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Vierter Teil

Der Kardinal von Lothringen hatte sich zum unumschränkten Gebieter über das Gemüt der Königinmutter aufgeschwungen. Der Vizedom von Chartres erfreute sich nicht mehr ihrer Gunst; die Liebe zu Madame de Martigues und zu der Freiheit ließen ihn diesen Verlust nicht allzu schmerzlich fühlen, wie sehr er es auch verdient hätte. Während des Königs zehntägiger Krankheit hatte der Kardinal Zeit gehabt, seine Pläne auszuführen und die Königinmutter Beschlüsse fassen zu lassen, die mit den von ihm beabsichtigten übereinstimmten. Darum mußte dann auch der Konnetabel, sobald der König tot war, in Tournelles bei dem Leichnam des seligen Königs bleiben, um die üblichen Feierlichkeiten zu leiten. Dieser Auftrag hielt ihn von allen fern und hinderte ihn am freien Handeln. Er schickte einen Eilboten an den König von Navarra, um ihn zu schnellem Kommen aufzufordern, auf daß sie sich gemeinsam der großen Erhöhungen widersetzten, welche er den Messieurs de Guise zuteil werden sah. Man gab den Oberbefehl über die Heere dem Herzoge von Guise, und die Finanzverwaltung wurde dem Kardinal von Lothringen anvertraut. Die Herzogin von Valentinois wurde vom Hof verbannt; man ließ den Kardinal von Tournon, den erklärten Feind des Konnetabels, und den Kanzler Olivier, den erklärten Feind der Herzogin von Valentinois, zurückkommen. Der Hof wechselte sein Aussehen vollständig. Der Herzog von Guise nahm denselben Rang wie die drei Prinzen königlichen Geblüts ein und trug bei den Beisetzungsfeierlichkeiten des Königs Mantel. Er und seine Brüder wurden schrankenlose Gebieter; und das nicht allein durch des Kardinals Einfluß auf die Königinmutter, sondern weil die Fürstin glaubte, daß sie sie entfernen könnte, wenn sie ihr lästig fielen; den Konnetabel aber, welcher durch die Prinzen königlichen Geblüts unterstützt wurde, konnte sie nicht entfernen.

Als die Trauerfeierlichkeiten beendigt waren, erschien der Konnetabel im Louvre und wurde vom König sehr frostig empfangen. Er wollte mit ihm insgeheim reden, doch der König rief die Messieurs de Guise dazu und sagte vor ihnen, daß er ihm rate, sich auszuruhen, daß die Finanzverwaltung und der Oberbefehl über die Heere vergeben seien und daß er ihn, wenn er seiner Ratschläge bedürfe, vor sich rufen lassen würde. Von der Königinmutter wurde er noch frostiger als vom Könige empfangen, sie machte ihm Vorwürfe, daß er zum seligen König gesagt habe, seine Kinder glichen ihm nicht. Der König von Navarra kam an und ward nicht besser aufgenommen. Der Prinz von Condé war weniger geduldig als sein Bruder und beklagte sich laut; doch seine Klagen waren eitel, man entfernte ihn unter Vorwänden vom Hofe und schickte ihn nach Flandern, um die Friedensbestätigungen zu unterzeichnen. Den König von Navarra ließ man einen gefälschten Brief des Spanierkönigs sehen, in dem er geziehen wurde, Angriffe gegen dessen feste Plätze unternommen zu haben; man ließ ihn für seine Länder fürchten, endlich überredete man ihn, nach Bearn abzureisen. Die Königinmutter bestimmte ihn dazu, indem sie ihm Madame Elisabeths Führung übertrug, und man nötigte ihn sogar vor der Fürstin abzureisen; also blieb niemand am Hofe, der die Macht des Hauses von Guise im Gleichgewicht halten konnte.

Wiewohl es sehr ärgerlich für Monsieur de Cleve war, Madame Elisabeth nicht geleiten zu dürfen, konnte er sich angesichts der hohen Persönlichkeit, die ihm vorgezogen wurde, doch nicht darüber beschweren. Er bedauerte aber die Entziehung dieses Amtes weniger der Ehre wegen, die es ihm eingebracht haben würde, als weil es seine Frau vom Hofe entfernt hätte, ohne daß es klar wurde, welchen Grund sie hatte, sich von ihm zurückzuziehen.

Wenige Tage nach des Königs Tode beschloß man, nach Reims zu gehen, um die Salbung vollziehen zu lassen. Sobald man von dieser Reise redete, schützte Madame de Cleve, welche sich stets zu Hause gehalten hatte, ein Unwohlsein vor, und bat ihren Gatten, es gutzuheißen, daß sie dem Hofe nicht folge und daß sie nach Colomiers ginge, um frische Luft zu schöpfen und an ihre Gesundheit zu denken. Er entgegnete ihr, er wolle es wahrlich nicht ergründen, ob sie ihr Gesundheitszustand an dieser Reise verhindere, doch willige er darein, daß sie sie nicht unternähme. Ohne Widerspruch stimmte er einer Sache zu, die er im stillen schon lange beschlossen hatte; trotz seiner guten Meinung von der Tugend seiner Frau sah er ein, daß er der Klugheit entbehre, wollte er sie längere Zeit den Blicken eines Mannes aussetzen, den sie liebe.

Monsieur de Nemours erfuhr bald, daß Madame de Cleve dem Hofe nicht folgen würde; er konnte sich nicht zur Abreise entschließen, ohne sie vorher gesehen zu haben, und am Abend vor der Abreise ging er, so spät es die Wohlanständigkeit erlaubte, zu ihr, um sie allein anzutreffen. Das Glück begünstigte sein Vorhaben. Als er in den Hof eintrat, begegneten ihm Madame de Nevers und Madame de Martigues, die gerade fortgingen und zu ihm sagten, daß sie sie allein gelassen hätten. Er stieg mit einer Schnelligkeit und in einer Verwirrung die Treppe hinan, die sich nur der vergleichen läßt, welche Madame de Cleve bei der Meldung empfand, daß Monsieur de Nemours da sei und sie zu sehen wünsche. Die Angst, er könne von seiner Liebe reden, die Sorgnis, sie möchte ihm allzu gewogen antworten, die Unruhe, welche dieser Besuch ihrem Gatten bereiten konnte, die Pein, ihm darüber Rechenschaft ablegen oder ihn verheimlichen zu müssen, all das ging ihr in einem Augenblick durch den Kopf und bereitete ihr eine so große Aufregung, daß sie den Entschluß faßte, dem, was sie vielleicht am sehnlichsten erwünschte, aus dem Wege zu gehen. Sie schickte ihrer Frauen eine zu Monsieur de Nemours, der in ihrem Vorzimmer weilte, und ließ ihm sagen, sie wäre eben unwohl geworden und sei sehr betrübt, die Ehre, die er ihr erweisen wolle, nicht annehmen zu können. Welch ein Schmerz für den Prinzen, Madame de Cleve nicht zu sehen; und sie nicht zu sehen, weil sie nicht wollte, daß er sie sah! Er reiste anderen Morgens ab; er durfte nichts mehr vom Glücke erhoffen. Da er seit jener Unterhaltung bei Madame la Dauphine nicht mehr mit ihr gesprochen hatte, mußte er glauben, daß sein Fehl, mit dem Vizedom von Chartres geredet zu haben, all seine Hoffnungen zunichte gemacht hätte; er reiste schließlich in hellem Zweifel, der seinen lebhaften Schmerz nur verschärfen mußte, ab.

Sobald sich Madame de Cleve von der Aufregung, der sie der Gedanke an Monsieur de Nemours' Besuch aussetzte, erholt hatte, fielen alle Gründe, welche sie den Besuch nicht anzunehmen zwangen, in sich zusammen, sie meinte sogar, einen Fehler begangen zu haben, und wenn sie, als es noch Zeit war, Mut gehabt hätte, würde sie ihn haben zurückrufen lassen.

Madame de Nevers und Madame de Martigues gingen, als sie sie verlassen hatten, zur Königin; Monsieur de Cleve war dort zugegen. Die Fürstin fragte sie, woher sie kämen, sie entgegneten, daß sie von Madame de Cleve kämen, bei der sie einen Teil des Nachmittags zugebracht hätten; es seien viele Leute dagewesen, und Monsieur de Nemours sei allein zurückgeblieben. Diese Aussage, die sie für gleichgültig hielten, war es für Monsieur de Cleve nicht. Wiewohl er sich gut denken konnte, daß Monsieur de Nemours oft Gelegenheit fand, mit seiner Frau zu sprechen, schien ihm trotz alledem der Gedanke, daß er bei ihr weilte, daß er allein dort weilte und von seiner Liebe zu ihr sprechen konnte, in diesem Augenblicke so neu und so unerträglich, daß sich die Eifersucht in seinem Herzen mit heißerer Kraft als jemals entzündete. Es war ihm ganz unmöglich, bei der Königin zu bleiben, er kehrte nach Hause zurück und wußte selber nicht, weshalb er zurückkehrte, und ob es Zweck habe, hinzugehen und Monsieur de Nemours zu unterbrechen. Sobald er ankam, strengte er sich an, irgendein Zeichen zu finden, welches ihm des Prinzen Anwesenheit verkündigte, und er fühlte einige Erleichterung, als er merkte, daß es nicht der Fall war, und es erquickte ihn der Gedanke, daß er sich dort nicht lange aufgehalten haben konnte. Redete sich auch ein, daß er vielleicht nicht auf Monsieur de Nemours eifersüchtig zu sein brauche, und wennschon er durchaus nicht daran zweifelte, suchte er dennoch daran zu zweifeln; aber viele Dinge würden ihn davon überzeugt haben, so daß er nicht lange in dieser erwünschten Ungewißheit verharrt hätte. Er ging sofort in das Gemach seiner Frau, und nachdem er einige Zeit mit ihr über unwesentliche Dinge geredet hatte, konnte er sich nicht der Frage enthalten, was sie begonnen und wen sie bei sich gesehen habe; sie legte ihm Rechenschaft darüber ab. Als er sah, daß sie Monsieur de Nemours nicht nannte, fragte er sie zitternd, ob das alle Leute gewesen wären, die sie gesehen habe, um ihr Gelegenheit zu geben, den Prinzen noch zu nennen, und es nicht schmerzlich empfinden zu müssen, daß sie ihm dessen Besuch verheimlichte. Da sie ihn jedoch nicht gesehen hatte, zählte sie ihn nicht mit auf; Monsieur de Cleve hob aber wieder in einem Tone, der all seine Kümmernis verriet, zu reden an: »Und Monsieur de Nemours haben Sie nicht gesehen; oder vergaßen Sie ihn zu nennen?« – »Ich sah ihn tatsächlich nicht«, entgegnete sie, »ich fühlte mich unbehaglich und habe eine meiner Frauen zu ihm geschickt, um mich bei ihm entschuldigen zu lassen!« – »Sie fühlten sich doch nur für ihn unwohl«, fuhr Monsieur de Cleve fort, »da Sie jedermann empfingen; warum Monsieur de Nemours gegenüber Ausnahmen? Warum ist er Ihnen mehr als ein anderer? Warum müssen Sie seine Blicke fürchten? Weshalb lassen Sie ihn merken, daß Sie ihn scheuen? Warum lassen Sie ihn erkennen, daß Sie sich der Macht über ihn bedienen, welche Ihnen seine Liebe einräumt? Würden Sie sich weigern, ihn anzunehmen, wenn Sie nicht genau wüßten, daß er einen Unterschied zwischen Ihrer Strenge und Ihrer Unhöflichkeit macht? Aber weshalb müssen Sie ihm gegenüber streng sein? Bei einer Frau wie Sie, Madame, zeigt alles, was Ihnen nicht gleichgültig ist, Gunst an!« – »Mögen Sie Monsieur de Nemours auch noch so verdächtigen«, entgegnete Madame de Cleve, »ich glaube wahrlich nicht, daß Sie mir Vorwürfe machen dürfen, weil ich ihn nicht empfing!« – »Ich mache Sie Ihnen dennoch, Madame«, erwiderte er, »und sie sind durchaus begründet; warum wollen Sie ihn nicht sehen, wenn er Ihnen nichts gesagt hat? Er hat aber mit Ihnen gesprochen, Madame; wenn einzig sein Schweigen Ihnen seine Liebe verkündet hätte, würde sie keinen so starken Eindruck auf Sie gemacht haben. Aber Sie konnten mir nicht die volle Wahrheit sagen, Sie haben sie mir zum größten Teil verborgen und bereuten es, mir selbst das wenige eingestanden zu haben, und hatten nicht die Kraft fortzufahren. Ich bin unglücklicher, als ich jemals annahm, bin der unglücklichste aller Männer. Sie sind meine Frau; ich aber liebe Sie wie eine Geliebte und sehe Sie einen anderen lieben, und dieser andere ist der liebenswerteste Mann am Hofe und sieht Sie alle Tage; er weiß auch, daß Sie ihn lieben. Und ich habe noch glauben können«, schrie er auf, »daß Sie Ihre Liebe zu ihm besiegen würden! Ich muß die Vernunft verloren haben, als ich das für möglich hielt!« – »Ich weiß nicht«, entgegnete Madame de Cleve traurig, »ob Sie unrecht taten, ein so außergewöhnliches Vorgehen wie meines günstig zu beurteilen; aber weiß ich denn, ob ich mich nicht in dem Glauben täuschte, Sie würden mir ein gerechter Richter sein?« – »Zweifeln Sie nicht daran«, sagte Monsieur de Cleve dawider, »Sie haben sich getäuscht; Sie verlangten ebenso unmögliche Dinge von mir, wie ich von Ihnen verlangte. Wie konnten Sie nur hoffen, daß ich die Vernunft behalten würde? Hatten Sie denn vergessen, daß ich Sie heiß liebte und Ihr Gatte war? Eines von beiden kann einen schon zum Äußersten bringen: Was vermag nicht alles beides zusammen? Ach, was tun sie auch nicht!« fuhr er fort. »Mich treiben jetzt heftige und schwankende Gefühle, derer ich nicht Herr bin. Ich fühle mich Ihrer nicht mehr würdig, Sie scheinen meiner nicht würdig zu sein; ich bete Sie an, ich hasse Sie, ich beleidige Sie und bitte Sie um Verzeihung, ich bewundere Sie und schäme mich wieder, Sie zu bewundern! Und weder Ruhe noch Vernunft lebt in mir. Ich weiß nicht, wie ich leben soll, seit Sie in Colomiers zu mir sprachen und seit dem Tage, wo Sie von Madame la Dauphine erfuhren, daß man um Ihr Erlebnis wußte! Ich konnte nicht entdecken, durch wen sie es hörte, noch was zwischen Ihnen und Monsieur de Nemours um dieser Angelegenheit willen vorfiel; Sie werden es mir nie offenbaren, und ich bitte Sie nicht, es mir zu enthüllen. Ich bitte Sie einzig, sich erinnern zu wollen, daß Sie mich zu dem unseligsten Manne der Erde gemacht haben!«

