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Das Kindlein von Bethlehem

Zu Bethlehem vor dem Stadttor stand ein römischer Kriegsknecht Wache. Er war mit Harnisch und Helm gerüstet, trug ein kurzes Schwert an der Seite und hielt einen langen Speer in der Hand. Den ganzen Tag über stand er fast regungslos, so daß man glauben konnte, er sei ein Mann aus Eisen. Die Bürger der Stadt gingen durch das Tor aus und ein, Bettler setzten sich im Schatten des Torbogens nieder, Obstverkäufer und Weinhändler stellten ihre Körbe und Gefäße neben dem Kriegsknecht auf die Erde, er aber nahm sich kaum die Mühe, auch nur den Kopf zu wenden, um ihnen nachzublicken.

»Was soll ich Euch groß beachten?« schien er sagen zu wollen. »Was geht Ihr mich an, die Ihr arbeitet und Handel treibt und mit Oelkrügen und Weinschläuchen hergezogen kommt? Laßt mich ein Kriegsheer sehen, das sich ordnet, um auf den Feind loszugehn! Laßt mich das Gedränge und den hitzigen Kampf sehn, wenn ein Reitertrupp sich auf eine Schar Fußsoldaten stürzt! Laßt mich die Tapferen sehen, die mit Sturmleitern voraneilen, um die Mauern einer belagerten Stadt zu erklimmen! Nichts anderes als der Krieg kann mein Auge ergötzen. Ich sehne mich danach, die Adler Roms in der Luft blitzen zu sehn. Ich sehne mich nach dem Dröhnen der kupfernen Posaunen, nach den leuchtenden Waffen, nach umherspritzendem roten Blute.

Dicht vor dem Stadttor lag ein herrliches Feld, das ganz mit Lilien bewachsen war. Jeden Tag stand der Kriegsknecht, die Blicke auf eben dieses Feld gerichtet, aber nie dachte er daran, die unvergleichliche Schönheit der Blumen zu bewundern. Zuweilen bemerkte er, daß die Vorübergehenden stehen blieben, um sich an dem Anblick der Lilien zu erfreuen, und dann verwunderte er sich darüber, daß sie ihre Wanderung unterbrachen, um etwas so Unwichtiges zu betrachten. »Diese Menschen wissen nicht, was schön ist,« sagte er sich.

Und während er darüber nachdachte, sah er nicht mehr die grünenden Felder und die Olivenberge rings um Bethlehem vor seinen Augen, sondern träumte sich fort nach einer glühendheißen Wüste im sonnenreichen Libyen. Er sah eine Legion Soldaten in einer langen, geraden Kette über den gelben, pfadlosen Wüstensand ziehen. Nirgends gab es Schutz vor den Sonnenstrahlen, nirgends eine labende Quelle, nirgends war die Grenze der Wüste oder ein Ziel der Wanderung zu erspähen. Er sah Soldaten, die sich matt von Hunger und Durst mit wankenden Schritten vorwärts schleppten. Er sah einen nach dem anderen von der glühenden Sonnenhitze gefällt zur Erde niedertaumeln. Aber trotz alledem drang das Heer beharrlich vorwärts, ohne zu zagen, ohne daran zu denken, den Feldherrn zu verlassen und umzukehren.

»Da seht Ihr, was schön ist!« sprach der Kriegsknecht vor sich hin. »Seht, das ist wert, von einem tapferen Manne angeschaut zu werden!«

Während der Kriegsknecht Tag für Tag auf demselben Platz Posten stand, hatte er die beste Gelegenheit, die schönen Kinder zu beobachten, die um ihn herum spielten. Aber es erging ihm mit den Kindern wie mit den Blumen. Er begriff nicht, daß es der Mühe lohne, sie anzusehen. »Was kann einem dabei nur Freude gewähren?« dachte er, wenn er die Menschen lächeln sah, während sie den Kinderspielen zusahen. »Es ist sonderbar, daß man sich über so Nichtiges zu freuen vermag.«

Eines Tages, als der Kriegsknecht wie gewöhnlich vor dem Stadttor Wache hielt, sah er ein Knäblein, das ungefähr drei Jahre alt sein mochte, und das zum Spiel auf die Wiese hinausging. Es war ein armes Kind, das nur in ein kleines Schaffell gehüllt war und ganz allein spielte. Der Soldat beobachtete den neuen Ankömmling, fast ohne es selbst zu merken. Was ihm zuerst auffiel, war, daß der Kleine so leichtfüßig über das Feld lief, als schwebe er nur über die Spitzen der Grashalme dahin. Als aber der Kriegsknecht begann, seinen Spielen zu folgen, ward er noch viel verwunderter. »Bei meinem Schwert,« sagte er schließlich, »das Kind hier spielt nicht wie die anderen! Was mag das nur sein, womit es sich beschäftigt?«

Das Kind spielte in nächster Nähe des Kriegsknechts, so daß dieser genau beobachten konnte, was es tat. Er bemerkte, daß es sein Händchen ausstreckte, um eine Biene einzufangen, die so schwer mit Blütenstaub beladen auf dem Rande einer Blume saß, daß sie kaum die Flügel zum Fluge heben konnte. Er sah zu seinem großen Staunen, daß das Bienchen sich haschen ließ, ohne den geringsten Fluchtversuch zu machen oder den Stachel zu gebrauchen. Als nun der Kleine die Biene in seinen Händchen geborgen hatte, lief er zu der Stadtmauer hin, wo ein Bienenschwarm sich in einem Spalt wohnlich eingerichtet hatte, dort setzte er es ab. Und nachdem er auf diese Weise einem Bienchen geholfen hatte, eilte er schnell ans Werk, um einem anderen zu helfen. Und so sah der Soldat ihn den ganzen Tag über Bienen einfangen, um sie zu ihrem Schwarm zu tragen.

