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17.

An demselben Abende wankte der alte Hamm durch die Herren- und Schottengasse nach dem Gäßchen hinaus am Kegel, wo seine Tochter wohnte. Er hatte sich fortgeschlichen aus der Burg, um der Bestellung Lamormain's auszuweichen. Es war ja auch bereits allgemeine Rede in der Burg, daß jeder des Ketzerthums Verdächtige ausgestoßen werden sollte – die Bestellung Lamormain's hatte ihm dargethan, daß er zu den Verdächtigen gehöre.

– 's ist gut so, flüsterte er. Wenn er mich gefragt hätte, so hätte ich Ja sagen müssen. Meinen Glauben verleugnen kann ich nicht mehr, 's ist besser so, daß es nun nicht zu grobem Streite kommt.

Es war dem alten Manne sehr weh zu Muthe. Er hing eigentlich fest an seinem Dienste in der Burg, obwol er dort von lauter Katholiken umgeben war; er hatte sich an das vornehme Wesen gewöhnt. Hinabzusteigen für den Rest seines Lebens unter die gemeinen Leute, das dünkte ihm ein schwerer Schritt. Aber nicht blos das! Dreißig Jahre war er da oben gewesen, und vom Ofenheizer war er aufgestiegen bis zum Diener, welcher die Livrée des Erzhauses trug. Jede Thür, jeder Winkel war ihm heimlich, und alle die Menschen, groß und klein, besonders die höchsten Herrschaften! Er hatte sie oft bedauert, daß ihnen seine reine Religionslehre verschlossen blieb, und dabei hatte er sie alle geliebt, respectvoll alle, und so manches einzelne Mitglied herzlich, vom Kaiser Rudolph her bis zum kleinsten Erzherzog, der aus Graz gekommen war. Weinend hatte er seinen Rock ausgezogen, den Rock von schwarzem Tuch mit gelber Borte – er mußte ihn ja doch als ehrlicher Mann zurücklassen! Obwol der Abend ganz schwül war, so fröstelte es ihn doch in der Jacke, welche er angezogen: das dichte schwarze Tuch hatte seinen alten Körper verwöhnt.

Fröstelnd und traurig trat er in das Stübchen seiner Tochter.

Es war ganz dunkel in dem Stübchen. Kathi saß am Bett ihres schlafenden Kindes. Sie weinte still und es ward ihr schwer, den »Guten Abend!« ohne Schluchzen herauszubringen für den Vater. Dieser setzte sich im Dunkeln nieder und schwieg. Erst nach langer Pause sagte er sanft:

– Der Conrad ist also noch immer nicht wiedergekommen?

– Nein, Vater.

Dann seufzte er und erzählte ihr allmälig, wie es ihm ergangen sei und was er vorhabe. Auswandern war der Inhalt seiner Rede.

– Das übersteht Ihr nicht, Vater!

– Warum denn nicht, Kind! 's ist recht hübsch dort im Böhmerlande an der Lausitzer Grenze; bin ja dort aufgewachsen, und mein Erspartes wird uns ein Häuschen und Gärtchen und ein Stückchen Ackerland verschaffen. Dort kann ich auch Deinetwegen in Ruhe sterben. Denn Deinen – Conrad wirst Du wol vergessen müssen, der hat gar zu viel Anderes zu thun in dieser Welt! –

– Vater! schluchzte Kathi heftig und fiel ihm um den Hals.

Während dieser Umarmung wurde die Thür aufgestoßen. Der alte Hamm erschrak bis ins Innerste, denn es war ihm klar, das seien die Verfolger, welche ihm Lamormain nachgesendet.

– Kathi! aber rief eine mächtige Stimme, und Kathi schrie gellend auf und rannte auf die Thür zu.

Conrad war's, ihr heilloser, sehr geliebter Conrad war es.

– Mach' nur Licht, Du Närrchen, polterte er, daß ich Dich anschau'n kann!

Nun war eine Viertelstunde Glück vorhanden im Stübchen. Denn auch der alte Hamm war versöhnt, als er erfuhr, sein wilder Schwiegersohn komme vom Kriegsheere der Protestanten, sei also in gottgefälliger Wirksamkeit gewesen seit seinem jähen Verschwinden. Conrad, nachdem er sein schlafendes Kind zärtlich geküßt, erzählte fliegend seine Abenteuer vom Scharmützel an oben im Wiener Walde bis zum Lagerleben vor Laa, welches er heute Morgens erst verlassen hatte. Er war freilich nicht sehr erbaut von dem böhmischen Heere, die »Dickköpfe, die nicht Deutsch versteh'n«, hatten ihm gar nicht gefallen. Aber was half's! Sie kommen doch eben gegen unsere Widersacher, man muß mit ihnen vorwärts! meinte er. Daß er der »rothen Feder«, die vergangene Nacht entwischt, nachgejagt und deshalb so plötzlich nach Wien gekommen sei, davon sagte er nichts, um seiner Frau die Freude nicht zu verderben.

Es war dies auch nur die letzte Veranlassung gewesen. Der Feldhauptmann Graf Thurn hatte ihn schon lange ausersehen gehabt zu einer wichtigen Aufgabe in Wien. Innen in der Stadt brauchte er eine Hilfspartei, wenn er außen vor den Mauern läge. Ein Ortskundiger wie der Bart-Conrad war dazu vielfach geeignet. Gestern nun war der Herr von Wildling mit drei evangelischen Genossen in Tassowicz beim Feldhauptmann gewesen, und es war ein Plan besprochen worden, wie auch innerhalb der Stadt ein Schlag geführt werden könne. Das Nähere wußte Conrad noch nicht, er hoffte es heute Abend noch in der »Loge« zu erfahren. Dorthin, nach dem Wildlingschen Hause auf der Seilerstatt, ging sein Trachten, wenn er erst sein Weib besucht und – untergebracht haben würde. Denn darin traf er mit Vater Hamm zusammen, daß sie während der Belagerung nicht in Wien bleiben könne. Es werde bald an Nahrungsmitteln fehlen. – Die Thoren vom Regimente, rief er lachend, haben ja für nichts gesorgt und lassen sich überraschen! – und es könne in der Verzweiflung auch scharf hergehen gegen Alle, die mit den Ketzern zusammenhängen; Kathi müsse also mit dem Kinde hinaus. Der Spath in Hernals werde schon Rath wissen.

Hamm sagte nicht gleich, daß sie viel weiter weg wollten, aber er machte den Schwiegersohn aufmerksam, daß er als Bart-Conrad wie ein bunter Hund in Wien bekannt sei, und daß die Gefahr –

– Stat, stat! rief Conrad. Ich werd' mich am Tag nicht viel sehen lassen, und lange wird die Komödie nicht dauern; bis zur Frohnleichnams-Octave wird sie schon aus sein! Bis dahin sind nur noch ein paar Tage. Die Kathi soll mir auch gleich den Bart abschneiden, und dann erkennt mich keine Katz! Also jetzt nur frisch zusammenpacken, damit wir sie und das Kind und die Betten etwa morgen in aller Früh hinausschaffen können. Unnützen Kram laßt nur zurück. Sobald Wien genommen ist, geht ein ander Regiment los, und Du kriegst ein Quartier wie eine Edelfrau!

An demselben Abend kam Junker Hans in die Nähe von Laa, das Grenzstädtchen Niederösterreichs, dicht an der mährischen Grenze. Er war von Mistelbach an scharf geritten, um noch vor völliger Dunkelheit im böhmischen Lager einzutreffen. Am spitzigen Berge von Staats vorüber war er denn mit untergehender Sonne an das Ende dieser niederösterreichischen Hügel gelangt. Die Weinberge hören hier auf, das Land ebnet sich, der Erdboden wird dunkler, und ein anmuthiger Fluß, die Thaya, strömt durch fruchtbares Gelände. Dieser Fluß bildet abwärts von Laa eine Strecke lang die Grenze zwischen Oesterreich und Mähren.

Von jenseits der Thaya warf das ummauerte Städtchen Laa schwarze Abendschatten dem Junker entgegen, und mit ihnen den Gedanken: Wenn aber Thurn nicht einmal die Ringmauern dieses kleinen Ortes zusammenschießen kann, was wird er dann vor Wien zuwege bringen?! Und wozu hält er sich hier auf? Was kann die kleine Besatzung des Feindes, auch wenn er sie im Rücken lassen muß, für eine Bedeutung haben! Er lagert also wol nur darum hier, weil er unschlüssig ist, ob er nach Westen hin, ob er gegen Budweis aufbrechen soll!

Die Vorposten, welche bis diesseits des Flusses standen, riefen ihn an. Er verlangte zum Heerführer, dem Grafen Thurn, gebracht zu werden. Man geleitete ihn nach links hin über den Fluß bis in ein Dorf, welches Tassowicz genannt wurde. Dort im Herrenhause des Orts fand er in einem großen Zimmer des Erdgeschoßes – es war indessen Nacht geworden – die Führer des Heeres bei der Abendmahlzeit.

Hans blieb an der Thür stehen, während er dem Feldherrn gemeldet wurde. Ausdrucksvolle, entschlossene Gesichter saßen um eine kleine Tafel rechts hinten in einer Ecke des weiten Raumes. Links hinten in der Ecke waren auf einem großen Tische Landkarten ausgebreitet, und ein mittelgroßer Mann stand vor ihnen und betrachtete sie. Er hatte ein feines, liebenswürdig anmuthendes Gesicht und war wohlbeleibt, oder um richtiger zu sagen: feist. Das kleine, runde Antlitz mit schwachem braunen Barte, der wohlgepflegt war, wie das kurzgeschnittene Haupthaar, die fleischigen weißen Hände, deren Finger auf der Landkarte umhertippten, die ebenmäßige, volle Gestalt, zeigten einen wohlerhaltenen Mann, der behaglich zu leben gewohnt sein mochte, und der durch eine gewisse Feinheit abstach von den bärtigen Kriegsmännern an der besetzten Tafel. Hans erkannte sogleich in ihm Herrn Wenzel von Budowa, verhielt sich aber doch ruhig an der Thür, bis ein starkknochiger Mann von der Tafel rechts aufstand und ihm ein paar Schritte entgegentrat mit den Worten:

– Willkommen, Herr Junker aus Weimar! Es freut mich, daß Ihr da seid!

Dieser starkknochige Mann mit harten Gesichtszügen und einer tiefen, sonoren Stimme war Thurn selber. Was er da eben gesagt hatte, das war das Wärmste, dessen er fähig war. Ohneweiters ging er sogleich auf das politische und Kriegsgeschäft über, und theilte dem Junker mit, daß die Capitulation von Laa heute zu Stande gekommen sei, und daß die sogenannte kaiserliche Besatzung mit Aufgang der Sonne abziehen werde. Noch in dieser Nacht werde das böhmische Heer gegen Wien aufbrechen. Der Junker komme ja von da, er möge sich äußern über die Beschaffenheit der Wege und des Terrains überhaupt.

Hans, welcher gerade hierauf bedacht gewesen, that dies in raschen bestimmten Worten. Er hatte in Weimar eine für die damalige Zeit vortreffliche Erziehung genossen in der Wissenschaft des Krieges, und hatte Talent für dieselbe. Sein bündiger Vortrag hatte bald alle Cavaliere herbeigezogen und wurde mit großem Antheile gehört.

