Heinrich Laube
Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen
Heinrich Laube

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4. Die Saison

Sie war vorüber in Swinemünde, aber der Nachsommer war noch zu finden. Equipagen, Krankheits- und Gesundheitsklatsch, Geschichten, recht viel Geschichten, Partieen, Sonnenschein und Regen. Darin besteht Saison und Badeleben. Im Seebade ist aller Mittelpunkt der Wellenschlag: erst spricht man davon, ob welcher sein wird, dann ob welcher ist, zuletzt, ob welcher gewesen ist, und dann geht's wieder zum Futurum. Das hat sein Einfaches. Für die ersten Tage ist auch die Gesellschaft ohne Ertrag für den einzelnen Ankömmling, denn sie hat auch einen Haupttheil ihres Reizes in ihrer Geschichte, man muß erst Neigung oder Abneigung oder Gleichgültigkeit für Diesen oder Jene in sich aufgefunden, man muß erst irgend einen Bezug haben, ehe man einen Reiz gewinnt. Also Partieen und Geschichten waren der mir angedeutete nächste Beruf – die ersten Seebäder wirkten aber Schönebergisch auf mein Gemüthe, ich war stumm, einsiedlerisch, braun-melancholisch. Was Partieen! Sand, Fichten, Fläche, Wasser, was für Partieen kann solche Komposition geben? Es passirte also in den ersten Tagen nichts als Schwermuth, Lectüre, Betrachtung über die Nachbarschaft, und der unerwartete Besuch einer Dame, welche mich für einen Doktor der Medizin hielt, und mir all ihre epileptischen Leiden bis in's Detail zur Kur vorlegte. Ihr Vortrag war von jener Art, wie Wieland zwei eiserne Drescher schildert, die am Eingang des Thores so schnell und dicht arbeiten, daß sich kein Sonnenstrahl zwischen ihre Schläge drängen kann[C. M. Wieland: Oberon, 3. Gesang, 15. Strophe] – meine Bemerkung, ich sei ein unglücklicher Philosoph, welchem die Enthüllung solcher vierzigjährigen Mysterien ebenfalls nur Unglück brächte, war auf keine Weise einzuschieben, und ich mußte mich schweigend in das epileptische Schicksal ergeben. Als die Dame so weit erschöpft war, für meinen Rath eine Pause zu gestatten, sagte ich ihr, sie solle heurathen.

Darauf lächelte sie, und ließ sich dahin vernehmen: Bisweilen habe sie auch wohl daran gedacht, aber sie sei es bis jetzt allein gewesen, welche diesen Gedanken empfunden habe. –

Mit aller Anerkennung dieses letzten Ausdrucks wünschte ich ihr Besserung und empfahl mich und meine Ruhe. In meiner Nachbarschaft war auch nicht viel Freude: es gab da ein ganz artig schwarzäugiges Mädchen, aber sie war blos da, wie die Mutter sagte, um auf andere Gedanken zu kommen. Das ist immer übel, wenn es darauf abgesehen ist, denn die Gedanken eines Mädchens sind zärtliche Empfindungen, und daran ändern zu müssen ist ein Uebelstand. Das Mädchen liebte nämlich einen Künstler, und die Mutter sagte, ihre Tochter habe sich in einen Komödianten vergafft, und es gäbe kein größeres Kreuz. Gegen diesen Komödianten sollte nun Swinemünde auch helfen; bekanntlich hilft das Seebad gegen Alles. Ich hatte das Unglück, diesen dramatischen Künstler auch zu kennen, und diese Bekanntschaft mußte ich mit dem etwaigen Interesse bezahlen, welches mir das schwarzäugige Mädchen hätte gewähren können. Für mich war Alles unliebenswürdig an diesem Liebhaber – es ist solch ein alter trivialer Kram, aber er ist noch immer von unermeßlicher Wichtigkeit, daß der öffentlich auftretende Mensch einen außerordentlichen Reiz ausübt auf die Mädchen. Sie hüllen ihn verschwenderisch in alle schön gefärbten Luftschichten der inneren Romantik, welche ihrer Ahnung und ihrer Wunscheskraft zu Gebote steht.

