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Fünfter Aufzug

Erster Auftritt

Das Zimmer der Sara.

Sara (schwach in einem Lehnstuhle). Betty.

Betty. Fühlen Sie nicht, Miß, daß Ihnen ein wenig besser wird?

Sara. Besser, Betty? Wenn nur Mellefont wiederkommen wollte. Du hast doch nach ihm ausgeschickt?

Betty. Norton und der Wirt suchen ihn.

Sara. Norton ist ein guter Mensch, aber er ist hastig. Ich will durchaus nicht, daß er seinem Herrn meinetwegen Grobheiten sagen soll. Wie er es selbst erzählte, so ist Mellefont ja an allem unschuldig. Nicht wahr, Betty, du hältst ihn auch für unschuldig Sie kömmt ihm nach; was kann er dafür? Sie tobt, sie raset, sie will ihn ermorden. Siehst du, Betty? dieser Gefahr habe ich ihn ausgesetzt. Wer sonst als ich? Und endlich will die böse Marwood mich sehen oder nicht eher nach London zurückkehren. Konnte er ihr diese Kleinigkeit abschlagen? Bin ich doch auch oft begierig gewesen, die Marwood zu sehen. Mellefont weiß wohl, daß wir neugierige Geschöpfe sind. Und wenn ich nicht selbst darauf gedrungen hätte, daß sie bis zu seiner Zurückkunft bei mir verziehen sollte, so würde er sie wieder mit weggenommen haben. Ich würde sie unter einem falschen Namen gesehen haben, ohne zu wissen, daß ich sie gesehen hätte. Und vielleicht würde mir dieser kleine Betrug einmal angenehm gewesen sein. Kurz, alle Schuld ist mein. Je nun, ich bin erschrocken; weiter bin ich ja nichts? Die kleine Ohnmacht wollte nicht viel sagen. Du weißt wohl, Betty, ich bin dazu geneigt.

Betty. Aber in so tiefer hatte ich Miß noch nie gesehen.

Sara. Sage es mir nur nicht. Ich werde dir gutherzigen Mädchen freilich zu schaffen gemacht haben.

Betty. Marwood selbst schien durch die Gefahr, in der Sie sich befanden, gerühret zu sein. So stark ich ihr auch anlag, daß sie sich nur fortbegeben möchte, so wollte sie doch das Zimmer nicht eher verlassen, als bis Sie die Augen ein wenig wieder aufschlugen und ich Ihnen die Arzenei einflößen konnte.

Sara. Ich muß es wohl gar für ein Glück halten, daß ich in Ohnmacht gefallen bin. Denn wer weiß, was ich noch von ihr hätte hören müssen. Umsonst mochte sie mir gewiß nicht in mein Zimmer gefolgt sein. Du glaubst nicht, wie außer mir ich war. Auf einmal fiel mir der schreckliche Traum von voriger Nacht ein, und ich flohe als eine Unsinnige, die nicht weiß, warum und wohin sie flieht. Aber Mellefont kömmt noch nicht. Ach!

Betty. Was für ein Ach, Miß? Was für Zuckungen?

Sara. Gott! was für eine Empfindung war dieses

Betty. Was stößt Ihnen wieder zu?

Sara. Nichts, Betty. Ein Stich! nicht ein Stich, tausend feurige Stiche in einem! Sei nur ruhig; es ist vorbei.

Zweiter Auftritt

Norton. Sara. Betty.

Norton. Mellefont wird den Augenblick hier sein.

Sara. Nun, das ist gut, Norton. Aber wo hast du ihn noch gefunden?

Norton. Ein Unbekannter hat ihn bis vor das Tor mit sich gelockt, wo ein Herr auf ihn warte, der in Sachen von der größten Wichtigkeit mit ihm sprechen müsse. Nach langem Herumführen hat sich der Betrüger ihm von der Seite geschlichen. Es ist sein Unglück, wo er sich ertappen läßt; so wütend ist Mellefont.

Sara. Hast du ihm gesagt, was vorgegangen?

Norton. Alles.

Sara. Aber mit einer Art

Norton. Ich habe auf die Art nicht denken können. Genug, er weiß es, was für Angst Ihnen seine Unvorsichtigkeit wieder verursacht hat.

Sara. Nicht doch, Norton; ich habe mir sie selbst verursacht.

Norton. Warum soll Mellefont niemals unrecht haben? Kommen Sie nur, mein Herr; die Liebe hat Sie bereits entschuldiget.

Dritter Auftritt

Mellefont. Norton. Sara. Betty.

