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4.

Am andern Morgen stieg die Sonne wolkenlos empor über Wien. Sie versprach einen schönen Tag des Vorfrühlings, und da es zugleich ein Sonntag und ein besonderer kirchlicher Feiertag der katholischen Christenheit war, so erwachte die Mehrzahl der Bewohner heiterer, als seit einiger Zeit, der mißlichen Zeitläufe halber, herkömmlich war.

Im »Löwen« war Frau Riedl zuerst auf dem Platze, und sie zögerte nicht, in den zweiten Stock hinaufzusteigen, um an die dunkel gelegene Zimmerthür des Herrn Hans von Starschädel zu klopfen.

Er war nämlich nicht ausquartiert, wie Tartsch angerathen. Der leblose Gardist war durch Reiben der Schläfe und besonders durch ein Fläschchen mit geistigem Fluidum, welches der wälsche junge Arzt ihm unter die Nase gehalten, ins Bewußtsein zurückgebracht worden, und Frau Riedl hatte ihn eine Viertelstunde später, nachdem sich sein Unfall nur als vorübergehende Wirkung eines unverschämten Faustschlages erwiesen, und er wieder einige Macht über seine Gliedmaßen erlangt hatte, von den beiden Hausknechten fortführen lassen. Zur Wache am rothen Thurme bringt Ihr ihn vorsichtig – hatte sie den beiden Führern eingeschärft – und erzählt hübsch ordentlich, daß wir uns alle Mühe mit dem armen verlornen Manne gegeben, und daß uns die ganze garstige Balgerei sehr leid sei. Wir wären aber zu schwach gewesen, sie zu verhindern, obwol sich Meister Riedl (wenn's auch nicht wahr ist, flüsterte sie beiher) mitten hineingeworfen. Die Menschen wären halt jetzt alle so erschrecklich jäh, und es sei ein Kreuz, Gastwirthin zu sein. Wenn drei oder vier Gardisten morgen Nachmittag einen frischen Trunk brauchen könnten, so sollten sie nur getrost zur »Jause« in den Löwen« kommen –

Kaum war die Expedition zur Thür hinaus gewesen, so hatte ein neuer Ankömmling plötzlichen Schrecken in der Wirthsstube erregt. Ein ältlicher Mann in schwarzem Gewande nach spanischer Art und einem wallenden Mantel darüber hatte sich auf der Thürschwelle des Gastzimmers gezeigt und ohne Gruß hastig nach dem jungen Fremden gefragt.

– Der ist von der Burg! hatte Meister Riedl betroffen vor sich hin gesagt, denn er erkannte die Tracht der kaiserlichen Diener auf der Stelle, und der Gedanke stieg ihm, und wol auch seiner Frau, zu Kopfe, der Spectakel sei schon in der Burg selber gemeldet worden.

Dem war aber nicht so gewesen. Der »junge Fremde« hatte nicht dem Herrn Hans, sondern dem jungen italienischen Arzte gegolten. Der Zustand des Kaisers hatte sich heftig verschlimmert, und deshalb wurde der Schüler Argoli's schleunigst hinaufberufen.

Das Alles hatte im »Löwen« die sorgenvollen Gedanken verwirrt, und dadurch ein wenig zerstreut. Frau Riedl, welche die Absicht eines Quartierwechsels von Seiten der Fremden aus dem Reich mit dem Instinct einer Wirthin wol bemerkt, war blank mit der Sprache herausgegangen. Zugebend, daß Grund dafür vorhanden sei, war sie doch als gute Wirthin nicht geneigt, anständige Gäste auszuquartieren. Der Vortrag des Herrn Hans hatte ihr zudem, obwol sie gut katholisch, einen Eindruck gemacht, welcher für den Redner günstig war. Solch eine Sicherheit klarer Rede und so viel Ruhe im Getümmel hatte ihr an dem jungen Fremdlinge innerlich gefallen, kurz, sie hatte gemeint, es müsse etwas für ihn geschehen. Und zwar zunächst dies, daß er eine ungestörte Nachtruhe genießen könne. Sie hatte also dafür entschieden, daß er getrost in sein Zimmer hinaufsteigen und sich schlafen legen solle. Das Zimmer liege im dunklen Eck, eine spanische Wand vor den Winkel geschoben, und man suche dort gar Niemand. Das werde sie schon besorgen, wenn's nöthig werden sollte. Am andern Morgen aber in aller Frühe müßte weiter gesorgt werden.

So war's geschehen, und die Nacht war ohne weitere Nachfrage vorübergegangen. Vielleicht hatte die Nachricht von der Gefahr des Kaisers sich verbreitet und die Thätigkeit der Polizeibehörden nach andern Richtungen gewendet.

Jetzt klopfte sie aber mit Nachdruck an Herrn Hansens Zimmer, nachdem sie im Heraufgehen auch an der Thür des Herrn von Mitzlau ein scharfes Zeichen zum Aufwachen angebracht hatte.

Herr Hans war schon auf und war eben mit seinem Anzug fertig geworden.

– Ich schicke das Frühstück durch Ihren Diener hier herauf für beide Herren, sprach sie schnell, die Thür nur halb öffnend. Berathen Sie hurtig, denn ausfliegen müssen Sie gleich, wenn Sie auch vielleicht zum Abende wiederkommen können. Die Pferde und das Gepäck können also ruhig hier bleiben.

Damit schloß sie die Thür wieder und stieg hinab, Herrn von Mitzlau oben und Tartsch unten darüber unterrichtend, daß sie im zweiten Stock erwartet würden.

Ungestört ging Alles vor sich, was Frau Riedl ins Werk gerichtet. Die jungen Herren frühstückten im abgelegenen Zimmer des zweiten Stocks und vereinigten sich dahin, daß sie unverweilt das Gasthaus verlassen und nach Schloß Hernals hinausgehen wollten. Dort sei jedenfalls Rath, nöthigenfalls – setzte Mitzlau hinzu – auch Unterstand zu finden, wenn sich im Laufe des Tages erweisen solle, daß die Scene vom Abend vorher Herrn Hans mit polizeilicher Gefahr bedrohe. Herr Hans sollte im Laufe des Tages nicht zurückkehren in den »Löwen«. Mitzlau wollte ihn schon unterbringen, wahrscheinlich auf dem Schlosse draußen. Er selbst, Mitzlau, würde gegen Abend im »Löwen« anfragen, ob was vorgefallen sei, und je nach der Auskunft sollte das Weitere bestimmt werden.

