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Zwölftes Buch

Eine große Anzahl Wagen erwartete die De Greys und die anderen Gefangenen, die durch die Tapferkeit der Naïren befreit waren. Auf der anderen Seite des Flusses schienen sie in eine neue Welt versetzt zu sein. Welch ein großer Unterschied zwischen der Grenzstadt, durch die sie jetzt zogen, und einer mohammedanischen Stadt. Dort sind die engen Gassen durch die häuslichen Gefängnisse an beiden Seiten verdunkelt, die allgemeine Stille und Mutlosigkeit macht sie zu einem Aufenthalt des Schreckens, und die vergitterten Fenster, die hier und da kaum sichtbar unter dem Dach hervorscheinen, erfüllen die Seele mit Gedanken an Sklaverei und Einkerkerung. Doch hier in dieser indischen Stadt sind die Gassen weit und lebhaft und die Häuser mit Fenstern reichlich versehen, aus denen fröhliche Menschengesichter blickten. Die De Greys glaubten in Europa zu sein, und ihren Reisegefährten erschien das Ganze wie ein Traum. Eine Bande Musikanten ging vor ihrem Wagen her, und unter den Zurufen des Volks kamen sie vor dem Hause des Gouverneurs an, der sie, an Stelle des Fürsten dieser Provinz, der nach Kalekut gereist war, um Osva zu huldigen, bewirtete.

Naldor hatte De Grey einen Brief von Firnos mitgebracht, doch die Neugierde der Einwohner, ihn und seine Schwester zu sehen, war so groß, daß er ihn nicht eher öffnen konnte, als da sie beim Gastmahl saßen.

»Firnos, der Sohn Agalvas, an Walter, den Sohn Gertrudens.

»Ich habe Euch so viel zu sagen, lieber Freund, daß ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Wie sehr bedaure ich, daß Eure Wunden Euch verhinderten, mich und Lacy zu begleiten. Doch, um nichts zu vergessen, muß ich durchaus eine Ordnung in diesem Brief beobachten, ich will also bei unserer letzten Trennung anfangen.

»Euer Landsmann Lacy ritt wie ein Wahnsinniger, und ich war beschämt, daß ich immer zurückbleiben mußte. Ihr wißt, wie abscheulich schlecht die persischen Wege sind, und jeden Augenblick liefen wir Gefahr, den Hals zu brechen. Ich habe nie in meinem Leben einen solchen Springinsfeld gesehen. Junge Engländer sind meistenteils wild, aber er ist doch alt genug, um fester und ernsthafter zu sein. Kaum konnte unsere Begleitung gleichen Schritt mit uns halten; wir gingen endlich über den Indus und setzten unsere Reise in einem leichten Wagen, mit vier Pferden bespannt, fort. Lacy verschwendete Geld an die Postillione, um sie dadurch zu bewegen, geschwinder zu fahren, und auf dem ganzen Weg sprach er nur von den malabarischen Weibern.

»Die Bewegung meines Oheims, des Samorins, bei der Erzählung des unglücklichen Schicksals meiner Mutter will ich Euch nicht schildern. Obschon er sie lange vorher durch den Ozean verschlungen glaubte, so versank er doch jetzt bei der Wahrscheinlichkeit ihres Todes auf einige Augenblicke in trostlose Verzweiflung. Bald darauf faßte er rachedürstend sein Schwert und schwur, das Geschlecht der Muselmänner ganz auszurotten. Mit der wiederkehrenden Ruhe fiel auch ein Strahl von Hoffnung in seine Seele, und die Gewißheit, daß sie der Wut der Wellen entgangen war, schmeichelte ihm mit der Möglichkeit, daß sie auch alle folgenden Unglücksfälle könnte überstanden haben.

»Ich war diesen Abend nicht sehr zur Gesellschaft aufgelegt; da ich aber Lacy versprochen hatte, ihn bei unseren Damen vorzustellen, so gingen wir in den Saal und fanden Fitz Allan in der Mitte des Kreises. Der geschmeidige Fitz Allan schien die Entfernung von St. James nicht sehr zu bereuen; obgleich der Mittag seines Lebens schon vorüber ist, so besucht er doch noch die Hälfte der Damen bei ihrer Toilette. Wie unerwartet war ihm die Erscheinung seines alten Freundes und Mitstudenten. Ihr werdet Euch noch erinnern, daß es in Allans Castle war, wo Agalva zuerst Lacys Dienste annahm. Beide flogen einander in die Arme, und Fitz Allan war so außer sich vor Freude, daß er sogar vergaß, seinem Freund bei dieser Gelegenheit ein Kompliment zu machen.

»Ihr könnt Euch leicht vorstellen, wie groß die allgemeine Neugierde war, Lacy, den Reisegefährten meiner unglücklichen Mutter, zu sehen. Die Nachricht unserer Ankunft verbreitete sich bald wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Jeder hatte eine andere Frage zu tun, und Lacy geriet in Verlegenheit, wie er sie alle beantworten sollte. Die Erzählung von dem Mord meines Bruders erregte ein allgemeines Verlangen nach Rache. Der Pöbel geriet in Wut. Schon zogen sie bewaffnet und mit kriegerischer Musik haufenweise durch die Straßen und verlangten nur einen Anführer, der sie unmittelbar gegen Candahar führe.

»In dem Hof des Palastes entstand auf einmal ein Aufruhr, und der alte, schwarze Verschnittene stürzte atemlos in den Saal. Erst lange nachher konnte er so viel Luft schöpfen, um vernehmlich sprechen zu können. ›Eilet, eilet, ihr Naïren,‹ rief er, ›der Pöbel will den Prinzen von Candahar in Stücke zerreißen, um den Tod von Agalvas Kind an ihm zu rächen.‹

»Alle gegenwärtigen Kavaliere eilten zu seiner Hilfe. Mit gezogenen Schwertern drangen wir durch die Menge, und der verblendete Haufe glaubte, wir kämen ihnen beizustehen, anstatt uns ihrem Vorhaben zu widersetzen. ›Haut ihn in Stücke,‹ schrien sie, ›und jedes seiner Glieder soll eine Fahne des Phönix zieren.‹

»Sie erkannten mich endlich beim Fackelschein und zogen sich ehrerbietig zurück. ›Überlaßt den Unglücklichen meinen Händen‹, rief ich; ›ich bin auch Agalvas Sohn und der Bruder des gemordeten Prinzen. Vergönnt mir das Vergnügen, mich an ihm zu rächen; aber Handlungen der Gerechtigkeit scheuen das Tageslicht nicht, laßt uns daher seine Strafe bis morgen aufschieben.‹

»Durch diese List befreite ich ihn aus ihren Händen, und wir kehrten mit ihm, der halbtot vor Furcht war, in den Saal zurück.

»Lacy heftete seine Augen auf Abas, der noch nicht wieder zu sich gekommen war. ›Gerechter Himmel!‹ ruft er aus: ›sehet hier den Sohn Agalvas, den Euer Pöbel im Begriff war zu opfern, um ihren eigenen Tod zu rächen.‹

»›Osmin!‹ rief der Verschnittene verwunderungsvoll aus.

»›Ja,‹ antwortete Lacy, indem er den Verschnittenen in seine Arme drückte, ›ich bin Osmin, dessen Leben Ihr schontet, als Ihr mich verkleidet in Zelidas Zimmer fandet.‹

»Die ganze Gesellschaft blickte wechselweise auf sie und auf Abas; der Samorin, der in den Saal getreten war, zitterte vor Ungeduld, die Wahrheit zu erfahren. ›Gnädigster Herr,‹ sagte Lacy, indem er sich zu ihm wendete, ›seht hier Euren Neffen; der feige Sultan, damit die Naïren nicht zu Agalvas Hilfe herbeieilen sollten, hatte sie gezwungen, ihren Rang und ihre Nation geheimzuhalten. Zelida war der Name, den Agalva in Candahar angenommen hatte, und Abas ist Zelidas Sohn.‹

»Welche allgemeine Freude erregte diese Entdeckung! Der Samorin drückte den jungen Perser an sein Herz, der gedankenlos vor sich hinstarrte, ohne die Ursache seiner Liebkosungen zu begreifen.

»Auf diese Art hat mein Oheim einen Neffen und ich einen Bruder gefunden, und die Nachfolge von Samoras Geschlecht ist noch mehr befestigt worden: Osva und Abas, die zwei Kinder Agalvas, sind uns wiedergegeben worden; aber wo ist ihre unglückliche Mutter?

»Diese neue Entdeckung verbreitete sich bald durch jeden Teil der Hauptstadt. Eine Proklamation befriedigte die Neugierde des Publikums, und den anderen Morgen kam dasselbe Volk, das wahrscheinlich unter anderen Umständen Abas' Tod verlangt hätte, kam jetzt (wie sonderbar ist doch der Wechsel der Dinge) mit Musik begleitet, und wünschte, daß es ihm erlaubt sein möchte, seine Augen an dem neuen Abkömmling der Semiramis zu weiden.

»Doch jener würdige Verschnittene, dessen Menschlichkeit meines Bruders, und wahrscheinlich auch meiner Mutter und Lacys Leben rettete, ist nicht mehr. Er hatte von der Natur ein zu zartfühlendes Herz, das bloß zur Liebe erschaffen war, erhalten. Mohammedanische Eifersucht hatte ihm zwar das Vermögen geraubt, sie zu befriedigen, konnte aber doch nicht in ihm das Verlangen töten, noch ihn von den Gefühlen eines Mannes befreien. Ihr wißt, daß man in Persien öfters Weiber an Verschnittene verheiratet. Umsonst hatten ihm meine Landsleute vorgestellt, daß eine so unnatürliche Vereinigung in Kalekut nie gebilligt werden würde. Den nämlichen Abend nach meiner Ankunft, als ich sah, wie viel Verbindlichkeiten wir ihm schuldig waren, erneuerte ich gegen ihn die Anerbietungen meiner Freundschaft und meines Schutzes; der verblendete Unglückliche fragte nach Eurer Schwester Emma und bekannte mir, daß er sich noch schmeichle, sie würde ihr Versprechen erfüllen. Ich konnte seinen Hoffnungen unmöglich einige Aufmunterungen geben und stellte ihm daher vor, daß, so dankbar sie ihm auch ohne Zweifel für seine gute Behandlung und für die erzeigten Gefälligkeiten sein würde, sie doch vor allen Dingen ihre erste Pflicht, nämlich Mutter zu werden, zu erfüllen suchen müsse, und daß jede Verbindung der Liebe, die nichts zur Bevölkerung beitragen könne, verbrecherisch sei. Er schien über diese Erklärung traurig und niedergeschlagen zu sein. Als das Abendessen vorüber war, umarmte er Abas und brach in Tränen aus. Den anderen Morgen fand man ihn in seinem Blut schwimmend, mit abgeschnittener Kehle, auf seinem Lager. Wie übel angebracht ist doch die Menschenliebe der Enthusiasten in Eurem englischen Parlament, die glauben, daß durch die Abschaffung des Sklavenhandels die Lage der armen Neger gebessert werden würde. Ist die Zahl der Sklaven, die auf Eure Inseln gebracht werden, mit der Menge zu vergleichen, die ihr elendes Leben in den Harems von Asien und Afrika hinschleppen? Zu Jamaika sind sie Sklaven, aber Sklaven von aufgeklärten Herren; sie genießen sogar eine Freiheit in der Liebe, die ihre eigenen Herren nicht genießen. Diesseits des Atlantischen Meers hingegen sind sie die Sklaven unwissender und roher Haustyrannen, sie genießen die Süßigkeiten der Liebe, die ihre Ketten erleichtern könnten, nicht, und da sie das Vermögen zur Fortpflanzung verlieren, so muß ihre Anzahl beständig durch andere wieder vollständig gemacht werden.

