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Das Gift in der Geschichte.

Als abscheulichste Form des Meuchelmordes erscheint uns heutzutage der Giftmord, während man in früheren Zeiten in dieser Beziehung anderen Ansichten huldigte. Die meisten uncivilisirten Völkerschaften des Alterthums und auch einige der Neuzeit überließen und überlassen einzelnen sehr heftigen Giften die Entscheidung ihrer Rechtsstreitigkeiten, indem sie dem Verdächtigen unter Gebeten und Ceremonien ein solches einflößen und ihn für unschuldig erklären, sofern es ihm nichts schadet – aber auch die hochgebildeten Athenienser vollstreckten Todesurtheile durch Gift, durch den Schierlingsbecher, und im Mittelalter war es die Kirche, welche die Wiedereinführung des Giftes als Gottesgericht bewirkte. Man reichte den im Streite Befindlichen die Hostie und flehte zum Himmel, daß dieselbe dem Schuldigen zu Gift werde. Kaiser Heinrich VII. soll auf solche Weise durch den Dominicaner Bernhard von Montejuleiano durch eine vergiftete Hostie getödtet worden, und als der Kaiser dies sofort bemerkte und auf den Rath seines Leibarztes ein Brechmittel nehmen wollte, durch die Geistlichen daran verhindert worden sein, indem sie ihm eine derartige Handlungsweise als eine entsetzliche Sünde hinstellten. So starb er als ein Opfer seines frommen Glaubens.

Auch bei den Römern spielte das Gift in der Politik, besonders zur Zeit der Kaiser, eine hervorragende Rolle. Zwar war von Sulla ein strenges Gesetz gegen die Giftmischerei erlassen, welches Julius Cäsar erneuerte, doch solche Verordnungen genirten die Fürsten doch nicht. Die Locusta Kaiser Nero's, welche berühmte Giftmischerin er sich, nach dem Ausdruck des Tacitus, »im Dienste der Regierung hielt«, ist bekannt, ebenso, daß er ihr Schülerinnen gab, damit die so »wichtige Kunst« weitergepflegt werde. Diese Giftmischerin hatte bereits den Tod des Kaisers Claudius, welchen sie durch ein Pilzgericht tödtete, auf dem Gewissen, als sie in Nero's Dienste trat, der sie mit Gunstbezeugungen überhäufte und ihr die Tödtung des Germanicus durch ein langsam, und die des Britanniens durch ein schnell wirkendes Gift auftrug. Letzterer hatte schon einmal Gift erhalten und war seitdem so vorsichtig geworden, sich zuerst alle Speisen vorkosten zu lassen, aber die Locusta wußte ihm doch sein Ende zu bereiten, indem das Gift erst nachher an Stelle von Eiswasser in den kochend heißen Becher gethan wurde, worauf das Gift sofort seine Wirkung ausübte.

Italien blieb auch in späterer Zeit der Schauplatz der zahlreichsten Giftmorde aus politischen Gründen. Venedig besaß im fünfzehnten Jahrhundert seinen festbesoldeten Giftmischer, der alle unbequemen Leute in aller Stille in ein besseres Jenseits beförderte, und andere Staaten und Fürsten schlossen bei vorkommenden Fällen Contracte mit auswärtigen Giftmischern, welche für jede Persönlichkeit ihre festen Taxen hatten. Der bekannte Naturkundige Carus Sterne führt den Tarif des Franziscaner-Mönches Johann von Ragusa an, dessen Dienste die Republick Venedig im Jahre 1514 in Anspruch nahm. Er forderte für die Vergiftung des Großsultans 500 Ducati, für die des Königs von Spanien 150 außer Ersatz der Reisekosten, für die des Papstes nur 100, für die des Herzogs von Mailand 60, für die des Markgrafen von Mantua 50 Ducati u. s. f. Am Schlusse heißt es: »Jeder Mann so viel er werth ist«! Die Verhandlungen der Regierung kamen bis zum Anfang des sechszehnten Jahrhunderts in die myxti (Geheimbücher), von jenem Zeitpunkt an in die sogen. Secreta Secretorum. Die Erledigung der Angelegenheit wurde durch ein einfaches »factum« angedeutet, doch kamen die meisten Anschläge nicht zur Ausführung. Vergl. auch: Karl Hopf, Venedig, der Rath der Zehn und die Staatsinquisition.