Nach solchen Worten verließ Monsieur de Cleve seine Frau und reiste andern Tags ab, ohne sie wiedergesehen zu haben, aber er schickte ihr einen Brief, der von Verzweiflung, Erkenntlichkeit und Liebe überströmte; sie schrieb ihm eine rührende Antwort, voll der Versicherungen über ihr verflossenes Benehmen und das der Zukunft, und schwor ihm, daß ihre Versicherungen der Wahrheit entsprächen und daß dies gewißlich ihre Gefühle wären. Dieser Brief machte Eindruck auf Monsieur de Cleve, und er ward etwas gelassener; da auch Monsieur de Nemours so gut wie er den König aufsuchen mußte, beruhigte ihn die Zuversicht, ihn nicht am gleichen Ort mit Madame de Cleve zu wissen. Immer wenn die Prinzessin mit ihrem Gatten sprach, riefen die Leidenschaft, die er für sie fühlte, die Ehrbarkeit ihres Benehmens, ihre Freundschaft für ihn und ihre Pflichten ihm gegenüber Eindrücke in seinem Herzen hervor, die ihm die Gedanken an Monsieur de Nemours nahmen; doch währte das nur allzu kurze Zeit, und diese Gedanken tauchten nur zu bald und gegenwärtiger als vordem wieder in ihm auf.

Die ersten Tage nach des Prinzen Abreise fühlte Madame de Cleve sein Fernsein nicht, bald aber schien es ihr grausam zu sein. Seit sie ihn liebte, war kein Tag verstrichen, an welchem sie nicht gefürchtet oder gehofft hatte, ihm zu begegnen; nun aber überkam sie ein großer Schmerz, wenn sie daran dachte, daß die Begegnung mit ihm nicht mehr von einem Zufall abhinge.

Sie reiste nach Colomiers; vor ihrer Abreise trug sie Sorge, daß die großen Bilder dahin geschafft würden, die ihrem Wunsche entsprechend nach den Originalen angefertigt waren, welche die Herzogin von Valentinois für ihren schönen Wohnsitz zu Amet hatte herstellen lassen. Alle bemerkenswerten Ereignisse, die sich unter des Königs Regierung abgespielt hatten, waren auf diesen Bildern verewigt. Unter anderen war die Belagerung von Metz dabei, und alle, die sich bei ihr hervorgetan hatten, waren mit möglichster Ähnlichkeit gemalt. Unter ihnen war Monsieur de Nemours, und vielleicht hatte das Madame de Cleves Lust, die Bilder zu besitzen, erweckt.

Madame de Martigues, welche nicht mit dem Hofe hatte reisen können, versprach ihr, einige Tage nach Colomiers zu kommen. Die Gunst der Königin, in die sie sich teilten, hatte sie weder aufeinander neidisch gemacht noch voneinander entfernt; sie waren Freundinnen, ohne daß sie sich jedoch gegenseitig ihre Gefühle anvertrauten. Madame de Cleve wußte, daß Madame de Martigues den Vizedom von Chartres liebte, daß aber Madame de Cleve für Monsieur de Nemours empfand und von ihm wiedergeliebt wurde, ahnte Madame de Martigues nicht. Als Nichte des Vizedoms von Chartres war Madame de Cleve Madame de Martigues natürlich noch teurer, und Madame de Cleve liebte sie als eine Frau, die wie sie eine Leidenschaft, und noch dazu für den besten Freund ihres Geliebten, fühlte.

Madame de Martigues kam, wie sie es Madame de Cleve versprochen hatte, nach Colomiers und traf sie dort in stiller Einsamkeit lebend an. Die Prinzessin hatte sogar ein Mittel, ganz einsam leben zu können, gesucht, und verweilte die Abende in den Gärten, ohne von der Dienerschaft umgeben zu sein. Sie kam in das Gartenhaus, wo Monsieur de Nemours sie belauscht hatte, und trat in das Gemach ein, welches sich nach dem Garten öffnete. Ihre Frauen und Diener blieben in dem anderen Raume oder vor dem Hause und erschienen nur bei ihr, wenn sie gewünscht wurden. Madame de Martigues war noch nie in Colomiers gewesen; sie war überrascht von all der Schönheit, die sie vorfand, und besonders von der Annehmlichkeit dieses Gartenhäuschens. Madame de Cleve und sie verbrachten alle Abende dort. Die Ungebundenheit, des Nachts an dem schönsten Orte der Welt allein zu sein, ließ die Unterhaltung zwischen zwei Wesen, die heftige Leidenschaften in ihrem Herzen bargen, nicht zu Ende kommen; und wiewohl sie sich nichts anvertrauten, fanden sie doch ein lebhaftes Vergnügen daran, miteinander zu plaudern. Madame de Martigues wäre es sicher schwer geworden, Colomiers zu verlassen, hätte sie sich nicht nach ihrer Abreise an einen Ort begeben müssen, an welchem der Vizedom weilte. Sie fuhr nach Chambort, wo sich der Hof damals aufhielt.

Die Salbung war zu Reims durch den Erzbischof von Lothringen vollzogen worden, und man wollte des Sommers Ende im Schlosse zu Chambort, welches neu erbaut war, erwarten. Die Königin äußerte eine lebhafte Freude, als sie Madame de Martigues wiedersah, und nachdem sie ihr die in jeder Weise bezeugt hatte, fragte sie sie nach Neuigkeiten von Madame de Cleve und was sie auf dem Lande treibe. Monsieur de Nemours und Monsieur de Cleve weilten gerade bei der Königin. Madame de Martigues fand Colomiers reizend und erzählte, wie schön es dort sei, und beschrieb ihr den Waldpavillon ganz genau und schilderte auch, welches Vergnügen es Madame de Cleve bereite, einen Teil der Nacht in ihm zuzubringen. Monsieur de Nemours kannte den Ort ja genau genug, um Madame de Martigues Erzählung zu verstehen, und dachte an die Möglichkeit, Madame de Cleve dort sehen zu können, ohne von jemand anderem als ihr gesehen zu werden. Und wendete sich mit einigen Fragen an Madame de Martigues, um sich noch näher zu unterrichten; Monsieur de Cleve aber, der ihn während des Gesprächs mit Madame de Martigues stets im Auge behalten hatte, wähnte zu erkennen, was ihm in diesem Augenblick durch den Sinn ging. Die von dem Prinzen gestellten Fragen bestärkten ihn noch in dieser Meinung, und er zweifelte nicht mehr daran, daß Monsieur de Nemours seine Frau dort aufzusuchen beabsichtige. Und er täuschte sich in dieser Annahme nicht. Dies Vorhaben beschäftigte Monsieur de Nemours so lebhaft, daß er, nachdem er die ganze Nacht über dessen Ausführung nachgedacht hatte, sich bereits am folgenden Morgen Urlaub vom Könige erwirkte, um unter einem Vorwande nach Paris zu reisen.

Monsieur de Cleve war durchaus nicht im unklaren über den Zweck dieser Reise und wollte sich über die Aufführung seiner Frau aufklären, um nicht länger in einer so grausamen Ungewißheit verharren zu müssen. Er hatte Lust, zur selben Zeit wie Monsieur de Nemours zu reisen, um selber heimlich dorthin kommend zu erfahren, welchen Erfolg diese Reise haben würde; er fürchtete aber, sein Fortgehen könne Befremdung erregen und der davon unterrichtete Monsieur de Nemours andere Maßnahmen treffen, und beschloß daher, sich einem Edelmanne anzuvertrauen, der in seinem Dienste stand und dessen Treue und Klugheit er erprobt hatte. Er erzählte ihm seine Aufregung, sagte ihm, daß er bislang an Madame de Cleves Tugend geglaubt habe, und befahl ihm, Monsieur de Nemours auf dem Fuße zu folgen, ihn genau im Auge zu behalten und aufzuachten, ob er nach Colomiers und dort zur Nachtzeit in den Garten ginge.

Der Edelmann war sehr geschickt zu solchen Aufträgen und entledigte sich dieses mit aller nur erdenklichen Aufmerksamkeit. Er folgte Monsieur de Nemours bis in ein Dorf, eine halbe Meile von Colomiers, wo der Prinz Rast machte, und merkte bald heraus, daß dieser hier die Nacht abwarten wollte. Und wagte es nicht, sie auch hier zu erwarten, sondern ließ das Dorf hinter sich und begab sich an einen Platz in dem Walde, wo seiner Meinung nach der Prinz vorbeikommen mußte; er fand all seine Mutmaßungen bestätigt. Sobald die Nacht hereingebrochen war, hörte er Schritte, und obwohl es dunkel war, erkannte er doch unschwer Monsieur de Nemours und sah, wie er den Garten nach allen Seiten hin umschritt, um zu horchen, ob er nicht jemanden darin vernähme, und um die Stelle zu suchen, wo er am leichtesten hineinkommen könnte. Der Zaun war sehr hoch und doppelt, um ein Eindringen zu verhindern, so daß es ziemlich schwierig war hinüberzusteigen. Dennoch kam Monsieur de Nemours zum Ziel. Sobald er im Garten war, konnte er mühelos auskundschaften, wo Madame de Cleve weilte; er sah sehr viel Lichter in dem Gemache des Pavillons, alle Fenster waren geöffnet, und dem Zaune entlangschleichend näherte er sich ihr in einer Verwirrung, die man leicht ermessen kann. Er stellte sich hinter eines der Fenster, die gleichzeitig als Türe dienten, um Madame de Cleves Tun zu beobachten. Und sah, daß sie allein und von so berauschender Schönheit war, daß er kaum dem Entzücken, in welches ihn dieser Anblick versetzte, gebieten konnte. Es war warm, und sie trug Kopf und Hals unbedeckt, ihre Haare waren nur lässig geordnet. Sie saß auf einem Ruhebette, und ein Tisch stand vor ihr, auf dem mehrere Körbe voll Bänder waren, von welchen sie einige aussuchte; und Monsieur de Nemours bemerkte, daß sie von der gleichen Farbe waren, die er beim Turnier getragen hatte. Und sah, daß sie Schleifen für ein sehr außergewöhnliches indisches Blumenrohr daraus machte, wie er einige Zeit über eines getragen und dann seiner Schwester geschenkt hatte, von der es sich Madame de Cleve ausbat, ohne scheinbar zu wissen, daß es einst Monsieur de Nemours gehörte. Nachdem sie ihre Arbeit mit einer Anmut und Lieblichkeit beschickt hatte, welche ihrem Antlitz die Gefühle ihres Herzens aufdrückten, nahm sie einen hohen Leuchter und trat auf einen Tisch zu, der dem Gemälde der Belagerung von Metz, auf dem auch Monsieur de Nemours abgebildet war, gegenüberstand; und nahm Platz und begann das Bild mit einer Aufmerksamkeit und einer Nachdenklichkeit zu betrachten, die nur die Liebe bewirken kann. Es läßt sich denken, was Monsieur de Nemours in diesem Augenblick fühlte! Inmitten der Nacht, am schönsten Orte der Welt eine Frau zu erblicken, welche er anbetete, sie zu sehen, ohne daß sie wußte, daß er sie sah, und sie mit Dingen ganz beschäftigt zu sehen, die ihn und die vor ihm verborgene Liebe angingen, solche Seligkeit hat niemals ein anderer Liebhaber ausgekostet noch ersonnen.

