Jakob Michael Reinhold Lenz
Der Hofmeister
Jakob Michael Reinhold Lenz

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Dritter Akt.

Erste Scene.

In Heidelbrunn.
Der Major. (im Nachtwämmschen) Der geheime Rath.

Major.
Bruder, ich bin der alte nicht mehr. Mein Herz sieht zehnmal toller aus als mein Gesicht – Es ist sehr gut, daß Du mich besuchst; wer weiß, ob wir uns so lang mehr sehen.

Geh. Rath.
Du bist immer ausschweifend, in allen Stücken – Dir ein Nichts so zu Herzen gehen zu lassen! – Wenn Deiner Tochter die Schönheit abgeht, so bleibt sie doch immer noch das gute Mädchen, das sie war; so kann sie hundert andre liebenswürdige Eigenschaften besitzen.

Major.
Ihre Schönheit – Hol mich der Teufel, es ist nicht das allein, was ihr abgeht; ich weiß nicht, ich werde noch den Verstand verlieren, wenn ich das Mädchen lang unter Augen behalte. Ihre Gesundheit ist hin, ihre Munterkeit, ihre Lieblichkeit, weiß der Teufel, wie man das Dings all nennen soll; aber obschon ichs nicht nennen kann, so kann ichs doch sehen, so kann ichs doch fühlen und begreifen, und Du weist, daß ich aus dem Mädchen meinen Abgott gemacht habe. Und daß ich sie so sehn muß unter meinen Händen hinsterben, verwesen. – (weint) Bruder geheimer Rath, Du hast keine Tochter; Du weißt nicht, wie einem Vater zu Muth seyn muß, der eine Tochter hat. Ich hab dreyzehn Bataillen beygewohnt und achtzehn Blessuren bekommen, und hab den Tod vor Augen gesehen und bin – O laß mich zufrieden; pack Dich zu meinem Haus hinaus; laß die ganze Welt sich fortpacken. Ich will es anstecken und die Schaufel in die Hand nehmen und Bauer werden.

Geh. Rath.
Und Frau und Kinder –

Major.
Du beliebst zu scherzen: ich weiß von keiner Frau und Kindern, ich bin Major Berg gottseligen Andenkens und will den Pflug in die Hand nehmen und will Vater Berg werden, und wer mir zu nahe kommt, dem geb ich mit meiner Hack' über die Ohren.

Geh. Rath.
So schwermerisch-schwermüthig hab ich ihn doch nie gesehen.

(Die Majorin stützt herein.)

Majorin.
Zu Hülfe Mann – Wir sind verloren – Unsere Familie! unsere Familie!

Geh. Rath.
Gott behüt Frau Schwester! Was stehen Sie an: Wollen Sie Ihren Mann rasend machen?

Majorin.
Er soll rasend werden – Unsere Familie – Infamie! – – O ich kann nicht mehr – (fällt auf einen Stuhl)

Major. (geht auf sie zu)
Willst Du mit der Sprach' heraus? – Oder ich dreh Dir den Hals um.

Majorin.
Deine Dochter – Der Hofmeister. – Lauf! (fällt in Ohnmacht)

Major.
Hat er sie zur Hure gemacht? (schüttelt sie) Was fällst Du da hin; jetzt ists nicht Zeit zum hinfallen. Heraus mit, oder das Wetter soll Dich zerschlagen. Zur Hure gemacht? Ists das? – Nun so werd' denn die ganze Welt zur Hure und Du Berg nimm die Mistgabel in die Hand – (will gehen)

Geh. Rath. (hält ihn zurück)
Bruder, wenn Du Dein Leben lieb hast, so bleib hier – Ich will alles untersuchen – Deine Wut macht Dich unmündig. (geht ab und schließt die Thür zu)

Major. (arbeitet vergebens sie aufzumachen)
Ich werd Dich beunmündig – (zu seiner Frau) Komm, komm, Hure, Du auch! sieh zu. (reißt die Thür auf) Ich will ein Exempel statuiren – Gott hat mich bis hieher erhalten, damit ich an Weib und Kindern Exempel statuiren kann – Verbrannt, verbrannt, verbrannt! (schleppt seine Frau ohnmächtig vom Theater)

Zweyte Scene.

Eine Schule im Dorf
Es ist finstrer Abend.
Wenzeslaus. Läuffer.

