Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierter Aufzug

Die Szene bleibt.

Erster Auftritt

Der Prinz. Marinelli.

Der Prinz (als aus dem Zimmer von Emilien kommend). Kommen Sie, Marinelli! Ich muß mich erholen – und muß Licht von Ihnen haben.

Marinelli. O der mütterlichen Wut! Ha! ha! ha!

Der Prinz. Sie lachen?

Marinelli. Wenn Sie gesehen hätten, Prinz, wie toll sich hier, hier im Saale, die Mutter gebärdete – Sie hörten sie ja wohl schreien! – und wie zahm sie auf einmal ward, bei dem ersten Anblicke von Ihnen – – Ha! ha! – Das weiß ich ja wohl, daß keine Mutter einem Prinzen die Augen auskratzt, weil er ihre Tochter schön findet.

Der Prinz. Sie sind ein schlechter Beobachter! – Die Tochter stürzte der Mutter ohnmächtig in die Arme. Darüber vergaß die Mutter ihre Wut, nicht über mir. Ihre Tochter schonte sie, nicht mich, wenn sie es nicht lauter, nicht deutlicher sagte – was ich lieber selbst nicht gehört, nicht verstanden haben will.

Marinelli. Was, gnädiger Herr?

Der Prinz. Wozu die Verstellung? – Heraus damit. Ist es wahr? oder ist es nicht wahr?

Marinelli. Und wenn es denn wäre!

Der Prinz. Wenn es denn wäre? – Also ist es? – Er ist tot? tot? – (Drohend.) Marinelli! Marinelli!

Marinelli. Nun?

Der Prinz. Bei Gott! Bei dem allgerechten Gott! Ich bin unschuldig an diesem Blute. – Wenn Sie mir vorher gesagt hätten, daß es dem Grafen das Leben kosten werde – Nein, nein! und wenn es mir selbst das Leben gekostet hätte! –

Marinelli. Wenn ich Ihnen vorher gesagt hätte? – Als ob sein Tod in meinem Plane gewesen wäre! Ich hatte es dem Angelo auf die Seele gebunden, zu verhüten, daß niemanden Leides geschähe. Es würde auch ohne die geringste Gewalttätigkeit abgelaufen sein, wenn sich der Graf nicht die erste erlaubt hätte. Er schoß Knall und Fall den einen nieder.

Der Prinz. Wahrlich, er hätte sollen Spaß verstehen!

Marinelli. Daß Angelo sodann in Wut kam und den Tod seines Gefährten rächte –

Der Prinz. Freilich, das ist sehr natürlich!

Marinelli. Ich hab es ihm genug verwiesen.

Der Prinz. Verwiesen? Wie freundschaftlich! – Warnen Sie ihn, daß er sich in meinem Gebiete nicht betreten läßt. Mein Verweis möchte so freundschaftlich nicht sein.

Marinelli. Recht wohl! – Ich und Angelo, Vorsatz und Zufall: alles ist eins. – Zwar ward es voraus bedungen, zwar ward es voraus versprochen, daß keiner der Unglücksfälle, die sich dabei ereignen könnten, mir zuschulden kommen solle –

Der Prinz. Die sich dabei ereignen – könnten, sagen Sie? oder sollten?

Marinelli. Immer besser! – Doch, gnädiger Herr – ehe Sie mir es mit dem trocknen Worte sagen, wofür Sie mich halten – eine einzige Vorstellung! Der Tod des Grafen ist mir nichts weniger als gleichgültig. Ich hatte ihn ausgefodert; er war mir Genugtuung schuldig, er ist ohne diese aus der Welt gegangen, und meine Ehre bleibt beleidiget. Gesetzt, ich verdiente unter jeden andern Umständen den Verdacht, den Sie gegen mich hegen, aber auch unter diesen? – (Mit einer angenommenen Hitze.) Wer das von mir denken kann! –

Der Prinz (nachgebend). Nun gut, nun gut –

Marinelli. Daß er noch lebtet . O daß er noch lebte! Alles, alles in der Welt wollte ich darum geben – (bitter) selbst die Gnade meines Prinzen – diese unschätzbare, nie zu verscherzende Gnade – wollt' ich drum geben!

Der Prinz. Ich verstehe. – Nun gut, nun gut. Sein Tod war Zufall, bloßer Zufall. Sie versichern es; und ich, ich glaub es. – Aber wer mehr? Auch die Mutter? Auch Emilia? – Auch die Welt?

Marinelli (kalt). Schwerlich.

Der Prinz. Und wenn man es nicht glaubt, was wird man denn glauben? – Sie zucken die Achsel? – Ihren Angelo wird man für das Werkzeug und mich für den Täter halten –

Marinelli (noch kälter). Wahrscheinlich genug.