Unter den Päpsten war die Giftmischerei nicht minder im Schwange. Hier ist es vor Allem eine Frau, die Schwester des Papstes Alexander VI., die schöne Lucrezia Borgia, welche die Giftmischerei in ausgedehntester Weise, fast wie ein Vergnügen trieb. Mit ihrer Hilfe beseitigten der Papst und sein Sohn Cäsar alle ihre Feinde und nicht minder auch die guten Freunde, welche sie beerben wollten, bis der heilige Vater selbst durch Gift umkam, das zu gleichem Zwecke für den Cardinal Corneto bestimmt war, welches er aber durch ein Versehen selbst bekam. Auch Cäsar trank von dem vergifteten Wein, doch siegte seine kräftige Natur über das Gift.

Ueberhaupt finden sich, wie die genannte Lucrezia Borgia, gerade viele Frauen, welche die Giftmischerei gewissermaßen im Großen getrieben haben. Man denke beispielsweise an einige Königinnen aus dem Hause Medici, ferner an die Gräfin Soissons, Surintendantin unter Ludwig XIV., welche die Mätressenwirthschaft eines verderbten Hofes bereits hinter sich hatte, als sie, von allen Seiten aus dem Felde geschlagen, von den gewöhnlicheren Künsten der Intrigue zur Giftmischerei überging und dieses Gewerbe im Verein mit der berüchtigten Voisin ohne Gewissensbisse gegen Alle anwendete, die ihr im Wege standen oder sich ihren Haß zugezogen hatten. Sie vergiftete außer einer Menge unbedeutender Persönlichkeiten (nach den Angaben des Herzogs St. Simon) auch ihren Gemahl Moritz von Savoyen, und später, als sie von Frankreich nach Madrid geflohen war, wo man sie freundlich aufnahm, auch die junge Königin von Spanien. Nicht minder bekannt wird die Sicilianerin Tofana sein, die das nach ihr benannte Acqua tofana allen Frauen, welche von Männern loskommen wollten, als unfehlbares Gift gab.

