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Erstes Kapitel

Das Märchen von den Schildkröten

Zwei Schildkröten machten eine weite Reise. Wer lang hat, läßt lang hängen, ist ein altdeutsches Sprichwort. Schildkröten können nicht lang hängen lassen. Es sagten ihnen einige nach, sie wollten nicht, aber sie krochen fort und sagten: »Ihr seht ja, wir können nicht.«

Nun war freilich alles an ihrer Reise sehr drollicht und original. Kamen sie in ein Wirtshaus und wollten den Wirt mit einer Neuigkeit unterhalten, um sich die Zeche wohlfeiler zu verschaffen, so war es etwas, das er schon im vorigen Jahr um Licht und Seifkugeln gewickelt. Kamen sie in eine große Stadt und ließen aufgehen, oder wollten ihre Cour machen: so war's gemeinhin einem Minister, der um seine Entlassung angehalten, oder einer Dame, die zu der Zeit, als man ihnen die Adreßbriefe mitgegeben hatte, schön gewesen war. Sie waren aber schon fünfzig Jahr auf der Reise gewesen, als sie von Danzig nach Paris kamen, dem eigentlichen Ort ihrer Bestimmung. Dir die Komplimente herzusetzen, geneigter Leser, die sie bei dieser Gelegenheit gemacht und die alle höchst lächerlich beantwortet wurden, würde einen neuen Beitrag zum Vademekum geben. Wie sie sich der hohen Protektion eines Gönners empfahlen, der sie hinwiederum um ihre hohe Protektion bat: oder wie sie eine Dame mit den Grazien von Gnidus verglichen, die, nach den neusten Nachrichten, die sie hatten, Mätresse vom Favoriten sein sollte und jetzt die Wäsche seines Türhüters besorgte. Die spaßhafteste von diesen Anekdoten war wohl die, daß sie durch eine schöne polnische Mütze, die sie auf ihrem Rücken mühsam mitgeschleppt hatten und die den Weg nicht wenig verlängern mußte, ein unfehlbares Glück bei der Königin von Frankreich zu machen hofften, die, wie die neusten Nachrichten lauteten, eine Tochter des Königs von Polen war.

Sie kamen also mit ihrer Mütze in Paris an. Jedermann hielt sie für Polen. Sie konnten in den ersten Tagen nicht aus der Stellung kommen, so sehr hatte sie das Gewirr von Kutschen und Pferdefüßen erschreckt. Da zudem der eine obenein eine häßliche Kontusion bekommen, als vier Kutschen nacheinander über sein hornenes Dach gefahren waren. Sie wohnten vier Tage und vier Nächte nacheinander auf der Straße Saint-Jacques, um die französische Sprache zu lernen, die sich seit der Zeit sehr verändert hatte; aber ihr Kopf, besonders nach der Kontusion, war fast noch langsamer als ihre Füße. Weil eben auch ihr Wechsel ausging, so beschlossen sie wieder zurückzureisen. Nun war die Frage, wem sie die polnische Mütze abgeben sollten und was sie den Leuten antworten würden, wenn man sie um die Merkwürdigkeiten von Paris befragte. Sie beschlossen also diese vorher zu sehen.

Das erste, wonach sie sich auf dem Pont Neuf erkundigten, war der Graf Moritz von Sachsen, der berühmte Herzog von Kurland. Man wies sie in ein Wirtshaus, das diesen Namen führte. Hier sprach man vom Theater, und sie beschlossen, ins Schauspiel zu gehen. Es ward ein Stück von Racine gegeben, und der eine, der diese Instruktion vom Bürgermeister in ... mitbekommen, rief mit heller Stimme: »L'Auteur!« Eine Dame aus der Loge lachte über dieses Bonmot, wofür sie es hielt, und fünf neidische Marquis, denen es unerträglich war, sich einen Einfall von einem Deutschen gestohlen zu sehen, hatten schon die Absätze aufgehoben, unserer Schildkröte, die den Kopf sorglos herausgestreckt hatte, den Garaus zu machen, als sie glücklicherweise durch ihren Kameraden noch erinnert ward und beide sich in den ersten besten Postwagen setzten, um das verhaßte französische Nest auf ewig mit dem Rücken anzusehen.

Sie saßen beide sehr philosophisch im Postwagen, als ein Buchhändler, der neben ihnen saß und allerlei Gespräche auf die Bahn brachte, um seine Reisegesellschaft kennenzulernen, aus ihrem Stillschweigen, Kopfnicken und seltsamen Verbindung von Personen und Sachen, die nicht mehr zusammengehörten, den unfehlbaren Schluß machte, es müßten ein Paar Genies erster Größe sein. Wie erstaunte er, als er hörte, daß ein Deutscher es wagte (denn alle Fremden heißen Deutsche in Paris), seine Nation des Mangels an Geschmack zu beschuldigen und ihr vorzuwerfen, daß sie ihren besten Dichter nicht kennte. »Ebensowenig als ihren besten General«, sagte der andere und fiel wieder in ein geheimnisvolles, nachdenkliches Stillschweigen, das den Franzosen fast ganz außer aller Fassung setzte.

Wer könnte der Dichter, wer der General sein, dachte er, welchen kennenzulernen ein Paar Genies erster Größe von der andern Halbseite der Welt herreisen, ohne das andere in Paris einmal eines Anblicks zu würdigen. Die Ehrfurcht verschloß ihm den Mund, eine Frage zu wagen, die schon hundertmal seine Lippen regte: denn gewiß, dieser Zug war außerordentlich und ihm noch nie von einem Franzosen vorgekommen – bei denen doch nichts Sonderbares zum erstenmal geschieht.

›Wenn du diese Leute nicht in Verlag bekömmst‹, sagte der Buchhändler zu sich selbst und ward das erste Mal seines Lebens nachdenklich, ›so ist es um deinen Buchhandel und um deinen Geschmack geschehen.‹ Er wußte nicht, wie er's anfangen sollte, ihnen vorzuschlagen, daß sie ihm eine Beschreibung von Paris, von den Meinungen und Sitten der Einwohner, von dem Charakter des Hofes und der Großen, kurz von allem, was merkwürdig darin heißen kann, in seinen Verlag geben möchten. Und weil er sich vor nichts auf der Welt so sehr fürchtete, als eine abschlägige Antwort zu erhalten – welches für einen Franzosen das Fegefeuer ist –, so verschloß ihm, wie gesagt, die Ehrfurcht für unsere beiden Genies den Mund.

Er wandte sich an die Frauenzimmer, die mit im Postwagen saßen. Eine war eine Braut, die ihrem Geliebten in Astrachan in die Arme reiste, ein Weg, der ein wenig weit war; aber was überwindet die Liebe nicht? – – »Und die Franzosen nicht?« setzte der Buchhändler hinzu, an den sie mit diesen Worten ihre Geschichte beschlossen hatte.

Unterdes kürzte sie sich unterwegs die Zeit, welches unsern moralischen Schildkröten höchst ärgerlich vorkam. Sie kannten keine andere Sünde als die Unkeuschheit, so wie der Buchhändler keine andere Tugend kannte. Sie konnten also heut schwerlich miteinander eins werden – wenn es nicht das junge Pariser Mädchen etwa zuwege brachte, mit der er ein langes Tête-à-tête über diese Entreprise hatte, das mit einem herzhaften Schmatz beschlossen ward.