Der Prinz. Mich! mich selbst! – Oder ich muß von Stund' an alle Absicht auf Emilien aufgeben –

Marinelli (höchst gleichgültig). Was Sie auch gemußt hätten – wenn der Graf noch lebte. –

Der Prinz (heftig, aber sich gleich wieder fassend). Marinelli! – Doch Sie sollen mich nicht wild machen. – Es sei so – Es ist so! Und das wollen Sie doch nur sagen: der Tod des Grafen ist für mich ein Glück – das größte Glück, was mir begegnen konnte – das einzige Glück, was meiner Liebe zustatten kommen konnte. Und als dieses – mag er doch geschehen sein, wie er will! – Ein Graf mehr in der Welt oder weniger! Denke ich Ihnen so recht? – Topp! auch ich erschrecke vor einem kleinen Verbrechen nicht. Nur, guter Freund, muß es ein kleines Verbrechen, ein kleines stilles, heilsames Verbrechen sein. Und sehen Sie, unseres da, wäre nun gerade weder stille noch heilsam. Es hätte den Weg zwar gereiniget, aber zugleich gesperrt. Jedermann würde es uns auf den Kopf zusagen – und leider hätten wir es gar nicht einmal begangen! – Das liegt doch wohl nur bloß an Ihren weisen, wunderbaren Anstalten?

Marinelli. Wenn Sie so befehlen –

Der Prinz. Woran sonst? – Ich will Rede!

Marinelli. Es kömmt mehr auf meine Rechnung, was nicht darauf gehört.

Der Prinz. Rede will ich!

Marinelli. Nun dann! Was läge an meinen Anstalten? daß den Prinzen bei diesem Unfalle ein so sichtbarer Verdacht trifft? – An dem Meisterstreiche liegt das, den er selbst meinen Anstalten mit einzumengen die Gnade hatte.

Der Prinz. Ich?

Marinelli. Er erlaube mir, ihm zu sagen, daß der Schritt, den er heute morgen in der Kirche getan – mit so vielem Anstande er ihn auch getan – so unvermeidlich er ihn auch tun mußte –, daß dieser Schritt dennoch nicht in den Tanz gehörte.

Der Prinz. Was verdarb er denn auch?

Marinelli. Freilich nicht den ganzen Tanz, aber doch voritzo den Takt.

Der Prinz. Hm! Versteh ich Sie?

Marinelli. Also, kurz und einfältig. Da ich die Sache übernahm, nicht wahr, da wußte Emilia von der Liebe des Prinzen noch nichts? Emiliens Mutter noch weniger. Wenn ich nun auf diesen Umstand baute? und der Prinz indes den Grund meines Gebäudes untergrub?

Der Prinz (sich vor die Stirne schlagend). Verwünscht!

Marinelli. Wenn er es nun selbst verriet, was er im Schilde führe?

Der Prinz. Verdammter Einfall!

Marinelli. Und wenn er es nicht selbst verraten hätte? – Traun! Ich möchte doch wissen, aus welcher meiner Anstalten Mutter oder Tochter den geringsten Argwohn gegen ihn schöpfen könnte?

Der Prinz. Daß Sie recht haben!

Marinelli. Daran tu ich freilich sehr unrecht – Sie werden verzeihen, gnädiger Herr –

Zweiter Auftritt

Battista. Der Prinz. Marinelli.

Battista (eiligst). Eben kömmt die Gräfin an.

Der Prinz. Die Gräfin? Was für eine Gräfin?

Battista. Orsina.

Der Prinz. Orsina? – Marinelli! – Orsina? – Marinelli!

Marinelli. Ich erstaune darüber nicht weniger als Sie selbst.

Der Prinz. Geh, lauf, Battista: Sie soll nicht aussteigen. Ich bin nicht hier. Ich bin für sie nicht hier. Sie soll augenblicklich wieder umkehren. Geh, lauf! – (Battista geht ab.) Was will die Närrin? Was untersteht sie sich? Wie weiß sie, daß wir hier sind? Sollte sie wohl auf Kundschaft kommen? Sollte sie wohl schon etwas vernommen haben? – Ah, Marinelli! So reden Sie, so antworten Sie doch! – Ist er beleidiget, der Mann, der mein Freund sein will? Und durch einen elenden Wortwechsel beleidiget? Soll ich ihn um Verzeihung bitten?

Marinelli. Ah, mein Prinz, sobald Sie wieder Sie sind, bin ich mit ganzer Seele wieder der Ihrige! – Die Ankunft der Orsina ist mir ein Rätsel wie Ihnen. Doch abweisen wird sie schwerlich sich lassen. Was wollen Sie tun?

Der Prinz. Sie durchaus nicht sprechen, mich entfernen –

Marinelli. Wohl! und nur geschwind. Ich will sie empfangen –

Der Prinz. Aber bloß, um sie gehen zu heißen. – Weiter geben Sie mit ihr sich nicht ab. Wir haben andere Dinge hier zu tun –

Marinelli. Nicht doch, Prinz! Diese andern Dinge sind getan. Fassen Sie doch Mut! Was noch fehlt, kömmt sicherlich von selbst. – Aber hör ich sie nicht schon? – Eilen Sie, Prinz! – Da (auf ein Kabinett zeigend, in welches sich der Prinz begibt), wenn Sie wollen, werden Sie uns hören können. – Ich fürchte, ich fürchte, sie ist nicht zu ihrer besten Stunde ausgefahren.

Dritter Auftritt

Die Gräfin Orsina. Marinelli.

