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Ew. Durchlaucht

wird es nicht befremdet haben, daß es just Liebesbriefe waren, um deren Dedikation willen ich Ihnen nach Algier schrieb. Es hat mir immer geschienen, als stünden Ew. Durchlaucht stets wie ein Liebhaber der Welt gegenüber, der jede Gelegenheit mit Freuden ergreift, wo er dieser Geliebten ein billet doux schreiben kann. Und es ist so gut, die Welt zu lieben, denn sie ist eben die Welt, ein launisches Frauenzimmer. Und ich glaub' es zu wissen, daß Sie das kecke Göthe'sche Wort auch immer mit innigem Vergnügen gelesen haben:

»Wenn ich Dich liebe, was geht's Dich an?«

Ew. Durchlaucht Freund, oder Vertrauter oder Expedient, oder was er sonst sein mag, kurz der »Verstorbene«, der »Tuttifruttist« hat sich immer so wahr und natürlich geäußert, er hat die moderne Welt für mehr als eine bloß faktische, und zufällige angenommen, er hat ihre Gelüste, Sympathieen, ihre Neigungen und Richtungen nicht ohne Weiteres verdammt, sondern der Prüfung anempfohlen, kurz er hat sich keiner Art geselliger Spekulation abhold gezeigt.

Diese Liebesbriefe enthalten zwar keine Spekulation, aber sie enthalten vielleicht die Anregung dazu; wie ich denn überhaupt glaube, daß dem Roman und der Novelle nicht viel mehr zukommt. Das Kunstwerk hat nicht den Katechismus, das Dogma zu ersetzen, und man thut namentlich meinen Schriften, die sich in ästhetischen Formen bewegen, Unrecht, wenn man sie für mehr als Anregungen zur Spekulation erachtet.

Es handelt sich übrigens hierbei auf keine Weise um Politik, was ich der flüchtigen Leser wegen hiermit sogleich bevorworte, solche Bücher haben vielleicht erst nach hundert Jahren etwas mit dieser schlimmen Dame zu schaffen, es handelt sich, wie der Titel sagt, um Liebe und nichts als Liebe; der Titel ist kein trügerisches Aushängeschild, er bezeichnet das Herz des Buches.

»Es war im schönen Monat Mai, als alle Blüten sprangen«, der bunte Reichel'sche Garten zu Leipzig, in welchem ich damals wohnte, bedeckte sich mit Knospen und Grün, der Himmel fiel warm und mild auf die Erde, die bescheidene Pleiße öffnete unter meinen Fenstern ihre feuchten Augen, um in die junge fröhliche Sonne zu blicken, die Mädchen liefen mit fliegenden Bändern und zurückgeschlagenen Tüchern über die Brücken, die ersten, kühnen Frühlingsvögel flogen neugierig von Baum zu Baum und zwitscherten einander ihre Verwunderung und Freude zu, daß es wieder grün und warm werde in der Welt, ein munterer Fink setzte sich nicht weit von meinem Fenster auf einen schwanken Ast, und trompetete mit seiner gesunden Eintönigkeit den Frühling in die Welt. Seine Weibchen und die Spatzen kamen neugierig herzugeflogen, und piepten zwischen die Fanfaren des kühnen Finkhahns ein lustiges »pink, pink,« das heißt: Ja, ja, der Frühling und die Liebe sind wiederkommen!

Ich strich mir damals die Sorgen von der Stirn, ich wunderte mich, daß man die wirkliche, ächte Welt so lange über der gemachten habe vergessen können, daß man sich so blind und einseitig in Kampf und Wirren herumbewegen möge, während der ewige Geist der Lüfte und Blüten immer Versöhnung und Freude säus'le. Das lange Buch des Monsieur Thiers ward in den Winkel geworfen, die Erinnerungen und Träume meines Herzens, die nur mit Blumen und Küssen bewaffnet sind, sprangen auf wie alte, vergessene Zauberschlösser und führten ihre Bilder mitten hinein in die weiche Luft, in die grünen Zweige, unter die jubelnden Vögel – die Welt und der Mensch sind ewig, weil die alten Feen und Zauderer in unsern Herzen nicht sterben, weil die Liebe ewig ist, und kein Krieg, keine Feindschaft, kein Haß sie tödten kann. Und der Frühling ist der beste Unsterblichkeitsbeweis, weil er der beste Beweis der Liebe ist und nie ausbleibt. Die Menschen dürfen sich erst hassen, wenn einmal die neuen Knospen und der Finkhahn nicht wiederkommen.