Mellefont. Ach, Miß, wenn auch diese Ihre Liebe nicht wäre

Sara. So wäre ich von uns beiden gewiß die Unglücklichste. Ist Ihnen in Ihrer Abwesenheit nur nichts Verdrießlichers zugestoßen als mir, so bin ich vergnügt.

Mellefont. So gütig empfangen zu werden, habe ich nicht verdient.

Sara. Verzeihen Sie es meiner Schwachheit, daß ich Sie nicht zärtlicher empfangen kann. Bloß Ihrer Zufriedenheit wegen wünschte ich, mich weniger krank zu fühlen.

Mellefont. Ha, Marwood, diese Verräterei war noch übrig! Der Nichtswürdige, der mich mit der geheimnisvollsten Miene aus einer Straße in die andre, aus einem Winkel in den andern führte, war gewiß nichts anders als ein Abgeschickter von ihr. Sehen Sie, liebste Miß, diese List wandte sie an, mich von Ihnen zu entfernen. Eine plumpe List, ohne Zweifel; aber eben weil sie plump war, war ich weit davon entfernt, sie dafür zu halten. Umsonst muß sie so treulos nicht gewesen sein! Geschwind, Norton, geh in ihre Wohnung; laß sie nicht aus den Augen, und halte sie so lange auf, bis ich nachkomme.

Sara. Wozu dieses, Mellefont? Ich bitte für Marwood.

Mellefont. Geh!

(Norton geht ab.)

Vierter Auftritt

Sara. Mellefont. Betty.

Sara. Lassen Sie doch einen abgematteten Feind, der den letzten fruchtlosen Sturm gewagt hat, ruhig abziehen. Ich würde ohne Marwood vieles nicht wissen

Mellefont. Vieles? Was ist das Viele?

Sara. Was Sie mir selbst nicht gesagt hätten, Mellefont. Sie werden stutzig? Nun wohl, ich will es wieder vergessen, weil Sie doch nicht wollen, daß ich es wissen soll.

Mellefont. Ich will nicht hoffen, daß Sie etwas zu meinem Nachteile glauben werden, was keinen andern Grund hat als die Eifersucht einer aufgebrachten Verleumderin.

Sara. Auf ein andermal hiervon! Warum aber lassen Sie es nicht das erste sein, mir von der Gefahr zu sagen, in der sich Ihr kostbares Leben befunden hat? Ich, Mellefont, ich würde den Stahl geschliffen haben, mit dem Sie Marwood durchstoßen hätte

Mellefont. Diese Gefahr war so groß nicht. Marwood ward von einer blinden Wut getrieben, und ich war bei kaltem Blute. Ihr Angriff also mußte mißlingen Wenn ihr ein andrer, auf der Miß Sara gute Meinung von ihrem Mellefont, nur nicht besser gelungen ist! Fast muß ich es fürchten Nein, liebste Miß, verschweigen Sie mir es nicht länger, was Sie von ihr wollen erfahren haben.

Sara. Nun wohl. Wenn ich noch den geringsten Zweifel an Ihrer Liebe gehabt hätte, Mellefont, so würde mir ihn die tobende Marwood benommen haben. Sie muß es gewiß wissen, daß sie durch mich um das Kostbarste gekommen sei; denn ein ungewisser Verlust würde sie bedächtiger haben gehen lassen.

Mellefont. Bald werde ich also auf ihre blutdürstige Eifersucht, auf ihre ungestüme Frechheit, auf ihre treulose List einigen Wert legen müssen! Aber, Miß, Sie wollen mir wieder ausweichen und mir dasjenige nicht entdecken

Sara. Ich will es; und was ich sagte, war schon ein näherer Schritt dazu. Daß mich Mellefont also liebt, ist unwidersprechlich gewiß. Wenn ich nur nicht entdeckt hätte, daß seiner Liebe ein gewisses Vertrauen fehle, welches mir ebenso schmeichelhaft sein würde als die Liebe selbst. Kurz, liebster Mellefont Warum muß mir eine plötzliche Beklemmung das Reden so schwer machen? Ich werde es schon sagen müssen, ohne viel die behutsamste Wendung zu suchen, mit der ich es Ihnen sagen sollte. Marwood erwähnte eines Pfandes, und der schwatzhafte Norton vergeben Sie es ihm nur nannte mir einen Namen, einen Namen, Mellefont, welcher eine andre Zärtlichkeit bei Ihnen rege machen muß, als Sie gegen mich empfinden

Mellefont. Ist es möglich? Hat die Unverschämte ihre eigne Schande bekannt? Ach, Miß, haben Sie Mitleiden mit meiner Verwirrung. Da Sie schon alles wissen, warum wollen Sie es auch noch aus meinem Munde hören? Sie soll nie vor Ihre Augen kommen, die kleine Unglückliche, der man nichts vorwerfen kann als ihre Mutter.