Wenzeslaus. (sitzt an einem Tisch, die Brill auf der Nase und lineirt)
Wer da? Was giebts?

Läuffer.
Schutz! Schutz! werther Herr Schulmeister! Man steht mir nach dem Leben.

Wenzeslaus.
Wer ist Er denn?

Läuffer.
Ich bin Hofmeister im benachbarten Schloß. Der Major Berg ist mit all seinen Bedienten hinter mir und wollen mich erschießen.

Wenzeslaus.
Behüte – Setz' Er Sich hier nieder zu mir – Hier hat Er meine Hand: Er soll sicher bey mir seyn – Und nun erzehl Er mir, derweil ich diese Vorschrift hier schreibe.

Läuffer.
Lassen Sie mich erst zu mir selber kommen.

Wenzeslaus.
Gut, verschnauf' Er Sich und hernach will ich Ihm ein Glas Wein geben lassen und wollen eins zusammen trinken. Unterdessen, sag er mich doch – Hofmeister – (legt das Lineal weg, nimmt die Brille ab und sieht ihn eine Weile an) Nun ja, nach dem Rock zu urtheilen. – Nun nun, ich glaubs Ihm, daß Er der Hofmeister ist. Er sieht ja so roth und weiß drein. Nun sag Er mir aber doch, mein lieber Freund, (setzt die Brille wieder auf) wie ist Er denn zu dem Unstern gekommen, daß Sein Herr Patron so entrüstet auf Ihn ist? Ich kann mirs doch nimmermehr einbilden, daß ein Mann, wie der Herr Major von Berg – Ich kenne ihn wohl; ich habe genug von ihm reden hören; er soll freilich von einem hastigen Temperament seyn; viel Cholera, viel Cholera – Sehen Sie, da muß ich meinen Buben selber die Linien ziehen, denn nichts lernen die Bursche so schwer als das Gradeschreiben, das Gleichschreiben – Nicht zierlich geschrieben; nicht geschwind geschrieben; sag' ich immer, aber nur grad geschrieben, denn das hat seinen Einfluß in alles, auf die Sitten, auf die Wissenschaften, in alles, lieber Herr Hofmeister. Ein Mensch, der nicht grad schreiben kann, sag' ich immer, der kann auch nicht grad handeln – Wo waren wir?

Läuffer.
Dürft' ich mir ein Glas Wasser ausbitten?

Wenzeslaus.
Wasser? – Sie sollen haben. Aber – ja wovon redten wir? Vom Gradschreiben; nein vom Major – he he he – Aber wissen Sie auch Herr – Wie ist Ihr Name?

Läuffer.
Mein – Ich heiße – Mandel.

Wenzeslaus.
Herr Mandel – Und darauf mußten Sie Sich noch besinnen? Nun ja, man hat bisweilen Abwesenheiten des Geistes; besonders die jungen Herren weiß und roth – Sie heißen unrecht Mandel; Sie sollten Mandelblüthe heißen, denn Sie sind ja weiß und roth wie Mandelblüthe – Nun ja freilich, der Hofmeisterstand ist einer von denen, unus ex his, die alleweile mit Rosen und Lilien überstreut sind, und wo einen die Dornen des Lebens nur gar selten stechen. Denn was hat man zu thun? Man ißt, trinkt, schläft, hat für nichts zu sorgen; sein gut Glas Wein gewiß, seinen Braten täglich, alle Morgen seinen Kaffee, Thee, Schokolade, oder was man trinkt und das geht denn immer so fort – Nun ja, ich wollt Ihnen sagen: wissen Sie auch, Herr Mandel, daß ein Glas Wasser der Gesundheit eben so schädlich auf eine heftige Gemüthsbewegung als auf eine heftige Leibesbewegung; aber freylich, was fragt Ihr jungen Herren Hofmeister nach der Gesundheit – Denn sagt mir doch, (legt Brille und Lineal weg und steht auf) wo in aller Welt kann das der Gesundheit gut thun, wenn alle Nerven und Adern gespannt sind und das Blut ist in der heftigsten Cirkulation und die Lebensgeister sind alle in einer – Hitze, in einer –

Läuffer.
Um Gotteswillen der Graf Wermuth – (springt in eine Kammer)

(Graf Wermuth mit ein Paar Bedienten, die Pistolen tragen)

Graf.
Ist hier ein gewisser Läuffer – Ein Student im blauen Rock mit Tressen?