Wenn ich so fort laborirte, kam ich aber auch nicht einmal zu Badegeschichten; ich schloß mich also an einen rüstigen Badegast, machte Partieen und ließ mir erzählen.

Es war ein Buchhändler, der schon ein bewegtes, erfahrungsreiches Leben durchgemacht, zur Napoleonischen Zeit mit Noth und Gefahr der Konskription sich entwunden hatte, und auf dieser Flucht nach Oesterreich und bis tief nach Ungarn hinein gerathen war. Diese Schöpfung eines eignen Lebens übt stets ihren Eindruck, weil wir die ursprüngliche, selbsteigne Kraft des Menschen, die eigentliche Produktion wirksam leben: Der Vater, ein leidenschaftlicher Franzosenfeind, hatte den Knaben bis an's Thor geleitet, ihm vier Thaler gegeben, den Weg aus dem Königreiche Westphalen gewiesen, und ihn dann mit seinem Segen entlassen. Gott allein, dem weiten Himmel heimgegeben, war der Knabe hineingezogen in's Blaue, Aehrenfelder und Gräben hatten ihn vor den Franzosen verbergen müssen, und so war er glücklich bis Leipzig gekommen; eine Dresdner Krämerin, beschäftigt, Kaffee zu paschen, hatte ihm bis Dresden einen Sack zu tragen und dafür ein Paar Mahlzeiten gegeben, in Dresden war beim österreichischen Gesandten weitere Hilfe nachgesucht und gefunden worden. –

Jetzt wanderte er mit mir durch den tiefen Sand nach einem Walde, hinter welchem Corsuand, eine gepriesene Swinemünder Partie liegen sollte – dieser erste Besuch ist mir auch der liebste geblieben: ein prächtiger voller Wald führt eine Stunde weit zu einem schweigenden, an schwarzen Seen gelegenen Dorfe, wo ein trefflich Unterkommen zu finden ist. Der Wald ist nur außen mit trocknen, inproduktiven Kiefern umkränzt, wie man ein reich Geschmeide in unscheinbares Futteral verbirgt, innen locken dunkel und erquickend die tief gefärbte Laubbäume, es klingt der ruhende Wald, es herrscht die schattige, flüsternde Lebensstille, die so kräftig zum Einkehren in sich selbst ladet, zum Verkehr mit dem Weltgeiste, zum Gedächtniß an ferne Liebe, an unbefangenes Kindesgefühl, zum Glauben an's Gute, zum Glauben an Ruhe und Glück, zum Glauben an Ehe, zum Glauben an Geister. Wald, prächtiger, klingender Wald, du bis ein Element von ewig thätiger, ewig schöner Kraft; du bis des Nordens schönster Reiz, der Schooß unsrer Gemüthswelt, die einen poetischen Ausdruck sucht – unsere und Englands grüne Wälder mag uns der sonst reicher beglückte Südländer beneiden. Und wir haben's erkannt, was wir daran besitzen, wir haben das Wort dafür erfunden, ruft »Wald« hinein unter die Bäume, alle die schönen natürlichen Reime darauf rufen Euch hell zurück, daß Ihr das rechte Wort, den klaren Namen gefunden habt, auf welchen das Kind der Natur hört –

Rufet hinein in den dunklen Wald,
Horcht, wie klar es zurück schallt,
Gleich Gottes ew'ger Stimme hallt:
Ich bin der Wald, der ew'ge Wald,
Bin immer alt, erfrischend kalt,
Bin immer jung.
Sucht Dämmerung,
Sucht Ahnung und Erinnerung,
Und Harzes Duft, der kräftig wallt,

Des Echos Luft, die widerprallt
Der Hoffnung süßes, schönes »Bald!«
Des Lebens innerste Allgewalt
Im Wald, bei mir, im ew'gen Wald!