– Ihr seid also – nahm Thurn das Wort, als Hans seine Terrainschilderung und seine Vorschläge zur Eintheilung wie Richtung der Märsche geendigt – Ihr seid also ebenfalls der Meinung, recta auf Wien loszugehen?

– Ich war es bis vor einer halben Stunde, bis ich die Mauern von Laa gesehen.

– Das heißt?

– Wenn Ihr in die Stadtmauer von Laa nicht Bresche schießen könnt, dann ist Euer Geschütz unmächtig gegen die viel stärkeren Wälle von Wien.

Ein »Da hörst Du's!« von einem der Cavaliere ausgestoßen, brachte drohende Finsterniß auf das ohnehin strenge Gesicht Thurn's. Er wußte wohl, daß dieser Zug auf Wien ein Wagniß sei, aber sein Calcul war wie er selbst viel mehr politisch als militärisch. Der moralische Eindruck dieses Schrittes verlockte ihn, und das Parteigetriebe, in dem er seit Jahren aufgegangen war, verschob ihm die Erkenntniß der Wahrscheinlichkeit. Er rechnete sicher darauf, daß ihm die protestantischen Herren im Innern Wiens kräftig zu Hilfe kommen und die Thore der Festung öffnen würden. Die Bemerkung des Junkers machte ihm also einen lästigen Eindruck, und er erwiderte ziemlich verdrießlich:

– Nun, wir hoffen ja auch, daß Ihr der Mann dazu seid, unser Geschützwesen zu verbessern und auf die Höhe des niederländischen zu bringen, wie Euer Herzog in Aussicht gestellt hat.

– In der Geschwindigkeit von heut' bis übermorgen! schaltete Budowa sarkastisch ein mit leichtem angenehmen Tone; und ohne sich um den Zornesblick Thurn's zu kümmern, reichte er dem Junker die Hand und begrüßte ihn herzlich, auf solche Weise die Conferenz zerstreuend und sprengend.

Man sagte ihm nach, daß ihn die Debatten im Hauptquartiere langweilten, und daß er in diesem Betracht oft Aergerniß gäbe.

Diese Zerstreuung schien indessen auch einem der anderen Cavaliere erwünscht zu kommen: Herrn Wilhelm von Raupowa. Er nahm Thurn unter den Arm und führte ihn einige Schritte zur Seite, indem er flüsterte:

– Verdient denn so ein grüner Bursch mit der Stubenkriegskunst so viel Aufmerksamkeit? Wir wissen ja, was wir wollen und was uns in der Stadt zu Gebote steht. Aendere nichts! Der weimarische Junker treibt mich übrigens zur Beschleunigung des Unternehmens gegen den alten Zdenko, Du weißt ja! Halte den Junker beim Heere, damit er mir nicht in den Weg kommen kann. Ein Quantum Goldstücke, nach Wien hineingeworfen, werden auch die Thorschlösser geschmeidiger machen. Das besorg' ich schon, wenn ich erst die Goldstücke habe. Also höre! Du schickst einen Reitertrupp rechts hinab über Stockerau nach dem Tullner Boden zu?

– Ja. Ich muß zeitig Nachricht haben, ob etwa Boucquoi doch an der Donau herabkommt.

– Und Du täuschest dadurch auch die Wiener über den Punkt Deines Ueberganges über die Donau. Ich will dafür sorgen, daß sie von den Reitern bei Stockerau erfahren, und auf den Gedanken kommen, Du könntest bei Korneuburg übersetzen wollen.

– Du?

– Ja, ich. Ich will diesen Reitertrupp begleiten. Verstärke ihn mit zwanzig zuverlässigen Altböhmen. Mit diesen setz' ich bei Königstätten über den Fluß, und ziehe auf den Wiener Wald hinauf, die Goldsäcke des alten Narren Zdenko für uns in Beschlag zu nehmen. Aber befiehl, daß die Leute noch in dieser Nacht aufbrechen. Ich will sie nicht übernehmen im Marsche, damit sie morgen Abend frisch in Königstätten ankommen und in der Nacht mit munteren Gliedmaßen oben den Fang machen. Abgemacht?

– Abgemacht.

Und Thurn ging zur Thür, rief nach einem Reiterführer und gab die Ordre.

Raupowa aber holte seinen Hut und schritt nahe an Junker Hans vorüber, aus dem halb verdeckten einen Auge den schärfsten Blick boshafter Genugthuung schießend, welcher ihm erreichbar war.

Budowa, in eifrigem Gespräche mit Hans begriffen, bemerkte das und fragte Hans rasch:

– Kennt Ihr den Raupowa Wilhelm?

– Ein wenig, und zwar ungünstig. Ich habe ihn beim Grafen Zdenko gesehen, dem er verdächtig ist.

– Er hat was vor gegen Euch, der schlimme Gesell. Nehmt Euch in Acht!

– Wie kann ich?

– Wir wollen aufmerksam bleiben. – Und nun begrüßt Thurn noch einmal. Er liebt es, als Herr behandelt zu werden. Dann gehen wir in mein Quartier, um ungestört über Frau Amalie, den alten Apostel Zdenko und Eure kindlichen, sehr achtungswerthen Träume einer einfachen allgemeinen Kirche zu schwatzen.

Hans erhielt von Thurn den Bescheid, daß die ganze Armada mit Sonnenaufgang in Bewegung gesetzt und bis Mistelbach vorgeschoben werden solle. Es werde ihn freuen, den Herrn Junker beim Vortrab zu finden, um von dessen Terrainkenntniß Gebrauch zu machen. Zur Prüfung des Geschützwesens stehe ihm Alles zu Gebote, es würden heute noch die nöthigen Anweisungen ertheilt werden.

Hans schritt sodann mit Herrn Wenzel von Budowa durch die stille Nacht dahin einem Bauernhause zu, in welchem sich Herr Wenzel nach Kräften bequem eingerichtet hatte. Er war ein Lebemann, und war ein wohlhabender Mann, der durch lange Reisen die Kunst erlernt hatte, sich jeden Raum und jeden Tag wohnlich und behaglich einzurichten. »Du bleibst ja nur kurze Zeit hier, wozu also irgend einen Aufwand von Mühe!« pflegt die Mehrzahl der Menschen zu sagen. So sagte Herr Wenzel nie. Er hielt jede Stunde für ein Geschenk, das man ehren und ausnützen solle. Er behandelte die Gegenwart immer wie die Hauptsache. Und dabei war er keineswegs eigennützig; es gehörte im Gegentheil zu seinem Wohlbehagen, daß die Menschen neben ihm sich ebenfalls wohl befänden.

Hans war ihm empfohlen und war ihm angenehm. Er hätte ihm gern alles Gute angethan, was augenblicklich erreichbar war. So erhielten seine Diener – er hatte und hegte die vortrefflichsten – den Wink, ein Nachtmahl für den Gast zu bereiten und in dem niedrigen Stübchen anzurichten. Das Stübchen selbst aber war mit Decken und Reisemöbeln ganz artig austapeziert.

– Wir setzen uns, fuhr er gegen Hans fort, vors Häuschen ins Freie, bis die Mahlzeit fertig ist, wenn's Euch beliebt, werther Junker, und genießen die warme Sommerluft, die in unsern Ländern selten so still und würzig ist, wie heute. Alle Hecken und Bäume duften, und der rohe Krieg will gar nicht dazu passen. Vergessen wir ihn eine Weile. Gebt die leichten Sessel her!

Die Diener flogen. Auf dem Bauernherde leuchtete das Feuer empor für den Koch, welchen Herr Wenzel immer mit sich führte, und außen an der Dorfgasse saßen bald unter ein paar Kirschbäumen und nahe bei einem Fliederbusche Herr Wenzel und Herr Hans, des intimeren Gedankenaustausches gewärtig, welcher so anmuthig lockt, wenn einander sympathische Gemüther zum ersten Male sich begegnen. Denn Herr Wenzel machte nicht blos den Eindruck eines Lebemannes, was für den ernsthaften Hans gar nicht so anziehend gewesen wäre. Er machte den Eindruck eines reichen Menschen, der unter anderm auch die äußeren Dinge sorgfältig geebnet haben wollte, der aber auch eine sorgfältig geebnete innere Welt besaß, und zwar eine sehr mannigfaltige. Als Mann von guter Sitte ließ er zuerst Hans sich aussprechen über das, was er wünsche und worin ihm gedient sein könne. Er hörte trefflich zu, ergänzte ein stockendes Wort geschwinde, führte einen angedeuteten Ideengang mit wenig Worten ans Ziel, und erwies sich schon als Zuhörer als ein witziger Mensch.

Letzteres befremdete Hans einen Augenblick. Der Kreis, aus welchem er kam, hatte vom Witz keine Ader, und in ihm selbst war sie gering. Wer wichtigen, schweren Dingen sein Leben ganz widmet, mag hie und da humoristische Erleichterung finden, der Witz bleibt ihm gewöhnlich ferne, als etwas Spielerisches oder gar Frivoles. So erschien er aber doch nicht im Wesen Wenzel von Budowa's. Er erschien vielmehr als eine große Beherrschung der Dinge. Dieser Mann war offenbar unter sehr glücklichem Sterne geboren. Zu reichen äußeren Mitteln war ihm eine ungemein leichte Auffassung, ein scharfer Verstand, eine bewegliche Phantasie in die Wiege bescheert worden, und dazu ein weiches, gutes Herz. Was braucht es mehr? Für ihn vielleicht nicht, für die Interessen, denen er sich widmen sollte und auch wollte, brauchte es vielleicht doch mehr. Er war im protestantischen Sinne sorgfältig auferzogen worden, er war auf Universitäten gewesen, namentlich längere Zeit in Heidelberg, er war des ganzen gelehrten Rüstzeuges mächtig geworden, welches in damaliger Zeit zu haben war, er hatte eine zeitlang in Holland, dem wissenschaftlichen und diplomatischen Kriegsheerde jener Zeit, gelebt, er hatte dann bei der entgegengesetzten Richtung, er hatte in Italien jahrelang zugebracht, er war solchergestalt aufs Klare gekommen durch seinen scharfen Geist über die innere Natur der Gegensätze, welche das Jahrhundert spalteten, und – er hatte vielleicht zu viel gesehen und war zu klar geworden, als daß er noch die Fähigkeit zur eigentlichen Begeisterung in sich hätte nähren und bewahren können. Er stand über der Leidenschaft der kämpfenden Fragen und war nicht mehr jung. Sein gutes Herz entschädigte aber doch. Es hing an den Jugendeindrücken, an den Landsleuten, es hing an Grundsätzen, und so war es ihm eine echte Freude, in Hans einen jungen Mann kennen zu lernen, welcher noch von ehrlichem Enthusiasmus getrieben war für vaterländische und religiöse Ideale.

Diese Freude drückte er ihm liebenswürdig aus und gestattete sich zunächst nur die Bemerkung: ob das in seinen Grundfesten verwandelte deutsche Reich wol noch geeignet sei, sich zur alten Kaiserherrlichkeit zu reformiren?

– In welchen Grundfesten verwandelt? fragte Hans.

– In seinem Vasallenthume, in den Fürsten und Herren gegenüber dem Kaiser. Besonders in den größeren Fürsten. Luther hat sie mündiger gemacht, als das Kaiserthum verträgt. Er hat ihnen die Kirchengüter gegeben und das Regiment der Kirche verliehen. Sie sind zu mächtig geworden für Vasallen.

– Dann reformire man auch die allgemeine politische Form demgemäß. Wenn nur ein organischer Zusammenhang des Reiches streng gebildet wird!