»Ehe er noch seinem Dasein ein Ende machte, schrieb er einen Brief an Abas, den ich Euch seiner Sonderbarkeit wegen hier beischließe.

»Hätte sich Abas nur etwas auf seine Verwandtschaft mit dem Sultan, seinem vorgeblichen Vater, eingebildet, so würde es nicht schwer gehalten haben, ihn wegen seiner Anmaßungen auszulachen; denn da Lacy zu jener Zeit in seiner vollen Kraft, und der Sultan ein abgelebter Schwächling war, so ist es wahrscheinlicher, daß Abas der Sohn des Sklaven, als des Herrn war. Vielleicht ist aber auch keiner von beiden sein Vater, denn wer kann wissen, wie viel Liebhaber meine Mutter noch gehabt hat. Doch da ich mich mit diesen Gründen versah, war ich gegen den Verstand des Abas sehr ungerecht, denn gleich nach des Verschnittenen Tode trug er gar keine Bedenken, den Turban beiseitezulegen, und jetzt läßt er keine Gelegenheit entschlüpfen, ohne einen lustigen Einfall gegen Mohammed und sein weißes Pferd und gegen die Bisamschönheiten anzubringen; und kein Emir kann stolzer auf seinen grünen Turban und auf seine heilige Geburt als Verwandter des Propheten sein, als er auf seinen göttlichen Ursprung als Abkömmling der Semiramis ist.

»Doch fürchte ich, daß es noch lange dauern wird, bis er der Ehre würdig sein wird, mit dem Phönix geschmückt zu werden und die Waffen zur Verteidigung der Rechte der Weiber zu tragen. Er hat schon fast die Hälfte der Hofdamen durch seine laute Erklärung, daß ihr Geschlecht dem seinigen untergeordnet sein müsse, beleidigt. Ihr wißt, mein lieber Walter, wie Ihr einst, als Ihr zu eines Weibes Füßen knietet, die ganze Gesellschaft in Erstaunen setztet. Mein erhabener Bruder fällt in das entgegengesetzte Extrem. Als seine kaiserliche Abkunft entdeckt war, warf er in echtem sultanischem Geist sein Schnupftuch einer Dame von Stande zu. Anfangs konnte sie den Grund dieses Betragens nicht begreifen; nachdem es ihr aber erklärt war, warf sie ohne Umstände das Tuch ins Feuer. Und stellt Euch vor: dieser hochmütige Knabe kam zu dem Samorin, um sich über diese eingebildete Beleidigung zu beklagen.

»Der Tag ist jetzt bestimmt, wo die Fürsten des Reichs Osva und Abas huldigen sollen. Meine Schwester wünschte zwar, daß diese Zeremonie noch so lange verschoben werden sollte, bis wir einiges Licht über das Schicksal unserer Mutter erhalten hätten; aber mein Oheim, aus Furcht, daß Zufälle sie wieder verhindern möchten, will sie nicht länger aufschieben, vorzüglich, da Fitz Allan und Lacy hier sind, die beide die Geheimnisse von Osvas und Abas' Geburt aufklären können. Wie sonderbar, daß zwei Engländer zu Kalekut als Zeugen in einer so wichtigen Sache auftreten müssen.

»Was übrigens Eure zwei Landsleute betrifft, so tanzt Fitz Allan das beste Menuett am ganzen Hof, und Lacy schwimmt in Wohlleben, er kann seine Eroberungen nicht mehr an den Fingern herzählen.

»Eure Gesinnungen, aber mein lieber Walter, kenne ich. Eurer Meinung nach ist die Ehe sowohl das Grab der Liebe, als auch des Ehrgeizes. Ein Weib ist eine tote Last, die die Fortschritte auf dem Wege des Ruhms erschwert. Ihr verließt Euer Vaterland nicht, um von einer Schönheit zur anderen zu hüpfen: Vergnügen ist in Euren Augen eine untergeordnete Sache; Ihr wünscht bloß die Bewunderung Eurer Nebenmenschen zu erhalten und Euren Ruhm auf die Nachwelt fortzupflanzen. Diejenigen, die Euren Namen und Eure Würden erben, sind die lebenden Denkmäler Eures Ruhms. Aber meine erhabenen Landsleute lassen sich nicht herab, ihre eigenen Denkmäler zu bauen. Sie bemühen sich bloß, Heldentaten zu vollführen und Würden zu erlangen, um sie zu schmücken; und als ebenso viele Phönixe treten die Kinder ihrer Schwestern gleichsam aus ihrer Asche an ihrer Stelle hervor. Ich kenne die Wünsche Eures Herzens, Walter, und mein Oheim wünscht sehr, Euren Talenten einen weiten Wirkungskreis zu geben. Er belehnt deswegen Euch und Eure Schwester Emma mit einer der besten Grafschaften Malabars, und der vermeintliche Verwandte Wilhelms des Eroberers werde der Oheim eines Geschlechts von Helden. Eurer Mutter Name ist, soviel ich mich erinnere, Gertrude, ich grüße Euch also, Walter Gertrudin Graf von Mangalore.

»Ohne einen Augenblick zu verlieren, setzt Eure Reise nach Kalekut fort. An demselben feierlichen Tage, wo die Fürsten Osva und Abas Gehorsam schwören, sollet auch Ihr und Eure Schwester für Euer Lehen die Huldigung leisten. Es ist schon Mitternacht, lieber Freund, und ich kann nicht mehr schreiben, denn morgen muß ich zum frühesten aufstehen, um die Vasallen von Malabar zu exerzieren. Feuer und Schwert soll Candahar verwüsten. Entweder müssen wir dir, gute Mutter, deine Freiheit verschaffen, oder dein Grab soll in Blut fließen.

»Sagt der Gräfin, Eurer Schwester, wie ungeduldig der ganze Hof ihrer Ankunft entgegensieht. Euer alter Freund Naldor wird Euch auf der Grenze empfangen und diesen Brief überliefern.

»Lebt wohl, Walter Gertrudin. Möchten Eure Neffen tapfer und Eure Nichten fruchtbar werden!

Firnos.«

Als Walter mit Lesung dieses Briefes fertig war, stand die ganze Gesellschaft auf und trank, miteinander ihre Gläser anstoßend, auf das Wohl des Grafen und eine zahlreiche Nachkommenschaft der Gräfin von Mangalore. Nach dem Kaffee berichtete ihnen Naldor die Ankunft der Wagen.

Walters Gedanken waren zu sehr mit seinen eigenen Aussichten beschäftigt, um an etwas anderes denken zu können. Endlich fiel ihm zufälligerweise der Brief des Verschnittenen in die Hände, und er las ihn seiner Schwester Emma, unterdessen der Wagen immer weiterfuhr, laut vor.

»An den erhabenen Abas, Prinz von Candahar,
von seinem Sklaven, dem Obersten der schwarzen Verschnittenen.

»Abas, Licht der Rechtgläubigen, Sohn des Sultans, meines Herrn, der der Schwertträger des Propheten und das Bild des einzigen Gottes war. Dein Sklave wirft sich in den Staub zu Deinen Füßen und untersteht sich, seine Stimme zu Dir zu erheben und Dir den wohlmeinenden Rat eines Freundes zu geben.

»Ich rettete Dein Leben und hoffte, wohl daran zu tun; doch die Söhne der Erde sind blind, und vielleicht beging ich ein Verbrechen. Wärest Du zu jener Zeit gestorben, so wärest Du gewiß ins Paradies gekommen; doch wenn Du ein Abtrünniger der Religion unseres Propheten wirst, so wirst Du in die Hölle gestürzt werden. Du hast bis jetzt Deinen Turban nicht abgelegt, aber ich fürchte, Deine Beständigkeit war mehr das Kind des Stolzes, als des Glaubens. Der Prinz von Candahar verabscheute es, ein gemeiner Indier zu werden; aber jetzt, da Du als kaiserlicher Prinz in diesem Land der Ungläubigkeit anerkannt bist, zittere ich, daß der eitle Glanz Dich von dem rechten Wege abbringen wird.

»O Abas, Du unter den wahren Gläubigen Geborener, denke an den Tag des Gerichts Siehe den Koran., wo Du die Wage der Gerechtigkeit in den Händen des Engels Gabriel erblicken wirst, wo dann der Gerechte das Buch seines vergangenen Lebens aus seiner rechten, und der Sünder das Buch der Verdammung aus seiner linken Hand empfängt. Der Ungerechte wird in die Hölle geworfen, und die ganze Erde wird ein Laib Brot werden, welchen Gott den Gerechten als einen Kuchen darreichen wird.

»Erinnere Dich, daß die Hölle sieben Wohnungen hat, deren eine immer unter der anderen ist, und jede wird von neunzehn Engeln bewacht. Ausgesucht sind in jeder die Strafen und Qualen; derjenige, der am leichtesten gestraft wird, erhält feurige Schuhe an seine Füße, deren Hitze sein Gehirn wie in einem Kessel siedet. Doch wer kann die Schrecken dieser Wohnungen des Entsetzens fassen? Mich dünkt, ich rieche den Schwefel und höre das Zähneknirschen. Brennende Feuerberge speien den Sünder auf Eisseen. Aber aus den ersten sechs Wohnungen ist noch eine Möglichkeit der Erlösung. Nach Verlauf von einigen Jahrtausenden kann vielleicht der Zorn des Propheten besänftigt werden, und er bewirkt Vergebung vom Diebstahl bis zum Vatermord, ja für jedes Verbrechen. Die Tore der letzten Wohnung sind aber auf immer verschlossen. Hier werden die Ungläubigen und Abtrünnigen für die Ewigkeit gestraft.

»Dieses sind die Schrecknisse der Hölle, wie groß sind aber auch die Entzückungen des Paradieses. O Abas, möchten sie doch für Dich bestimmt sein. Das Paradies ist in dem siebenten Himmel unter dem Thron Gottes. Sein Boden ist der reinste Bisam, und seine Steine sind Perlen und Hyazinthen, seine Wasserfälle und Springbrunnen fließen in Ufern von Kampfer und rauschen über Felsen von Rubinen und Smaragden, seine Flüsse bestehen aus Milch, Wein und Honig und entspringen aus dem Baum der Glückseligkeit.