Nur ein bornirter Literarhistoriker wird es übersehen, wie reizend und trefflich die romantische Schule dieses schöne Stück Welt uns aufgeschlossen, den Wald mit seinen Stimmen und Geistern, seinem stillen rastlosen Leben und Weben; wenn ich ein Buch von Eichendorff in die Hand nehme, da dringt mir frisch dieser Waldgeruch entgegen, das Wild ruft, an seine fröhliche, gesunde Existenz mahnend, die Vögel singen, die Blätter flüstern alle die ahnungsschwangeren Lieder, welche die süße Sehnsucht unsers Herzens wecken. Mag gesagt werden, daß diese Poeten darin des Guten zu viel gethan, daß sie sich in der dämmernden Naturwelt verschlummert haben, geht's uns nicht mit allen Dingen so, haben sie nicht alle ihre Spitze in dieser Endlichkeit, kann die Liebe nicht Liebelei, der Reiz nicht Ueberreiztheit werden? Wenn wir in den Wald treten, in den ächten, tiefen, dunkelgrünen, geheimnißreichen, dann laßt sie unbefangen heraus aus Eurem Gedächtnisse, alle die Lieder die alten –

»Da rauschten Bäume, sprangen
Vom Fels die Bäche drein,
Und tausend Stimmen klangen
Verwirrend aus und ein.«
 
»Kennst du noch die irren Lieder,
Aus der alten schönen Zeit?
Sie erwachen alle wieder
Nachts in Waldeseinsamkeit,
Wenn die Bäume träumend lauschen,
Und der Flieder duftet schwül,
Und im Fluß die Nixen rauschen –
Komm herab, hier ist's so kühl.«
 
»Nächtlich macht der Herr die Rund',
Sucht die Seinen unverdrossen,
Aber überall verschlossen
Trifft er Thür und Herzensgrund,
Und er wendet sich voll Trauer:
Niemand ist, der mit mir wacht –
Nur der Wald vernimmt's mit Schauer,
Rauschet fromm die ganze Nacht.« –

Hat doch die Nachtigall auch nur ein Lied, was sie immer wieder singt – Ihr sollt sie ja nicht Tag und Stunde hören, der Himmel, der das Alles wohl am Besten weiß, hat's auch nicht so eingerichtet, sie schweigt gar lange, aber wenn sie singt, ist's Euch auch ein Zeichen, daß linde Lüfte und grüner Drang gekommen sind. Singt mir im Walde die Dichter, und kritisirt sie nicht.

Seid Ihr nie mit Eurer Liebe durch den Wald gegangen? O, wie werdet Ihr Euch daheim fühlen, in der Welt ohne Arg und ohne Feinde, in dem Rauschen von tausend Freudesahnungen, für welche wir Armen noch keinen Ausdruck gefunden haben; und wenn Ihr küßt und Euch dann umschaut, so nicken alle Zweige, und der Liebe Odem und Gottes Odem sind Eins und spielen wie ein weicher Aethertraum um Eure Sinne, und wenn es regnet, wie wird Euch heimlich unter den Buchen! –

Der Buchhändler sagte: Aber warum schreiben Sie nicht über meine Verlagswerke so, wie Sie diesen Wald bei Swinemünde betrachten und durchspringen?

Ach, wirklich, wir sind in der Nähe von Swinemünde, das hatte ich ganz vergessen – wer vermuthet hier, weithin von Waldrändern umsäumt, eine verschwiegene Landschaft mit dunklen Seen! Schauen Sie, da hinten fliegt ein Reh durch die Buchen, und dort, wirklich, als hätten wir uns die Romantik bestellt, dort hinten im Einbug des See's geht ein Fischreiher seinem Fange nach, der Gänsehirt am Waldeshange schläft mitten unter seinen Pflegbefohlnen.