Orsina (ohne den Marinelli anfangs zu erblicken). Was ist das? – Niemand kömmt mir entgegen, außer ein Unverschämter, der mir lieber gar den Eintritt verweigert hätte? – Ich bin doch zu Dosalo? Zu dem Dosalo, wo mir sonst ein ganzes Heer geschäftiger Augendiener entgegenstürzte? wo mich sonst Liebe und Entzücken erwarteten? – Der Ort ist es, aber, aber! – Sieh da, Marinelli! – Recht gut, daß der Prinz Sie mitgenommen. – Nein, nicht gut! Was ich mit ihm auszumachen hätte, hätte ich nur mit ihm auszumachen. – Wo ist er?

Marinelli. Der Prinz, meine gnädige Gräfin?

Orsina. Wer sonst?

Marinelli. Sie vermuten ihn also hier? wissen ihn hier? – Er wenigstens ist der Gräfin Orsina hier nicht vermutend.

Orsina. Nicht? So hat er meinen Brief heute morgen nicht erhalten?

Marinelli. Ihren Brief? Doch ja, ich erinnere mich, daß er eines Briefes von Ihnen erwähnte.

Orsina. Nun? habe ich ihn nicht in diesem Briefe auf heute um eine Zusammenkunft hier auf Dosalo gebeten? – Es ist wahr, es hat ihm nicht beliebet, mir schriftlich zu antworten. Aber ich erfuhr, daß er eine Stunde darauf wirklich nach Dosalo abgefahren. Ich glaubte, das sei Antworts genug, und ich komme.

Marinelli. Ein sonderbarer Zufall!

Orsina. Zufall? – Sie hören ja, daß es verabredet worden. So gut als verabredet. Von meiner Seite der Brief, von seiner die Tat. – Wie er dasteht, der Herr Marchese! Was er für Augen macht! Wundert sich das Gehirnchen? und worüber denn?

Marinelli. Sie schienen gestern so weit entfernt, dem Prinzen jemals wieder vor die Augen zu kommen.

Orsina. Beßrer Rat kömmt über Nacht. – Wo ist er? wo ist er? – Was gilt's, er ist in dem Zimmer, wo ich das Gequieke, das Gekreische hörte? – Ich wollte herein, und der Schurke von Bedienten trat vor.

Marinelli. Meine liebste, beste Gräfin –

Orsina. Es war ein weibliches Gekreische. Was gilt's, Marinelli? – O sagen Sie mir doch, sagen Sie mir – wenn ich anders Ihre liebste, beste Gräfin bin – Verdammt, über das Hofgeschmeiß! Soviel Worte, soviel Lügen! Nun, was liegt daran, ob Sie mir es voraussagen oder nicht? Ich werd es ja wohl sehen. (Will gehen.)

Marinelli (der sie zurückhält). Wohin?

Orsina. Wo ich längst sein sollte. – Denken Sie, daß es schicklich ist, mit Ihnen hier in dem Vorgemache einen elenden Schnickschnack zu halten, indes der Prinz in dem Gemache auf mich wartet?

Marinelli. Sie irren sich, gnädige Gräfin. Der Prinz erwartet Sie nicht. Der Prinz kann Sie hier nicht sprechen – will Sie nicht sprechen.

Orsina. Und wäre doch hier? und wäre doch auf meinen Brief hier?

Marinelli. Nicht auf Ihren Brief –

Orsina. Den er ja erhalten, sagen Sie –

Marinelli. Erhalten, aber nicht gelesen.

Orsina (heftig). Nicht gelesen? – (Minder heftig.) Nicht gelesen? – (Wehmütig und eine Träne aus dem Auge wischend.) Nicht einmal gelesen?

Marinelli. Aus Zerstreuung, weiß ich – Nicht aus Verachtung.

Orsina (stolz). Verachtung? – Wer denkt daran? – Wem brauchen Sie das zu sagen? – Sie sind ein unverschämter Tröster, Marinelli! – Verachtung! Verachtung! Mich verachtet man auch! mich! – (Gelinder, bis zum Tone der Schwermut.) Freilich liebt er mich nicht mehr. Das ist ausgemacht. Und an die Stelle der Liebe trat in seiner Seele etwas anders. Das ist natürlich. Aber warum denn eben Verachtung? Es braucht ja nur Gleichgültigkeit zu sein. Nicht wahr, Marinelli?

Marinelli. Allerdings, allerdings.

Orsina (höhnisch). Allerdings? – O des weisen Mannes, den man sagen lassen kann, was man will! – Gleichgültigkeit! Gleichgültigkeit an die Stelle der Liebe? – Das heißt, nichts an die Stelle von etwas. Denn lernen Sie, nachplauderndes Hofmännchen, lernen Sie von einem Weibe, daß Gleichgültigkeit ein leeres Wort, ein bloßer Schall ist, dem nichts, gar nichts entspricht. Gleichgültig ist die Seele nur gegen das, woran sie nicht denkt; nur gegen ein Ding, das für sie kein Ding ist. Und nur gleichgültig für ein Ding, das kein Ding ist – das ist soviel als gar nicht gleichgültig. – Ist dir das zu hoch, Mensch?

Marinelli (vor sich). O weh! wie wahr ist es, was ich fürchtete!

