Isolde Kurz
Die Stadt des Lebens
Isolde Kurz

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Lorenzo il Magnifico

Bisweilen gefällt es der Natur, ihre eignen Grenzen zu erweitern und eine einzelne Persönlichkeit mit so überschwenglichen Gaben auszustatten, daß alle Kräfte ihres Zeitalters in ihr versammelt erscheinen. Einer dieser Hochbegünstigten war Lorenzo de' Medici, genannt il Magnifico. Beiläufig sei hier bemerkt, daß dieser Zuname erst von der Nachwelt auf Lorenzos Hochsinn, Prachtliebe und königliche Freigebigkeit bezogen wurde, ursprünglich war Magnificenz die Anrede an das nicht gefürstete Staatsoberhaupt, die schon den Vorgängern Lorenzos zukam.

Es ist bekannt, aus welch bescheidenen Anfängen die Familie Medici zu ihrer beispiellosen Größe emporgestiegen ist. Sie waren bürgerlicher Abstammung, ursprünglich Aerzte und Apotheker, wie der Name besagt; die goldenen Kugeln (Palle) ihres Wappens werden als Arzneipillen gedeutet. 4 Im Handel reich geworden, traten sie bei dem Emporkommen der unteren Klassen mit wachsendem Ansehen und mit immer bedeutenderen persönlichen Zügen in den Vordergrund.

Goethes Wort, daß eine Familie nicht gleich das Vollkommene im Guten oder Bösen hervorbringt, sondern erst durch eine Reihe gesteigerter Persönlichkeiten hindurch gehen muß, um endlich die »Wonne« oder »das Entsetzen der Welt« zu erzeugen, bewährt sich nirgends so augenfällig, wie an dem Geschlechte der Medici.

Der Stammvater des Hauses, Giovanni di Averardo dei Medici, gemeinhin Giovanni di Bicci genannt, war noch völlig Privatmann, ein reicher Großhändler und Bankier, durch dessen Hände alle Geldgeschäfte Italiens gingen, vom größten Einfluß im Staate, ohne sich vorzudrängen, ein Freund des Volks, ein Vermittler und Wohlthäter. Im großen Gang der Uffizien zu Florenz ist sein Bildnis aufgehängt: ein ernstes eckiges Bauerngesicht mit dem Ausdruck von Klugheit und zugleich von Redlichkeit. Hätte er in Bankos Zauberspiegel die Reihe seiner glorreichen Nachkommen vorüberziehen sehen, er würde die Fundamente, auf denen die künftige Größe des Hauses sich erheben sollte, nicht umsichtiger und dauerhafter haben ausmauern können. So sammelt die Arbeitsbiene aus Naturtrieb 5 das Wachs und baut die Zelle für die königliche Puppe, deren Ausschlüpfen sie selbst nicht mehr erleben soll. In dem warmen Interesse für die Fortschritte der Kunst, die er durch seine reichen Mittel unterstützte, tritt schon der Familienzug hervor, der den unsterblichen Ruhm der Mediceer begründet hat.

In Cosimo wiederholen sich die Eigenschaften des Vaters, aber ins Großartige gesteigert und schon von dem bürgerlichen Hintergrunde abgelöst. Er spann ein Netz von Banken über die ganze abendländische Welt, die er von Florenz aus mit der Sicherheit eines heutigen Börsenkönigs, dem der elektrische Funke dienstbar ist, leitete. Durch Vorschüsse, die er nie zurückverlangte, machte er einen großen Teil seiner Mitbürger zu heimlichen Klienten der Medici. Die florentinischen Zustände waren derart, daß ein Mann von Cosimos Bedeutung seiner Existenz nicht sicher war, wenn er nicht die Hand am Steuer hatte. Cosimo brachte seine Anhänger in den Regierungspalast und ließ durch sie Gesetze geben. Nach Sturz und Verbannung kehrte er noch mächtiger zurück, denn Florenz hatte eingesehen, daß es seiner nicht mehr entraten konnte. Er wurde öffentlich mit dem Ehrentitel eines Pater patriae begrüßt und übte bis zu seinem Tode eine fast unumschränkte Gewalt. Doch 6 wahrte er sein Leben lang ängstlich den Schein des Privatmannes und vermied in seinem Auftreten alles, was das Gleichheitsgefühl seiner Mitbürger verletzen konnte. Von seinem ungeheuren Vermögen macht man sich einen Begriff, wenn man hört, daß Cosimo, als Venedig und Neapel gegen Florenz rüsteten, die feindlichen Staaten lahmlegte, indem er seine dort kursierenden Gelder zurückzog und so durch eine einfache merkantile Maßregel den Frieden erzwang.

Obgleich durch und durch Kaufmann und ganz in weitblickenden Unternehmungen lebend, hatte er doch die geistigen Güter als die höchsten erkannt und legte den Grund zu der berühmten mediceischen Kunst- und Büchersammlung. Selber ungelehrt, fand er im Umgang mit Gelehrten und Künstlern seine glücklichsten Stunden. Durch Begründung der »platonischen Akademie« gab er kräftigen Anstoß zur Belebung der klassischen Studien, die Hand in Hand mit den Künsten gehend, dem ganzen Jahrhundert seine wundersame Doppelphysiognomie von Gelehrtentum und jugendfrischer Schöpferkraft aufgeprägt haben.

Cosimo stärkte jedes Talent und förderte jede Kunst, doch entsprach seiner gebietenden Persönlichkeit am meisten die Architektur, die Lieblingskunst der Herrscher, die sich vor allen anderen im Raume behauptet und die den Triumph des 7 Willens und Geistes über die Masse darstellt. Mit Brunellesco und Michelozzo, den beiden großen Baumeistern seiner Tage, lebte er in naher persönlicher Freundschaft, und ein großer Teil der herrlichsten Bauten in und außerhalb Florenz ist eine Schöpfung Cosimos; auch ins Ausland, bis Paris, ja bis Jerusalem erstreckte sich seine Baulust. Der kolossale Aufwand, den er dafür machte, erregte seines noch großartigeren Enkels Lorenzo staunende Billigung.

Aber erst in diesem Enkel erscheint die Absicht der Natur erreicht und die Höhe erklommen.

Seine Vorgänger hatten sich mit zähen Wurzeln in dem heimischen Boden festgesaugt, nun kam Lorenzo und breitete tausend Aeste aus, aus denen sich die ganze Frühlingspracht der Renaissance mit ihrem berauschendsten Blumenduft und Vogelgeschmetter entfalten konnte.

Er wurde am 1. Januar 1449 als Sohn des tüchtigen, aber durch körperliche Gebrechen hintangehaltenen Piero de' Medici und der geistvollen Lucrezia Tornabuoni geboren. Er erhielt eine gelehrte Erziehung, die ihn zum Gebildetsten unter den damals hochgebildeten Herrschern Italiens machte. Zugleich wurde er früh auf die Regentenlaufbahn vorbereitet und erwarb sich in den Geschäften des Hauses und des Staates den sicheren Weltblick und die praktische 8 Erfahrung. Die Gefährlichkeit des Lebens und die hohe Verantwortung, zu der jene außerordentlichen Menschen herangezogen wurden, kürzten die Kindheit ab, und so ist es nicht auffallend, daß Lorenzo schon mit siebzehn Jahren als Abgesandter seines Vaters beim Papste und anderen Souveränen die Interessen der Republik vertrat.