– Ist das nicht die Aufgabe von Jahrhunderten? Die großen Thiere, die Elephanten zum Beispiele, sterben schwer und langsam, wachsen langsam wieder auf. Wie rasch züchtet man Hunde und das gemeine Schwein, wie langsam schon Pferde! Ist nicht das deutsche Reich ein Elephant?

– Hindert das, anzufangen?

– Nein, und Anfänger sind wir allerdings. Ich glaube auch, daß die Jahrhunderte hiemit früher zu Stande kommen, als mit der einfachen Kirche.

– Das Einfache ist ja doch leichter, als –

– Ich halte es für schwerer. Neunundneunzig von hundert Menschen sind ungebildet, sind wenigstens unselbstständig. Sie brauchen Stäbe und Stützen. Und besonders für das, was über diese Erde hinausreichen soll. Können und sollen wir sie ihnen entreißen? Ihren Verstand wissen sie nur schwerfällig zu gebrauchen, für diesen schnitzt man am schwersten neue Stäbe. Das Lebhafteste, was sie noch haben, ist die Phantasie, eine wüste, unklare Phantasie, ich gebe es zu, aber das geliebteste Gut für den unklaren Menschen, die Schwester des Traumes, den sie umsonst haben und hochhalten. Die überlieferte Religionslehre mit ihren Phantasien, mit Phantasien, die den Menschen Lebensinhalt geworden sind für diesseits und jenseits, solch' eine vergoldete Lehre wollt Ihr ihnen nehmen, und mit ein paar trockenen Lehrsätzen wollt Ihr sie entschädigen. Werden sie das annehmen? Werden sie sich nicht für verkürzt halten?

– Es soll ihnen ja nicht gewehrt werden, sich um phantastische Kirchen zu sammeln!

– Sie sollen wählen! Wer die Wahl hat, hat die Qual. Zum Wählen gehört geistige Thätigkeit, und nichts wird ihnen so sauer, als diese. Wenn man ein Thier verwirrt –

– Ein Thier –!

– Auch das edelste! Wenn man es verwirrt, so wird es wild, und mit der Wildheit wird es böse. Ihr werdet also immer die große Mehrheit gegen Euch haben, oder die große Mehrheit wird barbarisch werden, wird unglücklich werden, denn – des Menschen Wille ist sein Himmelreich.

– Die Mehrheit, die Mehrheit! Hat die Mehrheit je eine neue Entwicklung, hat sie je einen Fortschritt begonnen? Waren es nicht immer Einzelne, welche das Samenkorn auswarfen für Umwandlungen, oft für die tiefsten Umwandlungen?! Denkt doch an die Stifter der Religionen! Nach Eurer Ansicht müßte der heidnische Götzendienst noch heute die Völker beglücken, damit sie nie genöthigt worden wären, ihren überlieferten Phantasien zu entsagen. Und wenn Ihr wirklich so wohlwollend besorgt seid um die faule Bequemlichkeit des Volkes, was veranlaßt Euch denn zur Theilnahme an unsern Reformplanen? Ich weiß doch, daß Graf Zdenkos Einladung zu unserem Prager Concilium auch an Euch gesendet worden ist!

– Ist mir auch zugekommen, und ich werde auch erscheinen, wenn ich alsdann noch in der irdischen Erscheinung dieses Rebellenlebens vorhanden bin, und wenn die alte Hussitenstadt Prag alsdann noch von Protestanten, nicht aber vom neuen katholischen Kaiser regiert wird. Denn wenn ich auch Eure Illusionen nicht theile, so theile ich doch Euer Interesse. Was ist denn das Leben, wenn man nicht theilnimmt am Streben seiner Zeitgenossen?! Blos zuzusehen, ermüdet bald. Ich hoffe nicht so viel als Ihr; ich hoffe anders, aber ich hoffe doch auch. Die Schritte der Gottheit, welche die Entwicklung der Menschen zu Stande bringen mögen, sind für mich weiter und langsamer, als ein enthusiastisches Gemüth sie sich vorstellt, und deshalb bin ich gleichgiltiger bei den kleinen Schachzügen, wie sie unsere Rebellion und der meines Erachtens beginnende deutsche Krieg schreiend vollzieht, aber gleichgiltig bin ich nicht. Mich interessirt Alles, sogar der Krieg, sofern er eine Kunst und Wissenschaft. Fragt nur Thurn, der meine höhere Weisheit, die ich in Holland eingesammelt, oft zu Rathe zieht. Die Landkarten zum Beispiele besorge ich

Der Diener meldete, daß angerichtet sei. Gleichzeitig näherte sich auf der Straße des Dorfes das Geräusch von heranziehenden Reitern, und der harte Ruf einer Commandostimme veranlaßte Hans, noch einen Augenblick außen zu zögern. Er meinte Raupowa's Stimme zu erkennen. Ja wol, sie war es! Als die Reiter, ein ganzer Zug, in der Dunkelheit vorüberritten, verstand er deutlich Raupowa's Worte:

– Keine Deutschböhmen sollen dazu genommen werden, Wachtmeister, sondern nur böhmisch Redende, und einen leeren Pulverkarren nehmt mit, vierspännig bespannt, wenn wir an den »Stücken« vorüberkommen.

Der Zug und das Geräusch verlor sich in die Nacht hinaus.

Es stieg in Hans eine unklare Besorgniß auf. Warum setzt sich dieser Raupowa mehrere Stunden früher in Bewegung als das Heer? Was soll ihm ein sorgfältig bespannter und doch leerer Pulverkarren? Er theilte Budowa seine vage Besorgniß mit, indem er erzählte, daß Raupowa unter verdächtigen Umständen oben im Walde beim Grafen Zdenko eingedrungen sei. Budowa schalt das Hypochondrie. Der rauhe Wilhelm habe wol eine Vorpostenaufgabe, weil er von seinem neulichen Gefangenentransporte her die Nebenstraßen an die Donau hinab kenne, und wahrscheinlich den Feind auf falsche Fährte verleiten solle. Uebrigens könne man sich ja morgen erkundigen, wenn die Führer in Mistelbach zusammenträfen.

So wurde zur Nacht gespeist. Budowa leistete aus gastlicher Artigkeit Gesellschaft und beschäftigte sich mit einem zarten Fische aus der Thaya. Dann wurde für ein Lager gesorgt, damit ein paar Stunden Schlaf gewonnen würden.

Hans gewann sie nicht ganz. Ludmilla fehlte heute in seinen Träumen; das halb geschlossene Auge Raupowa's stach aus allen Ecken, und der alte Graf Zdenko erschien händeringend. Erschreckt fuhr Hans in die Höhe. Er wußte nicht gleich, wo er sei und was das dumpfe Geräusch außen bedeute. Allmälig kam er aufs Klare: das Heer war im Aufbruch begriffen, Kanonenwagen rasselten vorüber, Pferde wieherten, Peitschen knallten, Fuhrknechte fluchten in fremder Zunge, grauer Dämmer des anbrechenden Tages fiel in die Stube.

Hans stand auf, und gerade des Traumes wegen meinte er die Besorgniß um Vater Zdenko wegschieben zu müssen. Es war ja nur ein Traum! Die ganze Besorgniß wird nur Schwarzseherei sein!

Eine halbe Stunde später ritt er neben Budowa durch die fruchtbare Niederung des Thayageländes auf den spitzen Berg von Staats zu. Sie mußten Fußwege und Feldraine suchen, weil der Hauptweg vom Heereszuge angefüllt war. Die Sonne ging roth auf zu ihrer Linken, die Luft war dick und gewitterhaft, am Himmel standen ringsum Wetterwolken, welche nur des jetzt noch ruhenden Windes zu harren schienen.

Auf einem breiten Rasenrain, der Raum gab zum Nebeneinander, dahin reitend, betrachtete Hans mit halber Aufmerksamkeit das prächtige, kostbare Roß Budowa's. Es tänzelte unter gediegenem Geschirr und einem leicht im Sattel hängenden Reiter wohlgeschult einher. Seine regelmäßigen Bewegungen schienen indeß mehr Ergebniß der Schule als der Führung zu sein, welche ihm sein jetziger Reiter angedeihen ließ. Die wenn auch fleischige, doch feine Gestalt Budowa's entwickelte nicht jenen strengen Nerv, welcher den Reitersmann zum Herrn des Rosses macht, und Hans hatte den flüchtigen Eindruck, daß dieser Mangel wohl zu dem Charakter seines neuen Freundes passe. Dieser sei wahrscheinlich mehr fein als stark, und jedenfalls nicht zum Kriegsmanne bestimmt.

Hans lobte die Schönheit des Pferdes, die fast zu delicat sei für den Krieg.

– So wie sein Reiter, verschweigt Ihr? Für wie alt haltet Ihr mich?

– Für einen Fünfziger halt' ich Euch.

– Dank für die gute Meinung. Kaufte die Jahre d'rüber gerne zurück. Gäbe für jedes ein Dorf dahin. Indessen, Gott will den Leichtsinnigen wohl. Der Kern unter dieser schon ziemlich stark abgenützten Hülle ist immer noch leidlich zäh. Aber darin hat Euer kritischer Blick Recht: ich schwärme nicht mehr für das Kriegshandwerk, und reite da eben nicht gar hoffnungsvoll gegen das alte Wien, gegen das alte Kaiserhaus, gegen die alte Kaisermacht. Ich bin eben kein verbissener Böhm'. Wien ist mir angenehmer als Prag; das Kaiserhaus hat uns bedeutende Männer gegeben – welch ein frischer Mensch war zum Beispiele der erste Max, welch ein frischer Geist der zweite Maximilian! und welch ein unbehagliches Chaos würde entstehen, wenn die alte Kaisermacht ganz in Trümmer ginge! Wird sie? Meine Stimmung sagt Nein. Mir ist, als ritten wir zu unserer Niederlage, obwol ich weiß, daß Ferdinand in diesem Augenblicke an Kriegsmitteln schwach ist wie ein Kind. Aber er ist auch ein Kind an Einfachheit, an Glauben und Vertrauen. Das ist eine riesengroße Macht im Sturme. Ich habe ihn vor einiger Zeit wochenlang in der Nähe gesehen und beobachtet. Es war gerade die Krisis, in welcher der allmächtige Erzbischof Klesel gestürzt wurde durch die Erzherzöge. Ferdinand war unter ihnen. Trotz seiner Hingebung an Geistliche, wußte er sehr wohl zu unterscheiden, daß es sich bei Klesel trotz Titel, Würden und Gewänder nicht mehr um einen geistlichen Herrn, sondern um einen politischen Herrn handelte. Er hat, möcht' ich sagen, einen religiösen Instinct. Nur der echte, gläubige Priester wirkt auf ihn. Fast mit Neid hab' ich die Sicherheit betrachtet, welche ihm sein Glaube verleiht. Das ist uns ja versagt, die wir uns vielfacher Erkenntniß rühmen! Das Vielfache ist nicht immer stärker als das Einfache. Und ich fürchte, das werden wir in diesem Kriege gegen die Kaisermacht erfahren. Irgend ein Einfaches und durch seine Einfachheit Mächtiges scheint erblich zu sein in diesem Kaiserhause. Was sagt Ihr dazu? Ihr seht noch immer schwermüthig aus!