Ich fing damals diese Liebesbriefe an; es sehnte sich mein Herz nach Herzen, wenn ich Blanca küßte, so meinte ich die blanke, blühende Seele der ganzen Welt, ich wäre am Liebsten in den Frühling hineingesprungen wie in einen tiefen, göttlichen See voll Sonne, Duft und Gesang. Aber der Mensch ist leider nur Etwas und schafft nur Etwas in und durch Beschränkung. Die Grenze gebiert die Schönheit, ich mußte die Welt irgendwie zu fassen suchen, wenn ich meine Liebe nicht spurlos verflüchtigen wollte. Mein Auge haftete auf den schönen Mädchen, mit den losen, wallenden Bändern; man sagt sich so gern in der Jugend solche Zaubersprüchlein vor, wie zum Beispiel:

Ja, das frische, neue Blatt
Und die Knospe rosenroth,
Und der Vogel, risch und laut.
Und die Luft vom Himmel selbst.
Und das Weben und der Drang,
Was wir Frühling nennen
Das erscheint nicht bloß im März,
Alle Zeit gedeiht es:
Ew'ger Frühling ist das Weib,
Ist das rosenrothe Weib,
Ist das dralle Mädchen.

Die jungen, schönen Mädchen, welche vorüber hüpften, sie bewegten, beschäftigten mich auf mancherlei Weise. Es gibt nichts in der Natur, was so gesund, heiter, klar und schön wäre, als ein Mädchen, das noch ursprünglich ist, noch keine Sentimente auswendig gelernt hat. Und nach der Freude über diese Gestalten des Glücks überkam mich ein tiefes Mitleid, als ich zwei, drei, zehn, zwanzig Jahre fortlebte mit diesen Frühlingskindern. Sie werden verheirathet sein, wenn das Glück gut ist, oder alte Jungfern, wenn sie kein Geld haben oder zu dilikat wählen. Lohnt das wol der Mühe, so hübsch, so reizend anzufangen, um so ordinal und freudlos zu enden. Wie arm haben sich die Menschen ihre Welt gemacht, und sie sind stolz darauf, und schelten den, welcher auf größere Reichthümer denkt. O, ihr armen Mädchen! Ich sehe solch ein schwarzäugig Kind mit aufgehender heißer Lippe auf dem Balle, ein gewandter, frisirter, schwarzer Herr ist der beste Tänzer, er schwingt sie, er hebt sie, er tanzt ihr so recht nach Arm und Taille, er ist ein charmanter Herr, und wie bequem weiß er zu sprechen. Die Liebe ist jung, die Liebe ist heiß, am andern Tage erstürmt sie die Verlobung. Aber die Leute tanzen nicht alle Tage, eh' die Hochzeit kommt, findet sich Manches ein, was gar nicht passen will zu den Ballvorzügen – mein Gott, wir sind keine fehlerlosen Engel, das lebt sich ein, das lebt sich zusammen, vermeide um's Himmelswillen den Eklat, eine Verlobung rückgängig zu machen, die Karten stecken an allen Spiegeln – morgen ist Hochzeit. Es ist wahr: die Leute nehmen sich gut aus neben einander, es trifft nicht immer so, und man kann wirklich in der Folge nicht begreifen, warum das Mädchen so blaß wird, so salopp, so alt! Um die Kleinigkeiten härmt sie sich! Sie sollen nicht für einander passen, weil sie verschiedene Ansichten haben vom Leben, von der Liebe, von der Orthographie! Possen! So ist die Welt nicht eingerichtet, daß man sich um so unbedeutende Antipathien, kümmern darf; lieber Gott, das trifft vielleicht beim tausendsten Paare mal zu, daß sie sich völlig glücklich machen, und nicht mit der Zeit einige Veränderung wünschten. Nichts ist vollkommen in der Welt.

Ach, es wissen's nicht alle Leute, daß die kleinen, täglich erneuten Wunden am Schmerzhaftesten tödten.