»Alle seine Bäume sind von Gold, aber keiner ist so merkwürdig als dieser. Er steht in dem Palast Mohammeds, aber ein Zweig davon wird die Wohnung jedes Rechtgläubigen beschatten. Seine Früchte sind Granatäpfel, Weintrauben und Datteln und noch andere Früchte von außerordentlicher Größe und den Sterblichen ganz unbekanntem Geschmack. Wenn ein Muselmann eine dieser geheiligten Trauben mit der Hand faßt, so ruft ihm eine andere zu: Ich bin eine bessere Traube, nimm mich, und Gott segne dich durch mich. Dieser Baum wird ihn mit seidenen Kleidern versehen, Pferde mit Sattel und Zaum und mit dem reichsten Geschirr verziert, werden aus seinen Früchten hervorgehen, und so weit breitet sich dieser Baum aus, daß auch das flüchtigste Pferd in vollem Lauf nicht in tausend Jahren von einem Ende seines Schattens bis zum anderen kommen wird.

»Auch der geringste Bewohner des Paradieses wird Häuser und Gärten besitzen, die den Raum einer tausendjährigen Reise einnehmen. Er wird in einem Zelt, geschmückt mit Perlen, Hyazinthen und Smaragden, wohnen. Dreihundert Aufwärter werden ihn bei der Mahlzeit bedienen, und aus dreihundert Gerichten in goldenen Schüsseln wird jeder Gang bestehen. Ebenso viele geistige Getränke in goldenen Gefäßen werden ihm gereicht, der Wein des Paradieses berauscht nie, und jene Mahlzeiten verursachen auch nie Ausleerungen, denn die Seligen sind keiner Ausleerung unterworfen, nicht einmal durch die Nase; aber nach einem Schweiß, süßer duftend als Bisam, wird die Lust zum Esten wieder in ihm erwachen.

»Die Stimme des Engels Israfel, des lieblichsten Geschöpfes Gottes, und die Glöckchen, die an den Bäumen hängen, und das sanfte Aneinanderschlagen ihrer goldenen Äste, von einem Wind, der von Gottes Thron ausgeht, in Bewegung gesetzt, wird ihm eine Harmonie gewähren, die alles, was je ein Sterblicher gehört hat, übertrifft.

»Ich hoffe nicht, Abas, daß Du wegen dieser Naïrinnen mit ihren irdischen Gesichtern auf die Gesellschaft der Huris Verzicht tun wirst! denn jeder der Seligen wird, außer achtzigtausend Sklaven und denjenigen seiner irdischen Weiber, deren Gesellschaft er selbst verlangen möchte, auch noch zweiundsiebzig Huris besitzen, und diese Huris sind nicht aus Erde, sondern aus Bisam geschaffen, sie sind frei von allen natürlichen Unreinigkeiten, Schwachheiten und Unbequemlichkeiten. Sie besitzen die strengste Bescheidenheit und sind dem allgemeinen Anblick durch Paläste von hohlen Perlen, sechzig Meilen ins Geviert, entzogen.

»Gott wird ihm die Kräfte von hundert Männern geben, um ihn zu dem vollen Genuß des Paradieses tüchtig zu machen, er wird eine immerwährende Stärke genießen und die Größe Adams sechzig Fuß hoch erreichen. Sollte er Kinder wünschen, so werden sie in einer Stunde empfangen, geboren und aufgewachsen sein, sonst aber werden seine Weiber nie empfangen. Liebt er die Gärtnerei, so wird alles, was er säet, in einem Augenblick hervorkeimen und zur Reife kommen.

»Du, Abas, in der Mitte von Ungläubigen kannst Deine Zuflucht nicht zu dem Wort unseres heiligen Propheten nehmen; ich habe Dir deswegen die Belohnungen und Strafen geschildert, um Dich in Deinem Glauben zu stärken. Ich stehe an den Pforten des Todes, Du kannst also meiner Stimme glauben. Ich habe keine Aussicht zur Glückseligkeit in dieser Welt, denn ich kann weder für noch ohne Weiber leben. In Persien darf ein Weib einen Verschnittenen heiraten, hier wäre dies ein Verbrechen. Der Koran spricht: ›Der Allmächtige schuf die Weiber, damit sie der Trost oder das Verderben der Männer sein sollten. Ach! mir waren sie niemals ein Trost, sie sind immer mein Verderben gewesen. Sie sind es, die mich zu dem Verbrechen treiben, das ich jetzt begehen will; aber der Prophet wird mir um Deiner Seele willen verzeihen, die zu retten ich Dich noch mit meinem letzten Atem beschwöre. O Abas, habe die Furcht vor der Hölle vor Deinen Augen! Mich, der ich Dein Leben rettete, laß mich auch Deine Seele retten.«

»Sieh, Emma,« sagte Walter, indem er den Brief wieder zusammenlegte, »dieser Mohammedaner ist auch von der Wahrheit seines Glaubens überzeugt; und wenn die Mehrheit der Stimmen ein Beweis der Wahrheit wäre, so würde seine Religion gewiß den Vorzug über alle anderen behaupten. Er denkt sich die Vielweiberei ebenso vernünftig, als unsere Leute die Einweiberei; aber die Halsstarrigkeit, mit der jede Sekte ihre Religion behauptet, sollte doch wenigstens zu Zweifeln an der Überlegenheit jeder einzelnen führen. Die Gebräuche und Meinungen jeder Nation mögen falsch sein; doch diejenigen, die in diesem Lande den Lauf der Natur verschönern, ohne ihn zu ändern, sind wahrscheinlich die wahrsten.«

Auf jeder Station warteten schon angeschirrte Pferde auf die De Greys, um ihr Fortkommen zu beschleunigen; und als sie am Tage der Huldigung noch nicht in Kalekut eingetroffen waren, war Firnos überzeugt, daß irgendein Zufall sie müsse zurückgehalten haben.

An diesem feierlichen Tage zogen die Fürsten ihre Schwerter und schwuren, den letzten Tropfen ihres Blutes zur Verteidigung der Geburtsrechte Osvas und Abas zu vergießen. Osva verrichtete dann zum erstenmal in dem Tempel der Semiramis als Samorina ihr Amt. Sie bekleidete die Jünglinge von Kalekut mit dem Schwert, unterdessen der Samorin die Jungfrauen mit dem grünen Gürtel zierte.

Ein prächtiger Ball wurde denselben Abend bei Hof gegeben. Ona, die junge Gräfin von Raldabar, und Abas zogen die Augen der ganzen Gesellschaft auf sich. Ona hatte ihr sechzehntes Jahr erreicht und war die Schönste ihres Alters. An diesem festlichen Tage hatte sie den weißen Gürtel der Reinheit mit dem grünen Gürtel der Hoffnung vertauscht; und mancher Jüngling, der mit ihr die Spiele ihrer Kindheit geteilt hatte, sah lange schon diesem Tag mit Sehnsucht entgegen, an dem er, umschlungen von ihren Armen und an ihrem Busen ruhend, die Geheimnisse der Liebe lernen und lehren sollte. Abas hatte sie auch immer unter allen Jungfrauen des Hofes ausgezeichnet; aber sie mißbilligte sein übermütiges Betragen zu sehr, und er, zu stolz auf die eingebildete Überlegenheit seines Geschlechts, erfuhr lange Zeit die Kränkung, seine übrigen Gesellschafter sich vorgezogen zu sehen. Sein stolzer Geist fing Feuer, doch seine Hitze und sein Zorn halfen ihm zu nichts, das freigeborene Mädchen lachte seiner Wut; und als die jungen Leute die Geschichte mit dem Schnupftuch und sein grobes Betragen gegen die Dame hörten, kamen sie überein, ihn von allen ihren kleinen Partien auszuschließen. Einige Tage hintereinander war er in der zahlreichsten Gesellschaft einsam, er ging ganz allein, wie ein Geist, mit abgemessenen Schritten in dem Saal auf und ab, kein Mädchen bekümmerte sich um ihn und keine wollte mit ihm tanzen. Er erregte am Ende Onas Mitleiden, und sie überredete ihre Gefährtinnen, ihn wieder zu ihren Spielen einzuladen.

Sein Charakter wurde nach und nach biegsamer, oder die Liebe machte ihn vielleicht auch sanfter, er wurde gesprächig und artig, und die Mädchen vergaßen seine vorigen Fehler. Stundenlang saß er und heftete seine Augen auf Ona; Ona wurde es gewahr und freute sich heimlich über diesen Vorzug. Das Wort Liebe war jedoch noch nicht über seine Lippen gekommen. Der Tag der Huldigung nahte sich, und die anderen Junker und Fräulein, die bei dieser Gelegenheit in den Herren- und Frauenstand sollten erhoben werden, hatten schon ihre Verbindungen für die Nacht ihrer Freisprechung getroffen; doch der sultanische Stolz des Abas fühlte eine Abneigung, etwas, von so einem niedrigen Wesen, wie ein Weib nach seinen Gedanken war, zu erbitten. Andere Jünglinge hatten ihr schon Vorschläge getan, doch Ona, die noch auf eine Erklärung von Abas hoffte, hatte ihnen beständig eine abschlägige Antwort gegeben.

Indessen kämpften Liebe und Stolz in Abas' Busen. Er ging einsam in dem Garten des Palastes herum und wußte nicht, wozu er sich entschließen sollte. Der ganze Hof sah die Neigung seiner Wünsche, doch schämte er sich, das, was er eine Schwachheit nannte, sich selbst zu gestehen. Sein Bruder Firnos begegnete ihm einst auf einem dieser einsamen Spaziergänge und begann ihn wegen dessen, was er schon wußte, zu befragen. »Bruder,« sagte Abas, »ich liebe Ona, die junge Gräfin von Raldabar.«

»Dann mußt du keine Zeit verlieren,« antwortete Firnos, »denn morgen hört sie auf, eine Jungfrau zu sein; du mußt ihr deine Liebe entdecken und sie um Gegenliebe bitten.«

Abas: »Wie? ich sollte mich soweit herablassen? Ich ein Prinz, sollte die Gunst meiner Untertanin erbitten? Ich, ein Mann, sollte mich einem Weibe gleichsetzen? Nein, ich werde meinen Begleitern befehlen, sich ihrer zu bemächtigen. Ich werde sie zwingen.«

Firnos: »Still! daß ja nicht ein Wort der Art dir entwische, der bloße Gedanke könnte dich vielleicht schon zur Nachfolge auf dem Thron unfähig machen. Notzucht ist ein Hauptverbrechen, und sogar deine kaiserliche Geburt würde dich nicht von der Strafe retten.«

Den Tag darauf sah Abas seine Geliebte den grünen Gürtel empfangen. Er traf mit ihr auf dem Ball zusammen und tanzte das Menuett und den Kontertanz mit ihr. Der Blick, den sie ihm zuwarf, war so melancholisch, so ausdrucksvoll und so verlangend, und doch hatte seine Liebe noch nicht über seinen Stolz gesiegt. Endlich hörte er die Musik des Walzers und erblickte einen jungen Naïren, der auf sie zuging, um sich ihre Hand zu erbitten. Ona war ihm noch nie so liebenswürdig erschienen, als jetzt in diesem Augenblick mit ihrem grünen Gürtel. Fahre hin, Stolz, Liebe behauptet das Feld! Abas drängt sich durch die Menge und kommt seinem Nebenbuhler zuvor. »Kann ich das Vergnügen haben, Ona, mit Euch zu walzen?« Von Freuden überwältigt sinkt Ona in seine Arme.