Sara. Sie lieben sie also doch?

Mellefont. Zu sehr, Miß, zu sehr, als daß ich es leugnen sollte.

Sara. Wohl! Mellefont. Wie sehr liebe ich Sie, auch um dieser Liebe willen! Sie würden mich empfindlich beleidiget haben, wenn Sie die Sympathie Ihres Bluts aus mir nachteiligen Bedenklichkeiten verleugnet hätten. Schon haben Sie mich dadurch beleidiget, daß Sie mir drohen, sie nicht vor meine Augen kommen zu lassen. Nein, Mellefont; es muß eine von den Versprechungen sein, die Sie mir vor den Augen des Höchsten angeloben, daß Sie Arabellen nicht von sich lassen wollen. Sie läuft Gefahr, in den Händen ihrer Mutter ihres Vaters unwürdig zu werden. Brauchen Sie Ihre Rechte über beide, und lassen Sie mich an die Stelle der Marwood treten. Gönnen Sie mir das Glück, mir eine Freundin zu erziehen, die Ihnen ihr Leben zu danken hat; einen Mellefont meines Geschlechts. Glückliche Tage, wenn mein Vater, wenn Sie, wenn Arabella meine kindliche Ehrfurcht, meine vertrauliche Liebe, meine sorgsame Freundschaft um die Wette beschäftigen werden! Glückliche Tage! Aber ach! sie sind noch fern in der Zukunft. Doch vielleicht weiß auch die Zukunft nichts von ihnen, und sie sind bloß in meiner Begierde noch Glück! Empfindungen, Mellefont, nie gefühlte Empfindungen wenden meine Augen in eine andre Aussicht! Eine dunkle Aussicht in ehrfurchtsvolle Schatten! Wie wird mir? (Indem sie die Hand vors Gesicht hält.)

Mellefont. Welcher plötzliche Übergang von Bewundrung zum Schrecken! Eile doch, Betty! Schaffe doch Hilfe! Was fehlt Ihnen, großmütige Miß! Himmlische Seele! Warum verbirgt mir diese neidische Hand (indem er sie wegnimmt) so holde Blicke? Ach, es sind Mienen, die den grausamsten Schmerz, aber ungern, verraten! Und doch ist die Hand neidisch, die mir diese Mienen verbergen will. Soll ich Ihre Schmerzen nicht mitfühlen, Miß? Ich Unglücklicher, daß ich sie nur mitfühlen kann! Daß ich sie nicht allein fühlen soll! So eile doch, Betty

Betty. Wohin soll ich eilen?

Mellefont. Du siehst und fragst? nach Hilfe!

Sara. Bleib nur! Es geht vorüber. Ich will Sie nicht wieder erschrecken, Mellefont.

Mellefont. Betty, was ist ihr geschehen? Das sind nicht bloße Folgen einer Ohnmacht.

Fünfter Auftritt

Norton. Mellefont. Sara. Betty.

Mellefont. Du kömmst schon wieder, Norton? Recht gut! Du wirst hier nötiger sein.

Norton. Marwood ist fort

Mellefont. Und meine Flüche eilen ihr nach! Sie ist fort? Wohin? Unglück und Tod und, wo möglich, die ganze Hölle möge sich auf ihrem Wege finden! Verzehrend Feuer donnre der Himmel auf sie herab, und unter ihr breche die Erde ein, der weiblichen Ungeheuer größtes zu verschlingen!

Norton. Sobald sie in ihre Wohnung zurückgekommen, hat sie sich mit Arabellen und ihrem Mädchen in den Wagen geworfen und die Pferde mit verhängtem Zügel davoneilen lassen. Dieser versiegelte Zettel ist von ihr an Sie zurückgeblieben.

Mellefont (indem er den Zettel nimmt). Er ist an mich. Soll ich ihn lesen, Miß?

Sara. Wenn Sie ruhiger sein werden, Mellefont.

Mellefont. Ruhiger? Kann ich es werden, ehe ich mich an Marwood gerächet und Sie, teuerste Miß, außer Gefahr weiß?

