Gotthold Ephraim Lessing
Lieder
Gotthold Ephraim Lessing

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Die lehrende Astronomie

        Dank sei dem Schöpfer, der mein Haupt
Auf hohe feste Schultern baute,
Und mir die Pracht zu sehn erlaubt,
Die nie ein hängend Tieraug schaute!
Hier lern ich mich und ihn erkennen,
Und hier mich nichts, ihn alles nennen.

Was bin ich? Ich bin groß genung,
Bin ich ein Punkt der Welt zu nennen.
Mein Wissen ist Verwunderung;
Mein Leben leichter Blitze Brennen.
Und so ein Nichts, verblendte Toren,
Soll sein zum Herrn der Welt geboren?

Der Stolz, der Torheit Eigentum,
Verkennt, zu eignem Trost, sich gerne;
Die Demut ist des Weisen Ruhm,
Und die lernt er bei euch, ihr Sterne!
Und wird nur groß, weil er euch kennet,
Und euern Gott auch seinen nennet.

Auch wenn sein Unglück ihn den Weg,
Den harten Weg der Prüfung führet,
Und wenn, auf dem einsamen Steg,
Sich Lieb und Freund von ihm verlieret,
Lernt er bei euch, durch süße Grillen,
Oft allzuwahre Schmerzen stillen.

O Tugend! reizend Hirngedicht,
Erdachte Zierde unsrer Seelen!
Die Welt, o Tugend, hat dich nicht:
Doch wirst du auch den Sternen fehlen?
Nein, starbst du gleich bei uns im Abel,
Du selbst bist viel zu schön zur Fabel.

Dort seh ich, mit erstauntem Blick,
Ein glänzend Heer von neuen Welten;
Getrost, vielleicht wird dort das Glück
So viel nicht, als die Tugend, gelten.
Vielleicht dort in Orions Grenzen
Wird, frei vom Wahn, die Wahrheit glänzen!

»Das Übel«, schreit der Aberwitz,
»Hat unter uns sein Reich gewonnen.«
Wohl gut, doch ist des Guten Sitz
In ungezählten größern Sonnen.
Der Dinge Reihen zu erfüllen,
Schuf jenes Gott mit Widerwillen.

So, wie den Kenner der Natur
Auch Quarz und Eisenstein vergnügen,
Nicht Gold- und Silberstufen nur
In Fächern, voller Lücken, liegen:
So hat das Übel Gott erlesen
Der Welt zur Füllung, nicht zum Wesen.

O nahe dich, erwünschte Zeit,
Wo ich, frei von der Last der Erde,
In wachsender Glückseligkeit,
Einst beßre Welten sehen werde!
O Zeit, wo mich entbundne Schwingen
Von einem Stern zum andern bringen!

Gedanken! fliehet nur voran!
Verirrt euch in den weiten Sphären,
Bis ich euch selber folgen kann.
Wie lang, Geschick, wird es noch währen!
O Lust, hier seh ich schon die Kreise,
Die Wege meiner ewgen Reise!

Drum kränkt der blinde Damon sich
Nur in der Nacht um sein Gesichte.
Geruhig, Tag, vermißt er dich,
Und deine Eitelkeit im Lichte;
Und wünscht sich, von der Weltlust ferne,
Ein fühlend Aug nur für die Sterne.

O selge Zeit der stillen Nacht,
Wo Neid und Bosheit schlafend liegen,
Und nur ein frommes Auge wacht,
Und sucht am Himmel sein Vergnügen!
Gott sieht die Welt in diesen Stunden,
Und spricht, ich hab sie gut gefunden!

Berlin.

L.

 


 


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