Auch der gute Samorin sah mit Vergnügen die Verbindung seines Neffen; doch ach! nichts als die Gegenwart Agalvas konnte seine Glückseligkeit vollkommen machen. Er hatte den nächsten Tag zur Versammlung der Fürsten bestimmt, um über ihren Verlust zu beratschlagen.

Der Saal, worin sich dieser berühmte Senat versammelte, war prächtig in seiner Bauart und ehrwürdig durch sein Alter. Das Andenken der vielen merkwürdigen Ratschlüsse, die aus seinen Mauern hervorgegangen waren, erfüllte den Beschauer mit einer religiösen Ehrfurcht. An jeder Seite waren von den vorzüglichsten Künstlern jene Handlungen vorgestellt, die der Nationalgeschichte die meiste Ehre machten. Die Büsten und Statuen der ehrwürdigen Helden und Staatsmänner, der Wohltäter der Welt und der Verteidiger des närrischen Systems, belebten den Ehrgeiz ihrer Neffen, und die verschiedenen Trophäen, von den Unterdrückern des weiblichen Geschlechts gewonnen, fachten die Flamme des Hasses gegen die Erbfeinde immer mehr an.

In ihren Staatskleidern von Hermelin erschienen die Fürsten in dem Saal ihrer Voroheime. Es ist eine Ratsversammlung von regierenden Herren, jeder trägt eine Krone. Aus den entferntesten Teilen des Reichs, von den Ufern des Indus bis zu den Grenzen von China, von den Bergen von Tibet bis zu dem Vorgebirge Comoran hatte jeder Fürst bei dem Aufruf des Reichsoberhaupts seine Besitzungen verlassen. Sie nahmen ihre Plätze nach dem Alter ihrer Titel ein. Einige waren Abkömmlinge von den Schwestern jener Helden, die vor viertausend Jahren ihrer Königin Semiramis von Babylon hierher gefolgt waren. Andere verdankten ihre Würden den Verdiensten ihrer Oheime neuerer Zeiten. Unterdessen die Galerien von dem enthusiastischen Beifall des Volks widerhallten, bestieg der Samorin seinen erhabenen, mit dem Brustbild seiner göttlichen Vormutter gezierten Thron und redete die Versammlung an.

»Erhabene Pairs, Abkömmlinge von freien Weibern und Neffen der Helden! Ihr, die Ihr den Schrecken unseres Namen durch ganz Asien verbreitet und unsere Nation über alle anderen Nationen des Erdbodens erhoben habt, seht hier eine Gelegenheit, mit der Tapferkeit Eurer Voroheime zu wetteifern, indem Ihr jene Freiheit verteidigt, die der Stolz unserer Mütter war und das Erbe unserer Schwestern und Nichten sein soll. Die Bereitwilligkeit, mit der Ihr meinem Aufrufe Gehorsam geleistet habt, erfüllt mich mehr mit Dankbarkeit als mit Erstaunen, denn Eure Mutterliebe und Euer kriegerischer Mut sind zu wohl bekannt. Ich brauche Euch nicht die Herabwürdigung, die eine unserer Landsmännin erlitten hat, in das Gedächtnis zurückrufen; wie viele Jahre die schrecklichen Mauern eines Serails Zeugen ihrer Tränen gewesen sind, und die benachbarten Hügel von ihren Klagen widergehallt haben; wie sie, jedes Gegenstandes, welcher einem vernünftigen Wesen Trost geben könnte, beraubt, in gänzlicher Unwissenheit über das Schicksal ihrer teuersten Verwandten schmachtete, und wie, verhindert über die Erziehung ihrer eigenen Kinder selbst zu wachen, ihr mütterliches Herz immer in banger Ahnung schwebte. Dieses waren die Leiden der unglücklichen Agalva, die, begabt mit so vielen natürlichen und erworbenen Vorzügen, zu niederträchtigen Tänzerinnen und ungebildeten Buhlerinnen gesellt und der Wachsamkeit Verschnittener übergeben wurde. Sie, die zu dem zwanglosen Genuß der Liebe geboren war, mußte den Befehlen eines rohen Muselmannes Gehorsam leisten, und eine freie Prinzessin des naïrischen Reiches wurde mit den lächerlichen Ehrenbezeugungen einer Sultanin beleidigt. Aber warum soll ich ihre kaiserliche Geburt und göttliche Abkunft hier anführen? Wäre sie die geringste meiner Vasallen, so würde sie den nämlichen gerechten Anspruch auf unseren Schutz haben, und die Fürsten Hindostans würden mit derselben Bereitwilligkeit die Waffen für sie ergriffen haben, mit der sie jetzt für die Samorina sie ergreifen werden. Ach, glücklich! überaus glücklich würden wir sein, wenn wir nur die geringste Aussicht hätten, ihre Leiden zu enden. Doch wir dürfen uns mit keiner Hoffnung schmeicheln, nein, uns bleibt bloß die traurige Pflicht, ihren schrecklichen Mord zu rächen. Ich habe Euch deswegen zusammenberufen, um mir Euren Rat und den Beistand Eurer kriegerischen Erfahrungen zu erbitten, denn niemals seit der Gesetzgebung Samoras ist die Nation von einem solchen Unglück heimgesucht worden. Oh! du Schöpfer aller Welten, Herr des Himmels und der Erde, du, dessen unerschütterlicher und glorreicher Thron Sonne, Mond und Sterne verfinstert, du, der du den weiten und stürmischen Ozean ebenso leicht wie einen Tautropfen des Morgens regierst, und dessen unendliche Kraft das Weltall zu Nichts machen könnte, wir bitten dich um deinen Schutz, Beistand und Hilfe, höre uns, habe Barmherzigkeit mit uns und gewähre uns unsere Bitten. Durch dich begeistert stellte Samora die Rechte der Natur wieder her, und wenn wir im Gehorsam gegen ihre Befehle uns bemüht haben, Gerechtigkeit auszuüben und die schwachen Weiber aus der Gewalt ihrer Unterdrücker zu retten, so laß ihre Nachtochter nicht länger in den Gefängnissen ihrer Liebe trauern. Verleih uns Stärke, sie zu befreien; doch wenn sie schon als Opfer ihrer Bosheit gefallen ist, so laß das Land der Ungläubigen unter den Rädern unserer Wagen ächzen und unsere wiehernden Rosse sie unter ihre Füße treten. Gewähre die Bitten Samoras an dem Fuße deines Thrones. Vernichte die blutigen Anschläge unserer Feinde und erschrecke sie durch den Anblick deines Zorns. Verwandle die Unterdrücker der Weiber in Staub; laß die Pflugschar über die Mauern von Candahar gehen und seine Straßen im Blut seiner Männer schwimmen. Seine Mütter und Töchter werden frei. Laß die Fahnen des Phönix durch den Atem des Sieges emporschwellen, und der Tempel der Samora soll von Danksagungen zu dir widerhallen.«

Dieses war die Rede vom Throne, und der Fürst von Cambaya, der mit soviel Lorbeeren gekrönt aus Persien zurückgekommen war, dessen Name der Schrecken der Chinesen war, und der sich bei der jetzigen Gelegenheit vor allen anderen Fürsten ausgezeichnet hatte, dieser tapfere Befehlshaber, der alte Freund und Mitschüler Agalvas, war eben im Begriff, sie zu beantworten, als man den Schall von Trompeten hörte und der Herold einen Abgesandten vom Sultan von Candahar hereinführte. Es war der Mirza Nujirman, Statthalter von Mansor, einer Grenzstadt an der persischen Seite des Indus. Er warf sich vor dem Throne nieder und redete das Oberhaupt des Reichs an:

»Unüberwindlicher Samorin, zu dir hebt ein unglücklicher Fürst seine gefalteten Hände empor. Möchte doch dein Herz, das noch nie auf dem Schlachtfelde zagte, jetzt zum Mitleid bewegt werden. Die Naïren sind Herren seiner Hauptstadt. Der Phönix ist auf die Mauern seines Serails gepflanzt. Er selbst, ein unglücklicher Verjagter, lebt zu Ispahan von der Gnade des Schahs; aber sein Beschützer zittert vor deinem Namen, und auch dieser Schutzort wird ihm also versagt werden, wenn er der Gegenstand deines Zorns bleibt.

»Nicht mein Herr, sondern der verstorbene Sultan, sein Vater, war es, der deinen Zorn verdiente; der jetzige hat nie gegen dich gesündigt. Die Prinzessin Agalva, deine Schwester, kam nach Candahar. Der alte kindische Monarch wurde durch ihre unglücklichen Reize geblendet und konnte einer Leidenschaft nicht widerstehen, die eine so außerordentliche Schönheit in ihm geweckt hatte. Berauscht von Liebe, verließ er den Weg der Gerechtigkeit, er vergaß die Treue seines Vertrags und schloß sie in die Mauern seines Harems ein. Er war ebenso schwach, als er strafbar war; aber als der jetzige Sultan ihm auf dem Throne folgte, öffnete er die Tore seines Serails und erlaubte der Prinzessin, in Frieden abzureisen. Sie wurde von einem Europäer, einem niedrigen Sklaven, einem Landstreicher, begleitet, der, nachdem er die Mildtätigkeit der Abendländer erschöpft hatte, jetzt in Asien einen neuen Schauplatz seiner Bübereien suchte. Ist der Sultan daran schuld, daß Agalva ihr Zutrauen an diesen Schändlichen verschleuderte? und daß der Elende fähig war, seine Hände mit dem Blut seiner Wohltäterin zu besudeln? Sie reisten ganz allein ab, denn die Prinzessin, wahrscheinlich auf die Überredung ihres Gesellschafters, schlug die Begleitung aus.

