeindeglieder wird er auch sein!

Dann kamen die Missionsvertreter. Das ist nun doch gewiß die Auslese des Christentums. Sie kamen alle angereist, die Christentumsbewegung in Kischinew zu studieren. Ja wozu denn? Was ging's sie denn an? Hatten sie wirklich weiter nichts zu tun, als müßig die Welt zu durchstreifen? Nein, sie wollten berichten und dran verdienen. Dann lasen wir gedruckt ihre Eindrücke. Sie wußten alles viel besser, oder sie streuten unendlichen Weihrauch. Damit verdarben sie alles, was allenfalls Gutes im Stillen hätte erwachsen können. O diese elenden Missionsberichte, dieses unwahre Wesen! Aber wo war denn die Wahrheit? Bei welcher christlichen Richtung und Art ist der Heilige Geist? –

Sie lehren auch, Jesus Christus wäre von den Toten auferstanden und lebe, und werden sehr böse, wenn's ihnen jemand nicht glaubt. Aber wenn er lebt und alle Gewalt hat: Wo ist er dann? Warum hilft er dann nicht dem Christentum? Warum leitet er seine Kirche nicht in alle Wahrheit? Welche ist denn eigentlich »seine« Kirche? Anspruch erheben sie alle drauf, aber nicht eine hat »die Wahrheit«. Oder lebt er am Ende nicht, dann ist alles hinfällig. Diese Art Christentum ruht auf einem »Satz«. Das ist aber ein sehr zweifelhafter Stützpunkt. Wenn es nicht auf großen Erlebnissen und unzweifelhaften Bezeugungen des Auferstandenen und Lebendigen ruht, ist es nur eine Lehre, eine Religion wie andere, aber keine lebendig machende Gewalt.

Schließlich ging ich all den christlichen Herren aus dem Wege. Ich las ihre geheimsten Gedanken, ehe sie nur den Mund aufmachten, und sah Rabinowitsch lächeln, ganz still lächeln, mit den Fingerspitzen lächeln, während der Mund mit ihnen christliche Brüderschaft machte. Mir war dieses Herumtasten an den Leuten, dieses Auslauern ihrer schwächsten Stelle, ihrer Achillesferse, um sie gerade dort zu treffen, entsetzlich. Dieses Ueberfließen von brüderlicher Liebe und das Abpassen des Augenblicks für den Dolchstoß von hinten, kannte ich damals noch nicht. Aber Rabinowitsch fand das alles nur natürlich. Es ist auch merkwürdig, daß die hebräische Sprache kein Wort hat für »Gewissen«. Der Begriff mangelt. Das Schlimme ist dabei, daß auch allen Völkern der Begriff des »Gewissens« abhanden kommt, im Maße als Juden bei ihnen Einfluß gewinnen. Die Engländer haben es schon ganz verloren, aber die Deutschen sind auch in großer Gefahr, wenn sie nicht bald frei werden.

Nun, Rabinowitsch kannte diese Leute alle noch viel besser als ich. Er wußte, daß sie alle nichts hatten und nur für metallische Werte in Betracht kamen. Darum lächelte er. Aber ich konnte nicht lächeln. Mir wurde eine Welt zerschlagen, mir wurde das Heiligste angetastet, und das tut weh.

Ich habe auch einen Charakterfehler davongetragen, der mir wohl lebenslang anhängen wird, ein unüberwindliches Mißtrauen gegen alles besonders Christliche. Ich war auch viel zu jung und unreif, um solche Riesenlasten so allein zu tragen. Zwei sehr geistesmächtige Freunde, denen ich damals mein Herz schriftlich ausschüttete – einer war Delitzsch – baten mich, ich möchte ihnen keine solchen Briefe mehr schreiben. Ich habe damals Zeiten verlebt, in denen ich glaubte, ich würde lebenslang nie mehr imstande sein zu lachen. Aber ich glaube seitdem, daß es nichts, nichts gibt, was ein Mensch nicht ertragen könnte. Für alles Gold und allen Weihrauch Sebas möchte ich von jenen Jahren nicht eine Stunde missen, ich bin auch gewiß, daß kein einziger Mensch die Erinnerung an getragenes Leid je hergeben wird. Leid ist verborgene Herrlichkeit. Was ich habe, das geht in Ewigkeit nicht mehr verloren. Das sind keine »Sätze«, das ist Leben und Wahrheit.

Ich sah meine Hauptaufgabe bei meinem sonderbaren Auftrag darin, Rabinowitsch möglichst sich selbst zu überlassen. Hätte ich gekonnt, so hätte ich ihn vor seinen Missionsfreunden geschützt und abgesperrt. Delitzsch hatte das dringend gewünscht. Aber es ging nicht. Wilkinson und ähnliche waren viel schlauer. So suchte ich ihn wenigstens vor den anfangs versteckten, später immer offeneren und gehässigeren Angriffen des schwer enttäuschten lutherischen Pastors zu schützen. Der hätte eigentlich gute Tage haben können. Von Rabinowitsch' Predigten wurden eine Menge jüdischer Elemente angelockt, die wie Motten nach dem Lichte schwirrten und mit offenem oder heimlichem Neide die Laufbahn ihres Stammesgenossen bewunderten. Sie bedauerten unendlich, die gute Idee nicht selbst gehabt zu haben und so nach jeder Seite hin gut dazustehen. Jeder fühlte sich gescheit genug dazu. Aber sie konnten in dem lutherischen Missionsunternehmen recht wohl Verwendung finden. Das füllte sich plötzlich und gab unbezahlbare Berichterstattungsgelegenheit. Die Sache kam sehr in Schwung. Darüber hätte man sich freuen sollen.

Ich machte den Vorschlag, diese müßigen Elemente, die die häßlichsten Zwischenträgereien machten, mir zu überlassen. Ich hatte langst die eigentliche Not des Kischinewer Kirchspiels durchschaut. Das umfaßte alle deutschen Kolonisten ganz Beßarabiens mit Ausnahme des Akkermaner Kreises. Dieses ungeheure Gebiet, zu dem im letzten Türkenkriege noch alles Land bis zum Pruth gekommen war, mußte auf Deutsche abgesucht und bereist werden. Also hatte ich den Vorschlag gemacht, selbst weit draußen mit zu siedeln und von einem größeren Pachtgute aus, das ich selbst betrieb, als Bauer und Pastor, die deutschen Siedler zu betreuen. Ich konnte also wohl Leute aufnehmen und erbot mich, diese Talmudjuden zu beschäftigen als Knechte und Hilfsarbeiter. Da waren sie auch weit weg von dem Geschwätz der Stadt. Die Neuheit der Sache, das Leben in der frischen Luft tat ihnen sichtlich wohl. Aber die schwere, schwere Arbeit in beßarabischer Sonnenglut und namentlich die Aussichtslosigkeit für die Zukunft, stieß sie auf die Dauer ab. Sie wollten ja alle Missionare werden, alle verdienen, alle Rabinowitsche sein und sahen sich plötzlich in einer Sackgasse. Da riet ich, falls sie nicht arbeiten wollten, sie alle zusammen davonzuschicken, damit sie nicht durch müßiges Sitzen in der Stadt zur Brunnenvergiftung beitrügen. Aber das ging nicht. Das wäre ja viel zu unchristlich gewesen. Es soll ja keiner hinausgestoßen werden, steht irgendwo. Nur immer nach der Liebe gehandelt! Das wird aber immer dabei vergessen, daß der Hausherr einen hinausstieß in die Finsternis ins Heulen und Zähneklappern, nur weil er dreckig angezogen war.

Es ging aus einem ganz andern Grunde auch nicht. Dieser wird wohl ausschlaggebend gewesen sein. Mission braucht Berichte und Geld. Wer nicht berichtet, kann nicht sammeln, wer nicht sammelt, kann keine Mission treiben. Man kann in der Mission arbeiten ohne Geist, aber nicht ohne Geld. Darum hat einmal ein bedeutender Mann zu einem Missionar gesagt: »Solange ihr ohne Geld nicht bestehen könnt, glaube ich nicht, daß ihr das Werk Jesu betreibt, und wenn ihr zu den Weltvölkern keine andern Wege wißt als Eisenbahnen und Dampfschiffe, glaube ich nicht, daß euch Jesus Christus gesandt hat.« Schließlich mischte sich noch die Polizei ein und untersagte ihnen den Aufenthalt auf meinem Landgute, weil nach russischem Recht Juden nur in Städten wohnen dürften.

Rabinowitsch sah mir lächelnd zu: Sie gefallen mir. Aber unglaublich töricht sind Sie auch, von einer seltsamen Verständnislosigkeit und Verkennung des Wirklichen. Eine geradezu stehend gewordene Redensart war: O lieber Lhotzky, See weesen gur nischt (wissen gar nichts), horchen Sie auf alte Rabinowitsch! Dann redete er ohne Ende, nie über das Leben selbst, aber immer über die Bibel.

Er konnte wirklich reden, es schien, als entlaste er damit seine heiße Seele. Denn er glühte innerlich und war unendlich vereinsamt. Ich war damals so unreif wie nur jemand ist, der just die Universität mit guten Noten durchlaufen hat und stand vor dem Manne wie vor einem ungeheuren Rätsel. Ich wußte, daß er viel pfiffiger war als Wilkinson und die Schlausten, die uns heimsuchten. Aber dann glühte er wieder in einer verborgenen Wahrheit, die er von irgendwoher bezog, nur nicht vom Christentum. Es gab also offenbar eine Möglichkeit, Wahrheit zu finden, trotz aller vorhandenen Christlichkeit. Ja es gibt wirklich geistliches Leben trotz des Christentums und Glauben trotz der Religion. Unabhängig von aller verbrieften Geistlichkeit gibt es geheime Zugange zum Reiche Gottes. Sie sind schwer zu finden. Gewiß. Aber die sie finden, denen darf weder Christentum noch Religion schaden.

Es geht hier ebenso wie im Leiblichen. Es gibt Heilungen ohne Aerzte durch die Hand ganz einfacher Leute. Man nennt sie im medizinischen Lager zwar Kurpfuscher. Es hat aber schon mancher Kurpfuscher da geholfen, wo Aerzte das Leben abgesprochen hatten. Wie kommt das? Weil Heilung im Grunde weder mit dem Arzt noch mit dem Kurpfuscher irgend etwas zu tun hat, sondern eine still waltende Natur-kraft ist, die höchstens hier und da in rechte Bahnen gelenkt werden kann. Ebenso gibt's göttliches Leben im Geiste, das mit der Kirche gar nichts zu schaffen hat. Es kommt überhaupt von Gott, nicht von der Kirche. Höchstens kann hier und da ein Kirchenmann drauf aufmerksam machen. Andre Leute können das aber auch. Natürlich find auch geistliche Kurpfuscher in privilegierten Kreisen nicht beliebt.

Was unser keiner dem Rabinowitsch bieten konnte, das hatte er in eigenständiger Unmittelbarkeit. Das waren freilich lauter Dinge, die ich in meiner Dogmatik nicht gelernt hatte, und ich hatte doch alles so gut gewußt. Da kamen Sachen heraus, deren Möglichkeit meine Professoren gar nicht erwogen hatten. Dann saß ich bei dem wunderbaren Manne wie betäubt von schweren Dünsten. Mir waren diese Besuche lange Zeit eine unendliche Last. Ich ging nur aus Pflichtgefühl, weil ich's Delitzsch versprochen, und saß dann stundenlang schweigend und innerlich seufzend vor Rabinowitsch und hörte wie im Faust der Schüler hörte, dem das große Mühlrad im Kopfe herumging.