Wenzeslaus.
Herr, in unserm Dorf ists die Mode, daß man den Hut abzieht, wenn man in die Stube tritt und mit dem Herrn vom Hause spricht.

Graf.
Die Sache pressirt – Sagt mir, ist er hier oder nicht?

Wenzeslaus.
Und was soll er denn verbrochen haben, daß Ihr ihn so mit gewafneter Hand sucht? (Graf will in die Kammer, er stellt sich vor die Thür) Halt Herr! Die Kammer ist mein, und wo Ihr nicht augenblicklich Euch aus meinem Hause packt, so zieh ich nur an meiner Schelle und ein halb Dutzend handfester Bauerkerle schlägt Euch zu morsch Pulver-Granatenstücken. Seyd Ihr Strassenräuber, so muß man Euch als Strassenräubern begegnen. Und damit Ihr Euch nicht verirrt und den Weg zum Haus' hinaus so gut findt als Ihr ihn hinein gefunden habt – (faßt ihn an die Hand und führt ihn zur Thür hinaus: die Bedienten folgen ihm)

Läuffer. (springt aus der Kammer hervor)
Glücklicher Mann! Beneidenswerther Mann!

Wenzeslaus. (in der obigen Attitude)
In – Die Lebensgeister sagt' ich, sind in einer – Begeisterung, alle Passionen sind gleichsam in einer Empörung, in einem Aufruhr – Nun wenn Ihr da Wasser trinkt, so gehts, wie wenn man in eine mächtige Flamme Wasser schüttet. Die starke Bewegung der Luft und der Krieg zwischen den beyden entgegengesetzten Elementen macht eine Effervescenz, eine Gährung, eine Unruhe, ein tumultuarisches Wesen. –

Läuffer.
Ich bewundere Sie ..

Wenzeslaus.
Gottlieb! – Jetzt können Sie schon allgemach trinken – Allgemach – und denn werden Sie auf den Abend mit einem Sallat und Knackwurst vorlieb nehmen – Was war das für ein ungeschliffener Kerl, der nach Ihnen suchte?

Läuffer.
Es ist der Graf Wermuth, der künftige Schwiegersohn des Majors; er ist eifersüchtig auf mich, weil das Fräulein ihn nicht leiden kann –

Wenzeslaus.
Aber was soll denn das auch? Was will das Mädchen denn auch mit ihm Monsieur Jungfernknecht? Sich ihr Glück zu verderben, um eines solchen jungen Siegfrieds willen, der nirgends Haus oder Heerd hat? Das laß Er sich aus dem Kopf und folg' Er mir nach in die Küche. Ich seh, mein Bube ist fortgangen, mir Bratwürste zu holen. Ich will ihm selber Wasser schöpfen, denn Magd hab' ich nicht und an eine Frau hab' ich mich noch nicht unterstanden zu denken, weil ich weiß, daß ich keine ernähren kann – geschweige denn eine drauf angesehen, wie Ihr junge Herren Weiß und Roth – Aber man sagt wohl mit Recht, die Welt verändert sich.

Dritte Scene.

In Heidelbrunn.
Der Geheime Rath. Herr von Seiffenblase, und sein Hofmeister.

Hofmeister.
Wir haben uns in Halle nur ein Jahr aufgehalten und als wir von Göttingen kamen, nahmen wir unsere Rückreise über alle berühmte Universitäten in Deutschland. Wir konnten also in Halle das zweytemal nicht lange verweilen; zudem saß Ihr Herr Sohn grade zu der Zeit in dem unglücklichen Arrest, wo ich ihn nur einigemal zu sprechen die Ehre haben konnte: also könnt ich Ihnen aufrichtig von der Führung Dero Herrn Sohns draussen keine umständliche Nachricht geben.

Geh. Rath.
Der Himmel verhängt Strafen über unsre ganze Familie. Mein Bruder – Ich wills Ihnen nur nicht verheelen, denn leider ist Stadt und Land voll davon – hat das Unglück gehabt, daß seine Tochter ihm verschwunden ist, ohne daß eine Spur von ihr anzutreffen – Ich höre itzt von meinem Sohn – Wenn er sich gut geführt hätte, wie wärs möglich gewesen, ihn ins Gefängniß zu bringen? Ich hab ihm ausser seinem starken Wechsel noch alle halbe Jahr außerordentliche geschickt; auf allen Fall –

Hofmeister.
Die bösen Gesellschaften; die erstaunenden Verführungen auf Akademien.