Orsina. Was murmeln Sie da?

Marinelli. Lauter Bewunderung! – Und wem ist es nicht bekannt, gnädige Gräfin, daß Sie eine Philosophin sind?

Orsina. Nicht wahr? – Ja, ja, ich bin eine. – Aber habe ich mir es itzt merken lassen, daß ich eine bin? – O pfui, wenn ich mir es habe merken lassen, und wenn ich mir es öfterer habe merken lassen! Ist es wohl noch Wunder, daß mich der Prinz verachtet? Wie kann ein Mann ein Ding lieben, das, ihm zum Trotze, auch denken will? Ein Frauenzimmer, das denkt, ist ebenso ekel als ein Mann, der sich schminket. Lachen soll es, nichts als lachen, um immerdar den gestrengen Herrn der Schöpfung bei guter Laune zu erhalten. – Nun, worüber lach ich denn gleich, Marinelli? – Ach, jawohl! Über den Zufall! daß ich dem Prinzen schreibe, er soll nach Dosalo kommen; daß der Prinz meinen Brief nicht lieset und daß er doch nach Dosalo kömmt. Ha! ha! ha! Wahrlich ein sonderbarer Zufall! Sehr lustig, sehr närrisch! – Und Sie lachen nicht mit, Marinelli? – Mitlachen kann ja wohl der gestrenge Herr der Schöpfung, ob wir arme Geschöpfe gleich nicht mitdenken dürfen. – (Ernsthaft und befehlend.) So lachen Sie doch!

Marinelli. Gleich, gnädige Gräfin, gleich!

Orsina. Stock! Und darüber geht der Augenblick vorbei. Nein, nein, lachen Sie nur nicht. – Denn sehen Sie, Marinelli, (nachdenkend bis zur Rührung) was mich so herzlich zu lachen macht, das hat auch seine ernsthafte – sehr ernsthafte Seite. Wie alles in der Welt! – Zufall? Ein Zufall wär' es, daß der Prinz nicht daran gedacht, mich hier zu sprechen, und mich doch hier sprechen muß? Ein Zufall? – Glauben Sie mir, Marinelli: das Wort Zufall ist Gotteslästerung. Nichts unter der Sonne ist Zufall – am wenigsten das, wovon die Absicht so klar in die Augen leuchtet. – Allmächtige, allgütige Vorsicht, vergib mir, daß ich mit diesem albernen Sünder einen Zufall genennet habe, was so offenbar dein Werk, wohl gar dein unmittelbares Werk ist! – (Hastig gegen Marinelli.) Kommen Sie mir und verleiten Sie mich noch einmal zu so einem Frevel!

Marinelli (vor sich). Das geht weit! – Aber gnädige Gräfin 

Orsina. Still mit dem Aber! Die Aber kosten Überlegung – und mein Kopf! mein Kopf! (Sich mit der Hand die Stirne haltend.) – Machen Sie, Marinelli, machen Sie, daß ich ihn bald spreche, den Prinzen; sonst bin ich es wohl gar nicht imstande. – Sie sehen, wir sollen uns sprechen, wir müssen uns sprechen 

Vierter Auftritt

Der Prinz. Orsina. Marinelli.

Der Prinz (indem er aus dem Kabinette tritt, vor sich). Ich muß ihm zu Hilfe kommen 

Orsina (die ihn erblickt, aber unentschlüssig bleibt, ob sie auf ihn zugeben soll). Ha! da ist er.

Der Prinz (geht quer über den Saal, bei ihr vorbei, nach den andern Zimmern, ohne sich im Reden aufzuhalten). Sieh da! unsere schöne Gräfin. – Wie sehr bedaure ich, Madame, daß ich mir die Ehre Ihres Besuchs für heute so wenig zunutze machen kann! Ich bin beschäftiget. Ich bin nicht allein. – Ein andermal, meine liebe Gräfin! Ein andermal. – Itzt halten Sie länger sich nicht auf. Ja nicht länger! – Und Sie, Marinelli, ich erwarte Sie. 

Fünfter Auftritt

Orsina. Marinelli.

Marinelli. Haben Sie es, gnädige Gräfin, nun von ihm selbst gehört, was Sie mir nicht glauben wollen?

Orsina (wie betäubt). Hab ich? hab ich wirklich?

Marinelli. Wirklich.

Orsina (mit Rührung). »Ich bin beschäftiget. Ich bin nicht allein.« Ist das die Entschuldigung ganz, die ich wert bin? Wen weiset man damit nicht ab? Jeden Überlästigen, jeden Bettler. Für mich keine einzige Lüge mehr? Keine einzige kleine Lüge mehr, für mich? – Beschäftiget? womit denn? Nicht allein? wer wäre denn bei ihm? – Kommen Sie, Marinelli; aus Barmherzigkeit, lieber Marinelli! Lügen Sie mir eines auf eigene Rechnung vor. Was kostet Ihnen denn eine Lüge? – Was hat er zu tun? Wer ist bei ihm? – Sagen Sie mir, sagen Sie mir, was Ihnen zuerst in den Mund kömmt – und ich gehe.