Auch an körperlichen Vorzügen fehlte es ihm nicht ganz. Er war über Mittelgröße, geschmeidig und kräftig, in den Waffen gewandt, ein ausgezeichneter Reiter und geschickter Jäger. Dagegen hatte er eine unschöne Gesichtsbildung und auffallend dunkle Hautfarbe, welch letztere indes kaum für einen Fehler galt; sagt er doch selbst in seinem Corinto: un uom che non è brun che vale? Auch über die Kurzsichtigkeit, die Leo X. von ihm erbte, wußte er sich zu trösten, wenigstens trumpfte er den sienesischen Gesandten, der ihm gegenüber bedauerte, daß die florentinische Luft den Augen schade, durch die Antwort ab, daß sie dennoch der sienesischen vorzuziehen sei, weil diese das Hirn schwäche. Seine Bildnisse werden ihm zum größten Teile nicht gerecht, nur ein in der Kirche Santa Trinita befindliches Fresko von Domenico Ghirlandajo giebt den Zauber wieder, den nach dem Zeugnis aller, die ihn kannten, Lorenzos unmittelbare Gegenwart ausströmte. Auf diesem Bilde ist die charakteristische geistreiche 9 Häßlichkeit seines Gesichts von solcher Majestät und geistigen Anmut durchleuchtet, daß selbst die Versicherung eines seiner Dichtergenossen: bello è Lorenzo nicht mehr als absurde Schmeichelei erscheint. Ohnehin wurde durch die damalige Erziehung, die der äußeren Erscheinung so vorteilhaft war, jeder Vorzug gehoben und jeder Mangel gemildert.

Nach dem Tode Pieros trat er als Einundzwanzigjähriger die Regierung an, ohne fürstliche Auszeichnung, doch als geborener Fürst und Herrscher. Wer auf seine Jugend gerechnet hatte, um durch ihn zu regieren, sah sich in der Erwartung getäuscht, denn Lorenzo nahm die Zügel fest in eigene Hände. Schon bei Pieros Lebzeiten hatte er Proben seiner Entschlossenheit gegeben, als er einen Handstreich der Gegenpartei, die auf den Untergang seiner Familie abzielte, durch rasches Eingreifen vereitelte. Unähnlich seinem Vater und Großvater, die sich vor allem bestrebt hatten, den Neid zu entwaffnen, trat er überall mit seiner Person in den Vordergrund, und während er dem Namen nach nur der erste Bürger von Florenz war, verkehrte er auf gleichem Fuße mit den Potentaten Europas. Die fremden Fürstlichkeiten, die er als seine Gäste empfing, staunten über den Luxus edelster Art, über die unermeßlichen Schätze an Statuen, 10 Gemälden, Vasen, Gemmen, Mosaiken, Miniaturen, Manuskripten, den Resten antiker Kunst, durch viele Jahre mit ungeheuren Kosten gesammelt, und den Werken der großen zeitgenössischen Meister, mit denen der Mediceische Palast in der Via larga (heutigen Via Cavour) angefüllt war. Daneben schmeichelte er dem Schönheits- und Prachtsinn seiner Mitbürger durch Feste, Turniere und öffentliche Schaustellungen, deren Schilderungen wie die Märchen aus Tausend und Einer Nacht anmuten.

Neben ihm stand Giuliano, sein um fünf Jahre jüngerer Bruder, mit dem ihn herzliche Neigung verband und der, wenn er sich an Vielseitigkeit der Begabung nicht mit Lorenzo messen konnte, ihn dagegen an Glanz der Erscheinung und an körperlichen Fertigkeiten übertraf. Was in Florenz durch Bildung und Geist, was durch Rang und Reichtum glänzte, sammelte sich um das mediceische Brüderpaar als um den natürlichen Mittelpunkt. Ohne die alten republikanischen Formen anzutasten, nur durch leise Umgestaltung im Innern zog Lorenzo die verwickelten Fäden der Verwaltung in wenige ihm ganz ergebene Hände zusammen und machte das ganze Staatsleben von seiner Person abhängig.

Solche Machtstellung, wie sie nie ein florentinischer Bürger besessen hatte, erregte Groll und 11 Neid. Man beschuldigte ihn, daß er der Tyrannis zustrebe; schon seine Heirat mit der Römerin Clarice Orsini aus dem mächtigen Baronengeschlecht hatte Anstoß gegeben. Lorenzo mußte sich vorsehen und, indem er sich auf die niederen Klassen stützte, drückte er die großen Geschlechter, von denen ihm Gefahr drohte, zur völligen Einflußlosigkeit herab. Seine Anhänger überhäufte er mit Wohlthaten und Auszeichnungen, indem er zugleich dafür sorgte, daß ihm keiner über den Kopf wuchs. Den Ehrgeiz demütigte er durch geflissentliche Zurücksetzung und steigerte so die Unzufriedenheit, die in ihrem Schoß eine furchtbare Katastrophe zeitigte.

Unter den reichen Familien, die von Alters her mit den Medici an Macht und Ansehen rivalisierten, war die der Pazzi eine der hervorragendsten. Der alte Menschenkenner Cosimo hatte den drohenden Konflikt vorausgesehen und ihn zu verhüten gesucht, indem er seine Enkelin Bianca, Lorenzos Schwester, mit Guglielmo de' Pazzi vermählte. Aber dieses Band war nicht stark genug, die Interessen der beiden Familien fest zu verknüpfen. Lorenzo verkehrte zwar mit Guglielmo und dessen Brüdern ganz auf verwandtschaftlichem Fuße, aber er gönnte ihnen keinen Anteil an den Staatsgeschäften, zu denen sich jeder vornehme Florentiner durch die Geburt 12 berufen glaubte. Die Pazzi zahlten ihm mit gleicher Münze zurück und durchkreuzten, wo sie konnten, seine politischen Pläne. Vergeblich redete Giuliano, der die rechtlichere und versöhnlichere Gemütsart des Vaters geerbt hatte, zum Guten, Lorenzo goß nur Oel ins Feuer, indem er ein ungerechtes Erbschaftsgesetz durchgehen ließ, das die Pazzi um ein großes ihnen zufallendes Vermögen verkürzte.

Guglielmos Bruder, der ehrgeizige und heißblütige Francesco de' Pazzi hielt sich in Folge dieser ihm unleidlichen Verhältnisse von der Vaterstadt ferne und trat in Rom, wo er das große Zweiggeschäft der Pazzischen Bank leitete, in nahe Beziehungen zu dem päpstlichen Nepoten, dem Grafen Riario. Dieser, durch den Papst mit den Herrschaften von Imola und Forli beschenkt, hegte seit lange Grenzerweiterungsgelüste, sah sich aber durch Lorenzos politisches Gleichgewichtssystem auf allen Seiten im Schach gehalten. Deshalb sann er darauf, die Herrschaft der Medici in Florenz zu stürzen und fand an Francesco de' Pazzi einen willigen Helfer. Ihnen schloß sich ein anderer erbitterter Gegner Lorenzos an, Francesco Salviati, der vom Papste gegen den Willen der Florentiner zum Erzbischof von Pisa ernannt, aber von diesen drei Jahre lang an der Ausübung seines Amtes verhindert worden war. 13 Auch er saß grollend in Rom und wartete nur auf eine Gelegenheit, um sich an Lorenzo, in dem er die Verkörperung der florentinischen Politik erblickte, zu rächen.

Zunächst galt es, sich der Zustimmung des Papstes zu dem Attentat zu versichern. Dem turbulenten Sixtus IV., der immer bemüht war, aus den kleinen schutzlosen Staaten der Romagna unabhängige Fürstentümer für seine Nepoten zurecht zu schneiden, konnte ein Nachbar wie Lorenzo nicht behagen, dessen Vorsicht ihm allenthalben Riegel vorschob. Persönliche Zerwürfnisse waren noch in den letzten Jahren hinzugetreten und hatten den Papst, der anfangs ein Gönner der Medici gewesen, so gegen Lorenzo in Harnisch gebracht, daß Graf Riario leichtes Spiel mit ihm hatte. Augenscheinlich hoffte man nach Beseitigung Lorenzos sich vermittelst der Pazzi der florentinischen Republik zu bemächtigen und von da aus halb Italien zu unterwerfen. König Ferrante von Neapel scheint gleichfalls um den Plan gewußt zu haben und hätte vermutlich, falls er gelang, die andere Hälfte Italiens an sich gerissen.