Unsere Schildkröten zitterten vor Eifer und Furcht, ihre Tugend zu verlieren, die die Natur, wie alle anderen Gaben, ihnen sehr sparsam zugemessen hatte. »Wie, die Herren sind doch nicht Kapuziner«, sagte der Buchhändler, den sie mit einem fürchterlich ängstlichen Blick ansahen. »Der Kleidung nach sollte man sie fast dafür halten. Wie, meine Herren, wen halten Sie denn für unsern besten Dichter? Den Grécourt doch wohl nicht?« – In dem Augenblick setzte sich die Braut zwischen die beiden Schildkröten, und ihnen verging Hören und Sehen, bis sie in einer tiefen Ohnmacht lagen. –

»Da haben wir's«, sagte der Buchhändler. –

»Es sind ein Paar Menschen von vielem Verstande«, sagte die Französin. »Ganz gewiß hat einer von ihnen die Leiden des jungen Werther geschrieben. Geben Sie nur acht, das wird er sein.«

Der Buchhändler zog eben die Lorgnette hervor, um ihn besser ins Gesicht zu fassen, und die Französin machte Anstalt, in Ohnmacht zu fallen, indem sie sich mit französischer Freiheit die Schnürbrust öffnete, an dem ein unglücklicher Knoten, über den sie in Verzweiflung geriet, in die Hände des allzu schnellen Buchhändlers geraten mußte – als mitten in den unterbrochenen Anstalten zur Ohnmacht ein verdrießlicher Vorfall, eine Maus – bald aus dem ganzen Spaße Ernst gemacht hätte ...

Wie die in den Postwagen kam, lass' ich unentschieden: genug, sie war da und war auf der Postkarte nicht eingeschrieben worden. Die ersten Komplimente zwischen der Französin und der Maus mag ich auch nicht beschreiben.

Wie sie sich zusammenzog, wie die Maus die Ohren spitzte, als sie mit den lächerlichsten Kontorsionen schrie: »Eine Maus, eine Maus!« – »Gott behüte«, sagte der Franzose, »es ist ja nur eine Maus!« – »Aber eine Maus!« schrie die Französin und warf sich ihm mit einem so entsetzlichen Zittern in die Arme, daß allen Anwesenden die Tränen in die Augen traten und unsere beiden Schildkröten durch das Geschrei und das Gezerr selber aus ihrer Ohnmacht zu sich kamen. Aber sie erschraken nicht weniger, als sie die Maus mit gespitzten Ohren vor sich sitzen sahen, die ihnen ungefähr folgende Anrede hielt.

 

Zweites Kapitel

Das Märchen von den Mäusen

»Erschrecken Sie nicht«, sagte die Maus mit sehr feiner Stimme, »ich bin der Zuckerbäcker des Grafen von Orléans, Konditor, Konfiteur, wie Sie's nennen wollen. Ich bin gar nicht fürchterlich. In der Tat«, sagte sie und stemmte beide Hände in die Seite, »ich bin ganz und gar nicht fürchterlich.« Nun war es keine von den geringen Mäusen: sie leitete ihr Geschlecht unmittelbar von denen ab, die den Bischof Hatto gefressen hatten. Der Bischof Hatto war ein ehrlicher Mann, aber auch nichts weiter. Er wollte den Mäusen ihre Privilegia nehmen und sie disziplinieren, verschloß also seinen Speiseschrank. Das nahmen sie übel und griffen ihn selber an. »Bei dieser Gelegenheit hielt einer meiner Vorfahren«, sagte der Konfiteur, »nachfolgende Rede an seine versammelten Mitbrüder, die ich als junges Mäuschen mitangehört habe.

›Helden, Halbgötter und Weltweise!
Meine wertesten Mitbrüder!

Weil wir als Mäuse das angeborne Privilegium haben, Menschen zu essen, so hört die Regeln der Tugend und der Pflicht, die wir uns dabei unverrückt vor Augen setzen. Der Mensch ist das edelste und vorzüglichste aller Geschöpfe, solang er uns die Speisen zubereitet; findet sich aber ein anderer, der dies besser oder wenigstens ebensogut kann, so erfordert es das Wohl des Staats und unser Gewissen, den ersten aufzuessen. Fürs erste wird dann jeder suchen, es besser zumachen, fürs andere gewinnen wir in jedem Fall gegen die hundert Pfund Menschenfleisch, welches bei diesen nahrlosen Zeiten verdient in Betracht zu kommen.‹

Hierauf machte er sich über den armen Bischof her, der eben in seinem Fett auf dem Bette lag. Seine Köchin lag bei ihm, die von Natur sehr kitzlig war und jetzt zu den Zuckungen und Schmerzen des armen Prälaten in das unverschämteste Gelächter ausbrach, weil die Mäuse ihr in die Kleider gekommen waren. ›Hahaha, was fehlt Ihnen‹, sagte sie zu dem ehrwürdigen Herrn, den eine an sein dickes Unterkinn gepackt hatte, durch das er ohnehin so schwer Atem holte. Aber so geht es; für diesmal hatte die Schreckensstunde noch nicht für den armen Bischof geschlagen, der Gebärden machte, als ob er unter der Glocke der Luftpumpe säße. Der gesunde, natürliche Witz seiner Köchin rettete ihm das Leben; sie nahm ein Stück gebratenen Speck aus dem Speiseschrank und legte es neben seinen dicken Hals hin, und Zeus gab Gnade, daß die Mäuse das Wohl des Staats und ihren Haß gegen den Bischof vergaßen und alle einmütig über den gebratenen Speck herfielen, worauf ein blutiger Krieg unter ihnen selbst entstand.

»Aber ach«, fuhr der Konfiteur fort und seufzte tiefer als der galante Äneas, da er die Geschichte von Priam erzählte; »dies war nur der Anfang unsers Unglücks. Die ehrvergessene Köchin hatte, wie alle Frauenzimmer, einen bitteren Ausgang an die Lust gehängt. Der Ausgang war diesmal eine Folterbank, die so künstlich eingerichtet war, daß der Gequälte sich über niemand als über sich selbst beschweren konnte.«

Hier sah ihn die Französin mit einem Blick des Mitleids an, der ihm durch alle Nerven drang. »War es etwa ein –«. fragte sie halb lachend, halb weinend.

»Schwitzkasten –«, fiel ihr die Schildkröte, mit den Zähnen knirschend, ins Wort – und die ganze Gesellschaft ließ ein Gelächter erschallen, daß die Pferde davon scheu wurden.

»O nein«, fuhr der Konfiteur mit Tränen fort, »es war die fürchterlichste Inquisition, die jemals der Republik der Mäuse den Untergang gedroht hat. Seit der Zeit haben wir unsere Freiheit verloren, wir verbergen uns in die innersten Höhlen der Erde, und selbst da sind wir vor den Verfolgungen unserer Feinde und vor ihren Folterbänken nicht sicher. Das Recht der Wiedervergeltung kam blutig über unser Haupt zurück: man lachte zu unsern Zuckungen, man weidete sich an unserm Schmerz. Ach hätten wir doch den Bischof Hatto ungestört gelassen! Oder wären wir nicht so unzeitig galant gegen seine Köchin gewesen, welches doch gegen alle Pflichten unsers Ordens ist.«

 

Drittes Kapitel

Das Märchen von der Frau und der Schildkröte

»Aber«, fuhr die Exmaus fort, »da ich doch hier einer schönen Dame gegenübersitze, muß ich ihr die Geschichte von der Frau und der Schildkröte erzählen.« Hierbei warf sie einen Blick auf die Schildkröte, als ob sie sie gecken wollte, und diese, die gegen einen so kleinen Feind immer noch Herz genug besaß, dachte ihn mit Basiliskenblicken zu töten, als der andere ungestört fortfuhr, und diese, um den Wohlstand nicht zu beleidigen, sich stellte, als ob sie eingeschlafen wäre.