»Das Bürschlein ist fürwahr törichter, als mir bisher noch irgend jemand vorgekommen ist,« meinte der Kriegsknecht. »Wie verfällt er nur darauf, diesen Bienen helfen zu wollen, die sich so gut ohne seinen Beistand zurechtfinden würden und ihn noch obendrein mit ihrem Stachel stechen könnten? Was für ein Mensch soll aus ihm werden, wenn er am Leben bleibt?«

Der Kleine kam Tag für Tag wieder, um draußen auf der Wiese zu spielen, und der Kriegsknecht konnte es nicht lassen, sich über ihn und seine Spiele zu verwundern. »Das ist seltsam,« meinte er, »nun habe ich seit vollen drei Jahren an diesem Tor auf Wache gestanden, und noch nie ist mir etwas vor Augen gekommen, was meine Gedanken so erfüllt hätte wie dieses Kind.«

Aber der Kriegsknecht hatte durchaus keine Freude an dem Kinde. Dagegen gemahnte der Kleine ihn an die schreckliche Prophezeiung eines alten jüdischen Sehers. Dieser hatte nämlich geweissagt, daß sich dereinst eine Zeit des Friedens auf die Erde niedersenken würde. Während eines Zeitraums von tausend Jahren würde kein Blut vergossen und kein Krieg geführt werden, denn die Menschen würden einander lieben wie Brüder. Wenn der Kriegsknecht nur daran dachte, daß so etwas Entsetzliches zur Wirklichkeit werden könnte, dann lief ihm ein Schauer über den Leib, und er umklammerte seinen Speer fester, als ob er eine Stütze suchte.

Und je mehr nun der Kriegsknecht von dem Kleinen und seinen Spielen sah, desto mehr mußte er an das tausendjährige Friedensreich denken. Zwar fürchtete er nicht, daß es schon gekommen sei, aber er liebte es nicht, an so Widerwärtiges auch nur denken zu müssen.

Als der Kleine eines Tages draußen auf dem schönen Felde zwischen den Blumen spielte, kam ein sehr heftiger Regenguß aus den Wolken herniedergeprasselt. Sobald der Knabe nun gewahrte, wie groß und schwer die Tropfen waren, die auf die zarten, hilflosen Lilien aufschlugen, schien er sich um seine schönen Lieblinge zu beunruhigen. Er eilte zu der höchsten und schönsten unter ihnen und bog den steifen Stengel, der die Blüten trug, zur Erde hinab, so daß die Regentropfen die untere Seite ihrer Kelche trafen. Und sobald er mit einer Blütenstaude auf diese Weise verfahren war, lief er zu einer anderen hin und bog ihren Stengel in gleicher Weise, so daß alle Blumenkelche der Erde zugewandt waren. Und so machte er es mit einer dritten und vierten, bis sämtliche Blumen des Lilienangers gegen den heftigen Regen geschützt waren.

Der Kriegsknecht mußte innerlich lachen, als er das Werk des Knaben betrachtete. »Ich fürchte, daß diese Lilien ihm dafür nicht dankbar sein werden,« sprach er. »Natürlich werden alle Lilienstengel umgebrochen sein. Die steifen Gewächse lassen sich doch so nicht biegen.«

Als jedoch der Regenschauer endlich aufhörte, da sah der Kriegsknecht den kleinen Knaben wieder zu den Lilien eilen, um sie aufzurichten. Und zum maßlosen Staunen des Mannes bog das Kind ohne die geringste Mühe die steifen Stengel gerade. Es erwies sich, daß kein einziger zerbrochen oder beschädigt war. Er lief von Blume zu Blume, und alle die geretteten Lilien erstrahlten bald in vollem Glanze auf der Flur.

Bei diesem Anblick empfand der Kriegsknecht einen seltsamen Groll. »Sieh einer das Kind!« meinte er. »Es ist doch unglaublich, daß es etwas so Törichtes unternimmt. Was für ein Mann soll aus ihm werden, wenn er es nicht einmal ertragen kann, eine Lilie vernichtet zu sehen? Wie würde es ablaufen, wenn so einer in den Krieg müßte? Wie würde er sich dazu stellen, wenn ihm befohlen würde, ein Haus mit Frauen und Kindern in Brand zu stecken, oder ein Schiff in Grund zu bohren, das mit seiner ganzen Bemannung auf den Wellen treibt?«

Wieder entsann er sich der alten Weissagung, und es beschlich ihn Furcht, daß nun wirklich die Zeit gekommen sein könnte. »Da nun ein solches Kind geboren ist, mag die schreckliche Zeit vielleicht ganz nahe sein,« meinte er. »Schon herrscht Friede in der ganzen Welt, und gewiß wird niemals wieder ein Tag des Krieges anbrechen. Von nun an werden alle Menschen das gleiche Gemüt haben wie dieses Kind. Sie werden sich scheuen, einander zu verletzen, ja, sie werden nicht einmal das Herz haben, eine Biene oder eine Blume zu zerstören. Mit den großen Heldentaten wird es vorbei sein. Man wird keine herrlichen Siege erringen, und kein glänzender Triumphator wird zum Kapitol hinaufziehen. Es wird nichts mehr geben, was ein tapferer Mann ersehnen könnte.«

Und der Kriegsknecht, der noch immer gehofft hatte, neue Kriege zu erleben, um sich durch Heldentaten zu Macht und Reichtum emporzuschwingen, war so zornig über den kleinen Dreijährigen, daß er drohend den Speer gegen ihn ausstreckte, als er das nächste Mal an ihm vorbeilief.

Jedoch an einem anderen Tage waren es weder die Bienen noch die Lilien, denen der Kleine zu helfen suchte, sondern er unternahm etwas, was dem Kriegsknecht noch viel nutzloser und undankbarer erschien.

Es war ein furchtbar heißer Tag, und die Sonnenstrahlen, die auf den Helm und den Harnisch des Soldaten fielen, erhitzten sie so sehr, daß ihm war, als trüge er eine Rüstung aus Feuer. Für die Vorübergehenden sah es so aus, als müsse er entsetzlich unter der Hitze leiden. Seine blutunterlaufenen Augen traten ihm aus dem Kopf, und die Haut seiner Lippen war eingeschrumpft, aber der Kriegsknecht, der sich in der brennenden Glut der afrikanischen Wüsten stählen gelernt hatte, hielt dies für eine Kleinigkeit, und er dachte keinen Augenblick daran, von seinem gewöhnlichen Platz zu weichen. Er fand im Gegenteil Gefallen daran, den Vorübergehenden zu beweisen, wie stark und ausdauernd er sei, und daß er nicht nötig habe, vor der Sonne zu fliehen.