Der Prinz war dermaßen außer sich, daß er unbeweglich stehenblieb, um Madame de Cleve anzuschauen, ohne daran zu denken, daß die Augenblicke kostbar für ihn waren. Als er ein wenig zu sich kam, glaubte er mit einer Unterredung mit ihr warten zu müssen, bis sie in den Garten ginge; auch wähnte er dann mehr Sicherheit zu haben, da sie dort noch weiter von ihren Frauen entfernt war. Als er aber sah, daß sie in dem Gemache blieb, nahm er sich vor hineinzugehen. Doch welch eine Verwirrung überkam ihn, als er es ausführen wollte! Welche Furcht, ihr mißfallen zu können, welche Angst, dies Antlitz, auf dem soviel Anmut lag, verändert und voll Strenge und Zorn zu sehen!

Er hielt sein Kommen, um Madame de Cleve zu sehen, ohne gesehen zu werden, für Wahnsinn. Als er daran dachte, sich zu zeigen, kam ihm alles, was er noch nicht erwogen hatte, in den Sinn. Eine Dame, der er noch nie von seiner Liebe gesprochen hatte, inmitten der Nacht überraschen zu wollen, schien ihm ebenso kühn wie töricht zu sein. Und meinte, er dürfe nicht verlangen, daß sie ihn anhöre, daß sie auch einen gerechten Zorn auf ihn haben würde um der Gefahr willen, der er sie durch die Zwischenfälle, welche eintreten konnten, aussetzte. All sein Mut verließ ihn, und er war mehrere Male willens fortzuschleichen, ohne sich sehen zu lassen. Dennoch ging er einige Schritte vor; das Verlangen, sie zu sehen, trieb ihn an, und die Hoffnungen, die alles Geschehene in ihm erweckten, machten ihn zuversichtlich. Doch war er so verwirrt, daß sich seine Schärpe am Fenster vernestelte, wodurch er ein Geräusch verursachte. Madame de Cleve wendete den Kopf, und mochte er nun an einem Orte stehen, wo es hell genug war, um ihn erkennen zu können, sie glaubte ihn zu erkennen und ging, ohne sich einen Augenblick zu besinnen oder nach der Seite zu blicken, wo er stand, in das Nebengemach zu ihren Frauen. Sie betrat es in solcher Erregung, daß sie, um sie zu verbergen, ein Unwohlsein vorschützen mußte; auch tat sie dies, um alle Leute zu beschäftigen, damit Monsieur de Nemours sich zu entfernen Zeit gewönne. Als sie ein wenig nachdachte, glaubte sie an eine Täuschung ihrer Sinne und hielt es für Einbildung, Monsieur de Nemours gesehen zu haben. Sie wußte ihn in Chambort und fand es unwahrscheinlich, daß er etwas so Waghalsiges unternähme; und hatte mehrere Male Lust, wieder in das Gemach zurückzukehren und im Garten nachzusehen, ob jemand in ihm versteckt sei. Vielleicht wünschte sie ebenso sehr wie sie fürchtete, Monsieur de Nemours dort anzutreffen. Aber schließlich siegten Vernunft und Klugheit über alle anderen Gefühle, und sie hielt es für besser, in ihrem Zweifel zu verharren, als sich der Gefahr auszusetzen, Gewißheit darüber zu erlangen. Sie bedurfte langer Zeit zu dem Entschlüsse, einen Ort zu verlassen, wo ihrer Meinung nach der Prinz noch weilen mußte, und es war fast Tag, als sie ins Schloß zurückkehrte.

Monsieur de Nemours war, solange er Licht sah, im Garten geblieben und hatte die Hoffnung nicht aufgeben können, Madame de Cleve wiederzusehen, wiewohl er überzeugt war, daß sie ihn erkannt hätte und nur um ihn zu meiden fortgegangen wäre. Als er dann sah, wie man die Türen schloß, ward ihm klar, daß er nichts mehr zu hoffen hatte. Er holte sein Pferd, welches nahe bei dem Orte stand, wo sich der Edelmann verbarg, um Monsieur de Nemours zu belauern. Der Edelmann folgte ihm nach demselben Orte, von wo er des Abends aufgebrochen war. Monsieur de Nemours beschloß, hier den ganzen Tag zu verbringen, um in der Nacht nach Colomiers zurückzukehren und zu sehen, ob Madame de Cleve noch so grausam sein würde, ihn zu fliehen und sich seinen Blicken nicht auszusetzen. Obwohl er eine herzhafte Freude darüber empfand, sie so erfüllt von den Gedanken an ihn gesehen zu haben, war er doch sehr betrübt, daß sie dem so natürlichen Triebe, ihn zu fliehen, nachgegeben hatte.

Niemals gab es eine zartere und heftigere Liebe als die des Prinzen damals. Er ging längs des mit Weiden umstandenen Baches, welcher hinter dem Hause floß, wo er sich verbarg. Und entfernte sich so weit wie möglich, um weder gesehen noch gehört zu werden, und gab sich dem Überschwange seiner Liebe hin, und sie bewegte sein Herz so sehr, daß sie ihm Tränen abzwang; doch waren es nicht Tränen, die der Schmerz rinnen läßt, es waren jene süßen Freudentränen, die nur die Liebe kennt.

Er ließ alle Handlungen Madame de Cleves, seit er in sie verliebt war, an sich vorüberziehen: Welch ehrbare und bescheidene Strenge hatte sie stets ihm gegenüber walten lassen, obwohl sie ihn liebte. »Denn nun liebt sie mich«, rief er aus, »sie liebt mich, ich darf nicht mehr daran zweifeln; die süßesten Beschwörungen und die höchsten Gunstbezeugungen sind keine so sicheren Beweise als die mir gegebenen. Indessen werde ich mit derselben Strenge behandelt, wie wenn ich gehaßt würde; ich hoffte auf die Zeit, ich darf nichts mehr von ihr erhoffen; ich sehe sie stets in gleicher Weise sich vor mir und vor sich selber verteidigen. Wenn ich nicht geliebt wäre, würde ich zu gefallen suchen, aber ich gefalle, man liebt mich und verbirgt es mir. Was kann ich denn hoffen, und welchen Wechsel in meinem Geschick darf ich erwarten? Wie, ich werde von der liebenswertesten Frau der Welt geliebt und soll dieses Übermaß von Liebe, welches die erste Gewißheit des Geliebtseins erregt, nur empfinden, um desto tiefer den Schmerz der üblen Behandlung zu fühlen? Lassen Sie es mich wissen, schöne Prinzessin, daß Sie mich lieben«, rief er aus, »lassen Sie mich Ihre Gefühle sehen! Wenn Sie mir einmal in meinem Leben von Ihnen eingestanden werden, willige ich darein, daß Sie für immer wieder die Härte aufnehmen, mit der Sie mich zu Boden schmettern! Blicken Sie mich wenigstens mit denselben Augen an, mit welchen ich Sie heute nacht mein Bild betrachten sah. Können Sie es mit so viel Zärtlichkeit anblicken und mich selbst so grausam fliehen? Was fürchten Sie? Warum ist Ihnen meine Liebe so schrecklich? Sie lieben mich und verbergen es mir vergebens. Sie selber haben es mir durch unfreiwillige Zeichen eingestanden. Ich kenne mein Glück, lassen Sie mich seiner erfreuen, und stehen Sie davon ab, mich unglücklich zu machen! Ist es möglich«, fuhr er fort, »daß ich von Madame de Cleve geliebt werde und doch unglücklich bin? Wie schön war sie diese Nacht! Wie habe ich dem Drange, mich ihr zu Füßen zu werfen, widerstehen können? Wenn ich es getan, hätte ich sie vielleicht an ihrer Flucht vor mir gehindert, meine Ehrerbietung hätte sie sicher gemacht; doch vielleicht hat sie mich nicht erkannt, ich quäle mich mehr, als billig ist; der Anblick eines Menschen zu solch ungewöhnlicher Stunde hat sie erschreckt!«

Diese selben Gedanken beschäftigten Monsieur de Nemours den ganzen Tag über; voller Ungeduld erwartete er die Nacht, und als sie hereingebrochen war, schlug er wieder den Weg nach Colomiers ein. Monsieur de Cleves Edelmann hatte sich, um weniger aufzufallen, verkleidet und folgte ihm bis nach dem Platz, wohin er ihm am vorigen Abend nachgegangen war, und sah ihn wiederum in den Garten gehen. Der Prinz merkte sehr bald, daß Madame de Cleve nicht gewillt gewesen war, sich seinem abermaligen Versuche, sie zu sehen, auszusetzen: Alle Türen waren verschlossen. Er umging das Gartenhaus auf allen Seiten, um zu sehen, ob er keine Lichter darin erblickte, aber es war nutzlos.

Madame de Cleve hatte sich gedacht, daß Monsieur de Nemours wiederkommen könnte, und war in ihrem Gemache geblieben; sie fühlte, daß sie nicht immer die Kraft, ihn zu fliehen, haben würde, auch wollte sie sich nicht dem Zufall aussetzen, mit ihm in einer Weise zu sprechen, die so wenig dem Benehmen entsprach, das sie bislang gezeigt hatte.

Wiewohl Monsieur de Nemours auch keine Aussicht, sie zu sehen, hatte, konnte er sich doch nicht aufraffen, einen Ort so bald zu verlassen, wo sie so oft weilte. Und verbrachte die ganze Nacht in dem Garten und tröstete sich ein geringes damit, wenigstens die Gegenstände zu sehen, auf welchen alle Tage ihr Auge ruhte. Die Sonne war schon aufgegangen, ehe er an einen Rückzug dachte, doch endlich zwang ihn die Besorgnis, entdeckt zu werden, fortzugehen.

Aber ganz unmöglich war es ihm, sich zu entfernen, ohne Madame de Cleve gesehen zu haben; und er ging zu Madame de Mercœur, welche damals auf ihrem Besitze nahe bei Colomiers weilte. Die war außerordentlich überrascht, als sie ihren Bruder ankommen sah. Er erfand einen ziemlich wahrscheinlichen Reisegrund, um sie zu täuschen; und schließlich fädelte er seinen Plan so gut ein, daß er sie nötigte, ihm von selber einen Besuch bei Madame de Cleve vorzuschlagen. Noch selbigen Tags ward der Plan ausgeführt; Monsieur de Nemours erklärte seiner Schwester aber, er würde sich in Colomiers von ihr verabschieden, da er weiterreisen und den König in aller Eile aufsuchen müsse. Und plante, sich in Colomiers von ihr zu trennen, in dem Gedanken, sie als erste aufbrechen zu lassen; so glaubte er denn, ein unfehlbares Mittel gefunden zu haben, Madame de Cleve sprechen zu können.

Als sie dort ankamen, lustwandelte diese gerade in einer der Alleen, welche den Pavillon umzogen. Monsieur de Nemours' Anblick verursachte ihr keine geringe Verwirrung und nahm ihr den Zweifel, ob sie ihn in der vorhergehenden Nacht tatsächlich gesehen habe. Die Gewißheit versetzte sie in eine zornige Aufwallung, da ihr sein Unterfangen allzu kühn und unvorsichtig zu sein deuchte. Der Prinz bemerkte einen Ausdruck von Kälte auf ihrem Antlitz, die ihm einen fühlbaren Schmerz bereitete. Die Unterhaltung drehte sich um gleichgültige Dinge; nichtsdestoweniger fand er Mittel und Wege, so viel Geist vor Madame de Cleve und so viel Wohlgefallen und Bewunderung für sie zu zeigen, daß er wider ihren Willen die Kälte, welche sie ihn anfangs fühlen ließ, teilweise verscheuchte.