Der Hauptmann Giovanbattista da Montesecco, päpstlicher Condottiere und dem Grafen völlig ergeben, wurde ins Vertrauen gezogen und ihm die Ausführung des Handstreichs übertragen. Dieser, ein ruhiger und wohlgesinnter Mann, 14 erhob Bedenken, aber Graf Riario wußte ihm Lorenzo als einen gefährlichen Feind des Papsttums hinzustellen, durch dessen Ränke er selbst an Besitz und Leben bedroht sei. Francesco de' Pazzi und der Erzbischof versicherten ihm überdies, das Regiment der Medici sei in Florenz verhaßt und ihr eigener Anhang dort so mächtig, daß die ganze Stadt mit Jubel beistimmen werde, wenn der Streich gefallen sei.

Um das Gewissen des Bedenklichen vollends zu beschwichtigen, führten ihn der Graf und der Erzbischof zu den Füßen des heiligen Vaters, und nun spielte sich im Vatikan eine Szene ab, bei der das Haupt der Christenheit eine sehr fragwürdige Rolle spielte. Der Papst wollte die Vollstreckung der That, wünschte aber zugleich den Schein zu retten. Deshalb forderte er zwar von dem Hauptmann die Beseitigung der Brüder Medici, stellte aber zugleich im Hinweis auf sein heiliges Amt die Bedingung, daß kein Blut vergossen werden dürfe, und als man ihm entgegenhielt, daß das eine nicht ohne das andere möglich sei, fuhr er zornig auf und wiederholte nur immer den Befehl zusamt der Klausel, so den Vollstreckern die Verantwortung für den Ausgang überlassend. Die Verschworenen, die den Wink verstanden, versprachen ihr bestes zu thun und nahmen das Steuer nun in eigene Hände.

Daß Lorenzo nicht der Mann war, sich lebend 15 die Gewalt entreißen zu lassen, lag auf der Hand, und sein Tod war sonach von Anfang an eine beschlossene Sache. Aber auch in dem jüngeren Bruder, so sehr er freiwillig hinter Lorenzo zurücktrat, lebte der starke Geist seines Hauses, außerdem war er besonders beliebt, und man durfte erwarten, daß bei Lorenzos Tode das Volk sich alsbald um Giuliano als seinen Erben und Nachfolger scharen würde. Also kamen die Verschworenen beim Fortgang ihrer Beratungen zu dem Schluß, daß auch Giuliano fallen müsse.

Die Brüder zu treffen, schien ihnen nicht schwer, da beide gewohnt waren, unbegleitet und arglos unter ihren Mitbürgern umherzugehen. Aber der zu erwartende Aufruhr im Volke machte militärische Unterstützung nötig, deshalb sollte Montesecco nebst zwei anderen päpstlichen Condottieren eine ansehnliche Truppenmacht an den Grenzen der Romagna zusammen ziehen, um auf den ersten Wink Florenz von drei Seiten überfallen zu können.

Diese Bewegungen zu maskieren und die militärischen Dispositionen in der Stadt vorzubereiten, begab sich Montesecco im April des Jahres 1478 nach Florenz. Ein Auftrag des Grafen führte ihn in die persönliche Gegenwart Lorenzos, mit dem er auf dessen Villa Casagiolo 16 über einen simulierten Kriegszug in der Romagna unterhandeln sollte. Der wahre Zweck war, Ort und Persönlichkeiten in Augenschein zu nehmen. Lorenzo, der sonst so Scharfblickende, ließ sich völlig täuschen und mit einer Courtoisie, die den Abgesandten überraschte, stellte er aufs entgegenkommendste dem Grafen Riario seine Dienste zur Verfügung. Montesecco konnte in dem Manne, der ihn so wohlwollend empfing, den feindseligen Ränkeschmied, der ihm geschildert worden war, nicht erkennen, und Lorenzos leutselige Umgangsformen, sein persönlicher Zauber, dem sich niemand entzog, machten einen so tiefen Eindruck auf den ehrlichen Kriegsmann, daß er fortan, wie es scheint, nur noch mit halbem Herzen bei der Sache war und ungern die weitere Verständigung unter den Verschworenen vermittelte.

Medaille Lorenzos de' Medici

Medaille Lorenzos de' Medici.
Von Niccolo Spinelli.
Mit Revers, darstellend Florentia im Schatten des Lorbeers.

Gleichzeitig war Francesco de' Pazzi nach Florenz gereist, um seinen Oheim Messer Jacopo, das Haupt der Familie, für den Plan zu gewinnen. Der alte Herr hatte sich anfangs entschieden ablehnend verhalten und sträubte sich auch jetzt noch lange; erst als ihm durch Montesecco bestätigt wurde, daß der Papst selber hinter der Verschwörung stand, stieg auch ihm der Taumel zu Kopfe, und er ließ sich in einen Anschlag verstricken, in dem für seine grauen Haare wenig Ehre zu holen war. Sein Beitritt zog den Rest 17 der Familie Pazzi mit dem ganzen Anhang nach, ausgenommen Renato de' Pazzi, einen stillen Gelehrten, der das Attentat mißbilligte, und Guglielmo, Lorenzos Schwager, der gar nicht eingeweiht wurde.

Mittlerweile tauschte Graf Riario mit Lorenzo freundschaftliche Briefe und suchte ihn durch die Aussicht auf eine Versöhnung mit dem Papste nach Rom zu locken. Dort hätte er leichter mit ihm aufgeräumt, und die Mitverschworenen hätten freie Hand bekommen, sich in Florenz Giulianos zu entledigen. Aber Lorenzo zögerte zu kommen, und im nutzlosen Warten verstrich die Zeit. Schon wurde der Papst ungeduldig und klagte, sich mit eitlen Schwätzern eingelassen zu haben. Lange durfte nicht mehr zugesehen werden, denn die Verschwörung hatte unterdessen eine so große Ausdehnung angenommen, daß das Geheimnis nicht mehr sicher war, und eben so wenig konnte man erwarten, daß sich Lorenzo auf die Länge über die Rüstungen an der Grenze werde Sand in die Augen streuen lassen.

Endlich schien die Gelegenheit günstig. Der Papst hatte einem sechzehnjährigen Neffen des Grafen Riario, der in Pisa studierte, den Purpur verliehen. Diesen, der den Befehl hatte, sich ganz von dem Erzbischof leiten zu lassen, holten die Verschworenen pomphaft nach Florenz und 18 quartierten ihn in Messer Jacopos Landsitz auf Montughi, einem vor der Stadt gelegenen Hügel, ein. In seinem glänzenden Gefolge konnten sie ihre Leute und ihre Anstalten bergen; außerdem mußte der Gast, der als Cardinal und als päpstlicher Nepote Anspruch auf Beachtung hatte, den Verkehr mit dem Hause Medici vermitteln.

Die Brüder luden ihn gleich zu einem festlichen Empfang auf ihre Villa bei Fiesole, und dort sollte der Verabredung gemäß der Streich fallen, aber Giuliano, durch Unwohlsein verhindert, hielt sich ferne. So fiel der Anschlag ins Wasser, denn die Verschworenen wagten nicht, die Brüder gesondert anzugreifen, sie glaubten nur sicher zu gehen, wenn sie beide an einem Ort und in einer Stunde treffen konnten.

Nun wurde der 26. April als der Sonntag vor dem Himmelfahrtsfest zur Ausführung anberaumt. Der Kardinal, ein willenloses Werkzeug, mußte den Brüdern ankündigen, daß er sie an diesem Tage in der Stadt besuchen und im Dom die Messe hören werde.

Im Palazzo Medici wurde zu einem großen Festmahl gerüstet, das die glänzendste Gesellschaft von Florenz vereinigen sollte. Diesmal hofften die Verschwörer bestimmt, sich beider Brüder auf einmal zu versichern, und demgemäß wurden die Rollen ausgeteilt: Montesecco sollte den Streich 19 gegen Lorenzo führen, der kräftigere Giuliano wurde Francesco de' Pazzi und Bernardo Bandini, einem ruinierten Lebemann, der sich mit Leib und Seele den Pazzi verschworen hatte, zugeteilt, während der Erzbischof den Regierungspalast mit Bewaffneten überfallen und Jacopo de' Pazzi mit den Seinigen durch die Straßen sprengen sollte, um das Volk zur Freiheit aufzurufen.