»Einige Tage darauf wurde ich in meinem Diwan zu Mansor von einem Sklaven unterbrochen, der atemlos und zitternd hereintrat. Der Schrecken war auf seinem Gesicht gemalt, und er warf sich vor meinem Thron nieder. ›Eile,‹ rief er, ›Licht der Gerechtigkeit, dein Gebiet ist durch einen gräßlichen Mord befleckt worden. Möge doch der Blitz deines Armes den Verbrecher treffen! Als ich diesen Morgen in dem benachbarten Walde Holz hieb, hörte ich auf einmal Pferdegestampfe, ich sah ein Wesen, ich weiß nicht, war es ein Weib, ein Geist oder eine Sultanin (denn, Gott vergib mir! ich sah noch nie eine Sultanin), die sich auf der Landstraße näherte; sie war ohne Schleier, und ihr Gesicht war ganz bloß, nie sah ich ihresgleichen. Sie blickte so fest vor sich hin, als ob sie nichts fürchtete, ritt ein milchweißes Pferd und wurde von einem einzigen Reiter begleitet. In den Büschen verborgen, staunte ich sie an und wußte nicht, was ich davon denken sollte, als auf einmal der Reiter ein Pistol hervorzog und nach der Dame schoß. Sie fiel bewegungslos und ohne einen Seufzer zu Boden; der Schurke schleppte ihren Körper in das Dickicht, von ihm unbemerkt sah ich, wie er sie ihres Schmuckes beraubte. Ich verließ ihn, als er eben ein Loch grub, den Körper zu begraben, und eilte, um dir diese Schandtat zu entdecken.‹

»Nach mehreren Fragen, die ich noch an den Sklaven tat, schickte ich meine Leibwache ab, die sich des Europäers bemächtigte, als er sich der Stadt zu Fuß näherte. Sein Pferd war wahrscheinlich unterdessen entflohen, als er sein Opfer begrub. Auf die Frage nach seinen Pässen machte er die elende Entschuldigung, daß er von Räubern sei angegriffen worden, die sich der Prinzessin bemächtigt hätten und mit ihr davongeritten wären. Ich ließ ihn unter starker Begleitung nach Candahar bringen.

»Sein Verbrechen war jetzt keinem Zweifel mehr unterworfen, denn man fand Juwelen von unschätzbarem Wert in seinen Kleidern verborgen. Es ist wahr, unüberwindlicher Samorin, der Sultan hätte den Mörder deiner Schwester dir überliefern sollen; doch ach! der Schrecken vor dem Namen Naïr hielt ihn davon zurück. Er fürchtete, als der Urheber ihres unglücklichen Schicksals angesehen zu werden, und obgleich sein Vater und nicht er selbst die Quelle ihrer Leiden war, so zitterte er doch vor eurer Nationalrache. Die erhabene Agalva war nun tot, unwiderruflich tot; die Politik verleitete ihn daher, ihr Ende zu verhehlen. Der Sultan würde gewiß ein schreckliches Beispiel an ihrem Mörder gegeben haben; aber die Politik verbot ihm auch dieses, denn er fürchtete, die Geschichte dieser Greueltat möchte sich verbreiten und vielleicht auch zu deinen Ohren kommen. Er befahl also, daß der Niederträchtige in der Stille des Gefängnisses hingerichtet werden sollte. Aber seine Mutter, die Sultanin Fatime, für jeden Europäer sehr eingenommen, da sie selbst die Tochter einer venezianischen Sklavin ist, ließ sich herab, für ihn zu bitten; und das unüberwindliche Oberhaupt einer Nation, die so berühmt wegen ihrer kindlichen Liebe ist, weiß wohl, daß die Bitten einer Mutter Befehle sind. Der Sultan milderte also seine Strafe in ein ewiges Gefängnis, und nicht lange darauf brachte ihn die großmütige Sultanin, deren Herz immer für jeden Unglücklichen schlägt, dahin, daß er sein unterirdisches Gefängnis mit einem bequemen Zimmer verwechselte.

»Unüberwindlicher Samorin! Der Mörder ist in deiner Gegenwart; mit einer Schamlosigkeit ohnegleichen erscheint er an deinem Hofe und ißt das Brot deiner Gastfreundschaft. Aber jetzt, da der Schleier herabgezogen ist und er in seiner ganzen Blöße dasteht, laß ihn den verdienten Tod leiden; laß sein verruchtes Haupt fallen. Doch strafe nicht den Unschuldigen wie den Schuldigen. Gib meinem Herrn den Thron seiner Vorfahren und sein Serail wieder und zwinge ihn nicht, schutzlos ins Elend verwiesen, die Rache der Gläubigen gegen dich zu erwecken. Erinnere dich, daß der Prophet auch einst verwiesen war, aber mit Schwert und Feuer wieder zurückkam.«

Unerachtet der Drohung, mit der der Muselmann seine Rede schloß, brachte sie doch die erwünschte Wirkung hervor. Der Mirza war schon in Kalekut bekannt und wurde unter seinen eigenen Landsleuten für einen Held gehalten; denn gering ist die Anzahl der Helden unter einem Volk, wo die Weiber Sklavinnen sind. Es ist das Lächeln und die Gunst ihrer freien Landsmänninnen, die die jungen Krieger zu großen Taten und Unternehmungen anfeuern, und wenn zwei Nationen miteinander in Krieg verwickelt sind, so erhält gewiß diejenige, wo die Weiber am freisten sind, den Sieg. So war jeder Naïr ein Held und ein Gegenstand des Schreckens für die Perser, indessen kaum ein persischer Krieger die Achtung der Naïren verdiente. Der Mirza Nujirman war unter diesen wenigen. Als Statthalter einer Grenzstadt hatte er sich durch den Mut, mit dem er sich dem Vordringen des Phönix widersetzt hatte, die Bewunderung jedes Muttersohnes erworben: das Haus der Fürsten war folglich sehr für ihn eingenommen; sie hörten ihn mit Achtung an, und da nach ihrer Meinung Wahrheit und Mut unzertrennlich waren, so zweifelte keiner an seinem Zeugnis.

Lacy und Fitz Allan standen zu den Füßen des Thrones, wo sie als Fremde die Erlaubnis erhalten hatten, dieser merkwürdigen Sitzung mit beizuwohnen. Jedes Auge war auf Lacy geheftet. Verwirrung war in seinem Gesichte lesbar, und jeder hielt es für ein Zeichen von Schuld. Fitz Allan trat mit einer Art von unwillkürlichem Abscheu einen Schritt von ihm zurück. Der Samorin schien noch unentschlossen, bis er am Ende durch das Geschrei des Volkes: »Rache an dem Engländer, an dem Mörder!« aus seinem Nachdenken geweckt wurde und dem Hauptmann seiner Leibwache den Befehl erteilte, ihn nach dem Staatsgefängnis zu bringen.

So erstaunt auch Fitz Allan war, daß Lacy seine Unschuld nicht behauptet hatte, so schrieb er es doch mehr seiner Geistesabwesenheit, als der Gewißheit seines Verbrechens zu und wagte es, für ihn zu sprechen: »Mein lieber Freund,« antwortete der Samorin, »habt mehr Zutrauen in unsere Nationalgerechtigkeit! Ich wünsche, aber ich zweifle, daß er unschuldig sei: und ist er das, so hat er nichts zu fürchten.«

Der Rat der Fürsten wurde bis zum nächsten Tage verschoben, wo sie über Lacy zu Gericht sitzen sollten.

Armer Lacy, der Himmel allein kennt deine Unschuld! Du wirst vor Richtern verhört werden, die schon gegen dich eingenommen sind. Du bist ein Engländer, unter deiner Nation leben auch Unterdrücker der Weiber, und die Naïren, obschon vorher nicht blind gegen deine persönlichen Verdienste, sind deiner Nation wegen argwöhnisch gegen dich. Du ruhst wahrscheinlich zum letztenmal auf Flaumfedern, denn die Gerechtigkeit des Landes unterscheidet noch immer einen Angeklagten von einem überwiesenen Verbrecher, und obgleich deine Person nicht frei ist, so genießest du doch noch in deiner Gefangenschaft jede Annehmlichkeit. Deine Tafel wird aus der kaiserlichen Küche versorgt, dein Landsmann besucht dich, um deine hinsinkenden Lebensgeister zu unterstützen, ja sogar deinen zahlreichen Freundinnen würde es erlaubt gewesen sein, deine Einsamkeit zu versüßen; denn bis du schuldig befunden wirst, hält das Gesetz dich noch immer für unschuldig; aber ach! der Anschein ist gegen dich, und keine frei geborene Naïrin kann ohne Abscheu an den Mörder ihrer Landsmännin denken.

Den Tag darauf wurde Lacy vor die Versammlung der Fürsten geführt. Sie hörten die Beteuerungen seiner Unschuld an, doch leider hatte er keine Beweise; er erzählte die Abenteuer und die Widerwärtigkeiten seines Lebens. Er wurde nun allen Mitgliedern der Versammlung, die ihn vorher ihres Mitleids wert gehalten hatten, ein Gegenstand des Verdachts. Jeder Umstand stellte sich ihnen nun in einem anderen Lichte dar. Vorher betrachteten sie ihn als Opfer des Vorurteils, jetzt aber als einen Abenteurer, der, der schwärzesten Verräterei fähig, durch die Verfolgungen des Schicksals abgehärtet, vor keiner Undankbarkeit schaudert und nicht den mindesten Anstand nimmt, sich in einen Zustand von Unabhängigkeit selbst auf Kosten seiner Wohltäterin zu erheben. Aber welche Bedenklichkeiten konnte man auch von einem Europäer erwarten? Auch selbst der Beste seiner Nation würde die Freiheit eines Weibes seiner Eifersucht aufgeopfert haben. Dieser Mann hatte ihr Leben seinem Geiste geopfert. Andere Christen würden sie vielleicht nur geheiratet haben, dieser mordete sie. Agalvas Juwelen wurden von dem Mirza der Versammlung vorgelegt, der zugleich beteuerte, daß sie in Lacys Kleidern wären gefunden worden. Lacy leugnete die Tat.

Diese Juwelen gingen nun von Hand zu Hand und wurden von dem ganzen Gerichtshof untersucht. Der Fürst von Cambaya erhob sich, er schien sehr bewegt zu sein. Er hielt ein mit Diamanten reich geziertes Degengehenk in seiner Hand. »Erlauchte Herren,« sagte er, »kann wohl der Gefangene die Frechheit haben, länger zu leugnen, daß dieses Degengehenk Agalvas Eigentum gewesen ist? Ach! es ruft in mein Gedächtnis so manche vergangene Szene zurück, es erinnert mich an die Größe unseres Verlustes. O daß sie sich niemals Europäern anvertraut hätte, sondern in ihrer Heimat unter denen, die sie bewunderten und liebten, geblieben wäre! – In meinem zehnten Jahre wurde ich von der Prinzessin, meiner Mutter, auf die öffentliche Schule zu Romoran geschickt. O wie glücklich war die Zeit, die ich an diesem entzückenden Ort zubrachte! Sieben Jahre waren schon auf den Schwingen eines goldenen Traums dahingeflogen, als ich eines Tages an dem Fluß, der das Institut begrenzt, fischte. Mein leichtes Boot glitt über den reißenden Strom, indessen meine Mitschüler an den Ufern sich mit Zeitvertreiben der Jugend beschäftigten. Ein zahlreiches Geschwader Fische schlüpfte durch die silbernen Wellen, ich zog meine Ruder ein, machte mein Netz zurecht und stand bereit, es auf den Fang auszuwerfen. Mein kleines Fahrzeug stieß indes an einen verborgenen Felsen, es schaukelte, ich verlor das Gleichgewicht und fiel in den reißenden Strom. Ob ich gleich ein erfahrener Schwimmer war, so konnte ich doch weder Arm noch Bein bewegen, weil beides in dem Netz verwickelt war. Glücklicherweise hatte Agalva gebadet, und eben kleidete sie sich an dem benachbarten Ufer an. Geschwind wie der Blitz reißt sie ihre Kleider wieder herab und stürzt sich in die Wellen. Schon unterlag ich, und der Kampf mit dem Tod verzerrte schon mein Gesicht, als sie zu mir schwamm, mich bei den Haaren ergriff und an das Ufer zog. Bewegungslos und ohne Besinnung lag ich auf dem Grase. Der Beistand Agalvas und meiner Mitschüler brachte mich wieder zum Leben zurück; ich erwachte und fand mich von meinen Freunden, den braven Jünglingen und den zärtlichen Mädchen, den Teilnehmern meines Vergnügens und meiner Studien, umgeben. Jedes schien für mein Leben besorgt. Aber wer hatte mich aus dem Strom gerettet? wer mich aus dem Rachen des Todes gerissen? Niemand wollte mir den Namen meines Schutzengels sagen. Die erhabene Agalva hatte dieses meinen Gefährten eingeschärft. Sie fürchtete mich durch das Gewicht der Verbindlichkeit zu sehr zu erniedrigen. Doch die Nachricht meiner Rettung hatte sich schon überall verbreitet, und die ganze Stadt wußte den Namen meiner Retterin, nur ich allein wußte nicht, wem ich mein Leben zu danken hatte.