Und die armen Kinder, die keine Liebe finden – ach, Gott ist so gut und lieb, es sind deren sehr, sehr wenige, denen sich nie ein Herz zuwendete, sei's auch ein kleines, sei's auch nur auf kurze, kurze Zeit. Auch das kleinste Herz ist ein Himmel, und es ist doch ein Sonnenstrahl für's ganze Leben, einmal den Himmel offen gesehn zu haben. Aber deren, die keinen Mann finden, sind viele, gar zu viele. Früher verbargen sie sich in den Klöstern, jetzt werden sie alte Jungfern, ein Orden, welcher die Karthäuserregel umgekehrt hat, ein Orden, der keinem Mitgliede gefällt, so sehr man auch das Gegentheil versichern hört.

Die alte Jungfer ist der eigentliche Stoff unsrer modernen Tragödie; diesen Wink mögen unsre Dilettanten benutzen. Solch' ein armes Weib duldet nothwendig für unsere Sitte und Civilisation – unsre Poeten sind nur eben zu wenig aufmerksam auf die tausend kleinen Nadelstiche großen Unglücks, sonst würden sie Juden, alte Jungfern, Bucklige, Leute mit brandrothen Haaren größerer und schönerer Trauer würdigen. Göthe hat, wie immer, dies ächte, tragische Element wol herausgefunden, und die »natürliche Tochter« geschrieben.

Aber das allgemeine Uebereinkommen, die jedesmalige Blüte des menschlichen Geistes bildet die Sitte, die Seele der Gesellschaft – soll man Unsitte predigen, weil vielleicht die alte Blüte gewelkt ist und ihre Früchte gebracht hat, weil die neue Knospe noch nicht vom reifenden Sonnenstrahl befruchtet, noch nicht an den Tag gedrungen ist?

Darin liegt das Verkennen poetischer Spekulationen: Poesie predigt nicht, sie weckt. Und mit der Wunde bringt sie den Balsam. Tragt einander mit Liebe, wenn ihr noch nicht alle einander die Liebe erklären dürft. Das Herz kann alle Zustände anticipiren, welche die Geschichte noch nicht dulden darf, um nicht Verwirrung und Unheil zu erzeugen.

Es hat in Berlin eine Frau gelebt, und Briefe geschrieben, eine gewaltige Frau, welche von allen gelesen, studirt werden sollte, die sich unsers sittlichen und geselligen Zustandes bewußt werden wollen, oder mit andern, gewöhnlich mißbrauchten Worten: von allen, die auf Bildung Anspruch machen. Ew. Durchlaucht wissen wohl, wen ich meine, Sie haben diese moderne Cornelia, die auf das nur stolz war, was dem ächten, eigenen Herzen und Wesen entsprang, Sie haben sie oft gesehen in jenem lichten Hause der Mauerstraße, wo sie waltete und sprach, wo sie die Freunde mit immer gleicher Liebe, mit Unterordnung aller eignen Interessen empfing, jedem Menschen, auch dem unbedeutenden, auch dem unangenehmen zugänglich, bereitwillig. Ich meine Rahel, die wahrhaftige, welche bei allen äußeren und inneren Stürmen sich frei erhielt von dem verhüllenden Firniß, den Herkommen, Gewohnheit über das Herz und den Geist der Menschen breiten. Wenn an Jemand appellirt werden kann bei Besprechung menschlicher Zustände, bei Untersuchung über ächte, gesittete Existenzen, so ist dies Rahel. Wir haben kein so offenherziges Buch in unsrer Literatur als ihre Briefe, wenigstens kein's, wo so viel Geist und Spekulation der Offenherzigkeit zu Hilfe gekommen wäre. Jeder Mensch, auch der unbedeutendste, ist reich und originell, wenn er nur offen und wahr ist. Aber ich glaube, unter hunderttausenden ist immer kaum ein ganz wahrer, offner zu finden – das heißt: nicht einmal wahr gegen sich selbst. Die Wahrheit verlernt sich wie die Schönheit. Jene Erscheinung kommt wol zum Theil daher, weil wir noch auf einer Stufe der Kultur stehen, wo die verschiedenartigsten Individuen nach allgemeinen Prinzipien erzogen werden müssen, das Individuum muß untergehn in der Allgemeinheit. So wird oft das Fremdartigste zusammengekittet, und die meisten Menschen sind gedankenlose Summen unsrer zeitigen Kulturrechnung, die unterscheidenden Physiognomiken gehen verloren, und die Leute lügen stündlich gegen ihr eignes, ursprüngliches Herz, ohne es zu wissen. Das stellt sich nicht deutlicher heraus, als bei einem lebhaft strömenden Zeitgeiste, wie er unsre Tage bewegt, und wo die Einseitigkeit zur Erreichung des nächsten Ziels für eine Tugend gelten muß. Die innerlich reichsten Menschen werden da Produkte des herrschenden Gedankens, und verlieren ihre eigentliche Wesenheit.