Als er seiner anfänglichen Befangenheit Herr geworden war, ließ er eine lebhafte Neugier, den Waldpavillon zu besichtigen, durchblicken; er sprach von ihm wie von dem angenehmsten Orte der Welt und beschrieb ihn so ausführlich, daß Madame de Mercœur äußerte, er müsse ihn schon verschiedene Male besucht haben, da er alle seine Schönheiten so genau kenne. »Ich glaube dennoch nicht«, entgegnete Madame de Cleve, »daß Monsieur de Nemours ihn jemals betreten hat; er ist erst vor kurzem vollendet!« – »Es ist auch nicht lange her, daß ich ihn betrat«, erwiderte Monsieur de Nemours, indem er sie ansah, »und ich weiß nicht, ob ich froh darüber sein soll, daß Sie vergaßen, mich dort gesehen zu haben!« Madame de Mercœur bewunderte den lieblichen Garten und gab nicht acht auf ihres Bruders Worte. Madame de Cleve wurde rot und schlug die Augen nieder, ohne Monsieur de Nemours anzublicken: »Ich erinnere mich nicht«, sagte sie dawider, »Sie dort gesehen zu haben, und wenn Sie dort waren, geschah es, ohne daß ich darum wußte!« – »Es ist wahr, Madame, ich war ohne Ihren Willen da und habe dort die süßesten und grausamsten Augenblicke meines Lebens verbracht!«

Madame de Cleve hörte nur zu gut alle Worte des Prinzen, doch sie erwiderte nichts; sie sann nach, wie sie verhindern könnte, daß Madame de Mercœur in das Lusthaus ginge, weil dort Monsieur de Nemours' Bild war und sie nicht wollte, daß sie es sähe. Und richtete es so wohl ein, daß die Zeit unmerklich verstrich und Madame de Mercœur vom Fortgehen sprach. Als Madame de Cleve nun merkte, daß Monsieur de Nemours und seine Schwester nicht zusammen fortgingen, fühlte sie nur allzugut, wem sie sich jetzt aussetzte, und die gleiche Verwirrung wie in Paris kam über sie, und sie schlug auch den gleichen Ausweg ein. Die Furcht, dieser Besuch könnte ihren Gatten in seinem Argwohn bestärken, trug nicht wenig zu seiner Ausführung bei. Um es zu vermeiden, daß Monsieur de Nemours allein bei ihr bliebe, erklärte sie, Madame de Mercœur bis an den Waldesrand begleiten zu wollen, und befahl, daß ihr ihr Wagen nachfolgen sollte. Des Prinzen Schmerz, immer mit gleicher Härte von Madame de Cleve behandelt zu werden, war so heftig, daß er im selben Augenblicke blaß wurde. Madame de Mercœur fragte ihn, ob ihm übel sei, doch er sah Madame de Cleve an, ohne daß jemand darum merkte, und ließ sie durch seine Blicke fühlen, daß ihn kein anderes Übel als seine Verzweiflung quäle. Indessen mußte er sie verlassen, da er ihnen nicht zu folgen wagte; nach allem, was er seiner Schwester gesagt hatte, konnte er nicht gut zu ihr zurückkehren, er reiste also nach Paris ab und verließ es folgenden Tages wieder.

Monsieur de Cleves Edelmann hatte ihn stets im Auge behalten; auch er reiste nach Paris ab; und als er sah, daß Monsieur de Nemours nach Chambort aufbrach, ritt er eiligst zu, um vor ihm anzukommen und Bericht über seine Reise abzulegen. Sein Herr erwartete seine Rückkunft wie einer, dessen Lebensglück sich entscheidet. Sowie er ihn sah, erriet er an seinem Gesichtsausdruck und an seinem Schweigen, daß er ihm Trostloses mitzuteilen habe. Er verharrte einige Zeit vom Kummer überwältigt gebeugten Hauptes, ohne sprechen zu können; endlich gab er ihm ein Zeichen mit der Hand, sich zurückzuziehen: »Gehen Sie«, sprach er, »ich sehe, was Sie mir zu sagen haben; doch ich habe noch nicht die Kraft, es anzuhören!« – »Ich habe Ihnen nichts mitzuteilen«, erwiderte der Edelmann, »wonach man ein sicheres Urteil fällen könnte. Wahr ist es, daß Monsieur de Nemours in zwei aufeinanderfolgenden Nächten in den Garten am Walde eingetreten und am folgenden Tage mit Madame de Mercœur in Colomiers gewesen ist!« – »Es genügt«, entgegnete Monsieur de Cleve, »es genügt«, indem er noch einmal ein Zeichen fortzugehen gab, »ich bedarf keiner weiteren Aufklärung!« Der Edelmann sah sich genötigt, seinen Gebieter der Verzweiflung zu überlassen; es gab vielleicht niemals eine heftigere, und wenige Menschen von ebenso edlem Gemüte und ebenso leidenschaftlichem Herzen wie Herr von Cleve haben zu gleicher Zeit den Schmerz über die Untreue einer Geliebten und die Scham, von der Gattin betrogen zu sein, empfunden.

Monsieur de Cleve vermochte seinem Übermaß an Schmerzen nicht zu gebieten. Ein Fieber ergriff ihn in selbiger Nacht, und zwar mit solch großer Wut, daß seine Krankheit vom ersten Augenblick an sehr gefährlich erschien. Man benachrichtigte Madame de Cleve, sie kam in aller Schnelligkeit. Als sie anlangte, fühlte er sich noch schlechter, sie fand ihn so kalt und so verwandelt ihr gegenüber, daß es sie außerordentlich überraschte und betrübte. Es kam ihr sogar vor, als ob es ihn schmerzte, die Dienste, die sie ihm leistete, anzunehmen, schließlich aber vermutete sie, es wäre das eine Folge seiner Krankheit.

Als sie zu Anbeginn in Blois war, wo sich der Hof damals aufhielt, konnte Monsieur de Nemours nicht umhin, mit Freude daran zu denken, daß sie am gleichen Orte wie er weilte. Er versuchte sie zu sehen und ging jeden Tag zu Monsieur de Cleve unter dem Vorwande, sich nach seinem Befinden erkundigen zu wollen; doch er sah sie nicht. Sie kam nicht aus ihres Gatten Gemach heraus und trug einen grimmen Schmerz um den Zustand, in dem sie ihn sah. Monsieur de Nemours war verzweifelt, sie so niedergebeugt zu wissen, er fühlte nur zu deutlich, wie sehr dieser Kummer ihre Freundschaft für Monsieur de Cleve erneuerte und welch eine gefährliche Ablenkung diese Freundschaft für die Leidenschaft war, die sie im Herzen trug. Dieser Gedanke bereitete ihm einige Zeitlang eine tödliche Qual; aber die Verschlimmerung von Monsieur de Cleves Leiden eröffnete ihm neue Hoffnungen. Er sah, daß Madame de Cleve vielleicht frei sein würde, um ihrer Liebe zu folgen, und daß er in Zukunft ein immerwährendes Glück und eine dauernde Seligkeit erlangen könnte. Er vermochte diesen Gedanken kaum zu ertragen, soviel Verwirrung und Freude schuf er ihm; und er zog seine Gedanken aus Angst von ihm ab, sich allzu unglücklich zu sehen, wenn diese Hoffnungen nicht zuträfen.

Indessen ward Monsieur de Cleve von allen Ärzten aufgegeben. An einem der letzten Tage seines Leidens, nach einer sehr qualvollen Nacht, sagte er des Morgens, daß er ausruhen wolle.

Madame de Cleve blieb allein in seinem Gemach; es kam ihr vor, als ob er viel zu unruhig sei, um ausruhen zu können. Sie näherte sich ihm und ließ sich mit tränenüberströmtem Antlitz vor seinem Lager auf die Knie nieder. Monsieur de Cleve hatte sich entschlossen, ihr den heftigen Kummer, den er um ihretwillen trug, nicht mehr zu erkennen zu geben; die Sorgfalt aber, die sie ihm widmete, ihre Trauer, die ihm manchmal wahr erschien und die er manchmal für Zeichen der Heuchelei und der Treulosigkeit hielt, erweckten so widerstrebende und so schmerzliche Gefühle in ihm, daß er sie nicht mehr in sich verschließen konnte.

»Sie vergießen da Tränen, Madame«, sprach er zu ihr, »um eines Todes willen, den Sie bewirkten und der Ihnen nicht den Schmerz zufügen kann, welchen Sie zeigen. Ich bin nicht mehr fähig, Ihnen Vorwürfe zu machen«, fuhr er mit einer durch Krankheit und Schmerz gleicherweise geschwächten Stimme fort, »doch sterbe ich des grausamen Kummers halber, welchen Sie mir bereiteten. Mußte denn eine so ungewöhnliche Handlung wie Ihr Geständnis in Colomiers solche Folgen tragen? Warum klärten Sie mich über Ihre Neigung auf, wenn Ihre Tugend nicht genug Widerstandskraft besaß? Ich liebte Sie so sehr, daß ich es wahrlich zufrieden war, getäuscht zu werden, zu meiner Schande gestehe ich das ein; ich habe den Verlust der falschen Ruhe, um die Sie mich brachten, bedauert. Warum ließen Sie mich nicht in jener blinden Ruhe, deren sich so viele Ehemänner erfreuen? Ich hätte vielleicht all meine Lebtage nicht gemerkt, daß Sie Monsieur de Nemours liebten. Ich werde sterben«, fuhr er fort, »aber, weiß Gott, Sie machen mir das Sterben leicht, nachdem Sie mir die Achtung und die Zärtlichkeit nahmen, die ich für Sie empfand; das Leben würde mir nun grauenvoll sein. Wie ertrüge ich das Dasein«, sprach er weiter, »wenn ich es mit einer Frau zubringen sollte, die ich zu sehr liebte und von der ich so grausam betrogen wurde, oder wenn ich getrennt von ihr leben sollte und es zum Bruch und zu Gewalttätigkeiten käme, die meinem Gemüte und meiner Leidenschaft für sie so zuwider sind? Die war noch viel größer, als Sie es ahnten, Madame; ich habe sie fast ganz vor Ihnen verborgen, da ich fürchtete, Ihnen mit ihr lästig zu fallen oder in Ihrer Achtung durch Ausbrüche zu sinken, die einem Gatten nicht zukommen; kurz, ich war Ihres Herzens würdig. Nochmals: Ich sterbe ohne Bedauern, da ich Ihr Herz nicht gewinnen konnte und da ich dies nun auch nicht mehr wünschen kann. Leben Sie wohl, Madame, eines Tages werden Sie den Mann bedauern, der Sie mit wahrer und rechtmäßiger Leidenschaft liebte. Sie werden den Kummer fühlen, den anständige Menschen bei allen Liebesverhältnissen empfinden, und Sie werden merken, welcher Unterschied darin besteht, geliebt zu werden, wie ich Sie liebte, oder von den Männern, welche Ihnen Liebe beweisend nur ihre Ehre darin suchen, Sie zu verführen. Doch mein Tod wird Ihnen die Freiheit geben«, fügte er hinzu, »und Sie können Monsieur de Nemours glücklich machen, ohne daß Sie Sünde darum begehen. Was liegt daran, was nach meinem Ende eintrifft, ich will nicht so schwach sein und mein Augenmerk darauf richten!«

Madame de Cleve dachte nicht im entferntesten daran, daß ihr Gatte Verdacht auf sie haben könnte, und hörte all seine Worte an, ohne sie recht zu verstehen und ohne sich etwas anderes dabei zu denken, als daß er ihr ihre Liebe zu Monsieur de Nemours vorwürfe; endlich fiel mit einem Male der Schleier von ihren Augen: »Ich mich vergehn?« schrie sie auf. »Selbst der Gedanke daran ist mir unbekannt. Die strengste Tugend kann zu keinem anderen Benehmen begeistern, wie ich es zeigte; niemals habe ich eine Handlung begangen, bei der ich Ihre Zeugenschaft nicht hätte wünschen können!« – »Hätten Sie gewünscht«, entgegnete Monsieur de Cleve, indem er sie mit verächtlichem Blicke maß, »daß ich in den Nächten zugegen gewesen wäre, die Sie mit Monsieur de Nemours verbrachten? Ach, Madame, spreche ich von Ihnen, wenn ich von einer Frau rede, die ihre Nächte mit einem Liebhaber zubringt?« – »Nein, Monsieur«, entgegnete sie, »nein, Sie sprechen nicht von mir. Ich habe weder Nächte noch Augenblicke mit Monsieur de Nemours verbracht. Er hat mich niemals allein gesehen, ich habe ihn niemals geduldet noch angehört, ich würde alle Eide ...« – »Sprechen Sie nicht weiter«, unterbrach sie Monsieur de Cleve, »falsche Eide oder ein Geständnis würden mir etwa gleiche Not bereiten!« Madame de Cleve vermochte nicht zu antworten, Tränen und Gram hinderten sie am Sprechen; doch sich schließlich zusammenraffend rief sie: »Sehen Sie mich wenigstens an, hören Sie mir zu: Wenn es nur zu meinem Nutzen wäre, wollte ich diese Vorwürfe dulden, aber es handelt sich um Ihr Leben. Hören Sie mich aus Liebe zu sich selber an; es ist doch undenkbar, daß Sie soviel Wahrheit nicht von meiner Unschuld überzeugen muß!« »Möchte es Gott gefallen, daß Sie mich überzeugen könnten«, schrie er auf, »aber was können Sie mir sagen? Ist Monsieur de Nemours nicht mit seiner Schwester in Colomiers gewesen? Und hat er die beiden vorhergehenden Nächte nicht mit Ihnen im Garten am Walde verbracht?« – »Wenn das meine Sünde ist«, entgegnete sie, »kann ich mich leicht rechtfertigen. Ich bitte Sie nicht, mir zu glauben, doch glauben Sie Ihrer Dienerschaft und fragen Sie die, ob ich in den Garten am Walde ging, als Monsieur de Nemours nach Colomiers kam, und ob ich den Pavillon am vorhergehenden Abend nicht zwei Stunden vor der üblichen Zeit verließ!« Sie erzählte ihm dann, daß sie jemanden im Garten vermutet hätte, und gestand ihm, sie habe geglaubt, es sei Monsieur de Nemours. Sie sprach zu ihm mit solcher Zuversicht, und die Wahrheit setzt sich selbst dann so leicht durch, wenn sie nicht sehr wahrscheinlich klingt, daß Monsieur de Cleve ihrer Unschuld beinahe Glauben beimaß. »Ich weiß nicht«, entgegnete er, »ob ich Ihnen Glauben schenken darf. Ich fühle mich dem Tode so nahe, daß ich nichts sehen möchte, was mich das Leben vermissen lassen könnte. Sie haben mich zu spät aufgeklärt; doch wird es mir eine Erleichterung sein, den Gedanken davonzutragen, daß Sie der Achtung, welche ich Ihnen bezeugte, würdig sind. Auf daß ich noch den vollen Glauben haben kann, daß Ihnen mein Andenken teuer sein wird, und daß Sie, hätte es von Ihnen abgehangen, für mich dieselben Gefühle gehegt haben würden, wie für einen anderen, bitte ich Sie ...«

Er wollte fortfahren, doch ein Schwächeanfall raubte ihm die Sprache. Madame de Cleve rief die Ärzte herbei, sie fanden ihn fast ohne Leben. Dennoch lag er noch einige Tage fast bewußtlos da und starb endlich mit bewundernswerter Festigkeit.