Aber es war, als ob ein Vorgefühl den arglosen Giuliano in diesen Tagen begleitete. Als alles zum Schlage bereit war, ließ er sein Erscheinen bei Tafel absagen mit der Entschuldigung, daß er unpäßlich sei; in der Kirche jedoch beim Hochamt hoffe er nicht zu fehlen.

Die Nachricht, die Francesco am Vorabend den Verschworenen überbrachte, änderte abermals den ganzen Plan. Man saß noch tief in der Nacht beisammen und ratschlagte. Statt beim Gastmahl sollten die Brüder nun in der Kirche fallen, und der feierliche Moment der Wandlung wurde zum Signal gewählt. Diesen Anlaß ergriff Montesecco, um sich zurückzuziehen: er war, seit er Lorenzo persönlich kennen gelernt hatte, ohnehin nur noch mit halbem Herzen bei der Sache; als er nun zum Verrat noch die Tempelschändung fügen sollte, ward ihm des Greuels zuviel und er verweigerte seinen Arm. Zwei Priester traten an seine Stelle: Antonio Maffei aus Volterra und Stefano da 20 Bagnona, der letztere ein Hauslehrer der Pazzi. Diese waren der Kirchenluft gewohnt und »deshalb«, wie die alten Berichte sagen, »ohne Scheu vor dem Heiligen«, aber sie hatten keine Uebung im Waffenhandwerk, und der Rollenwechsel kam den Verschworenen teuer zu stehen.

Schon hatte Lorenzo den Kardinal an seinen Platz im Chor der Kirche unter der Kuppel Brunellescos geleitet, und das Hochamt begann, als die Mörder sich nach Giuliano umsahen. Abermals scheint den Unglücklichen sein guter Genius gewarnt zu haben: er war auch von der Messe weggeblieben. Da machten Francesco de' Pazzi und Bernardo Bandini sich nach dem Palazzo Medici auf, um ihn zu holen. Unter freundschaftlich-dringlichen Bitten und Neckereien nahmen sie ihn in ihre Mitte und unterhielten ihn eifrig den ganzen Weg. Francesco, die Rechte der Verwandtschaft benützend, umschlang ihn mit den Armen, um zu untersuchen, ob er keinen Panzer unter dem Wams trage. Giuliano, der sich noch immer unpäßlich fühlte, war gänzlich unbewehrt, selbst den Dolch, den er sonst bei sich zu tragen pflegte, hatte er zu Hause gelassen, so fern lag ihm der Gedanke an Gefahr.

Beide Brüder standen getrennt in der menschenüberfüllten, musikdurchrauschten Kirche; in dem Gedränge konnten die Mörder sich dicht an 21 ihrer Seite halten. Das Glöcklein klingelte, der Priester erhob den Kelch, die Medici mit allem Volke beugten sich tief, da fuhr Bernardo Bandinis Schwert Giuliano in die Brust. Der Getroffene machte noch einen Schritt und stürzte dann zu Boden. Nun versetzte Francesco de' Pazzi dem Gefallenen Stoß auf Stoß mit solcher Wut, daß er sich selbst mit dem Dolche tief in den Schenkel traf.

Gleichzeitig wehrte sich Lorenzo gegen die beiden Priester, die dem Blutgeschäfte nicht gewachsen waren. Antonio Maffei hatte ihn mit der einen Hand an der Schulter gefaßt, um mit der anderen sicherer zu treffen, als Lorenzo blitzschnell auffahrend seinen Mantel abriß, womit er den linken Arm umwand und die Stöße parierte, während er mit der Rechten den Dolch schwang. So schlug er sich durch seine Angreifer durch und suchte am Altar vorbei durch den Chor die Neue Sakristei zu erreichen. Da sah ihn Bandini und mit dem Schwert, das noch vom Blut Giulianos troff, wollte er sich auf Lorenzo stürzen, aber Francesco Nori, ein Freund der Medici, sprang dazwischen und empfing statt seiner den tödlichen Streich. Unterdessen wurde Lorenzo von seinen Freunden umringt und in die Sakristei gerissen. Der Dichter Angelo Poliziano schlug die feste broncene Thüre vor den Verfolgern zu, die, von Piero de' Medici 22 einst gestiftet, jetzt dem Sohn das Leben rettete. Lorenzo blutete aus einer leichten Halswunde, die von einem der Anwesenden aus Furcht, daß sie vergiftet sei, ausgesogen wurde.

Ein ungeheurer Lärm füllte das Gotteshaus, man sah Bewaffnete dahin und dorthin rennen, aber nur die Zunächststehenden wußten, was geschehen war. Draußen glaubte man, Brunellescos Riesenkuppel wanke. Innen war alles Geschrei und Verwirrung, die Verschworenen flohen, Guglielmo de' Pazzi versicherte laut jammernd, daß er unschuldig sei, der Kardinal Riario klammerte sich leichenfahl am Altare fest und konnte nur mit Mühe von den Priestern nach der Alten Sakristei geflüchtet werden – er soll nach jenem Schreckenstag nie wieder die natürliche Gesichtsfarbe zurückerhalten haben.

Sobald aber die Blutthat bekannt wurde, griff die ganze Stadt zu den Waffen, die Freunde der Medici drangen geschlossen in die Kirche und holten Lorenzo aus der Sakristei nach seiner Wohnung. Erst dort erfuhr er seines Bruders Tod; man hatte ihn in einem weiten Bogen an dem blutüberströmten Leichnam vorbeigeführt.

Unterdessen war auch die zweite Hälfte des frevlerischen Anschlags gescheitert.

Der Erzbischof hatte sich unter der Domthüre von Lorenzo verabschiedet und war dann mit einer 23 starken Begleitung nach dem Regierungspalast geeilt, wo die Signoria eben bei der Tafel saß. Einen Teil seiner Leute ließ er unten, mit der Weisung, beim ersten Lärm das Thor zu besetzen, die anderen nahm er mit in den Palast und hieß sie in einem Nebengelaß warten, während er selbst zu der geforderten Unterredung bei dem Gonfaloniere eingeführt wurde. Aber die Aufregung und das seltsame Betragen des Bischofs, der etwas verwirrtes von einem päpstlichen Auftrag an die Signoria daher redete und dabei unruhig nach der Thür blickte, als ob er jemand erwartete, machten den Gonfaloniere stutzig. Er eilte rasch zum Ausgang, da stieß er auf einen der Verschworenen, der eben herein wollte, warf diesen an den Haaren zu Boden und rief die Wache zusammen. Die im Nebenzimmer versteckten Begleiter wollten herausbrechen, allein sie saßen in einer Falle fest, denn die Thür, die hinter ihnen zugeschlagen war, hatte ein Geheimschloß, das nur die Beamten zu öffnen verstanden. Sie wurden samt dem Erzbischof, der zu entfliehen versuchte, festgenommen, und da die außen stationierte Mannschaft in den Palast eindrang, verteidigte die Signoria das obere Stockwerk mit Steinen und was ihnen zur Hand kam; selbst das Küchengeschirr mußte als Waffe dienen.

Francesco de' Pazzi hatte sich mit seiner 24 schweren selbst geschlagenen Wunde nach Hause geschleppt und versuchte noch, zu Pferde zu steigen, um den Aufruhr in der Stadt zu leiten. Doch er war so erschöpft vom Blutverlust, daß er sich entkleidet aufs Bette werfen mußte. Statt seiner eilte der alte Messer Jacopo mit etwa hundert Mann auf die Piazza, um dem Erzbischof zu Hilfe zu kommen. Aber die Sache der Pazzi war schon verloren. Als er das Volk zur Befreiung von der mediceischen Herrschaft aufrufen wollte, wurde er mit Steinwürfen und mit dem Ruf: Palle! Palle! Nieder mit den Verrätern! empfangen. In allen Straßen rottete sich die Menge zusammen; das kleine Häuflein, das den Palast berannte, mußte weichen, und viele wurden auf der Flucht erschlagen.

Lorenzo de' Medici mit Francesco Sassetti

Lorenzo de' Medici mit Francesco Sassetti,
Teilhaber des mediceischen Geschäftshauses.
Aus dem Fresko des Domenico Ghirlandajo in der Capella Sassetti
in Santa Trinita zu Florenz.