Rahel hat sich ihr eigenstes, privates Leben nach allen Richtungen ganz bewahrt, und ihr Leben und somit ihr Buch, denn es ist ein Tagebuch, kommt mir immer vor wie ein fortwährender Kampf um die ursprüngliche, wahre Existenz. Insofern ist es unser neuestes wirklichstes Epos. »Nur die Galeerensklaven kennen sich,« ruft sie öfters aus im peinigenden Schmerze über die durchgehende Lüge der Menschen.

Darum ist sie auch die seltne Erscheinung eines ganzen Menschen – wir sind meist nur Stücke, einzeln ausgebildete Stücke eines großen Torso – und sie hat darum für unsre ganze moderne Menschheit gelitten, ist unter Lüge und Ennui ein Märtyrer geworden.

Und dieses ächte Weib stimmt an vielen, vielen Stellen in diesen Hauptgedanken ein, daß die reiche, schöne Liebe der Menschen, dies Dokument unsrer Gottverwandtschaft, noch nicht genügenden Raum gefunden habe unter uns. Ich citire nur eine Sonntagsstelle von allen übrigen:

»Es mag mit oder ohne Bedacht geschehen sein, es ist von einem mächtigen Dichter, daß die drei Weiber im Meister, die lieben, Mariane, Aurelie und Mignon, nicht konnten leben bleiben: es ist noch keine Anstalt für solche da.« –

Wenn man an schönen Frühlingstagen über die Straßen schweift, und sieht die Schleier wehen, hier einen und dort einen, und jenseits wieder einen, und die jungen Augen leuchten hier sanft und dort kühn und es befängt hier der Ernst mit seinem Zauber und dort der Muthwille mit seinem Reize – ist nicht dann der Gedanke betrübend, lähmend: wähle zwischen dem Ernst und dem Muthwillen, wählen mußt Du, und nach der Wahl bist Du fertig mit der reichen Welt, die Hoffnung, das Reich der möglichen Gestalten und Bilder, mußt Du verschütten, Deine purpur- und goldengeflügelte Phantasie einordnen in die kleinen, schmalen Räume des abgemachten Besitzes.

Einem thörichten, jungen Menschen, wie ich es manchmal bin, kann in einer exaltirten Stimmung dies trauriger vorkommen als großes Liebesweh. Solch' ein Don Quixote der Poesie kann Thränen vergießen, wenn er an einem Leipziger Meßsonntage am Rosenthaler Thore steht und die Fluthen von junger, beweglicher Welt murmelnd und lockend an ihm vorüberspielen.

Alle diese übertriebenen Gedanken von Liebesreichthum und dergleichen waren es aber, die mich an jenem Frühlingsmorgen bestürmten, Liebesbriefe zu schreiben, und ich muß es gestehn: die Prospektive, welche die folgende kleine Novelle damals hatte, war nicht sehr passend zu den kouranten Begriffen über Liebesverhältnisse.

Allein es begab sich Folgendes: Reisen und Geschäfte unterbrachen die Frühlingsnovelle, es ward wieder grün und bunt auf der Erde, und das Manuskript war nicht gewachsen, lag vergessen unter noch jüngeren, historischen Tragödieen, deren Helden in meinem Herzen gestorben waren. Ich hatte zudem von mehreren Seiten gehört, man mißverstände diese kühnen Dinge von reicher Liebe, man verwechselte diese träumerischen Spekulationen mit dem ordinairen, besonnenen Leben, was seine Grenzen und Zäune für Einzelne braucht, um Alle zu sichern, das befremdete, bestürzte mich. Auf dem Libanon lebt eine Lady Stanhope einsam und abgesondert von der Welt, beschaut die Sterne, raucht wohlriechenden Tabak, erwartet einen neuen Messias und erzieht zwei schöne Pferde, eins für sich und das andre für den Messias. Wenn er kommt, so wird sie mit ihm nach Jerusalem reiten und einen zweisitzigen Thron errichten für das neue arabische Reich. Diese englische Dame wartet schon lange, hat bereits ihr Vermögen zugesetzt mit der messianischen Erwartung, wird bald Schulden machen auf das neue Reich, wenn es Jemand als eine sichre Hypothek ansehen sollte und Ew. Durchlaucht können ihr leicht auf Ihren orientalischen Reisen einen Besuch abstatten wie Lamartin. Diese Geschichte ist aus des französischen Dichters Reisen in die Zeitungen übergegangen, es lesen sie alle Leute, die schwärmerischen und die nüchternen, aber ich glaube nicht, daß sie der neuen Religion viel Anhänger gewinnen werde, so lockend auch der schöne Tabak dampft und die arabischen Pferde pruhsten.