Marinelli (vor sich). Mit dieser Bedingung kann ich ihr ja wohl einen Teil der Wahrheit sagen.

Orsina. Nun? Geschwind, Marinelli, und ich gehe. – Er sagte ohnedem, der Prinz: »Ein andermal, meine liebe Gräfin!« Sagte er nicht so? – Damit er mir Wort hält, damit er keinen Vorwand hat, mir nicht Wort zu halten: geschwind, Marinelli, Ihre Lüge, und ich gehe.

Marinelli. Der Prinz, liebe Gräfin, ist wahrlich nicht allein. Es sind Personen bei ihm, von denen er sich keinen Augenblick abmüßigen kann; Personen, die eben einer großen Gefahr entgangen sind. Der Graf Appiani 

Orsina. Wäre bei ihm? – Schade, daß ich über diese Lüge Sie ertappen muß. Geschwind eine andere. – Denn Graf Appiani, wenn Sie es noch nicht wissen, ist eben von Räubern erschossen worden. Der Wagen mit seinem Leichname begegnete mir kurz vor der Stadt. – Oder ist er nicht? Hätte es mir bloß geträumt?

Marinelli. Leider nicht bloß geträumt! – Aber die andern, die mit dem Grafen waren, haben sich glücklich hieher nach dem Schlosse gerettet: seine Braut nämlich und die Mutter der Braut, mit welchen er nach Sabionetta zu seiner feierlichen Verbindung fahren wollte.

Orsina. Also die? Die sind bei dem Prinzen? Die Braut? und die Mutter der Braut? – Ist die Braut schön?

Marinelli. Dem Prinzen geht ihr Unfall ungemein nahe.

Orsina. Ich will hoffen, auch wenn sie häßlich wäre. Denn ihr Schicksal ist schrecklich. – Armes gutes Mädchen, eben da er dein auf immer werden sollte, wird er dir auf immer entrissen! – Wer ist sie denn, diese Braut? Kenn ich sie gar? – Ich bin so lange aus der Stadt, daß ich von nichts weiß.

Marinelli. Es ist Emilia Galotti.

Orsina. Wer? – Emilia Galotti? Emilia Galotti? – Marinelli! daß ich diese Lüge nicht für Wahrheit nehme!

Marinelli. Wieso?

Orsina. Emilia Galotti?

Marinelli. Die Sie schwerlich kennen werden –

Orsina. Doch! doch! Wenn es auch nur von heute wäre. – Im Ernst, Marinelli? Emilia Galotti? – Emilia Galotti wäre die unglückliche Braut, die der Prinz tröstet?

Marinelli (vor sich). Sollte ich ihr schon zuviel gesagt haben?

Orsina. Und Graf Appiani war der Bräutigam dieser Braut? der eben erschossene Appiani?

Marinelli. Nicht anders.

Orsina. Bravo! o bravo! bravo! (In die Hände schlagend.)

Marinelli. Wie das?

Orsina. Küssen möcht' ich den Teufel, der ihn dazu verleitet hat!

Marinelli. Wen? verleitet? wozu?

Orsina. Ja, küssen, küssen möcht' ich ihn – Und wenn Sie selbst dieser Teufel wären, Marinelli.

Marinelli. Gräfin!

Orsina. Kommen Sie her! Sehen Sie mich an! steif an! Aug' in Auge!

Marinelli. Nun?

Orsina. Wissen Sie nicht, was ich denke?

Marinelli. Wie kann ich das?

Orsina. Haben Sie keinen Anteil daran?

Marinelli. Woran?

Orsina. Schwören Sie! – Nein, schwören Sie nicht. Sie möchten eine Sünde mehr begehen. – Oder ja, schwören Sie nur. Eine Sünde mehr oder weniger für einen, der doch verdammt ist! – Haben Sie keinen Anteil daran?

Marinelli. Sie erschrecken mich, Gräfin.

Orsina. Gewiß? – Nun, Marinelli, argwohnet Ihr gutes Herz auch nichts?

Marinelli. Was? worüber?

Orsina. Wohl – so will ich Ihnen etwas vertrauen – etwas, das Ihnen jedes Haar auf dem Kopfe zu Berge sträuben soll. – Aber hier, so nahe an der Türe, möchte uns jemand hören. Kommen Sie hierher! – Und! (Indem sie den Finger auf den Mund legt) Hören Sie! ganz in geheim! ganz in geheim! (und ihren Mund seinem Ohre nähert, als ob sie ihm zuflüstern wollte, was sie aber sehr laut ihm zuschreiet.) Der Prinz ist ein Mörder!

Marinelli. Gräfin – Gräfin – sind Sie ganz von Sinnen?

Orsina. Von Sinnen? Ha! ha! ha! (Aus vollem Halse lachend.) Ich bin selten oder nie mit meinem Verstande so wohl zufrieden gewesen als eben itzt. – Zuverlässig, Marinelli – aber es bleibt unter uns – (leise) der Prinz ist ein Mörder! des Grafen Appiani Mörder! – Den haben nicht Räuber, den haben Helfershelfer des Prinzen, den hat der Prinz umgebracht!

Marinelli. Wie kann Ihnen so eine Abscheulichkeit in den Mund, in die Gedanken kommen?