Da uns der Weg nach Corsoand so gut gerathen schien, machten wir uns anderen Tages zu einer neuen Partie auf, nach dem Golm. Das ist ein Berg, von welchem die Aussicht rings auf die Gewässer zu finden sein sollte. Der Weg führt durch einen sandigen Kieferforst, und läßt wenig erwarten – da zeigt sich rechts, hinter einer Moorwiese, ein grün bebuschter Hügel. Dorthin fochten wir uns durch sumpfige, extemporirte Pfade, und eine Laubholzung bergauf passirend, die frisch und kräftig war, erreichten wir halb die mäßige Höhe. Ein feiner Staubregen perlte auf die Blätter, ein Wagen, für den die Straße bis hierauf gangbar ist, stand unter den Bäumen, eine Dame saß unter einer großen Bude, welche für die Besucher errichtet sein mochte, die aus einer nahe liegenden kleineren mit Kaffee und Imbiß versorgt werden konnte. Auf dem Gipfel des Berges, denn das eben Beschriebene fand sich auf der letzten Lehne desselben – steht eine kleine gemauerte Warte, oder ein Tempelchen, wie man es nennen will, eine Mauer nach der Rückseite des Berges, ein Paar schmale Seitenwändchen, ein Paar Säulen, wenn ich mich recht erinnere. Dort war die Aussicht und ein interessant aussehender Herr zu finden, wahrscheinlich die Ergänzung der unten sitzenden Dame; denn unsre Damen haben sich so sehr alle Selbstständigkeit entwinden lassen, daß man sie immer nur halb zu sehen glaubt, wenn sie uns in freier Natur allein begegnen. Die Aussicht ist ganz besonders: rechts hinter Bäumen, welche diesen Augenblick verregnet waren, das Haff mit breitem, nebelbedeckten Wasserspiegel, links wiederum Wald, und dahinter der Swinespiegel und die gelben und weißen Häuser Swinemündes, dann ein neuer Waldstreifen, und über diesen hinaus als Horizont das Meer, rückwärts nach allen Seiten Bergwald.

Vom Lande zu fegten Regenwolken, nach Swinemünde und dem Meere zu war es licht, als ob da Hoffnung und Rettung von den Kümmernissen und Beschwernissen des Landes zu finden sei, bei Madame Hannemann in der Lootsenstraße, welche der Herr Major als eine sehr preiswürdige Conditorin zu empfehlen pflegte. –

Die können auch wirklich Rettung und Hoffnung brauchen, flüsterte mein Begleiter, und wies auf den Herrn und rückwärts auf die einsame Dame. Der Herr sah wirklich auch besonders aus: groß, blaß, phantastisch bärtig, fliegendes Halstuch, schmerzhaft gekniffene Lippen; sah starr über das Haff hinein, und mochte vielleicht mit mir den Gedanken haben, wie viel Weh dort hinter dem weiten Wasserspiegel wohnen und sprützende Regenwolken senden möge. Rasch ging er an uns vorüber und rückwärts in den Wald, die Dame blieb einsam unter der Bude, hatte sich tief in ihr Umschlagtuch gehüllt, und den Kopf auf die Brust gedrückt.

Dies war die Situation, als ich folgende Geschichte erfuhr – damit der Leser nicht für unsre Gesundheit fürchte, sei noch bemerkt, daß ich und mein Begleiter in dem halbwüchsigen Tempelchen saßen und nur von vorne naß wurden.

Drinnen im Lande, in einer fruchtbaren Marschgegend liegt ein wohlhäbig Dörfchen mit weißer Kirche und sicher und reichlich gebautem Pfarrhause. Die Pfarre ist gut und bringt mehr als das Nöthige, der Pfarrer ist von jener gutmüthigen patriarchalischen Beschränkheit, welche alles Genüge in einer dreißig Jahre unveränderten Thätigkeit findet. Er predigt, wie es ihn auf der Universität gelehrt ist, er hat für jeden vorkommenden Fall seinen guten Spruch, er hält die Menschen bis auf ein Bischen Erbsünde alle für sehr gut und brav; was die Weltleute die Welt nennen, daß kennt er nicht, und er sagt von ihnen: sie werden wohl auch mit einander und mit dem lieben Herrgott fertig werden.