Die Französin aber, die sich durch diese Pantomime unaussprechlich beleidigt fand, da die Maus eben eine Konversation zwischen ihr und der Schildkröte stiften wollte, nahm eine Stecknadel und stach die Schildkröte. Diese, anstatt eine solche Ausforderung anzunehmen, wie sich's gehörte, anstatt beredt zu werden und der armen Maus Zeit zu lassen, sich zu erholen, überließ dieser gern, allen Aufwand von Witz und Erfindungskraft allein zu machen, und begnügte sich mit dem Gedanken, daß Merkur eine Schildkröte in seinem Wappen führt, ein Gedanke, der sie stolz genug machte, über die Gunst der Französin weg zu sein.

Also fuhr die Maus fort:

»Der Mops hatte etwas gegessen, das er nicht hätte essen sollen, kurz er starb, und der Schmerz der Dame war unaussprechlich. Ihr erster Verdacht fiel auf ihren Mann. Denn der Hund hatte unter andern Tugenden auch die an sich, daß kein lebendiges Wesen in dem Zimmer der Dame erscheinen durfte, ohne von ihm mit so heller Stimme angebellt zu werden, daß der Mann den Augenblick davon unterrichtet ward. Nun aber war nur ein einziger Mensch so glücklich, das Herz des Hundes zu gewinnen, der zugleich auch das Herz der Dame hatte. Der Hund, wenn er ihn sah, gleich als ob er sich mit seiner Frau verabredet hätte, verzog den Mund, aber ließ kein Gelaut von sich hören. Ihr werdet die mystische Ursache davon in der Folge hören.

Sei es nun, daß der Mann im Traum davon unterrichtet werden oder daß der eine Glückliche die Unvorsichtigkeit begangen, dieses Rätsel der Natur selbst auszubreiten: genug, der Hund starb eines plötzlichen Todes, und das ganze Haus, ich möchte sagen, die ganze Stadt kam darüber in Bewegung. Denn Aglaura, die einen reichen Vater hatte und in kurzem eine halbe Grafschaft zu erben hoffte, wollte den Tod ihres Lieblings nicht unbemerkt lassen. Der Arzt ward geholt, der Hund ward geöffnet, seiner Krankheit ein neuer Name gegeben und der ganze Vorfall mit dem Bedenken des Arztes an die Akademie geschickt. Hier erwarb sich ein junger Galenus durch eine Disputation über diesen Vorfall, die er unter dem Titel De morbo canino drucken ließ, den Doktorhut.

›Wie‹, sagte der Beichtvater, den die Dame hatte holen lassen, ein fetter, galanter, aber doch gutherziger Mann, ›ich fürchte, Sie werden die Lacher auf die Seite Ihres Gemahls ziehen, wenn Sie diesen Vorfall zum Klagepunkt auf die Scheidung machen.‹

Nun konnte man Aglauren kein feineres Kompliment machen, als wenn man ihr Lieblingskapitel ins Gespräch brachte: das war das Kapitel von den Scheidungen, Das seltsamste dabei war, daß Aglaura in der Tat ganz unbescholten tugendhaft bei alledem war, und dies ist leicht zu beweisen, denn sie war sechzig Jahre alt. Sie wollte es aber nicht bewiesen haben, darum hielt sie sich einen Liebhaber, und es war in der Tat das feinste Kompliment, das ihr Gemahl ihr in seinem ganzen Leben zu machen gewußt hatte, daß er in ihrem hohen Alter den Unterhändler ihrer Liebe, den geschickten vertrauten Mops, aus bloßer blinder Eifersucht vergiftete.

›Wie‹, sagte die Dame zu dem Beichtvater, ›wenn er solche Grillen durch den Kopf laufen läßt, könnt' es ihm auch wohl bei der ersten besten Gelegenheit einfallen, mich zu vergiften. Soll ich denn das abwarten, Herr Pastor?‹

Der Beichtvater wußte wohl, was er tat. Ihr ins Gesicht zu sagen, daß sie davon nichts zu besorgen hätte, wäre zugleich unhöflich und unklug gewesen. Er hätte hinzusetzen können, daß, da ihr Leben die einzige Bedingung der Erbschaft ihres Vaters, weil sie keine Kinder hatte, der Mann das Letzte anwenden würde, dieses zu erhalten, aber er wollte kein Asmodi sein. Denn der Gedanke, daß ihr Mann ihr nach dem Leben trachte, war, wie besagt, der einzige, der sie bei guter Laune erhielt, wenn der Beichtvater für sich oder für andere etwas von ihr begehrte. Auch war es erbaulich anzusehen, wie er das Gespräch sogleich auf die Modelaster des Jahrhunderts zu lenken wußte, sobald ihr Mann in das Zimmer trat. Alsdann verdrehte sie die Augen wie eine Magdalene, und eine Träne der Buße nach der andern tröpfelte auf ihren Busen, der ihrer allzu großen Gewissenhaftigkeit auf eine impertinente Art widersprach.

Nun war die Sache klar, der Mann war eifersüchtig, und sie wünschte nichts, als seine Krankheit auf einen so hohen Grad zu treiben, daß die ganze Stadt davon überzeugt würde. Sie ließ also die Kutsche anspannen und schickte nach der Schildkröte. Die Schildkröte war aber vorher ganz falsch berichtet worden. Man hatte ihr weisgemacht, es sei die jüngste, schlüpfrigste und gefährlichste Dame von ganz Paris, die nach ihr geschickt hätte.« Hier gab die Französin ihrem Beisitzer abermals einen Stich mit der Nadel, der aber so viel Zorn, als Schildkröten nur fassen können, auf einmal in die aufgelaufenen Adern seines Gesichts bekam und, aus aller Fassung gebracht, folgendermaßen zu stottern anfing: »Madame! Wenn Sie jeden einfältigen Schnack einer Maus zur Wahrheit machen wollen, so muß ich Ihnen dienen, daß ich nach den neuesten Briefen, die ich habe, Sie für niemand anders als die berühmte Maintenon halten kann.« Er legte einen spöttischen Ton auf das Wort berühmt und glaubte ihr einen giftigen Stich versetzt zu haben, als sie ihm antwortete: »Sie werden vermutlich die berühmte Dubary meinen. Ja, mein Herr«, sagte sie und errötete vor Bescheidenheit, »Sie können es dreist in Ihr Reisejournal setzen, daß Sie mit der berühmten Dubary in einem Wagen gesessen und daß sie alle ihre Kunst an Ihnen erschöpft hat, aus Ihnen einen Menschen zu machen.«

»Ich bin mit meiner Gestalt sehr zufrieden«, sagte die Schildkröte.