Seiffenblase.
Das seltsamste dabey ist, daß er für einen andern sitzt; ein Ausbund aller Lüderlichkeit, ein Mensch, für den ich keinen Groschen ausgäbe und er auf meinem Misthaufen Hungers krepirte. Er ist hier gewesen, Sie werden von ihm gehört haben; er suchte Geld bey seinem Vater, unter dem Vorwand, Ihren Herrn Sohn auszulösen; vermuthlich wär' er damit auf eine andere Akademie gegangen und hätte von frischem angefangen zu wirthschaften. Ich weiß schon, wie's die lüderlichen Studenten machen, aber sein Vater hat den Braten gerochen und hat ihn nicht vor sich kommen lassen.

Geh. Rath.
Doch wohl nicht der junge Pätus, des Rathsherrn Sohn?

Seiffenblase.
Ich glaub', es ist derselbe.

Geh. Rath.
Jedermann hat dem Vater die Härte verdacht.

Hofmeister.
Ja was ist da zu verdenken, mein gnädiger Herr geheimer Rath; wenn ein Sohn die Güte des Vaters zu sehr misbraucht, so muß sich das Vaterherz wohl ab von ihm wenden. Der Hohepriester Eli war nicht hart und brach den Hals.

Geh. Rath.
Gegen die Ausschweifungen seiner Kinder kann man nie zu hart seyn, aber wol gegen ihr Elend. Der junge Mensch soll hier haben betteln müssen. Und mein Sohn sitzt um seinetwillen?

Seiffenblase.
Was anders? Er war sein vertrautester Freund und fand niemand würdiger, mit ihm die Komödie von DAMON und PYTHIAS zu spielen. Noch mehr, Herr Pätus kam zurück und wollte seinen Platz wieder einnehmen, aber Ihr Sohn bestund drauf, er wollte sitzen bleiben: Sie würden ihn schon auslösen, und Pätus mit einem andern Erzrenomisten und Spieler wollten die Flucht nehmen und sich zu helfen suchen, so gut sie könnten. Vielleicht überfallen sie wieder so irgend einen armen Studenten mit Masken vor den Gesichtern auf der Stube und nehmen ihm die Uhr und Goldbörse, mit der Pistol auf der Brust, weg, wie sie's in Halle schon einem gemacht haben.

Geh. Rath.
Und mein Sohn ist der dritte aus diesem Kleeblatt?

Seiffenblase.
Ich weiß nicht, Herr geheimer Rath.

Geh. Rath.
Kommen Sie zum Essen, meine Herren! Ich weiß schon zuviel. Es ist ein Gericht Gottes über gewisse Familien; bey einigen sind gewisse Krankheiten erblich, bey andern arten die Kinder aus, die Väter mögen thun was sie wollen. Essen Sie: ich will fasten und bethen, vielleicht hab' ich diesen Abend durch die Ausschweifungen meiner Jugend verdient.

Vierte Scene.

Die Schule.
Wenzeslaus und Läuffer.
(an einem ungedeckten Tisch speisend)

Wenzeslaus.
Schmeckts? Nicht wahr, es ist ein Abstand von meinem Tisch und des Majors? Aber wenn der Schulmeister Wenzeslaus seine Wurst ißt, so hilft ihm das gute Gewissen verdauen, und wenn der Herr Mandel Kapaunenbraten mit der Schampignonsauce aß, so stieß ihm sein Gewissen jeden Bissen, den er hinabschluckte, mit der Moral wieder in Hals zurück: Du bist ein – Denn sagt mir einmal, lieber Herr Mandel; nehmt mir nicht übel, daß ich Euch die Wahrheit sage; das würzt das Gespräch wie Pfeffer den Gurkensallat; sagt mir einmal, ist das nicht hundsvöttisch, wenn ich davon überzeugt bin, daß ich ein Ignorant bin, und meine Untergebenen nichts lehren kann, und also müßig bey ihnen gehe und sie müßig gehen lasse, und dem lieben Gott ihren Tag stehlen und doch hundert Dukaten – Wars nicht soviel? Gott verzeyh mir, ich hab in meinem Leben nicht so viel Geld auf einem Haufen beisammen gesehen! Hundert funfzig Dukaten, sag' ich, in Sack stecke, für nichts und wieder nichts!