Orsina. Wie? – Ganz natürlich. – Mit dieser Emilia Galotti – die hier bei ihm ist – deren Bräutigam so über Hals über Kopf sich aus der Welt trollen müssen – mit dieser Emilia Galotti hat der Prinz heute morgen, in der Halle bei den Dominikanern, ein Langes und Breites gesprochen. Das weiß ich, das haben meine Kundschafter gesehen. Sie haben auch gehört, was er mit ihr gesprochen – Nun, guter Herr? Bin ich von Sinnen? Ich reime, dächt' ich, doch noch ziemlich zusammen, was zusammen gehört. – Oder trifft auch das nur so von ungefähr zu? Ist Ihnen auch das Zufall? Oh, Marinelli, so verstehen Sie auf die Bosheit der Menschheit sich ebenso schlecht als auf die Vorsicht.

Marinelli. Gräfin, Sie würden sich um den Hals reden 

Orsina. Wenn ich das mehrern sagte? – Desto besser, desto besser! – Morgen will ich es auf dem Markte ausrufen. – Und wer mir widerspricht – wer mir widerspricht, der war des Mörders Spießgeselle. – Leben Sie wohl. (Indem sie fortgehen will, begegnet sie an der Türe dem alten Galotti, der eiligst hereintritt.)

Sechster Auftritt

Odoardo Galotti. Die Gräfin. Marinelli.

Odoardo Galotti. Verzeihen Sie, gnädige Frau –

Orsina. Ich habe hier nichts zu verzeihen. Denn ich habe hier nichts übelzunehmen – An diesen Herrn wenden Sie sich. (Ihn nach dem Marinelli weisend.)

Marinelli (indem er ihn erblicket, vor sich). Nun vollends! der Alte! –

Odoardo. Vergeben Sie, mein Herr, einem Vater, der in der äußersten Bestürzung ist – daß er so unangemeldet hereintritt.

Orsina. Vater? (Kehrt wieder um.) Der Emilia, ohne Zweifel. – Ha, willkommen!

Odoardo. Ein Bedienter kam mir entgegengesprengt, mit der Nachricht, daß hierherum die Meinigen in Gefahr wären. Ich fliege herzu und höre, daß der Graf Appiani verwundet worden, daß er nach der Stadt zurückgekehret, daß meine Frau und Tochter sich in das Schloß gerettet. – Wo sind sie, mein Herr? wo sind sie?

Marinelli. Sein Sie ruhig, Herr Oberster. Ihrer Gemahlin und Ihrer Tochter ist nichts Übels widerfahren, den Schreck ausgenommen. Sie befinden sich beide wohl. Der Prinz ist bei ihnen. Ich gehe sogleich, Sie zu melden.

Odoardo. Warum melden? erst melden?

Marinelli. Aus Ursachen – von wegen – Von wegen des Prinzen. Sie wissen, Herr Oberster, wie Sie mit dem Prinzen stehen. Nicht auf dem freundschaftlichsten Fuße. So gnädig er sich gegen Ihre Gemahlin und Tochter bezeiget – es sind Damen – Wird darum auch Ihr unvermuteter Anblick ihm gelegen sein?

Odoardo. Sie haben recht, mein Herr, Sie haben redet.

Marinelli. Aber, gnädige Gräfin – kann ich vorher die Ehre haben, Sie nach Ihrem Wagen zu begleiten?

Orsina. Nicht doch, nicht doch.

Marinelli (sie bei der Hand nicht unsanft ergreifend). Erlauben Sie, daß ich meine Schuldigkeit beobachte. –

Orsina. Nur gemach! – Ich erlasse Sie deren, mein Herr! Daß doch immer Ihresgleichen Höflichkeit zur Schuldigkeit machen, um, was eigentlich ihre Schuldigkeit wäre, als die Nebensache betreiben zu dürfen! – Diesen würdigen Mann je eher, je lieber zu melden, das ist Ihre Schuldigkeit.

Marinelli. Vergessen Sie, was Ihnen der Prinz selbst befohlen?

Orsina. Er komme und befehle mir es noch einmal. Ich erwarte ihn.

Marinelli (leise zu dem Obersten, den er beiseite ziehet). Mein Herr, ich muß Sie hier mit einer Dame lassen, die – der – mit deren Verstande – Sie verstehen mich. Ich sage Ihnen dieses, damit Sie wissen, was Sie auf ihre Reden zu geben haben – deren sie oft sehr seltsame führet. Am besten, Sie lassen sich mit ihr nicht ins Wort.

Odoardo. Recht wohl. – Eilen Sie nur, mein Herr.

Siebenter Auftritt

Die Gräfin Orsina. Odoardo Galotti.

Orsina (nach einigem Stillschweigen, unter welchem sie den Obersten mit Mitleid betrachtet, so wie er sie mit einer flüchtigen Neugierde). Was er Ihnen auch da gesagt hat, unglücklicher Mann! –

Odoardo (halb vor sich, halb gegen sie). Unglücklicher?

Orsina. Eine Wahrheit war es gewiß nicht – am wenigsten eine von denen, die auf Sie warten.