Tartsch hatte den kleinen Mantelsack ausgepackt, und auf Mitzlau's Rath zog Herr Hans ein anderes Wams an, um nöthigenfalls weniger leicht als derjenige erkannt zu werden, welcher am Abende gesehen worden war. Als dies geschehen, wurde Tartsch hinabgeschickt an die Hausthür, um auszuschauen, ob sich etwas Bedenkliches im Salzgries blicken lasse. Wenn Alles unverdächtig erscheine, solle er an die kleine Gasse treten – ein Theil der jetzigen Fischerstiege – auf welche man aus Starschädel's Fenster hinabsehen konnte. Sei Alles sicher, so sollte Tartsch den Hut abnehmen.

Dies geschah. Tartsch spähte links und rechts. Es zeigte sich nichts Auffallendes, er trat an die Ecke hinaus und gab das Zeichen.

Die jungen Männer stiegen hinab. Sie waren übereingekommen, zu Fuß hinauszugehen nach Schloß Hernals, weil sie solchergestalt weniger auffallen würden, als zu Pferde, und die Entfernung nur eine halbe Stunde Wegs betrüge – bei dem schönen Sonnenschein ein angenehmer Spaziergang. Das Haus war noch ganz still; im Hofe waren nur die Hausknechte zu sehen, welche mit Mitzlau's Diener das Riemen- und Sattelzeug putzten. Mitzlau winkte seinem Diener und trug ihm auf, daheim zu bleiben und auch die Pferde des Herrn Hans zu besorgen. Tartsch sollte mit hinaus. Als sie durch die Hausflur schritten, erschien Frau Riedl an der halbgeöffneten Gastzimmerthür, winkte mit der Hand und flüsterte halblaut: Gott segne Ihren Ausgang! Hinter ihr guckte das rosige Köpfchen ihres Töchterleins neugierig hervor, den jungen Cavalieren mit Antheil nachblickend. Sie traten auf die Straße. Es zeigte sich nichts. Tartsch trat zu ihnen, und sie wendeten sich links. Nur Tartsch machte plötzlich eine Seitenbewegung. – Was ist? – Da liegt die rothe Feder des Patrons, der gestern Abend hier heraus – – Heb' sie auf! sagte lachend Mitzlau, und sie schritten weiter.

Es war wirklich hohe Zeit. Kaum waren sie alle Drei links in den »tiefen Graben« eingebogen, nachdem Mitzlau einen Augenblick zweifelhaft gewesen, ob er dem schönen Sonnenschein folgen und über die Brücke am Neuthor hinaus und außen jenseits des Wallgrabens den Weg nehmen solle – da marschirte eine Abtheilung der Stadtguardia unten aus dem Rothenthurmthore gemessenen Schrittes den Salzgries herauf und schwenkte wirklich in den »Löwen« hinein. Es waren acht Mann, und sie verfuhren zum Schrecken der Familie Riedl sehr gründlich und entschlossen. Frau Riedl's Betheuerung, der junge Herr aus dem Reich sei fort, wurde ganz ungläubig aufgenommen, und es erfolgte eine genaue Durchsuchung des ganzen Hauses. Dabei wurde trotz der spanischen Wand das dunkle Zimmerchen entdeckt, und der Scharfsinn des gebietenden Rottmeisters überlegte eben unter vollständiger Lautlosigkeit, ob dies nicht das gesuchte Nest sein könne – da erschien auch Signor Medardo in dem Zimmerchen. Er war fast unkenntlich. Nicht nur die rothe Feder fehlte auf seinem Hute, auch sein Gesicht war sehr verwandelt. Farbige Streifen und breite Pflaster beeinträchtigten die Schönheit desselben geradezu peinlich. Beim Hereinschreiten sah man deutlich, daß er den linken Fuß weniger brauchte als den rechten, und den rechten Arm schien er grundsätzlich gar nicht zu bewegen. Dies erkannte man, als er den ledernen Mantelsack sorgfältig untersuchte, und einige Papiere aus demselben mühselig in sein Wams schob, welches offenbar für die rechte Hand zugänglicher eingerichtet war. All diesen Unbequemlichkeiten entsprechend war sein Humor: durchaus ärgerlich und in Bezug auf den ganzen »weißen Löwen« ungnädig.

– Der Ketzer ist nicht fort, sagte er mit schneidender Schärfe dem bestürzten Meister Riedl ins Angesicht, sondern nur ausgegangen. Voraus in den Stall, leichtsinniger Löwenwirth, der seine Schankgerechtigkeit muthwillig aufs Spiel setzt! Dagegen erhob sich indessen während des Hinabsteigens die Stimme der nachfolgenden Frau Riedl höchst nachdrucksvoll. Von bloßer »Schankgerechtigkeit« könne nicht die Rede sein; der »weiße Löwe« habe vom Kaiser Max her noch ganz andere und unverbrüchliche Privilegien, und sie selbst sei besser katholisch, als mancher Inquisitor, und ein Wirthshaus sei kein Beichtstuhl – das rasselnde Hinabschreiten der Gardisten machte Weiteres unverständlich. Man kümmerte sich überhaupt nicht um ihre Aeußerungen, und als Signor Medardo die vier fremden Pferde gesehen und zwei derselben als die ketzerischen anerkannt hatte, schloß er kurz und bündig folgendermaßen:

– Zwei Mann bleiben hier, um ihn in Empfang zu nehmen, wenn er zurückkehrt. Zwei Mann durchstreifen das Schotten-Viertel, zwei Mann das Wimmer-Viertel; zwei Mann begleiten mich. Mittelgroß ist er; Haar kurz geschoren und lichtbraun, Bart voll und blond, Gesichtsfarbe blaß. Vorwärts!

Unterdessen war der gesuchte Herr Hans mit seinem Begleiter über die Wallgrabenbrücke am Schottenthor hinausgeschritten. Die Landschaft lag im Morgenscheine reizend vor ihnen, dunkel und schön begrenzt von dem Wiener Waldgebirge, welches hier nur eine halbe Stunde Wegs von Wien bis an die Donau gelagert ist. Kein geschlossener Kranz von Vorstädten hemmte, wie jetzt, den Blick; nur Weinberge und einzelne Ansiedelungen lagen zwischen der Stadt und dem Waldgebirge. So lag zur Linken der aus der Stadt Wandelnden ein mächtiges Wirtschaftsgebäude, zum Freilehen der Edlen von Neudegg gehörig und dazumal der »rothe Hof« genannt, an dessen Stelle sich noch heute das »rothe Haus« erhebt. Noch andere solche Maierhöfe erhoben sich auf den alten Rieden der Alserbreite und des Schottenbühels, und auch der spätere Glacisraum war mit Ansiedelungen, den Ueberresten der alten, bei der ersten Türkenbelagerung zerstörten Vorstädte, bedeckt. Dieselben hießen im Volksmunde »Lucken«, und führten von alten Hausschildern wieder besondere Namen. So waren die Gartenhäuser auf dem Wege nach Schloß Hernals »Kater« und »Rosenlucken« geheißen. Als unsere beiden Wanderer an ihnen vorüber waren, sahen sie zu ihrer Rechten den großen Mariazeller Gottesacker, welcher in zwei Vierecke eingemauert war und auch der kaiserliche Gottesacker genannt wurde. Weiter hinaus leuchtete ihnen, von der Sonne hell beschienen, der Thurm von Schloß Hernals strahlend entgegen.