Aber meinem Gegenüber war's wie eine Erleichterung. Wie wenn ein Dampfkessel geöffnet wird, so strömte er aus, nach einer ganz kurzen, flüchtigen Begrüßung. Er fing immer damit an, daß er mir seine letzte Predigt erzählte. Da kam gleich der ganze Gluteifer zutage. Ich habe nie einen Menschen gesehen, der so in der Bibel lebte wie er. Da erwog er jedes Wort, jeden Buchstaben und wußte in heiliger Begeisterung die tiefsinnigsten, überraschendsten Betrachtungen dran zu knüpfen. Aber ohne jede Spielerei und elende Geistreichelei. Das war alles tiefster Ernst. Es kam ihm auch nie drauf an, daneben zu greifen, es lag ihm nie am Einzelnen. Ihn trieben große, tiefe Gedanken und Wahrheiten. Wie sie herauskamen, das kümmerte ihn nicht. Und alles redete er in Bildern und Gleichnissen, und ohne Gleichnisse redete er nichts, was er redete.

Namentlich Paulus war sein ganzes Glück und Entzücken. Als ob der Apostel neu auflebte und, wie er's bei Lebzeiten getan, die ganze Nacht durch redete und zur Zeit und zur Unzeit, öffentlich und sonderlich verkündigte, was in ihm brannte und glühte, so war's bei Rabinowitsch. Es war furchtbar schwer, alle seine Gedanken mitzudenken, aber er heischte unerbittlich strengste Aufmerksamkeit. Sowie das Auge etwas ermattete, schüttelte er den Besucher am Arm: »Sie hören doch zu! Verstehen Sie?, was ich eben sagte?« Und er sprach mit den großen, schönen Händen ebenso wie mit dem Mund und dem flammenden Auge, er ließ sich vom Stuhl auf den Teppich sinken und knieend und liegend sah er dem Besucher von unten ins Auge, als wollte er sich hineinbohren, um die Lasten seines Innern anderswo niederzulegen, weil sie ihn zu zersprengen drohten.

Da verstand ich etwas von Paulus oder den alten Propheten. Nicht daß ich sie erklären könnte. Gott behüte mich! Nein, ich verstand ihre Seele, in der das Gotteswort glühte und brodelte, das einen Ausweg heischte und nirgendshin zu den Zeitgenossen fand und nun in seinem Träger bohrte und drängte voll seliger Wonne, voll glühenden Eifers, voll schmerzlicher Verzweiflung zugleich. Daß es ein Gottesbewußtsein geben kann, das Menschen zu heiliger Raserei zu treiben vermag, weil es übermächtig aus ihnen flammt, das ein zweischneidiges Schwert ist und seinen Träger ebenso durchwühlt wie den Angegriffenen, das wurde mir drückendes, furchtbares Erlebnis. Ich kannte das Gotteswort nur in Gestalt wohlverarbeiteter Predigten und hatte selbst alle Regeln auswendig gelernt, die man uns in einem homiletischen Universitätsseminar diktiert hatte von Disposition und Partition, passender Einleitung und schwungvollem Schluß. So was nennen sie Wort Gottes. Aber hier kam etwas in eigner Spur als freie Tochter der Natur. War das Wort Gottes? War der glühende starke Mann, der sich zu meinen Füßen wand und krümmte, in dessen Barte der Schaum stand, war das ein Prophet? Und das glühte alles aus der Bibel heraus, aus dem Pentateuch und den Psalmen, den Propheten und Paulus! War's so, wenn sie in Zungen redeten? –

Einmal hatte er den Propheten Maleachi vor: Haben Sie ihn gelesen? fragte er mißtrauisch. Ich bejahte. Wissen Sie auch, wer Maleachi war, was Maleachi ist, und wer dort redet? – Gur nischt weesen See! – Dann kam der Prophet, aber in Fleisch und Blut, und stürmte in dem alten Wort, wie der Wind in Drähten reißt und wurde lebendig, voll unwiderstehlicher Gewalt und schauerlicher Majestät, voll Gnade und voll Rache. Er brannte wie ein Ofen und war wie das Feuer des Goldschmieds und scharf wie die Seife der Wäscher, er glühte und schmolz und reinigte. Er war wie der Engel Jehovahs, der ihm den Weg bereitete, bald, bald mußte die Türe aufgehen und ... Wer war dieser Maleachi, was war er? –

Ich kannte ihn auch, ich war ein fleißiger Student und habe wirklich ein gutes Examen gemacht. Aber ich kannte ihn in diesem Stile: Der Prophet Maleachi, meine Herren, gehört zu den spätesten Propheten. Man kann nicht genau, aber ungefähr sein Alter bestimmen aus der Stellung zum Tempel und den sittlich religiösen Gebrechen seiner Zeit ... O du langweiliger Maleachi, wenn die Schriftgelehrten deine Leiche ausgraben!

Oder Rabinowitsch erzählte von dem genialen Politiker Balak, dem Sohne Zippors, der die berühmte erste Antisemitenliga gründete und dafür zum Könige gemacht wurde und die Führung aller im Judenhaß geeinigten Völker überkam, der dann den Hofprediger Bileam kommen ließ, um Israel zu verfluchen, dessen Eselein aber solche Dinge zu sagen wußte, daß dem großen Volksversammlungsredner das Fluchen verging.

Der Prediger

Aus der Glut, aus der Tieft, aus dem Vollen heraus predigte Rabinowitsch. Aber wer bisher nur hat predigen gehört, wird mich mißverstehen. Er fing übrigens an wie jeder Prediger und las seinen vorgeschriebenen Text. Ein langer Text. Das waren die jüdischen Perikopenreihen, die allsabbatlich in jeder Synagoge gelesen werden. Es kommt im Laufe eines Jahres der Gesamtinhalt der fünf Mosesbücher zur öffentlichen Verlesung, nicht ausgewählte Ab-schnittchen davon. Es treffen also auf den Sabbat eine ganze Reihe von Kapiteln. Nach dieser Textverlesung stürmte auf einmal ein ausgewählter Abschnitt des Neuen Testaments daher, ebenfalls Hebräisch in der Delitzschübersetzung. Schon das erschütterte und durchbebte einen ahnungslosen jüdischen Zuhörer. Was Delitzsch da mit erlesener Meisterschaft ins Hebräische übersetzt hat, ist ja eigentlich eine Rückübertragung in das Denken derer, die im Neuen Testament schrieben und redeten. Jüdisch ist's ja gedacht und erlebt, das Griechische ist nur die ungewohnte Waffenrüstung der Mehrzahl der Schreiber, aber hier kam's wieder jüdisch zu jüdischen Ohren. Da wirkt das Neue Testament an sich schon ganz anders.

Dann flutete die Predigt daher. Der Redner hatte wohl den Plan, beide Texte zusammenzupredigen, aber wenn er an die Ausführung ging, dann packten die Texte ihn und warfen ihn zwischen sich hin und her, daß er brauste, schäumte, tobte, weinte, lachte, die bittersten Witze riß und dann seine Hörer hineinführte in die Tiefe des Erbarmens, der Gnade und Wahrheit. Das kannte keine Grenzen weder der Zeit noch des Herkommens noch der Sprache. Unter zwei Stunden hörte der Strom kaum auf zu fließen. Zuhörer kamen und durften gehen, aber wenn sie gehen wollten, fesselte sie die glühende Rede, daß nur die fort konnten, die ohnehin besser nicht gekommen wären. In drei Sprachen im wilden Wechsel stürmte die Rede daher, ein Wort jagte das andere wie ein brausendes Wildwasser, das sich fortwährend überstürzt und nicht Rast, nicht Ruhe kennt, keine Einteilung ließ den Gedanken zur Sammlung und zum Ausruhen kommen. Die Gedanken kamen, wie sie wollten, und blieben, solange es ihnen gefiel. Sie hinterließen keinen Vorrat für die nächste Predigt und fürchteten keine Verarmung. Die Maschine, wenn sie einmal losgelassen war, kannte nicht Halbdampf, nicht Vorsicht, sie raste vorwärts bis ihre Kraft erschöpft war, ein Hindernis hätte sie zerschmettern, aber niemals hemmen können.

Ich mied diese Redestürme. Ich kann nicht stundenlang zuhören. Das Hebräisch und Russisch, sogar das Deutsch war mir nicht geläufig genug, um annähernd zu verstehen. Rabinowitsch sah's gern, daß ich wegblieb: »Sie sind in der Oeffentlichkeit für mich keine gute Gesellschaft.« Er liebte mit den Juden allein zu sein. Die verstanden ihn. Sie waren keineswegs in einem Zustande, den wir Erbauung nennen. Sie lachten, spotteten, wurden wütend und ärgerten sich, aber sie verstanden. Weiter wollte der Redner nichts. Gold und Weihrauch nahm er von den Gojim. Englische Damen schwärmten daheim für ihn, aber seinem Volke war er ein nagender Wurm, der keine Ruhe ließ. Wie das Wort ihn drängte und drückte, so gab er's weiter, unbekümmert um Liebe und Haß, Gehorsam oder Widerspruch. Das Wort hatte ihn, ein willenloses Werkzeug, wie konnte er da nach solchen Dummheiten fragen, ob's Menschen gefiel oder nicht. Wer danach fragt, den kann das Wort nicht brauchen. S' ist doch kein Sirup, der süße Fäden zieht, sondern ein Schwert, das haut und sticht. O Wort, Wort, was bist du? Wo bist du? –

Darum vereinsamte der Mann so furchtbar. Alle die sonst mit dem Wort umgehen, haben es so wunderschön in der Gewalt. Sie drehen es, sie wenden es, sie lassend blitzen und machend wieder dunkel, sie biegen und schmieden, sie bauen und mauern damit; es ist wie sanfter klebriger Ton, den Künstlerhände formen, weiches Wachs, aus dem sie artige Figürchen kneten. Aber den Mann überkams wie ein wilder Riese, der ihn packte und schüttelte, der ihm überall zu stark wurde, ihn jagte und quälte es, und ob er's wollte oder nicht wollte, so mußte er's doch tragen. Wir sind ja alle des Wortes mächtig, aber seiner war das Wort mächtig.

Alle die redemächtigen und redegewandten Gegner fragten immer: Ja was wird denn daraus? Welche Erfolge hat denn nun eigentlich Rabinowitsch? Er »berichtet« ja gar nicht. Wenn er doch nur einmal eine Zahl nennen wollte, wie viele Anhänger er nur hat. Er tauft auch nicht. Folglich gibt's gar keine Gemeinde des Rabinowitsch. Die neue juden-christliche Konfession hat tatsächlich keine Anhänger.

So maßen Sie alles mit ihrem Maße und hatten alle so recht. Eines Tages war der Kischinewer Missionsbericht zu der Ueberzeugung gekommen, Rabinowitsch habe eine schiefe Stellung in Wort und Wandel. Das Letztere setzte er offenbar hinzu, weils auch so nett mit dem »W« anfängt. Beweisen konnte er nur das Erstere. Aber das war leicht zu erweisen. Wenn alles in wohlerwogenen Formen in so herzlicher, lieblicher Weise diese zarten Gedanken predigt, die aus Erklärungen und Kollegienheften herausgefeilt und dann für eine gut angezogene und wohlgesinnte Gemeinde mit Schick zurechtgemacht sind, wenn kein Mensch in der Welt von Predigt eine andere Vorstellung hat als die von wohlfrisierter Zahmheit, und wenn dann plötzlich ein wilder ungekämmter Bursche daherkommt wie weiland der Kuhhirt Amos und stürmt und poltert und glüht seiner selbst nicht mächtig, geschweige des Worts, so hat natürlich dieser »eine schiefe Stellung« im Wort, denn hätte er eine gerade, so würde er ja so predigen wie die andern, hätte einen richtigen Taufunterricht in Kischinew durchgemacht, dann vielleicht ein Missionsseminar, dann wäre er von einem Komitee ordnungsmäßig ordiniert und angestellt worden, aber so wildes Wesen bekundet ganz richtig eine schiefe Stellung in Wort und Wandel. O du Weisheit der Gasse!

Aber ernstlich, was kam denn aus der ganzen Geschichte für das Christentum heraus? Was wurde aus dem Anhang oder den Zuhörern von Jossel Rabinowitsch? Wo blieb die mit so vielem Pomp angekündigte »Christgläubige Gemeinde der Israeliten des neuen Bundes« in Kischinew?