»Plötzlich hörten wir den Galopp eines Pferdes, geschwind wie ein Pfeil flog es über die Ebene, seine wehenden Mähnen flatterten im Wind, und der weiße Schaum floß ihm an den Seiten herunter. Meva, meine geliebte Meva, die Freude meines Herzens, sprang von seinem Rücken, und in sprachlosem Entzücken schlang sie ihre Arme um meinen Hals. ›Ach!‹ rief sie endlich aus, ›ach! welches Vergnügen, dich wieder zu besitzen! Aber wo ist Agalva, wo ist sie, der ich diese Glückseligkeit verdanke?‹ – Agalva kam ihr eilig entgegen, Meva flog in ihre Arme, sie waren gleich die besten Freundinnen, Tränen glänzten in den Augen beider, ihre Umarmung war so innig, als ob beide ineinanderwuchsen.

»Agalva blieb noch ein Jahr zu Romoran, ihre Talente und guten Eigenschaften machten sie zur Zierde und zum Vergnügen dieses Instituts. Ihr treuer Naldor war bereits ihr begünstigter Liebhaber; Meva und ich blieben durch das Band der Liebe fest aneinandergeknüpft, und von jenem Tage an waren wir Vier unzertrennliche Freunde. Endlich nahm die Gestalt Agalvas zu, ganz Romoran wünschte ihr Glück dazu; sie kehrte zu ihrer Mutter, der verstorbenen Samorina, zurück und gebar den Erbprinzen.

»Nicht lange vor ihrer unglücklichen Reise jagten wir Vier einst in dem Wald von Virnapor. Ich hatte eben dieses Degengehenk, woran ein prächtiges Jagdmesser hing, von einem meiner Oheime zum Geschenk erhalten. Agalva lobte dessen Arbeit, und ich überredete sie, es von mir anzunehmen. Es war ein Pfand unserer ewigen Freundschaft.

»Wird der Europäer sich wohl noch unterstehen, dieses Degengehenk abzuleugnen, das ich vor den versammelten Fürsten Hindostans, in Gegenwart des erhabenen Samorins und vor dem anwesenden Volk von Kalekut, ich beteure es bei allem, was einem Naïr heilig ist, bei meiner Ehre, bei dem Ruhm meiner Oheime und der Freiheit meiner Mutter, für dasselbe erkläre, das ich der unglücklichen Prinzessin zum Geschenk gemacht habe? Erlauchte Herren, laßt uns das Urteil über ihren Mörder sprechen!«

Die Fürsten erheben sich von ihren Sitzen, eine düstere Stille herrscht in dem ganzen Saal. In feierlichem Aufzug nähern sie sich dem Thron, und mit seiner rechten Hand Samoras Bild fassend, erklärt jeder seine Meinung. Die Stimmen sind alle gleichlautend. Lacy muß den anderen Morgen seinen Kopf verlieren.

Lacy erneuerte die Beteuerung seiner Unschuld, doch konnte er das Gericht keiner Parteilichkeit beschuldigen. Der Anschein war gegen ihn; er verließ sich darauf, daß die Zukunft die Wahrheit ans Licht bringen und sein Andenken von der Schande reinigen würde.

Er wurde in das Gefängnis zurückgeführt. Die Wache wurde verdoppelt, und eine zahlreiche Scharwache ging durch die Stadt, um einen Aufruhr zu verhindern; das Volk wollte dem unglücklichen Christen nicht einmal die kurze Frist bis zum anderen Morgen gönnen. Sie drohten, sein Gefängnis zu sprengen und ihn den Manen ihrer Prinzessin zu opfern. Sein Landsmann war nicht so grausam, ihn zu verlassen; strafbar oder unschuldig verdiente er sein Mitleid. Er beschwor ihn, die Wahrheit zu gestehen. Bald war er von seiner Unschuld halb überzeugt und schon im Begriff, sich dem Samorin zu Füßen zu werfen, um sich Lacys Begnadigung zur Belohnung seiner eigenen Dienste zu erbitten. Die Nacht verstrich in Tränen und Wachen. Osva würde den unglücklichen Mörder gern getröstet haben, doch er ist ja der Mörder ihrer Mutter.

Die Sonne stand kaum über den Bergen von Malabar, als der weite Platz vor dem Turm schon mit Menschen angefüllt war. Durch jeden Zugang der Stadt strömte eine Menge Volks herein. Der Pöbel konnte seine Ungeduld, Lacys Haupt fallen zu sehen, nicht bändigen. Der Gouverneur des Kastells kündigte ihm an, daß die Stunde seiner Hinrichtung sich nähere. Fitz Allan eilte ohne ein Wort zu sagen, zum Kaiser.

Er fand den Gesandten von Candahar bei ihm, der für den vertriebenen Sultan bat. Fitz Allan warf sich zu des Samorins Füßen und bat um Aufschub für seinen unglücklichen Landsmann.

»Steht auf,« sagte der Kaiser, »Ihr vergeßt Euch. Ein Edelmann darf seine Knie vor keinem Menschen beugen. Mit welchem Vergnügen würde ich Euch Eure Bitte gewähren, aber hier wäre Aufschub Grausamkeit und nicht Gnade. Er ist durch kein gemeines Zeugnis überwiesen worden. Der Mirza, einer der ersten Helden jetziger Zeit, ist gegen ihn erschienen.«

»Und ich hoffe,« sagte der Mirza, sich zu dem Briten wendend, »daß meine Wahrheitsliebe ebenso unbezweifelt ist, wie mein Mut.«

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als eine weibliche Gestalt in persischer Tracht sich durch die Leibwache drängte. Unordentlich hing ihr Haar um ihre Schultern, wild rollten ihre Blicke, und kaum konnte sie noch Atem holen. Es war die Sultanin Fatime.

»Er ist unschuldig,« schrie sie, »Lacy ist unschuldig. – Agalva, die Samorina, lebt, wenn dieser Bösewicht sie nicht gemordet hat.«

Bei dieser Anklage zitterte der Mirza, vielleicht das erstemal in seinem Leben, und veränderte die Farbe.

»Elender!« rief Firnos und packte ihn bei der Brust; »wo ist meine Mutter?«

»Um Gottes willen,« fuhr Fatime fort, indem sie des Samorins Knie umfaßte, »verhindert die Hinrichtung Lacys! Mein teurer Lacy ist vielleicht schon auf dem Schafott.«

»Aber meine Schwester,« rief der Samorin, »Ihr sagt, meine Schwester lebt noch?«

»Unglücklicher,« wiederholte Firnos, indem er den Mirza immer noch festhielt, »sprich! Wo ist meine Mutter?«

»Eure Mutter? sie ist in meinem Harem zu Mansor.«

»Mein Gott! aber Lacy,« schrie Fatime, »um's Himmels willen, rettet ihn!«

Ein Offizier von der Leibwache schoß wie ein Blitz davon, um die Hinrichtung zu hindern. Fitz Allan folgte ihm. Fatime, noch halb wahnsinnig, brannte vor Verlangen, Lacys Ketten zu lösen.

»Nein,« sagte der Samorin, indem er sie aufhielt, »erst sagt uns, wo meine Schwester ist.«

»Ach!« antwortete Fatime, »ich bin die Quelle von allen ihren Leiden. Werde ich wohl noch den Mut haben, Euch alle unsere Verbrechen zu enthüllen? Der Mirza ist mein Mitschuldiger. Wir waren die Verfolger Lacys und Agalvas. Der Mirza allein weiß, was sie gelitten hat, aber ich habe den unschuldigen Lacy vielleicht auf das Schafott gebracht. Ach, daß man nur noch zur rechten Zeit kommt, um ihn zu retten!

»Ich bin die Sultanin Fatime, die Favoritin des verstorbenen Sultans; ich regierte sein Serail und war die Seele jeder politischen Verhandlung. Mein Einfluß befriedigte meinen Ehrgeiz; aber die Liebe eines Schwächlings erregte nur, aber befriedigte meine Wünsche nicht, und unerachtet des Zwanges im Harem war der Mirza mein begünstigter Liebhaber. Bald darauf, als Agalva und Lacy zu Candahar entdeckt und innerhalb der Mauern des Harems eingekerkert wurden, sah ich Lacy, und er gefiel mir. Meine Mutter war eine Europäerin. Ich entschloß mich, den Mirza zu entfernen. Auf meine Empfehlung wurde er Statthalter zu Mansor, und Lacy nahm seine Stelle ein. Da ich noch immer meinen politischen Einfluß behielt, so sah ich ohne Neid, daß Agalva von dem Sultan vorgezogen wurde.

»Bald darauf bestieg mein Sohn den Thron; er entschloß sich, die Weiber seines Vaters alle zu verkaufen. Agalva erhielt die Erlaubnis, nach Kalekut zurückzukehren, und Lacy sollte sie begleiten.

»In Verzweiflung über den Verlust meines Geliebten schrieb ich an den Mirza und teilte ihm einen Plan mit, der in der Tat abscheulich war; aber warum sind wir Weiber gezwungen, zu solchen Mitteln unsere Zuflucht zu nehmen? Der Mirza verkleidete einige seiner Truppen und ließ die Reisenden, als sie durch sein Gebiet kamen, anfallen; sie ritten mit der Prinzessin davon, die er in seinen eigenen Harem aufnahm. Unter dem Vorwand, daß es sehr unklug sein würde, den Europäer in Freiheit zu lasten, damit er nicht etwa die Naïren gegen uns aufwiegeln könne, schickte er Lacy, so wie ich es ihm vorgeschrieben hatte, unter starker Bedeckung nach Candahar zurück.