Madame de Cleve verharrte in einem so heftigen Kummer, daß sie beinahe den Verstand verlor. Die Königin suchte sie voller Besorgnis auf und geleitete sie in ein Kloster, ohne daß Madame de Cleve wußte, wohin man sie führte. Ihre Schwägerinnen holten sie nach Paris zurück, wie sie noch nicht fähig war, ihren Schmerz deutlich zu fühlen. Als ihr die Kraft kam, ihm ins Angesicht zu blicken, und als sie sah, welch einen Gatten sie verloren, und auch bedachte, daß sie seines Todes Ursache war, und daß sie ihn mit ihrer Liebe zu einem anderen verschuldet hatte, überkam sie ein unsäglicher Abscheu vor sich selber und vor Monsieur de Nemours. Der Prinz wagte ihr anfänglich keine andere Sorgfalt zu widmen wie die, welche ihm die Wohlanständigkeit erlaubte. Er kannte Madame de Cleve hinreichend und wußte, daß ihr ein großer Eifer unangenehm sein würde. Doch die Erfahrungen, die er jetzt machte, ließen ihn deutlich sehen, daß er lange Zeit über das gleiche Benehmen zeigen müsse.

Seiner Knappen einer erzählte ihm nämlich, daß ihm Monsieur de Cleves Edelmann, welcher sein Freund war, in seinem Schmerz um den verlorenen Gebieter erzählt habe, daß dessen Todesursache Monsieur de Nemours' Reise nach Colomiers gewesen sei. Monsieur de Nemours war außerordentlich bestürzt über diese Nachricht, doch nachdem er sie erwogen hatte, erriet er einen Teil der Wahrheit; er wußte genau, welche Gefühle Madame de Cleve anfangs hegen und wie sehr sie sich von ihm abwenden würde, wenn ihrer Meinung nach ihres Gatten Krankheit eine Folge der Eifersucht gewesen war. Er glaubte, er selber dürfe die Erinnerung an seinen Namen nicht allzu oft in ihr aufkommen lassen, und handelte danach, welche Qual es ihm auch bereiten mochte.

Er unternahm eine Reise nach Paris und konnte es sich dennoch nicht versagen, sich an ihrer Türe nach ihrem Ergehen zu erkundigen. Man erklärte ihm, sie empfinge niemanden und hätte selbst verboten, daß man ihr Bericht darüber ablege, wer sie besuchen wolle. Vielleicht waren diese strengen Befehle in Anbetracht des Prinzen gegeben worden, um nicht von ihm reden zu hören. Monsieur de Nemours war zu verliebt, um gänzlich ohne Madame de Cleves Anblick leben zu können. Und beschloß, Mittel zu finden, welche Schwierigkeiten sie auch machen würden, einem Zustande zu entgehen, der ihm unerträglich zu sein dünkte.

Der Prinzessin Schmerz streifte die Grenzen der Vernunft. Der sterbende Gatte, der um ihretwillen und mit solcher Zärtlichkeit für sie gestorben war, kam ihr nicht aus dem Sinn. Unaufhörlich dachte sie an alles, was sie ihm schuldig war, und rechnete es sich als Sünde an, ihm keine Liebe entgegengebracht zu haben, wie wenn das etwas, das in ihrem Machtbereiche gelegen, gewesen wäre. Und fand nur Trost in dem Gedanken, daß sie ihn ebenso beweinte, wie er beweint zu werden verdiente, und daß sie den Rest ihres Lebens nichts tun würde, womit er zu seinen Lebzeiten nicht würde einverstanden gewesen sein.

Auch hatte sie mehreremals daran gedacht, wie er Monsieur de Nemours' Anwesenheit in Colomiers wohl könnte erfahren haben. Sie vermutete, der Prinz hätte es ihm selber erzählt, und es schien ihr gleichgültig zu sein, daß er es wieder gesagt habe, so sehr hielt sie sich von der Leidenschaft, die sie für ihn empfunden hatte, geheilt und entfernt. Dennoch bereitete ihr der Gedanke, daß er ihres Gatten Tod verursacht habe, einen lebhaften Schmerz, und sie erinnerte sich voll des Kummers der Furcht, welche Monsieur de Cleve bei seinem Tode ihr gegenüber gezeigt hatte, daß sie sich wieder verheiraten könnte. Doch alle diese Schmerzen waren mit dem über ihres Gatten Verlust innig verknüpft, und sie wähnte, keinen anderen zu spüren.

*

Nach Verlauf mehrerer Monate ließ ihr grausamer Gram nach und wandelte sich in eine stille Traurigkeit. Madame de Martigues unternahm eine Reise nach Paris und sah sie während ihres dortigen Aufenthalts. Sie unterhielt sie vom Hofe und allem, was dort vor sich ging; und obwohl Madame de Cleve keinen Anteil daran zu nehmen schien, ließ Madame de Martigues doch nicht davon ab, ihr zu ihrer Zerstreuung davon zu erzählen.

Und gab ihr auch Nachrichten von dem Vizedom, von Monsieur de Guise und allen anderen, die sich durch ihren Rang oder ihre Verdienste hervortaten. »Was Monsieur de Nemours angeht«, berichtete sie, »so weiß ich nicht, ob anstelle der Galanterie andere Dinge sein Herz beschäftigen; doch hat er wohl weniger Freude, als er sonst zu haben pflegte, er scheint den verliebten Handel mit Frauen fast aufgegeben zu haben. Er unternimmt oft Reisen nach Paris, und ich glaube gar, daß er auch gegenwärtig hier ist!« Monsieur de Nemours' Name überraschte Madame de Cleve und ließ sie erröten; sie wechselte den Gesprächsstoff, und Madame de Martigues merkte nicht um ihre Verwirrung.

Folgenden Tages ging die Prinzessin, welche Beschäftigungen trieb, die ihrem Zustande entsprachen, aus dem Hause, um einen Mann in ihrer Nachbarschaft aufzusuchen, welcher Seidenarbeiten besonderer Art herstellte; sie hatte die Absicht, ähnliche selber zu arbeiten. Nachdem man sie ihr gezeigt hatte, sah sie die Türe zu einem Gemach, in welchem sie ihrer noch mehr zu finden glaubte, und sagte, man solle sie öffnen. Der Meister antwortete, er habe keinen Schlüssel dazu, auch würde es von einem Manne bewohnt, welcher einige Male des Tags über dorthin käme, um schöne Häuser und Gärten abzuzeichnen, die man dort vom Fenster aus erblicke. »Er ist der wohlgebildetste Mann der Welt«, fügte er hinzu, »und es hat nicht den Anschein, als ob er darauf angewiesen wäre, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Jedesmal, wenn er darinnen ist, sehe ich ihn immer nur die Häuser und Gärten betrachten, aber niemals arbeiten!«

Mit großer Aufmerksamkeit hörte Madame de Cleve dieser Rede zu. Madame de Martigues' Worte, daß Monsieur de Nemours zu vielen Malen in Paris wäre, verknüpften sich in ihrer Einbildung mit dem wohlgestalteten Manne, der in ihre Nachbarschaft kam, und ließen sie an Monsieur de Nemours, der voll des Verlangens war, sie zu sehen, denken, welches ihr eine heftige Verwirrung bereitete, deren Ursache sie selber nicht kannte. Sie trat an die Fenster, um zu sehen, wohinaus sie gingen, und merkte, daß man von ihnen aus ihren ganzen Garten und die Front ihres Hauses überschaute. Und als sie wieder in ihrem Gemach war, entdeckte sie unschwer dasselbe Fenster, an welches der Erzählung nach jener Mann kam. Der Gedanke, Monsieur de Nemours könne es sein, veränderte ihren Gemütszustand vollkommen; sie befand sich nicht mehr in einer gewissen traurigen Ruhe, sie fühlte sich unruhig und aufgeregt. Schließlich konnte sie nicht mehr für sich bleiben; sie ging aus und wandte sich, um frische Luft zu schöpfen, nach einem Garten vor den Vorstädten, wo sie allein zu sein wähnte. Bei ihrer Ankunft glaubte sie in ihrer Vermutung auch nicht fehlgegangen zu sein, sie fand scheinbar niemanden vor und lustwandelte dort ziemlich lange. Nachdem sie durch ein kleines Gehölz gewandert war, bemerkte sie am Ende einer Allee, an der entlegensten Stelle des Gartens, eine Art Pavillon, welcher nach allen Seiten hin offen war, und lenkte ihre Schritte dorthin. Als sie näher kam, bemerkte sie auf einer der Bänke einen Mann sitzen, der in eine tiefe Träumerei versunken zu sein schien, und sie sah, daß es Monsieur de Nemours war. Dieser Anblick ließ sie ganz kurz verweilen. Doch ihre Leute, die ihr folgten, machten einiges Geräusch, welches Monsieur de Nemours der Träumerei entriß, ohne daß er jedoch acht darauf gab, wer das vernommene Geräusch verursacht habe. Er stand von seinem Platze auf, um der Gesellschaft, die auf ihn zukam, zu entgehen, und wendete sich in eine andere Allee, indem er eine tiefe Verbeugung machte, welche ihn auch die zu sehen verhinderte, welche er begrüßte.

Mit welchem Entzücken würde er wohl umgekehrt sein, wenn er gewußt hätte, wem er aus dem Wege ging! Aber er setzte seinen Weg die Allee entlang fort, und Madame de Cleve sah ihn durch eine Nebenpforte sich entfernen, vor der sein Wagen ihn erwartete. Welch einen Eindruck rief dieses unerwartete Wiedersehen nicht in Madame de Cleves Herzen hervor! Welch eine eingeschlafene Neigung entzündete sich aufs neue und mit welcher Macht in ihrem Herzen! Sie setzte sich auf denselben Platz, den Monsieur de Nemours eben verlassen hatte, und verharrte dort wie zu Boden geschmettert.

Der Prinz stand ihr liebenswerter als alles auf der Welt vor Augen; er liebte sie seit langem mit ehrfurchtsvoller Leidenschaft und Treue, er verachtete alles um ihretwillen, war ehrerbietig vor ihrem Schmerze und darauf bedacht, sie zu sehen, ohne darauf zu sinnen, von ihr gesehen zu werden. Er verließ den Hof, dessen Zierde er war, um die Mauern, welche sie einschlossen, zu betrachten und an den Orten zu träumen, wo er ihr nicht zu begegnen glaubte. Kurz, er war ein Mann, der es wert war, einzig um seiner Anhänglichkeit willen geliebt zu werden, und zu dem sie eine so heiße Liebe hegte, daß sie ihn auch lieben würde, wenn er sie nicht liebte; aber mehr noch, er war ein Mann von höherem und angesehenerem Adel als dem ihrigen. Keine Pflicht, keine Tugend mehr, die sich ihrem Gefühle widersetzte, alle Hindernisse lagen hinter ihr, und es blieb ihr von ihrem früheren Zustande nichts weiter als Monsieur de Nemours' Liebe zu ihr und ihre Liebe zu ihm.

All diese Gedanken waren der Prinzessin neu; die Trauer über Monsieur de Cleves Tod hatte sie hinreichend beschäftigt, um sie daran zu hindern, daß ihr dies alles klar wurde. Monsieur de Nemours' Anwesenheit bewirkte, daß ihr diese Gedanken in Fülle kamen; doch als sie ganz durchdrungen von ihnen war, erinnerte sie sich auch, daß sie denselben Mann, an den sie dachte, wie wenn sie ihn heiraten könnte, zu ihres Gatten Lebzeiten geliebt hatte, daß er dessen Todesursache war, und daß ihr Gatte selbst im Sterben noch Furcht geäußert hatte, sie könnte ihn heiraten. Ihre strenge Tugend ward so verwundet durch diesen Gedanken, daß sie es nicht weniger sündhaft fand, Monsieur de Nemours zu heiraten, als ihn zu ihres Gatten Lebzeiten geliebt zu haben. Sie gab sich diesen Gedanken hin, die ihrem Glücke so entgegenstanden, und bekräftigte sie noch durch Gründe, welche ihre Ruhe und die Leiden betrafen, die sie voraussah, wenn sie den Fürsten heiratete. Nachdem sie zwei Stunden an diesem Orte zugebracht hatte, kehrte sie endlich nach Hause zurück und war überzeugt, daß sie Monsieur de Nemours' Anblick wie etwas, das ihrer Pflicht gänzlich entgegenstand, fliehen müsse. Diese Überzeugung jedoch, die ihre Vernunft und ihre Tugend bewirkt hatten, packte nicht ihr Herz: Es blieb mit einer Heftigkeit an Monsieur de Nemours hängen, welche ihr die bejammernswerteste Lage schuf und ihr keine Ruhe ließ. Sie verbrachte eine der grausamsten Nächte ihres Lebens. Des Morgens war ihr erster Gedanke nachzusehen, ob jemand an dem Fenster stand, welches auf sie blickte; sie ging hin und sah Monsieur de Nemours. Der Anblick überraschte sie, und sie trat mit einer Schnelligkeit, die dem Prinzen zu verstehen gab, daß er erkannt wäre, vom Fenster zurück. Er hatte oft gewünscht, erblickt zu werden, seit ihm seine Liebe dieses Mittel, Madame de Cleve zu sehen, eingegeben hatte; da er aber dieser Freude nicht teilhaftig zu werden glaubte, ging er in den Garten, wo sie ihn getroffen hatte, um dort von ihr zu träumen.