Während er so dastand und sich lebendig fast braten ließ, kam der kleine Knabe, der auf dem Felde zu spielen pflegte, plötzlich auf ihn zugegangen. Er wußte ganz gut, daß der Legionär ihm nicht freundlich gesinnt war, und er hütete sich sonst in die Nähe seines Speers zu kommen, aber jetzt lief er dennoch auf ihn zu, blickte ihn lange und aufmerksam an und rannte in vollem Lauf über die Straße. Als er nach einer Weile zurückkam, hielt er seine beiden Händchen wie eine Schale ausgebreitet und hatte so einige Tropfen Wasser mitgebracht.

»Ist dieses Kind jetzt gar auf den unnötigen Einfall gekommen, für mich Wasser zu holen?« fragte sich der Soldat. »Das hat doch wirklich keinen Verstand. Ein römischer Legionär sollte nicht ein wenig Hitze ertragen können? Wozu muß dieser kleine Bengel umherrennen, um denen zu helfen, die keiner Hilfe bedürfen? Ich mag seine Barmherzigkeit nicht. Ich wünschte, daß er und jeder seinesgleichen vom Erdboden verschwände.«

Der Kleine kam sehr langsam näher. Er hielt seine Fingerchen fest zusammengepreßt, damit nichts verloren ginge oder überlaufe. Während er sich dem Kriegsknecht näherte, hielt er seine Augen ängstlich auf das wenige Wasser geheftet, das er mitbrachte, merkte also nicht, daß jener mit finster gerunzelter Stirn und abweisenden Blicken dastand. Endlich blieb er dicht vor dem Legionär stehen und reichte ihm das Wasser.

Auf dem Wege waren ihm seine schweren, blonden Locken immer tiefer über Stirn und Augen gefallen. Er schüttelte ein paarmal sein Köpfchen, um das Haar zurückzuwerfen und aufblicken zu können. Als es ihm endlich gelang und er den harten Ausdruck im Gesicht des Kriegsknechts wahrnahm, war er dennoch gar nicht erschrocken, sondern stand ruhig da und forderte ihn mit einem bezaubernden Lächeln auf, von dem mitgebrachten Wasser zu trinken. Aber der Kriegsknecht verspürte keine Lust, eine Wohltat von diesem Kinde anzunehmen, das ihm als Feind galt. Er blickte nicht in sein schönes Antlitz hinunter, sondern stand starr und unbeweglich da und machte keinerlei Miene, als verstände er, was das Kind von ihm begehrte.

Aber der Kleine spürte gar nicht, daß dies eine Abweisung sein sollte. Er lächelte immer noch ebenso zutraulich, hob sich auf die Zehenspitzen und streckte seine Aermchen so hoch wie möglich, damit der riesige Soldat das Wasser leichter erreichen könne.

Der Legionär jedoch empfand es als eine Schmach, daß ein Kind ihm helfen wollte, und hob seinen Speer, um den Kleinen in die Flucht zu jagen.

Aber gerade in diesem Augenblick trafen die Glut und die Sonnenstrahlen den Kriegsknecht mit solcher Gewalt, daß er rote Flammen vor seinen Augen auflodern sah, und daß ihm war, als schmelze das Gehirn in seinem Kopfe. Er fürchtete, daß die Sonne ihm den Tod bringen könnte, wenn er nicht sofort Erleichterung fände.

Und ganz verwirrt vor Schrecken über die drohende Gefahr, schleuderte er seinen Speer von sich, umfaßte mit beiden Händen das Kind, hob es zu sich empor und schlürfte das Wasser aus dessen Händchen.

Es waren zwar nur wenige Tropfen, die er so zu sich nahm, aber weiterer Labung bedurfte er auch gar nicht. Sobald er das Wasser gekostet hatte, durchrieselte wonnige Kühlung seinen ganzen Körper, und er fühlte weder die Glut noch die Schwere von Helm und Harnisch. Die Sonnenstrahlen hatten ihre mörderische Macht verloren. Seine trockenen Lippen wurden wieder geschmeidig, und die roten Flammen tanzten nicht länger vor seinen Augen.

Ehe er noch Zeit gehabt hatte, all dies zu bemerken, stellte er das Kind wieder auf die Erde, und es lief nach der Wiese, um weiter zu spielen. Dann aber begann der Kriegsknecht sich verwundert selber zu fragen:

»Was für ein Wasser hat mir das Kind eigentlich dargeboten? Das war ein köstlicher Trank. Ich muß mich ihm wirklich dankbar erzeigen.«

Da er den Kleinen jedoch haßte, ließ er diese Gedanken bald fallen.

»Es ist doch nur ein Kind,« sagte er sich, »es weiß nicht, weshalb es so oder so handelt. Es spielt eben das Spiel, das ihm am meisten zusagt. Sind ihm die Bienen oder die Lilien etwa dankbar? Um dieses Bürschlein brauche ich mir keinerlei Ungelegenheiten zu machen. Es weiß nicht einmal, daß es mir geholfen hat.«

Als er nach kurzer Frist den Anführer der römischen Soldaten, die in Bethlehem lagerten, durch das Tor kommen sah, war er wenn möglich noch ärgerlicher über das Kind.

»Sieh einer,« sagte er sich, »in welcher Gefahr ich durch den Eifer des Kleinen gewesen bin! Wäre Voltigius ein klein wenig früher gekommen, so hätte er mich mit einem Kinde in den Armen gesehen.«

Der Hauptmann schritt indessen geradeswegs auf den Kriegsknecht zu und fragte ihn, ob sie hier ganz unbelauscht miteinander reden könnten, er hätte ihm insgeheim etwas mitzuteilen. »Wenn wir uns nur zehn Schritt vom Tor entfernen, so kann uns niemand hören,« antwortete der Kriegsknecht.