– Ich bin es auch; ich kann mich dessen nicht erwehren. Macht es die dicke, warme Luft, macht es der Raupo – O, o, seht, wie rücksichtslos! Da kommt eine große Reiterschaar gesprengt mitten durch die grüne Saat, welche schon in Halme schießt, sie zertretend und vernichtend.

– So ist der Krieg. Aber das sind unsere Hauptleute, Thurn darunter. Er winkt Euch!

Thurn behielt wirklich in der nächsten Stunde den sächsischen Junker an seiner Seite, und sprach Viel mit ihm, Manches auch vertraut und leise. Er war milder als gestern Abends, und zeigte den praktischen Führer, welcher sich um alle Hilfsmittel seiner Aufgabe kümmert, und welcher zu verwalten, wol auch zu leiten versteht. Und weil er sich übrigens in seinem lutherischen Glauben unerbittlich streng äußerte in Bezug auf weltliches Regiment, welches ihm nimmermehr dahinein schlagen solle, so machte er heute auf Hans einen nicht ungünstigen Eindruck. – Dies bemerkte der erfahrene Politicus wohl, und als sie der Raststunde in Staats nahe waren, rückte er mit der Anfrage heraus, welche ihm besonders am Herzen liegen mochte.

– Ich leugne ja gar nicht, sagte er fast gutmüthig, daß in unserm Heerwesen noch viel zu ordnen und zu bessern ist, besonders was unsere Geschütze betrifft. Deshalb hab' ich Euch berufen. Ihr sollt in diesem Betracht die ausgedehnteste Vollmacht erhalten, und jetzt gleich, sobald wir die Donau überschritten haben, erbitt' ich von Euch eine wichtige Leistung. Was den Marsch über Mistelbach und Wolkersdorf hinunter betrifft nach dem Marchfelde, so dank' ich für Eure Auskunft. Der Vortrab ist überall hin nach Euren Angaben geleitet, und es scheint sich kein Hinderniß entgegenzustellen –

– Wilhelm von Raupowa hat eine besondere Aufgabe des Vortrabs?

Hans gestattete seiner unheimlichen Ahnung diese Zwischenfrage.

– Raupowa?

– Ja.

– Ja wol! Eine Aufklärung, ob von Boucquoi nichts den Fluß herabkommt, und eine Irreleitung des Feindes, als könnten wir oberhalb Wien übersetzen. Wir wollen aber nicht einmal beim Tabor hinüber, und auch dort wollen wir sie durch Vorrücken irreleiten. Wir werden weiter unten übergehen, da, wo große Inseln den Strom spalten. Und dann, wenn wir drüben sind, und Ihr unsere »Stücke« und die Bedienung derselben geprüft habt, dann erbitt' ich von Euch den besonderen Dienst.

– Welchen?

– Seid Ihr erfahren in Anfertigung einer Petarde?

– Einer Petarde?

– Einer Petarde. Ihr seid's nach den Schilderungen Eures Herzogs. Dies Instrument zur Sprengung eines Thores brauchen wir, und unsere Leute sind unerfahren in Anfertigung desselben. Wollt Ihr es uns anfertigen lassen unter Eurer Anleitung?

– Ich bin dazu bereit.

– Die nächste Aufgabe ist dann, sie in die Stadt hineinzubringen; sie soll von innen heraus wirken. Das soll schon möglich sein. Es sind entschlossene Leute unter den Evangelischen der Stadt, welche sich zu solchem Dienst bereit erklärt haben, will sagen: zur Hineinschaffung der Petarde und zur Anbringung derselben am Thore. Es kommt aber doch viel darauf an, wie das Instrument angebracht wird, damit seine Wirkung nicht nach der unrechten Seite verpuffe, und deshalb brauchen wir einen kundigen Leiter für das letzte Anbringen und Abfeuern des Geschosses. Wollt Ihr dieser Leiter sein?

– Ich?

– Entschließt Euch dazu! Ihr leistet unserer Sache einen Capitaldienst.

– Das heißt: ich trage meinen Kopf auf den Henkerblock, wenn ich dessen noch gewürdigt werde. Der Strick oder ein Martertod ist mir sicherer.

– Oh!

– Ich bin ja bekannt in Wien! bin als Ausländer bekannt, als Ketzer! Hundert Personen würden mich auf den ersten Blick wieder erkennen, und das Schicksal eines Spions würde mir zugetheilt, auch ohne Petarde. Mit der Petarde aber würde ich im Todespreise nur ansehnlich steigen.

– Nicht doch! Ihr verkleidet Euch, haltet Euch während des Tages in sicherem Versteck, und tretet nur des Nachts ein- oder zweimal aus dem Hause. Einmal, um die Gelegenheit am Thore in Augenschein zu nehmen, und das zweite Mal, um die Petarde an richtiger Stelle anzulegen. Im Wildling'schen Hause ist Alles vorbereitet zur Aufnahme der Petarde und zum Versteck für Euch. Es ist dies Haus gar nicht weit von dem Thore, und die ganze Unternehmung ist für Euch ein Wagniß von zwei Nächten. Vielleicht nur von einer. Denn die Vorbereitungen sind alle fertig, wenn Ihr hineinkommt. Entschließt Euch und verpflichtet Euch dadurch die ganze protestantische Welt!

– Nein, Herr Graf, das lehn' ich ab. Zum Theil auch darum, weil ich nicht voraussagen möchte, daß die Wirkung einer Petarde groß genug sein wird, um eins der starken Wiener Thore genügend zu sprengen.

– So baut sie aufs Stärkste!

– Das hat sein Maß und seine Grenze. Ich werde die Petarde nach besten Kräften anzufertigen trachten, und werde diejenigen, welche mit ihr operiren sollen, sorgfältig unterrichten. Das wird auch genügen. Man wird meiner nicht so dringend bedürfen, als Ihr glaubt. – Da liegt Staats vor uns, und wie mir scheint, ist der lange, hagere Herr, welcher uns entgegengeritten kommt, Graf Czernin. Er wird Euch Anträge aus Wien bringen, die anzuhören ich wol nicht berechtigt bin. Ich bleibe also mit Eurer Erlaubniß zurück.

Es war Czernin. Seine Bemühungen waren für Thurn im voraus gerichtet. Die böhmischen Führer wollten kein friedliches Uebereinkommen. Nur des Anstandes halber trat Thurn mit ihm ins erste Haus, und ließ einige Cavaliere herzubescheiden, um den gutmüthigen Vermittler anzuhören.

Schon nach einer Viertelstunde wurde Hans von Starschädel nach demselben Hause gerufen. Er fand Thurn allein mit Czernin, und auch dieser war im Begriff, zu gehen. Er begrüßte nur den Junker in seiner wohlwollenden, liebenswürdig freundlichen Weise, und setzte mit einer gewissen Befriedigung hinzu:

– Nun wird es mir doch noch gelingen, Eurer Unterstützung habhaft zu werden. Thurn denkt gerade so günstig über Euch, wie ich, und ich denke, wir gehen zusammen. Auf Wiedersehen!

Mit diesen Worten ging er.

– Wie soll ich das verstehen! fragte Hans den Grafen Thurn, über dessen herbes Antlitz ein Lächeln zu spielen schien.

– Daß ein Friedensapostel nicht zu bekehren ist durch Kriegsleute. Czernin hofft jetzt noch auf Frieden, und er bringt Anträge, welche – vielleicht doch zu beachten sind. Wir haben ihm unsere Meinung darüber mitgetheilt, und er will sie hineinbringen in die Burg. Euch wünscht er zum Begleiter.

– Mich!

– Es würde in der Burg gern gesehen werden, wenn ein Edelmann von draußen zuhörte und gelegentlich mitspräche. Der Hof brächte seine Gesinnungen weiter zu Gehör, und erführe auch Näheres von draußen, was der Kaiserwahl wegen, auf die man trotz aller Calamität hofft, nicht gleichgiltig wäre. Da ist also, lieber Junker, die Gelegenheit, welche wir brauchen. Jetzt ist's nicht mehr nöthig, daß Ihr Euch verkleidet und verbergt, um in Wien zu sein!

– Am Tage wäre ich eine Art von Gesandter, und in der Nacht wäre ich ein feindlicher Kriegsknecht, wenn nichts Schlimmeres. Das widerstrebt mir noch mehr, als die einfache Gefahr, welche Ihr mir vorhin zugedacht. Laßt mir die einfache Aufgabe bei Eurem Geschützwesen, oder entlaßt mich ganz. Ich bin in unruhiger Stimmung, bin in Sorge um eine mir hochwerthe Person. Diese will ich eiligst aufsuchen, und vielleicht schon in zwei Tagen stelle ich mich bei Eurem Heere wieder ein, um die Petarde zusammenzusetzen und Weiteres zu veranlassen.

– Nichts da, rief Thurn, welcher sogleich an Raupowa's Plan dachte und die »hochwerthe« Person des Junkers errieth, nichts da! Ich habe Eure Zusage und halte sie fest. Ein Mann, ein Wort! Ihr werdet das Eurige halten. Da kommen »Stücke« angefahren! Nehmt sie in Augenschein! Ich gehe selbst mit Euch, um Eure Meinung zu hören und Euch einzuführen.

Mit innerem Widerstreben fügte sich Hans.

Seine Ahnungen waren nur zu richtig! Raupowa war um diese Zeit schon in Stockerau. Dort ließ er seine Kriegsknechte eine lange Rast machen, damit Mann und Roß sich kräftigten. Am späten Nachmittage ritt er mit seinen zwanzig Altböhmen auf Feldwegen aufwärts der Donau zu. Er suchte die Stelle, wo er damals mit seinen Gefangenen über den Fluß gesetzt war. Bald nach Sonnenuntergang hatte er sie erreicht und auch ein Floß herbeigeschafft.

Es war dunkel, als Raupowa nach Königstätten kam. Hier mußte er wieder verweilen, um die letzten Vorkehrungen zu treffen. Er brauchte Führer und Träger und eine eichenfeste Tragbahre. Denn für einen Wagen zeigte sich der Weg dahinauf zum Fuße des Tulbinger Kogels nicht geeignet. Er war kaum zureichend für Reiter. Der Pulverkarren war umsonst mitgeschleppt.

Wie gewaltsam er aber auch die erschrockenen Königstättener nöthigte, seine Forderungen zu erfüllen, dies Bedürfniß verzögerte doch seinen weiteren Aufbruch: das Bedürfniß der Tragbahre. Es war keine aufzutreiben von der nöthigen Haltbarkeit. Er war eingedenk des damals in Mähren mißlungenen Ueberfalls der Zierotin'schen Transportwagen, und setzte voraus, daß der Zierotin'sche Schatz auch jetzt noch in eiserner Kiste verwahrt sein werde. Für solche Last bedurfte es eines soliden Tragwerkzeuges. Brach es unterwegs entzwei, so drohte ein immerhin gefährlicher Aufenthalt. Es blieb also nichts übrig, als in Eile eine solche Tragbahre von Eichenbohlen zusammennageln zu lassen. Die wilden Altböhmen – er hatte gerade sie ausgesucht, um Schrecken zu erregen – schleppten aus Häusern und Höfen zusammen, was irgendwie dienen konnte, und flößten den deutschen Bewohnern unwiderstehlich den Gedanken ein: Gott behüte uns vor den Böhmen! vor ihren unverständlichen Lauten, vor ihren langen Armen!