Die Luft war frisch und kräftig, sogar etwas scharf, wie dies zu allen Zeiten der Fall gewesen ist in dem Wiener Becken, wo aus der Donauschlucht in die ungarische Ebene hinab immer ein lebhafter Zug stattgefunden hat. Die Lebensgeister werden dadurch geweckt, und Rudolph von Mitzlau unterrichtete den fragenden Starschädel wortreich über die Situation alles dessen, was sie umgab. Namentlich auch über die zahlreichen Wandersleute, welche vor, neben und hinter ihnen in einer so gewiß gleichmäßigen Sittsamkeit einherschritten.

– Das sind lauter Protestanten, welche zum Gottesdienste nach Schloß Hernals wandeln. Und seht Ihr, seht nur dort an der Mauerecke des Gottesackers den angelehnten Mann! Das ist sicherlich ein Aufpasser, welcher die vorübergehenden Leute zählt und sich genau ansieht, um drin in der Stadt Bericht zu erstatten, sprach halblaut Mitzlau in Herrn Hans hinein, und stand dann plötzlich still, Herrn Hans durch Festhalten am Arme ebenfalls zum Stillstehen nöthigend.

– Was ist?

– Der Reiter da, der auf uns zukommt, wahrhaftig, er ist's!

– Wer?

– Mein Vetter, Freiherr Helmhart von Jörger! und damit eilte er rasch des Weges dahin, um den Vetter zu begrüßen. Als Starschädel nachkam, war der Austausch erster Begrüßungen schon vorüber, und Mitzlau stellte hastig den neuen Freund vor, welcher die neuesten Mittheilungen aus Prag und auch einen Brief bringe von Ludmillas Vater an die Tante.

Herr Jörger sah sehr freundlich vom hohen Roß herunter, und hieß den jungen Mann aus dem Reich willkommen. Auf meine Frau, setzte er hinzu, werdet Ihr ein paar Stunden warten müssen. Ihr Nervenleiden ist empfindlicher als je, und sie hat eine schlaflose Nacht gehabt. Vor Mittag wird sie Niemand sprechen können. Aber die jungen Herren können einmal fromm sein und dem Gottesdienste beiwohnen. Unser neuer Prediger aus der Steiermark ist ein guter Redner. Auch wird sich's Ludmilla, die frisch und munter ist, angelegen sein lassen, die Gäste zu unterhalten. Ich selbst muß nothwendig in die Stadt. Die Nachrichten über den Kaiser stellen die Katastrophe für heute in Aussicht. Da wird sich denn rasch viel zutragen, und die Gleichgesinnten müssen sich besprechen. Auf Wiedersehen, Nachmittags!

Starschädel griff bei diesen Worten in die Brusttasche seines Wamses, als wollte er etwas hervorholen. Ein Blick auf seinen Begleiter Mitzlau schien aber anzudeuten, daß er eine einsame Gelegenheit abwarten wolle, und so grüßte er wie dieser den fortreitenden Freiherrn, und schritt mit Rudolph an dem berittenen Diener des Freiherrn vorüber auf Schloß Hernals zu. Plötzlich blieb er denn doch stehen und sagte: Erlaubt einen Augenblick! Ich bin sogleich wieder bei Euch. Ich hab' noch eine kleine Bestellung vergessen an Euren Herrn Vetter!

Und damit sprang er behende zurück, dem Freiherrn mit lauter Stimme nachrufend. Der Diener wiederholte den Ruf; der Freiherr hielt sein Pferd an. Starschädel trat dicht zu ihm, und so unscheinbar wie möglich, gleichsam als ob er nur den Hals des Pferdes klopfe, reichte er ihm einen kleinen Zettel, auf welchem mit Bleistift geschrieben nur wenige Worte standen. Dabei sagte er halblaut: Vom Herrn von Loß! Da Ihr drin in der Stadt sogleich Beschlüsse fassen könntet, so ist es rathsam, Ihr lest diese Zeilen sogleich.

Der Freiherr that dies, und schwang sich sogleich vom Pferde, seinem Diener winkend. Gut, daß Ihr nicht gezögert habt. Laßt uns zusammengehen und unterrichtet mich. – Peter, führ' die Pferde langsam hinter uns drein. – Vetter Rudolph, ich entführ' Dir unsern Gast. Gieb den Brief – ich bitte darum, junger Freund – an meine Frau draußen ab. Dann hat sie ihn gelesen, wenn wir zurückkommen. – Da trag' ihn hin, Peter!

Und damit nahm er Herrn Hans, der seinen Brief eingehändigt, unter den Arm und schritt mit ihm der Stadt zu, die Leute, welche sich ein wenig um die Gruppe angesammelt, freundlich grüßend auf ihr zahlreiches »Guten Morgen, Herr Baron!«

Mitzlau war etwas betroffen, nahm den Brief vom Reitknecht, blieb eine Weile stehen, schüttelte den Kopf und ging dann langsam in seiner Richtung weiter.

Tartsch schüttelte ebenfalls den Kopf zu dieser Umkehr seines Herrn nach der Stadt zu. Er hatte zwar den Einzug der Stadtguardia in den »Löwen« nicht mehr gesehen, und wußte auch nichts von den Maßregeln der »rothen Feder«, aber es schwante ihm hartnäckig gefährlich Unheil von diesem runden, enggeschnürten Steinhaufen da drüben, auf welchen Herr Hans Arm in Arm mit dem Hernalser Cavalier eben wieder zuschritt. Kopfschüttelnd trollte er ihnen nach.

Ihr Gespräch schien vorzugsweise in einer Berichterstattung Starschädel's zu bestehen, welche Freiherr Jörger nur durch einzelne Ausrufungen und kurze Fragen unterbrach. Die böhmischen Herren sind fest entschlossen, antwortete Starschädel auf eine solche Frage, auf keinerlei Antrag, Versprechen und Friedensvorschlag einzugehen. Sie zweifeln an solchen Vorschlägen und süßen Worten keinen Augenblick, wenn Ferdinand heute an die Regierung kommt. Sie kennen das, wie sie sagen, nur zu gut aus Erfahrung. Zeit, Raum und lange Hände will er gewinnen, um später desto besser würgen zu können. Sie meinen über seinen Charakter unzweifelhaft im Klaren zu sein. Ein Schüler der Jesuiten, innerlich zäh und an seinen Beruf glaubend, werde er, wie in der Steiermark, nichts Anderes ertrachten, als die neue Lehre mit Stumpf und Stiel auszurotten. In dieser Sicherheit wollen sie handeln, unverzüglich handeln und unverrückt. Demgemäß möchtet Ihr auch Eure hiesigen Schritte einrichten. In allen Theilen Böhmens wird geworben. In einigen Wochen schon wird ein Kriegsheer beweglich sein. Graf Thurn wird es führen, und, was die Hauptsache für Euch ist, er wird es hierher führen. –

– Auf Wien?