»Da tun Sie sehr wohl daran«, sagte die Französin, warf einen so mitleidigen Seitenblick auf ihn und brach in ein so unverschämtes Gelächter aus, daß die gekränkte Eigenliebe der Schildkröte sich wirklich zu regen angefangen haben würde und sich in eine Begierde zu gefallen zu verwandeln, wenn die französische Hexe den Bogen nicht hätte zu hoch spannen wollen und sich der Maus aufs Knie gesetzt, in der Erwartung, daß die Eifersucht bis zum Zweikampf steigen sollte, wovor beide Parteien einen innerlichen Abscheu trugen.

Sie rückte also wieder in ihre vorige Lage, und die Maus bekam Odem, in ihrer Erzählung fortzufahren.

»Die Schildkröte kam also an«, sagte die Maus: »Aber – es war eine Schildkröte.«

»Sie können sagen, was Sie wollen«, fiel die Schildkröte ein, »Sie werden mich nicht aufbringen.«

In der ganzen Gesellschaft herrschte eine minutenlange Stille, wobei ein jedes mit dem ihm eigentümlichen Lächeln der Verwunderung und des Mitleids auf die Schildkröte herabsah. Umsonst, sie blieb unveränderlich.

»Die Schildkröte kam also an«, sagte die Maus, »sehr bestürzt über die Ehre, die ihr widerfuhr, weil Schildkröten sonst übel mit der Equipage bestellt oder nicht zu fahren gewohnt sind. Der Beichtvater selbst hatte ihr ein gutes Wort bei der Dame vorausgeschickt. Es sei die bescheidenste, die züchtigste, die ehrerbietigste Schildkröte, die jemals auf dem Pflaster zu Paris herumgekrochen und von dem unvernünftigen Pöbel mit dem Pflaster zu Paris sei verwechselt worden. Sie sei noch niemals zu Leuten gekommen, und für ihre Tugend könne er Bürge sein.

Sie ward sogleich zu der Dame aufs Kanapee gesetzt. Ihre Verwirrung war außerordentlich und stieg immer höher, je mehr die Dame sie zu ihrem Vorteil auslegte. Endlich, als Aglaura sich mit ein Paar elektrischen Augen auf seine Schultern lehnte und, indem sie ihre weiße Hand darüber herabhängen ließ, mit Tränen und Seufzern über die schwarze Seele ihres Mannes klagte, der den einzigen Freund, die einzige Gesellschaft, die ihr übrig war, ihr entrissen, vergiftet hätte, ›wie er denn alles vergiftet, was ich liebe‹ – als sie ihn mit der unwiderstehlichsten Vertraulichkeit um seinen Rat und Beistand bat, ihr zur Scheidung von dem verhaßtesten aller Geschöpfe, von ihrem Mann behilflich zu sein, fiel die Schildkröte ohnmächtig vom Kanapee und, wie die Dame glaubte, ihr zu Füßen. ›Ach, mein Freund‹, rief sie mit einem leisen Seufzer, der die Kapitulation zur Übergabe war, ›zu welch einer Stunde sind Sie gekommen? Wenn Sie die Stelle meines Mopses einnehmen wollen, wie glücklich könnten wir sein!‹ Der Beichtvater, dem damit gedient war, eine seiner Kreaturen in diese Vakanz eingeschustert zu haben, legte der Schildkröte die Antwort in den Mund. ›Eine Dame, deren Großmut sich bis auf die unvernünftigen Tiere erstreckt, verdient‹ – – ›die ganze Zärtlichkeit ihres Mannes‹, fuhr die Schildkröte fort, und es war, als ob sie einen Funken in einen Pulverkeller geworfen. Die ganze Gesellschaft, die ein Blick der Aufmerksamkeit auf ihn gewesen war, sprengte auseinander. Es waren mehr Personen im Zimmer, denn der Plan der Dame war gewesen, durch einen Bedienten, den sie bestochen, zum Spion des Mannes zu dienen und ihn hereinwinken zu lassen in dem Augenblick, als die Schildkröte seine Eifersucht auf den höchsten Grad über No. würde getrieben haben, welcher ungefähr nach der Einrichtung seiner spezifischen Schwere 5 – sein könnte. Alsdann sollte der Mann erst mit gezogenem Degen sie wacker ängstigen, bis sich die Straße mit Zuschauern erfüllt, die alle als Zeuge bei dem Scheidungsprozeß dienen konnten, alsdann sollte er ihren Buhler, die Schildkröte, aus dem Fenster werfen, das nur 5 Faden hoch und für die Schildkröte keine Hexerei sein konnte, da sie weiter nichts als das Dach oder die Oberetage zu zerbrechen wagte, und aus dieser Schale vielleicht, wie die Schmetterlinge aus der ihrigen, mit menschlichen Zügen hervorging.« –

»Hm!« hustete die Schildkröte, die sich durch diesen Vergleich am meisten beleidigt fand.

»Aber wie gesagt«, fuhr die Maus fort, »mit einem Wort hatte die Schildkröte (und darin sind Schildkröten stark) alle Pläne zu ihrem Glücke vernichtet. Denn sie sollte nicht allein die menschliche Natur, sondern auch eine Erbschaft von zwanzigtausend Livres antreten, durch ein eigenes Legat, das Aglaura ihr bei ihrem Vater auswirken wollte.

Nun aber erstaunte die Schildkröte so sehr als Aglaura über das unerwartete Kompliment. Denn der Beichtvater, dessen breites Gesicht auf einmal röter als der Vollmond gewesen, sprang erhitzt auf und rief ganz laut und deutlich: ›Der Tropf!‹ Mittlerweile die Dame, die sich ins Nebenzimmer begeben hatte, ihm noch die Retirade übriglassen wollte, ihr dahin zu folgen, welches die Schildkröte aus allzu großem Nachsinnen über das Beiwort des Beichtvaters versäumte. Denn da der Verstand der Schildkröten nach andern Gesetzen wirkt als der bei andern Wesen, hielt sie dieses Wort für eine Bestrafung ihrer Kühnheit, anstatt es für eine Aufmunterung zu halten. Sie blieb also mit Verlust des letzten bißchen Verstandes auf dem Boden liegen, als der Gemahl der Dame, bei dem der Bediente der Frau die Potipharsklage über den jungen Menschen erhoben, in das Zimmer trat und durch ein: ›Was ist das, was ist das?‹ sie vollends um die Besinnung brachte. Jetzt sollte die schreckliche Exekution an ihr vollzogen werden, das Fenster war geöffnet und –

 

Viertes Kapitel

Das Märchen von der Frau und der Maus

Als die Schildkröte sich in eine Maus verwandelte, die gerade in die Nebenkammer zu der Frau lief.

Ihre erste Retirade – denn der Mann fuhr mit zornigem Poltern ihr nach, sie zu suchen – war unter die Kleider der gnädigen Frau, die über diese Verlegenheit, ob mehr erstaunt oder mehr erfreut, das mögen die Kunstrichter entscheiden – in das nächste Sofa sank und, nachdem sie alle ihre Kräfte zum Schreien gesammelt, die ganze Welt zum Zeugen ihres Sieges und der Niederlage ihres Mannes aufforderte, der in der Tat ihr zu Füßen lag und sie bat, nicht so sehr zu schreien. Diese Bitte schien sie aber, wie die artigen Kinder, auf das Gegenteil zu deuten, so daß er stillschweigen mußte, wenn er nicht taub werden wollte. Es ward gefragt, es ward gebeten, es ward geweint: was ihr wäre? Es war nicht möglich, eine Antwort von ihr zu erhalten, so unvermutet war ihr diese neue Art von Liebeserklärung, von der kein Mensch im Zimmer Kundschaft nahm. Der Mann fragte, der Beichtvater fragte, der Mann beschwor sie, der Beichtvater nahm das Licht, man suchte, man untersuchte, man durchsuchte alle Winkel, alle Höhlen, man fand nichts, niemand fand was, das Übel steckte in der Einbildung der Frau. ›Haben Sie jemals einen alberneren, gleichgültigeren Tropf als meinen Gemahl gesehen‹, sagte sie mit Geschrei und Zuckungen zu dem Beichtvater, der ihr starrer und verwunderungsvoller gegenübersaß, als ob er vor der Gorgone gesessen hätte.