Jetzt erst erfuhr die Signoria Giulianos Tod und Lorenzos Verwundung, und nun gab es auch drinnen keine Schonung mehr. Man hieb die Gefangenen und wessen man sonst von den Eindringlingen habhaft wurde, nieder oder stürzte sie durch die Fenster auf die Piazza hinab. Der Erzbischof mit seinem Bruder und anderen Häuptern der Verschwörung wurde an den hohen Fenstern des Palastes aufgeknüpft; man ließ ihm nicht einmal Zeit, sich des geistlichen Ornats zu entkleiden. Gleichzeitig erlitt Francesco de' Pazzi, den man nackt aus dem Bette gerissen und unter dem 25 Wutgeschrei des Volks nach dem Palast geführt hatte, an der Seite des Erzbischofs dieselbe Strafe. Auf alle Schmähungen, mit denen er überhäuft wurde, antwortete er nur durch finstere Blicke und tiefe Seufzer, und der wilde Trotz verließ ihn auch im Tode nicht. Von dem Erzbischof wird erzählt, daß er im Augenblick des Sterbens sich wütend mit den Zähnen in Francescos nackte Brust verbissen habe.

Draußen hatte unterdessen die Volksjustiz ihr grausiges Werk begonnen. Man sah zerstückte menschliche Glieder durch die Straßen schleifen, die beiden Priester, die Lorenzo angegriffen hatten, wurden von der Menge aus ihrem Klosterversteck herausgezerrt, verstümmelt und getötet, auch die Personen aus dem Gefolge des Kardinals mußten bluten, dieser selbst saß gefangen im Regierungspalast und dankte nur der Verwendung Lorenzos das Leben. Die wildeste Jagd galt den Gliedern des Hauses Pazzi. Der alte Jacopo wurde auf der Flucht in den Casentiner Bergen von den Bauern festgenommen, denn die Kunde von den Vorgängen in Florenz war schon bis dorthin gedrungen, und trotz eines hohen Lohnes, den er ihnen anbot, damit sie ihn unterwegs töteten, schleppten sie ihn schmachvoll nach der Stadt, wo er das Los seines Neffen teilte. Er hatte übrigens sein tragisches Ende geahnt und 26 noch am Samstag, der jenem blutigen Sonntag voranging, alle seine Schulden bezahlt, auch was er an fremden Waren zu Hause und auf dem Zollamt liegen hatte, mit auffallender Geschwindigkeit den Eigentümern zugestellt, um keine Unbeteiligten in seinen Ruin zu verwickeln. Die scheußlichen Beschimpfungen, die noch Wochen später dem Leichnam des Unseligen von der vertierten Menge zugefügt wurden, gehören zu den widerlichsten Flecken, mit denen das florentinische Volk sich in jenen Schreckenstagen beschmutzt hat. Der völlig schuldlose Renato ward gleichfalls aufgegriffen und büßte mit dem Tode, daß er Pazzi hieß. Mehrere Tage dauerte das Würgen, bei dem gegen achtzig Personen ihr Leben verloren. Nur Guglielmo konnte sich mit Hilfe seiner Gattin in Lorenzos eigenem Hause bergen.

Gleich nach dem Attentat strömte das Volk unter dem Palazzo Medici zusammen, ein blutiges Haupt auf einer Pike tragend, und verlangte den Geretteten zu sehen. Lorenzo erschien, den Hals von einer Binde umwickelt, und wurde mit stürmischem Zuruf begrüßt. Er dankte dem Volke, daß es sich zum Schutz um ihn geschart habe, und bat dringend um Mäßigung. Die tobenden Freunde, sagte er, flößten ihm mehr Besorgnis ein, als selbst die Tücke seiner Feinde; er beschwöre sie, der guten Sache nicht durch 27 Ausschreitungen zu schaden, sondern ihren Zorn für die äußeren Gegner aufzusparen und die Bestrafung der schuldigen Mitbürger den Gerichten zu überlassen. Diese Anrede, seine wunderbare Rettung, die klüglich bewiesene Mäßigung, das alles wirkte so unbedingt und mächtig, daß die gesamte Bürgerschaft mit Gut und Blut sich ihm zu eigen schwur, und Lorenzo durfte sich sagen, daß der Schlag, der ihn vernichten sollte, ihm vielmehr den Weg zur unbeschränkten Herrschaft geebnet hatte.

Als die Volkswut beschwichtigt war, fuhren die Gerichte fort, ihn seiner Feinde zu entledigen. Keine Stimme erhob sich um Gnade, denn der versöhnliche Giuliano war gefallen, und Lorenzo, der ihn zu rächen hatte, ließ der Justiz ihren Lauf. Was vom Hause Pazzi noch übrig war, wurde eingekerkert oder verbannt, auch Guglielmo, Lorenzos Schwager inbegriffen, ihre Vorrechte, ihre Wappen, ihr Name selber sollten verschwinden. Montesecco wurde nach einem umfassenden Geständnis, das den Papst schwer kompromittierte, enthauptet. Nur Bernardo Bandini, Giulianos Mörder, hatte sich zu verbergen gewußt und war glücklich nach Konstantinopel entkommen, aber der Sultan, um Lorenzo zu ehren, sandte ihn in Ketten nach Florenz zurück, wo er noch ein Jahr später öffentlich in seinen Türkenkleidern hingerichtet 28 wurde. Damals befand sich auch der jugendliche Leonardo unter den Zuschauern, denn eine Bleistiftzeichnung von seiner Hand hat den schaurigen Anblick festgehalten: es zeigt den Gehenkten in seiner phantastischen morgenländischen Tracht, deren Farben mit winziger Schrift am Rande notiert sind. – Zum ewigen Gedächtnis der Schreckenstage ließ man alle Teilnehmer der Verschwörung mit dem Strick um den Hals auf die Außenmauern des Palazzo del Podestà (des heutigen Nationalmuseums) malen, als Hochverräter mit dem Kopf nach unten. Botticelli, der Schöpfer der holden Primavera, that diesen künstlerischen Henkersdienst.

Andere Künstler eiferten, den Geretteten zu feiern. Lebensgroße, sprechend ähnliche Wachsbildnisse von Lorenzo, zu denen Verrocchio die Zeichnung gemacht hatte, wurden in Kirchen aufgestellt; eines davon trug die Kleider, in denen Lorenzo verwundet worden war. A. Pollajuolo schlug eine noch jetzt vorhandene Medaille mit den Köpfen der Brüder Medici, deren eine Seite die Rettung Lorenzos, die andere den Tod Giulianos vor dem Chor der Kirche – mit den Umschriften Salus publica und Luctus publicus – darstellt. Angelo Poliziano öffnete den liedersüßen Mund und ergoß in lateinischen Epigrammen einen Strom wohllautender Schmähungen über die Besiegten.

29 Vier Tage nach dem blutigen Ereignis wurde Giuliano mit neunzehn Wunden zu Grabe getragen. Das Leid um ihn war aufrichtig und allgemein; die florentinische Jugend, deren Liebling er gewesen, legte Trauerkleider an. Wie er durch seine glänzende Erscheinung, sein freundliches Wesen und seine offenen Hände die Herzen der Mitlebenden gewonnen hatte, so steht er auch im Gedächtnis der Nachwelt als eine ergreifende, durch unverschuldetes tragisches Geschick verklärte Jünglingsgestalt.