Nun, wer hatte diese Gemeinde angekündigt? Rabinowitsch nicht, sondern die Missionsgesellschaften, die sich dort eingemischt hatten, und die Rabinowitsch mit angeborener Schlauheit nur hatte gewähren lassen, um sie einige geschäftliche Angelegenheiten regeln zu lassen. Er selbst hatte die russische Regierung nur gebeten, sie möchte ihm gestatten, eine jüdische Schule zu gründen für Israeliten neuen Bundes und ihm dazu auch eine Begräbnisstätte zuzuweisen. Die Negierung hatte gewillfahrt und ihm Erlaubnis und Erbbegräbnis gegeben, er hat auch die jüdische Schule gegründet und hat allsabbatlich dort eine Zuhörerschaft um sich vereinigt.

Wie drollig wiederholt sich doch die Geschichte. Es war einmal einer, der zog aus, um ungeheuren Samen zu zeugen und ein Land zu gewinnen. Er erzeugte nur Einen Sohn, und in dem Lande überkam er nur ein – Erbbegräbnis. Das war die Geschichte des Stammvaters, der's ohne Zweifel schon auf die Welt abgesehen hatte. So ging's auch dem Nachfahren. Samen gewann er fast nicht, aber ein Erbbegräbnis.

Bei Rabinowitsch stand eine christliche Gemeinde nie in Rede und Absicht. Es sollte für das Judentum etwas herauskommen, nicht für das Christentum. Eine jüdische Schule ist vollkommen fertig, wenn sie sich allsabbatlich mit Zuhörern füllt, gleichviel, ob das feste oder zufällige sind. Juden sind sie doch alle und fest angeschriebene Gemeindeglieder braucht's gar nicht zu geben. In jüdischen Schulen pflegt auch nicht getauft zu werden. Es ist nun wohl möglich, daß Rabinowitsch selbst die Sache von Anfang an anders dachte. Aber als sie diesen Verlauf nahm, war er's zufrieden, und er hatte auch gehalten, was er versprochen.

Natürlich war das orthodoxe Judentum ebenso empört über Rabinowitsch, wie anfänglich das Christentum erfreut. Aber Rabinowitsch kümmerte sich um beide nicht, sondern ging seinen eigenen Weg nach dem Drange, der in ihm aufgewacht war, und dem er gehorchen mußte.

Er sagte von sich und war viel klarer, als Freunde oder Feinde ahnten: Ich habe die Aufgabe, weiter nichts zu tun als den Juden zu sagen, daß Jesus ihr Messias ist. Nicht mehr, nicht weniger ist mein Beruf. Was die einzelnen dann daraus machen, kümmert mich nicht. Ich hindere keinen einzigen Christ zu werden. Er soll nur mich nicht fragen, wie er das machen soll. Ich selbst taufe niemanden, ich darf gar nicht taufen. Ich habe nur das Recht, eine jüdische Schule zu gründen, und die habe ich. Aber Täufer gibt's doch in Kischinew genug. Da ist der russische Erzbischof und die um ihn, da ist der römische Dekan, da ist der lutherische Pastor. Mag doch jeder, der getauft werden will, nach Geschmack sich eine Christentumsrichtung aussuchen. Ich gehöre keiner an. Ich bin ein armer Jude und will ein solcher bleiben. Anhänger will ich nicht haben, meine Zuhörer will ich bei mir gar nicht sehen. Was ich ihnen zu sagen habe, sage ich öffentlich: Jesus ist euer Messias. Mit dieser Wahrheit geht hin und macht, was ihr wollt, was ihr müßt.

Einmal sagte er: Wissen Sie, was ich bin? Ich bin ein armer Lumpensammler. Aus den Lumpen wird dann schönes weißes Papier gemacht, und wenn's fertig ist und sauber und fein auf dem Tisch liegt, dann kommt Seine Hochwürden, der Herr Divisionsprediger von Kischinew, setzt sich hin und schreibt darauf in großen Zügen: Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! Das ist etwas Großes. Aber ich, wer bin ich? Ich habe Lümpchen aufgelesen.

Taufnöte

Nach einigen Jahren entschloß sich seine Familie, sich taufen zu lassen. Er hatte ein sehr inniges, zartes und schlichtes Familienleben. Seine Frau war eine stille, einfache Jüdin, die ihm viele Kinder geboren hat, »der Zeuge meines Lebens«, wie er sie nannte. Einen unmittelbaren Einfluß auf die religiösen Entschließungen der Seinen auszuüben, hielt er sich nicht für berechtigt. Er hielt's für unwahr. Es ist merkwürdig. Soviel der Jude lügt, so hat doch niemand ein so zartes Empfinden für Wahrheit als der Jude. Niemand unterscheidet auch so fein Wahrheit und Lüge wie er.

Als sie sich aber entschlossen, wie er getauft zu werden, freute er sich, glaube ich. Gesprochen hat er nicht viel darüber. Aber in einem Punkte stand er ihnen mit Rat bei, wie und wo sie sich sollten taufen lassen. Die Frage war für seine Familie sehr schwierig. In der Bethlehemskapelle in Berlin eine interkonfessionelle Ausgleichstaufe zustande zu bringen, wäre wohl kaum zum zweiten Male gelungen, aber alle andern wollten durch die Getauften ihren Bestand vermehren. Christ zu werden durch die Taufe ist ja überhaupt völlig unmöglich in der Welt. Eine Taufe, die Christen schafft, gibt's gar nicht. Macht wohl irgendeine Missionsgesellschaft Christen? Sie schaffen alle nur Katholiken oder Lutheraner oder Methodisten oder – ach, es gibt ja so unendlich viele! – aber keine Christen schlechthin. Natürlich wollte Rabinowitsch, wenn er im Herzen mit den Seinen eins war, auch äußerlich eine Gemeinschaft mit ihnen bilden. Da war die Verlegenheit groß.

Mit Sehnsucht und Spannung hatte der missionseifrige lutherische Pastor gelauert, bis diese Verlegenheit im Hause von Rabinowitsch entstehen würde. Daß der Jude kein griechisches oder römisches Religionsjoch sich aufhalsen würde, wußte er ganz genau. Dann würde er der rettende Engel sein und diese Familie in Taufunterricht und Pflege nehmen und einen Missionsbericht schreiben, um den ihn alle andern Gesellschaften beneiden sollten.

Endlich, endlich tauchte die Frage auf, zuerst durch Geschwätze, dann wirklich: Jetzt kommt also der große Augenblick! Man muß aber nie zu sicher sein, wenn man mit einem Juden zu tun hat. Es kommt zuweilen dann alles anders. Auch Rabinowitsch fand einen Ausweg. Unweit Odessas war ein reformiertes, halb vergessenes Kirchspiel, das seit Jahrzehnten von einem lutherischen Pastor friedlich mitbedient wurde. Die Leutchen, schlichte Kolonisten, wußten wohl, daß sie reformiert seien, wußten aber nicht ganz genau, was das wäre, und saßen friedlich und träumerisch mit im Schatten der lutherischen Kirche. Da fand sich plötzlich ein junger Jude herzu, den die Sache von Rabinowitsch angelockt hatte. Er war irgendwo getauft und zum Prediger ausgebildet worden. Dieser schärfte den Leutlein das reformierte Gewissen und wußte es dahin zu bringen, daß sie ihn zu ihrem eigenen Pfarrer erwählten. Dieser wagte es und erteilte der Familie von Joseph Rabinowitsch die christliche Taufe. Kurz darauf verschwand er wieder von der Bildfläche.

Sie arbeiten immer in der ganzen Welt nach den gleichen Methoden. Wo immer eine Frage ist, wo man etwas gewinnen kann, taucht flugs aus dem Untergrunde irgend etwas ganz Kleines, Harmloses auf, und das beherrscht plötzlich die ganze Lage. Hier kam ein vom Gewissen geplagter Jüngling und wollte nur den Glaubensgenossen die Gewissen schärfen. Aber flugs wurde er Herr der Lage. Judengeschmier. Er soll ein sehr begabter, geistig beweglicher Herr gewesen sein. Ich habe ihn leider durch eigentümliche Zufälle nicht kennen gelernt. Ob übrigens die Söhne von Rabinowitsch auch daran teilnahmen, weiß ich nicht. Ich würde es nicht für unmöglich halten, daß er die jüngeren Knaben wenigstens vorläufig ungetauft ließ.

Als später einmal der Hauswirt von Rabinowitsch behufs irgendeiner polizeilichen Ermittelung unter die Abteilung »Religion« bei Rabinowitsch und seiner Familie geschrieben hatte »russischen Glaubens«, fragte er vorsichtigerweise an, ob das so richtig sei. »Hast du's geschrieben so, laß es stehen«, erwiderte Rabinowitsch und wandte sich ab. Man kann in große Verlegenheiten kommen, wenn man einfacher Christ sein will. Das gibt's in der Welt nicht. Es gibt aber auch keine Verlegenheit, aus der ein Jude nicht herauskäme. Vor einer Reihe von Jahren hat der ehemalige römische Priester Bourrier in Paris und die um ihn erklärt, sie wollten nunmehr französische Christen sein, also französische Volks- und Stammesgenossen und im übrigen nur Christen und an keine Kirche und Partei gebunden. Ich weiß nicht, was daraus geworden ist. Wahrscheinlich hat sie Rom wieder verschlungen.

Jedenfalls wollte Rabinowitsch ein Jude sein, der nur zum Christus gehört. Die Christentumsgeschichte hat sich außerhalb des jüdischen Volkslebens abgespielt. Sie ging ihn nichts an. Er brauchte und suchte den Christus und fand ihn in der Bibel, nicht im Christentum. Er fand ihn aber auch in seinen eigenen Erlebnissen, und je gewisser er seiner wurde, um so weniger fragte er nach dem Christentum. Er hat's nie bekämpft, obwohl Christen ihn sehr heftig angriffen, aber es hat ihn auch niemals interessiert.

Eigentümlich ist, daß Rabinowitsch in dieser Haltung am besten von russischen Christen und Kirchenmännern verstanden wurde. Das ist im Grunde eine liebenswürdige, freundliche Kirchengemeinschaft, die trotz gelegentlicher politischer Härten große Duldsamkeit zu üben versteht. Ihr hat Rabinowitsch viel Freiheit und Duldung zu verdanken. Er war ihr auch lebenslang dankbar und freundlich gesinnt.

Wenn Rabinowitsch übrigens sich völlig ablehnend gegen jede seelsorgerliche Beratung seiner Zuhörer verhielt und gelegentlich zornig erklärte, er wünsche keinen von ihnen in seinem Zimmer zu sehen, so lag darin tieferer Sinn und keineswegs Laune oder Bequemlichkeit. Er wollte auch den Schein der Missionstätigkeit meiden. Er war zwar gegen alle Missionare äußerst duldsam. Er ließ sie berichten und schreiben und drucken, er nahm sie freundlich auf und gab sich ihnen mit seiner ganzen Bibelklarheit, er ließ die Kameele auch Gold und Weihrauch herzuschleppen, aber er dankte nicht sonderlich, ihre Briefe beantwortete er im allgemeinen nicht und hielt sich immer unverworren mit ihnen. Einige wenige habend durchgesetzt, bei ihm reden zu dürfen. Bestimmt weiß ich's nur vom greisen Sommerville. Aber der war kein Missionar.

Wer einigermaßen die Verhältnisse kennt, weiß, daß der Jude, der sich taufen lassen will, entweder innerlich sehr heruntergekommen ist oder in großer äußerer Not steckt. Vielleicht drückt ihn Armut, vielleicht ungestillter Bildungsdurst nach westeuropäischer Kultur, vielleicht eheliches Unglück, so daß er einen bequemen religiösen Scheidegrund haben will, aber die Beweggründe lassen sich in der Regel als Zahlenwert darstellen. Die reichen Juden, die sich gelegentlich taufen lassen, etwa um in Rußland politische Rechte zu erlangen, gehen nicht zum Missionar, sondern zu irgendeinem Gemeindepfarrer, weil der nicht so viel Umstände mit Taufe und Taufunterricht macht. Auf ein Geschäft läuft's in der Regel hinaus, und wenn schon ein Jude den sauern Schritt tut, sein Volkstum und seine Geschichte zu verleugnen, dann will er wenigstens einen möglichst hohen Preis dafür herausschlagen. Am liebsten wird er Missionar in englischen Diensten und verheiratet sich mit einer reichen, schwärmerischen englischen Dame. Solche sind stets in großer Auswahl vorhanden. Die beiden Völker passen so gut zusammen.