›Wie ist das‹, sagte der Beichtvater, der diesen Zustand für einen der außerordentlichen spasmodischen hielt, die Frauenzimmern aufzustoßen pflegen, ›wie ist das? Geht's noch nicht über?‹

›Wie kann das übergehen? – Aye!‹ schrie sie. ›Sie ist nicht gescheit‹, sagte der Mann und ging hinaus, als eine rosige Jungfer ins Zimmer trat.

 

Fünftes Kapitel

Das Märchen von der Jungfer und der Maus

›Sieht Sie, mein liebes Kind, was ich leiden muß‹, schrie die Frau und hielt ihr den Pantoffel hin, ›sieht Sie, welche Pein ich ausstehe.‹

Das Mädchen nahte sich sittsam und ehrerbietig, denn es war ihre Bruderstochter, um sie von dem fürchterlichsten und unüberlistbarsten Feinde zu befreien als – nun lernt Aglauren kennen – dieser Pantoffel war magisch – ein Schlag mit seinem Absatz hatte ihren Mops stumm gemacht, den einige für ihren ehemaligen Günstling hielten – kurz, Aglaura war eine Fee.

Sie stieß mit dem Pantoffel auf den Boden, und die Jungfer hielt folgende Anrede an die Maus, als sie zum Vorschein kam.

›Unglücklicher und geliebter Thomson, seh' ich dich wieder‹ – hierbei warf sie sich mit ihrem ganzen Leibe auf die Maus –, ›aber verbirg dich vor mir unter den tausend Gestalten fabelnder Träume, ich will, ich werde dich haschen, und wenn du in die tiefsten Höhlen des Erdbodens schlüpftest, ich finde einen Weg dir nach.‹

Hier jagte sie die Maus auf den Knien im Zimmer herum, als sich diese auf die Hinterfüße setzte und ihr folgende Gegenrede hielt: ›Liebenswürdigstes Mädchen! Überlassen Sie mich meinem unglücklichen Schicksal; ich habe mich dem Kriegsdienste gewidmet, um die Grausamkeit meiner Eltern wenigstens nach meinem Tode in Mitleiden zu verwandeln. Ich habe mich unter die Hessen verkauft, um Amerika mit dem Blut seiner Einwohner zu beflecken, und habe von der Fee Aglaura die Erlaubnis erhalten, dich vor dem Ende meines Lebens unter dieser Gestalt wenigstens nur noch ein einziges, ein letztes Mal zu sehen. O all meine Wünsche sind erfüllt, Dank sei es dem Pantoffel der Fee –‹

›Alle deine Wünsche?‹ rief Truella, noch immer kniend mit klagendem Ton. ›Alle deine Wünsche?‹

›Ja, alle die Wünsche‹, sagte die Maus, ›die als Maus in meiner Gewalt sind‹ – und hiermit lief er so schnell an der Schnürbrust der Schönen hinauf, ihr mit seinen kalten Pfoten über Gaze und Schultern hin, daß sie, die kurz vorher eines der verborgenen Wesen an ihm gesehen, das durch Feuerkräfte sie in ein höheres Selbst versetzte, jetzt nichts als Haare und Abscheu an ihm fand. – ›Nein, nimmer, nimmer ist das mein Thomson‹, rief Truella, ›dieses kleine haarige Ungeheuer mit Triefaugen und spitzen Kinnbacken. Wie, mein Geliebter, mein Thomson würde mir so nahe kommen, so dreist die Ehrfurcht entheiligen, in der ihn ein Blick von mir fern erhält! Eine Kreatur des Zauberers Koromandel hat seine Gestalt angenommen. Weh mir, er ist es nicht, er war es nicht, dem ich mich mit so vieler Offenherzigkeit hingab.‹

Es ist ein Unglück, daß Liebende immer glauben, durch ihre Gestalt zu gefallen, da sie eigentlich doch durch nichts gefallen können, als durch den Eindruck, den die Dame auf sie macht. Aber rede ihnen einer das einmal aus dem Sinne: ihr werdet sehen, daß in dem Augenblick selbst, da sie euch zu fassen, zu verstehen glauben, sie schnurgerade wider ihre eigene Erkenntnis und Empfindung handeln. Die Maus also konnte sich nicht in den Kopf bringen, daß sie der Dame mißfiele, so schäbicht und bestaubt auch ihr äußeres Ansehen war.

Ich habe einen Hofnarren gekannt, der nicht begreifen konnte, warum der Fürst nicht über ihn lachte, die Schuld auf Kabale, Mißgunst und Neider schob und Verwirrungen und Giftmischereien im Schilde führte, eher als er begreifen lernte, daß die Schuld an seinem Witze lag.«

»An seinem Witze«, sagte die Schildkröte mit einem tiefen, mitleidigen Seufzer, dem ersten, den die Dame neben ihr erträglich fand. »An seinem langsamen Witze«, antwortete die Maus langsam und gähnte, denn sie hatte den ganzen Abend fast allein gesprochen.

 

Sechstes Kapitel

Das Märchen von der Jungfer und der Schildkröte

Hierauf, gleich als ob sie der Schildkröte gutwillig eine Prise gegeben, fuhr die Maus schnell fort: »Es ist wahr, die Mäuse kommen überall hin, aber ihre Herrschaft dauert nicht lange. Die Schildkröten kommen nirgends hin, aber wo sie auch bleiben, da kleben sie.

Die Maus hatte sich in eine Schildkröte verwandelt und redete die Jungfer folgendermaßen an: ›Madame, wenn Ihnen mein ehrlicher Vorsatz, meine hörnerne Mütze, die Ungelenkigkeit und Steifigkeit aller meiner Bewegungen zuwider sind, so gebe ich Ihnen mein Wort – und mehr können Sie von mir nicht verlangen –, daß ich Ihnen einen Tag in der Gestalt der Schildkröte oder des Ehemannes, den andern in der Gestalt der Maus oder des Liebhabers erscheinen will. Bei diesen nahrlosen Zeiten kann ich nicht weitergehen.‹«

Hier wandte die Französin ein irrendes, unschlüssiges Auge bald auf die Maus, bald auf die Schildkröte: indem ihre Hochachtung für beide auf einen merklichen Grad gestiegen war.

»Wie«, sagte sie endlich, das erste Mal ihres Lebens mit einem bescheidenen Lächeln, »Herr Konfiteur! Ich gestehe, Ihre Fabel ist sehr lehrreich. Ich habe lange darüber mich hintersonnen, wem ein rechtschaffenes Frauenzimmer den Vorzug zu geben habe, ob dem Mann, der nicht immer gefallen kann, aber sehr nützlich ist, oder dem Liebhaber, der immer gefällt, aber zu nichts nützt.«

»Diese Frage sollen Sie den Augenblick entschieden hören«, sagte die Maus. Die Schildkröte nahm eine Prise Tabak, um zuzuhören.