Läuffer.
O! und Sie haben noch nicht alles gesagt, Sie kennen Ihren Vorzug nicht ganz, oder fühlen ihn, ohn' ihn zu kennen. Haben Sie nie einen Sklaven im betreßten Rock gesehen? O Freyheit, güldene Freyheit!

Wenzeslaus.
Ey was Freyheit! Ich bin auch so frey nicht; ich bin an meine Schule gebunden, und muß Gott und meinem Gewissen Rechenschaft von geben.

Läuffer.
Eben das – Aber wie, wenn Sie den Grillen eines wunderlichen Kopfs davon Rechenschaft ablegen müsten, der mit Ihnen umgienge hundertmal ärger als Sie mit Ihren Schulknaben?

Wenzeslaus.
Ja nun – dann müst' er aber auch an Verstand so weit über mich erhaben seyn, wie ich über meine Schulknaben, und das trift man selten, glaub ich wol; besonders bey unsern Edelleuten; da mögt Ihr wohl recht haben: wenigstens der Flegel da, der mir vorhin in meine Kammer wollte, ohne mich vorher um Erlaubniß zu bitten. Wenn ich zum Herrn Grafen käme und wollt ihm, mir nichts, dir nichts, die Zimmer visitiren – Aber potz Millius, so eßt doch; Ihr macht ja ein Gesicht, als ob Ihr zu Taxieren einnähmt. Nicht wahr, Ihr hättet gern ein Glas Wein dazu? Ich hab Euch zwar vorhin eins versprochen, aber ich habe keinen im Hause. Morgen werd' ich wieder bekommen, und da trinken wir Sonntags und Donnerstags, und wenn der Organist Franz zu uns kommt, extra. Wasser, Wasser, mein Freund, αριστον μεν το υδωρ, das hab ich noch von der Schule mitgebracht, und da eine Pfeife dazu geraucht nach dem Essen im Mondenschein und einen Gang ums Feld gemacht; da läßt sich drauf schlafen, vergnügter als der große Mogul – Ihr raucht doch eins mit heut?

Läuffer.
Ich wills versuchen; ich hab' in meinem Leben nicht geraucht.

Wenzeslaus.
Ja freylich, Ihr Herren Weiß und Roth, das verderbt Euch die Zähne. Nicht wahr? und verderbt Euch die Farbe; nicht wahr? Ich habe geraucht, als ich kaum von meiner Mutter Brust entwöhnt war; die Warze mit dem Pfeifenmundstück verwechselt. He he he! Das ist gut wider die böse Luft und wider die bösen Begierden ebenfalls. Das ist so meine Diät: des Morgens kalt Wasser und eine Pfeife, dann Schul gehalten bis Eilfe, dann wieder eine Pfeife bis die Suppe fertig ist: die kocht mir mein Gottlieb so gut als Eure französische Köche, und da ein Stück Gebratenes und Zugemüse und dann wieder eine Pfeife, dann wieder Schul gehalten, dann Vorschriften geschrieben bis zum Abendessen; da eß' ich denn gemeiniglich kalt etwas, eine Wurst mit Sallat, ein Stück Käs oder was der liebe Gott gegeben hat und dann wieder eine Pfeife vor Schlafengehen.

Läuffer.
Gott behüte, ich bin in eine Tabagie gekommen –

Wenzeslaus.
Und da werd' ich dick und fett bey und lebe vergnügt und denke noch ans Sterben nicht.

Läuffer.
Es ist aber doch unverantwortlich, daß die Obrigkeit nicht dafür sorgt, Ihnen das Leben angenehmer zu machen.

Wenzeslaus.
Ey was, es ist nun einmal so; und damit muß man zufrieden seyn: bin ich doch auch mein eignet Herr und hat kein Mensch mich zu schikanieren, da ich alle Tage weiß, daß ich mehr thu' als ich soll. Ich soll meinen Buben lesen und schreiben lehren; ich lehre sie rechnen dazu und lateinisch dazu und mit Vernunft lesen dazu und gute Sachen schreiben dazu.

Läuffer.
Und was für Lohn haben Sie dafür?

