Manfred Kyber
Der Königsgaukler
Manfred Kyber

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Das Königreich der Ferne.

Als Mantao, der Königsgaukler, in die Wüste gekommen war, da heulte es grauenvoll in der Luft und drei scheußliche Dämonen tauchten vor ihm auf. Der erste hatte einen Riesenkopf ohne Gliedmaßen und glotzte mit hundert gierigen Augen nach allen Seiten. Der zweite hatte hundert Füße und hastete mit gräßlicher Geschwindigkeit über den Sand, der dritte aber hatte hundert Hände, die in die leere Luft griffen.

»Folge mir,« sagte der erste, »dann siehst du alles, was im Himmel und auf der Erde ist.«

»Hundert äußere Augen sehen nicht das, was das innere Auge sieht,« sagte Mantao.

»Gehe mit mir,« sagte der zweite, »dann erreichst du alles, was deine Augen von ferne schauen.«

»Alle Füße wandern nur dorthin, wohin die Fäden der Lotosblume sie ziehen,« sagte Mantao.

»Gib mir die Hand,« sagte der dritte, »dann hast du hundert Hände und kannst alles greifen, wonach du begehrst.«

»Ich begehre nichts, als eine unsichtbare Krone,« sagte Mantao.

Da erkannten die Dämonen, daß es Mantao, der Königsgaukler, war und daß er die Geheimnisse des Lebens in sich trug. Und sie heulten vor Wut und vergruben sich in den Sand ihrer Wüste.

Nun war Mantao, der Königsgaukler allein in der grenzenlosen Wüste mit seinem kleinen Affen 59 und er kannte die Grenzen dieser Wüste nicht. Er wußte nicht, welchen Weg er nun gehen solle, eine unnennbare Einsamkeit war um ihn und er senkte ergeben seine Waffen. Als er aber aufsah, um einen Weg zu suchen, erblickte er vor sich einen Engel – und zum ersten Male auf dieser Erde schaute Mantao, der Königsgaukler, seinen Engel von Angesicht zu Angesicht.

»Ruhe dich aus, Mantao, mein Königsgaukler,« sagte der Engel, »du bist müde von einer langen Wanderung. Morgen ist dein letzter Tag auf dieser Erde und du mußt deinen heiligen Berg suchen.«

»Wie werde ich den Weg finden?« fragte Mantao.

»Ich werde dich führen,« sagte der Engel.

Da legte sich Mantao, der Königsgaukler, auf den Sand der Wüste und schlief ein. Sein Engel stand neben ihm und hielt die Wacht bei ihm und bei dem kleinen Affen.

Aber im Traumbild dieser letzten Erdennacht schaute Mantao, der Königsgaukler, nach langen Jahren wieder zum ersten Mal die Königin der Ferne.


Am anderen Tage führte der Engel Mantao und seinen Affen auf die Hochebene von Tibet und es war Abend geworden, als sie oben angelangt waren.

»Siehe, es ist Abend geworden, Mantao, mein Königsgaukler,« sagte der Engel, »und du stehst wieder vor der Hütte deiner Kindheit. Sie ist zusammengesunken und verfallen im Wandel der Jahre, 60 aber ich will gehen und sie dir oben über den Sternen wieder aufbauen.«

Damit schied der Engel von ihm.

Mantao aber neigte sich zur Erde Tibets und trank aus dem klaren Bergquell, aus dem er als Kind getrunken hatte, und der Affe mit ihm. Die Hütte seiner Kindheit war verfallen, aber der Quell seiner Kindheit rann so klar, so rein und unwandelbar wie einstmals von den Bergen Tibets.

Als Mantao sich satt getrunken hatte an der Quelle seiner Kindheit, da wandte er sich von dieser Erde und wanderte seinen heiligen Berg Lischanna hinauf, den gleichen Weg, auf dem er einmal dem alten Mann mit der sonderbaren spitzen Mütze das letzte Geleit gegeben hatte. Er stieg höher und immer höher, auf dem Gipfel des heiligen Berges aber lag Eis und ewiger Schnee und alles Land unter ihm war verhüllt im Nebel. Da fühlte Mantao, wie ihn seine Kräfte verließen, und der kleine Affe in seinem Arm fror und jammerte leise.

»Nun wollen wir zusammen sterben, mein kleiner Bruder,« sagte Mantao, »wie wir zusammen gelebt haben und zusammen gewandert sind auf dieser Erde.«

»Sterben ist ein Wort der Täler, ihr aber seid in den Bergen,« sagte eine Stimme neben ihm.

Da raffte sich Mantao auf und hielt zum letzten Male seinen Schild über dem kleinen Affen.