Odoardo. Auf mich warten? – Weiß ich nicht schon genug? – Madame! – Aber, reden Sie nur, reden Sie nur.

Orsina. Sie wissen nichts.

Odoardo. Nichts?

Orsina. Guter, lieber Vater! – Was gäbe ich darum, wenn Sie auch mein Vater wären! – Verzeihen Sie! Die Unglücklichen ketten sich so gern aneinander. – Ich wollte treulich Schmerz und Wut mit Ihnen teilen.

Odoardo. Schmerz und Wut? Madame! – Aber ich vergesse – Reden Sie nur.

Orsina. Wenn es gar Ihre einzige Tochter – Ihr einziges Kind wäre! – Zwar einzig oder nicht. Das unglückliche Kind ist immer das einzige.

Odoardo. Das unglückliche? – Madame! – Was will ich von ihr? – Doch, bei Gott, so spricht keine Wahnwitzige!

Orsina. Wahnwitzige? Das war es also, was er Ihnen von mir vertraute? – Nun, nun, es mag leicht keine von seinen gröbsten Lügen sein. – Ich fühle so was! – Und glauben Sie, glauben Sie mir: Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu verlieren. –

Odoardo. Was soll ich denken?

Orsina. Daß Sie mich also ja nicht verachten! – Denn auch Sie haben Verstand, guter Alter, auch Sie. – Ich seh es an dieser entschlossenen, ehrwürdigen Miene. Auch Sie haben Verstand; und es kostet mich ein Wort – so haben Sie keinen.

Odoardo. Madame! – Madame! – Ich habe schon keinen mehr, noch ehe Sie mir dieses Wort sagen, wenn Sie mir es nicht bald sagen. – Sagen Sie es! sagen Sie es! Oder es ist nicht wahr – es ist nicht wahr, daß Sie von jener guten, unsers Mitleids, unserer Hochachtung so würdigen Gattung der Wahnwitzigen sind – Sie sind eine gemeine Törin. Sie haben nicht, was Sie nie hatten.

Orsina. So merken Sie auf! – Was wissen Sie, der Sie schon genug wissen wollen? Daß Appiani verwundet worden? Nur verwundet? – Appiani ist tot!

Odoardo. Tot? tot? – Ha, Frau, das ist wider die Abrede. Sie wollten mich um den Verstand bringen: und Sie brechen mir das Herz.

Orsina. Das beiher! – Nur weiter. – Der Bräutigam ist tot, und die Braut – Ihre Tochter – schlimmer als tot.

Odoardo. Schlimmer? schlimmer als tot? – Aber doch zugleich auch tot? – Denn ich kenne nur ein Schlimmeres –

Orsina. Nicht zugleich auch tot. Nein, guter Vater, nein! – Sie lebt, sie lebt. Sie wird nun erst recht anfangen zu leben. – Ein Leben voll Wonne! Das schönste, lustigste Schlaraffenleben – solang es dauert.

Odoardo. Das Wort, Madame, das einzige Wort, das mich um den Verstand bringen soll! heraus damit! – Schütten Sie nicht Ihren Tropfen Gift in einen Eimer. – Das einzige Wort! geschwind.

Orsina. Nun da, buchstabieren Sie es zusammen! – Des Morgens sprach der Prinz Ihre Tochter in der Messe, des Nachmittags hat er sie auf seinem Lust- – Lustschlosse.

Odoardo. Sprach sie in der Messe? Der Prinz meine Tochter?

Orsina. Mit einer Vertraulichkeit! mit einer Inbrunst! – Sie hatten nichts Kleines abzureden. Und recht gut, wenn es abgeredet worden, recht gut, wenn Ihre Tochter freiwillig sich hierher gerettet! Sehen Sie: so ist es doch keine gewaltsame Entführung, sondern bloß ein kleiner – kleiner Meuchelmord.

Odoardo. Verleumdung! verdammte Verleumdung! Ich kenne meine Tochter. Ist es Meuchelmord, so ist es auch Entführung. – (Blickt wild um sich und stampft und schäumet.) Nun, Claudia? Nun, Mütterchen? – Haben wir nicht Freude erlebt! O des gnädigen Prinzen! O der ganz besondern Ehre!

Orsina. Wirkt es, Alter! wirkt es?

Odoardo. Da steh ich nun vor der Höhle des Räubers – (indem er den Rock von beiden Seiten auseinanderschlägt und sich ohne Gewehr sieht.) Wunder, daß ich aus Eilfertigkeit nicht auch die Hände zurückgelassen! – (An alle Schubsäcke fühlend, als etwas suchend.) Nichts! gar nichts! nirgends!

Orsina. Ha, ich verstehe! – Damit kann ich aushelfen! – Ich hab einen mitgebracht. (Einen Dolch hervorziehend.) Da nehmen Sie! Nehmen Sie geschwind, eh' uns jemand sieht! – Auch hätte ich noch etwas – Gift. Aber Gift ist nur für uns Weiber, nicht für Männer. – Nehmen Sie ihn! (Ihm den Dolch aufdrängend.) Nehmen Sie!

Odoardo. Ich danke, ich danke. – Liebes Kind, wer wieder sagt, daß du eine Närrin bist, der hat es mit mir zu tun.