– Direct gegen Wien. Darnach möchtet Ihr Eure Anstalten treffen im Verein mit denen ob der Enns, wohin Herr Otto von Loß die genaue Auskunft an Tschernembl in diesen Tagen bringt oder schon gebracht hat. Graf Thurn setzt hinzu, Ihr möchtet, sobald die Nachricht seines Kriegszugs verlautbart, in Wien überall aussprengen, daß er über Budweis an die Donau herabkomme, um die Kräfte des Erzherzogs dorthin zu lenken.

– Er aber –

– Er aber, setzte Starschädel mit gedämpfter Stimme hinzu, werde geraden Weges über Iglau, Znaim, Laa und nach Einnahme der Wolfsschanze, welche er zu überfallen gedächte, bevor die Kaiserlichen starke Besatzung hineinlegen würden, durch die Donau-Auen in den neuen Werd drüben einrücken, die Schlagbrücke nehmen und den rothen Thurm stürmen –

– Leiser!

Sie standen vor der Wallbrücke am Schottenthor, und Tartsch faßte sich ein Herz, seinen Herrn zu unterbrechen und vor dem Wiedereintritt in die Stadt zu warnen. Herr von Jörger fragte, ob etwas mit ihm vorgefallen sei. Starschädel erzählte ihm kurz Alles, was ihm von der großen Brücke draußen bis heute Morgen begegnet wäre, und daß es allerdings ihm gerathen scheine, der »rothen Feder« und seinen Gesellen zunächst ein wenig aus dem Wege zu gehen.

– Ach bewahre! sagte der Freiherr. Das ist untergeordnetes Häschervolk. Die Kette reicht zwar hinauf, aber oben ist jetzt die Sorge um wichtigere Dinge vorherrschend. Auf eigene Faust wagt es die Stadtguardia nicht, in diesem Alles in Frage stellenden Moment einen Cavalier zu ergreifen und zu verhaften. Diese Besorgniß ist übertrieben. Besonders an meiner Seite. Sie fürchten uns ehrlich. Und sie haben Grund dazu. Für unsere gemeinsame Angelegenheit ist es aber hochwichtig, daß Ihr Eure Mittheilungen und Aufträge einem größeren Kreise vortragt, damit sie sogleich zur Richtschnur unseres Handelns dienen. Wir haben diesen Vormittag eine Ausschußconferenz beim Wildling unten auf der Seilerspinnstatt. Dorthin führ' ich Euch, wenn Ihr's erlaubt.

– Ich folge Euch, erwiderte Starschädel entschlossen, und sie schritten über die Brücke ins Schottenthor hinein. Tartsch schüttelte sich in Aerger und Unbehagen; aber es blieb ihm nichts übrig, als hinterdrein zu gehen. Er empfand nämlich auch, daß etwas gewagt werden müsse für die »gute Sache«, um deren willen sie ja doch daher gekommen, und der lange Freiherr, welcher da seinen jungen Herrn führte, machte ihm den Eindruck, als sei er wol Einer von denen, die von Bedeutung und an der Spitze sein möchten. Die lange, schlanke Gestalt, welche sich kerzengerade hielt, der vornehme Kopf, welcher angenehm lächelnd den zahlreich grüßenden Leuten dankte, die schönen Pferde, welche der Reitknecht nachführte, das Schloß draußen, wo den Glaubensgenossen der reine Gottesdienst geboten wurde – Alles das imponirte dem Tartsch, und was er so im Nachgehen an einzelnen Worten aufgefangen, das deutete auf den Ernst der Sache. Er schüttelte sich und schritt resolut hinterdrein.

Ueber die Freiung durch das enge Gäßchen des Heidenschusses hinauf ging ihr Weg. Es war noch nicht gar lange her, daß hier am Heidenschusse erst die eigentliche Stadt begonnen, und die »Freiung« noch draußen im »Freien« belegen gewesen war. Ueber den »Hof«, den ältesten Fürstenplatz Wiens, wo die Babenberger ihr Herrenhaus gehabt an der Stelle des jetzigen Hofkriegsgebäudes, durch die Bognergasse nach dem Graben schritten die drei Männer. Wien war damals – obwol schon erweitert durch den Anbau der Freiung, des Grabens, des Kohlenmarktes, der Preiden- und Rathhausstraße (jetzt Breunerstraße) – unvergleichlich viel enger, dunkler und verbauter als jetzt, und Luft wie Licht war ihm sehr spärlich zugemessen. Am Eingang der Bognergasse nach dem Graben zum Beispiele hatte der Freiherr nicht geringe Mühe, seinen Gast leidlich durch das Gedränge der Kirchengänger hindurchzubringen. Denn hier traten die Gebäude in finsterer Enge zusammen. Die links einmündende Spänglergasse war durch ein Thurmthor abgesperrt, welches das Peilerthor hieß; und den Zugang zum Graben und Kohlenmarkt verengte eine große Häusergruppe. Der Graben, wo endlich die Sonne wieder zu finden war, und wo die Dreifaltigkeitssäule noch nicht stand, gestattete erst wieder rascheren Schritt bis zur Enge vor dem Roßmarkte, dem jetzigen Stock-im-Eisen, und hier sah Herr Hans zum ersten Male den Stephansthurm in voller Nähe und hielt Herrn Jörger einen Augenblick fest, um an dem prächtigen Bauwerke hinaufzuschauen.