»Du weißt,« sagte der Hauptmann, »daß der König Herodes wiederholt versucht hat, sich eines Kindes zu bemächtigen, das hier in Bethlehem aufwächst. Seine Seher und Priester haben ihm kundgetan, das Kind werde seinen Thron besteigen, und außerdem ihm prophezeit, daß der neue König ein tausendjähriges Reich des Friedens und der Heiligung gründen würde. Du begreifst also wohl, daß Herodes dieses Kind gern unschädlich machen will.«

»Ja, das begreife ich schon,« sagte der Kriegsknecht eifrig, »aber das muß doch die leichteste Sache auf der Welt sein.«

»Sicherlich wäre es sehr leicht,« entgegnete der Hauptmann, »wenn der König nur wüßte, welches von allen Kindern in Bethlehem das rechte ist.«

Der Kriegsknecht runzelte nachdenklich die Stirn und sprach: »Schade, daß seine Wahrsager ihn darüber nicht aufklären konnten.«

»Herodes hat aber jetzt eine List gefunden, durch die er den jungen Friedensfürsten unschädlich zu machen hofft,« fuhr der Hauptmann fort. »Er verspricht jedem einzigen, der ihm darin beistehen wird, ein kostbares Geschenk.«

»Was Herodes auch immer gebietet, wird selbst ohne Belohnung oder Geschenk vollbracht werden,« sagte der Soldat.

»Ich danke Dir,« erwiderte der Hauptmann. »Höre nun des Königs Plan! Er beabsichtigt zum Jahrestag von seines jüngsten Sohnes Geburt ein Fest zu feiern, zu dem alle Knaben in Bethlehem, die zwei bis drei Jahre alt sind, mit ihren Müttern geladen werden sollen. Und auf diesem Fest – – –«

Er hielt inne und lachte, als er den Ausdruck von Widerwillen sah, der das Gesicht des Kriegsknechts überflog.

»Freundchen, Du brauchst nicht zu befürchten,« fuhr er fort, »daß König Herodes uns als Kinderwärter verwenden will. Neige Dein Ohr zu meinem Munde, dann werde ich Dir seine Entschließung anvertrauen.«

Der Hauptmann flüsterte geraume Zeit mit dem Kriegsknecht, und als er ihm alles mitgeteilt hatte, sprach er:

»Ich brauche Dir wohl nicht zu sagen, daß strengste Verschwiegenheit nötig ist, wenn nicht das ganze Unternehmen mißlingen soll.«

»Du weißt, Voltigius, daß Du Dich auf mich verlassen kannst,« entgegnete der Kriegsknecht.

Als der Anführer sich entfernt hatte und der Kriegsknecht wieder allein auf seinem Posten stand, blickte er sich nach dem Kinde um. Es spielte noch immer inmitten der Blumen, und plötzlich kam dem Krieger der Gedanke, daß der Kleine sie so leicht und anmutig umgaukle wie ein Schmetterling.

Da begann der Kriegsmann zu lachen. »Es ist ja wahr,« sagte er, »ich werde mich nicht mehr lange über dieses Kind zu ärgern brauchen. Es wird ja heute abend auch zum Fest des Herodes eingeladen werden.«

Der Kriegsknecht blieb den ganzen Tag auf seinem Posten stehen, bis der Abend kam und es Zeit wurde, die Stadttore für die Nacht zu schließen.

Als dies getan war, wanderte er durch enge, dunkle Gassen zu dem prächtigen Palast, den Herodes zu Bethlehem besaß.

Im Innern dieses gewaltigen Palastes befand sich ein großer Hof mit Steinfliesen, der von Gebäuden umringt war, an denen drei übereinanderliegende offene Galerien sich hinzogen. Der König hatte bestimmt, daß jenes Fest für die bethlehemitischen Kinder auf der obersten Galerie stattfinden solle.

Diese Galerie war gleichfalls auf den ausdrücklichen Befehl des Königs so umgewandelt, daß sie einem gedeckten Laubgange in einem herrlichen Lustgarten glich. Weinranken schlangen sich an der Decke hin, von denen üppige Traubenbündel herabhingen, und an Wänden und Pfeilern standen kleine Granat- und Orangenbäume, die von Früchten schwer waren. Der Fußboden war mit frischen Rosenblättern bestreut, die dicht und weich wie ein Teppich dalagen, und Girlanden von weißen, strahlenden Lilien zogen sich längs der Balustraden, der Friese, der Tische und der niedrigen Diwane hin.

In diesem Blumengarten waren hier und da große Marmorbassins, in denen gold- und silberglänzende Fische im durchsichtig klaren Wasser sich tummelten. Auf den Bäumen saßen bunte Vögel aus fernen Ländern, und in einem Vogelbauer sah man einen alten Raben, der unablässig schwatzte.

Als das Fest seinen Anfang nahm, zogen Kinder und Mütter in die Galerie. Gleich beim Eintritt in den Palast waren die Kinder mit weißen, purpurumrandeten Gewändern geschmückt worden, und ihre dunkellockigen Köpfchen hatte man mit Rosenkränzen geziert. Stattlich angetan kamen die Frauen in ihren roten und blauen Gewändern, und weiße Schleier wallten ihnen von hohen, spitzen Kopfbedeckungen herab, die mit Goldmünzen und Ketten behangen waren. Einige trugen ihre Knaben hoch auf den Schultern sitzend, andere führten sie an der Hand, und einige, deren Knaben scheu und ängstlich waren, hatten sie auf ihre Arme genommen.

Die Frauen ließen sich auf dem Fußboden der Galerie nieder, und sogleich kamen Sklaven, stellten niedrige Tische vor ihnen auf und brachten erlesene Speisen und Getränke, wie die Sitte es bei einem königlichen Fest erheischt, und alle diese glücklichen Mütter begannen zu essen und zu trinken, ohne jene stolze, anmutige Würde abzulegen, die die schönste Zier der bethlehemitischen Frauen ist.