Orsina. Stecken Sie beiseite! geschwind beiseite! – Mir – wird die Gelegenheit versagt, Gebrauch davon zu machen. Ihnen wird sie nicht fehlen, diese Gelegenheit, und Sie werden sie ergreifen, die erste, die beste – wenn Sie ein Mann sind. – Ich, ich bin nur ein Weib, aber so kam ich her! fest entschlossen! – Wir, Alter, wir können uns alles vertrauen. Denn wir sind beide beleidiget, von dem nämlichen Verführer beleidiget. – Ah, wenn Sie wüßten – wenn sie wüßten, wie überschwenglich, wie unaussprechlich, wie unbegreiflich ich von ihm beleidiget worden und noch werde – Sie könnten, Sie würden Ihre eigene Beleidigung darüber vergessen. – Kennen Sie mich? Ich bin Orsina, die betrogene, verlassene Orsina. – Zwar vielleicht nur um Ihre Tochter verlassen. – Doch was kann Ihre Tochter dafür? – Bald wird auch sie verlassen sein. – Und dann wieder eine! – Und wieder eine! – Ha! (wie in der Entzückung) welch eine himmlische Phantasie! Wann wir einmal alle – wir, das ganze Heer der Verlassenen – wir alle in Bacchantinnen, in Furien verwandelt, wenn wir alle ihn unter uns hätten, ihn unter uns zerrissen, zerfleischten, sein Eingeweide durchwühlten – um das Herz zu finden, das der Verräter einer jeden versprach und keiner gab! Ha! das sollte ein Tanz werden! das sollte!

Achter Auftritt

Claudia Galotti. Die Vorigen.

Claudia (die im Hereintreten sich umsiehet und, sobald sie ihren Gemahl erblickt, auf ihn zuflieget). Erraten! – Ah, unser Beschützer, unser Retter! Bist du da, Odoardo? Bist du da? – Aus ihren Wispern, aus ihren Mienen schloß ich es. – Was soll ich dir sagen, wenn du noch nichts weißt? – Was soll ich dir sagen, wenn du schon alles weißt? – Aber wir sind unschuldig. Ich bin unschuldig. Deine Tochter ist unschuldig. Unschuldig, in allem unschuldig!

Odoardo (der sich bei Erblickung seiner Gemahlin zu fassen gesucht). Gut, gut. Sei nur ruhig, nur ruhig – und antworte mir. (Gegen die Orsina.) Nicht, Madame, als ob ich noch zweifelte – Ist der Graf tot?

Claudia. Tot.

Odoardo. Ist es wahr, daß der Prinz heute morgen Emilien in der Messe gesprochen?

Claudia. Wahr. Aber wenn du wüßtest, welchen Schreck es ihr verursacht, in welcher Bestürzung sie nach Hause kam –

Orsina. Nun, hab ich gelogen?

Odoardo (mit einem bittern Lachen). Ich wollt' auch nicht, Sie hätten! Um wie vieles nicht!

Orsina. Bin ich wahnwitzig?

Odoardo (wild hin und her gehend). Oh – noch bin ich es auch nicht. –

Claudia. Du gebotest mir ruhig zu sein, und ich bin ruhig. – Bester Mann, darf auch ich – ich dich bitten –

Odoardo. Was willst du? Bin ich nicht ruhig? Kann man ruhiger sein, als ich bin? (Sich zwingend.) Weiß es Emilia, daß Appiani tot ist?

Claudia. Wissen kann sie es nicht. Aber ich fürchte, daß sie es argwohnet, weil er nicht erscheinet. –

Odoardo. Und sie jammert und winselt. –

Claudia. Nicht mehr. – Das ist vorbei: nach ihrer Art, die du kennest. Sie ist die Furchtsamste und Entschlossenste unsers Geschlechts. Ihrer ersten Eindrücke nie mächtig, aber nach der geringsten Überlegung in alles sich findend, auf alles gefaßt. Sie hält den Prinzen in einer Entfernung, sie spricht mit ihm in einem Tone – Mache nur, Odoardo, daß wir wegkommen.

Odoardo. Ich bin zu Pferde. – Was zu tun? – Doch, Madame, Sie fahren ja nach der Stadt zurück?

Orsina. Nicht anders.

Odoardo. Hätten Sie wohl die Gewogenheit, meine Frau mit sich zu nehmen?

Orsina. Warum nicht? Sehr gern.

Odoardo. Claudia – (ihr die Gräfin bekannt machend) die Gräfin Orsina, eine Dame von großem Verstande, meine Freundin, meine Wohltäterin. – Du mußt mit ihr herein, um uns sogleich den Wagen herauszuschicken. Emilia darf nicht wieder nach Guastalla. Sie soll mit mir.

Claudia. Aber – wenn nur – Ich trenne mich ungern von dem Kinde.

Odoardo. Bleibt der Vater nicht in der Nähe? Man wird ihn endlich doch vorlassen. Keine Einwendung! – Kommen Sie, gnädige Frau. (Leise zu ihr.) Sie werden von mir hören. – Komm, Claudia. (Er führt sie ab.)


 << zurück weiter >>