 

Wenn mir der Don Quixote der Liebe nicht zugestanden wird, so betrachte man jenen Träumer in Reichels Garten wie einen fabelhaften Libanonritter, einen Lord Stanhope, der in Wolken sich wiegt und beim ersten heftigen Windstoße leicht auf die Nase fallen kann.

Ist dies Bekenntniß nicht Sühnopfers genug für alte Träume?

Kurz, als ich in Berlin auf der Behrenstraße in eine hübsche Wohnung mit weiß- und dunkelrothen Gardinen eingezogen war, fielen mir beim Auspacken die angefangenen Liebesbriefe wieder in die Hände. Das feine Papier war gelb geworden, die kecke, schwarze Tinte war verblichen, sie gemahnten mich wie ein verfallener, üppiger Pallast der Mauren in Südspanien, über dessen Trümmer Geisblatt und Epheu und schmarotzende Schlingpflanzen spottend hinaufgewachsen waren. Die Zeiten waren ernst, der Sommer war heiß, sehr heiß geworden, in den breiten, schattenlosen Straßen lag die Sonne wie ein beschwerliches Feuer, vom fernen hallischen Thore kam der Staub hergewirbelt durch die starre, ewige Friedrichsstraße, einzelne Leute keuchten gedrückt an den Häusern hin, die meisten Fenster waren mit trauriger, roher Leinwand verschlossen, nicht mehr die Freude und Erwartung einer spendenden Natur, sondern die Besorgniß vor den ernsten Göttern webte rings umher. Da kam denn auch mir die ernste Absicht, auf jene kecken Grundmauern der Liebesbriefe ein nördlicheres, wenn auch leichtes Säulengebäude zu setzen, was die Aus- und Durchsicht nach allen Seiten behalten, aber kein schutzloser und verlockender Freudentempel werden sollte. Der Frühling war Sommer geworden.

Aber es sollte auch Herbst werden, eh' dieses Büchlein wunderlichen Geschickes reifen konnte. Berliner Weintrauben blau und grün standen vor mir auf dem Tische, als ich den letzten Brief erdachte, und dies Bild charakterisirt vielleicht das Ganze am Besten: es war auf sprudelnden, berauschenden Wein abgesehen, und es wurden nur sanfte, friedliche Weintrauben daraus. – Das kann auch sein Gutes haben.

Wenigstens hatte die äußere Welt keine Gelegenheit mehr, mich zu verführen: ich saß einsam und allein, und verließ Wochen und Monde lang das kleine Zimmer nicht. Es war nicht mehr auf der Behrenstraße, sondern anderswo. Nur am Abende, wenn die Gewitter des Himmels ausgetobt hatten, hörte ich zuweilen eine hübsche Mädchenstimme, die in Berlinischem Französisch Bertrands Abschied von Frankreich sang, sie hatte vielleicht nie etwas vom General Bertrand gehört, und der Name Napoleon ruhte ihr wol nur wie ein weit, weit entfernter Kanonenschlag in den Ohren, aber sie sang mit großer Rührung, und, wie mir's schien, von Abend zu Abend mit immer größerer die letzten Worte:

J'ai partagé ta gloire et ta puissance
Je veux aussi partager tes malheurs!

Ich werd's dem Mädchen nie vergessen, wie sie mich immer gestärkt hat mit ihrem lieben eintönigen Liede – wenn ich sie nur ein einziges Mal erblickt hätte, wenn ich nur ihren Namen wüßte. Aber ich habe sie nimmer gesehn, ich kenne nichts von ihr als die sanfte Stimme mit jenen stärkend melancholischen Worten –

Sie konnten sich nicht erreichen.
Das Fenster war viel zu hoch –

– Und sie ist gewiß sehr schön! – Auch die Möglichkeiten zur Schönheit erheben, ist Poesie.