So war es spät Abends geworden, ehe der Zug aufbrechen konnte nach dem Wiener Walde hinauf. Der Abfall desselben ist hier nach Norden ziemlich steil. Die Reiter, einer hinter dem andern, konnten nur langsam vorrücken. Führer mit brennenden Kienwurzeln mußten vorausgehen und an den Seiten kriechen, denn an der Seite war selten Raum zum Gehen. Raupowa ritt vorne neben dem Hauptführer. Er hatte den Weg einmal gemacht, und konnte einigermaßen beobachten, ob etwa der Führer den Zug irreleiten wolle. Bei dem bloßen Verdachte der Irreleitung war dem armen Königstättener deutlich versichert worden, daß er auf Nimmeraufstehen zusammengehauen würde.

Dieser Verbindungsweg über den Wald – wunderbar genug noch heutigen Tages keine Landstraße! – geht fast ununterbrochen hart aufwärts bis an den Fuß einer Haupthöhe des Wiener Waldes, bis an den Fuß des Tulbinger Kogels. Den eigentlichen »Kogel« rechts lassend, findet der Wanderer jetzt, und fand der Zug auch damals schon ein einsames Wirthshaus. Dort wurde ein kurzer Halt gemacht. Malerisch genug sah der Trupp aus: finstere Nacht, Windstöße, qualmende Kienbeleuchtung, wild ausschauende Reiter. Dazu grollte der Donner von allen Himmelsgegenden her; die schwüle Luft hatte ringsum Gewitterwolken zusammengezogen, welche Blitz und Donner erregten, und nur von dem zeitweise aufbrausenden Winde ferngehalten wurden.

Raupowa fürchtete Regen, der Kienfackeln wegen fürchtete er ihn. Darum rief er hier in böhmischer Sprache seinen Reitern zu: von hier aus würde der Weg ebener, sie sollten ihre Pferde den Sporn fühlen lassen. Dem Hauptführer aber schärfte er nochmals ein, ihn aufmerksam zu machen, wenn der Abfall des Bergrückens nach Dornbach hinab beginne. Dort – das hatte er wohl behalten – mußte der Zug rechts einschwenken.

Doprschdu! rief er, zu Deutsch: Vorwärts!

Trotz seiner Mahnung kam der Zug nicht schnell vorwärts! die Pferde strauchelten zu oft auf dem engen, ungeebneten Wege.

Wer aber für den bedrohten Grafen Zdenko wohl gesinnt war, der mußte diesem Raupowa'schen Zuge Eile wünschen. Eile? Ja wol! Raupowa's Zielpunkt war nur der Schatz des Grafen, die Person desselben war ihm gleichgiltig.

Der Zug aber, welcher um dieselbe Stunde von Dornbach neben der Rohrerhütte heraufdrang, wollte nicht blos den Schatz, er wollte auch den Grafen selber aufheben und in Gefangenschaft führen. Und dieser Zug hatte den kürzeren Weg und gewann den Vorsprung. Nur in der Schlucht über der Rohrerhütte war er ein wenig aufgehalten worden, weil der Schluchtweg nicht überall breit genug war für den Rüstwagen. Aber auch dies Hinderniß war besiegt worden, und dieser Zug schwenkte bereits oben links in den Rasenweg ein, als Raupowa seinem Führer diesen Punkt der Schwenkung eingeschärft hatte.

Medardo und Brémont waren heut' nur Wegweiser dieses Zuges, ein spanischer Kriegsmann war Befehlshaber. Der Provincial Athanasius hatte ihn beigegeben.

Langsam und – bis auf das Knarren des nachfolgenden Wagens – lautlos näherte sich dieser Zug dem Zaune.

Da drüben im Jägerhause schlief bereits die ganze Einwohnerschaft: Graf Zdenko und Tschirill, Frau Golling und ihre Tochter Nandl. Golling und Trumm waren nicht im Hause. Trumm hatte am Tage vorher an der Hütteldorfer Seite einen Capitalhirsch abgespürt, der von den Feldern in den Wald herein wechsle. Da dies vor Sonnenaufgang geschieht, so hatte Golling beschlossen, die Nacht in einer Köhlerhütte oberhalb Hütteldorf zuzubringen, um bei weichender Nacht auf dem »Wechsel« des Hirsches sich anstellen zu können, und so war er schon vor Sonnenuntergang mit Trumm und Caro von Hause fortgegangen.

Nur Zahn wachte in seiner Hütte. Aber der heftig wehende Wind verhinderte auch ihn, die herannahenden Feinde zeitig zu entdecken. Sie waren schon mitten im Park, als ein Windstoß aus Norden dem treuen Hunde Witterung und Geräusch zutrieb. Er sprang auf und bellte, bellte heftig, bellte heulend.

Frau Golling erwachte. Sie kannte Zahns verschiedenartige Laute. Sollte Golling umgekehrt sein? dachte sie. Aber Zahn erkennt ja seinen Herrn –! Sie richtete sich im Bette auf.

Was konnte es helfen, daß die kleine Frau aufsprang und ihre Tochter weckte! Ehe noch Tschirill gerufen war, hatten die Feinde die Hausthür eingebrochen und waren eingedrungen.

Die Frauen schrieen, und dadurch wurde Tschirill, der oben vor der Thüre seines Herrn schlief, aufgeweckt. Halb angekleidet, wie er immer schlief, flog er sogleich die kleine Treppe herunter, um zu erfahren, ob dies Geschrei eine Gefahr für seinen Herrn bedeute. Ehe er noch die Thür zum Wohnzimmer Golling's öffnen konnte, hörte er aber so deutlich die Drohworte der Feinde, daß ihm kein Zweifel übrig blieb. Sie verlangten Licht, das ihnen zum Grafen Zdenko leuchten sollte, zum reichen alten Ketzer. Tschirill flog hinauf, weckte seinen Herrn und stöhnte ihm zu:

– Feinde, die Feinde da! Auf, auf, Pan! Hört! Ankleiden! Fort! Hört!

Graf Zdenko hörte jetzt selbst von unten herauf den wachsenden Lärm. Die Thür zu Golling's Wohnzimmer war jetzt geöffnet, und was er hörte, ließ ihm keinen Zweifel über den Ernst des Ueberfalls, über den furchtbaren Ernst. Denn er hörte, daß seine »Ketzerei« das Losungswort, und daß von den Maßregeln der »Kirche« die Rede war.

Dadurch wurde er gestärkt. Der erste Schreck hatte den Greis ins Zittern geworfen; die Erkenntniß aber, daß der Feind seines Lebens und seines ganzen inneren Menschen einbreche, erhob ihn plötzlich, erhob ihn ganz.

– Das Ende ist da! sprach er leise vor sich hin. Steh' ihm Rede zu Deiner eigenen Genugthuung! Besiegle den Schluß durch all' die moralische Kraft, welche Du zu sammeln getrachtet hast im langen Leben!

Tschirill war der Meinung, sein Herr bete in Todesangst, und die Hände flogen dem entsetzten Diener durch einander. Das Anziehen dauerte länger statt kürzer, und er brachte es kaum aus der Kehle, daß er für einen solchen Fall ein Fluchtmittel vorbereitet habe: über den Dachboden hinüber zu einer Leitertreppe in den kleinen Hof hinab zu den Hausthieren, und durch dessen Ausgangspforte in den Park hinaus. Der Greis hörte es nicht, sein Geist sammelte sich mit all' den Kräften, welche von irdischen Dingen frei werden konnten.

Der Lärm unten war indeß gewachsen. Vom Wagen war eine Laterne hereingebracht worden – denn Frau Golling und Nandl waren außer Stande gewesen, Licht zu machen – die langen Holzspließe, aus harzigem Kiefernholz gespalten und auf dem Ofen aufgeschichtet, waren herabgeworfen und als Leuchtmittel angezündet worden, und die Eindringlinge waren hinübergestürzt in den Wohnsaal des Grafen Zdenko. Medardo voraus; er wußte den ohnedies einfachen Weg von damals. Dort begann die Plünderung und Durchsuchung. Medardo leitete sie. Der spanische Kriegsmann war zu Pferde draußen geblieben beim Wagen. Ihm war vorzugsweise aufgetragen, den alten Ketzer zu fangen und einzubringen, und er hatte deshalb das Gehöft rings umstellen lassen, daß keine Maus entwischen könne. Medardo dagegen hatte das Stichwort: »den Schatz«, und den zu suchen, war sein Hauptzweck. – Sein erster Gang richtete sich auf den Schreibtisch. Dort fand er außer den Papieren eine Handvoll Gold- und Silbergeld. Ein Guardist mit einem ledernen Sack war ihm zur Seite und stopfte Alles in den Sack, was ihm Medardo zureichte. Die Anderen leuchteten mit ihren Holzspließen in alle Winkel. Sie wußten die Losung: ein Schatz, wahrscheinlich in großem eisernen Kasten, sei aufzufinden.

– Nichts da! lautete es von allen Seiten.

– Die nächste Thür! Das nächste Zimmer! commandirte Medardo, immer noch mit Durchstöberung des Schreibtisches beschäftigt.

Die nächste Thür führte ins Badezimmer. Dort hinein ging es jetzt.

– Eine leere Badwanne! klang die Meldung.

– Sonst nichts?

– Sonst nichts!

– Die Badwanne umstürzen!

– Sie ist mit eisernen Schrauben im Fußboden befestigt.

– Holla, schrie eine Stimme vom kleinen Vorplatze herein, da ist der Ketzer im weißen Mönchsgewande, und will entfliehen. Herbei!

Alles eilte hinaus, Medardo voran. Im rauchigen Schimmer der Holzspähne stand wirklich oberhalb der kleinen Treppe Graf Zdenko. Tschirill hatte ihn fortziehen wollen nach dem Dachboden, der Greis hatte mit Hand und Haupt verneint. Er schritt langsam die Stufen herunter; die hohe Gestalt im weißen Talar, mit wallendem weißen Barte übte in dem engen Raume des Vorplatzes und bei dem dunkelgelben, fast braunrothen Leuchten der harzigen Spähne einen gebieterischen Eindruck. Alles schwieg. Der spanische Kriegsmann draußen sah durch das Fenster des kleinen Vorplatzes ebenfalls die Erscheinung des Greises, und unterbrach die Stille: eine Fensterscheibe flog klirrend herein. Der spanische Kriegsmann hatte mit dem Schwerte ins Fenster gehauen, und seine Commandostimme folgte unmittelbar dem Geräusche, dahin lautend: der alte Ketzer sollte unverweilt herausgebracht werden.

Medardo deutete mit der Hand, daß der Graf den Weg durch Golling's Wohnzimmer nehmen solle. Auf der letzten Stufe blieb dieser stehen und fragte mit klarer Stimme:

– Wem gehorcht Ihr?

– Dem Kaiser! antwortete Medardo.

– Dem todten Kaiser?

– Dem lebendigen, der Kaiser wird.

– König Ferdinand sendet Euch?

Medardo stockte. Es schien ihm doch verwegen, öffentlich etwas zu behaupten vom regierenden Herrn, was vielleicht nicht richtig war.

– Du thust wohl daran, die Lüge zu scheuen. Wer sendet Euch also?

– Vorwärts, alter Ketzer! schrie draußen der Spanier. Das heilige Gericht sendet uns, dem Du Rede stehen sollst für den Teufel, der Dich regiert. Vorwärts!

Nichts war geeigneter, den Grafen tiefer zu stärken.

– Ich danke Dir, Gott, sprach er leise, zur Höhe aufblickend, daß Du mich an entscheidender Stelle den Stempel aufdrücken lässest auf den Schluß meines Lebens!