Aus Schnee und Eis aber blühte eine große Lotosblume auf und umfing mit ihren weichen 61 Blütenblättern Mantao, den Königsgaukler, und seinen kleinen Affen. Schmerzlos und lautlos sanken ihre irdischen Körper in den Kelch der Blume und wandelten sich in ihre Wesenheit. In neuen leuchtenden Leibern schritten die beiden über den Sternenteppich der Nacht und ihre inneren Augen schauten hoch über allem, was lebt und atmet, die topasenen Tore und Türme der ewigen Stadt des Erhabenen.

Noch einmal blickte Mantao auf die verlassene Erde zurück. Da sah er tief unter sich die Stadt der erloschenen Lampen. Er hörte, wie die Menschen unten seinen Namen nannten und er sah kleine, klare Flammen aufleuchten in ihren erloschenen Lampen. Am schönsten aber brannte die Lampe der Tänzerin Myramar und einer nach dem anderen entzündete seine erloschene Lampe an ihrer Lampe vor dem Bildnis Brahmas. Auch die Tiere hatten kleine Lichtlein in sich und es war, als trügen sie bläuliche Leuchtkäfer in Fell und Gefieder.

Da kniete Mantao, der Königsgaukler, nieder auf dem Sternenteppich der Nacht und betete den Erhabenen an.

Zwischen dem Sternenteppich der Nacht und der ewigen Stadt des Erhabenen aber tauchten leuchtende Ufer auf – das war das Königreich der Ferne. An seinem Eingang stand der Engel und baute Mantao die Hütte seiner Kindheit wieder auf und ein alter Mann mit einer sonderbaren spitzen Mütze half ihm dabei. Eine Menschenmutter, die einst auf der Erde eine Paria war und mit der niemand Erbarmen hatte, als die Pest, 62 wartete auf ihr Kind – und eine Affenmutter winkte von der höchsten Spitze einer Palme.

Die Königin der Ferne aber harrte in unsagbarer Schönheit ihres Königs in einem heiligen Hain von Lorbeer und Rosen.

»Mantao, mein Liebster, Mantao, mein Königsgaukler,« sagte sie, »du hast meine weißen Glieder mit deinen Gedanken gebaut, du hast mein Gewand mit deinen Werken gewirkt und hast mein Diadem mit Edelsteinen geschmückt auf deiner einsamen Wanderung. Nun sind wir vereint auf eine lange Zeit, bis du wieder einmal ausziehst, deinen Schild zu halten über allem, was atmet, und um wiederum zu mir zurückzukehren in Ewigkeit. Nun will ich dir deine unsichtbare Krone aufsetzen, die keiner auf Erden sah. Siehe, es ist meine Krone, die du geschmückt hast, denn ich bin du, Mantao, mein Liebster, mein Königsgaukler.«

Da lehnte Mantao seinen Schild und sein Schwert an den Altar Brahmas zwischen Lorbeer und Rosen. Die Königin der Ferne aber küßte ihn und krönte ihn mit ihrer und seiner Krone. Die Tränen, die er gemindert, waren Diamanten darin, das Blut, über dem er seinen Schild gehalten, hing in roten Rubintropfen an seinem Diadem und in ihm funkelten die Lichter der erloschenen Lampen, die er wieder entzündet hatte. Den schönsten Edelstein aber in seiner Krone hatte ein kleiner Affe gespendet, der wieder in junger Kinderfreude zu seinen Füßen spielte.

Da erfaßte Mantao, der Königsgaukler, was 63 Seligkeit ist, und er barg das Haupt im Schoße seiner Königin der Ferne.


Seht ihr, das ist die Geschichte von Mantao, dem Königsgaukler. Es ist eine alte und feierliche Geschichte und es ist viele, viele tausend Jahre her, daß sie geschehen ist. Aber ihr müßt nicht denken, daß das eine lange Zeit ist. Ist es euch nicht, als wäre Mantao, der Königsgaukler, erst heute in einer Lotosblume geboren? Ist es nicht heute gewesen, daß er niederstieg von den Bergen Tibets in das Wunderland von Indien, in die Stadt der bunten Lampen und in die Stadt der erloschenen Lampen – daß er sein flammendes Schwert erhob gegen das Heer der Prinzessin Amaranth und seinen Schild hielt über der Tänzerin Myramar und seinem kleinen Affen? Ist es nicht heute, daß ihm sein Engel die Hütte seiner Kindheit wiedererbaute über den Sternen und daß er sein Haupt barg im Schoß der Königin der Ferne?

Denn noch heute und immer wieder sendet der Erhabene seine Schildträger aus, daß sie ihren Schild halten über allem, was atmet, und den gleichen einsamen Weg wandern, wie Mantao, der Königsgaukler.

 


 


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