In den Uffizien zu Florenz befindet sich eine Anbetung der Könige von Botticelli, welche die Bildnisse sämtlicher Medici vom alten Cosimo an enthält. Links von der Madonna fällt ein Jüngling auf, von dem nur Profil und Oberkörper sichtbar sind. Die trauernde Kopfhaltung und die gesenkten Lider geben dem kräftigen, edelblassen Gesicht, um das reiche schwarze Haare hängen, einen tragischen Ausdruck. Der schöne Jüngling, um den die Schatten des frühen Todes zu schweben scheinen, ist Giuliano. Man muß nach diesem Bildnis trotz der unverkennbaren Aehnlichkeit mit Lorenzo den Angaben Polizianos Glauben schenken, der den bel Julio als den Idealtypus jugendlicher Männlichkeit schildert, vorausgesetzt, daß man, wie jene Alten es thaten, die Schönheit nicht in der Regelmäßigkeit der 30 Züge, sondern in der charakteristischen Durchbildung aller Formen sieht und die übrigen Vorteile einer edelgeborenen, völlig ausgebildeten Persönlichkeit dazu rechnet. Giuliano war leidenschaftlicher Jäger, in Strapazen unglaublich abgehärtet und jeder Art von körperlicher Uebung ergeben; Kunst und Poesie liebte er wie ein echter Medici und war selbst nicht ohne dichterische Begabung. Wie er sich jedoch mit Lorenzos Talent und seiner ganzen hochkomplizierten geistigen Individualität nicht messen konnte, so war er auch im Charakter einfacher angelegt; er war ein Feind der schiefen Wege und würde vielleicht, wenn er länger gelebt hätte, trotz der vielbesungenen Eintracht des mediceischen Brüderpaars Lorenzos Politik nicht immer gebilligt haben. Da er den öffentlichen Geschäften ferne blieb, hat die Geschichte kaum mehr von ihm verzeichnet, als sein gewaltsames Ende. Eine um so tiefere Spur hat er in der Poesie seiner Tage zurückgelassen, wovon an einer anderen Stelle die Rede sein wird.Siehe: Die Bella Simonetta. Später hat sich auch die tragische Muse seiner bemächtigt, aber leider ohne ihrem Gegenstand gerecht zu werden. Alfieris »Congiura dei Pazzi« atmet den Geist des 18. Jahrhunderts, das überall an Stelle der 31 Individualitäten Prinzipien sah, und stellt demgemäß die meuchlerische That der Pazzi als einen Akt heroischer Vaterlandsliebe, die glänzenden mediceischen Brüder als zwei blutdürstige Tyrannen dar, mit der einzigen Unterscheidung, daß der großartige Lorenzo mehr als ein heimtückischer, der harmlos liebenswürdige Giuliano dagegen als ein polternder Wüterich erscheint. Heute weiß man's anders; man weiß, daß jener Aufstand durchaus keine patriotische Erhebung war, sondern nur die Verdrängung einer herrschenden Familie durch eine andere bezweckte, und daß es nach dem Niedergang des alten freiheitlichen Geistes im höchsten Interesse der Kultur und des Friedens lag, daß das Steuer in den Händen des Würdigsten blieb.

Bald nach Giulianos Ende enthüllte sich ein Geheimnis, an dessen Mitteilung ihn selbst der rasche Tod verhindert hatte. Der Architekt Antonio da San Gallo, sein Vertrauter, benachrichtigte Lorenzo, daß dem Verstorbenen ein natürlicher Sohn geboren sei, dessen Mutter dem Haus der Gorini angehöre und den er selbst aus der Taufe gehoben habe. Lorenzo suchte eilends den Knaben auf und nahm ihn auf den Wunsch seiner Mutter mit sich nach Hause, wo er unter dem Namen Giulio mit Lorenzos eigenen Kindern heranwuchs. Dieser Giulio war es, der später unter dem Namen 32 Clemens VII. den päpstlichen Stuhl bestieg und schweres Unheil über seine Vaterstadt und ganz Italien brachte.

Nach dem Scheitern der Verschwörung führten die päpstlichen Condottieri ihre Truppen, die schon die Grenzen der Toskana überschritten hatten, eiligst zurück. Aber Lorenzos Leben und Stellung war dadurch noch keineswegs gesichert. Sixtus spie Feuer und Flammen und suchte jetzt durch offene Gewalt zu erlangen, was seinen Ränken mißglückt war. Die begütigenden Gesandtschaften der Florentiner wies er schroff zurück und nahm die Gefangenhaltung des Kardinals, die Hinrichtung des Erzbischofs und der anderen Geistlichen, zum Vorwand für eine Bulle, in der Lorenzo als ein »Sohn der Verdammnis«, nebst den Häuptern der Regierung aus der Kirche ausgeschlossen und ganz Florenz mit dem Interdikt bedroht wurde, wenn es den Verhaßten nicht in die Hände des Papstes ausliefere.

Und da ihm die geistlichen Waffen nicht genügten, schloß Sixtus ein Bündnis mit dem König Ferrante von Neapel, erklärte Florenz den Krieg und warf die vereinigten Heere unter den besten Führern ins Toskanische. In der Kriegserklärung hieß es, daß der Feldzug des Papstes und des Königs nicht gegen die Republik, sondern nur gegen Lorenzo gerichtet sei; liefere man ihnen die 33 Person des Medici aus, so solle der Friede nicht gestört werden. Die Bürgerschaft erklärte, daß sie bereit sei, mit Lorenzo zu stehen und zu fallen. Den Bannfluch wies die hohe florentinische Geistlichkeit mit Hohn zurück und kündigte dem Papst als einem Verschwörer den Gehorsam. Doch wurde der Kardinal Riario, der vergeblich zu vermitteln gesucht hatte, unbeschädigt seinem Oheim zurückgegeben, welche Rücksicht den Florentinern schlecht bekam, denn nun brachen unverzüglich die Feindseligkeiten aus.

Sie fanden Lorenzo nicht unvorbereitet. Hatte er bis zuletzt alles aufgeboten, um den Frieden zu retten, so übertraf er jetzt sich selbst im Organisieren der Verteidigung. Frau und Kinder hatte er mit A. Poliziano als Hauslehrer nach Cafagiolo im Mugello geschickt, er selbst blieb in der bedrohten Stadt, wo jetzt auch die Pest ausgebrochen war, zurück und arbeitete fieberhaft. Florenz wurde verproviantiert, alle festen Punkte verstärkt und neue gebaut, gegen Siena und im Mugello starke Posten vorgeschoben. Die Angehörigen der hingerichteten Verschwörer versöhnte er sich durch wohlwollende Behandlung, kein Feind durfte ihm im Innern zurückbleiben. Gleichzeitig unterhandelte er unausgesetzt mit den auswärtigen Höfen.

Die Lage war schwierig, auf die 34 Bundesgenossen kein Verlaß: die Venetianer, als ein zähes, in selbstsüchtige Politik eingeschlossenes Inselvolk, schickten unzulängliche Hilfstruppen und sahen kaltblütig zu, wie das Schicksal von Florenz sich gestalte, Mailand, das guten Willen hatte, stand wegen inneren Haders selbst in hellen Flammen.

Der Krieg wurde von beiden Seiten nach damaliger Sitte von bezahlten Condottieren geführt, die für die Sache, der sie dienten, kein Herz hatten und jederzeit bereit waren, zu der Partei eines etwa besser zahlenden Gegners überzugehen. Jahrelang dauerte der Feldzug, bei dem wenig Blut vergossen, aber unendliches Elend über die betroffenen Landesstrecken gebracht wurde. Die Sienesen, den Florentinern von Alters her übelgesinnt, öffneten dem Feinde den Paß ins Herz der Toskana, und ein glänzender Sieg der Florentiner unter ihrem Feldhauptmann Roberto Malatesta am Trasimener See wurde durch die schrecklichen Verwüstungen des verbündeten Heeres im Chiana- und Elsathal zunichte.

Ein Waffenstillstand enthüllte Lorenzo erst seine ganze Gefahr, denn nun wurde der Mißmut der Bürgerschaft laut. Die erschöpften Finanzen, die Stockung des Handels, die Verheerung des Landes, der ganze wirtschaftliche Niedergang mit Teuerung und Pest hatten die Begeisterung 35 abgekühlt, man gab Lorenzo zu verstehen, daß, da dieser verderbliche Krieg um seinetwillen geführt werde, es nun an ihm sei, so oder so dem allgemeinen Elend ein Ende zu machen.

In dieser höchsten Not, wo nur ein Wunder retten konnte, griff der Bedrängte in seine eigene Brust und schöpfte dort einen jener Entschlüsse, die nur dem Genie, das sich auf einen starken Charakter stützt, gegeben sind.