Wenzeslaus.
Was für Lohn? – Will Er denn das kleine Stückchen Wurst da nicht aufessen? Er kriegt nichts bessers; wart' Er auf nichts bessers, oder Er muß das erstemal Seines Lebens hungrig zu Bette gehn – Was für Lohn? Das war dumm gefragt, Herr Mandel. Verzeyh Er mir; was für Lohn? Gottes Lohn hab ich dafür, ein gutes Gewissen und wenn ich da vielen Lohn von der Obrigkeit begehren wollte, so hätt' ich ja meinen Lohn dahin. Will Er denn den Gurkensallat durchaus verderben lassen? So eß Er doch; so sey Er doch nicht blöde: bey einer schmalen Mahlzeit muß man zum Kuckuck nicht blöde seyn. Wart Er, ich will Ihm noch ein Stück Brod abschneiden.

Läuffer.
Ich bin satt überhörig.

Wenzeslaus.
Nun so laß Ers stehen; aber es ist seine eigne Schuld wenn's nicht wahr ist. Und wenn es wahr ist, so hat Er unrecht, daß Er Sich überhörig satt ißt, denn das macht böse Begierden und schläfert den Geist ein. Ihr Herren Weiß und Roth mögts glauben oder nicht. Man sagt zwar auch vom Toback, daß er ein narkotisches, schläfrigmachendes, dummmachendes Oel habe und ich hab's bisweilen auch wol so wahrgefunden und bin versucht worden, Pfeife und allen Henker ins Kamin zu werfen, aber unsere Nebel hier herum beständig und die feuchte Winter- und Herbstluft alleweile und denn die vortrefliche Wirkung, die ich davon verspüre, daß es zugleich die bösen Begierden mit einschläfert – Holla, wo seyd Ihr denn, lieber Mann? Eben da ich vom Einschläfern rede, nickt Ihr schon; so gehts, wenn der Kopf leer ist und faul dabey und niemals ist angestrengt worden. Allons! frisch, eine Pfeife mit mir geraucht! (stopft sich und ihm) Laßt uns noch eins mit einander plaudern. (raucht) Ich hab Euch schon vorhin in der Küche sagen wollen: ich sehe, daß Ihr schwach in der Latinität seyd, aber da Ihr doch eine gute Hand schreibt, wie Ihr sagt, so könntet Ihr mir doch so Abends an die Hand gehen, weil ich meiner Augen muß anfangen zu schonen, und meinen Buben die Vorschriften schreiben. Ich will Euch dabey Corderii Colloquia geben und Gürtleri Lexicon; wenn Ihr fleißig seyn wollt. Ihr habt ja den ganzen Tag für Euch, so könnt Ihr Euch in der lateinischen Sprache was umthun, und wer weiß wenn es Gott gefällt mich heute oder morgen von der Welt zu nehmen – Aber Ihr müßt fleißig seyn, das sag' ich Euch, denn so seyd Ihr ja noch kaum zum Kollaborator tüchtig, geschweige denn – (trinkt)

Läuffer. (legt die Pfeife weg)
Welche Demüthigung!

Wenzeslaus.
Aber ... aber ... aber (reißt ihm den Zahnstocher aus dem Munde) was ist denn das da? Habt Ihr denn noch nicht einmal so viel gelernt, großer Mensch, daß Ihr für Euren eignen Körper Sorge tragen könnt. Das Zähnestochern ist ein Selbstmord; ja ein Selbstmord, eine muthwillige Zerstöhrung Jerusalems, die man mit seinen Zähnen vornimmt. Da, wenn Euch was im Zahn sitzen bleibt: (nimmt Wasser und schwängt den Mund aus) So müßt Ihrs machen, wenn Ihr gesunde Zähne behalten wollt, Gott und eurem Nebenmenschen zu Ehren, und nicht einmal im Alter herumlaufen, wie ein alter Kettenhund, dem die Zähne in der Jugend ausgebrochen worden, und der die Kinnbacken nicht zusammenhalten kann. Das wird einen schönen Schulmeister abgeben, wills Gott, wenn ihm aufs Alter die Worte ungebohren zum Munde herausfallen und er zwischen Nase und Oberlippen da was herausschnarcht, das kein Hund oder Hahn versteht.

Läuffer.
Der wird mich noch zu Tode meistern – Das unerträglichste ist, daß er Recht hat –

Wenzeslaus.
Nun wie gehts? Schmeckt Euch der Toback nicht? Ich wette, nur ein paar Tage noch mit dem alten Wenzeslaus zusammen, so werdt Ihr rauchen wie ein Bootsknecht. Ich will Euch nach meiner Hand ziehen, daß Ihr Euch selber nicht mehr wieder kennen sollt.


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