Aber auch dieser vielleicht schönste Thurmbau Europas war damals arg verstellt, und der jetzige Stephansplatz war viel geringer. Kirche und Thurm traten keineswegs wie jetzt frei an die Straße, sondern eine ganze Linie von Häusern, im Untergeschosse mit Kramläden angefüllt, schob sich davor. In einem Quadrat war die Stephanskirche rings verbaut und eingeschlossen, und vier Thore führten auf den Friedhof, welcher sie umgab. Stephanfreithof war er geheißen. Hier vor demselben fanden unsere Wanderer das Menschengedränge, welches der kirchliche Festtag herbeigeführt, undurchdringlich, und Freiherr von Jörger mußte das erste Thor, das Neidhartsthor, zum Durchgang wählen. Weiter hinab gegen die Bischofsgasse zum Meßnerthore war nicht durchzudringen. Dort nämlich sollte später der Hauptactus des Festes stattfinden, und deshalb hatten sich dort die Menschen schon jetzt in dichten Schaaren aufgestellt. Dort wölbte sich in damaliger Zeit ein Bogen von der Ecke der Bischofsgasse hinüber zur Brandstätte. Dieser Bogen trug ein Stockwerk mit großen Fenstern, und wurde der Heilthumstuhl genannt. Aus diesen Fenstern sollten um zehn Uhr dem andächtigen Volke die Heiligthümer der Domkirche, die reichgeschmückten Reliquien, darunter ein Partikel des Kreuzes Christi, gezeigt werden. Die großen Fenster waren jetzt schon mit Teppichen geschmückt und mit den ersten Knospen von Weidensträuchern.

Freiherr von Jörger wagte es nicht, in dem Gedränge eine ketzerische Bemerkung gegen seinen Begleiter zu machen, sondern zog ihn in den Friedhof hinein, und über diesen hinweg am Stephansthor vorüber, welches in die Singerstraße hinausführte, gingen die drei Ketzer schweigend nach dem Leopoldsthor links hinüber in die große Schulerstraße hinaus, ihren Weg nach der Seilerstätte hinab in allmälig schnellerem Tempo verfolgend.

– Unsere Zahl hier ist doch wol noch sehr gering? flüsterte endlich Herr Hans an menschenleerer Stelle.

– Gering! antwortete halblaut der Freiherr. Der Bürgerstand in Wien ist unsere schwache Seite; der Herrenstand ist unsere Stärke.

Damit traten sie auf die Seilerstätte hinaus, so genannt von der Spinnstatt, das heißt dem Arbeitsplatze, welchen die Seiler an Wochentagen hier hatten, und bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts allgemein mit dem vollen Namen »Seilerspinnstatt« belegt. Dieselbe hatte nur eine Häuserreihe gegen die Stadt zu, von der andern Seite war die damals weit engere Gasse durch die kahle Stadtmauer selbst begrenzt. Jetzt war es da unten einsam und still. Nur der schwere Galopp einiger Pferde von der Wallfischgasse her unterbrach das Schweigen. Er näherte sich, und der Freiherr sagte:

– Das kann Einer von uns sein. Richtig! Es ist Thonradl.

Auf einem schweren Rosse kam dieser, ein schwerer, dicker Herr, auf sie zugesprengt, winkte Herrn Jörger mit der Hand zu, hielt, wälzte sich vom dampfenden Gaul herab, warf die Zügel dem abspringenden Reitknechte zu, und rief mit lauter, roher Stimme ihnen entgegen:

– Aufi, aufi, 's geht los! Damit klirrte er in das Haus hinein, zu welchem Jörger und Hans ebenfalls die Schritte gelenkt hatten.

Tartsch ward beordert, unten zu warten. Er setzte sich auf einen Stein vor dem Hause und hatte das halb angenehme, halb peinliche Gefühl, Mitspieler in einem Stücke zu sein, welches eben beginne, und dessen sehr wichtiger Verlauf doch gefährliche Folgen haben könne für die Mitspieler, auch für die untergeordneten. In dieser Stimmung beobachtete er die vier Reitpferde, welche an ihm vorüber hin- und hergeführt wurden – plötzlich fuhr er in die Höhe und zog sich hinter die Hausthür zurück. Aus der Annagasse herab war das Piquet der Stadtguardia, welches Signor Medardo selber führte, in die Seilerstätte einmarschirt und kam auf das Haus zu, in welches er zurückgetreten. Tartsch erkannte die Feinde von gestern auf der Stelle und auch den arg zugerichteten Anführer, dessen rothe Feder in seinem Wamse steckte und sich zu bewegen schien. Wenigstens bewegte sich das Herz des alten Knaben unter derselben ziemlich hastig.

Er sah durch die Angelspalte der Hausthür, daß Signor Medardo bei den Reitknechten stehen blieb und sie anredete. Diese schienen aber kurz angebunden zu erwidern, und nachdem Medardo einen Moment lang, wie es schien, unschlüssig auf das Haus geblickt hatte, marschirte er zu einiger Herzenserleichterung Tartschens weiter, hinab nach der Gegend des Stubenthores. Tartsch, sich langsam hervorwagend, sah ihnen nach und wischte sich plötzlich die Augen. Er meinte, sie spiegelten ihm ein Luftgebilde vor; denn mitten in der engen Gasse, in welcher eben das Piquet marschirt war, stand deutlich die große viereckige Gestalt des Bart-Conrad, drohende Zeichen machend hinter dem verschwindenden Piquet, lustige Zeichen gegen Tartsch, der allmälig ganz vorgetreten war. Er war es wirklich, und näherte sich langsam und behaglich dem Wildling'schen Hause, den neuen Freund Tartsch freundlich begrüßend. Auf Tartschens Pantomime des Erstaunens sagte er lachend, wenn auch halblaut: Kein Mirakel, Herr Gevatter, kein Mirakel, wir kennen uns aus! Hier beim Wildling ist unser stilles Hauptquartier. Von hier kommen Morgens die Weisungen – siehst Du da hinten im Hofwinkel das Guckloch und ein Paar Augen drin? Das sind des Thürhüters Augen, des langen Jobst. Dem entgeht nichts. Und der hat drei Buben, die tragen die Parole aus, und der jüngste von ihnen war heut' Morgen bei mir. Ich ging gleich mit ihm, und schickt' ihn nebenbei in den »Löwen«, um zu erfahren, was da passirt sei. Ein paar Kerle von der Guardia liegen drin und warten auf Deinen Herrn. – Oho! – Ja, Gevatter, und deshalb such' ich Euch. Aber das war nicht leicht; bis mir am Peilerthor der Raschmeister begegnete. Der hat Euch mit Herrn Jörger hier abwärts gehen sehen. Da wußt ich schon wohin, und folgte, mußte aber einen Seitensprung machen vor dem Spion mit seinem Piquet – er sieht sauber aus, nicht wahr? setzte er mit heller Lache hinzu, und zog Tartsch in den Hof des Hauses zu dem Winkel mit dem Guckloche. Dies öffnete sich mit seiner schmalen Thür, und ein baumlanger Mensch mit schmalen Schultern und einem faltigen, magern Gesicht ward sichtbar und winkte. Das ist der Jobst! flüsterte Conrad. Wart' einen Augenblick, bis ich ihm Rapport erstattet; dann ruf' ich Dich hinein, und wir frühstücken. Ich bin noch nüchtern wie eine Winterlerche.