Er wußte, daß auch Ferrante des langen Krieges überdrüssig war, und diese Gewißheit gab ihm den Mut, selbst nach Neapel zu gehen und sich in die Gewalt des Gegners zu begeben, um entweder als Bringer des Friedens zurückzukehren oder dort sein Leben zu lassen. Das Wagnis war nicht gering, denn über der Königsburg von Neapel schwebten noch die Schatten einer blutigen That: König Ferrante aus dem Hause Aragonien, dieser treuloseste und grausamste Despot in einer an Treulosigkeit gewohnten Zeit, hatte nicht lange zuvor den berühmten Condottiere Jacopo Piccinino unter Freundschaftsversicherungen zu sich gelockt und ihn heimlich ermorden lassen. Wenn dies dem geladenen ahnungslosen Gastfreund geschehen war, welcher Behandlung durfte ein im offenen Krieg befindlicher Gegner gewärtig sein! Aber Lorenzo vertraute auf sein internationales Ansehen, auf die Wirkung seiner 36 Persönlichkeit, die noch jüngst den Mörderarm entwaffnet hatte, auf die Macht seiner Gründe und auf sein Glück.

Nachdem er sich mit den angesehensten Bürgern besprochen hatte, verließ er in aller Stille die Stadt und teilte erst von unterwegs der Signoria offiziell seine Absicht mit. Wer am meisten Ehre genossen habe, schrieb er, dem gebühre es auch, die Gefahr Aller auf sein Haupt abzulenken, und er als der hauptsächlichste Stein des Anstoßes sei am besten geeignet, die Gesinnungen des Königs an seiner eigenen Person zu erproben und mit einem Schlag die ungewisse Lage zu klären.

Da die Signoria den wagehalsigen Schritt nicht verhindern konnte, wollte sie Lorenzo wenigstens mit ihrer ganzen Autorität stützen und ernannte ihn zum offiziellen Gesandten der Republik.

In dieser Eigenschaft kam er in Neapel an und wurde dort mit fürstlichen Ehren empfangen. Der König sandte ihm Schiffe entgegen, alles strömte zusammen, den Mann zu sehen, um den der lange Krieg geführt wurde und der jetzt allein und wehrlos sich in die Höhle des Löwen wagte.

Lorenzo hatte seine Ueberredungskunst nicht überschätzt. Es gelang ihm, den König von den Vorteilen einer gemeinsamen Politik zu 37 überzeugen, und er wurde mit höchster Auszeichnung in Neapel behandelt, aber gleichwohl hielt der ränkevolle Monarch ihn drei volle Monate in Ungewißheit zurück, während heimlich die Agenten des Papstes geschäftig waren, ihn zu verderben. Lorenzo ließ sich keine Unruhe merken, er lebte auf großem Fuße, gewann den Hof durch seine Geselligkeit, das Volk durch fürstliche Geschenke und wurde der populärste Mann in Neapel. Da in dieser langen Zeit in Florenz alles ruhig blieb und Ferrante nun einsah, daß der Medici eine Macht war, auf die man bauen konnte, entließ er ihn mit einem ehrenvollen Friedensbündnis in der Tasche.

Mit grenzenlosem Jubel wurde der Heimgekehrte in Florenz empfangen. Der Zudrang des Volkes bei seiner Ankunft war so ungeheuer, daß die nächsten Freunde ihm nur aus der Ferne mit Augen und Händen zuwinken konnten; die Menschen umarmten sich gegenseitig vor Freude. Ganz Italien atmete auf, und als bald danach ein Türkeneinfall in Otranto die Fürsten zur Einigkeit zwang, ließ sich auch der grollende Papst versöhnen.

Zwölf glückliche Regierungsjahre folgten auf diese Stürme.

Aus der politischen Geschichte tritt von Lorenzos Wesen nur der geringste Teil hervor. Seine 38 wahre Bedeutung liegt auf einem anderen Felde. Um zu fühlen, was er für die Kultur gewirkt hat, muß man in Florenz gelebt haben, wo man noch auf Schritt und Tritt seinen persönlichen Spuren begegnet.

Zwar gebaut hat er lange nicht so viel wie sein Großvater Cosimo, trotz eigener architektonischer Begabung, die ihn zum obersten Richter in allen städtischen Bauangelegenheiten machte. Wie er dagegen der Malerei und Skulptur das weiteste Feld eröffnete, wie er darnieder liegende Kunstzweige, die Mosaicier- und die Steinschneidekunst, zu neuem Leben erweckte, die Entwickelung der Miniaturmalerei förderte, wie er den verschütteten Antiken zur Auferstehung half, das füllt die Bände der Kunstgeschichte und kann hier nicht näher berührt werden. Ebenso verlangt seine Stellung zur Poesie eine besondere und eingehende Betrachtung.Siehe: Der mediceische Musenhof. Eine Geselligkeit, wie die seines Hauses hat es in der Welt kaum jemals wieder gegeben. Da wußte man nichts von Etikette und nichts von Unterwürfigkeit: Lorenzo war nur ein Bürger wie die andern. Die angeborene Feinheit und hohe Bildung der Nation erlaubten die vollkommenste Natürlichkeit. Zwischen den Diplomaten und hohen Geistlichen bewegten sich 39 Dichter, Künstler, Gelehrte im freisten Verkehr, und die verschiedenartigsten Elemente hielt der einzige Mann durch seine Persönlichkeit zusammen. Dabei blieb er bürgerlich einfach im Privatleben, seine Tafel unterschied sich in nichts von der seiner Mitbürger, und nur bei Bewirtung fremder vornehmer Gäste wurde die sprichwörtliche Pracht des Mediceerhauses entfaltet, die durch ganz Italien nicht ihresgleichen hatte.

Kein begabter Mensch hat Lorenzos Weg gekreuzt, der durch ihn nicht Anregung und Förderung gefunden hätte. Indem er auf die Art eines jeden einging und sich sogar die Launen der Künstler gefallen ließ, nur um ihr Schaffen nicht zu stören, mehrte ihr Ruhm den seinigen. Bekannt ist die Anekdote von jenem Kunstschmied, der, als Lorenzo ihn wegen einer Bestellung drängen wollte, dem Gewaltigen ruhig antworten konnte: »Ich bediene meine Kunden der Reihe nach.« Nie war das Joch eines fürstlichen Mäcens linder zu tragen; seine eigene schöpferische Natur machte es ihm leicht, die Naturen der anderen zu verstehen und zu schonen.

Doch nicht nur, daß er die fertigen Talente begünstigte, Lorenzo wußte auch die keimenden zu entdecken und heranzuziehen. Die mediceischen Gärten nebst dem angrenzenden »Casino« wurden die Schule einer neuen Künstlergeneration, 40 und es ist nicht der kleinste Ruhm Lorenzos, daß fast alle, die aus dieser Anstalt hervorgingen, sich später als hervorragende Meister erwiesen haben. Der fünfzehnjährige Michelangelo, den Lorenzo seinem widerstrebenden Vater abringen mußte, um ihn für die Kunst zu retten, fand dort liebevolle Pflege seines Talents und wurde täglicher Gast an Lorenzos Tafel, wo die berühmtesten Männer Italiens beisammen saßen. Die Hausordnung war merkwürdig. Die zuerst Erschienenen nahmen ihrem Rang entsprechend neben dem Hausherrn Platz, und für etwa nachkommende Höhergestellte wurde nicht mehr gewechselt. So geschah es häufig, daß der Knabe Michelangelo über den Söhnen des Hauses, ja selbst über vornehmen Gästen seinen Sitz erhielt. In der freien Größe und Menschlichkeit dieses Verkehrs wuchsen dem jugendlichen Genius die Adlerflügel, aber leider sollte der große Beschützer den Ruhm des Pfleglings nicht mehr erleben. Hätte Lorenzo, als vor wenig Jahren seine Reste nach vier Jahrhunderten der Ruhe wieder ans Licht gefördert wurden, aus den leeren Augenhöhlen noch einen Blick durch die von Michelangelos Händen errichtete Mediceerkapelle werfen können, wie würde er sich in der Größe dessen gesonnt haben, den er als Kind aus allen anderen herausgefunden und an sich gezogen hatte. Nach dem frühen 41 Verluste dieses väterlichen Freundes war Michelangelo mehrere Tage wie von Sinnen. Er kehrte in sein Vaterhaus zurück und brauchte einige Zeit, bevor er sich wieder zur Arbeit aufraffen konnte. Zwar der launische Piero, Lorenzos Sohn, erinnerte sich gelegentlich seiner und rief ihn wieder in den Palast und an seine Tafel, aber der einzige Auftrag, den er für einen solchen Genius wußte, war, daß er ihn in einer Winternacht bei starkem Schneefall im Hofe einen Schneemann bauen ließ.