Längs der Galeriewand und fast verborgen durch die Blumengirlanden und die fruchtbeladenen Bäume waren doppelte Reihen von Kriegsknechten in voller Rüstung aufgestellt. Sie standen ganz unbeweglich da, als hätten sie nichts mit dem zu schaffen, was rund um sie vorging. Die Frauen konnten es nicht lassen, bisweilen einen erstaunten Blick auf diese Schar von Eisengepanzerten zu werfen. »Wozu bedarf es ihrer dort?« flüsterten sie. »Denkt Herodes, daß wir uns nicht zu benehmen wüßten? Glaubt er, daß eine solche Schar von Kriegsknechten notwendig sei, um uns zu überwachen?«

Andere aber meinten wiederum, es sei eben alles ganz so, wie es bei einem König sein müßte. Herodes gäbe eben niemals ein Fest, ohne daß sein ganzes Haus von Kriegsknechten wimmle. Nur um seine Gäste zu ehren, ständen diese schwertbewaffneten Legionäre wachend dort.

Während der ersten Feststunden blieben die Kinder zaghaft und unsicher und hielten sich ruhig neben ihren Müttern. Dann aber setzten sie sich nach und nach in Bewegung, um von den Herrlichkeiten, die Herodes ihnen darbot, Besitz zu ergreifen. Es war ein Zauberland, das der König für seine kleinen Gäste geschaffen hatte. Als sie die Galerie durchwanderten, fanden sie Bienenkörbe, deren Honig sie plündern konnten, ohne daß eine einzige zornige Biene sie stach. Sie fanden Bäume, die ihre fruchtbeladenen Zweige tief zu ihnen hinabsenkten. In einer Ecke fanden sie Zauberkünstler, die in einem Nu ihre Taschen voller Spielzeug steckten, und in einem anderen Winkel der Galerie sahen sie einen Tierbändiger, der ihnen ein paar Tiger zeigte, die so zahm waren, daß sie auf ihrem Rücken reiten konnten.

Aber in diesem Paradiese voll Wonnen gab es doch nichts, was die Aufmerksamkeit der Kleinen so auf sich zog als die lange Reihe von Kriegsknechten, die unbeweglich längs der einen Seite der Galerie stand. Ihre Blicke waren gefesselt von den funkelnden Helmen, den strengen, stolzen Gesichtern und den kurzen Schwertern, die in reich verzierten Scheiden saßen.

Während sie spielten und umhertollten, dachten sie doch immer an die Kriegsknechte. Noch hielten sie sich in einem gewissen Abstand von ihnen, aber sie sehnten sich danach, ihnen nahe zu kommen, um zu sehen, ob sie lebendig wären und sich wirklich bewegen könnten.

Das Spiel und die Festesfreude steigerten sich mit jedem Augenblick, die Soldaten aber standen immer noch regungslos. Den Kleinen erschien es unglaublich, daß Menschen so dicht bei diesen Weintrauben und all den Leckerbissen stehen konnten, ohne die Hand zu rühren.

Endlich vermochte einer der Knaben seine Neugier nicht länger zu zügeln. Leise, und zu schneller Flucht bereit, näherte er sich einem der Eisengepanzerten, und da der Soldat noch immer unbeweglich stehen blieb, schlich er immer näher an ihn heran. Schließlich war er ihm so nahe, daß er nach seinen Sandalenriemen und seinen Beinschienen tasten konnte.

Da, als wäre dies ein unerhörtes Verbrechen gewesen, gerieten alle diese Eisenmänner auf einmal in Bewegung.

In unbeschreiblicher Wut stürzten sie über die Kinder her und ergriffen sie. Einzelne schwangen sie wie Wurfgeschosse über ihren Köpfen und schleuderten sie zwischen den Lampen und Girlanden über die Balustrade der Galerie hinab, wo sie zerschmettert auf den Marmorfliesen liegen blieben. Einige zogen ihre Schwerter und durchbohrten damit die Herzen der Kinder, andere wiederum zerschmetterten die Köpfchen der Kleinen an den Wänden, ehe sie die Leiber in den nachtdunklen Hof hinabschleuderten.

Im ersten Augenblick nach diesem Ueberfall vernahm man keinen einzigen Laut. Die kleinen Körper schwebten noch in der Luft, und die Frauen waren vor Entsetzen versteinert. Aber plötzlich kam ihnen das volle Verständnis dessen, was geschehen war, und die Unseligen begriffen, und mit einem einzigen furchtbaren Schrei stürzten sie sich auf die Mörder.

Oben auf der Galerie waren noch Kinder, die beim ersten Ueberfall nicht aufgegriffen worden waren. Die Kriegsknechte jagten ihnen nach, und die Mütter warfen sich vor ihnen nieder und umklammerten mit bloßen Händen die blanken Schwerter, um den Todesstreich abzuwenden.

Einige Frauen, deren Kinder schon hingemordet waren, stürzten sich auf die Kriegsknechte, packten sie an der Kehle und versuchten sie zu erdrosseln, um für ihre Kleinen Rache an den Mördern zu nehmen.

Während dieser wilden Verwirrung, in der entsetzliches Geschrei den Palast durchgellte, wo so grausige Bluttaten verübt wurden, stand der Kriegsknecht, der die Wache am Stadttor zu halten pflegte, ganz unbeweglich an der obersten Stufe der Treppe, die von der Galerie hinabführte. Er nahm weder am Ringen noch am Morden teil; er zückte nur das Schwert gegen jene Frauen, denen es geglückt war, ihre Kinder an sich zu reißen, und die versuchten, über diese Treppe zu entfliehen. Sein bloßer Anblick, wie er dort finster und unbeweglich stand, war so schrecklich, daß die Fliehenden lieber sich über die Balustraden hinabstürzten oder in das Kampfgewühl zurückkehrten, als daß sie sich der Gefahr aussetzten, sich an ihm vorbeizudrängen.