»Ich habe oft meine Anmerkungen gemacht, als ich durch Frankreich reiste –«

»Wann war das?« fragte die Schildkröte.

»Als ich durch Frankreich reiste«, fuhr die Maus fort, indem ihr das Blut ins Gesicht stieg. Denn sie glaubte wirklich, die Schildkröten kämen ganz kürzlich von ihrer Tour de France zurück und hätten es darauf angesetzt, sie bei jedem Wort zu widerlegen – worin sie sich aber diesmal betrog.

»Daß«, fuhr die Maus behutsamer fort, »jede Provinz in Frankreich ebensowohl dem Charakter ihrer Bewohner als der Aussprache nach verschieden sei.« Um ihren Rezensenten zu gewinnen, zitierte sie die Schildkröte durch ein schmeichelhaftes: »Sie werden's auch so gefunden haben«, welches diese mit einem Kopfnicken beantwortete.

»Aber«, sagte die Maus nun kühner, »der Unterschied der Kreise, und ich möchte sagen, jeder kleinen Landesregierung in Deutschland ist noch weit auffallender. So habe ich zum Beispiel bemerkt, daß unter allen Deutschen die Hessen das wenigste Phlegma und bei dem allem eine Langsamkeit und eine Standhaftigkeit in ihren Entschließungen haben, die oftmals den Anstrich der Grobheit nimmt, weil keine unter allen deutschen Nationen hartnäckiger ist, ihre einmal gefaßten Ideen, allen Hindernissen zum Trotze, durchzusetzen.«

»Darin kommen sie den Franzosen lange nicht bei«, sagte der Buchhändler. »Eine Hessin wäre nicht nach Astrachan gegangen«, sagte die Französin.

»Sie wäre später dort angekommen«, sagte die Schildkröte.

»Und unschuldiger«, sagte die zweite Schildkröte, die zum ersten Male zu erkennen gab, daß sie auch in der Welt sei.

»›Truella‹, sagte Thomson –«, so fuhr die Maus fort, »›kann ich Ihnen in diesem ehelichen Panzer gefallen? Der betrügliche Schimmer der Ehre, und ach deines Beifalls selber, verführte mich, ein buntes Soldatenkleid anzuziehen, ganz wider den Willen meiner Eltern, die mich weder mit Geld unterstützen noch auslösen können. Mein Vater selbst, den ein kleines Dienstchen beim Zoll nährt, hat mir den Rat gegeben, in dieser Zöllnertracht‹, hier schüttelte er seinen grauen Frack, ›um dich anzuhalten. Er wird alsdann versuchen, ob er Bürgschaft für mich stellen und so nach und nach von einem Tage zum andern bei Heller und Pfennigen meine Loslassung bezahlen kann.‹

Truella warf einen mitleidigen Blick auf ihn und verschwand, und Thomson blieb in der tiefsten Traurigkeit zurück – denn bloß ihr zu. Gefallen hatte er in diese Metamorphose gewilligt.

Die Schildkröte schüttelte mit dem Kopf, legte sich auf die Seite und fing an zu schnarchen.

›Wie‹, rief Thomson, ›mächtige Fee Aglaura! Gib mir die Mäusegestalt wieder! Laß mich in hundert bloße Schwerter rennen, eh' ich Truella mißfalle.‹

›Es geht nicht mehr an‹, sagte die Fee.

Der Mann trat herein und sah einen Jüngling im grauen Frack stehen. Wer er wäre, woher er komme, was sein Gesuch sei, fragte er ihn mit einer so bewaffneten, gebieterischen Stirne, daß Thomson, der hier alle Hoffnung verschwinden sah, Mitleid und Sympathie zu treffen, ihm eine ebenso kühne als verzweiflungsvolle Antwort gab. Wer hätte glauben sollen, daß das scheinbare Werkzeug seines Unglücks das Mittel zu seinem Glück würde. Die Fee fühlte das erstemal ein zärtliches Mitleid, als sie sah, daß es diesem Menschen gelungen war, ihrem Gemahl Galle zu machen. Sie gab ihm die Mäusegestalt eben, als der Mann nach einem Stock griff – und wie groß war seine Verwunderung, als er in einer der unterirdischen Höhlen, wohin er sich retiriert hatte, ein versiegeltes Päckchen Goldstücke und ein Billett folgenden Inhalts fand:

›Sie werden die Lächerlichkeit nicht begehen, sich mit diesem Gelde von den Hessen loskaufen zu wollen, da man Sie in der Gestalt, die Sie jetzo bekleiden, weder gegen die Amerikaner noch gegen die Franzosen gebrauchen kann. Ihr Schicksal rührt mich, ob ich gleich die Ihrige niemals werden kann. Ihre auch in den Armen eines andern Ihnen noch gewogene

Truella.‹

›Ha, sie ist Braut!‹ rief Thomson. ›Und ich ein unglückliches Mittelding zwischen Maus und Schildkröte. – Ist das euer Plan? Sind das die Ziele eurer Erfindungen, reizendste Beherrscherinnen des Weltbaus, so muß ich der Fee fluchen, die unter allen gefährlichen Geschenken euch die verderblichste, die unseligste Gabe für unser Geschlecht – die euch Verstand verlieh.‹

Hiermit stürzte er sich in die immer tiefere Nacht der unterirdischen Gänge, bis er den Odem zu verlieren schien und in eine Art Schwindel verfiel, der, indem er tausend undeutliche Bilder vor seine erhitzte Phantasie brachte, ihm mit einer neuen Verwandlung zu drohen schien.

 

Siebentes Kapitel

Das Märchen von dem Kammermädchen und der Maus

Seit Diokletians Zeiten hat noch kein Mensch in einem so lethargischen Schlafe gelegen, als der war, aus welchem unsere Maus, ob nach zehn, ob nach fünfundvierzig Wochen, lass' ich ungesagt, durch einen plötzlichen Lichtschimmer und das klägliche Geschrei einer Köchin erweckt ward, die Aglaurens Haus verlassen mußte, weil ihr Fräulein Truella sie in einer mißlichen Stellung mit dem Ofenheizer angetroffen. Wäre es der Kammerdiener gewesen, dem die Köchin in der Tat mehr gewogen war, so hätte er vermutlich bessere Anstalten vorgekehrt, nicht überrumpelt zu werden. Da aber sinnliche Menschen, wie der Ofenheizer war, keine weiten Pläne anlegen, so war das Geschrei der Köchin ebensowohl Reue und Verdruß, daß sie ihren Fehltritt mit keinem witzigeren Subjekt hatte begehen können, als Eifersucht auf die Kammerjungfer, die durch die beschimpfendste und boshafteste aller Verrätereien die Ursache ihres Verderbens ward.

Alles dies war in dem Zimmer vorgegangen, unter welchem der unglückliche Thomson schlummerte. ›Wie‹, sagte Truella, als man sie ihren einsamen Betrachtungen überließ, noch ganz voll von dem Kampf und der Unruhe, die ein so verhaßter Anblick einem so jungen, so reinen, so kristallhellen Busen erregen mußte, ›sollte der Graf Aranda, dem man mich aufopfern will, der Graf Aranda, in dessen Gesicht ich so viel ähnliche gemeine Züge eben jenes Ofenheizers entdeckte – sollte er mir für den jüngsten, zärtlichsten, bescheidensten, getreuesten und gefühlvollsten Liebhaber Ersatz sein?