Ich erinnere mich aus meiner großen Proselytenbekanntschaft nur einer einzigen Ausnahme. Das war ein Brüderpaar, tief, tief aus russisch Polen. Zuerst langte der ältere Bruder an, von Rabinowitsch ungemein gefesselt, ein Talmudjude reinster Züchtung, von einer Innigkeit der Gesinnung, die etwas unbeschreiblich Rührendes hatte. Da Rabinowitsch niemand bei sich aufnehmen konnte, kam er zu mir und bat mich flehentlich, ich möchte ihm behilflich sein, daß er Christ würde. Ihn trieben Gewissensnöte. Die ganze verschrobene Talmuderziehung wurde ihm deutlich, und er hatte nur den einen Wunsch, da herauszukommen.

In Kischinew gingen ihm ungeahnt neue Lichter der Wahrheit und Erkenntnis auf, und er wollte nur immer hören und hören. Schließlich sagte ich ihm, er solle doch auch einmal statt nur immer zu lesen und zu grübeln etwas Nützliches tun, er habe doch sein Leben lang noch nicht gearbeitet, und lud ihn ein, in meine Wirtschaft einzutreten. Da kam er, schnitt sich die langen Locken ab, zog den Talmudrock aus und mit mir Bauernkleider an und begann ernstlich zu arbeiten im Schweiße seines Angesichts. Freilich die Pferde lernte er nie unterscheiden, die Rinder erst recht nicht, aber zu Feldarbeiten, sogar zum Grasmähen, ließ er sich recht gut verwenden. Aber taufen ließ ich ihn nicht. Ich wollte diesen unvergorenen Most erst richtig ausgären lassen und dem grübelnden Talmudkopf einmal Ruhe schaffen unter dem Einfluß körperlicher Arbeit. Ich kam schließlich auch seinen eigenen Wünschen entgegen, denn er meinte, seine Mutter müsse sterben, wenn sie höre, daß ihr Liebling abtrünnig geworden sei. Da er nun durch die Taufe Mörder werde, sei für ihn die Taufe Sünde. Mich hielt er lange für eine Art höheres Wesen und forderte mich beständig auf, Wunder zu tun und Kranke zu heilen, denn das müsse möglich sein. Er sei so ein »eingetünkter Jüd«, aber ich müsse es können.

Leider konnte ich's auch nicht, sondern war ein gewöhnlicher Sterblicher, an Alter und Unreife ihm ganz gleich. Da in ihm aber nur der Sinn für Wahrheit brannte, trat bald der Umschlag ein. Das war gut. Der Mensch hatte sein Leben lang in einem Nebel irgendwelcher Schwärmerei zugebracht. Erst hatte er im Talmud geschwärmt, später im Christentum. Beides ist krankhaft. Aber unter harter körperlicher Arbeit, umgeben von der grauen Alltäglichkeit und drückenden Aussichtslosigkeit gesundete das schwärmerische Gemüt und wurde zunächst mit Schrecken inne, daß er unter ganz gewöhnliche Alltagsmenschen geraten sei. Das verdroß ihn, und ein wohltätiger Haß löste die Schwärmerei ab. In diesem verließ er mich, nicht ohne vorher mein Bild, das er wirklich in einer leichtfertigen Stunde mir abgeschwatzt hatte, im Düngerhaufen zu begraben. Das ist sicher die beste Verwendung für Bilder von Menschen, die man überschätzt hat. Vielleicht helfen ihre Ueberreste einem Weizenkorn zu fröhlichem Wachstum.

Bei meinem Schützling war aber doch Wahrheit geworden. Es fiel ihm ein, daß er eine Frau verlassen habe, und daß das Unrecht sei. Man hatte ihn nach Judenart verheiratet, mit einem Mädchen, das er vorher nicht gekannt, aber weil er ein sehr frommer, weltabgewandter Mann war, hatte er am Hochzeitstage sein junges Weib verlassen. Nun nahm er sie zu sich und ernährte sie redlich. Ich traf ihn später in Odessa als Bänderjuden und Hausierer. Ein Kind war ihm geboren, und die Freude des Wiedersehens war außerordentlich. Er dankte mir insonderheit, daß ich ihn nicht habe taufen lassen.

Weniger glücklich ging's mit seinem jüngeren Bruder. Der war von Haus aus Tischler und wurde mir, da sein Bruder ihn nach sich zog, als solcher sehr nützlich. Geistliches Verständnis ging ihm ziemlich ab. Aber er setzte es durch und ließ sich in Kischinew lutherisch taufen. Dann heiratete er ein deutsches Mädchen, gründete einen eigenen Hausstand, kam aber nicht vorwärts, weil er der Trägheit verfiel. Schließlich eröffnete er eine Landschänke, soll aber sehr verarmt und verkommen sein.

Unter solchen Umständen sagte sich Rabinowitsch, daß alles Geschäftswesen völlig auszuschließen sei. Das jüdische Volk solle ganz ruhig zunächst in seinen bürgerlichen Verhältnissen weiterleben nur mit dem Bewußtsein seines Messias. Womöglich ohne Taufe, obgleich er das nicht aussprach. Aber die Taufe, wie sie heute im Christentum geworden ist, hat besonders in Rußland mindestens ebensoviel bürgerliche Folgen wie religiöse. Zudem wurzelt sie den Getauften aus seinem Volkstum aus. Würde aber alles bürgerlich und religiös beim Alten bleiben, der Jude nicht kirchlich, sondern synagogal gegliedert, nur Jesus bei ihm, so würde von diesem Jesus aus schon eine Umwertung aller Werte und Verhältnisse ebenso erfolgen, wie bei den übrigen Christen geschehen sei. Rabinowitsch wußte, daß der Schlüssel zu allem Guten, auch zum heiligen Lande, in den Händen Jesu liege, des Juden Jesus. Und wenn sie diesen hätten, müßte ihnen alles andre zufallen. Auch alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis liegen bekanntlich im Christus verborgen. Darum kümmerte er sich nicht um die Wirkungen, sondern um die Werte selbst, nicht um Politik und Religion, auch nicht um die Taufe, sondern nur um Jesus, den Messias für die Juden.

Deshalb wollte er mit keinem Juden in seinem Zimmer sprechen. Er wußte, daß es doch nur auf eine Bettelei und Geschäftsmacherei hinauslaufe. Aber wenn er ihn zum Schweigen nötigte, nötigte er ihn vielleicht zum Nachdenken, zum Nachdenken über Jesus. Wenn sie dann anderswohin liefen und die Taufe begehrten, so konnte er's ja nicht hindern, – wer wollte auch einen Juden hindern! – Aber es waren nur Ueberläufer, die er nicht mehr brauchte. Hätte er die Absicht gehabt, irgendeinen Erfolg zu erzielen, irgendwelche Anhängerzahlen aufzustellen oder eine feste Gemeinschaft zu bilden, wäre ihm natürlich dieses Ueberläufertum höchst lästig gewesen. Aber er hatte ja nur die Aufgabe, den Juden zu sagen, daß Jesus ihr Messias sei. Da schaute er nicht rechts, nicht links und fragte nie, was draus würde.

Ob's ihm immer leicht war, so auf alles zu verzichten? Ich glaube nicht. Aber nachmachen wird's ihm so leicht niemand. Sie suchen alle das Ihre und nicht das des Herrn ist. Rabinowitsch hat seine Haltung eine überaus schwere Vereinsamung eingetragen. Jeder wollte ihn modeln, jeder womöglich von ihm Vorteil haben, aber mit keinem konnte er sich verständigen.

Der Schriftsteller und Theolog

Von jeher war Rabinowitsch der Feder mächtig. Veröffentlicht hat er wenig. Es sind Predigten von ihm erschienen in einzelnen Blättern, aber niemand würde aus ihnen die Art des Predigers erschließen. Einige kamen in deutscher Uebersetzung heraus, aber der Uebersetzer war obendrein noch ungeschickt.

Mir sind immer zwei Schriften bemerkenswert gewesen, die erste und die letzte, die ich von ihm kenne. Die erste ist in klassischem Hebräisch geschrieben, aber niemals gedruckt worden. Sie führte den Titel »Horeb und Sinai«.

Es ist bekanntlich seit etwa 100 Jahren, durch einen französischen Arzt aufmerksam gemacht, die Theologenwelt in einer eifrigen Untersuchung der Quellenschriften der Bibel, besonders der sogenannten Mosesbücher begriffen. Wer denkend die Bibel liest, dem fällt bald eine sehr verschiedene Schichtung der Ueberlieferungen auf, die friedlich in der Bibel zu einer Geschichte verarbeitet nebeneinander stehen. Wir haben z. B. zwei sehr verschiedene Schöpfungsberichte in den beiden ersten Kapiteln der Bibel, den unerreicht großartigen von Kap. 1 und den weniger bedeutsamen von Kap. 2. Wir haben zwei Sintflutberichte, die stellenweise ziemlich durchsichtig Vers um Vers ineinandergearbeitet sind. Zweimal ist die Vermittelung der zehn Gebote erzählt. Beide Berichte stellen verschiedene Quellen dar uff. Wer des Hebräischen kundig ist, bemerkt schnell, daß die Namen für Gott in den verschiedenen Quellen verschieden sind, und neuerdings hat man eine ganze Reihe von Urschriften festgestellt und ist wissenschaftlich mit ungeheurem Fleiß und beachtenswertem Erfolg der Sache nähergetreten. Doch das ist bekannt.

Auch Rabinowitsch, der von jeher ein eifriger Bibelleser war, und der jedes Wort erwog, oft sogar nach Judenart jeden Buchstaben beachtete und über seiner besonderen Bedeutung nachsann, konnte nicht entgehen, was die Forscher beschäftigte, obgleich er von den wissenschaftlichen Arbeiten keine Ahnung hatte. Ihm war besonders die doppelte Berichterstattung über die Gesetzgebung aufgefallen. Er vermutete gleich darin zwei Quellen, und weil das eine Mal erzählt ist, das Gesetz sei auf Horeb gegeben, das andere Mal auf Sinai, so nannte er die zwei Quellen die Horebquelle und Sinaiquelle, sann dann noch weiter drüber nach und legte seine Ergebnisse im eingangs erwähnten Schriftchen nieder.

Er sagte sich ferner, daß die beiden Quellen umfassender sein würden, als nur für jene Kapitel, und daß die eine überall Horeb, die andere überall Sinai als Berg der Gesetzgebung bezeichnen würde, ja daß die Namen Horeb und Sinai die Erkennungszeichen zweier verschiedener Geistesrichtungen sein könnten, die von so verschiedener Eigenart sein würden wie die zwei Berichte selbst. Ein Unterschied des Horebgeistes und des Sinaigeistes müßte sich durch die ganze Bibel hindurch verfolgen lassen und die einzelnen Teile sehr verschieden bewerten. Es würde z. B. der Prophet Elias, der am Horeb so große Offenbarungen hatte, in innerer Verwandtschaft mit der Horebquelle stehen, ja man würde eine fortlaufende Reihe Horebleute in der biblischen Geschichte nachweisen müssen, aber auch eine fortlaufende Reihe Sinaileute.

Nun hat der »Sinaibericht« etwas Gesetzliches an sich. Auch Paulus redet bekanntlich tadelnd vom Sinai, »dem Testament, das zur Knechtschaft gebiert«, der »Horebbericht« hat die freiere, geistigere, prophetische Art. Es würde also der eigentümliche Gegensatz in der biblischen Geschichte zwischen Priestertum und Prophetentum, Gesetz und Verheißung, bis in die Bibelquellen hinein zu verfolgen sein.