Von einem so unglücklichen und schwankenden Zustande gequält, beschloß Monsieur de Nemours, ein Wiedersehen zu erzwingen, um sich seines Geschicks zu vergewissern. »Was soll ich noch warten«, sprach er zu sich selber, »ich weiß seit langem, daß ich geliebt bin, sie ist frei und hat nicht mehr die Pflicht, mir zu widerstehen; warum soll ich mich damit begnügen, sie zu sehen, ohne wiedergesehen zu werden und ohne sie zu sprechen. Ist es möglich, daß mich die Liebe so völlig um meine Vernunft und Kühnheit gebracht, daß sie mich so anders gemacht hat wie bei den früheren Liebschaften in meinem Leben? Ich mußte Madame de Cleves Kummer achten; doch ich achte ihn zu lange und lasse ihr Zeit, ihre Liebe zu mir zu ersticken!«

Nach solchen Erwägungen sann er auf Mittel, deren er sich bedienen mußte, um sie zu sehen. Und meinte, daß ihn nichts mehr zurückhielte, seine Liebe vor dem Vizedom von Chartres zu verbergen. Er nahm sich vor, mit ihm darüber zu sprechen und ihm die Absichten, die er auf seine Nichte habe, einzugestehen.

Der Vizedom weilte damals in Paris; jedermann war nach dort gekommen, um Anordnungen für seine Ausrüstung mit all ihrem Zubehör zu treffen, damit man dem Könige folgen könnte, welcher die Königin von Spanien begleiten wollte. Monsieur de Nemours ging daher zum Vizedom und legte ihm ein offenes Geständnis alles dessen ab, was er bis dahin verborgen hatte; von Madame de Cleves Gefühlen sprach er jedoch nicht, da er sich nicht merken lassen wollte, daß er über sie im klaren wäre. Der Vizedom hörte seine Beichte hocherfreut an und versicherte ihm, ohne um seine Neigung zu wissen, habe er oft, seit Madame de Cleve verwitwet sei, daran gedacht, daß sie die einzige seiner würdige Frau am Hofe wäre. Monsieur de Nemours bat ihn nun, ihm Gelegenheit zu einer Aussprache mit ihr zu verschaffen, damit er ihre Entschlüsse erfahren könnte.

Der Vizedom wollte ihn zu ihr führen, doch Monsieur de Nemours meinte, das könne sie verletzen, zumal sie noch niemanden empfange. Sie kamen überein, daß der Vizedom sie unter einem Vorwande zu sich bitten sollte; Monsieur de Nemours wollte dann, um von keinem Menschen erblickt zu werden, auf einer Geheimtreppe dorthin kommen. Diesen Beschluß führten sie aus, Madame de Cleve kam; der Vizedom ging ihr entgegen und führte sie in ein großes Gemach, welches am äußersten Ende seiner Wohnung lag. Einige Zeit später trat Monsieur de Nemours ein, wie wenn ihn der Zufall hereingeführt hätte. Madame de Cleve war aufs äußerste überrascht, ihn zu sehen, errötete und suchte ihr Rotwerden zu verbergen. Anfangs sprach der Vizedom nur von gleichgültigen Dingen, ging dann aber unter dem Vorgeben fort, etwas anordnen zu müssen. Er bat Madame de Cleve, die Wirtstelle für ihn zu vertreten, er würde in wenigen Augenblicken wiederkommen.

Man kann sich nicht denken, was Monsieur de Nemours und Madame de Cleve fühlten, als sie zum ersten Male allein waren und miteinander reden konnten! Sie verharrten einige Zeit über, ohne zu sprechen. Endlich brach Monsieur de Nemours das Schweigen. »Verzeihen Sie dem Vizedom von Chartres, Madame«, hob er an, »daß er mir die Gelegenheit geboten hat, Sie zu sehen und zu sprechen, welche Sie mir stets verweigerten?« – »Ich kann ihm nicht vergeben«, entgegnete Madame de Cleve, »meinen Zustand vergessen zu haben und meine Ehre solcher Peinlichkeit auszusetzen!« Nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte, beabsichtigte sie fortzugehen, doch hielt sie Monsieur de Nemours zurück. »Fürchten Sie nichts, Madame; niemand weiß, daß ich hier bin, und kein Zwischenfall steht zu befürchten. Hören Sie mich an, Madame, hören Sie mich an: Wenn nicht aus Liebe zu mir, so doch aus Liebe zu sich selbst, damit Sie sich vor den Torheiten schirmen, zu denen mich eine Liebe verleiten wird, welcher ich nicht mehr Herr bin!« Madame de Cleve gab ihrer Neigung zu Monsieur de Nemours zum ersten Male nach und sprach zu ihm, ihn mit Augen voller Liebe und Zärtlichkeit anblickend: »Aber was erhoffen Sie denn von der Gefälligkeit, um die Sie mich bitten? Sie werden es vielleicht bereuen, sie erlangt, ich aber werde es sicherlich bereuen, sie gewährt zu haben. Sie verdienten ein glücklicheres Geschick als Ihr bisheriges und als Ihr zukünftiges, wofern Sie Ihr Glück nicht anderswo suchen!« – »Ich mein Glück anderswo suchen, Madame«, fiel er ein, »gibt es denn ein anderes als das, von Ihnen geliebt zu werden? Wiewohl ich niemals mit Ihnen sprach, Madame, glaube ich zuversichtlich, daß Sie um meine Leidenschaft wissen, und daß Sie sie als die wahrhaftigste und heißeste kennen, die es jemals geben wird. Zu welchen Leiden ist sie durch Dinge, die Ihnen unbekannt sind, verurteilt, zu welchen Leiden haben Sie sie durch Ihre Grausamkeit verdammt!«

»Da Sie es wünschen, daß ich mich dazu aufraffe, mit Ihnen zu sprechen«, hob Madame de Cleve an, indem sie Platz nahm, »will ich es mit einer Aufrichtigkeit tun, die Ihnen an einem Wesen meines Geschlechts lästig erscheinen wird. Ich will Ihnen nicht vorreden, daß ich um Ihre Leidenschaft zu mir nicht gewußt hätte, vielleicht glaubten Sie das mir nicht, wenn ich es Ihnen sagte; ich gestehe Ihnen also nicht allein, daß ich sie bemerkt habe, sondern daß ich sie so sehr bemerkt habe, wie Sie nur wünschen konnten, daß sie mir offenkundig ward!« – »Und wenn Sie sie bemerkt haben, Madame«, unterbrach er sie, »wie war es möglich, daß sie Sie nicht rührte? Würde ich Sie um etwas zu bitten wagen, wenn sie keinen Eindruck auf Ihr Herz gemacht hätte?« – »Sie haben durch mein Benehmen daraufschließen können«, fuhr sie fort, »doch ich möchte wohl wissen, was Sie sich dabei gedacht haben.« – »Ich müßte glücklicher sein, um das Wagnis eines solchen Geständnisses auf mich zu nehmen«, antwortete er, »auch steht mein Los zu wenig mit dem im Einklang, was ich Ihnen sagen würde. Alles, was ich wissen lassen kann, ist, daß ich sehnlichst gewünscht hätte, Sie würden Monsieur de Cleve nicht anvertraut haben, was Sie vor mir verbargen, und hätten ihm verborgen, was Sie mich sehen ließen!« »Wie haben Sie erfahren können«, fragte sie unter Erröten, »daß ich Monsieur de Cleve etwas eingestand?« – »Ich habe es durch Sie selbst erfahren, Madame«, entgegnete Monsieur de Nemours, »aber erinnern Sie sich, um mir meine Kühnheit, Sie behorcht zu haben, zu verzeihen, ob ich mißbrauchte, was ich hörte, ob meine Hoffnungen dadurch vermehrt wurden, ob ich kühner wurde und mit Ihnen sprach!«

Er begann ihr zu erzählen, wie er ihre Unterhaltung mit Monsieur de Cleve angehört hatte; doch sie unterbrach ihn, ehe er noch zu Ende war. »Reden Sie mir nichts mehr davon«, sprach sie, »ich weiß nun, wodurch Sie so gut unterrichtet waren, Sie schienen es mir bei Madame la Dauphine schon allzusehr zu sein, und die wußte durch die, denen Sie sich anvertraut hatten, um diese Angelegenheit!«

Monsieur de Nemours erklärte ihr dann, wie das hatte geschehen können. »Entschuldigen Sie sich nicht«, fuhr sie fort, »ich habe Ihnen lange verziehen, ohne daß Sie mir den Sachverhalt sagten; doch da Sie nun einmal durch mich selbst erfuhren, was ich vor Ihnen mein ganzes Leben über zu verbergen Ursache hatte, so gestehe ich Ihnen auch, daß Sie in mir Gefühle erweckt hatten, die mir, bevor ich Sie gesehen, unbekannt gewesen waren und von denen ich selber so wenig Ahnung hatte, daß sie mich überraschten, welches die Verwirrung, die ihnen stets folgt, nur noch vermehrte.

Ich mache Ihnen dies Geständnis mit weniger Scham, da ich es zu einer Zeit ablege, wo ich es, ohne Sünde zu begehen, tun kann, und da Sie gesehen haben, daß mein Benehmen nicht durch Gefühle bestimmt wird!«

»Sehen Sie, Madame«, rief Monsieur de Nemours aus, indem er sich vor ihr niederwarf, »wie ich vor Ihren Füßen schier vor Freude und Wonne vergehe!« – »Ich habe Ihnen nur gesagt«, antwortete sie mit einem Lächeln, »was Sie schon allzugut wußten!« – »Ach, Madame«, fuhr er fort, »welch ein Unterschied, es nicht durch eine Tat des Zufalls, sondern durch Sie selber zu erfahren, und zu wissen, daß Ihnen daran liegt, daß man darum wisse!« – »Wahrscheinlich«, entgegnete sie, »liegt es mir daran, daß Sie darum wissen, und es bereitet mir Wonne, es Ihnen zu sagen: Ich weiß es selber nicht, ob ich es Ihnen nicht mehr aus Liebe zu mir, als aus Liebe zu Ihnen sage. Denn, kurz, dies Geständnis wird keine Folgen tragen, und ich werde die strengen Regeln innehalten, die mir meine Pflicht gebietet!« – »Denken Sie nicht mehr daran, Madame«, rief Monsieur de Nemours aus, »es gibt keine Pflicht mehr, die Sie bindet, Sie sind frei; und wenn ich es wagen würde, sagte ich Ihnen noch, daß es in der Folgezeit von Ihrem Willen abhängen wird, ob Ihre Pflicht Sie eines Tages zwingt, die Gefühle zu bewahren, die Sie zu mir hegen!« – »Meine Pflicht verbietet es mir«, entgegnete sie, »jemals an jemanden zu denken und weniger noch an Sie, als an jemand anderen auf dieser Welt, ich habe Gründe dazu, die Ihnen unbekannt sind!« – »Vielleicht sind sie es mir nicht, Madame«, erwiderte er; »doch das sind keine wirklichen Gründe. Ich glaube zu wissen, daß mich Monsieur de Cleve für glücklicher hielt, als ich es war, und daß er sich einbildet, Sie billigten die Torheiten, welche mich meine Leidenschaft ohne Ihre Einwilligung begehen ließ!« – »Sprechen wir nicht von diesen Dingen«, fuhr sie fort, »ich würde den Gedanken daran nicht ertragen können; sie haben mir Schande gebracht, auch sind sie mir zu schmerzvoll durch ihre Folgen. Es ist nur allzuwahr, daß Sie Monsieur de Cleves Tod verschuldet haben. Den Argwohn, den Ihr unbedachtes Benehmen in ihm weckte, hat er mit dem Leben bezahlt, wie wenn Sie es ihm mit Ihren eigenen Händen geraubt hätten. Denken Sie daran, was ich hätte tun müssen, wenn es zwischen Ihnen und ihm zum Äußersten gekommen wäre und sich das gleiche Unglück dabei zugetragen hätte. Ich weiß wohl, in den Augen der Welt ist es das nicht, in meinen aber gibt es keinen Unterschied hierin, da ich weiß, daß er durch Sie und um meinetwillen starb!« – »Ach, Madame«, fiel Monsieur de Nemours ein, »solch ein Trugbild von Pflicht stellen Sie meinem Glücke entgegen? Wie, Madame, ein nichtiger und unbegründeter Gedanke sollte Sie hindern, einen Mann glücklich zu machen, den Sie nicht hassen? Wie, ich hätte grundlos die Hoffnung fassen können, mein Leben mit Ihnen zu verbringen; mein Schicksal hätte mich umsonst bestimmt, das schätzenswerteste Wesen der Welt zu lieben? Sah ich doch wahrlich alles in ihr, was eine Geliebte anbetungswürdig macht; sie hätte mich nicht gehaßt, und ich hätte in ihrem Wesen alles entdeckt, was eine Gattin begehrenswert macht! Denn, glauben Sie mir, Madame, Sie sind vielleicht die einzige Frau, in der sich alles dies bis zu dem Grade, wie es Ihnen zu eigen ist, jemals vereinigt: Alle Männer, die ihre Geliebte heiraten, zittern, wenn sie sie geheiratet haben, und wachen in Sorgnis über das Benehmen, das sie gegen andere zeigen. Doch bei Ihnen, Madame, steht nichts zu befürchten, man hat nur Ursache, Sie zu bewundern. Hätte ich ein so riesengroßes Glück nur ins Auge gefaßt, um Sie dort Hindernisse vor sich auftürmen zu sehen? Ach, Madame, Sie vergessen, daß Sie mich vor allen übrigen Männern ausgezeichnet haben, oder vielmehr, daß Sie mich nimmer vor ihnen ausgezeichnet haben. Sie haben sich geirrt, und ich habe mir selber geschmeichelt!«