»Voltigius, der mir diesen Posten anvertraute, hat wahrlich recht daran getan,« sagte sich der Kriegsknecht. »Ein junger, unüberlegter Krieger hätte seinen Platz aufgegeben, um sich in das Gewühl zu stürzen. Hätte ich mich von hier fortlocken lassen, so wären mindestens an zehn Kinder entkommen.«

Während er darüber nachdachte, fiel sein Blick auf ein junges Weib, das sein Kind an sich gerissen hatte und in schnellster Flucht auf ihn zugestürzt kam. Keiner der Legionäre, an denen die Frau vorbeistürmte, konnte ihr in den Weg treten, weil sie alle sich im vollen Kampfe mit anderen Frauen befanden, und auf diese Weise war sie bis zum Ende der Galerie gelangt.

»Sieh da, eine, die dicht daran ist, glücklich zu entwischen!« dachte der Kriegsknecht. »Weder sie noch das Kind sind verwundet. Wenn ich nun nicht hier stände – – –«

Die Frau kam in so raschem Lauf auf den Kriegsknecht zu, als flöge sie. Er hatte auch gar keine Zeit, ihr Gesicht oder das ihres Kindes zu erkennen, sondern streckte nur sein Schwert aus, dem sie mit dem Kinde in ihren Armen entgegenstürzte. Er erwartete, daß beide im nächsten Augenblick durchbohrt zur Erde sinken würden.

Da aber vernahm der Soldat ein heftiges Summen über seinem Haupte, und gleich darauf fühlte er einen rasenden Schmerz in seinem Auge, der so stechend scharf und peinigend war, daß er ihn gänzlich betäubte und verwirrte. Das Schwert entfiel seiner Hand und sank zu Boden.

Er faßte nach dem Auge, ergriff eine Biene und wußte nun, daß nur der Stachel dieses Tierchens ihm den wilden Schmerz verursacht hatte. Blitzschnell bückte er sich nach dem Schwert, in der Hoffnung, daß es noch nicht zu spät sein würde, die Fliehende aufzuhalten.

Das Bienchen jedoch hatte seine Sache sehr gut gemacht. In der kurzen Zeit, für die es den Kriegsknecht geblendet hatte, war es der jungen Mutter geglückt, an ihm vorbei die Treppe hinabzujagen, und obwohl er ihr schleunigst nacheilte, vermochte er sie nicht mehr zu finden. Sie war und blieb verschwunden, und niemand in dem ganzen großen Palast konnte sie entdecken.

 

Am nächsten Morgen stand der Kriegsknecht mit mehreren Kameraden innerhalb des Stadttores auf Wache. Es war in früher Morgenstunde, und man hatte soeben die schweren Tore geöffnet. Aber es hatte den Anschein, als hätte niemand erwartet, daß sie an diesem Morgen geöffnet werden würden. Man sah nicht wie sonst dichte Scharen von Feldarbeitern aus der Stadt hinausströmen. Alle Einwohner von Bethlehem waren über das nächtliche Blutbad so entsetzt, daß sie nicht wagten, ihre Häuser zu verlassen.

»Bei meinem Schwert,« sprach der Soldat, der dort stand und auf die enge Gasse hinstarrte, die zum Tore hinführte, »ich glaube, daß Voltigius einen unklugen Beschluß gefaßt hat. Es wäre besser gewesen, die Tore verschlossen zu halten und jedes Haus in der Stadt durchstöbern zu lassen, bis man den Knaben gefunden hat, der bei dem Feste entkommen ist. Voltigius rechnet darauf, daß seine Eltern versuchen werden, ihn von hier wegzubringen, sobald sie erfahren, daß die Tore offen sind, und er hofft, daß ich ihn just an diesem Tor ergreifen werde. Ich fürchte, daß dies keine kluge Berechnung ist. Wie leicht kann es ihnen gelingen, ein Kind zu verbergen!«

Und er fragte sich, ob sie wohl versuchen würden, das Kind in einem großen Fruchtkorb auf dem Rücken eines Esels oder in einem ungeheuren Oelkrug oder zwischen den Getreidesäcken einer Karawane zu verstecken.

Während er so stand und wartete, ob man versuchen würde, ihn auf diese Weise zu überlisten, gewahrte er einen Mann und ein Weib, die hastig die Gasse hinabkamen und sich dem Tore näherten. Sie gingen sehr schnell und warfen ängstliche Blicke hinter sich, als flüchteten sie vor irgendeiner großen Gefahr. Der Mann hielt eine Axt in der Hand und umklammerte sie mit so festem Griff, als wäre er entschlossen, sich mit Gewalt den Weg zu bahnen, wenn sich jemand ihm hindernd entgegenstellen sollte.

Aber der Kriegsknecht betrachtete das Weib viel genauer als den Mann. Er sah, daß sie ebenso hochgewachsen war wie jene junge Mutter, die ihm am vergangenen Abend entwischt war. Es fiel ihm auch auf, daß sie den Kleiderrock über den Kopf gezogen hatte. Sie trägt ihn vielleicht so, um zu verbergen, daß sie ein Kind auf ihrem Arm hat, dachte er.

Je mehr sie sich näherten, desto deutlicher sah der Kriegsknecht die Umrisse des Kindes, die sich auf dem hochgehobenen Kleide sichtbar abzeichneten. »Ich bin sicher, daß sie es ist, die mir gestern entschlüpfte,« sprach er bei sich. »Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, aber die hohe Gestalt erkenne ich wieder. Und nun kommt sie hier mit dem Kinde auf dem Arm vorbei, ohne auch nur den Versuch zu machen, es verborgen zu halten. Ich hätte es nicht gewagt, auf solch einen Glücksfall zu hoffen.«

Der Mann und die Frau setzten ihre rasche Wanderung bis zum Stadttor fort. Sie hatten augenscheinlich nicht erwartet, dort angehalten zu werden, und zuckten erschrocken zusammen, als der Kriegsknecht seinen Speer fällte und ihnen den Weg versperrte.

»Warum hinderst Du uns an unsere Feldarbeit zu gehen?« fragte der Mann.