Nach etwa fünf Minuten rief ihn Conrad. Er wie Tartsch gedachten dabei nicht, daß die widerwärtige »rothe Feder« nicht weit marschirt, sondern noch in der Nähe sein könne. Und doch war dem so. Medardo wußte sehr gut, was das Wildling'sche Haus zu bedeuten habe. Er brachte seine Leute in einem Schuppen nahe beim Jacoberkloster unter und postirte sich selbst so, daß er die Thür jenes Hauses im Auge behielt.

Mittlerweile wurde Tartsch als Glaubensgenosse empfohlen und in die unscheinbare Winkelklause des Wildling'schen Haushüters aufgenommen. Zunächst schien es nur ein kleines Gemach zu sein, in welchem Betten und Schränke den Platz aufs äußerste verengten. Einer näheren Bekanntschaft aber entwickelten sich mannigfache Erweiterungen. Durch einen grünen Sergevorhang ging's in eine kleine Küche, und in dieser zeigte die jetzt offene Thür eines Wandschrankes in eine dämmerige Oeffnung, welche schwerlich zur Lüftung für Kleider oder Gerüche angebracht war. – Der lange Jobst schüttelte Tartsch mit überraschender Herzlichkeit und Heftigkeit die Hand, und seine Frau, ein schmales, blasses Geschöpf, brachte eilig ein Frühstück auf den Tisch, dabei mit sichtbarer Achtung und Neugierde den verwitterten grauen Diener aus Sachsen betrachtend. Conrad hatte nämlich in aller Eile die Mittheilung gemacht, dieser würdige Glaubensgenosse aus dem Reich sei ein Landsmann des Dr. Luther, und sein Großvater habe diesem großen Religionsstifter auf der Wartburg die täglichen Dienste eines Kammerdieners geleistet. Dies hatte am Abend vorher Tartsch, dessen Familienstolz darin beruhte, dem Bart-Conrad im »Löwen« mitgetheilt, ehe dort die unruhigen Scenen losgebrochen waren, und es war dies allerdings geeignet, dem alten Knaben eine außerordentliche Theilnahme von denjenigen zuzuwenden, welche unter steter Bedrängniß und Gefahr dem lutherischen Glauben anhingen. Besonders unter Leuten niedrigen Standes, denen ein geschichtliches Herkommen stets ein gewisser Zauber ist, sowie sie für jegliche geschichtliche Darstellung, betreffe sie auch nur ein Ereigniß von gestern, immerdar die gefälligste Aufmerksamkeit hegen. Je weniger ihr Verstand ausgebildet ist für abstractes Denken, desto begieriger sind sie, sich alle dem hinzugeben, was vermittelst der Phantasie an ihre Denkkraft streift. Tartsch war also für Jobst und sein Weib eine höchst würdige und höchst interessante Person, und sie horchten mit athemverhaltender Andacht, als er erst ausführlich das Aeußere und Innere seines Großvaters und alsdann das persönliche Verhältniß desselben zu Dr. Luther schilderte. Der Angriff des Teufels namentlich, welchen Dr. Luther nach des Großvaters Bericht auf der Wartburg zu bestehen hatte, war der Höhepunkt von Tartschens Schilderungen. Sein Großvater sei hinzugestürzt, als der Doctor mächtig geschrieen und das Tintenfaß nach dem Teufel geworfen habe. –

– Er war aber fort, als der Großvater kam? fragte stöhnend und kaum verständlich Jobst dazwischen.

– Wer?

– Der Teufel –

– Freilich! nur der Gestank war zurückgeblieben, und die Tinte floß noch von der Wand über die Diele. Der Herr Doctor selbst war, erschöpft von dem Kampfe, rückwärts in den Lehnstuhl gesunken.

Der Bart-Conrad brach in ein wieherndes Gelächter aus. Erschrocken fuhren Tartsch und Jobst mit seinem Weibe zurück, und fragten schweigend, blos durch Zeichen, was ihn anwandle.

– Am Ende glaubt Ihr nicht einmal an den Teufel? stöhnte endlich Jobst.

– An den Teufel und seine Großmutter glaub' ich, entgegnete Conrad unter fortdauerndem Gelächter, nur nicht daran, daß sie auf der Erde spazieren geh'n wie die Capuziner!

– Wie meint Ihr das? fragte Tartsch mit dem Tone eines Beleidigten.

– Tschapperl, die Ihr seid! rief Conrad, immer noch lachend. Wenn Ihr Euch den leibhaftigen Teufel aufschwatzen laßt, so müßt Ihr auch wieder an all' die Erscheinungen und Wunder glauben, welche die Pfaffen aufspielen, und welche wir endlich mit Mühe und Noth losgeworden sind. Wunder ist Wunder, hat mir neulich ein junger Calviner-Student aus Ungarn auseinandergesetzt; Wunder ist Wunder, mag's weiß ausseh'n oder schwarz. Was man nicht mit Händen greifen kann, das kann man auch nicht zeigen, und was man nicht zeigen kann, das soll man Niemandem aufdisputiren, sagte der Calviner. Und damit hat er Recht; und darin hatte er auch Recht, daß er sagte: wir Lutherschen wären eben noch halbe Katholiken, weil der Dr. Luther noch garstig viel übernatürliches Zeug im Leib behalten und Zeit seines Lebens behauptet habe. Er sei eben in der Jugend ein Mönch gewesen, ein Augustiner-Mönch, und davon sei ihm Staub in den Haaren geblieben bis in den Sarg.

Eine peinliche Stille folgte auf diese Aeußerung.

– Seid Ihr ein Calviner? fragte endlich Tartsch mit ersichtlicher Bitterkeit.

– Das bin ich nicht. Bin als Augsburgscher Protestant getauft, aber wenn ich studiren könnt', möcht' ich mich wol auf den Calviner 'nauswachsen –

– Davor behüt' Euch Gott! murmelte Jobst.

– Das versteht Ihr nicht! erwiderte Conrad ärgerlich. Ich komm' mehr herum als Ihr, und sprech' mit gescheidten Leuten. Besonders im Budweiser Kreise giebt's junge Leute, die vom Rhein stammen und aus der Pfalz 'rein kommen; die sind, was man sagt, richtig aufgeklärt und beweisen Einem, daß die Apostel in der Schweiz, der Zwingli und der Calvin, die Lehre am reinlichsten ausgewaschen haben. Da in der Schweiz hat's von Alters her nicht so viel Fürsten und Vornehme gegeben, wie bei uns, und da ist der Respect den Leuten nicht so tief eingewachsen, und deshalb haben die Schweizer Apostel von Mutterleib aus nicht so viel Uebertriebenes geglaubt.