Und der ist verachtet, vernichtet, verschwunden – Himmel –‹ (hiermit trat sie vor den Spiegel), ›welches kann sein Schicksal gewesen sein?‹ Sie wagte es, ihre Augen noch einmal zum Spiegel aufzuheben.

›Welches? Welches?‹ – und ging einigemal heftig im Zimmer auf und ab. Thomson glaubte halb im Schlummer, die Fußtritte seiner Geliebten zu hören.

Empfindet er vielleicht schon jetzt nicht mehr? – Sie fuhr mit einer schaudernden Zuckung zusammen – und nahm den Nähbeutel.

›Thomson, Thomson‹, sagte sie, indem sie sich aufs Kanapee setzte und ihre Gedanken fest an das Pensum heftete, das sie sich heute vorgenommen fertigzumachen. ›Wie sehr verliert der Graf Aranda, jedesmal, daß er kommt, bei deiner Erinnerung.‹ Sie sah an die Gipsdecke, und eine Spinne, die sich eben herabließ, machte, daß sie in ein Geschrei ausbrach.

Thomson hörte unter der Erde die Stimme seiner Geliebten.

Nun sagt, daß es in dem verworfensten Winkel der Welt keine wohltätigen Feen gebe. Thomson lief wie ein Unsinniger über Stock und Block immer dem bezüglichen Zauberlaut nach, den er zu hören geglaubt hatte. So muß vermutlich den Geistern zumute sein, wenn sie aus gar zu großer Liebe zu den Sterblichen wieder auf der Oberwelt erscheinen, als Thomson nach seinem Siebenschlaf war, da er zum erstenmal seinen geklemmten Kopf durch eine enge Öffnung der Diele ans Licht brachte und – o Himmel, o ihr Engel, ihr Genien und Nymphen! – zwar verkehrt, denn die Öffnung ging von unten nach oben, aber doch deutlich und unbetrüglich die Lineamente seiner ewig geliebten Truella auf dem Kanapee sitzen sah.

Und wie sah er sie! – So klemmend und beängstigend seine Stellung war, so hätte er sie doch ein Säkulum durch ausgehalten – um sie so zu sehen.

Das Nähzeug war ihr aus den Händen gefallen, sie war nachlässig an die Lehne des Kanapees zurückgesunken, in einer tiefsinnigen Stellung – ihr sonnenhelles Auge, dessen Strahlen das ganze Zimmer füllten, schien auch ihn zu berühren, schien ihn zu fragen: Mäuschen, wie ist dir jetzt? –

›Ich sterbe zu deinen Füßen‹, sagte die Maus, zwar auch mit den Augen nur, und noch dazu mit den umgekehrten Augen, aber in einer sehr herzlichen Sprache.

Sie stand auf – sie trat ans Fenster – ihre Unruhe war allzu lebhaft – (so hatte es die Fee veranstaltet, damit sie auch ohne ihr Wissen gezwungen wäre, den armen Siebenschläfer zu trösten) – sie trat ans Klavier – für wen sollte sie spielen? Etwa für Aranda, um von ihm mit einer ekelhaft ausstudierten, gezwungenen Schmeichelei überfallen zu werden. – Dieser Gedanke, der sich in jeder ihrer Bewegungen malte, tröstete die unbemerkte, die verachtete Maus unaussprechlich. Sie machte das Klavier zu, legte einen Alabasterfinger auf den schönsten Mund und spazierte schnell im Zimmer auf und ab – als (o Wechsel! O Zauber! O Schauder!) etwas Lebendiges, etwas Bewegliches, etwas Unaussprechliches zu dem schönsten Schuh rannte, der jemals den Boden gedrückt hat, und auf einmal mitten im Zimmer, ratlos und unschlüssig, ob zu bleiben oder zu fliehen, mit ein paar beweglichen, funkelnden Blicken sie um Gnade, um Verzeihung bat.

Sie wollte die Kammerjungfer rufen – aber die magische Stille um sie herum war so reizend, der Zeuge ihrer Gemütsbewegung so unschuldig, der Augenblick, in dem sie überfallen worden, so wenig für andere Zeugen, daß sie diesen unmenschlichen Vorsatz aufgab, sich aufs Kanapee warf, der ehrfurchtsvollen Attitüde der Maus gefällig zusah und mit einem Seufzer, der den schönsten Busen des Anblicks eines Jupiters würdig machte – auf einmal aufsprang und rief: ›Er ist hin, er ist hin, er zeigt sich mir unter dieser Gestalt an.‹

Die Maus, die ihr Glück nicht tragen konnte, stürzte sich in ihre Höhle zurück – das war ihr Verbrechen und ihr Unglück –, und der Drache der Keuschheit, die Kammerjungfer, trat ins Zimmer, und ihr falbes Auge dehnte sich eine Elle lang, als bleich mit zerstörten Locken, steigendem und fallendem Busen der schönste aller irdischen Engel ihr in ihre runzlichten Arme sank.

›Ach, er ist hin‹, riefen die beweglichen Korallen ihrer Lippen noch einmal, die in diesem Augenblick das rührendste Weiß überzog, das jemals in einer stürmischen Herbstnacht die purpurnen Blätter einer Rose kandiert haben kann. ›Er ist hin‹, sagte sie und sank mit ihrer Parze aufs Kanapee, als die Maus voll Verzweiflung, unwissend, was sie tat oder wo sie war, abermals bestürzt durchs Zimmer rannte, um sich nach Truellas Befinden zu erkundigen.

Die Kammerjungfer in der Wut ihres ewigen Kranzes, den der Kammerdiener durchaus nicht auf die Probe setzen wollte, nahm die Zange, die am Kamin stand, und gab dem bestürzten Liebhaber damit einen so wilden Schlag über die Schläfe, daß er ohne Besinnung zu ihren Füßen sank.

›Grausame! Unmenschliche! Was hast du getan!‹ rief Truella. ›Dieses Tier, diese Maus –‹

Aber sieh – die Maus reckte die Ohren noch einmal, um die letzten Töne von ihren Lippen aufzufangen, und blies die kleine unberühmte Seele aus. Ihr Name hatte weder in einem Zeitungsblatt noch in einem Journal gestanden. Sie war niemals auf die Liste der Avancements oder der Ratswahlen gekommen. Sie hatte ihr Brot mit Schreiben verdient und alsdann die Waffen ergriffen, beides gleich unglücklich – beides mit gleicher Gewissenhaftigkeit und Eifer für das Vaterland. Sie hatte in ihrem Leben keinen einzigen Fehltritt begangen, als daß sie sich unterstand, die allzu liebenswürdige Truella zu lieben.

 

Achtes Kapitel

Das Märchen von der Jungfer, der Frau, dem Kammermädchen, der Maus und der Schildkröte

In dem Augenblick trat die Fee ins Zimmer. ›Pfui‹, schrie die Kammerjungfer, ›schafft den Geruch weg‹, und wollte die Maus in den Kamin werfen. Die Unterlippe der Maus schien ihr noch ihre Grausamkeit vorzuwerfen, und ihr dunkles, dunkles Auge flehte den ihr nun nicht mehr sichtbaren Reiz Truellas um Hilfe an. Ein anderer, schien dies Auge zu sagen, würde dasselbe an dir gesehen haben, aber vielleicht nicht mit der Erkenntlichkeit.