– Zeigt mir an, wo Euer Gold verborgen ist, Herr Graf, damit Ihr nicht unnöthig draußen im Freien aufgehalten werdet, sprach Medardo halblaut und fast respectvoll, denn auch auf ihn, wie auf die übrigen Guardisten, wirkte die Erscheinung und das Benehmen des Grafen ehrfurchtgebietend.

Der Greis antwortete nicht. Es schien, als ob er die Anrede gar nicht verstanden habe. Sein Geist verweilte jetzt nicht bei irdischen Dingen.

– Vorwärts! schrie draußen der Spanier und hieb von neuem ins Fenster und stieß geläufig einen spanischen Fluch aus, während er früher gebrochen und langsam die deutschen Worte hervorgestoßen.

Der Greis machte mit der rechten Hand eine große Bewegung, ihm Platz zu machen, und schritt herunter von der letzten Stufe, mit der linken Hand nach der Schulter Tschirills suchend, auf die er sich stützen wollte. Die Guardisten wichen nach allen Seiten, und der Graf schritt, auf seinen Diener gestützt, hinaus, von den schreienden Wehklagen der beiden Frauen begleitet.

Medardo winkte, und zwei Guardisten folgten. Den übrigen trug er auf, das ganze Haus und die Keller zu durchsuchen. Er selbst wollte oben mit zwei Guardisten alle Räume durchforschen. Er hatte besonderes Vertrauen zu dem Gedanken, daß der Graf da oben in der Nähe seines Bettes den Schatz verborgen habe. Brémont sollte die Anderen durch Haus und Keller geleiten.

Der Rüstwagen draußen, welchen ein Fuhrknecht vom Rücken des Sattelgauls lenkte, hatte bereits jenseits der beiden Häuser und der Bäume vor denselben seine umkehrende Wendung bewerkstelligt, und war bei der Hausthür vorgefahren. Die Pferde schauerten, denn der Wind blies jetzt vom Walde über die Parkblößen herein mit der Gewalt des Sturmes. Die Wetter am Himmel waren zusammengeweht und bildeten nun ein einziges Gewitter von erschütternder Gewalt. Es fiel kein Tropfen Regen, aber die Blitze gossen Feuermassen über das Waldgebirge, und der Donner toste und krachte so ununterbrochen, daß das Echo in den Thälern mit seiner Antwort unterging. Selbst Zahn, der ununterbrochen, leidenschaftlich und immer heiserer bellte, wurde nicht mehr vernommen.

In diesen Aufruhr der Elemente trat der alte Graf heraus, und der Rüstwagen, welcher ihn aufnehmen sollte, erschien wie ein Zufluchtsort. Er war mit einer dicken Leinwandplane überspannt, Stroh und Heu bedeckte innen seinen Boden, und eine große Schütte Stroh war als Sitz in der Mitte eingequetscht.

– Holt lieber einen Schemel heraus, statt zu schreien, rief einer der Guardisten den Frauenspersonen zu, damit der alte Herr hinauf kann! Frau Golling brachte eilig den Schemel. Jetzt aber, als ein starker Mann aus der Schoßkelle des Wagens herabsprang – man hatte ihn bisher im Finstern gar nicht gesehen – um den Grafen für Ersteigung des Schemels rasch und gewaltsam zu unterstützen, jetzt entwickelte sich ein Widerstand, auf den Niemand gefaßt war. Dieser letzte Schritt, welcher seinen Herrn entführen sollte, trieb Tschirill zum Aeußersten. Unter einem Geheul, das halb Wuth, halb Schmerz war, ergriff er den starken Mann, und schleuderte ihn mit erstaunlicher Kraft zur Seite, so daß dieser – ein Hausknecht aus dem Jesuitencollegium – bis an den nächsten Baum, und von diesem abprallend, betäubt zur Erde flog. Dann ergriff Tschirill seinen Herrn, hob ihn auf wie eine Feder und eilte mit ihm hinweg dem nächsten Gebüsche zu. Die beiden Guardisten hinter ihm her, der spanische Kriegsmann auf seinem Rosse desgleichen, und ehe der arme Tschirill das Gebüsch erreichen konnte, war er eingeholt und durch einen Schwertstreich des Reiters zu Boden geschmettert. Das ununterbrochene Blitzen hatte dazu geleuchtet. Noch im Niederstürzen ließ der treue Diener seinen Herrn nicht los, und die Guardisten mußten den Greis auffangen, daß er nicht mit zu Boden gerissen wurde. Sie trugen ihn nun sofort in den Wagen und setzten ihn auf den Strohsitz. Der betäubte Hausknecht ward dann aufgehoben, ward gerieben und geschüttelt, bis er zu sich kam, und endlich auf seinen Platz in die Schoßkelle hinauf befördert.

– Fahr' dort hinter den Busch, rief jetzt der Spanier, damit wir aus dem Winde kommen! Und Ihr, Guardisten, hinein! Medardo soll zum Ende eilen. Der alte Ketzer stirbt uns in dem Sturme. Ich aber habe geschworen, ihn lebendig einzubringen.

Die Guardisten gingen ins Haus zurück, Frau Golling und Nandl liefen zu dem darniederliegenden Tschirill hinüber, der Fuhrknecht trieb die Pferde an.

– Halt! schrie plötzlich der Spanier. Was ist das?

Raupowa's Colonne erschien auf dem Parkwege; Raupowa selbst an der Spitze neben dem Wegweiser, dessen Kienfackel niedergebrannt war, aber noch glühte. Im Feuer der Blitze tauchte der wild aussehende Reiterzug auf wie eine Gespenstermasse.

Der Spanier wußte nicht gleich, ob dies einen Feind bedeute, oder eine nachgesendete Hilfstruppe. Er rief also nur ins Haus hinein mit dem ganzen Aufwande seiner Stimme ein spanisches Wort, welches so viel bedeuten mochte, wie unser militärisches »Achtung!« Dann sprengte er vor den Wagen und rief dem heranrückenden Reiterzuge ebenfalls spanisch entgegen:

– Wer da?

Unter kaiserlichen Truppen waren spanische Worte fürs Kriegshandwerk hinreichend verbreitet; der spanische Kriegsmann also, auch wenn er sich übereilt hatte mit solchem Anruf, konnte sicher sein, verstanden zu werden, wenn der Reitertrupp kaiserlich war.

Für Raupowa aber war dieser spanische Anruf ein sicheres Zeichen, daß ein Feind vor ihm stehe. Just »spanisch« nannten die böhmischen Herren vorwurfsvoll das ihnen verhaßte Regiment in Wien. Raupowa also commandirte unmittelbar auf den spanischen Anruf in böhmischer Sprache zum »Fertigmachen« und zum »Anrücken im Trabe«. Rasselnd und klirrend kamen die böhmischen Reiter heran, und hatten auf neues Commando den Wagen und den Spanier umringt.

– Wer bist Du? und was thust Du hier? herrschte Raupowa dem Spanier zu, indem er sein Schwert zog und seinen Reitern commandirte, desgleichen zu thun.

– Kaiserlicher Kriegsmann bin ich, und handle auf Befehl.

Die Luft war ein Feuermeer, und Raupowa erkannte im Wagen den Grafen Zdenko, der ohne ein Zeichen von Teilnahme gesenkten Hauptes auf dem Strohbunde saß.

– Dein Befehl aber ist, diesen greisen Cavalier sammt seinem Schatze zu entführen?! Wirf Dein Schwert weg und steig' vom Pferde.

– Gewiß nicht! erwiderte der Spanier und streckte seine Klinge vor.

Zwei Hiebe Raupowa's machten dem Gespräch ein Ende. Der erste schlug die Klinge des Spaniers nieder, der zweite sauste in des Spaniers Kopf, der nur mit einem Filzhute bedeckt war. Der Spanier taumelte, und seine Sporen fuhren dabei dem Pferde in die Flanken. Es machte bäumend einen Satz, denn die krampfhafte Hand zog den Zügel an, und der verwundete Mann fiel rücklings zur Erde, um nie wieder aufzustehen. Sein Roß ward von zwei böhmischen Reitern geschickt ergriffen und festgehalten.

Des Spaniers Ruf ins Haus hinein: »Achtung!« hatte indessen doch seinen Zweck nicht verfehlt. Die Guardisten, welche zuletzt wieder eingetreten, waren ans Fenster geeilt und hatten die Ankunft der böhmischen Reiter erblickt, hatten das böhmische Commando gehört, hatten gesehen, daß der Spanier niedergehauen wurde. Der eine hatte Lärm gemacht im Hause, der andere war nach der Hausthür zurückgeeilt, hatte sie zugeschlagen und mit herbeigeschleppten Tischen und Sesseln nach Kräften verbarricadirt. Die Böhmen draußen ließen ihnen Zeit, denn Raupowa war der Meinung, der Goldkasten Zdenkos sei schon mit ihm innerhalb des Wagens. Darnach wurde das Innere des Wagens durchwühlt, und erst als sich unwidersprechlich ergab, der Goldkasten sei noch nicht da, erst dann wendete sich Raupowa dem Hause zu, vorher noch commandirend, die Leute sollten absteigen, ihre Sattelpistolen bereit halten, und die Pferde durch vier Mann hinter die Häuser und hinter den Wind führen lassen. Der wachthaltende Spanier war ihm ein hinreichend Merkmal, da innen sei noch eine Schaar Bewaffneter.

Die verschlossene Hausthür bestätigte seine Meinung. Er befahl nun seinen Altböhmen, die Thür zu erbrechen und paarweise durch die einzuschlagenden Fenster hineinzudringen. Kaum aber hatte er dies angeordnet, so krachten zwei Schüsse aus den Fenstern, und zwei seiner Leute stürzten.

Einen entsetzlichen Fluch ausstoßend, rief Raupowa seine Leute von den Fenstern hinweg und ordnete an, daß die Tragbahre aus starken Eichenbohlen angewendet werde, um die Hausthür einzustoßen.

– Macht Alles nieder, setzte er grimmig hinzu, was Ihr drinnen findet von den spanischen Schuften, die uns zwei Böhmen niedergeworfen!

Er selbst umging mit der andern Hälfte seiner Leute das Gehöft, um von hinten einzudringen, wo es an besetzten Fenstern fehlen und das Schießen aus sicherem Hinterhalte nicht zu fürchten sein würde.

Hier stieß er auf die einzelnen Wachtposten, welche der Spanier aufgestellt hatte. Ihnen war entweder durch den brüllenden Donner des Gewitters nichts hörbar geworden von den Ereignissen auf der vorderen Seite, oder sie waren der Aufstellungsordre gemäß unverrückt auf ihren Posten geblieben. Jetzt rissen sie aus vor der Mehrzahl, welche unerwartet von außen erschien. Denn sie waren, weit auseinandergestellt, ihrer drei, und Raupowa kam mit acht Kriegsleuten.

Diese Kriegsleute wollten den fliehenden Wachtposten nach, um sie zu fangen. Raupowa aber verbot das. Er wußte nicht, wie viel Feinde im Hause stecken mochten, drei Gegner weniger erschien ihm Gewinn, und er ging kurzweg auf die kleine Hinterthür los, hinter welcher Zahn mit erschöpfter Stimme heulte. Sie war von innen verriegelt. Drückt sie ein! Sie ist schwach! hatte er eben gesagt, da rief einer der Böhmen, welcher am weitesten voraus gewesen war in Verfolgung der Flüchtlinge:

Hei, strecha horj! – Zu Deutsch: Feuer im Dache!