Demnach schied für Rabinowitsch z. B. ohne weiteres das dritte Buch Mosis, genannt Leviticus, aus als Sinaibuch. Er las also nie die Leviten. Dagegen empfand er alle Propheten als auf der Horeblinie stehend und sah, wie sich die beiden Linien ins Neue Testament fortsetzten, und wie Jesus in der Horeblinie stand als ihre leuchtende Spitze, die Sadduzäer und Pharisäer den üblen Auslauf der Sinailinie bildeten. So fand er das Ja und das Nein der Bibel, die positive und negative Kraft in den beiden parallelen Geschichtsdrähten, dasselbe, was Paulus nennt Verheißung und Gesetz, oder wir heute Reich Gottes und Religion, die den Gegensatz von Geist und Buchstabe darstellen.

Wissenschaftlich hat die Schrift natürlich keinen Wert. Jeder Kenner sieht, wie roh und unvollkommen diese Art Quellenscheidung ist, und sie verliert sich ja sehr schnell aus der sachlichen, philologischen Beobachtung in die freie philosophische. Es ist rabbinische Art so. Aber theologisch war sie für Rabinowitsch höchst beachtenswert, wie ein Leitstern, der ihn klar scheiden lehrte zwischen Bibel und Bibel und ihn hoch über den gedankenlosen Bibelleser emporhob.

Er brachte die Schrift mit, ehe er getauft war, und legte sie Delitzsch vor. Delitzsch hat sein Leben lang mit unerhörtem Fleiße gegen die Bibelkritik gekämpft, war aber viel zu wahrheitsliebend, als daß er nicht Schritt für Schritt vor den ernsten Ergebnissen ihrer strengen Forschung zurückgewichen wäre und erkannt hätte, wo die bekämpften Gegner Wahrheit zutage gefördert hatten. Er mußte dabei freilich als betagter, geistesfrischer Greis erleben, daß die mühsame Arbeit seines ganzen Lebens zusammenbrach, aber er ließ es geschehen um der Wahrheit willen. Er sagte wiederholt: Ich habe nur ein Wichtiges geleistet. Das sind nicht meine wissenschaftlichen Bücher, das ist meine Uebersetzung des Neuen Testaments ins Hebräische. Auf dem Totenbette las er die Korrekturen zur ersten Stereotypausgabe. Ich glaube, es war die dreizehnte Auflage. Er sagte zu mir: Ich danke Gott, daß ich meinen klaren Verstand bis ins Sterben behalten durfte und dieses Werk vollenden. Dann ging's schnell zu Ende.

O du großer lieber Mann! Was du aber deinen Schülern und vielen, vielen, die dir nahetraten, persönlich gewesen bist, das wird dir ewig nicht vergessen werden! Das ist auch ein großes Werk, das unvergänglich ist. Friede über dir!

Als Rabinowitsch mit seiner Schrift kam, tobte der Kampf gegen die Kritik am heftigsten. Delitzsch schlug die Hände über dem Kopf zusammen: Sie überbieten sie ja alle! Sie gehen ja noch viel weiter wie Wellhausen! – Die Schrift selbst hat später Rabinowitsch bei sich verborgen gehalten. Es schadet auch weiter nichts.

Aber auf seine letzte Schrift legte er großen Wert. Sie ist in glattem Judendeutsch geschrieben mit hebräischer Quadratschrift, ein winziges Büchlein, etwa vom Umfange der Evangelien oder weniger und ist eine kurze Darstellung des Lebens des Messias Jesus für Juden. Er schickte es mir zu. Man kommt aber nicht immer zum Lesen, besonders wenn's etwas mühsam ist. Da ich ihn ohnehin bald besuchen wollte, steckte ich das Buch als Reiselektüre ein, um es an Bord zu lesen. Es wurde aber auch da nichts Rechtes mit dem Lesen.

Als ich zu ihm kam, war eine seiner ersten Fragen: Haben Sie mein neues Buch gelesen? »Ich hab's in der Tasche und habe angefangen«, sagte ich unsicher. So! Ich habe sogar das Ihre gelesen, wenigstens teilweise, und Sie haben nicht einmal meines durchgebracht, das doch viel wichtiger ist. Das Ihrige ist wertlos. Das ist für Gebildete, die ohnehin zu viel haben, aber das meinige ist für arme Juden, daß sie Jesum kennen lernen. Also heraus damit! Es war mein Buch »Leben und Wahrheit«, das damals eben erschienen war. Das Urteil hat mich nicht gekränkt, obwohl es mein erstes Kind war.

Dann saßen wir und lasen, und er erklärte das Gelesene. Hinter jedem Satze verbarg sich eine Fülle von Gedanken, kein Wort, das nicht in besondrer Weise zum Nachdenken zu reizen hingestellt war. Es war 10 Uhr morgens, als wir begannen, am Abend waren wir fertig. Nur kurze Mahlzeiten unterbrachen das Lesen und Erklären. Meine geistigen Kräfte waren übrigens auch erschöpft. Ich freute mich, als es Abend wurde. Den nächsten Tag tauschten wir freundschaftliche Gedanken aus. Rabinowitsch hatte noch große Lebenspläne. Aber es war unser letztes Beisammensein.

An dieser Schrift wurde mir auch ein Biblisches klar. Alle biblischen Schriftsteller schreiben so außerordentlich knapp und kurz, besonders die neutestamentlichen. Denselben Zug hatte Rabinowitsch. Sein Schriftchen zu erklären, dazu bedurfte es des ungezügelten Redestromes während eines vollen Tages, das geschriebene Wort ist knapp und verbirgt seinen Inhalt für jeden, der es oberflächlich herunterliest. Ob nicht Paulus auch so geredet, da er so schrieb, und die Propheten erst mit ihren großenteils winzigen Büchlein! Alles war in die Persönlichkeit gelegt, aber das geschriebene Wort ist verschwiegen und zurückhaltend wie die ganze Sprache des merkwürdigen Volkes. Was sie zu sagen haben, sagen sie zwischen den Zeilen des Geschriebenen. Daraufhin dürfte man schon sein Bibellesen noch einmal einer Durchprüfung unterziehen. Es ist doch schon jedem aufgefallen, wie viel der Jude reden kann, wie viel Worte er zu machen weiß. Wie knapp aber ist das Geschriebene des überlieferten Schrifttums. Erst neuerdings haben jüdische Zeitungsschwätzer gelernt, das Geredete selbst festzuhalten, eine Unart, in der sie alle andern Völker weit übertreffen. Es ist aber mehr als Unart, es ist der wohlerwogene Plan, alle Völker und Leser zu verwirren, und die Menschen haben sich gewöhnt, gedankenlos zu lesen. So sind sie das Opfer der Fremden. Deren Eignes ist anders.

Hätte man von Rabinowitsch eine besondre Theologie verlangt, so wäre er in Verlegenheit gekommen. Er hätte das Ansinnen einfach nicht verstanden. Viele seiner christlichen Freunde fanden es unrichtig, daß er den Sabbat und alles mögliche Jüdische beibehielt, dagegen das Christliche, sogar die Taufe übersah. Aber er hatte schließlich nichts gegen die christlichen Sachen. Daß ihm die Taufe, die wir ihm damals in Berlin erteilten, nicht gerade einen hervorragenden Eindruck hinterließ, kann man sich ja denken. Ja wenn die Taufe das Siegel der Umgeburt wäre, das Wasserzeichen des neuen Menschen! Aber ist sie denn das? Erlebt man das? – Das müßte man bald merken. Lehre und Erleben verhält sich wie Soll und Haben. Man braucht nicht erst Kaufmann zu sein, um zu merken, daß das ein großer Unterschied ist. Wenn der Ausgleich nicht gelingt, ist der Zusammenbruch da. Darum ist allewege das gute Teil mehr Haben und weniger Soll. Lauter Haben und gar kein Soll ist die allerbeste Lebensgrundlage.

Rabinowitsch hat Lehrsätze genug aufgestellt. Wir haben seinerzeit seine »Dokumente« veröffentlicht und meinten wunder, was wir da Neues, Wertvolles und Beachtenswertes brächten. Er selbst aber legte gar keinen Wert drauf. Das hatte er so niedergeschrieben, wie einem zuweilen etwas durch den Sinn fährt, das einem des Aufhebens wert erscheint. Darum gab er's nicht heraus, sondern ließ es die Gojim besorgen. Die »Dokumente« waren sehr wertvoll. Sie brachten den englischen Goldstrom in Gang. Das war ihr Wert. Die Engländer können jede Missionsarbeit weit überbieten. Sie haben mehr Geld als andre Leute. Den Völkern haben sie's geraubt und bekehren damit die Völker. Sie verfertigen Götzenbilder, und wenn sie am Handel reich geworden, zeichnen sie Missionsbeiträge.

Rabinowitsch legte nicht einmal auf den Sabbat sonderlichen Wert. Er schätzte ihn zwar sehr hoch ein. Er sagte: Die Christen haben einen Messias, aber keinen Sabbat, die Juden einen Sabbat, aber keinen Messias. Aus beiden sollte eines werden.

Es ist ja auch so. Der Sonntag ist eine zwar sehr alte und ehrwürdige, aber ziemlich willkürliche Einrichtung. Die Apostel feierten ihn, hätten aber nie gedacht, daß er je den Sabbat verdrängen sollte. Darum hat nun vor dem Sonntag niemand recht Ehrfurcht, und den christlichen Völkern fehlt der eigentliche Ruhetag. Die Juden haben in all ihrer Handelsunruhe einen Tag des Friedens allwöchentlich. Das erhält den einzelnen ebenso wie das Volk und die Familie gesund. Der Sabbat ist ein Wirklichkeitswert. Darum hielt ihn Rabinowitsch fest. Nicht aus biblischen oder dogmatischen Gründen. Aber das wußte er auch, daß der Mensch nicht um des Sabbats willen gemacht ist. »Mir scheint's zuweilen, als habe Jesus alle seine Wundertaten nur an Sabbaten vollbracht«, sagte er einmal nachdenklich. »Damit hat er den Sabbat erst zu dem gemacht, was er sein sollte. Die Sabbatfrage muß für die Menschheit noch einmal gelöst werden.« Er meinte damit natürlich nicht die Bestrebungen sabbatbrüderischer Sekten, sondern meinte es im großen Sinne des Hebräerbriefs, wo unsre deutsche Bibel übersetzt »die Ruhe Gottes«. Der eigentliche Text sagt: »Es steht noch außen der Sabbat Gottes.« Eine religiöse oder theologische Wertbemessung kannte Rabinowitsch nicht. Das wäre ihm nie deutlich zu machen gewesen.

Für einen jungen ausgelernten Theologen mit dem guten Examen hinter sich war Rabinowitsch eine schwere, schwere Prüfung. Mir war's, als stünde ich vor einem wild wogenden, ungestümen Meer, und hinter mir stand der alte, ehrwürdige Vater Delitzsch mit dem brennenden Herzen und dem strammen Luthertum: Ach, Lhotzky, ich weiß, daß Sie unbändig sind und vor niemand Respekt haben, daß Ihnen nichts in der Welt etwas gilt; aber wenn Sie mir auch den Rabinowitsch rauben, dann haben Sie meine eigne Ehre zertreten, denn ich bin für ihn eingestanden, dann haben Sie mit frevlem Mute ein Stück aus meinem Herzen und Leben gerissen!

Was soll man unter solchen Umständen tun? Nun ich versuchte den Rabinowitsch verstehen zu lernen. Es hat Jahre gekostet, ehe ich ihn verstand. Aber »umsonst« war diese Erkenntnis auch nicht. Sie hat mich meine ganze angelernte Theologie und Dogmatik gekostet. Zuerst merkte ich's gar nicht, daß ich von der hergebrachten Bahn abgewichen war. Aber die Leute fanden, ich sage alles so anders wie andre Menschen. Es war mir, als wüchsen neue Gedanken auf, deren Quell ich nicht kannte.