»Du wirst sofort gehen können,« antwortete der Soldat, »ich muß nur zuvor sehen, was Dein Weib unter ihrem Kleide verborgen hält.«

»Was ist denn da zu sehen?« sprach der Mann. »Es ist ja nur Brot und Wein, und gerade soviel wie wir den Tag über zu unserer Nahrung brauchen.«

»Du redest vielleicht die Wahrheit,« sagte der Soldat, »wenn es sich aber so verhält, möchte ich wissen, weshalb sie sich abwendet und weshalb sie mich nicht freiwillig sehen läßt, was sie trägt?«

»Ich will nicht, daß Du es siehst,« antwortete der Mann. »Und ich rate Dir, uns hier vorbeigehen zu lassen.«

Und schon erhob er seine Axt, doch die Frau legte ihre Hand auf seinen Arm.

»Laß Dich nicht in Streit und Kampf ein!« bat sie. »Ich werde etwas anderes versuchen. Ich werde ihn das sehen lassen, was ich trage, und ich bin sicher, daß er ihm nichts Böses antun kann.«

Und mit einem stolzen und vertrauensvollen Lächeln wandte sie sich dem Soldaten zu und hob einen Zipfel ihres Kleides.

In demselben Augenblick wich der Soldat zurück und schloß die Augen, als sei er von einem starken Glanz getroffen. Das, was die Frau unter ihrem Kleide verborgen hielt, strahlte ihm so blendend weiß entgegen, daß er vorerst gar nicht wußte, was er dort sah.

»Ich glaubte, Du trügest ein Kind im Arm,« sagte er.

»Du siehst, was ich trage,« entgegnete das junge Weib.

Da endlich erkannte der Soldat, daß ein Bund weißer Lilien, gleich denen auf dem Felde draußen, ihn blendete und anstrahlte. Nur war ihr Glanz noch reicher und leuchtender. Er vermochte es kaum, sie genau zu betrachten.

Er griff nach den Blumen, weil er nicht von dem Gedanken loskommen konnte, daß dieses Weib dennoch ein Kind tragen müsse, seine Hand aber faßte nur die kühlen Blumenblätter.

Er empfand eine bittere Enttäuschung und hätte in seinem Jähzorn gern Mann und Weib gefangen genommen, doch wußte er nur zu gut, daß zu solchem Verfahren keinerlei Gründe vorlagen.

Als die junge Frau seine Bestürzung sah, fragte sie: »Willst Du uns nun weitergehen lassen?«

Der Kriegsknecht zog schweigend den Speer zurück, mit dem er die Toröffnung versperrt hatte, und trat beiseite.

Nun zog die Frau ihr Kleid wieder über die Blumen und betrachtete zugleich das, was sie im Arm trug, mit einem holden Lächeln. »Ich wußte, daß Du nichts Böses tun könntest, wenn Du dies zu sehen bekämst,« sprach sie zu dem Kriegsknecht.

Dann eilten sie von dannen, der Kriegsknecht aber blickte ihnen nach, solange sie noch in Sehweite waren.

Und während er ihnen mit den Augen folgte, glaubte er wieder ganz sicher zu sein, daß sie nicht ein Bund Lilien, sondern ein wirkliches, lebendes Kind in ihrem Arm trüge.

Wie er nun dastand und den beiden Wanderern nachschaute, hörte er von der Gasse her laute Rufe erschallen. Voltigius und einige Leute seiner Mannschaft kamen angejagt.

»Halte sie fest!« riefen sie. »Verschließe das Tor vor ihnen! Laß sie nicht entkommen!«

Und als sie vor dem Kriegsknecht standen, berichteten sie, daß sie die Spur des entronnenen Knaben entdeckt hätten. Eben hätten sie ihn in seinem Heim gesucht, aber er sei von dort wieder entflohen. Sie hätten seine Eltern mit ihm forteilen sehen. Der Vater sei ein kräftiger Mann mit graugesprenkeltem Bart, und er trage eine Axt. Die Mutter sei ein junges, hochgewachsenes Weib, das unter dem hochgenommenen Kleid ein Kind verborgen halte.

In demselben Augenblick, als Voltigius dies berichtete, kam ein Beduine auf einem guten Pferde durch das Tor geritten. Der Kriegsknecht stürzte, ohne ein Wort zu reden, auf den Reiter zu. Er riß ihn mit Gewalt vom Pferde herab und warf ihn zu Boden, dann schwang er sich mit einem Satz selber in den Sattel und jagte davon.

 

Einige Tage später ritt der Kriegsknecht durch die furchtbare Felsenwüste, die den südlichen Teil Judäas bildet. Noch immer verfolgte er die drei bethlehemitischen Flüchtlinge und war außer sich, daß noch kein Ende der fruchtlosen Jagd abzusehen war.

»Es hat wahrhaftig den Anschein, als vermöchten diese Leute in die Erde zu versinken,« sprach er grollend. »Wie oft war ich ihnen in diesen Tagen so dicht auf den Fersen, daß ich dem Kinde meinen Speer nachschleudern wollte, und gleichwohl sind sie mir stets entkommen! Ich fürchte beinahe, daß ich niemals bis zu ihnen gelangen werde.«

Er fühlte sich mutlos wie jemand, der zu erkennen glaubt, daß er gegen etwas Uebermächtiges ankämpft. Er fragte sich, ob es wohl möglich wäre, daß die Götter diese Menschen vor ihm beschützten.

»Es ist eitle Mühe. Lieber kehre ich um, als daß ich in diesem wüsten Lande vor Hunger und Durst sterbe,« sagte er sich wieder und wieder.

Dann aber packte ihn Angst, wenn er daran dachte, was ihm bei einer Heimkehr unverrichteter Dinge bevorstände. Gerade er hatte schon zweimal das Kind entrinnen lassen. Es war nicht anzunehmen, daß Voltigius oder Herodes ihm das verzeihen würden.

»Solange Herodes weiß, daß noch eins der bethlehemitischen Kinder lebt, wird ihn stets dieselbe Furcht peinigen,« sagte sich der Kriegsknecht. »Es ist höchst wahrscheinlich, daß er mich zur Linderung seiner Qual kreuzigen lassen wird.«

Das war in der glühenden Mittagsstunde, und er litt entsetzlich, während er diese baumlose Felsengegend auf einem Pfade durchritt, der sich durch tiefe Talschluchten hinschlängelte, in denen sich kein Lüftchen regte. Pferd und Reiter waren dem Umsinken nahe.