Sara. Lassen Sie mich nichts von Rache hören. Die Rache ist nicht unser! Sie erbrechen ihn doch? Ach, Mellefont, warum sind wir zu gewissen Tugenden bei einem gesunden und seine Kräfte fühlenden Körper weniger als bei einem siechen und abgematteten aufgelegt? Wie sauer werden Ihnen Gelassenheit und Sanftmut, und wie unnatürlich scheint mir des Affekts ungeduldige Hitze! Behalten Sie den Inhalt nur für sich.

Mellefont. Was ist es für ein Geist, der mich Ihnen ungehorsam zu sein zwinget? Ich erbrach ihn wider Willen wider Willen muß ich ihn lesen.

Sara (indem Mellefont für sich lieset). Wie schlau weiß sich der Mensch zu trennen und aus seinen Leidenschaften ein von sich unterschiedenes Wesen zu machen, dem er alles zur Last legen könne, was er bei kaltem Blute selbst nicht billiget Mein Salz, Betty! Ich besorge einen neuen Schreck und werde es nötig haben. Siehst du, was der unglückliche Zettel für einen Eindruck auf ihn macht! Mellefont! Sie geraten außer sich! Mellefont! Gott! er erstarrt! Hier, Betty! Reiche ihm das Salz! Er hat es nötiger als ich.

Mellefont (der die Betty damit zurückstößt). Nicht näher, Unglückliche! Deine Arzeneien sind Gift!

Sara. Was sagen Sie? Besinnen Sie sich! Sie verkennen sie!

Betty. Ich bin Betty, nehmen Sie doch.

Mellefont. Wünsche dir, Elende, daß du es nicht wärest! Eile! fliehe! ehe du in Ermanglung des Schuldigern das schuldige Opfer meiner Wut wirst!

Sara. Was für Reden! Mellefont, liebster Mellefont

Mellefont. Das letzte »liebster Mellefont« aus diesem göttlichen Munde, und dann ewig nicht mehr! Zu Ihren Füßen, Sara (Indem er sich niederwirft) Aber was will ich zu Ihren Füßen? (und wieder aufspringt.) Entdecken? Ich Ihnen entdecken? Ja, ich will Ihnen entdecken, Miß, daß Sie mich hassen werden, daß Sie mich hassen müssen. Sie sollen den Inhalt nicht erfahren; nein, von mir nicht! Aber Sie werden ihn erfahren. Sie werden Was steht ihr noch hier, müßig und angeheftet? Lauf, Norton, bring alle Ärzte zusammen! Suche Hilfe, Betty! Laß die Hilfe so wirksam sein als deinen Irrtum! Nein! bleibt hier! Ich gehe selbst.

Sara. Wohin, Mellefont? Nach was für Hilfe! Von welchem Irrtume reden Sie?

Mellefont. Göttliche Hilfe, Sara; oder unmenschliche Rache! Sie sind verloren, liebste Miß! Auch ich bin verloren! Daß die Welt mit uns verloren wäre!

Sechster Auftritt

Sara, Norton. Betty.

Sara. Er ist weg? Ich bin verloren? Was will er damit? Verstehest du ihn, Norton? Ich bin krank, sehr krank; aber setze das Äußerste, daß ich sterben müsse: bin ich darum verloren? Und was will er denn mit dir, arme Betty? Du ringst die Hände? Betrübe dich nicht; du hast ihn gewiß nicht beleidiget; er wird sich wieder besinnen. Hätte er mir doch gefolgt und den Zettel nicht gelesen! Er konnte es ja wohl denken, daß er das letzte Gift der Marwood enthalten müsse.

Betty. Welche schreckliche Vermutung! Nein; es kann nicht sein; ich glaube es nicht.

Norton (welcher nach der Szene zu gegangen). Der alte Bediente Ihres Vaters, Miß

Sara. Laß ihn hereinkommen, Norton!

Siebenter Auftritt

Waitwell. Sara. Betty. Norton.

Sara. Es wird dich nach meiner Antwort verlangen, guter Waitwell. Sie ist fertig, bis auf einige Zeilen. Aber warum so bestürzt? Man hat es dir gewiß gesagt, daß ich krank bin.

Waitwell. Und noch mehr!