– Wo?

– Dort!

Aus der Mitte des Schindeldachs schoß eine Feuerlohe empor und ward im Sturmwinde über das ganze Dach gejagt. Die warme Luft der letzten Tage hatte die hölzernen Schindeln ausgetrocknet, und das hastige Umhersuchen mit brennenden Holzspließen auf dem Dachboden mochte eine abfallende Kohle ins Werg der Frau Golling geschleudert, der durch die Ritze des Daches ziehende Wind mochte angeblasen haben, und so war in regelmäßigem Gange die Feuersbrunst ausgebrochen, eine prächtige Unterhaltung für den Sturmwind, welcher sie mit reißender Schnelle über das ganze Haus verbreitete. Binnen wenigen Minuten lohte sie den Blitzen zum Trotze dergestalt, daß die große Fichte mitentzündet wurde und wie eine Riesenrakete Funken und Flammen nach dem schwarzen Gewitterhimmel sprühte.

Eine gellende Lache Raupowa's, ein durchdringender Schrei Nandls vom Rasenplatze herüber waren die ersten Ausdrücke menschlicher Theilnahme. Ein Jammerschrei Zahns, auf dessen Hütte eine herabgeschleuderte brennende Schindel gefallen sein mochte, das Brüllen der Kühe im Stalle waren die Aeußerungen der bedrohten Thiere, Zahns an der Kette, der Kühe im Verschluß des Stalles.

Während Raupowa seine Leute eilig wieder nach vorn führte, wo jetzt der Feind durch Rauch und Flamme herausgejagt werden mußte, stürzte Nandl, ein handfestes Mädchen, der Hinterthür zu, deren Griff zur Oeffnung auch von außen sie kannte, um die Thiere von den Ketten zu lösen und herauszutreiben. Frau Golling konnte vor Schreck kein Glied regen und blieb auf den Knieen liegen neben Tschirill, unverwandten Blickes nach der flammenden Zerstörung ihrer Habe schauend.

Vorn geschah es, wie Raupowa vorausgesetzt: aus allen Fenstern flüchteten die Guardisten, Medardo an der Spitze, vor dem erstickenden Rauche und der überall hervorzüngelnden Feuerschlange dem Feinde in die offenen Arme. Sie wußten wohl, daß diese sehnigen, bewehrten Arme auch keine Rettung boten, aber hinter ihnen im Hause war ja doch der unmittelbare peinliche Tod.

Sie waren siebzehn Mann hoch von Wien ausgezogen: zwölf Mann des Provincials mit dem Anführer und vier Guardisten. Den niedergestreckten Führer und die drei Entsprungenen abgerechnet, mußten sie ein Dutzend ausmachen. Sie waren aber nur elf. Brémont fehlte. Er hatte die Keller untersucht und war da, wie einer der Guardisten leise Medardo zuraunte, auf ein kleines Faß voll spanischen Weines gestoßen – zur Erquickung für Graf Zdenko von Dunstan hergeliefert – und von dort sei er nicht fortzubringen gewesen trotz des in den Keller hinabdringenden Rufes: »Feuer! Feuer!«

Davon wußte Raupowa nichts, und es hätte ihn auch nicht gekümmert. Ihn beschäftigte nur, nachdem die zehn Gefangenen entwaffnet und in einen Haufen zusammengetrieben waren, ihn beschäftigte nur Medardo, die »rothe Feder«. Den kannte er von damals, der war vor Laa entwichen, der sollte jetzt zahlen. Zweierlei: für die beiden geschossenen Böhmen und den da drinnen verborgenen, vielleicht jetzt schmelzenden Schatz. Auch geschmolzen war derselbe zu brauchen.

Medardo lag vor dem grimmigen Cavalier auf den Knieen. Er war mehr todt als lebendig; er wußte, daß ihm das Schlimmste bevorstand.

– Du bist einer der giftigsten wälschen Schurken, sprach Raupowa ruhigen Tones zu ihm hinab, der unseren Feinden zu jedem Schuftesdienste immer bereit war. Du hast den Strick reichlich verdient an uns. Aber ich will Dir das Leben schenken, wenn Du mir genau angiebst, an welcher Stelle da drinnen der Goldkasten des Grafen steht.

– Gnädigster Herr! Dann – bin ich – ein verlorener – Mensch. Ich habe – jeden Winkel – durchsucht, und – keine Kiste – keinen Goldkasten – gefunden.

– Dann stirbst Du auf der Stelle!

– Der barmherzige Gott im Himmel – ist mein Zeuge – ich spreche die – Wahrheit. Ich wäre ja wahnsinnig, wenn ich – jetzt nicht – glaubt einer – in Todesangst zitternden – Creatur – wir haben uns Alle – getäuscht. Der Schatz ist gar nicht – hier gewesen. Zettel und – Quittungen – im Schreibtisch dort – haben mir verrathen – er ist in den Händen – eines Benedictiners – er ist bei meiner Seelen – Seligkeit – nicht hier!

Raupowa konnte sich nicht verleugnen, der Kerl habe den Schatz nicht gefunden. Es hatte keinen Sinn, daß er nicht auf eine Stelle des brennenden Hauses zeigen sollte, um sein Leben zu retten. Diese Ueberzeugung aber gerade erregte dem Cavalier den wüthendsten Ingrimm. Zum zweiten Male war er genarrt mit diesem Schatze. Die ganze Anstrengung war, wie damals in Mähren, wieder umsonst gemacht. Was Wunder, daß er nach kurzer Pause sich abwendete von dem knieenden Schächer, und daß er den Böhmen zurief:

– Eure beiden verwundeten Cameraden legt auf die Tragbahre, den Lump hier aber – werft ins Feuer hinein!

Ein Schreckensschrei Medardos, ein Jubelgeschrei der Reiter folgte, und eine Secunde später war die »rothe Feder« durchs glimmende Fenster in die Stube Golling's, welche von schwarzem Rauch und rother Flamme angefüllt war, hineingeschleudert.

Zu diesem Verhör und zu dieser Execution hatten sich – mit Ausnahme der Gefangenenwacht – alle Reiter herzugedrängt. Der Fuhrknecht auf dem Sattelgaul des Wagens hatte von seinem erhöhten Platze aus der Ferne rückwärts sehend zugeschaut. Aus der Ferne, denn schon beim Ausbruche des Feuers war er eine Strecke fortgefahren, um seinen Wagen sicherzustellen. Er war ein ziemlich gedankenloser Fuhrknecht, aber so viel wußte er doch zu folgern, daß auch ihm von diesen Böhmen keine Rosen blühen würden, und da der Hausknecht in der Schoßkelle immer noch Kopfweh haben mochte und nichts sagte, so entschloß er sich allein, langsam und so still als möglich sein Gespann in Bewegung zu setzen. Das Anrücken der Pferde traf gerade mit dem Jubelgeschrei zusammen, und nun ging's geräuschlos weiter.

Die Böhmen bemerkten es nicht. Aber es bemerkte es doch Jemand. Und zwar Einer, von dem es gar nicht zu erwarten stand: Tschirill. Der Hieb des Spaniers war flach auf den kraushaarigen Schädel gefallen. Vielleicht weil der Spanier den alten Grafen nicht mittreffen gewollt und deshalb in der Vollendung des Streiches geschwankt hatte. Die Wunde war also nur die eines Schlages, war nur eine Schramme geworden, welche dem armen Burschen auf einige Zeit das Bewußtsein geraubt. Die Bemühungen der Frauen – Nandl hatte aus einem nahen Troge zum Tränken des Rindviehes eine Handvoll Wasser über die wunde Stelle geschüttet – hatte sein Erwachen vorbereitet. Als Nandl seinen Kopf plötzlich fallen gelassen hatte, um zur Rettung der Thiere fortzustürzen, war er zu sich gekommen und hatte die Augen geöffnet. In der nächsten Minute hatte er sich auf seine Ellbogen gestützt und hatte sich gesammelt. Nichts kümmerte ihn, als der Wagen, in dem sein Herr saß, und als dieser Wagen sich in Bewegung setzte, da stand er auf seinen Beinen, zitternd zwar und schwankend, aber er stand und versuchte zu gehen. Er fiel, aber er raffte sich wieder auf, und versuchte es von neuem. Es ging besser, immer besser, er kam vorwärts, so weit vorwärts, daß er den Wagen im Scheine des Feuers nicht aus den Augen verlor; endlich wich der Schwindel ganz, die Gliedmaßen gehorchten wieder, er konnte rascher gehen, er konnte laufen, und am Zaunthore hatte er den immer noch langsam fahrenden Wagen eingeholt und sich hinten auf die Lampelstange desselben aufgeschwungen.

Die Böhmen und Frau Golling hatten gar nichts davon bemerkt. Raupowa hätte auch am Ende nichts dagegen gehabt. Was sollte ihm der alte Mann! Und Frau Golling hatte in ihrem starren Schrecken so viel Anderes zu sehen: Zahn, der winselnd herauskam und zu ihr eilte; die Kühe und das Mutterschwein, welche vor der Nandl herausgaloppirten, und hinter der Nandl, himmlischer Vater! ein über und über rauchender Mann, der nach der Seite zulief, wo unter der großen Fichte der Abhang hinabfiel zur Tiefe. Ein Salamander! hätte sie rufen sollen, wenn sie von diesem Begriffe etwas gewußt hätte. Denn es war in der That der auch im Feuer nicht zerstörbare Medardo, welcher durch Rauch und Feuer hindurch die Küchenthür in Golling's Stube getroffen hatte, durch die Küche hindurch in den Hof gedrungen war, und hier an den Thieren und an Nandl Wegweiser gefunden hatte ins Freie.

Jenseits des Zaunes aber trieb der Fuhrknecht seine Pferde zur Eile, und Tschirills Sitz auf einer Stange wurde unhaltbar durch die Stöße, welche Wurzeln und Löcher dem Wagen beibrachten. Tschirill hielt aber doch aus unter Schmerzen in seinem Schädel, er mußte bei seinem Herrn bleiben, was es auch koste. Das schnelle Fahren konnte ja auch keinen Bestand haben auf dunklem Waldwege trotz der Blitze.

Als es wieder langsamer ging, versuchte Tschirill, sich aufzurichten auf der Stange und vielleicht gar in den Wagen hineinzudringen. Aber das dicke Plantuch war nirgends zu beseitigen, und ein Messer hatte Tschirill nicht. Er war ja in Hemdsärmeln, ohne Wams, ohne Schuhe, so wie er aus dem Schlafe aufgesprungen war. Was sollte er thun? Was hatte er vor? Er wußte es nicht. Nur den Herrn nicht verlassen! Das allein wußte er. Er war auch übrigens wie ein Kind, und kannte weder Weg noch Steg, noch Gegend, noch Ortschaft. Er war seit Jahren Tag und Nacht um den Grafen gewesen. Aus der Schottenabtei war er mit ihm bei Morgengrauen heraufgefahren in den Wald, und seit der Zeit hatte er das Jägerhaus mit keinem Tritt verlassen. Er kannte Dornbach nicht, durch welches der Wagen polterte, Hernals nicht, wo er nahe am »Geschloß« vorüberrasselte, er wußte nicht, daß hier Hilfe zu finden wäre. Ein wenig blöd durch die Erschütterung seines Kopfes, entschlug er sich allmälig jedes weiteren Sinnens, lief streckenweise, wenn das Gefährt sehr langsam ging, und sprang wieder auf, wenn die Pferde rascher ausschritten. Seinem Herrn durch die Plane zuzurufen, daß er da sei, wagte er nicht, weil es vorn gehört werden könnte vom Hausknechte und Fuhrknechte. Beide wechselten übrigens auf der Fahrt kein Wort mit einander.