Solche Dinge werden nicht über Nacht, sie reifen in Jahren aus, und es dauert sehr lange, ehe man nur einiges davon in Worte fassen kann, ehe man nur selbst etwas weiß von dem heimlichen Wachsen und Werden. Nach irgendeiner Richtung umdenken ist ein langsamer, oft schwerer Lebensvorgang, der bis in die letzten Wurzeln des Seins greift, aber es fallen dabei wenigstens auch alle Mittellagen des ganzen, halben oder teilweisen Vergleichs mit irgendeinem Dogma. Diese sind als solche ausgewischt und weggenommen, und an ihre Stelle ist der wirkliche Lebenswert getreten, nicht die eingelernte Lehre, sondern das wirkliche Erleben. Das macht uns weit liberaler als die äußerste Linke und weit positiver als die äußerste Rechte. Das wird ja in beiden Lagern nicht verstanden, aber es schafft eine Ewigkeitsstellung. Mir scheint, es gibt nichts, was nicht von Grund aus umgedacht werden müßte.

Das Ende

Von Zeit ist im Vorstehenden keine Rede gewesen. Es ist alles durcheinander erzählt, wie's in Erinnerung und Feder floß. Vielleicht bemerkt mancher Leser eine gewisse sachliche Ordnung, wie sie sich in der Erinnerung ausgestaltet. Eine Lebensbeschreibung wollte ich nicht geben. Jeder, der Rabinowitsch gekannt hat, würde ganz anders erzählen und urteilen als ich. Was ich niederschreibe, hat nur persönlichen Wert, aber gibt vielleicht manchem Anlaß zum Nachdenken.

Wir hatten jahrelang nebeneinander gelebt, ohne uns nahe zu kommen. Ich versaß zuweilen Stunden in seinem Zimmer, aber jeder Besuch kostete mich Aufbietung aller Willenskraft. Der Mann war meinem Wesen zu fremd. Ich kann auch nicht sagen, daß er mir zunächst sehr angenehm war. Das eigentümlich Jüdische stieß mich lange sehr ab. Die Art, wie er als ganz selbstverständlich die Gojim behandelte, war mir gräulich. Wenn ich nicht innerlich eins gewesen wäre mit ihnen, hätte ich ihnen ihr Gold und Weihrauch an den Kopf geworfen und die Menge der Kamele aus Seba einfach nicht zugelassen. Aber Rabinowitsch dachte gar nicht an solches Zartgefühl. Er Verstands gar nicht. Er kannte nur den Wirklichkeitswert und nahm ihn, wo er ihn fand.

Wir saßen einmal in größerer Gesellschaft am Frühstückstisch. Man trug kalten Fisch auf, den sich jeder mit Essig und dergleichen würzen sollte. Rabinowitsch sah nachdenklich auf seinen Teller. Der Fisch ist eine gute Sache – meinte er dann – aber es gehört Senf und Salz und Essig dazu, ihn schmackhaft zu machen. Der Senf – und damit langte er tief in den Senftopf und ließ vor unsern Augen die goldgelbe Flüssigkeit niederträufeln – ist das Geld. Das sollen die Engländer dazu schaffen. Die Sache selber haben wir hier. Aber sie wird so schmackhafter.

Ich muß auch offen gestehen, daß ich ihm im Anfang lange Zeit nicht recht getraut habe. Ich glaube, ein Jude lacht unsereinen noch viel mehr aus, wenn man ihm vertraut, als er ohnehin heimlich über uns lästert und spottet. Ich würde nie einem Juden trauen. Ich glaube, daß Rabinowitsch mein Tun und Lassen nicht freundlich ansah. Mir erwuchsen zuweilen ganz unerklärliche Nöte und Schwierigkeiten mit der Polizei, die ich auf jüdische Quellen zurückfuhren mußte, die Rabinowitsch nicht ferne gestanden haben können und mir die ganze Schlauheit und Bosheit, deren Juden fähig sind, reichlich zu kosten gaben. Ich glaube auch, daß ich Rabinowitsch ebenso schwer war, wie er mir. Aber dann tat's ihm wieder wohl, jemand zu haben, dem er sich aussprechen konnte in allem Wechsel seiner Stimmungen, ohne Gerede befürchten zu müssen. Er hat manche Zornesschale vor mir ausgegossen, die ihm dann zur Erleichterung abgenommen war. Das war sein Nutzen, und mein Nutzen am Geschäft war die Gedankenwelt dieses klugen, klugen Mannes und die biblischen Wanderungen, die er mit mir unternahm.

Es war aber ein mühsamer Umgang bei dieser tiefgreifenden Verschiedenheit, in der wir durch Geburt, Erziehung, Volkstum und Geschmacksrichtung standen. Dazu war das Zusammensein eine furchtbare Anstrengung. Dieses wilde Sprachgewirr machte mir namentlich im Anfang viel Not. Russisch verstand ich noch gar nicht. Hebräisch sprechen die Juden ganz anders aus als die Christen, und welcher studierte Jüngling will überhaupt mit einem Juden im Hebräischen fortkommen? Und Rabinowitsch verlangte stets die gespannteste Aufmerksamkeit, erlaubte aber nie auch nur ein Wort dazwischen zu werfen. Bei dem leisesten Versuche, etwas zu sagen, erwiderte er: Hören Sie doch, was ich sage.

So lebten wir einige Jahre fremd nebeneinander. Ich fügte mich in mein Schicksal, und Rabinowitsch wurde mir eine Gewohnheit. Da geschah eines Tages etwas Unerhörtes. Ich besinne mich ganz genau auf den Augenblick. Wir saßen in seinem Garten hinter der neuerbauten Schule. Rabinowitsch hatte eben seine letzte Predigt erzählt, und ich dachte schon an baldigen Aufbruch. Da hielt er plötzlich inne im Reden, sah mich an und sagte: Was sagen Sie, Lhotzky? – Die Zumutung, etwas zu sagen, war bei ihm so ungeheuerlich, daß ich zunächst sprachlos war.

Dann sagte ich ihm, daß mir einige Gedanken gekommen seien über das eigentliche Wesen der Theologie, und daß ich sie in einsamen Stunden auf dem Lande draußen in der beßarabischen Steppe angefangen habe, niederzuschreiben. Ich wolle ihm einiges davon erzählen, wenn's ihn nicht langweile. Dann hörte er aufmerksam zu, was mir ganz neu war, und sagte schließlich: Is güt!

Seitdem durfte ich manchmal etwas sagen. Einmal bemerkte er: Es ist doch merkwürdig, daß wir Jahre so friedlich nebeneinander gelebt haben. Alle, die zu mir gekommen, sind nach kurzer Zeit im Streit weggegangen, und was ich von der hiesigen Mission erlebt habe, wissen Sie. Aber wir haben stets in Frieden gelebt.

Rabinowitsch antwortete nie auf Angriffe. Sie gingen ihm wohl nahe, aber er meisterte seinen Zorn in der Stille. Er fing auch nie mit jemand Streit an, aber an ihm wurde mancher zum Streit gereizt, namentlich war jeder verloren, der selbst gern eine Rolle spielen wollte. Solche konnten an Rabinowitsch zur Raserei gebracht werden. Dann sprach Rabinowitsch ihnen mit erhabener Ruhe seine Verwunderung aus, daß diese lieben Freunde so unerwartet und plötzlich ein andres Gesicht machten wie gestern und ehegestern. Sie verschwanden dann gewöhnlich bald von der Bildfläche. Es kamen namentlich einige Theologen angereist, meist jüdischer Abkunft, die sich für berufen hielten, bei Rabinowitsch das Pastorale Amt und die Verwaltung der Sakramente zu vertreten. Sie wurden alle freundlich und willfährig aufgenommen, aber ihrer keiner blieb lange.

Ich antwortete damals, daß ich unsern Frieden nicht als Verdienst, sondern ganz natürlich rechnen müsse. Alle, die gekommen seien, hätten an Rabinowitsch nur gewinnen wollen. Die meisten wollten Missionsberichte herausschlagen, die sie drucken lassen könnten, und die ihre Leser interessieren würden, als das Ergebnis ihrer Studien über die »Kischinewer Bewegung«, wie man damals sagte. Andre wollten ihre Urteilskraft erproben, indem sie den Irrtümern von Rabinowitsch in Wort und Wandel nachspürten, andre wollten neben und mit ihm berühmt werden. Denn Rabinowitsch selbst war schauderhaft berühmt geworden – nicht ganz ohne seine Schuld. Aber wir zwei konnten einander äußerlich weder nützen noch schaden. Wenn wir also verkehrten, geschah es nur vom Menschen zum Menschen, und als einfache Menschen konnten wir einander wirklich etwas sein. Ich hatte an ihm einen unerschöpflichen Quell von allerlei Weisheit, die nicht in Büchern steht, und er fand den einzigen Menschen, der ihm ohne Nebenabsichten nahte. Weil er sie alle durchschaute, lebte er in namenloser innerer Einsamkeit. Er klagte oft: Zu mir kommt niemand und sagt: Rabinowitsch, was tust du, wie geht's dir, wie fühlst du dich? Alle sehen in mir das Besondere. Sogar wenn sie mir Briefe schreiben, denken sie immer, sie müßten hebräische oder biblische Brocken mit hineinwerfen, um mir zu nützen oder sich selbst in der rechten Höhe darzustellen.

So fanden wir schließlich die Harmlosigkeit des Verkehrs, die er dankbar empfand. »Wir haben viele Bewundrer und viele Wohltäter, auch viele Feinde, aber nur einen Freund«, pflegte er zu sagen. Und so bliebt auch bis zum Ende.

In jener Zeit wagte ich's auch einmal, Rabinowitsch ein Buch zu bringen. Mich beschäftigten damals in der Steppeneinsamkeit die Zündelschen Bücher.

Es war nicht leicht, Rabinowitsch ein Buch zu bringen. Er bekam aus England große Kisten voll frommen Geschreibs. Jeder seiner Wohltäter fühlte sich verpflichtet, ihn mit christlichen Büchern zu versorgen. Ich traf ihn einmal, als er eben eine große Kiste ausgepackt hatte, und die prächtigen Einbände auf dem Tische geschichtet lagen. Er sah mich schweigend an und breitete wie segnend die Linke über den Haufen. Dann sagte er mit einem leichten Seufzer: Ich habe noch viel mehr!

Ein andres Mal hatten sie ihm eine Kiste voll hebräischer Spruchkärtchen geschickt. Es war aber eine sehr große Kiste mit vielen Tausenden solcher Kärtchen. Weil aber auf jedem noch irgendein buntes Blümchen oder dergleichen angebracht war, erklärten die Zöllner an der Grenze die Ware für zollpflichtig. Sie verlangten eine Kleinigkeit dafür. Aber Rabinowitsch hatte für dergleichen keine Kopeke übrig. Die Ware verfiel also dem Staate, und das Zollamt suchte sie irgendwie loszuschlagen. Da keine Liebhaber dafür da waren, bot man die Kiste um den Wert des Zolles der kleinen Kischinewer Missionsanstalt an. Diese nahm die Sache gern an, denn es wurde dort ein kleiner Verschleiß von hebräischen Bibeln und Neuen Testamenten, auch einzelnen Bibelteilen getrieben. Von da ab nahm dieser Handel ungeheure Ausdehnung an. Man wußte alljährlich zu berichten, daß man Bibeln, Neue Testamente, Bibelteile und »Exemplare christlicher Schriften« in so und soviel Tausenden verbreite. Diese »Exemplare« waren zum großen Teile die hebräischen Spruchkärtchen, die ausgestreut wurden, und die die Zahlen so anschwellen machten. Zahl ist alles, wenn man berichten muß.

Aber den Zündel hätte ich Rabinowitsch doch gern gebracht. Er hat ihn auch wirklich gelesen. Dann sagte er: »Der Mann hat Paulusen gut üntergehört. Ich wollte, er könnte so auch Duviden (David) oder die Rebijim (Propheten) ünterhören.« Zündel wurde von der Theologie wie in stillschweigendem Uebereinkommen völlig totgeschwiegen. Man wußte einfach nichts mit ihm aufzustellen. Es ist sehr bezeichnend, daß er der einzige war, der vor diesem Judenkinde Gnade fand. Er war ein biblisch denkender Mann. Das ist etwas ganz ungeheuer Seltenes. Neuerdings scheint Zündel Mode zu werden. Das hat er nicht verdient. Zündel ist für ernste, besinnliche Menschen eine Quelle frischen Lebens, aber zu schade, eine geistliche Mode einzuleiten.