Sara. Gefährlich krank? Ich schließe es mehr aus der ungestümen Angst des Mellefont, als daß ich es fühle. Wenn du mit dem unvollendeten Briefe der unglücklichen Sara an den unglücklichern Vater abreisen müßtest, Waitwell? Laß uns das Beste hoffen! Willst du wohl bis morgen warten? Vielleicht finde ich einige gute Augenblicke, dich abzufertigen. Itzo möchte ich es nicht imstande sein. Diese Hand hängt wie tot an der betäubten Seite. Wenn der ganze Körper so leicht dahinstirbt wie diese Glieder Du bist ein alter Mann, Waitwell, und kannst von deinem letzten Auftritte nicht weit mehr entfernet sein Glaube mir, wenn das, was ich empfinde, Annäherungen des Todes sind so sind die Annäherungen des Todes so bitter nicht. Ach! Kehre dich nicht an dieses Ach! Ohne alle unangenehme Empfindung kann es freilich nicht abgehen. Unempfindlich konnte der Mensch nicht sein; unleidlich muß er nicht sein Aber, Betty, warum hörst du noch nicht auf, dich so untröstlich zu bezeigen?

Betty. Erlauben Sie mir, Miß, erlauben Sie mir, daß ich mich aus Ihren Augen entfernen darf.

Sara. Geh nur; ich weiß wohl, es ist nicht eines jeden Sache, um Sterbende zu sein. Waitwell soll bei mir bleiben. Auch du, Norton, wirst mir einen Gefallen erweisen, wenn du dich nach deinem Herrn umsiehst. Ich sehne mich nach seiner Gegenwart.

Betty (im Abgehn). Ach! Norton, ich nahm die Arzenei aus den Händen der Marwood!

Achter Auftritt

Waitwell. Sara.

Sara. Waitwell, wenn du mir die Liebe erzeigen und bei mir bleiben willst, so laß mich kein so wehmütiges Gesicht sehen. Du verstummst? Sprich doch! Und wenn ich bitten darf, sprich von meinem Vater. Wiederhole mir alles, was du mir vor einigen Stunden Tröstliches sagtest. Wiederhole mir, daß mein Vater versöhnt ist und mir vergeben hat. Wiederhole es mir, und füge hinzu, daß der ewige himmlische Vater nicht grausamer sein könne. Nicht wahr, ich kann hierauf sterben? Wenn ich vor deiner Ankunft in diese Umstände gekommen wäre, wie würde es mit mir ausgesehen haben! Ich würde verzweifelt sein, Waitwell. Mit dem Hasse desjenigen beladen aus der Welt zu gehen, der wider seine Natur handelt, wenn er uns hassen muß Was für ein Gedanke! Sag ihm, daß ich in den lebhaftesten Empfindungen der Reue, Dankbarkeit und Liebe gestorben sei. Sag ihm Ach! daß ich es ihm nicht selbst sagen soll, wie voll mein Herz von seinen Wohltaten ist! Das Leben war das Geringste derselben. Wie sehr wünschte ich, den schmachtenden Rest zu seinen Füßen aufgeben zu können!

Waitwell. Wünschen Sie wirklich, Miß, ihn zu sehen?

Sara. Endlich sprichst du, um an meinem sehnlichsten Verlangen, an meinem letzten Verlangen zu zweifeln.

Waitwell. Wo soll ich die Worte finden, die ich schon so lange suche? Eine plötzliche Freude ist so gefährlich als ein plötzlicher Schreck. Ich fürchte mich nur vor dem allzu gewaltsamen Eindrucke, den sein unvermuteter Anblick auf einen so zärtlichen Geist machen möchte.

Sara. Wie meinst du das? Wessen unvermuteter Anblick?

Waitwell. Der gewünschte, Miß! Fassen Sie sich!

Neunter Auftritt

Sir William Sampson. Sara, Waitwell.

Sir William. Du bleibst mir viel zu lange, Waitwell. Ich muß sie sehen.

Sara. Wessen Stimme

Sir William. Ach, meine Tochter!

Sara. Ach, mein Vater! Hilf mir auf, Waitwell, hilf mir auf, daß ich mich zu seinen Füßen werfen kann. (Sie will aufstehen und fällt aus Schwachheit in den Lehnstuhl zurück.) Er ist es doch? Oder ist es eine erquickende Erscheinung, vom Himmel gesandt, gleich jenem Engel, der den Starken zu stärken kam? Segne mich, wer du auch seist, ein Bote des Höchsten, in der Gestalt meines Vaters oder selbst mein Vater!

Sir William. Gott segne dich, meine Tochter! Bleib ruhig. (Indem sie es nochmals versuchen will, vor ihm niederzufallen.) Ein andermal, bei mehrern Kräften, will ich dich nicht ungern mein zitterndes Knie umfassen sehen.