›Wie‹, sagte die Fee, ›wer hat diesen Mord ausgeübt?‹ – und in dem Augenblick schlug der Kammerjungfer das Herz. Sie erinnerte sich einer Prophezeiung, die ihr bei ihrer Wiege geschehen war, daß sie ihren künftigen Gemahl umbringen würde. Keine Prophezeiung hätte lebhafter auf sie wirken können – sie betrachtete die Lineamente der Maus genau und fand darin eine große Ähnlichkeit mit dem Kammerdiener. Die Ähnlichkeit ward immer größer, je länger sie sie ansah, ihr Gewissen entrunzelte sich, sie warf sich mit Heulen und Geschrei auf den Leichnam der Maus und fing an, sich die grauen Haare unter ihrer falschen Tour auszuraufen. ›Meine einzige, meine letzte Hoffnung‹, schrie sie, ›ach, sind wir Frauenzimmer denn gemacht, Mannspersonen umzubringen?‹

In dem Augenblick trat Philipp, der Kammerdiener, frisch und gesund ins Zimmer – das Kammermädchen sprang auf, spuckte auf die Maus, stieß sie mit den Füßen von sich – als die Fee voll Zorn Philipp, den Kammerdiener, zu ihren Füßen in eine Schildkröte verwandelte.

›Nichtswürdige‹, sprach die Fee zu der Kammerjungfer, ›diese Maus, die du umbrachtest, war der ehemals in dem Kriege wider die Mohren so berühmte Prinz Torus. Ich war es, die dieses edle Herz aus Eifersucht gegen seine Mutter verfolgte, deren Gemahl von mir angebetet ward. Ich nahm ihm das Bewußtsein seines Standes und aller damit verknüpften Vorteile, damit er, an Hilflosigkeit und Schüchternheit dem letzten Mauleseltreiber in Aragonien ähnlich, auch seine Fühllosigkeit und Stumpfheit des Verstandes annehmen möchte. – Aber bei aller Macht, die ich habe, konnte mir dieses Letzte nicht gelingen. Seine gute Natur arbeitete sich durch, und die überraschende Ähnlichkeit der Gesichtszüge und der Denkungsart mit seinem Vater verstimmte oft in den entscheidendsten Augenblicken meine zur Rache gespannte Seele. Wie oft eilte ich mit wallendem Mutterbusen auf ihn zu, wenn ich in der Minute vorher mit dem reifsten Plan zu seinem Tode fertig geworden war. Nun mußt du, du Furie der Keuschheit, dieses aufgeschobene, dieses mir zu heilige Opfer vollziehen! Vollziehen in dem seligsten Moment meines Lebens, als ich mit einem entgegengesetzten Plan zu seinem Glück fertig war. Als ich in das mir ganz offene Herz Truellas den liebenswürdigsten aller Gedanken sandte, ihn in dieser unscheinbaren, abwürdigenden Maske zu ahnden, zu erkennen – oh, welche Züchtigung für mich – welche Strafe für die unschuldige Truella, wenn ich ihr ankündigen muß, daß der Graf Aranda, der ihre Treue für den unglücklichen Thomson wanken machte, niemand anders als mein unbeholfener, unseliger Mann ist, den ich in diese Karikatur von Liebe aber umzauberte, um an Truellas Herz eine Probe zu machen, ob ein Frauenzimmer einer standhaft-zärtlichen Neigung für eine Mannsperson fähig sei. Ach, Truella, Truella, warum habe ich mich auch an dir betrügen müssen! An dir, die mich mit dem männlichen Geschlecht aussöhnen sollte, das ich wenigstens durch dich zur Liebe und Verehrung reizen wollte, die sie mir wegen meiner allzu lebhaften Rache gegen den Prinzen Torus zu versagen schienen. Truella, ich war ein Mädchen wie du, aber mein Fehler war von einer entgegengesetzten Art, ich liebte zu lebhaft, zu standhaft und ließ mich dadurch zu einer Rache verleiten, die mich um nichts gebessert hat. Wie glücklich wäre ich, dich jetzt als das einzige Beispiel in einer leichtsinnigen Welt ganz glücklich in den Armen eines jungen Menschen zu sehen, der so ganz für dich lebte – als du es verdientest. –‹

›O Furie!‹ rief hier Truella gegen die Kammerjungfer und ging mit ausgebreiteten Armen des Schmerzes und hüpfendem Busen umher, indes die Nachtigall aus dem verdunkelten benachbarten Zimmer ihr melancholisches Lied anstimmte und einen Regen von tausend Tränen auf das rosige, das schönste Gesicht zog.

›Wenn ich eine ausgesuchte, eine empfindliche Strafe für dich zu ersinnen wüßte, vierfache Mörderin aller unserer guten Vorsätze‹, sagte die Fee –

›Geben Sie mir die Schildkröte zum Mann‹, sagte die Kammerjungfer –

›Du sollst diesen Wunsch bereuen‹, sagte die Schildkröte.

Und der Beichtvater trat herein.

 

Letztes Kapitel

Das Märchen von dem Beichtvater

›Da sieht man die Folgen einer unordentlichen Liebe‹, sagte der Beichtvater. ›Wie nötig ist es doch, alle jungen Leute vor dieser gefährlichsten aller Klippen frühzeitig zu warnen, durch Lehre und Beispiel zu warnen, gnädige Frau –‹

Hier nahm er dem Bedienten, der ihm das Frühstück brachte, die Schokolade ab. Die Fee trank mit, auch Truella ließ sich endlich erbitten, mitzutrinken. Sie sagte dabei, der Anblick der Maus täte ihr zu wehe, und man machte Anstalt, die Leiche beiseite zu schaffen. Ein seltener Vorfall bewegte sie zum Lachen. Die Kammerjungfer trat mit einer demütigen Verneigung zum Beichtvater und sagte, sie hätte sich mit göttlicher Hilfe entschlossen, sich nach den Gesetzen der Kirche in den Stand der Ehe zu begeben. Der Beichtvater gab ihr seinen Segen, und als er endlich im Scherz fragte, wo denn aber der Widder sei – und sie, die ihn sogleich verstanden, mit lachendem Munde rief: "Hier" – und der Chorherr sich umwandte, mit den Blicken nach dem Bräutigam zu suchen, ihn aber nirgends fand – bis die Schildkröte unterm Tisch rief: "Hier!" – und der dicke Pfarrer vor Schrecken seine ganze Tasse Schokolade verschüttete –, so fielen einige Tropfen davon so heiß auf gewisse delikate Teile der Schildkröte, daß sie, die in ihrem Leben wenig Wärme erfahren hatte, mit einem fürchterlichen Geschrei: "Feuer! Feuer!" durchs Zimmer kroch.

Die schöne Truella konnte sich unmöglich enthalten, über dieses naive Geständnis der Kälte eines Liebhabers zu lachen, der so gern der Maus nachgeahmt hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre.«

Hier erwachte die Schildkröte und hustete, um dem unverschämten Märchen der Maus endlich einmal ein Ziel zu setzen, allein in dem Augenblick schlug der Postwagen um, worauf die Französin, Buchhändler, Maus und Schildkröte mit einem aus so verschiedenen Stimmen vermischten verworrenen Geschrei übereinandertaumelten, daß es fast (denn die Schildkröten schreien aus allen Kräften) dem Geschrei einer verzweiflungsvollen Nymphe ähnlich ward, die ein Faun überfallen hat.


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