»Wie glücklich fühlte ich mich nun wieder in seinem Besitz. Ich bemühte mich, ihm sein Gefängnis so viel als möglich zu versüßen; seine Vorwürfe gingen mir zwar durch das Herz, doch ich liebte ihn zu sehr, um ihm seine Freiheit geben zu können. Er glaubte Agalva in der Gewalt der Räuber und beklagte sie mehr als sein eigenes Unglück. Ach, nur dieser hartherzige Bösewicht konnte ihn als ihren Mörder anklagen!

»Die Naïren wurden endlich Herren des Serails, und Prinz Firnos öffnete Lacys Gefängnis. Dankbar nahmen alle die anderen Sultaninnen ihre Freiheit an; nur ich allein war Mutter, und obschon es mich aufs äußerste schmerzte, mich von Lacy zu trennen, so konnte ich doch meinen Sohn in seiner Trübsal nicht verlassen und zog mich mit ihm nach Ispahan zurück.

»Vor der Rache der Naïren zitternd, schrieb mein Sohn an den Mirza und befahl ihm, die Samorina freizugeben. Der Mirza antwortete hierauf, daß dieses bloß ihre Wut vermehren und sie niemals das angetane Unrecht vergessen würden. Da aber Lacy ein Ketzer sei, der nicht an den Propheten glaube, so wäre es folglich kein Verbrechen, ihn unserer eigenen Sicherheit aufzuopfern; er würde deswegen sogleich nach Kalekut reisen und ihn des Mordes an Agalva anklagen. Glücklicherweise fiel dieser Brief in meine Hände. Ich zitterte für Lacy und entwich aus Ispahan; Tag und Nacht bin ich gereist; ach! wenn es nur nicht zu spät ist, ihn zu retten!«

Sie schwieg, konnte aber dem Lauf ihrer Tränen nicht Einhalt tun. Sie ging mit Ungeduld im Zimmer auf und ab. – »Ach, wer wird mich zu Lacy führen!« rief sie fortdauernd aus.

Auf einmal hörte man den Donner der Kanonen. »O mein Gott,« rief der Samorin aus, »Fitz Allan kommt zu spät, Lacy hat eben das Schafott bestiegen.«

»Nun dann Gerechtigkeit!« schrie die Sultanin, »zur Gnade ist es zu spät.« Wütend lief sie auf den Mirza zu und stieß ihm den Dolch in die Brust.

Er fiel, die Schatten des Todes bedeckten seine Augen. »Gott und sein Prophet!« sagte er mit schwacher Stimme, »bin ich wirklich ein Sünder? Meine Seele ist noch im Zweifel! Lacy ist zwar unschuldig, aber er ist ein Ungläubiger. Agalva lebte noch, als ich Mansor verließ, lebte in Fesseln – und benetzte mit ihren Tränen das Brot des Elends. – Aber Ihr könnt sie nicht retten. Auf meinem Weg hierher sah ich es voraus, daß Ihr wünschen würdet, daß wenigstens ihr Körper in ihrer mütterlichen Erde ruhe, – und daß man von mir verlangen würde, ihn herbeizuschaffen; ich fertigte deswegen einen Sklaven mit dem Befehl ab, sie im Gefängnis zu erwürgen.« – Seine Sinne verließen ihn, er konnte nicht mehr sprechen. Bald darauf hauchte er seine verbrecherische Seele aus. Sein blutiger Körper lag erstarrt auf dem Boden, niemand würdigte ihn eines Blickes.

Der Samorin stand bewegungslos wie ein Bild der Verzweiflung da; Tränen kindlicher Zärtlichkeit benetzten Firnos' Wangen; die Sultanin war außer sich über den Verlust ihres Geliebten, die Wache riß endlich den Dolch aus ihren Händen.

In dem Vorzimmer erhob sich auf einmal ein verwirrtes Geräusch, und ein lärmender Haufe Volks stürzte in den Saal.

»Soll er doch noch leben, der Mörder Agalvas?« schrien hundert Stimmen auf einmal, »der Mörder einer Samorina leben? Der schändliche Christ! Gerechtigkeit, oder fürchtet die Rache des Himmels! – Sie ist ein Abkömmling von Samora. Eine Sündflut, ein Feuerregen würde unsere Stadt verzehren.«

Der Samorin sammelte sich wieder, und ihre Ungeduld erlaubte ihnen endlich, ihm den Vorgang zu erzählen. Lacy hatte schon das Schafott bestiegen, als Osva, entweder zufällig oder vorsätzlich, da sie vielleicht eine Ahnung von ihres Landsmanns Unschuld hatte, erschien. Schwangerschaft erhält in Kalekut dieselbe Verehrung, die im alten Rom der Jungfernschaft gebracht wurde, und die Prinzessinnen, die von Samora abstammten, genossen, wenn sie schwanger waren, jenen ehrwürdigen Vorzug, den sonst die Vestalinnen besaßen. Erschienen sie bei einer Hinrichtung, so brachte ihre Gegenwart dem Verbrecher Begnadigung. Zum Glück für Lacy war Osva schwanger, und ihre Annäherung rettete sein Leben. Die Zuschauer waren geteilt, ob dieses Recht auch auf ein so fürchterliches Verbrechen, wie den Mord einer Samorina könne angewendet werden. Ein lebhafter Streit erhob sich, und die Wachen konnten kaum den Verurteilten schützen, bis der Samorin durch sein Urteil die Sache entscheiden sollte.

»Er ist unschuldig,« rief der Samorin, »die Vorsehung hat ihn gerettet. Unsere Nationalgerechtigkeit ist nicht entehrt. Dort liegt der Mörder Agalvas.«

Sie sahen nun den Körper des Mirza, den sie vorher als einen Helden geehrt hatten. Aber ach! auch ein Held kann ein Bösewicht sein.

Unterdessen hatten Fitz Allan und der Offizier Lacy aus den Händen des Pöbels befreit und brachten ihn nach dem Palast. »Großmütiger Brite,« sagte der Samorin, »könnt Ihr Eure grausame Gefangennehmung, Euren unglücklichen Prozeß und Euer ungerechtes Urteil verzeihen?«

»Ach, wenn Agalva lebte,« antwortete Lacy, »so würde ich für dieses alles kein Gedächtnis haben. Ich bin frei, bin in dem Land der Freiheit, aber bloß, um die traurige Versicherung von Agalvas Verlust zu erhalten.«

Wie groß war das Erstaunen des Volks, als es jetzt in den Armen seines Kaisers den nämlichen Mann erblickte, den es einige Minuten zuvor würde in Stücke gerissen haben.

Fatime schwankte auf Lacy zu, sie konnte ihren Gefühlen nicht widerstehen; welch ein Übergang von Verzweiflung zum Entzücken! Sie wurde ohnmächtig in seiner Umarmung.

Man eilte ihr zu Hilfe; indessen drängte sich ein Kavalier durch den Haufen. »Wehe! Wehe!« rief er aus, auf den Körper des Mirza zeigend. »Wehe den Unterdrückern der Weiber! Es blühe das Geschlecht Samoras!« Der niedergeschlagene Samorin hob seine Augen empor und erblickte – Walter De Grey. »Beherrscher der Naïren,« sagte er, »ich eilte, um an dem Fuß Eures Thrones Euch zu huldigen, als auf dem Wege ein Mann zu Pferde mit der Schnelligkeit eines Blitzes gegen uns sprengte. Sein schäumender Läufer fiel, unsere Führer konnten ihre galoppierenden Rosse nicht zurückhalten, wir fuhren über ihn hinweg, und unsere Pferde und Wagen wurden umgeworfen; meine Schwester wurde verwundet. Dieser Unfall hielt uns auf dem nächsten Schloß auf, wo die edle Burgfrau uns mit besonderer Gastfreundschaft aufnahm und einen Wundarzt holen ließ, um die Wunden meiner Schwester zu untersuchen.

»Dem gestürzten Reiter war die Hirnschale zerschmettert. Es war ein persischer Sklave, der dem Mirza gehörte, und in den Falten seines Turbans fand man einen Brief. Da ich die persische Sprache während meiner Gefangenschaft gelernt hatte, so sah ich, daß der Brief an Jasmin, eine Kreatur des Mirza, der während seiner Abwesenheit die Stelle eines Gouverneurs versah, gerichtet war. Der Mirza befahl ihm darin, sich die Samorina Agalva von dem Oberstverschnittenen ausliefern zu lassen und, nachdem er sie aus dem Harem gebracht, sie zu erwürgen und ihren verstümmelten Körper in einem benachbarten Holz zu begraben. Um des Gehorsams des Verschnittenen gewiß zu sein, sollte er nur des Mirza Ring, der in dem Brief mit eingeschlossen war, vorzeigen, und diesen würde das ganze Serail mit der tiefsten Verehrung anerkennen.

»Ich empfahl meine Schwester der Burgfrau und kehrte zu den Ufern des Indus zurück.

»Ich zog persische Kleidung an und kam in dem Serail des Mirza an. Bei dem Anblick des Ringes warf sich der Verschnittene vor mir nieder. ›Du Stimme der Befehle meines Herrn, befiehl, und wir gehorchen dir, du bist Herr in dem Harem Nujirmans!‹

›Führe mich‹, antwortete ich, ›zu der Samorina Agalva!‹

»Er führte mich durch eine lange Reihe Zimmer. Bei dem Anblick eines Mannes bedeckten die Weiber ihre Gesichter und wagten es kaum, durch ihre Schleier zu sehen, bis ein Verschnittener sie auf die Seite trieb. Wir gingen nun durch ein Lustwäldchen, und endlich kamen wir an einen Turm, der halb ins Wasser gebaut war.

›Hier‹, sagte der Verschnittene, ›strafen wir unsere ungehorsamen Weiber. Sie werden hier einen Tag, eine Woche oder einen Monat, je nachdem die Art ihres Verbrechens ist, eingesperrt. Einige erhalten nur Wasser und Brot, bei anderen gebrauchen wir auch vielleicht eine kleine körperliche Züchtigung. Was aber diese abscheuliche Naïrin betrifft, so habe ich schon lange erwartet, daß ihr mein Herr das seidene Halsband schicken würde. Im Anfang, wie sie hierherkam, verleitete sie die Weiber immer zum Aufruhr; aber ich und der andere Verschnittene waren ihr zu scharf. Endlich erwischten wir einen Liebhaber in ihrem Zimmer. Bis jetzt weiß ich noch nicht, wie er in den Harem gekommen war. Wir durchbohrten ihn vor ihren Augen mit unseren Dolchen. Dies war das erstemal, daß sie eine Träne vergoß. Solch einen Stolz sah ich noch nie; und doch würde ich sie zahm gemacht haben, wenn sie nur hier bliebe. Aber sag' mir, wohin willst du sie bringen.‹

»Wenn ich nur ein Wort gesprochen hätte, so würde mich meine Wut verraten haben; ich schwieg also und zeigte bloß auf den Ring.