Sara. Jetzt, mein Vater, oder niemals. Bald werde ich nicht mehr sein! Zu glücklich, wenn ich noch einige Augenblicke gewinne, Ihnen die Empfindungen meines Herzens zu entdecken. Doch nicht Augenblicke, lange Tage, ein nochmaliges Leben würde erfodert, alles zu sagen, was eine schuldige, eine reuende, eine gestrafte Tochter einem beleidigten, einem großmütigen, einem zärtlichen Vater sagen kann. Mein Fehler, Ihre Vergebung

Sir William. Mache dir aus einer Schwachheit keinen Vorwurf und mir aus einer Schuldigkeit kein Verdienst. Wenn du mich an mein Vergeben erinnerst, so erinnerst du mich auch daran, daß ich damit gezaudert habe. Warum vergab ich dir nicht gleich? Warum setzte ich dich in die Notwendigkeit, mich zu fliehen? Und noch heute, da ich dir schon vergeben hatte, was zwang mich, erst eine Antwort von dir zu erwarten? Itzt könnte ich dich schon einen Tag wieder genossen haben, wenn ich sogleich deinen Umarmungen zugeeilet wäre. Ein heimlicher Unwille mußte in einer der verborgensten Falten des betrognen Herzens zurückgeblieben sein, daß ich vorher deiner fortdauernden Liebe gewiß sein wollte, ehe ich dir die meinige wiederschenkte. Soll ein Vater so eigennützig handeln? Sollen wir nur die lieben, die uns lieben? Tadle mich, liebste Sara, tadle mich; ich sahe mehr auf meine Freude an dir als auf dich selbst. Und wenn ich sie verlieren sollte, diese Freude? Aber wer sagt es denn, daß ich sie verlieren soll? Du wirst leben; du wirst noch lange leben! Entschlage dich aller schwarzen Gedanken. Mellefont macht die Gefahr größer, als sie ist. Er brachte das ganze Haus in Aufruhr und eilte selbst, Ärzte aufzusuchen, die er in diesem armseligen Flecken vielleicht nicht finden wird. Ich sahe seine stürmische Angst, seine hoffnungslose Betrübnis, ohne von ihm gesehen zu werden. Nun weiß ich es, daß er dich aufrichtig liebet; nun gönne ich dich ihm. Hier will ich ihn erwarten und deine Hand in seine Hand legen. Was ich sonst nur gedrungen getan hätte, tue ich nun gern, da ich sehe, wie teuer du ihm bist. Ist es wahr, daß es Marwood selbst gewesen ist, die dir dieses Schrecken verursacht hat? So viel habe ich aus den Klagen deiner Betty verstehen können und mehr nicht. Doch was forsche ich nach den Ursachen deiner Unpäßlichkeit, da ich nur auf die Mittel, ihr abzuhelfen, bedacht sein sollte. Ich sehe, du wirst von Augenblicke zu Augenblick schwächer, ich seh es und bleibe hilflos stehen. Was soll ich tun, Waitwell? Wohin soll ich laufen? Was soll ich daran wenden? mein Vermögen? mein Leben? Sage doch!

Sara. Bester Vater, alle Hilfe würde vergebens sein. Auch die unschätzbarste würde vergebens sein, die Sie mit Ihrem Leben für mich erkaufen wollten.

Zehnter Auftritt

Mellefont. Sara. Sir William. Waitwell.

Mellefont. Ich wag' es, den Fuß wieder in dieses Zimmer zu setzen? Lebt sie noch?

Sara. Treten Sie näher, Mellefont.

Mellefont. Ich sollt' Ihr Angesicht wiedersehen? Nein, Miß; ich komme ohne Trost, ohne Hilfe zurück. Die Verzweiflung allein bringt mich zurück Aber wen seh ich? Sie, Sir? Unglücklicher Vater! Sie sind zu einer schrecklichen Szene gekommen. Warum kamen Sie nicht eher? Sie kommen zu spät, Ihre Tochter zu retten! Aber nur getrost! sich gerächet zu sehen, dazu sollen Sie nicht zu spät gekommen sein.

Sir William. Erinnern Sie sich, Mellefont, in diesem Augenblicke nicht, daß wir Feinde gewesen sind! Wir sind es nicht mehr und wollen es nie wieder werden. Erhalten Sie mir nur eine Tochter, und Sie sollen sich selbst eine Gattin erhalten haben.

Mellefont. Machen Sie mich zu Gott, und wiederholen Sie dann Ihre Forderung. Ich habe Ihnen, Miß, schon zu viel Unglück zugezogen, als daß ich mich bedenken dürfte, Ihnen auch das letzte anzukündigen: Sie müssen sterben. Und wissen Sie, durch wessen Hand Sie sterben?