So beschaffen sitzt er am Sommerabende vor seiner Hausthür unter dem Kirschbaume und raucht Tabak aus einer dicken Pfeife; seine älteste Tochter sitzt neben ihm und näht, die jüngste springt singend ab und zu. »Man kann doch wirklich drüber nachdenken« sagt er zur neben ihm sitzenden Tochter Elisabeth, wie er das alle Jahr ein Paar Mal zu sagen pflegt, »ich sage, und wiederhole es, man kann darüber nachdenken, und zwar ernstlich und bedächtig, woher Hannchen das viele Temperament hat. Eure selige Mutter war eine stille Frau, und ich habe auch nie Veranlassung in mir wahrgenommen, so beweglich, zum Singen und Springen aufgelegt zu sein, wie unser fröhliches Mädchen da.« –

Damit wollte er keinen Tadel ausdrücken, er hatte gar nichts dawider, und Elisabeth liebte Hannchen auch sehr, der Herr Pastor gab nur eine seiner oft wiederkehrenden Notizen, welche diesmal durch das Hervorspringen und unausgesetzte Bellen des Hausspitzes unterbrochen wurde. Ein junger Wandersmann zog des Weges daher, und dadurch wurde Spitz beunruhigt, seine Unruhe zog auch Hannchen an die Thür, und so sah der Wanderer, ein junger Maler, eine Gruppe unter dem Kirschbaume, welche ihn festhielt. Er blieb stehn, Spitz vom Herrn Pastor gerufen, knurrte nur noch, und ging vielfach umblickend bei Seite. Die Gruppe interessirte den Maler: es war ein Kirschbaum, ein alter Herr mit schwarzem Rocke und weißen Haaren, die älteste Tochter mit blaßem Antlitze, schwarzen Locken und dunklem Kleide und das siebzehnjährige Hannchen, weiß gekleidet, mit fliegenden nußbraunen Haaren, frisch und fröhlich aus glänzend braunen Augen lachend. Diese letztere interessirte auch den jungen Mann, der nicht bloß ein Maler war.

Nach einigen Tagen ist er ganz heimisch, er malt ein Altarblatt für die Kirche, und er und Hannchen lieben sich, sie sitzen heut allein unter dem Kirschbaume, und sie erzählt ihrem Guido, was sie getrieben habe die siebzehn Jahre hindurch. Der Vater hat nichts gegen die Liebe einzuwenden, was sollt' er auch? Guido ist ein schmuckes junger Mann, bemittelten Standes, malt schon sehr schön, und wird nach zwei Jahren in Italien seine Kunst studiren, dann Hannchen heurathen und in der Residenz sich niederlassen. Schwester Elisabeth, ein wenig an der Brust leidend, ist ein sehr gutes Geschöpf, und freut sich über Hannchens Glück. Der junge Maler malt und liebt, der Winter vergeht, der Frühling kommt, das junge Liebespaar streicht durch Felder und Wälder, und freut sich der schönen Welt; als der Abschiedstag da ist, wird heftig geweint und tüchtig gehofft und versprochen.

Es kommt der Sommer, und Hannchen wird traurig, sie fühlt sich krank, und der Vater schickt seine beiden Kinder nach der Residenz, um einen alten Universitätsfreund, der ein berühmter Arzt geworden ist, zu fragen, was ihr fehle, denn sie wußte selbst nicht, was es sei. Auch Elisabeth hustet mehr, der Herr Doctor soll beiden helfen. Das ist ein liebenswürdiger, freundlicher Mann, welcher sich der Sache nach Kräften annimmt: Elisabeth schickt er gleich wieder zum Vater zurück, mit der Weisung, Molken zu trinken, Hannchen soll bei ihm bleiben, bis sie genesen sei, des Arztes Frau, eine sehr verständige Dame, welche aus Neigung mit keinerlei Gesellschaft verkehrt, nimmt sich mit mütterlicher Theilnahme des Mädchens an.