›Gut,‹ sagte er, indem er seine Hände über seine Brust kreuzte, ›ich verstehe dich, ihr Schicksal soll ein Geheimnis bleiben; ich unterstehe mich nicht, in die Geheimnisse meines Herrn zu dringen.‹

»Indessen waren wir eine dunkle verfallene Treppe hinaufgestiegen; öfters hörte ich einen hohlen Seufzer oder das Gerassel einer Kette. Ein Weib pochte an die Tür ihres Gefängnisses, als wir vorübergingen; endlich waren wir fast bis auf die oberste Spitze des Turmes gestiegen. Sogar die weitläufige Aussicht, die sie von ihrem hohen Gefängnis genoß, war der Prinzessin bloß zur Vermehrung ihrer Leiden verstattet. Sie wurde wie Tantalus mit dem Anblick des Indus gemartert, und ihre Ketten dehnten sich bloß so weit aus, damit sie nach ihrem Mutterlande sehen konnte. Die Luft schien hier verpestet zu sein, und ein so entsetzlicher Gestank betäubte unsere Sinne, daß wir kaum atmen konnten. Der Verschnittene setzte seine Laterne auf den Boden und öffnete drei große Vorlegeschlösser. Gerechter Himmel, welcher Anblick! Hier lag die Prinzessin; einst ein Wunder von Reizen, jetzt hatten Mangel und Verzweiflung auch die letzte Spur von Schönheit zerstört. Ihr Auge, einst so hell und durchdringend, jetzt starrte es trübe und gedankenlos aus seiner Höhle, oder zu schwach, das Licht zu ertragen, war es halb geschlossen. Ihre Lippen, bleich und blau, konnten ihre langen gelben Zähne nicht bedecken, die einst einer Perlenschnur ähnlich waren, und ihre verdorrte Haut hing in Runzeln herab. Dies war Agalva, deren Bildnis ich zu Virnapor bewundert hatte, einst das Ebenbild der blühenden Osva. Sie lag auf einem Haufen Stroh ausgestreckt, und eine grobe Decke war über ihre verwelkte Gestalt geworfen. Ach, wenn Ihr von ihr selbst hören werdet, was sie ausgestanden hat! – Der gefühllose Mirza kam öfters, sie zu schmähen, sie lag neben dem kopflosen Gerippe ihres Liebhabers angefesselt. Einer der Verschnittenen hatte es einst gewagt, sich für sie zu verwenden; er wurde für seine Menschlichkeit seiner Stelle entsetzt, und der jetzige Barbar erhielt die Aufsicht über sie. Bald wütend vor Rache, bald wieder zur Verzweiflung herabgesunken, erwartete sie umsonst, daß man den Körper hinwegschaffen würde. In diesem heißen Klima, wo eine augenblickliche Fäulnis auf den Tod folgt, wurde dieser einst in ihren Augen so schöne und liebenswürdige Körper, der Körper ihres teuersten Freundes, ein schrecklicher Gegenstand des Abscheus; und doch, wie weit glücklicher war ihr Geliebter, denn er war doch außer der Gewalt des Tyrannen. Warum kam nicht der Tod, um ihr einen ähnlichen Zufluchtsort anzubieten? Umsonst suchte sie nach einem Werkzeuge der Zerstörung. Die Eßlust war bei ihr verloren, und man hatte den Schädel ihres Geliebten in einen Becher verwandelt, aus dem sie ihre schwachen Lebensgeister stärken sollte.

»Als wir hereintraten, lag sie ganz ohne Bewegung, und es fehlte ihr sogar an Kraft, die unzähligen Insekten hinwegzutreiben, die sich in dem verwesten Gerippe eingenistet hatten; sie krochen über ihr Gesicht und summten um ihren schwachen Körper her.

»Wir brachten sie sogleich an reinere Luft, und sobald als es ihre Kräfte etwas verstatteten, verließ sie, auf eine Bahre gelegt, mit uns das Serail. Bei dem Anblick des Ringes gehorchte mir das ganze Serail; die Weiber des Mirza seufzten, und die grausamen Verschnittenen waren entzückt, denn als sie sie hinwegschaffen sahen, bildeten sie sich ein, wir führten sie zu einer augenblicklichen Hinrichtung. Sie selbst war in eine gänzliche Bewußtlosigkeit gesunken, sie gestattete mir und den Naïren, die ich als persische Sklaven verkleidet mitgebracht hatte, alles, was uns beliebte, mit ihr vorzunehmen. Ihr Schicksal schien ihr ganz gleichgültig. Wir brachten sie in die Fähre. Wir fuhren über den Indus. Doch ihr Entzücken kann ich Euch nicht beschreiben, als sie sich frei und in ihrem Mutterlande sah. Ihre Gesundheit und selbst ihr Äußeres wurden wie durch ein Wunder fast wiederhergestellt. Den anderen Morgen setzten wir unsere Reise fort; wir fanden meine Schwester, von ihren Wunden geheilt, noch auf dem Schloß, wo ich sie verlassen hatte. Agalva und Emma reisten in einem Wagen zusammen, ich bestieg mein Pferd, um ihre Ankunft zu verkündigen.«

Der Samorin konnte kaum den Ausdruck seines Entzückens zurückhalten, bis De Grey geendigt hatte. Er fiel in seine Arme, er wollte seiner Dankbarkeit Worte geben, war aber nicht imstande, etwas Zusammenhängendes hervorzubringen. Der Beherrscher der Narren weinte wie ein Kind. Auch Firnos blieb seiner selbst nicht mehr mächtig. Osva lief in ihr Zimmer, um ihre kleine Marina zu holen. Die vielen Ereignisse, die aufeinander gefolgt waren, und der unerwartet schnelle Übergang von Trauer zum Entzücken schienen der ganzen Menge ein Rätsel: alles, was man wußte, war, daß Agalva lebte, und diese frohe Nachricht ging bald von Mund zu Mund.

Die Türen öffnen sich, und Agalva erscheint wieder; sie ist mit fürstlicher Pracht geschmückt, ihrer selbst und einer Nachtochter der Semiramis würdig; die Muttersöhne drängen sich heran, um ihre Hände oder die Schleppe ihres Kleides zu küssen. Die lange Gefangenschaft hat ihre Wangen gebleicht, und die Sorgen haben eine Furche in ihre Stirn gezeichnet; aber majestätisch ist ihr Gang, ihr Auge hat seinen Glanz wiedererhalten und leuchtet noch heller als die Edelsteine in ihrer Krone.

Ihr Bruder, ihre Kinder liegen in ihren Armen, jedes wünscht, an ihren Liebkosungen teilnehmen zu können. Welch ein Wechsel! Sie, noch vor kurzem in einem schrecklichen Gefängnis, sieht sich jetzt, umgeben von solchen Kindern, an dem Busen ihrer Familie und in ihrem mütterlichen Haus. Sie umarmt ihren Erstgeborenen Firnos, der, um seine Mutter zu suchen dem weiten Ozean Trotz geboten hat. Sie weidet ihre Augen an Abas, den sie schon auf immer innerhalb der Mauern des Harems begraben glaubte. Osva hält ihr die kleine Marina zum Kuß entgegen, Osva, deren versprechende Gestalt eine neue Quelle des Glücks ist.

Fitz Allan, ihr Geliebter in England, ist auch da. Der Fürst von Cambaya, ihr alter Schulgefährte, drückt ihr freundschaftlich die Hand; sie sieht sich von allen umgeben, die ihrem Herzen teuer sind. Dem treuen Naldor wünscht sie Glück, daß er die Ketten der Ehe wieder zerbrochen hat.

»Lacy, mein teurer Lacy,« fuhr sie fort, »ich versprach Euch eine Freistatt in Kalekut, aber Eure Anhänglichkeit an mich wäre beinahe sehr unglücklich für Euch ausgeschlagen. Meine schönen Landsmänninnen müssen ihr Möglichstes tun, um Euch zu entschädigen. O mein Freund, wie viele Leiden habe ich Euch nicht verursacht.«

»Nein,« rief Fatime, und warf sich der Samorina zu Füßen, »ich war die verbrecherische Urheberin aller Leiden, die euch beide betroffen haben; den Verlust eurer Freiheit und eure entsetzliche Gefangenschaft habt ihr meinen boshaften Anschlägen zu verdanken. Lacy kann mir noch vergeben, denn bei ihm kann ich die Größe meiner Leidenschaft als Entschuldigung vorschützen; aber welche Rücksichten sollten Euch verleiten, mir zu vergeben?«

»Steht auf, Sultanin,« antwortete die Nachtochter der Semiramis, indem sie sich erhob. »Nicht Euch, sondern die Tyrannei Eurer Gebräuche, die Vorurteile Eurer Religion klage ich an. Warum wart Ihr gezwungen, einen Liebhaber auf verstohlene Art in die Mauern des Serails zu bringen? Warum mußtet Ihr durch Ränke Euch das zu verschaffen suchen, was Ihr als ein Geburtsrecht und im Angesicht der ganzen Welt genießen dürftet? Ihr, Fatime, seid weniger strafbar als Euer Prophet.«

Doch wer ist die Dame in der Samorina Gefolge? Jedes Auge war bisher zu sehr mit Agalva beschäftigt, um ihre schöne Begleiterin bemerken zu können. Es ist Emma De Grey. Walter stellt sie dem Samorin vor.

Während der Reise hatte Walters Beredsamkeit gesiegt, seine Schwester hatte seinen Gründen nachgegeben und ihm versprochen, sich in die Sitten Malabars zu fügen. Agalva umgürtete Walter mit dem Schwert; aber sein Herz war nicht eher ganz ruhig, als bis der Kaiser der errötenden Emma den hoffnungsfarbigen Gürtel überreichte und ihr den edlen Segen gab: »Sei die Mutter der Helden!«

Als die zwei Fremden auf diese Art der Nation einverleibt waren, bestieg der Samorin den Thron. Walter und Emma werden an den Fuß desselben geführt. Der Herold des Phönix ruft sie als Graf und Gräfin von Mangalore aus.

»Ihr werdet es mir nicht abschlagen,« sagte Agalva, sich zu dem Kaiser wendend, »meinem Befreier auch ein besonderes Zeichen meiner Dankbarkeit zu geben. Seht diesen Becher, wozu die erfinderische Rache des Mirza den Schädel meines Geliebten umschuf. Jetzt sei er ein Andenken meiner Leiden. Aufgeklärt war der Verstand meines Geliebten, und seine Seele wird sich über dessen künftigen Gebrauch freuen. Dieser Becher soll uns bei dem großen Feste der Samora dienen. Walter und seine Neffen sind von jetzt an die Mundschenke des Reichs. Aus diesem Becher wollen wir auf das Wohl der Weiber trinken! Mögen sie in allen Weltteilen ihre Freiheit erhalten!«

Ende.

 

Druck von Mänicke und Jahn in Rudolstadt

 


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