Sara. Ich will es nicht wissen, und es ist mir schon zu viel, daß ich es argwöhnen kann.

Mellefont. Sie müssen es wissen; denn wer könnte mir dafür stehen, daß Sie nicht falsch argwöhnten? Dies schreibst Marwood. (Er lieset.) »Wenn Sie diesen Zettel lesen werden, Mellefont, wird Ihre Untreue in dem Anlasse derselben schon bestraft sein. Ich hatte mich ihr entdeckt, und vor Schrecken war sie in Ohnmacht gefallen. Betty gab sich alle Mühe, sie wieder zu sich selbst zu bringen. Ich ward gewahr, daß sie ein Kordialpulver beiseite legte, und hatte den glücklichen Einfall, es mit einem Giftpulver zu vertauschen. Ich stellte mich gerührt und dienstfertig und machte es selbst zurechte. Ich sah es ihr geben und ging triumphierend fort. Rache und Wut haben mich zu einer Mörderin gemacht; ich will aber keine von den gemeinen Mörderinnen sein, die sich ihrer Tat nicht zu rühmen wagen. Ich bin auf dem Wege nach Dover: Sie können mich verfolgen und meine eigne Hand wider mich zeugen lassen. Komme ich unverfolgt in den Hafen, so will ich Arabellen unverletzt zurücklassen. Bis dahin aber werde ich sie als einen Geisel betrachten. Marwood.« Nun wissen Sie alles, Miß. Hier, Sir, verwahren Sie dieses Papier. Sie müssen die Mörderin zur Strafe ziehen lassen, und dazu ist es Ihnen unentbehrlich. Wie erstarrt er dasteht!

Sara. Geben Sie mir dieses Papier, Mellefont. Ich will mich mit meinen Augen überzeugen. (Er gibt es ihr, und sie sieht es einen Augenblick an.) Werde ich so viel Kräfte noch haben? (Zerreißt es.)

Mellefont. Was machen Sie, Miß!

Sara. Marwood wird ihrem Schicksale nicht entgehen; aber weder Sie noch mein Vater sollen ihre Ankläger werden. Ich sterbe und vergeb es der Hand, durch die mich Gott heimsucht. Ach, mein Vater, welcher finstere Schmerz hat sich Ihrer bemächtiget? Noch liebe ich Sie, Mellefont, und wenn Sie lieben ein Verbrechen ist, wie schuldig werde ich in jener Welt erscheinen! Wenn ich hoffen dürfte, liebster Vater, daß Sie einen Sohn anstatt einer Tochter annehmen wollten! Und auch eine Tochter wird Ihnen mit ihm nicht fehlen, wenn Sie Arabellen dafür erkennen wollen. Sie müssen sie zurückholen, Mellefont; und die Mutter mag entfliehen. Da mich mein Vater liebt, warum soll es mir nicht erlaubt sein, mit seiner Liebe als mit einem Erbteile umzugehen? Ich vermache diese väterliche Liebe Ihnen und Arabellen. Reden Sie dann und wann mit ihr von einer Freundin, aus deren Beispiele sie gegen alle Liebe auf ihrer Hut zu sein lerne. Den letzten Segen, mein Vater! Wer wollte die Fügungen des Höchsten zu richten wagen? Tröste deinen Herrn, Waitwell. Doch auch du stehst in einem trostlosen Kummer vergraben, der du in mir weder Geliebte noch Tochter verlierest?

Sir William. Wir sollten dir Mut einsprechen, und dein sterbendes Auge spricht ihn uns ein. Nicht mehr meine irdische Tochter, schon halb ein Engel, was vermag der Segen eines wimmernden Vaters auf einen Geist, auf welchen alle Segen des Himmels herabströmen? Laß mir einen Strahl des Lichtes, welches dich über alles Menschliche so weit erhebt. Oder bitte Gott, den Gott, der nichts so gewiß als die Bitten eines frommen Sterbenden erhört, bitte ihn, daß dieser Tag auch der letzte meines Lebens sei.