Im nächsten Frühjahr ist Hannchen wieder gesund und munter, ihr Aussehen ist wunderbar gereift, und der Vater ist sehr erfreut, sie wiederzusehn. Zum Winter aber will sie der alte ärztliche Freund so gern wieder bei sich haben, sie fehlt ihm, das heitre, gelehrige Mädchen, und besonders seiner Frau, von der sie so Vielerlei lernt.

So vergeht der nächste und noch ein Winter, Hannchen ist halb in der Stadt, halb auf dem Lande, sie ist eine reizende, von aller Welt gesuchte, sehr unterrichtete, liebenswürdige Dame geworden, der alte, einfache Papa weiß sich manchmal gar nicht in das kluge Kind zu finden, und sagt nur immer: Was wird sich der Guido freun! Und schreibt er auch fleißig? Das Altarblatt ist noch immer so schön wie damals –

Er schrieb nun eben nicht fleißig, und wenn er es that, so war immer viel von andern Frauen die Rede, bei welchen er Glück machte, die ihn auszeichneten. Anfangs schmerzte das Hannchen, später verdroß es sie, und es ereignete sich nun gar Folgendes: Ein junger Arzt, der bei ihrem Pflegevater aus und einging, bewies ihr jene innere Freundlichkeit, welche der Vorbote stärkster Gefühle ist, und selten verfehlt, auch das Herz zu bewegen, welches den Eindruck geschaffen hat – kurz, die beiden Leute waren bald ein Herz und eine Seele und liebten sich sehr. Der junge Arzt war reich, und hielt um Hannchen an; sie erschrack zum Tode; jetzt erst fiel ihr Guido ein – nicht daß sie Gedächtniß oder Gefühl für diesen gestört und gehindert hätte, nein; aber sie weinte bitterlich, und erklärte, Gustav, den jungen Arzt nicht heurathen zu können. Dabei fiel sie ihm um den Hals, und wiederholte unter Schluchzen die innigsten Liebesversicherungen.

Das ging so eine Zeitlang hin, bis Gustav es nicht mehr trug, und auf das Entschiedenste drängte. Hannchen fuhr hinaus zum Papa, und ließ ihrem Liebsten ein Billet zurück:

»Sprich mit dem Onkel und der Tante, und frag' sie über mich – wenn sie Dir Alles gesagt haben, und Du willst mich noch heurathen, dann hole mich nach der Stadt –«

Der alte Freund des Vaters und seine Frau hatten allmählig die Namen Onkel und Tante von ihr erhalten. Gustav eilte zu ihnen, Hannchen saß beim Papa im Zimmer, und weinte; ach, was hatte sie Alles zu weinen! Schwester Elisabeth, die gute, war gestorben, Guido hatte plötzlich seit langer Zeit wieder einmal geschrieben, und mit den Worten seine nahe Ankunft gemeldet, daß er sein Versprechen zu halten komme; es war der zweite Tag schon, den sie aus der Hauptstadt war; wenn Gustav sie holen wollte, so konnte er schon sechs Stunden lang da sein, sie sah unverwandt auf die Landstraße. –

So vergingen sechs Tage, da kam ein Reiter, der hieß aber Guido. Guido hatte gerade so viel Erziehung, daß er's für seine Schuldigkeit hielt, Hannchen zu heurathen, obwohl er diese Jugendliebe lang vergessen hatte – nach einiger Zeit geschah denn auch die Hochzeit, und Hannchen holte das kleine blonde Mädchen nun herbei, was sie damals im Winter bei der Tante geboren hatte, dessen Vater Guido war, und welches all das Unheil verschuldet hatte, was nun hereinbrach. Denn Guido und Hannchen liebten sich schon lange nicht mehr; die Dame unten in der Bude war Hannchen. –


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