Dies geheimnißvolle Mädchen breitete mir mit ihrem Berangerschen Liede die Insel Helena, das Grab des erlegenen Titanen, das Weltmeer, die Weltgeschichte mit ihren Stürzen und Wechseln, das ganze nothwendige Unglück, die nothwendigen Feindschaften unsers kurzen Lebens breitete sie vor mir aus, die entsetzlichen Dinge fanden nicht Raum in meinem kleinen Gemache, und ich hätte immer bitterlich weinen mögen über die Menschen, die sich nicht immer lieben dürfen, um zu bestehen, um fortzurücken. Aber am andern Morgen kam auch die Stärkung, und ich rief wieder mit Göthe: »Wenn ich Dich liebe, was geht's Dich an?« vollendete die Liebesbriefe, und rettete für die Leute so viel als möglich vom nächsten Glücke.

Quel bruit une omelette! können Ew. Durchlaucht sagen. Aber ich wollte Ihnen ein Stück Deutschland, deutscher Welt nach Afrika schicken, darum ging ich so historisch zu Werke. Es ist noch kein Sprichwort, aber es konnte eins werden: Was man nicht zu sagen weiß, das erzählt man.

Als mir Ew. Durchlaucht damals, wo Niemandes Stimme als die des Berangerschen Mädchens zu mir drang, von Paris aus so überaus mild und freundlich schrieben, da beschäftigten mich am Meisten Ihre Worte: »in der literarischen Welt könnten wir kämpfen, und in der gewöhnlichen dennoch herzliche Freunde sein. Dergleichen ist ritterlich, und die deutsche Nation ist dies durch alle Klassen mehr oder weniger, oft ohne es selbst zu wissen. Ich nehme nur diejenigen aus, die das Geld an die Stelle der Ehre setzen.« –

Ich kam bald zu dem Resultate, daß zwischen dem speciellsten Freunde des »Verstorbenen« und dem also angeredeten Recensenten der Tutti frutti gar nichts Feindliches, Trennendes inne läge. Wenn verschiedene Völker in ihren Sprachen etwas Gleiches, Gemeinsames ausdrücken, so wird es doch immer auch verschieden zu Tage kommen, nicht bloß mit andern Worten, auch mit anderm Gesicht, anderer Physiognomie, das ist ja der Spott der Welt über uns und das ungelöste Räthsel ihres Wesens, daß sie uns wol den Gedanken verstattet, aber des Ausdrucks sich bemächtigt, sobald er von unsern Lippen ist. Daher ist es gekommen, daß sich Parteien und Völker Jahre lang bekriegt haben, weil sie für gleiche Gedanken und Gefühle verschiedne Ausdrücke fanden. Die Engländer und Franzosen zum Beispiel haben sich wegen eines einzigen Buchstabens viele, viele Jahre lang gehaßt und ganz ernstlich todt geschlagen: die einen nannten's mit einem alt-griechischen Zeichen liberty, die andern neumodischer liberté.

Der »Verstorbene« und der Recensent redeten nur eben in verschiedenen Dialekten, aber ich glaubte herauszufinden, daß beide Sonnenschein, Freude und Poesie für die Welt erwünschten. Ich hatte ferner längst gewußt, daß die Stellung des »Verstorbenen« in der Schriftstellerwelt eine höchst erfreuliche, eine vermittelnde, versöhnende sei, daß seine Schriften wie Friedenspräliminarien anzusehen wären zwischen den Lagern unsrer Tage – diese, von nichts als Liebe handelnden Briefe erschienen mir nach Alle dem geeignet, einen Parlamentair vorzustellen, Ew. Durchlaucht selbst die aufrichtigste Hochachtung, den ergebensten Dank für die mir persönlich bewiesene Huld, dem »Verstorbenen« aber meine Liebe auszudrücken. Einen Liebesantrag kann am Ende auch Niemand übel nehmen, es gibt ja nichts Besseres als Liebe, und die weiland jungfräuliche Königin Elisabeth hat im Grunde ihr ganzes Leben hindurch nichts gewollt, als persönliche Liebe von allen Engländern. –

Man wird mir nicht die Geschmacklosigkeit zu trauen, daß diese Vorrede eine Unterschrift oder Erklärung der kleinen, folgenden Novelle sein soll; nein, einen Rahmen mit Arabesken stellt sie vor, und da sie nach Afrika geht, so glaubte ich, ein Stück deutscher Geschichte passe am Besten dazu, wenn diese auch nicht interessant ist, so kann sie sich doch auf den Trümmern des alten Karthago interessant ausnehmen. Nach der vorgehenden Geschichte mehrerer Jahre bliebe mir nun also noch schließlich unsre neueste zu schildern übrig.