Sara. Die bewährte Tugend muß Gott der Welt lange zum Beispiele lassen, und nur die schwache Tugend, die allzu vielen Prüfungen vielleicht unterliegen würde, hebt er plötzlich aus den gefährlichen Schranken Wem fließen diese Tränen, mein Vater? Sie fallen als feurige Tropfen auf mein Herz; und doch doch sind sie mir minder schrecklich als die stumme Verzweiflung. Entreißen Sie sich ihr, Mellefont! Mein Auge bricht Dies war der letzte Seufzer! Noch denke ich an Betty und verstehe nun ihr ängstliches Händeringen. Das arme Mädchen! Daß ihr ja niemand eine Unvorsichtigkeit vorwerfe, die durch ihr Herz ohne Falsch und also auch ohne Argwohn der Falschheit entschuldiget wird. Der Augenblick ist da! Mellefont mein Vater

Mellefont. Sie stirbt! Ach! diese kalte Hand noch einmal zu küssen. (Indem er zu ihren Füßen fällt.) Nein, ich will es nicht wagen, sie zu berühren. Die gemeine Sage schreckt mich, daß der Körper eines Erschlagenen durch die Berührung seines Mörders zu bluten anfange. Und wer ist ihr Mörder? Bin ich es nicht mehr als Marwood? (Steht auf.) Nun ist sie tot, Sir; nun hört sie uns nicht mehr: nun verfluchen Sie mich! Lassen Sie Ihren Schmerz in verdiente Verwünschungen aus! Es müsse keine mein Haupt verfehlen, und die gräßlichste derselben müsse gedoppelt erfüllt werden! Was schweigen Sie noch? Sie ist tot; sie ist gewiß tot! Nun bin ich wieder nichts als Mellefont. Ich bin nicht mehr der Geliebte einer zärtlichen Tochter, die Sie in ihm zu schonen Ursach' hätten. Was ist das? Ich will nicht, daß Sie einen barmherzigen Blick auf mich werfen sollen! Das ist Ihre Tochter! Ich bin ihr Verführer! Denken Sie nach, Sir! Wie soll ich Ihre Wut besser reizen? Diese blühende Schönheit, über die Sie allein ein Recht hatten, ward wider Ihren Willen mein Raub! Meinetwegen vergaß sich diese unerfahrne Tugend! Meinetwegen riß sie sich aus den Armen eines geliebten Vaters! Meinetwegen mußte sie sterben! Sie machen mich mit Ihrer Langmut ungeduldig, Sir! Lassen Sie mich es hören, daß Sie Vater sind.

Sir William. Ich bin Vater, Mellefont, und bin es zu sehr, als daß ich den letzten Willen meiner Tochter nicht verehren sollte. Laß dich umarmen, mein Sohn, den ich teurer nicht erkaufen konnte!

Mellefont. Nicht so, Sir! Diese Heilige befahl mehr, als die menschliche Natur vermag! Sie können mein Vater nicht sein. Sehen Sie, Sir (indem er den Dolch aus dem Busen zieht), dieses ist der Dolch, den Marwood heute auf mich zuckte. Zu meinem Unglücke mußte ich sie entwaffnen. Wenn ich als das schuldige Opfer ihrer Eifersucht gefallen wäre, so lebte Sara noch. Sie hätten Ihre Tochter noch und hätten sie ohne Mellefont. Es stehet bei mir nicht, das Geschehene ungeschehen zu machen; aber mich wegen des Geschehenen zu strafen das steht bei mir! (Er ersticht sich und fällt an dem Stuhle der Sara nieder.)

Sir William. Halt ihn, Waitwell! Was für ein neuer Streich auf mein gebeugtes Haupt! Oh! wenn das dritte hier erkältende Herz das meine wäre!

Mellefont (sterbend). Ich fühl es daß ich nicht fehlgestoßen habe! Wollen Sie mich nun Ihren Sohn nennen, Sir, und mir als diesem die Hand drücken, so sterb ich zufrieden. (Sir William umarmt ihn.) Sie haben von einer Arabella gehört, für die die sterbende Sara Sie bat. Ich würde auch für sie bitten aber sie ist der Marwood Kind sowohl als meines Was für fremde Empfindungen ergreifen mich! Gnade! o Schöpfer, Gnade!

Sir William. Wenn fremde Bitten itzt kräftig sind, Waitwell, so laßt uns ihm diese Gnade erbitten helfen! Er stirbt! Ach, er war mehr unglücklich als lasterhaft.

Eilfter Auftritt

Norton. Die Vorigen.

Norton. Ärzte, Sir.

Sir William. Wenn sie Wunder tun können, so laß sie hereinkommen! Laß mich nicht länger, Waitwell, bei diesem tötenden Anblicke verweilen. Ein Grab soll beide umschließen. Komm, schleunige Anstalt zu machen, und dann laß uns auf Arabellen denken. Sie sei, wer sie sei: sie ist ein Vermächtnis meiner Tochter.

(Sie gehen ab, und das Theater fällt zu.)

(Ende des Trauerspiels.)


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