– Pfui, pfui, Herr Conrad! rief Tartsch in tiefem Basse dazwischen. Der Unglaube ist so schlimm wie der Aberglaube, und der Calviner so schlimm wie der Päpstliche.

– Ja, ja! flüsterten Jobst und sein Weib.

– Dummes Zeug! schrie Conrad. Ihr werdet's erleben. Dort von Böhmen wird's ausgeh'n. Wißt Ihr, wer König von Böhmen wird?! Der Kurfürst vom Rhein wird's, der Pfalzgraf aus Heidelberg. Und der ist ein Calviner – die jungen Leute im Budweiser Kreise sind seine Lerchen, die vorausgeflogen sind – larifari! wir machen's hier in der Spelunke nicht aus, schiebt mir den Wein her, ich will frühstücken ohne Kopfzerbrechen.

Die Andern schwiegen und sahen ihn mißbilligend an. Der lange Jobst besonders litt darunter. Er war ein fanatischer Anhänger des Dr. Luther, und hatte in der Dunkelheit seines Hofstübchens Frau und Kinder im Cultus des Dr. Luther eifrig unterrichtet. Es war ihm doppelt unangenehm, daß seine Frau dergleichen gehört hatte, und er war nur froh, daß die Buben auswärts waren. Im Grunde aber hatte er einen versöhnlichen Charakter und war zu Thränen geneigt. Während also Conrad kaute und schlürfte, vertiefte sich sein etwas hypochondrisches Wesen in die religiösen Gedanken, welche seinen Hausschatz bildeten, und er hob endlich, indem er mit überfließendem Auge zu seiner Frau aufsah, das Glas voll Wein, welches vor ihm stand, und nickte der ebenfalls weinenden Ehehälfte zu. –

– 's ist recht, Jobst! schluchzte diese.

– Nicht um's Trinken ist mir's, sprach er leise mit thränenweicher Stimme, aber um dem lieben Gott zu danken, daß er uns den frommen Doctor in Sachsen erweckt hat, der uns das Blut des Herrn, den Kelch beim Abendmahle, wieder erobert hat. –

– So sprechen die Calixtiner unter den Hussiten! stieß Conrad mit vollem Munde hervor.

– Mich durchschauert's immer, fuhr Jobst fort, ohne die Zwischenrede zu beachten, wie ein himmlisches Fieber, wenn ich in der Stille den Wein vor mir sehe. Gott beschütze uns!

Dabei nippte er, in volles Weinen ausbrechend, von dem vollen Glase und reichte es seiner Frau, während Tartsch ihm die linke Hand krampfhaft drückte.

– Wein ist Wein, rief mit grellem Tone Conrad, und er stellt nur vor, sagen die Calviner, was Ihr d'raus macht. Wohl bekomm's!

Und dabei leerte er das Glas mit einem Zuge. – Die Erwiderung hierauf wurde grell abgebrochen durch ein heftig knarrendes Geräusch hinter dem Vorhange. Frau Jobst eilte hin und sah ihren ältesten Buben aus dem Küchenschranke, welcher also wirklich als Thür ins Innere des Hauses benützt wurde, hervorpoltern.

– Sie gängen aussi! rief er, ehe er noch ganz heraus war aus dem Schranke.

– Schon!? sprach Jobst, indem er auffuhr und nach der Thür eilte, welche in den Hof führte.

– 's ist 'ne Post gekommen vom Landhause, sprach der hastig eintretende Knabe.

– Vom Landhause?! wiederholten gleichzeitig Conrad, der ebenfalls aufgesprungen war, und Jobst, welcher nun rasch seinen langen Leib über den Hof in den vorderen Hausflur schob, um den abziehenden Herren Cavalieren dienstfertig zu sein. Conrad und Tartsch folgten. Und in der That sahen sie, noch ehe sie bis in den Hausflur gelangt waren, daß die Cavaliere, wol zehn an der Zahl, hastig die Stiege herabdrängten, und hörten, daß die von Jörger und Thonradl nach ihren Pferden riefen.

Jobst machte sich heftige innere Vorwürfe, daß er in seiner andächtigen Rührung seine Schuldigkeit versäumt und den Boten verpaßt hatte, welcher doch durch den Hausflur einpassirt sein mußte, und stachelte sich jetzt zu den längsten Schritten, um besonders Herrn von Jörger's Pferde schnell herbeizuschaffen.

Freiherr von Jörger selbst, welcher sich stets durch eine gewisse Ruhe und ein würdevolles heiteres Aussehen hervorthat, schritt eben Arm in Arm mit Hans von Starschädel aus dem Hause, und sagte zu diesem: 's ist ein ohnmächtiger Versuch der katholischen Landstände, uns mit einem voreiligen Beschlusse zu überrumpeln. Es könnte ihnen auch ohne uns schwerlich gelingen, denn sie sind so in der Minderheit, daß sie kaum die zu einem Beschlusse nöthige Anzahl zusammenbringen. Aber besser ist es doch, wir eilen hin. Auch ein Formstreit über die nöthige Anzahl wäre jetzt hinderlich. Ich ersuche Euch also, junger Freund, welchem wir für die wichtigen und so einleuchtend vorgetragenen Mittheilungen Alle verpflichtet sind, mich in diesem Augenblicke zu entschuldigen. Ich hätte Euch gern selbst in meinem Hause eingeführt, und muß mich nun damit begnügen, Euch erst in ein paar Stunden dort begrüßen zu können. Natürlich bitte ich Euch aber als meinen werthen Gastfreund trotzdem, sogleich mein Hernals zum Ziele Eures Wegs zu machen. Meine Frau wird sich sehr freuen, Euch zu empfangen. Also auf baldiges Wiedersehen!

Dabei schwang er sich in den Sattel und ritt nach der Annagasse hinauf. Thonradl hatte desgleichen gethan, und die Fußgänger hatten dieselbe Richtung eingeschlagen.