Ich erinnere mich außerdem eines Engländers, den Rabinowitsch erwähnte. Es war die Jesajasauslegung von Smith. »Wenn Sie das könnten im Deutschen werden, was der Smith im Englischen ist!« sagte er zu mir. Ich verschrieb mir sofort das merkwürdige Buch. Seitdem stehen zwei schöne blaue Bände in meiner Bücherei » The Book of Isajah by the Rev. George Adam Smith.« Sie gehören zu einem Bibelwerk » The expositors Bibel«, herausgegeben von W. Robertson. Wenn's nur nicht so schwer wäre, Bücher zu lesen, wären die beiden Bände längst aufgeschnitten.

Leider währte dieser nähere Umgang mit Rabinowitsch nicht allzulange. Ich verließ bald darauf Beßarabien und wohnte viele Jahre in der Krim. Es war ein oft ausgesprochener Wunsch von ihm, mich dorr zu besuchen, doch kam er nicht zur Ausführung. Aber alljährlich zum 12. März, seinem Tauftage, schrieb oder telegraphierte ich wenigstens. Er wartete darauf und bemerke es, wenn der Brief zu spät eintraf. Einmal hatte ich's vergessen und dachte erst im Mai daran, setzte mich sofort hin und schrieb: Was werden Sie von mir denken, aber ich hab's dieses Jahr vergessen, Ihnen zu schreiben. Darauf kam wendend die Antwort: Nicht umsonst haben Sie es vergessen. Ich war krank und in Italien und kam wieder an dem Tage, als Ihr Brief eintraf.

Wenige Tage darauf kam die Todesanzeige. Ich weiß nicht, wer ihn begraben hat. Die Regierung hatte ihm ja eine Begräbnisstätte zuerteilt. Wer mag ihn aber begraben haben? Seit er weder sich noch seine Familie hatte lutherisch taufen lassen, wartete der lutherische Pastor auf diesen Augenblick: Wer wird ihn begraben? Es gibt keinen Geistlichen dieser Konfession. Die Russen werdend nicht tun, wenigstens nicht in jenem Garten. So muß also doch der lutherische Pastor aushelfen! Leider war der hochwürdige Herr gerade auf Wochen verreist, so daß er den interessanten Fall nicht in seinem Bericht verwerten konnte. Mich interessiert die Frage nicht. Es wäre mir nicht schwer gewesen, den Tatbestand festzustellen.

Ein anderes hat mich tief beschäftigt: Was bedeutete dieses Leben? Eine Empfindung habe ich, aber keine Worte dafür. Von irgendwelchen Erfolgen, die sich zahlenmäßig darstellen ließen, kann keine Rede sein. Ich halte das für einen Vorzug. Zwar hat mir Rabinowitsch in traulichen Stunden manches erzählt, was andre als Riesenerfolge ausposaunt hätten. Er schwieg darüber und sagte: Es gehört nicht in diese Welt. Ich werde auch drüber schweigen. Fremde Juden kamen und gingen, wenn er predigte. Mit den wenigsten wurde er bekannt. Der echte Jude ist überaus scheu in seinem geistlichen Denken. Er verbirgt Jahre hindurch, was ihn innerlich beschäftigt. Was so kommt und religiöse Geschwätze führt, ist oft nur der Auswurf. Den mied Rabinowitsch ängstlich. Die echten Leute kamen ihm wenig zu Gesicht. So kann man ihm keine Erfolge nachrechnen. Wozu auch? Was geht's uns an? Gott weiß es, der diesem Manne diese eigenartige, anscheinend so kleine Aufgabe zuwies, eine rufende Stimme zu sein: Jesus ist der Messias. Das sagen und schreiben und drucken sie freilich alle, und noch viel, viel mehr als das wissen sie von sich zu geben. Darum haben sie auch von so viel Erfolgen zu berichten. Aber ich weiß aus eigner Anschauung, daß diese kleine Aufgabe zu erfüllen sehr schwer war, und alle Kräfte eines starken Seins dazu gehörten. Ich glaube, Rabinowitsch starb in dem Augenblicke, als es über ihm hieß: Er hat ausgerichtet, was er sollte. Mir war dieses Sterben des sehr rüstigen Mannes außerordentlich verwunderlich. Nach menschlicher Rechnung hätte er noch viele Jahre leben können.

Was wird aus seiner Schule, seiner Sache geworden sein? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich wird alles anscheinend im Sande verlaufen. Aber ich bin innerlich doch froh, daß diese Wüstenstimme einmal gehört worden ist. Mir kommt's vor wie ein freundliches Zeichen des Friedens in unsrer großen Zeit, die wir erleben, wenn's auch viele nicht merken.

Seit es Rabinowitsch gelungen war, sich ganz von allen Missionszusammenhängen zu lösen, hatte auch seine Berühmtheit nachgelassen. Er freute sich dran. Es war, als würde eine alte Schuld getilgt. Auch sonst fiel mancherlei von ihm herunter, was mir früher schwer war. Er verlor den schlauen Ausdruck, und es kam etwas wie Friede und Klarheit, auch große Freudigkeit über sein ganzes Wesen, was sich auch äußerlich auf ihm ausprägte. Eine eigenartige, merkwürdige, unaussprechliche Herzensfreude leuchtete auch sonst oft aus seinem Wesen. Es war, als genieße er ein inneres Schauen, das ihn jauchzen machte. Auch der große Zorn, der oft aufflammte und bei jedem, der ihn hat, ein starkes, volles Empfindungsvermögen anzeigt, wurde später immer mehr in überaus große Freude verkehrt. Er freute sich an Gott, er freute sich am Messias. Davon ging oft sein Mund über, und man merkte, daß es Wahrheit war.

Wenn er sich zu Tisch setzte, sah er die Seinen an und sprach ganz frei einige Worte des Lobes und Dankes für allgemeines und besonderes Gute, das ihnen von Gott widerfahren. Er faltete dazu nicht die Hände, aber es war der natürliche Ausdruck der guten Stimmung, in die einen gesunden Menschen ein bereitetes Mahl versetzt. Dann wurde ihm als Vorspeise ein wenig Knoblauch gereicht. Ich saß selten, aber gern in diesem jüdischen Familienkreis. Juden haben unter sich eine große Behaglichkeit, aber es gelingt wohl wenigen, in dieses Vertrauen hineingezogen zu werden.

Was mir am meisten an Rabinowitsch auffiel, war das Eigenständige in seiner ganzen Entwicklung. Er wurde und wuchs vor unsern Augen, aber die Kräfte dazu schöpfte er aus einem verborgenen Sein, über das wir keine Macht hatten, das wir nicht überwachen konnten. Er wandelte sich beständig. Auch darin stand er in einem eigenartigen Gegensatz zu seinem nicht unbedeutenden lutherischen Gegner, dem Kischinewer deutschen Stadtpastor. Dieser war gestaltet wie ein Engel des Lichts. Eine lange, weiße Mähne umwallte wie ein Heiligenschein sein farbenfrisches Antlitz. Wenn er redete, geschah es nur in herzlicher, lieblicher, sanfter, milder Weise, und wenn er predigte, weinte er die halbe Predigt vor Rührung. Um ihn säuselte lauter Liebe. Aber er wurde nicht. Er war so, wie er sich's einmal in jungen Jahren angewöhnt hatte und war nie dazu gewachsen. Aus seinen Predigten und seinen geistlichen Gesprächen hörte man noch unschwer seine akademischen Lehrer heraus, die ihm alle diese Weisheit einmal kollegienheftmäßig beigebracht hatten, aber etwas Selbständiges schien nie dazu gekommen zu sein in einem mehr als 30jährigen Amtsleben. Rabinowitsch, der nichts weniger als einen frisierten, erbaulichen oder gemachten Eindruck machte, war jedes Jahr ein anderer. Er wuchs.

Es war, als wäre irgendwie bei ihm der Brennpunkt des wahren Seins getroffen und käme nun in vollständiges Leuchten und Glühen, und das ganze Wesen würde allmählich in dieses Glühen hineingezogen und komme ins Ausschmelzen. Was tat's da, ob viel oder wenig umgeschmolzen war? Dem lutherischen Pastor hätte man eine Lüge nie verzeihen können. Die wäre ja ewig liegen geblieben bei diesem fertigen Heiligen. Rabinowitsch konnte man alles verzeihen. Er war ja ein armer Jud, der immer weiter wuchs und alle Schäden verwachsen konnte. Und alles kam bei ihm in Werdefluß.

Als wir zum letzten Male beisammen waren, fiel mir die große friedliche Ruhe auf, die ihn durchgeistigte und verklärte. Er war viel milder geworden. Es war, als müßte man bald auch das letzte Unebene herabfallen sehen. An Rabinowitsch ist mir immer der Gedanke gekommen: Wie war's, wenn bei jedem Juden der Punkt gefunden würde, von dem aus Leben sprießen und den ganzen Menschen durchwachsen könnte! Wo bliebe dann wohl der Rassenhaß! Das unangenehme jüdische Wesen kann doch weiter nichts sein als ein äußerer Erbbehang, der sich nur so lange halten kann, bis der Lebenspunkt geweckt ist. Dann wächst es sich aus. Es wurde mir schließlich gar nicht schwer, den Juden überhaupt daraufhin anzusehen, wie er wohl sein würde, wenn die Rassezufälligkeiten abfielen. Das gab ein überraschendes, erfreuliches Bild, das sich da vor dem geistigen Auge auftat. Ein Bild, das das Volk liebenswert erscheinen ließ, wenn die Vergänglichkeit fiel, und der Ewigkeitswert hervortrat. Was ich an diesem Manne erlebt, war zweifellos eine Weissagung auf die Zukunft.

Deutschland und Juda

Die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft sollen aber die Wirklichkeit der Gegenwart in keiner Weise verschleiern und keine vorzeitige Friedensschalmei sein. Ein arischer Mensch kann ja ein Zukunftsbild erschauen wie die Saga in der Edda, er muß aber auch wissen, welche Zeit heute ist und darf sich durch Zukünftiges nicht blenden lassen.

So viel war mir ganz klar. Das Denken von Rabinowitsch war keine Aussöhnung zwischen Judentum und Christentum, in seiner Person lag erst recht nichts Aussöhnendes zwischen Jude und Deutschem. Ich konnte ihn lieben als Deutscher, er nannte mich auch seinen Freund. Das kann man ja tun und klingt nett. Aber im tiefsten Herzen verachtete er mich doch ebenso wie alle Gojim. Ein mir sehr befreundeter Jude aus Galizien, der einmal mein Gast war, nannte mich überall in jüdischen Kreisen den Obergoi. Zu mir sagte er natürlich auch Freund. Im jüdischen Blute – nicht nur im Denken – liegt das Dogma vom auserwählten Volke, dem alle Gojim zinspflichtig zu sein haben. So wie das deutsche Blut, wenn es nur leidlich rein erhalten ist, von arischem Weistum redet, geradeso redet das jüdische Blut von der Weltherrschaft, die zu erlangen jedes Mittel recht ist.

Demnach ist der Jude der alleinige Herr und Gebieter über alles und alle in der Welt. So ist auch sein Gottesbegriff. Sein Gott gibt ihm Gnade, daß er sein Wirtsvolk (damals die Aegypter) um ihre silbernen und goldenen Geräte betrügen kann. Natürlich. Sie sind ja im Grunde sein Eigentum. Sein Gott ermächtigt ihn zu einem schwunghaften Knaben, und Mädchenhandel als Rache an seinen Feinden (Joel 4, 8). Das übt er ja auch reichlich aus. Darum ist es ihm ganz unvorstellbar, daß er irgendein anderes Volk als annähernd gleichberechtigt ansehen sollte. Warum wurde Paulus von den Juden so maßlos gehaßt und verfolgt? Aus Neid, wie Lukas immer wieder unterstreicht. Weil Paulus lehrte, Gott habe den Gojim die Tür des Glaubens aufgetan. Jede Lehre hätte sich das Judentum allenfalls gefallen lassen, aber diese nicht. Das darf der Judengott nicht tun, denn wir sind seine Auserwählten. Wer zu ihm will, muß erst Jude werden. Dann allenfalls.