»Sie haben sich nicht selbst geschmeichelt«, entgegnete sie, »die Gründe meiner Pflicht würden mir vielleicht nicht so schwerwiegend erscheinen ohne diese Auszeichnung, an der Sie zweifeln; sie aber ist es, welche mich Unglück befürchten läßt, falls ich mich mit Ihnen verbände.« – »Ich habe nichts zu entgegnen, Madame«, erwiderte Monsieur de Nemours, »wenn Sie mir sagen, daß Sie Unglück befürchten; doch gestehe ich Ihnen, daß ich nach allem, was Sie mir wohl haben sagen wollen, keinen so grausamen Grund zu hören hoffte!« – »Es ist so wenig verletzend für Sie«, fuhr Madame de Cleve fort, »daß ich ihn Ihnen nur mit vieler Mühe sage!« – »Wehe, Madame«, rief er, »was können Sie nach allen Ihren Worten fürchten, das mir zu sehr schmeicheln würde?« – »Ich will mit derselben Offenheit, mit der ich begonnen habe, noch weiter zu Ihnen reden«, erwiderte sie, »und will jede Zurückhaltung und jede Empfindsamkeit, welche ich bei einer ersten Unterhaltung zeigen müßte, außer acht lassen; doch beschwöre ich Sie, mich ohne Unterbrechung anhören zu wollen.

Ich glaube Ihrer Anhänglichkeit den geringen Dank schuldig zu sein, keines meiner Gefühle vor Ihnen zu verbergen, und sie Ihnen so zu zeigen, wie sie sind. Es wird wahrlich das einzige Mal in meinem Leben sein, daß ich mir die Freiheit gebe, sie Ihnen anzuvertrauen. Gleichwohl werde ich Ihnen nicht ohne Scham bekennen können, daß mir die Gewißheit, nicht mehr von Ihnen geliebt zu werden, wie ich es bin, ein so furchtbares Unglück schiene, daß, wenn auch die unüberwindbaren Gründe der Pflicht nicht bestünden, ich mich kaum entschließen könnte, mich solchem Unglück auszusetzen. Ich weiß, daß Sie frei sind, daß ich es bin und daß die Verhältnisse so liegen, daß die Öffentlichkeit keinen Grund hätte, Sie oder mich zu tadeln, wenn wir uns für immer vereinigten. Aber bleibt die Leidenschaft der Männer bei solch ewigen Verbindungen denn immer die gleiche? Darf ich auf ein Wunder zu meinen Gunsten rechnen? Könnte ich es aber ertragen, diese Liebe, die mein ganzes Glück ausmacht, zur Neige gehen zu sehn? Monsieur de Cleve war vielleicht der einzige Mann auf der Welt, welcher die Liebe in der Ehe zu bewahren vermochte. Mein Geschick wollte es nicht, daß ich dieses Glück auskosten sollte; seine Leidenschaft hatte vielleicht auch nur Bestand, weil er nicht ihresgleichen bei mir fand. Aber ich würde nicht dasselbe Mittel, mir die Ihrige zu erhalten, haben: Denn ich glaube sogar, daß die Hindernisse ihre Beständigkeit bewirkten! Sie haben ihrer genug gefunden, die Sie zu einer Besiegung anfeuerten, und meine unabsichtlichen Handlungen, oder die Dinge, welche Sie der Zufall lehrte, haben nur zu viele Hoffnungen in Ihnen erweckt, um Sie nicht abzuschrecken!« »Ach, Madame«, erwiderte Monsieur de Nemours, »ich kann das Schweigen, welches Sie mir auferlegen, nicht wahren, Sie tun mir allzu unrecht; Sie lassen mich allzu deutlich erkennen, wie wenig Sie zu meinen Gunsten eingenommen sind?« – »Ich gestehe«, fuhr sie fort, »daß Leidenschaften mich leiten, aber nicht blind machen können: Nichts kann mich verhindern, Sie mit allen Anlagen für die Galanterie und mit allen Eigenschaften, in ihr erfolgreich zu sein, begabt zu finden. Sie haben schon manche Leidenschaft gefühlt, Sie werden ihrer noch mehrere fühlen; ich würde nicht mehr Ihr Glück ausmachen, ich würde Sie für eine andere brennen sehen, wie Sie es für mich taten. Und würde einen tödlichen Kummer spüren: Ich würde sicherlich auch die Qualen der Eifersucht prüfen. Ich habe Ihnen davon zuviel gesagt, um Ihnen verbergen zu können, daß Sie sie mich schon haben kennenlernen lassen, und daß ich eine so grausame Not an dem Abend litt, wo mir die Königin Madame de Themines' Brief gab, der, wie man mir sagte, an Sie gerichtet war, daß mir eine Vorstellung davon geblieben ist, welche mich glauben läßt, sie sei aller Übel größtes.

Aus Eitelkeit oder Neigung wünschen sich alle Frauen mit Ihnen zu verbinden; es gibt ihrer wenige, denen Sie nicht gefallen; meine Erfahrung läßt mich glauben, daß Sie jeder gefallen müssen. Ich würde Sie stets für verliebt oder geliebt halten und würde mich oft nicht täuschen. Dennoch würde ich in diesem Zustande nichts anderes tun können, als Duldsamkeit walten lassen; ich weiß nicht einmal, ob ich es wagen würde, mich zu beklagen. Man macht einem Geliebten Vorwürfe, doch macht man sie einem Ehemann, wenn man ihm nur vorwerfen kann, keine Liebe mehr zu spüren? Wenn ich mich nun auch an solcherart Unglück zu gewöhnen vermöchte, könnte ich mich in das gewöhnen, Monsieur de Cleve in meinem Innern Sie täglich seines Todes bezichtigen zu hören, mir vorzuwerfen, Sie geliebt, Sie geheiratet zu haben, mich den Unterschied zwischen seiner und Ihrer Liebe fühlen zu lassen? Unmöglich kann ich solch starke Gründe niedertreten, ich muß in meiner Witwenschaft und in meinem Entschluß verharren, sie niemals aufzugeben!« – »Ach, Madame, glauben Sie das zu können«, rief Monsieur de Nemours, »meinen Sie, Ihre Entschlüsse widerstünden einem Manne, der Sie anbetet und Ihnen zu gefallen glücklich ist? Es ist schwieriger, als Sie denken, Madame, dem, den man liebt und von dem man geliebt wird, Widerstand zu leisten. Sie haben es dank einer strengen Tugend vermocht, die schier ohne Beispiel ist; doch diese Tugend steht nicht mehr mit Ihren Gefühlen im Widerspruch, und Sie werden ihnen, hoffe ich, gegen Ihren Willen nachgeben!« – »Ich weiß wohl, daß es nichts Gefahrvolleres als meinen Vorsatz gibt«, erwiderte Madame de Cleve, »ich mißtraue meinen Kräften inmitten meiner Gründe. Was ich Monsieur de Cleves Andenken schuldig zu sein glaube, würde schwach sein, wenn es nicht durch das Wohl meiner Ruhe unterstützt würde; die Gründe meiner Ruhe aber müssen wieder notwendig durch meine Pflichten unterstützt werden. Wiewohl ich mir aber selber mißtraue, glaube ich doch, meine Gewissenszweifel niemals überwinden zu können, und hoffe auch nicht, meine Liebe zu Ihnen zu unterdrücken. Sie wird mich unglücklich machen, und ich werde mich Ihres Anblicks berauben, welche Kraft es mich auch kosten wird. Ich beschwöre Sie bei aller Macht, die ich über Sie habe, suchen Sie keine Gelegenheit, mich zu sehen. Ich lebe in einem Zustande, der mir das als Sünde erscheinen läßt, was zu anderen Zeiten erlaubt sein könnte; auch untersagt die Wohlanständigkeit jede Verbindung zwischen uns!« Monsieur de Nemours warf sich ihr zu Füßen und gab sich all den Regungen hin, die ihn durchströmten. Er ließ sie durch seine Worte, durch seine Tränen die lebhafteste und zärtlichste Liebe sehen, welche jemals ein Herz bewegte. Madame de Cleves Herz war nicht unempfindlich; und den Prinzen mit Augen anblickend, die sich durch Tränen vergrößert hatten, rief sie aus: »Warum muß ich Sie der Schuld an Monsieur de Cleves Tode zeihen? Warum habe ich Sie nicht kennengelernt, als ich noch frei war, oder warum kannte ich Sie nicht, ehe ich ungebunden war? Warum trennt uns das Schicksal durch einen so unüberwindbaren Widerstand?« – »Es gibt keinen Widerstand, Madame«, entgegnete Monsieur de Nemours, »Sie allein widersetzen sich meinem Glück, Sie allein legen sich ein Gesetz auf, welches Ihnen Tugend und Vernunft nicht vorschreiben würde!« – »Es ist wahr«, antwortete sie; »ich opfere einer Pflicht, die nur in meiner Einbildung besteht, zuviel; warten Sie ab, was die Zeit bringen wird! Monsieur de Cleve hat eben zu leben aufgehört, und dieser grausame Tag ist noch zu nahe, um mich klar und deutlich sehen zu lassen. Begnügen Sie sich indessen damit, sich von einer Frau geliebt zu wissen, die nie geliebt haben würde, wenn sie Sie niemals gesehen hätte. Glauben Sie, daß meine Gefühle für Sie ewig sind und daß sie immer bestehen werden, was ich auch tue. Leben Sie wohl«, sagte sie, »diese Unterredung bereitet mir Scham. Legen Sie dem Vizedom Rechenschaft darüber ab, ich erlaube es und bitte Sie darum!«

Nachdem sie diese Worte ausgesprochen, ging sie fort, ohne daß Monsieur de Nemours sie zurückhalten konnte. Sie traf den Vizedom im nächsten Zimmer an. Er sah sie so erregt, daß er sie nicht anzusehen wagte, und leitete sie an ihren Wagen, ohne ein Wort zu sprechen. Er suchte dann Monsieur de Nemours auf, welcher so voll Freude, Traurigkeit, Erstaunen und Bewunderung, kurz, voll all der Gefühle war, die eine Liebe voll Furcht und Hoffnung einflößen kann, daß er schier von Sinnen war. Der Vizedom mußte lange warten, ehe er ihm Rechenschaft über seine Unterhaltung ablegte. Endlich tat er es, und Monsieur de Chartres fühlte, ohne verliebt zu sein, nicht weniger Bewunderung für Madame de Cleves Tugend, Geist und Verdienst als Monsieur de Nemours. Sie prüften, was der Prinz von seinem Schicksal erhoffen durfte; und welche Befürchtungen ihm auch seine Liebe einflößen konnte, er war sich mit dem Vizedom klar darüber, daß Madame de Cleve unmöglich in ihren Entschlüssen verharren würde. Dennoch kamen sie überein, man müsse ihre Befehle befolgen, da man zu befürchten habe, daß, wenn die Öffentlichkeit etwas um diese Liebe merkte, Madame de Cleve Erklärungen abgeben und sich der Welt gegenüber zu etwas verpflichten würde, das sie in der Folgezeit aus Sorgnis, man könne annehmen, sie habe ihn schon bei Lebzeiten ihres Gatten geliebt, halten möchte.