 

Deutschland ist wieder grün, der Schleedorn leuchtet weiß an allen Zäunen, tief aus dem Walde ruft der Kukkuk, die Bänder der Mädchen flattern wieder im weichen Winde, die neuen Bücher rufen, der Dualismus aller Art, welcher die Welt entzweite, ist aufgehoben, ein neuer Höhepunkt, welcher die Menschen vereinigen soll, ist aufgefunden, auch der Finkhahn ist wieder da –

»Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden« –

Hegel und Frühling greifen um sich; und das ist Alles wahr, ich seh's aus meinem Gartenkabinet hier an der Pforte von Thüringen, Hegel und Frühling steigen mir des Tags und des Nachts in die Fenster herein, ich weiß nicht, wo ich den Raum hernehmen soll für das weite wallende Thal von Freiburg bis nach Kosen hinunter, für die gewaltigen Sätze: das Sondern vom Sinnlichen und Geistigen ist nur das Verständige und weiter nichts. Ich denke, dies und der Frühling sollen meiner Frühlingsnovelle zu Gute kommen. Und vom alten Domthurme in Naumburg, den die Ottonen noch gegründet haben sollen, blasen sie – nicht die Ottonen, sondern Naumburger – in diesem Augenblicke den Zigeunermarsch aus der Pretiosa, und heute Nachmittag gehen die Leute auf die »Henne« hinaus, und trinken Braunbier und Kaffee – ist das nicht eine bunte, lustige Geschichte Deutschlands. Ew. Durchlaucht haben vielleicht das alte Karthago vor sich, aber gewiß kein Braunbier. Ich wollte mit einem Engländer die gewöhnliche Wette um einen neuen Hut eingehen, daß sich ein Deutscher auch von dem Steine des alten Karthago, worauf Scipio der Jüngere und Comp, gesessen, nach der »Henne« bei Naumburg sehnt, sobald er erfährt: der Frühling und frisches Bairisches Bier und geputzte Mädchen sind angekommen. Wenn ich auch den Begleiter Ew. Durchlaucht, den Verstorbenen, vom »bairischen Bier« frei spreche, vom Uebrigen kann ich's nicht.

Sollten Ew. Durchlaucht vielleicht über Constantinopel und Naumburg zurückreisen, so versäumen Sie nicht, den Postillon an der »Henne« halten zu lassen, und die nächste mit Pappeln gekrönte Höhe zu besteigen. Eine schöne Dame hat mich gestern hingeführt, und mir erzählt, die preußische Königin Louise habe flüchtend nach der Schlacht bei Jena hier einen Augenblick ausgeruht und eine Tasse Bouillon getrunken. Da ist die siegreichste Parallele mit Scipio und Karthago. Diese wunderbare schöne und ergreifende Frau, dies glänzende Bild fürstlicher Schönheit und Ritterlichkeit auf jener Höhe, mit dem großen Unglück im großen, schönen Herzen, die Augen voll Thronen über die stürzenden Trümmer eines stolzen Reichs – ist Scipio mehr? Dort der junge, stolze Römer, der seine Eroberung mit Ironie betrachtet, hier eine junge, schöne deutsche Königin voll blühender Leidenschaft für die Heimath, voll glänzenden Zorns gegen fremde Tyrannei, deren weinendes Auge über eine der schönsten Gegenden des Vaterlandes blickt, über welche der fremde Eroberer bald verheerend hereinbrechen wird. O, wie reich ist Deutschland an solchen Gestalten und solchen Punkten, wir sind so durchwirkt, daß unter jedem Fußtritte eine historische Staude emporschießt. Wo ist der Frühling schöner! Das junge Gras schießt nirgends auf so viel geliebten Gräbern empor.

Und was das Alles soll? An den deutschen Frühling möge es Ew. Durchlaucht im Mohrenlande erinnern, ein grünes Blatt soll er über das Meer fliegen, und die aufrichtigsten Versicherungen bringen, wie ich mich in den mannigfaltigsten Lagen verpflichtet fühle als

Ew. Durchlaucht

ergebenster Diener
Dr. Heinrich Laube.


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