Wir kennen diesen Gott gar nicht, lesen ihn auch nicht aus der Bibel heraus. Solche Stellen fallen uns überhaupt nicht auf, weil wir in diese Schriften unfern germanischen Gottesbegriff hineingelesen haben und darüber all das Fremde gar nicht beachten. Der Jude aber liest wortwörtlich heraus, was buchstäblich dasteht, und ist also das auserwählte unvergleichliche Volk.

Dieser Gedanke spukt auch in der Apostel Köpfen. Ihm galt das erste Kirchenkonzil, der sogenannte Apostelkonvent in Jerusalem, aber er hat die Sache nicht reinlich entschieden. Jakobus, der Maßgebende, konnte das gar nicht verstehen. Dazu war er viel zu sehr Jude. Aber Paulus hat es verstanden. Darum nannte er sich »den« Knecht und Boten Jesu Christi.

Wenn nun weder die Apostel noch Geister wie Rabinowitsch das verstanden – warum soll es die Masse der heutigen Juden verstehen? Wir sind ihnen nach göttlichem Recht Ausbeutungsobjekt und weiter nichts. Uns auszubeuten ohne Gnade ist geradezu eine religiöse Handlung. Niemals können sie uns nur als gleichberechtigt ansehen. Wenn sie schreien: gleiches Recht für alle, so meinen sie doch nur, daß sie uns gleichstehen wollen, nimmermehr aber wir ihnen. Das ist gerade so, wie wenn die Jesuiten ihren famosen Toleranzantrag stellten. Jawohl, wir sollen ihnen Toleranz gewähren, bis sie die Herrschaft haben über unser Volk. Aber dann denken sie doch nicht dran, gegen uns tolerant zu sein!

Die Juden zetern über den Antisemitismus. Nun, wer ist bei uns Antisemit? Ein kleines Häuflein Menschen, die die Augen offen haben. Ich gehöre nicht einmal dazu. Aber wer ist bei den Juden Antigermanist? – Alle bis auf den letzten Mann. Sie können und dürfen gar nicht anders. Sie zetern und jammern, wenn die Antisemiten sich zusammentun gegen die Juden, aber sie sind als solche eine Zusammenrottung wider alle Völker, wo sie Gäste sind und zwar von Gottes und Rechts wegen. Sie werden uns nie ein Fünkchen Gleichberechtigung gewähren, sobald sie die Macht ganz in der Hand haben, wozu anscheinend nicht viel fehlt. Denn wir sind die Gojim, sie allein das auserwählte Volk. Also müssen sie uns bekämpfen, und da der Michel manchmal fest auftreten und gelegentlich den Kopf zertreten könnte, wählen sie das einfachere Mittel und geben den Dolchstoß von hinten, lauern überall die Achillesferse aus, und da stechen sie hinein.

So liegen die Sachen, und da ist nichts dran zu drehen und zu deuten. Es gehört die ganze Harmlosigkeit des deutschen Volkes dazu, das nicht zu sehen, und womöglich Friedensschalmeien zu blasen, um den Feind nicht zu sehr zu erzürnen. Geradeso wie der gute Bethmann seinerzeit den Ubootkrieg abbaute, um die Engländer nicht zu böse zu machen. Das sind alles Dummheiten, von denen man manchmal denken könnte, daß es am Ende bestellte, vielleicht auch bezahlte Arbeit ist. Denn in Wirklichkeit geht es um Sein oder Nichtsein.

Dem Erzvater Jakob ist einmal eine Verheißung gegeben worden, die wirklich wörtlich in Erfüllung gegangen ist. Es ist ihm gesagt worden: Dein Same soll werden wie der Staub auf Erden. So ist's auch geworden. Was tut denn der Staub? Es gibt kein Loch und keinen noch so seinen Ritz, wo der Staub nicht hineinkriecht, und wer nicht unausgesetzten Kampf mit dem Staube führt, der wird bald in einem Hundestall sitzen und untermenschlich besudelt sein. Das ist das Schicksal aller Völker, die gegen den Staub nicht auf der Hut sind. Staub muß zertreten werden und muß draußen bleiben, und ob er gleich täglich durch jeden Ritz wieder hereinstrebt, nachdem er hundertmal hinausgeworfen ist, ist es die heiligste Menschenpflicht, sich seiner zu erwehren, wenn er nicht im Staube verkommen und Staub schlucken will. Der Sand am Meere muß am Meere bleiben. Wenn er ins Land eindringt, verdirbt er's und macht es unfruchtbar. Das scheinen die Völker nicht zu wissen. Dem Abraham war auch gesagt, wie die Sterne am Himmel solle sein Same sein. Würden die Sterne auf die Erde kommen, so würde einer genügen, sie zu vernichten. Alles das ist den Völkern gesagt, daß sie aufmerken und sich hüten sollen. Wenn sie die klaren Zeugnisse der Bibel mißachten, dürfen sie sich nicht wundern, wenn sie überwältigt und besudelt werden. Das kann dann für beide Teile sehr übel ausgehen.

Ich könnte mir schon denken, daß es gelegentlich zu urwüchsigen Wutausbrüchen käme angesichts des unausgesetzten jüdischen Drängens und Schleichens. Ich glaube nur nicht, daß sie eine Befreiung herbeiführen können. Wenn sie aber kommen, soll man nicht antisemitische Hetzarbeit und Wühlerei verantwortlich machen, sondern den unablässigen, mit allen Kräften der Lüge und des Betrugs geführten Beutekrieg Judas. Wir bedürfen aber solcher Mittel nicht. Wir haben andere, bessere Mittel, aber unsere Waffen werden einstweilen noch bewacht von den Weisen unseres Volks. Sie werden ausgeteilt werden, wenn es Zeit ist. Die Befreiung wird dann in kürzester Frist erfolgen und kann ohne Blutvergießen geschehen.

Wir müssen übrigens, um die Frage auch von der andern Ebene aus zu verstehen, uns eine eigenartige kleine Geschichte deutlich machen. Der Leser braucht sie mir nicht zu glauben, aber ich werde sie doch erzählen.

Der Kampf, der heute die Völker bewegt oder meistens nicht erregt, hat sich einmal abgespielt in der Seele eines einzelnen Menschen. Der sah den Neid und das ganze Unvermögen der Juden, denn er war selbst einer, und dieser Gegensatz zwischen Wirklichkeit und Wahrheit zermarterte ihn und machte ihm bis in das Körperliche hinein zu schaffen. Da kam er auf einen ungeheuerlichen Gedanken, den man gar nicht nachdenken kann. Er trat vor Gott hin und sagte, er solle ihn verdammen und keinen Teil am Christus haben lassen, aber er solle dafür die Juden zur Vernunft und ins Leben bringen. Es war namentlich aus seinem Munde ein entsetzlicher Gedanke. Der Gott der Rache soll ein Opfer schlucken, um dann gegen Strafwürdige nachsichtig zu sein. Na ja, er ist manchmal in christlichen Kreisen ausgesprochen worden. Aber damals war's dem Manne heiliger Ernst.

Und dieses vermessene Gebet wurde erhört. Etwas anders als der Beter dachte, wie das öfters vorkommt, aber doch. Der Mann wurde verdammt, den ganzen Haß der Juden zu tragen, nicht nur der Ungetansten, auch der Getauften. Sie bleiben ja immer Juden. Man kann wohl sagen, er hatte keine ruhige Stunde mehr im Leben, außer wenn man ihn in den Kerker gelegt hatte. Das war seine Verdammnis. Aber außerdem wurde ihm ein Geheimnis gesagt, das bis heute Geheimnis ist. Es wäre aber gut, wenn's endlich verstanden würde. Und das war seine Seligkeit. Der Zustand, in dem sich die Juden befinden, ist von Gott beabsichtigt und über sie verhängt. Sie können gar nicht anders, als sie sind. Daran kann kein Mensch irgend etwas ändern. Nicht einmal eine Einrichtung wie der Völkerbund, der ja nur ein jüdischer Haßbund zunächst gegen die Deutschen ist, mit dem alle Völker eingeseift sind, in dem aber jedes von ihnen noch drankommen soll. Das Volk ist wirklich auserwählt, aber zur Schande, zur Bosheit, zum Gericht, zur Unfähigkeit des Glaubens. Unfähigkeit zum Glauben ist zugleich die völlige Unfähigkeit zu höherem Leben und zum Verstehen der eigentlichen Weisheit. Dieses Nichtkönnen ist aber rassisch ausgedrückt das Merkmal des Niederrassentums, und darum muß die »reine« Rasse zu den niederen Rassen gerechnet werden. Die höheren haben also vor allem nötig, ihr Blutgewissen zu schärfen. Jeder, der darin sündigt, verfällt ohne Gnade mit allen seinen Nachkommen dem Niederrassentum. Das Blutgewissen zu schärfen ist wichtiger als auf Mord und Totschlag zu sinnen. Dieses nützt gar nichts, jenes sehr viel.

Das Gericht des Nichtkönnens soll aber nicht ewig währen. Auch hier wird eine Stunde der Erlösung schlagen. Zu allerletzt, wenn die Gojim ihren Sieg erfochten haben, soll auch der Juden Gefängnis geöffnet werden, und sie dürfen auch ans Licht. Darin besteht die Auserwählung.

Wenn uns nun Gott feierlich durch dieses eigenartigen Mannes Gesicht sagen läßt, daß sie verschlossen sind unter das Gericht und ganz unfähig herauszukommen: sollte er uns da nicht auch sagen lassen, wenn die Stunde der Befreiung schlägt? Es folgt daraus, daß wir uns von dieser Völkerseuche niemals mit Gewaltmaßregeln befreien könne». Eine Skuld – das lehrt schon die armanische Weisheit – läßt sich niemals abwenden. Die Skuld trifft nicht nur die Juden, sondern auch die Völker. Bei uns wären die Juden niemals aufgekommen, wenn wir unserer armanischen Weisheit gefolgt wären. Wenn wir aber mit ihrer Hilfe unsere ehrlichen armanischen Wappen vergolden, Goldwährung einführen und ihre Ratschläge zur Regierung einholen, wie Bismarck und die Hohenzollern taten, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn es kam, wie es kam. Das trifft übrigens nicht nur die Deutschen. Heute hat jeder Machthaber bei unsern Feinden seinen jüdischen Vertrauensmann, Generalsekretär oder Aufpasser, und keiner darf etwas unternehmen, was von diesen »Vertrauensmännern«, die natürlich unter sich in geheimer Verbindung stehen und von unsichtbaren Oberen ihre Weisungen bekommen, nicht gebilligt wird. Das ist aber das, was den Interessen des auserwählten Volkes widerspricht.

Wir brauchten uns nur die Sache klar zu machen, wie sie ist, dann wäre es gar nicht schwer, für uns ein Heilmittel zu finden.

Wir können außerdem versichert sein, daß Gott, der bestimmte Leute wehrlos in Ketten gebunden hat, nicht zugeben wird, daß sie in diesem Zustande von irgend jemandem totgeschlagen werden. Nein, sie werden schon bewahrt, aber andre Leute sollen sich auch vor ihnen bewahren.

Den Staub kann man auch nicht ausrotten, man kann ihn aber in rechter Zucht und Ordnung halten.

Endlich dürfen wir aber als die wirklich Leidtragenden erwarten, daß uns auch gesagt wird, wenn die Stunde der Befreiung schlägt. Dann meinetwegen singt Friedenslieder, aber bis dahin seid auf der Hut, daß die in Finsternis Gefesselten nicht euer Licht auslöschen. Bis heute hat diese Stunde noch nicht geschlagen.

Das habe ich bei Josef Rabinowitsch gelernt, und das Leben hat es mir bestätigt.


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