Monsieur de Nemours faßte den Entschluß, dem Könige zu folgen. Es war dies auch eine Reise, der er sich kaum entziehen konnte; er beschloß abzureisen, ohne sogar zu versuchen, Madame de Cleve an einem Orte, wo er sie einige Male getroffen hatte, wiederzusehen. Er bat den Vizedom, mit ihr zu reden. Was sagte er ihm nicht alles, um es ihr wiederzusagen! Welche Unzahl von Gründen, die sie überreden sollten, ihre Gewissenszweifel zu überwinden! Schließlich war ein Teil der Nacht verstrichen, ehe Monsieur de Nemours daran dachte, ihn in Ruhe zu lassen.

Madame de Cleve konnte sich zu keiner Entschlußänderung bereit finden; es war ihr etwas so Neues, den Zwang, den sie sich auferlegt hatte, außer acht gelassen und das erstemal in ihrem Leben geduldet zu haben, daß man ihr ein Liebesgeständnis abgelegt und sie es selber erwidert hatte, daß sie sich selbst nicht mehr kannte. Sie war über ihr Tun erstaunt und bereute es, freute sich darüber, alle ihre Empfindungen waren voll der Aufregung und der Leidenschaft. Sie prüfte noch die Gründe ihrer Pflicht, welche sich ihrem Glücke widersetzten, empfand Schmerz darüber, sie so stark zu sehen, und machte sich Vorwürfe, sie Monsieur de Nemours so deutlich gezeigt zu haben. Obwohl ihr der Gedanke, den Fürsten zu heiraten, in den Sinn gekommen war, sobald sie ihn in jenem Garten wiedergesehen, hatte er nicht denselben Eindruck wie ihre eben mit ihm gepflogene Unterhaltung auf sie gemacht, und es gab Augenblicke, wo sie kaum begreifen könnte, daß sie unglücklich werden würde, wenn sie ihn heiratete. Es wäre ihr lieb gewesen, wenn sie sich hätte sagen können, daß ihr Vorhaben nur schlecht und durch ihre Gewissensbisse vor der Vergangenheit und durch ihre Angst vor der Zukunft begründet sei. Vernunft und Pflicht zeigten ihr in anderen Augenblicken gerade die gegenteilige Ansicht, welche sie schnell zu dem Entschluß brachte, sich nie wieder zu verheiraten und Monsieur de Nemours nimmer wiederzusehen. Das aber war ein allzu herber Entschluß, um in einem Herzen, das so zärtlich wie das ihrige schlug und welches sich auch dem unbekannten Reiz der Liebe öffnete, Wurzeln schlagen zu lassen. Um sich etwas zu beruhigen, dachte sie schließlich, es wäre nicht nötig, sich zu einem schnellen Entschluß zu zwingen. Die Wohlanständigkeit legte ihr eine lange Zeit zum Überlegen auf. Sie beschloß jedoch, fest zu bleiben und keinerlei Verkehr mit Monsieur de Nemours zu pflegen. Der Vizedom suchte sie auf und diente dem Prinzen nach möglichstem Können; er aber konnte weder eine Änderung ihres Vorhabens noch des Benehmens herbeiführen, welches sie sich Monsieur de Nemours gegenüber vorgeschrieben hatte. Sie sagte ihm, es sei ihre Absicht, in ihrem jetzigen Stande zu verharren; sie wüßte, das Vorhaben sei schwierig auszuführen, doch hoffe sie, Kraft dazu zu haben. Sie ließ ihn so deutlich sehen, bis zu welchem Grade sie der Glaube erschütterte, Monsieur de Nemours habe ihres Gatten Tod verursacht, und wie sehr sie überzeugt sei, daß sie gegen dessen Willen handle, wenn sie ihn heirate, daß der Vizedom fürchtete, er würde ihr schwerlich diese Meinung nehmen können. Doch teilte er dem Prinzen seine Gedanken nicht mit; und ihm Rechenschaft über ihre Unterhaltung ablegend, ließ er ihm alle Hoffnung, welche billigerweise in einem Manne, welcher geliebt ist, entstehen muß.

Folgenden Tags reisten sie ab und vereinigten sich mit dem Könige. Der Vizedom von Chartres schrieb an Madame de Cleve auf Monsieur de Nemours' Bitten, um ihr von dem Prinzen zu erzählen; und in einen zweiten Brief, der dem ersten folgte, legte Monsieur de Nemours einige Zeilen von seiner Hand. Madame de Cleve aber wollte nicht von den Vorschriften, die sie sich auferlegt hatte, abweichen, fürchtete auch das Unheil, welches durch Briefe auftreten kann, und schrieb an den Vizedom, wenn er fortführe, ihr von Monsieur de Nemours zu erzählen, würde sie seine Briefe nicht mehr annehmen; und teilte ihm dieses so nachdrücklich mit, daß ihn der Prinz selber bat, nichts mehr von ihm zu erwähnen.

Der Hof begleitete die Königin von Spanien bis nach Poitou; während dieses Fernseins weilte Madame de Cleve zu Hause; und in dem Maße, wie sie sich von Monsieur de Nemours und von allem, was ihn anging, entfernte, rief sie sich Monsieur de Cleves Andenken ins Gedächtnis zurück, was sie für ihre Ehrenpflicht hielt. Ihre Gründe, Monsieur de Nemours nicht zu heiraten, wurden stärker, wenn sie an ihre Pflicht, und unüberwindbar, wenn sie an ihre Ruhe dachte. Das Aufhören der Liebe des Prinzen, die Nöte der Eifersucht, welche ihrer in einer Ehe unfehlbar warteten, stellten ihr das Unheil vor Augen, in welches sie sich stürzen wollte; da sah sie auch ein, daß es ein Ding der Unmöglichkeit war, in Gegenwart des liebenswürdigsten Mannes auf dem Erdboden, den sie lieb hatte, und von dem sie geliebt wurde, Widerstand zu leisten, und noch dazu in Dingen zu widerstehen, welche weder ihre Tugend noch die Wohlanständigkeit verletzten. Sie urteilte, daß ihr allein die Abwesenheit und die Entfernung einige Kraft verleihen könnten; sie fand, daß sie ihrer bedurfte, nicht allein, um ihren Entschluß, sich nicht zu binden, auszuführen, sondern um sich auch zu verwehren, Monsieur de Nemours zu sehen; und sie nahm sich fest vor, eine ziemlich lange Reise zu unternehmen, um die Zeit verstreichen zu lassen, welche die Wohlanständigkeit, in Zurückgezogenheit zu leben, sie zwang. Eine ihrer großen Besitzungen nahe bei den Pyrenäen schien ihr der geeignetste Ort zu sein, den sie wählen konnte. Wenige Tage, ehe der Hof zurückkam, reiste sie ab; vor ihrem Weggange jedoch schrieb sie an den Vizedom, um ihn inständig zu bitten, daß man keinerlei Nachrichten von ihr erwarten, noch ihr selber schreiben solle.

Monsieur de Nemours war über ihre Reise so niedergeschmettert, wie es ein anderer über seiner Geliebten Tod gewesen wäre. Der Gedanke, für lange Zeit Madame de Cleves Anblick beraubt zu sein, vor allem zu einer Zeit, wo er Freude, sie zu sehen und sie von seiner Leidenschaft gerührt zu sehen, gefühlt hatte, verursachte ihm einen furchtbaren Schmerz. Indessen konnte er nichts anderes tun, wie traurig sein, doch seine Liebe wuchs um ein beträchtliches. Sobald Madame de Cleve, deren Gemüt so erregt gewesen war, auf ihrer Besitzung anlangte, wurde sie von einer heftigen Krankheit ergriffen. Hiervon wurde der Hof benachrichtigt, und Monsieur de Nemours war untröstlich; sein Schmerz grenzte an Wahnsinn und Verzweiflung. Der Vizedom konnte es nur mit Mühe verhindern, daß seine Liebe der Öffentlichkeit bekannt wurde, und hatte ebensolche Mühe, ihn zurückzuhalten, und ihm den Plan auszureden, zu ihr zu reisen und sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.

Des Vizedoms Freundschaft und Verwandtschaft waren ein Vorwand, mehrere Eilboten an Madame de Cleve zu senden; man hörte schließlich, daß sie nicht mehr in der äußersten Gefahr schwebe, die sie bedroht hatte, aber sie war nach der Krankheit so schwach, daß ihr nicht viel Lebenshoffnung blieb.

Die Aussicht auf ein langsames und so nahes Hinsterben ließ Madame de Cleve die Dinge dieses Lebens mit ganz anderen Augen ansehen, als sie es in der Gesundheit getan hatte. Die Notwendigkeit des Todes, der ihr so nahe gerückt war, gewöhnte sie, sich von allen Dingen loszusagen, und die lange Dauer ihrer Krankheit machte ihr daraus eine Gewohnheit. Als sie von diesem Zustande abkam, fand sie dennoch, daß Monsieur de Nemours noch nicht in ihrem Herzen gestorben war, aber sie rief, um sich seiner zu erwehren, alle die Gründe zu Hilfe, welche sie haben zu müssen glaubte, ihn niemals zu heiraten. Sie kämpfte einen schweren Kampf gegen sich selbst. Endlich überwand sie die Reste dieser Liebe, welche durch die Gefühle, die ihr die Krankheit eingeflößt hatten, schwach geworden war.

Die Todesgedanken hatten ihr Monsieur de Cleves Gedächtnis nahe gebracht. Diese Erinnerung, welche mit ihrer Pflicht in Einklang stand, prägte sich ihrem Herzen tief ein. Leidenschaften und Liebschaften der Welt kamen ihr vor, wie sie Leuten vorkommen, die weltentrückt sind und über allem stehen. Ihre Gesundheit blieb sehr schwach und half ihr, diese Gefühle zu behalten. Da sie aber wußte, was Gelegenheiten über die weisesten Entschlüsse vermögen, wollte sie sich weder der Vernichtung der ihrigen aussetzen, noch an einen Ort zurückkehren, wo der weilte, den sie geliebt hatte. Sie zog sich unter dem Vorgeben, einen Luftwechsel vornehmen zu wollen, in ein Kloster zurück, ohne einen bestimmten Entschluß, auf den Hof zu verzichten, kundzugeben. Bei der ersten Nachricht, welche Monsieur de Nemours hiervon erhielt, fühlte er die Wichtigkeit dieses Rückzugs und sah seine Bedeutung ein. Er glaubte in diesem Augenblicke, er habe nichts mehr zu erhoffen. Der Verlust seiner Hoffnung hinderte ihn jedoch nicht, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um Madame de Cleve zur Rückkehr zu veranlassen. Er ließ die Königin an sie schreiben, er ließ den Vizedom an sie schreiben, er ließ ihn zu ihr reisen, aber alles war vergeblich. Der Vizedom sah sie; sie sagte ihm nicht, welchen Entschluß sie gefaßt habe. Dennoch fühlte er, daß sie niemals wieder zurückkehren würde. Endlich reiste Monsieur de Nemours unter dem Vorgeben, Bäder aufsuchen zu wollen, selber hin. Sie ward außerordentlich erregt und überrascht, als sie um sein Kommen hörte. Und ließ ihm durch eine würdige Frau sagen, welche sie seitdem immer um sich hatte, daß sie ihn bäte, es nicht sonderbar zu finden, wenn sie sich nicht der Gefahr aussetze, ihn zu sehen und durch seine Gegenwart alle Gefühle, die sie bewahren müsse, zu zerstören. Eines wünsche sie, daß er es wisse: Nachdem sie nämlich gefunden, daß ihre Pflicht und ihre Ruhe sich ihrem Wunsche, die Seinige zu werden, widersetzten, wären ihr alle anderen Dinge auf der Welt so gleichgültig geworden, daß sie für immer auf sie verzichtet hätte und nur noch an die des anderen Lebens dächte, und es bliebe ihr kein Gefühl weiter als der Wunsch, ihn in einem gleichen Zustande zu wissen.

Monsieur de Nemours wähnte vor Schmerz in Gegenwart derjenigen, die zu ihm sprach, den Geist aufgeben zu müssen; er bat sie wohl zwanzigmal, zu Madame de Cleve zurückzugehen und es einzurichten, daß er sie sähe. Doch die Frau erklärte ihm, daß ihr Madame de Cleve nicht nur ihr irgend etwas von ihm auszurichten, sondern auch ihr Rechenschaft über diese Unterredung abzulegen untersagt habe.

Der Prinz mußte schließlich abreisen und war so von Schmerz zu Boden gedrückt, wie es ein Mensch sein mußte, der jegliche Hoffnung aufgegeben hatte, eine Frau wiederzusehen, die er mit der heftigsten, natürlichsten und bestbegründeten Leidenschaft, welche es jemals gab, geliebt hat. Dennoch verzagte er noch nicht; er tat alles nur Erdenkbare, um sie anderen Sinnes zu machen. Lange Jahre verstrichen, bis endlich Zeit und Abwesenheit seinen Schmerz und seine Liebe verminderten. Madame de Cleve lebte so, daß es nicht den Anschein hatte, sie könne jemals zurückkehren. Sie verbrachte einen Teil des Jahres in jenem Kloster und den anderen in ihrem Schloß, doch in einer Zurückgezogenheit und mit noch gottgefälligeren Beschäftigungen, als sie die strengsten Klöster vorschreiben. Ihr Leben, welches ziemlich kurz währte, war ein Beispiel unnachahmlicher Tugend.


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