Eine der berüchtigtesten Giftmischerin ist die Marquise von Brinvilliers. Geboren unter Ludwig XIV., erhielt Marie Magdalene durch ihren Vater Dreux d'Aubray jene verfeinerte Bildung, die zur Zeit Ludwig's nöthig war; sie entfaltete schon in ihrer frühesten Jugend herrliche Vorzüge der Seele und entwickelte sich außerdem zu einer verführerischen Schönheit. Als man sie wider ihre Neigung an einen alternden Kavallerieobersten, den Marquis von Brinvilliers, verheirathete, fiel auch Marie Magdalene jenem Gifte anheim, das, vom Könige ausgehend, zunächst den Hof und schließlich ganz Paris durchsetzte: die Ehe nur noch als eine Förmlichkeit im Dienste des eigenen Interesses anzusehen. Zuerst suchte sie die mangelnde Liebe durch Verschwendung zu ersetzen, dann aber kettete sie bald ein Liebesverhältniß an einen jungen und ritterlichen Officier Saint-Croix, welchen Brinvilliers selbst in sein Haus einführte; doch wurde dieses Verhältniß nach einiger Zeit von Seiten der Familie Magdalenen's entdeckt, und Saint-Croix wanderte in Folge dessen auf ein Jahr in die Bastille. Dort lernte er den Italiener Exili kennen, welcher ihm die Geheimnisse der Giftbereitung mittheilte. Aus der Bastille entlassen, versöhnte er sich mit Brinvilliers wieder, lohnte aber die Güte des alten Obersten schlecht. Er weihte auch Magdalene in die Kunst des Giftmischens ein, und sie verstand, was er damit bezweckte; Saint-Croix' Winke waren für Magdalene, deren Seele weich und zart wie eine Eiderdaune und deshalb leicht allen Eindrücken unterworfen war, Befehle. Sie zog einen Diener, Namens Chaussée, in's Vertrauen und vergiftete mit seiner Hilfe zunächst ihre eigenen Verwandten, ihren Vater, ihre Brüder und ihre Schwestern, die Wächter ihrer Ehre. Auch mehrere Kammermädchen und andere Dienerinnen, sowie Kranke, denen sie in den Hospitälern unter der Maske der Trostspenderin tödtliches Biscuit reichte, fielen ihrem Gifte zum Opfer, augenscheinlich nur deshalb, um die Wirkung ihrer Compositionen zu prüfen. Endlich wandte sie sich auch gegen ihren Mann und reichte ihm mehrere Male Gift, allein vergeblich. Saint-Croix, der darum wußte, schauderte davor, ein Weib, das er als Geliebte entzückend fand, als Gattin zu umarmen, und gab dem Obersten stets das nöthige Gegengift. Marie Magdalene, welche davon nichts ahnte, strengte ihren Scharfsinn auf's Aeußerste an, um zu dem ersehnten Ziele zu gelangen, um endlich ein Stündchen ruhigen Liebesgeflüsters genießen zu können. Täglich betete sie und besuchte die Kirchen, und es erscheint nicht undenkbar, daß sie zu Gott flehte, ihr Werk doch gelingen zu lassen. Da starb plötzlich Saint-Croix bei der Bereitung von Chemikalien, und man fand bei ihm Giftvorräthe und Briefe der Marquise, welche über ihr entsetzliches Treiben Aufklärung gaben. Magdalene entfloh, Chaussée wurde verhaftet und machte Geständnisse, die zur Folge hatten, daß man die Marquise in contumaciam zum Tode verurtheilte. Erst nach drei Jahren gelang es, ihrer in Lüttich habhaft zu werden. Ein hoher Polizeibeamter lockte sie durch einen Liebesbrief aus der Stadt, packte sie in einen Wagen und brachte sie nach Paris. Selbst die Kerkermartern und die Furcht vor dem Tode vermochten die Marquise zu keinem Geständniß zu bewegen; ein unter ihren in Beschlag genommenen Papieren aufgefundenes, sorgsam geführtes Verzeichniß all' ihrer Vergehungen, darunter an vierzig Giftmorde, erklärte sie als ein Product des Deliriums. Allein ihre Schuld lag zu offen zu Tage, als daß man an ihre Unschuld hätte glauben können, und nachdem sie der Tortur unterworfen worden, endete das noch immer schöne Weib auf dem Schaffot.

Man hat verbrecherische Handlungen wie die vorstehend erwähnten, weil sie nicht als Ausbrüche der thierischen Natur oder als Wirkungen zu Tage liegender Ursachen erscheinen, wiederholt und ohne Weiteres in die Zahl der psychologischen Räthsel versetzt. Es ist wohl auch sicherlich der Fall, daß es unter den Menschen ebenso wie in der vegetabilischen Welt Erscheinungen giebt, die wegen ihrer innern organischen Beschaffenheit sofort ausarten, wenn irgend eine, ihrem eigenthümlichen, vielleicht schon vor ihrer Geburt kranken Wesen feindliche Gewalt hemmend oder fremdartig bestimmend in ihren geheimnißvollen Entwickelungsgang eingreift. Im fruchtlosen Widerstande gegen diese Gewalt, welche oft das menschliche Gesetz selbst ist, prallen diese Wesen von ihrer geraden Bahn ab und verfallen nach Maßgabe der menschlichen Moral in verbrecherische Handlungen. Von jenem Moment an, in welchem der erste Zusammenstoß erfolgte, waren jene Wesen, streng genommen, nicht mehr zurechnungsfähig, sondern wahnsinnig, denn ohne diese Annahme ließen sich die meisten der oben erwähnten Giftmischerinnen, welche man in die Reihe gemeiner Verbrecher gestellt, kaum unter die psychologisch erklärbaren Wesen rechnen. Die Criminalisten haben sich allerdings selten die Mühe gegeben, in die dunklen Schächte dieser Seelen hinabzusteigen und ihren mäandrisch verschlungenen Gängen zu folgen. Mir scheint in solchen Seelen der Giftstoff des Verbrechens als ein winziges Korn zu keimen, welches nach ein Mal erfolgtem äußern Anstoß unweigerlich fortwächst, gleich einem riesig anschwellenden Korallengewächs, dem die Hülle des Raumes zu eng geworden ist, und die es darum sprengt.

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