Seit einigen Stunden hatte der Kriegsknecht jede Spur der Flüchtlinge verloren, und er war mutloser als je zuvor.

»Ich muß es aufgeben,« meinte er. »Ich glaube wahrhaftig, daß es nicht der Mühe wert ist, sie noch weiter zu verfolgen. In dieser entsetzlichen Wüstenei müssen sie ja ohnehin umkommen.«

Während er darüber nachsann, gewahrte er eine Felswand nahe am Wege, die den gewölbten Eingang zu einer Höhle zeigte.

Er lenkte sein Pferd sogleich dorthin und meinte: »In dieser kühlen Felsenhöhle werde ich eine Weile ausruhen. Vielleicht kann ich dann mit frischen Kräften die Verfolgung fortsetzen.«

Als er in die Höhle treten wollte, bot sich ihm ein überraschender Anblick. Zu beiden Seiten des Einganges wuchs je eine schöne Lilienstaude. Dort standen sie rank und schlank, von Blüten übersäet. Ein berauschender Honigduft entströmte ihnen, und eine Menge von Bienen summte in ihren Kelchen.

In dieser Wüste wirkte der Anblick so außerordentlich, daß auch der Kriegsknecht etwas ganz Ungewöhnliches tat. Er pflückte eine große, weiße Blüte und nahm sie mit in die Felsenhöhle.

Die Höhle war weder tief noch dunkel, und sobald er unter die Wölbung trat, sah er, daß sich drinnen schon drei Wanderer befanden: ein Mann, ein Weib und ein Kind, die in tiefem Schlafe ausgestreckt auf der Erde ruhten.

Noch nie zuvor hatte der Kriegsknecht ein solches Herzklopfen verspürt, wie jetzt vor diesem Bilde. Das waren ja gerade die drei Flüchtlinge, die er so lange verfolgt hatte. Sofort erkannte er sie wieder. Und hier lagen sie nun schlafend, außerstande, sich zu wehren, gänzlich in seiner Gewalt!

Rasselnd fuhr sein Schwert aus der Scheide, und er beugte sich über das schlummernde Kind.

Er senkte sein Schwert langsam auf seine Brust hinab und zielte genau nach dem Herzen, um es mit einem einzigen Stoß zu durchbohren.

Mitten im Stoß zögerte er einen Augenblick, um des Kindes Antlitz zu sehen. Da er nun seines Sieges sicher war, gewährte es ihm eine grausame Freude, sein Opfer zu betrachten.

Als er aber das Kind deutlich sah, war seine Freude, wenn möglich, noch viel größer, denn er hatte den kleinen Knaben wiedererkannt, den er auf dem Felde vor dem Stadttor mit Bienen und Lilien spielend gesehen hatte.

»Ja, gewiß,« meinte er, »das hätte ich von Anfang an wissen können. Darum habe ich dieses Kind stets so gehaßt. Das ist ja der verheißene Friedensfürst.«

Wieder senkte er das Schwert und sagte sich: »Wenn ich den Kopf des Kindes vor Herodes' Füße lege, so wird er mich zum Anführer seiner Leibwache machen.«

Während er dem schlafenden Kinde die Schwertspitze immer näher brachte, sprach er froh zu sich selber: »Diesmal zum mindesten wird niemand dazwischen kommen, um ihn meiner Macht zu entreißen.«

Aber der Kriegsknecht hielt noch immer die Lilie in seiner Hand, die er am Eingang der Höhle gepflückt hatte, und während er noch so in Gedanken versunken dastand, flog eine Biene, die im Blumenkelche versteckt gewesen war, zu ihm empor und umschwärmte summend seinen Kopf.

Der Kriegsknecht fuhr zurück. Er gedachte der Bienen, die der Knabe zu ihrem Heim getragen hatte, und er dachte auch daran, daß es eine Biene gewesen war, die dem Kinde geholfen hatte, vom Gastmahl des Herodes zu entrinnen.

Dieser Gedanke machte ihn ganz bestürzt. Er hielt sein Schwert ruhig in der Hand und horchte auf die Biene.

Das Tierchen hatte indessen aufgehört zu summen. Und während er so ganz stille dastand, fiel ihm der starke, liebliche Duft auf, der der Lilie in seiner Hand entströmte.

Da gedachte er plötzlich der Lilien, denen der kleine Knabe beigestanden hatte, und er besann sich auch, daß es ein Bund Lilien gewesen war, die das Kind seinen Blicken verborgen und ihm geholfen hatten, durch das Stadttor zu entfliehen.

Er wurde immer nachdenklicher und zog das Schwert zurück.

»Die Bienen und die Lilien haben ihm seine Wohltaten vergolten,« flüsterte er vor sich hin.

Und er dachte daran, daß der Kleine einmal auch ihm eine Wohltat erwiesen hatte, und eine tiefe Röte stieg ihm ins Gesicht.

»Kann ein römischer Legionär es jemals vergessen, einen ihm erwiesenen Dienst zu vergelten?« flüsterte er.

Er kämpfte einen kurzen Kampf mit sich selber. Er dachte an Herodes und an seinen eigenen Wunsch, den jungen Friedensfürsten zu vernichten.

»Es steht mir nicht an, dieses Kind zu töten, das mein Leben gerettet hat,« sagte er sich zu guter Letzt.

Und er beugte sich nieder und legte sein Schwert an des Kindes Seite hin, auf daß die Flüchtlinge beim Erwachen erkennen mochten, welcher Gefahr sie entronnen waren.

Da sah er, daß das Kind erwacht war. Es schaute ihn mit seinen schönen Augen an, die gleich Sternen erglänzten.

Und der Kriegsknecht beugte ein Knie vor dem Kinde.

»Herr, Du bist der Mächtige,« sprach er. »Du bist der starke Held. Du bist der von den Göttern Geliebte. Du bist jener, der auf Schlangen und Skorpione treten kann.«

Er küßte des Kindes Füßchen und schritt dann leise aus der Höhle, während der Kleine ihm mit großen, verwunderten Kinderaugen nachschaute.


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