Herr Hans, Tartsch, Conrad und Jobst blieben allein vor der Hausthür zurück. Herr Hans, mit gutem Ortssinne begabt, sah sich um und erkannte, daß er sich nach der andern Seite, daß er sich links zu wenden habe, um denselben Weg nach Hernals zu treffen, auf welchem er hergekommen war. Das Uebelste was er thun konnte! Zunächst weil er gerade auf die Gegend zuschritt, wo Signor Medardo höchst wahrscheinlich noch im Hinterhalt steckte, und dann, weil er auf diesem Wege durch die Stadt die Menschenmassen durchschneiden mußte, welche in den Straßen um den Stephansdom zur religiösen Feier versammelt waren. Aber weder er noch Tartsch, welcher mit beredsamem Händedrucke vom braven Jobst schied, ahnten etwas von einem Hinterhalte, und der Bart-Conrad, welcher unberufen mit ihnen ging, dachte entweder nicht mehr daran, oder hatte in seinem dreisten Uebermuthe nichts dagegen, daß eine lärmende Begegnung auf der Straße entstünde. Der wilde Patron schien fast darauf auszugehen, daß ein offener Ausbruch in der Stadt Wien endlich einmal zu Stande käme. So schlenderte er, scheinbar sorglos, neben Tartsch hinter Starschädel her, welcher in der Richtung des jetzigen Jacoberhofes, damals zu dem Nonnenkloster gleichen Namens gehörig, voranschritt. Die Gegend dort war ziemlich wüst. Nach dem Wall hinüber standen nur vereinzelt ein paar kleine Häuschen, in welchen gemeine Schänkwirthschaften gehalten wurden. In einem dieser Häuschen hatte Medardo seine Leute untergebracht, und zufällig war er eben auch selbst in die Schänkstube getreten, als Herr Hans vorüberschritt. Das Glück schien also den sogenannten Ketzern günstig zu sein, und Herr Hans hatte noch die gute Idee, nicht in die enge Schulerstraße einzubiegen, obwol er ganz gut sah, daß er dort herabgekommen. Er meinte die Menschenmasse oben vermeiden zu können, wenn er über die Richtung des Stephans ein wenig hinaus eine Parallelstraße einschlüge. So ging er bis zur breiteren Wollzeil, und in dieser erst wendete er sich aufwärts. In dem Augenblicke aber, da er dies that, kam auch Medardo wieder aus dem Schänkhäuschen hervor und erkannte den Bart-Conrad, welcher mit Tartsch etwas zurückgeblieben war.

– Fertig gemacht! Vorwärts! rief er sogleich in die Schänkstube zurück, und ein paar Minuten später marschirte er mit seinen Gardisten beflügelten Schrittes nach der Wollzeil hinüber.

Glücklicherweise setzte sich Hans von Starschädel in einen lebhaften, weitausgreifenden Schritt. Nicht weil er eine Ahnung gehabt hätte von der Gefahr, welche hinter ihm nahte, sondern weil er eben unsicher war, ob der dreist erwählte Weg in fremder Stadt zum rechten Ziele führen werde. Der Mensch pflegt in solchem Falle doppelt zu eilen, um bald ins Sichere zu gelangen. Als er auf die Höhe der bergan steigenden Straße kam, sah er, daß der Ausgang derselben mit Menschen angefüllt war. Reicht der öffentliche Gottesdienst, dem Du ausweichen gewollt, bis daher? sprach er ärgerlich vor sich hin und blieb stehen. Sieh zu! sprach er weiter und ging noch rascher vorwärts. So kam er gegen das Ende der Wollzeil, wo diese in die Bischofsgasse mündet, und konnte nun nicht mehr verkennen, daß dem so sei. Die Menschenmasse stand dort undurchdringlich, dicht wie eine Mauer, und sah erwartungsvoll hinauf nach dem Heilthumsstuhle, welcher mit seinem Bogen die Bischofsgasse von dem Stephansplatze trennte. Dort oben an den Fenstern des Bogens war jetzt die hohe Geistlichkeit erschienen, um die heiligen Reliquien dem andächtig harrenden Volke zu zeigen. Das geschah in diesem Augenblicke. Man hörte bis dahin, wo Herr Hans betroffen stille stand, das Glöcklein läuten, und die Menschen sanken auf dies Zeichen sämmtlich in die Kniee. Hans wich einige Schritte zurück. Mitzuknieen widerstrebte seinem religiösen Glauben, und doch widerstrebte es auch seinem Gefühle, den gläubigen Leuten, welche niedergesunken waren vor dem, was ihnen heilig, ein Aergerniß zu geben. Sein Auge suchte nach einem Seitengäßchen oder einem offenen Hausthor. Letzteres erblickte er, und er schritt darauf zu. Der Bart-Conrad aber und Tartsch, welche durch sein Stillstehen vorausgekommen waren, sahen diese Ceremonie mit ganz anderen Empfindungen an. Beiden war sie ein Act des Aberglaubens, und namentlich Conrad schritt frech bis unter die Knieenden, als ob er links um die Ecke den Heilthumstuhl selbst und die, wie er meinte, sogenannten Reliquien erblicken wollte. Es entstand ein Gemurmel unter den Knieenden, und Kappe abziehen! Kappe abziehen! rief man von mehreren Seiten. Conrad machte eine höhnische Bewegung mit der Hand, Tartsch verstand vielleicht gar nicht, was gemeint sei, und so blieben beide bedeckten Hauptes stehen, bis ihnen von einigen entrüsteten Bürgern die Kappen vom Kopf gerissen wurden, als die Kniebeugung zu Ende war und die Menge sich erhob. Conrad ließ sich das nicht ruhig gefallen, sondern wehrte sich und schalt mit rohen Worten. So entstand Tumult und Geschrei, und die Uebelthäter wurden in die Wollzeil zurückgedrängt, als eben Signor Medardo mit seinen Leuten ankam, und Herr Hans aus seinem Hausthor vorgetreten war, um seinem Diener Nachgiebigkeit und Entfernung anzubefehlen. Nehmt die frechen Ketzer fest! – Guardia, festnehmen! schrie man von allen Seiten, und Medardo, dem nichts Erwünschteres begegnen konnte, legte seine Hand kurzweg auf Starschädel's Schulter, und befahl seinen Leuten, diesen Glaubens- und Friedensstörer flugs zu verhaften. Das ist nicht der Rechte! Die dort! Die dort! schrie man. Medardo aber ließ sich nicht stören, und befahl seinen Leuten von neuem dasselbe, hinzusetzend im Commandotone: Kehrt! Vorwärts!

Inmitten der Gardisten, welche ihm die Piken an den Leib hielten und jeden Widerstand unmöglich machten, ward Herr Hans die Straße abwärts fortgedrängt. Bringt die Andern nach auf die Stadtschranne! schrie Medardo noch, auf das Gedränge deutend, in welchem Conrad und Tartsch sich nachdrücklich ihrer Gegner zu erwehren suchten. Auf die Schranne mit den Ketzern! schrie die entzündete Menge, während Medardo seine Leute mit dem Gefangenen in ein Haus dirigirte, welches einen Durchgang hatte nach dem Lugeck hinüber, von wo er hoffen konnte, mit leichterer Mühe den Hohen Markt erreichen zu können. Auf dem Hohen Markte nämlich stand das Gerichtshaus gemeiner Stadt Wien für peinliche Sachen, von seinem Entstehen bis in die jüngste Zeit unter dem Namen »Schranne« bekannt.


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