Erst als der Wagen am Gottesacker zwischen Hernals und dem Schottenthore anlangte, wendete sich der Fuhrknecht auf seinem Sattel herum und fragte:

– Zum Schottenthore oder zum Stubenthore?

Die Antwort ließ warten. Der Hausknecht hatte geschlafen. Der Schlaf aber hatte ihn gestärkt, und sein dicker Schädel erinnerte sich kaum noch der näheren Bekanntschaft mit einem Kastanienbaume da oben. Er erinnerte sich aber allmälig seiner Aufgabe, nachdem er in den inneren Wagenraum geblickt, und den weißen, wahrscheinlich schlafenden Mann entdeckt hatte.

– Halt still! antwortete er zunächst dem Fuhrknechte.

Und als die Pferde stillstanden, fragte er weiter: wo sie wären? Und als dies aufgeklärt war, antwortete er endlich auf die erste Frage:

– Wir sollen durchs Stubenthor eini! Aber der Weg an den Lucken hin wird schlimm sein –

Am Schottenthor, erwiderte der Fuhrknecht, sei's auch schlimm. Dort würde »a Schanzl« aufgerichtet, und da läg' so viel Erdreich und Stein' und Holzwerk umher, daß man sich nicht durchfände bei der Nacht. – Die beiden Feldherren entschieden sich also doch für den »schlimmeren« Weg nach dem Stubenthore. Es gehörte zu den wunderlichen Spielen des Schicksals, daß ein Mann wie Graf Zdenko solchen schwachköpfigen Gesellen überantwortet war, die von seiner Bedeutung nichts ahnten, und aus deren Händen er in einsamer Nacht so leicht zu befreien gewesen wäre. Der dritte Feldherr mit ebenfalls mäßigen Geistesgaben, dachte jetzt wirklich daran, ob ein Versuch zu machen wäre. Aber das Messer fehlte! Er müßte die Stränge der Pferde durchschneiden, eh' er versuchen könnte, mit den zwei Leuten fertig zu werden.

– Und dann der gnädige Herr in finsterer Nacht! Wohin mit ihm? Gehen wird er nicht können, und ich weiß nicht, wohin ich ihn tragen soll. Nun fängt's auch an zu regnen. Nässe verträgt er gar nicht!

Und der arme Tschirill ergab sich in Geduld hinten auf seiner Stange.

– Was sind denn das für Feuer auf der Bastei? fragte der Hausknecht, noch ehe es weiterging.

– Das werden die Lärmstangen sein, weil die Böhmen kommen! entgegnete der Fuhrknecht und trieb endlich, nach rechts biegend, seine Pferde wieder an.

Die »Lärmstangen« leuchteten ihm jetzt auf dem Wege zur Ostseite der Stadt hinüber. Sie hatten Pechbündel an ihrer Spitze, und wurden an befestigten Orten brennend aufgepflanzt, um der Umgegend anzuzeigen, daß der Ort in Gefahr sei, daß sich auswärtige Einwohner heimbegeben, zur Hilfe bereite Kräfte eilen möchten.

Am Stubenthor wurde der Wagen von einem Wachtposten angerufen. Der Hausknecht lieferte den Nachweis, daß Gefährt und Inhalt ins Jesuitencollegium gehörten, und nach kurzer Pause öffnete sich knarrend das schwere, gewaltige Thor. Durch das bombenfeste Gewölbe desselben, welches eine Biegung machte, rollte mit dumpfem Geräusche der Wagen. Hinter ihm schlossen sich unheimlich schallend die Thorflügel – Graf Zdenko war in der Gewalt seiner Feinde.

Tschirill hinten wurde nicht bemerkt. Durch die erste Straße rechts von der Wollzeil lenkte der Kutscher hinüber nach dem Universitätsplatze, und einige Minuten später hielt der Rüstwagen vor dem Jesuitencollegium.

Der Hausknecht stieg ab und läutete an der Hausglocke. Die Thür wurde rasch geöffnet, der Thürhüter schien darauf gewartet zu haben. Als er des Wagens ansichtig wurde, rief er ein paar Worte zurück in den gewölbten Hausflur, und ein paar junge Männer traten rechts aus der Stube des Thürhüters. Sie waren in der schwarzen Tracht des Ordens, und mochten Coadjutoren wie Norbert und beauftragt sein, den alten Ketzer in Empfang zu nehmen.

Der Hausknecht war nun die Stufen wieder zurückgestiegen, und hatte in den Wagen hineingerufen: der »Mann« solle aufstehen und absteigen. Der »Mann« that es, that es ohne Widerrede. Er verrieth gar keine Schwäche. Sein Geist, auf den Untergang gefaßt, beherrschte den Körper mit wunderbarer Macht. Nur von der Deichsel hinab bedurfte er der stützenden Hilfe des Hausknechts.

– Leih' mir Deine Schulter die Stufen hinauf, guter Freund! sprach der Graf milde zu dem breitschulterigen Burschen, der mit Erstaunen jetzt inne wurde, daß die Gestalt des weißen »Mannes« gewachsen sei, und daß Auge, Antlitz und Bart desselben Scheu einflöße.

Tschirill, welcher herzugeschlichen war, versuchte diesmal keinen Widerstand. Er war eingeschüchtert, und wußte nicht was weiter, wenn er seinen Herrn in der fremden Stadt von dannen trüge. Nur bei ihm bleiben wollte er jetzt. Er huschte also still hinter dem Talare des Grafen mit hinauf und in den Hausflur hinein; sein natürlicher Hauptfeind, der Hausknecht, sah ihn nicht. Oben im Hausflur aber, als die jungen Jesuiten den alten Mann von beiden Seiten unter ihre Arme nahmen, und er frei wurde, da entdeckte er beim Lampenschimmer des Flurs den grauen Krauskopf von draußen, und schrie auf.

– Still! rief der Thürhüter, riefen die jungen Jesuiten mit gedämpfter Stimme.

Lautes Wesen war hier überhaupt nicht Sitte, am wenigsten jetzt in stiller Nacht und bei solchem Ereigniß. Heftig, wenn auch leise, berichtete schleunigst der Hausknecht, was der hemdsärmlige Lump ihm draußen angethan.

– Weil ich der Diener des Herrn Grafen bin, und zu ihm gehöre! schaltete Tschirill ein, und wollte diesem nach, der langsam im Flure fortschritt.

– Hier giebt's keinen Grafen und keinen Grafendiener. Zurück! entgegnete der Thürhüter, und winkte dem Hausknechte.

Tschirill ward plötzlich wie von einem Blitze erleuchtet, daß er seinen da hinten fortschreitenden Herrn zum letzten Mal sähe, und ein herzzerschneidender Schrei machte sich Luft in ihm, und mit einem Sprunge wollte er seinem Herrn nach – aber die festen Arme des Thürhüters und des Hausknechts ergriffen ihn unwiderstehlich, und der arme Getreue flog wie ein Bündel rückwärts über die steinernen Stufen hinab auf das Pflaster des Platzes. Glücklicherweise war der Wagen schon fort, an den er geflogen wäre. Unverletzt sprang er auf in seiner Verzweiflung, um neuerdings einzudringen. Die Thür war zugeschlagen und verschlossen.

Er setzte sich auf die Stufen und weinte bitterlich. Der Regen floß jetzt in Strömen auf ihn herab; er merkte es nicht. Sein Bedürfniß war nur, an dieser Schwelle liegen zu bleiben.

Innen im Hause aber wurde Graf Zdenko eine Stiege hinaufgeleitet, und dann rechts einen Corridor entlang geführt bis vor eine offene Thür. Sie führte in eine kleine Zelle. Dort mußte er eintreten. Die Thür schloß sich hinter ihm. Oben, nahe der Decke des kleinen, viereckigen Raumes, war ein mit Eisenstäben vergittertes Fenster. Unter demselben ein Tisch, neben demselben eine hölzerne Lagerstatt, vor dieser ein Schemel. Auf dem Schemel saß Pater Athanasius. Eine kleine Lampe beleuchtete vom Tische her sein Angesicht und den grinsenden Triumph, welcher auf diesem Angesichte zuckte, wie Feuerflammen zucken. Endlich hatte er den gehaßten Grafensohn, den vorgezogenen Liebhaber in seiner Macht.

– Du trittst in Dein Grab, Zdenko. Lerne denn sterben. Auf jenem Tische liegt ein Buch, die Edicte des Tridentiner Conciliums enthaltend. Lerne sie auswendig und bekehre Dich zu ihnen. So lange Du sie bezweifelst, soll Dich die Pönitenz des einsamen Kerkers peinigen mit den Strafen der Ordensregel. Sobald Du sie bekennest, wird Dir ungestörte Muße gewährt zu reumüthigem Sterben.

Zdenko, inmitten des kleinen Raumes stehend, sah ernst und ohne Erregung auf den sitzenden Methodius hinab. Er hatte gewußt, daß sein schlimmer Jugendgenosse hier herrsche, er hatte ihn beim ersten Worte erkannt. Nahe zu ihm hintretend, sah er ihm lange in die unheimlich leuchtenden Augen, und sprach dann mit sanfter Stimme:

– Wie unglücklich bist Du, Methodius!

– Unglücklich?!

– Ein so langes, eifriges Leben hat den Haß in Deiner Seele nicht zu tödten vermocht. Und mit der Stimme des Hasses willst Du mir Christenthum predigen! Sieh, wie glücklich ich daneben bin. Ich werde durch Deine Stimme zurückversetzt in die Zeit unserer Jugend, ehe noch Leidenschaft uns verwirrte. Ich könnte Dir die Hand bieten zum Austausch unserer Gedanken über Gott und göttliche Dinge –

– Wie sie Dein ungebesserter heidnischer Sinn erfindet und ausmalt in seiner Frechheit. Dies frevelhafte Spiel zu beenden, bist Du hier. Dort das Buch, welches Du beschwörst, oder die Marter. Der verwöhnte Herrensohn, welcher jegliche Freiheit, jegliches Gelüst für sich vorhanden glaubte, ist in dieser Stunde untergegangen. Das allgemeine, Allen gleiche Gesetz ergreift ihn und demüthigt ihn. Unterwirf Dich, oder leide! – Am nächsten Sonntage werde ich kommen und nachfragen, ob sich Dein frecher Geist gedemüthigt hat. Wenn nicht, dann werde ich Sonntag für Sonntag die Frage wiederholen bis zum leiblichen Tode.

– Der Dir sanft sein möge wie ein Kuß Gottes!

Entrüstet über die unerschütterliche Ruhe Zdenkos, stand Methodius auf und ging hinaus, die Thür hinter sich verschließend.

– Du hast die Lampe vergessen in Deinem Unmuth! Sie ist mir wol nicht bestimmt – sprach Zdenko leise hinter ihm her.

Dann sah er sich um in der kleinen Zelle, faltete die Hände und flüsterte:

– Im Grabe bei lebendigem Leibe!

Nach langer, schmerzensreicher Pause wankte er zu dem Schemel, und als er eine zeitlang auf ihm geruht, trug er sich den Schemel zum Tische und nahm das Buch, um es zu lesen.


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