Ebenso wie die Dichter und Künstler durften Forscher und Gelehrte auf Lorenzos Schutz und Förderung rechnen. Die von Cosimo gegründete platonische Akademie, deren Vorsitz er führte, erreichte unter ihm ihre höchste Blüte. Auch die Philosophen sprachen ihn als ihresgleichen an.

»Glaubet nicht,« schrieb von ihm Marsilio Ficino an einen Freund, »daß Lorenzo an Gründlichkeit des Wissens, an Schärfe des Denkens irgend einem Gelehrten von Beruf nachstehe.«

Und doch war das ganze Leben dieses Mannes einer rastlosen praktischen Thätigkeit gewidmet. Er schrieb täglich bis zu zehn, ja zwanzig Briefen. Neben den Regierungssorgen lag ihm eine verwickelte Verwaltungsmaschinerie ob, deren kleinstes Detail durch seine Hände ging. Dann waren noch Besuche, Bittschriften und Geschenke entgegen 42 zu nehmen, die fortwährend aus aller Herren Ländern für ihn eintrafen. Aber zu keiner Stunde seines Lebens durften ihm die geistigen Interessen hinter dem Zwang und der Gefahr des Augenblicks zurücktreten. Der absolute Vorrang, den er diesen zuerkannte, macht ihn zu einer so einzigen Erscheinung unter den Mächtigen der Erde. Daher die unwandelbare Sammlung inmitten aller Zerstreuungen und die hohe Gelassenheit, mit der er jederzeit über den politischen Stürmen stand. Sehr schön sagt von ihm einer seiner frühesten Biographen, daß sein göttlicher Genius »gleich wie ein strahlendes Feuer immerdar in gleicher Stärke« gebrannt habe.

Lorenzo führte ein glückliches Familienleben und war ein gewissenhafter Erzieher. An seinen Kindern hing er mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit und war überhaupt, wie alle Menschen von starker Phantasie, ein großer Kinderfreund. An den Spielen der Kleinen nahm er oft so ausgelassenen Anteil, daß es ihm pedantischen Tadel zuzog.

Vom Kaufmann war keine Faser mehr in ihm, und den ungeheuren ererbten Besitz konnte er nur noch verschwenden, freilich für politische und für Kulturzwecke. Es kam ein Augenblick, wo die große mediceische Bank vor dem Ruin stand, und wo Lorenzo, der seine Person schon 43 ganz mit dem Gemeinwesen identifizierte, unbedenklich Staatsgelder zu Hilfe nahm, ein Tadel, von dem ja auch Perikles nicht freigeblieben ist.

Als Herrscher ist er der erste moderne Staatsmann genannt worden, da bei ihm zuerst die Rücksicht auf dauernden Kredit den augenblicklichen Vorteil überwog. Seine Politik lebte nicht von der Hand in den Mund, sondern schuf feste Zustände durch ganz Italien, in denen ein höheres Dasein sich entfalten konnte und die in den Wirren späterer Tage den Nachlebenden mit Recht als das goldene Zeitalter erscheinen mochten.

Doch da bekanntlich nichts »schwerer zu ertragen« ist als »eine Reihe von guten Tagen«, so stiegen jetzt aus dem Schoße des Friedens und der öffentlichen Wohlfahrt selbst die Wolken auf, die den kommenden Sturm in sich trugen. Die alte Einfachheit der Sitten war geschwunden, mit der höheren Bildung und dem rascheren Zirkulieren des Geldes entwickelten sich Luxus und Verfeinerung, jenes weiche Element, in dem die Kunst ihre üppigsten Blüten treiben kann, das aber zugleich die Korruption und alle Keime der Entartung reifen läßt.

Noch heute hört man die Anklage wiederholen, daß Lorenzo absichtlich sein Volk durch sinnverwirrende Bacchanalien betäubt, durch Genüsse entnervt habe, um ihm den Verfall seiner 44 Freiheit zu verbergen. Aber diese Freiheit hatte schon vor Lorenzo nur dem Namen nach bestanden, und die Verderbnis wäre auch ohne ihn gekommen, denn sie war der allgemeine Zug der Zeit. Lorenzo selbst liebte die Freude, er bedurfte ihrer und streute sie mit vollen Händen um sich. Doch was für ihn nur ein Ausspannen aus ernster aufreibender Arbeit bedeutete, das wurde bei der Mehrzahl, der dies Gegengewicht fehlte, zur Uebersättigung und inneren Leere.

Fra Girolamo Savonarola

Fra Girolamo Savonarola.
Von Fra Bartolommeo.

Ein Rückschlag mußte kommen, und Lorenzo hatte ihn selber eingeleitet, als er auf Verwenden seines Freundes Pico von Mirandola den Dominikanermönch Girolamo Savonarola als Prediger nach Florenz berief. Dieser asketische Visionär mit dem beschränkten Geist und der glühenden Seele riß zuerst von allen verdeckten Schäden die Hülle. Im Klosterhof von San Marco predigte er unter ungeheurem Zudrang aller Stände gegen die eingerissene Sittenverderbnis. Damals zu Beginn seiner Laufbahn, bevor die phantastischen Visionen ihm den Kopf verrückt und den Fanatismus in ihm entzündet hatten, war sein Streben ein gesundes: er wollte die gesunkene Kirche reformieren und die öffentliche Moral heben. Man war zwar noch nicht in den Zeiten der Borgia, aber nahe davor, Prunksucht und Genußsucht zerrütteten die Gesellschaft, die Geistlichkeit gab selbst 45 das Beispiel, Treu und Glauben waren aus der Welt geschieden, das Schönheitsgesetz, das nur erlauchte Naturen binden kann, ließ die große Herde der Menschen ohne Halt. Die Sehnsucht nach der Wiederkehr einer reineren frommeren Zeit, wäre es auch auf Kosten aller Genüsse, selbst der edelsten, der des Geistes, schlich durch die besseren Gemüter. Auf diesen dürstenden Boden fielen wie ein Gewitterregen die Mahnungen Savonarolas und seine Ankündigungen eines nahen furchtbaren Strafgerichts. Italien horchte hoch auf bei diesem neuen Ton, es fühlte sich erschüttert und glaubte an den Propheten.

Auch Lorenzo, der die widerstreitendsten Elemente in seiner Natur vereinigte, suchte sich ihm anfangs, aus Politik sowohl wie aus innerem Trieb, zu nähern, aber Savonarola, für den es keinen Kompromiß geben konnte, stieß die dargebotene Hand zurück. Geschenke, mit denen Lorenzo nach wie vor das unter besonderem mediceischem Schutze stehende Kloster von San Marco bedachte, warf er ihm von der Kanzel herab als Bestechungsversuche vor. Ein guter Wächterhund, sagte er mit Anspielung darauf, belle den Dieb an, der seinen Herrn bestehle, auch wenn er ihm einen Knochen vorwerfe. Nur den Dieb an seinem Herrn konnte er in dem glanzvollen Mann erkennen, und er griff ihn überall ungescheut als 46 Urheber der Sittenverderbnis und als Tyrannen an.

Lorenzo blieb gelassen: er hielt es unter seiner Würde, den Ferraresen von dem Posten, auf den er selbst ihn gestellt hatte, zu entfernen. Die Gegensätze lagen überhaupt damals noch so nahe beisammen, daß Lorenzos ergebenste Freunde zugleich Freunde des Mönches sein konnten, ein Zeichen, daß es mit der Tyrannis nicht schlimm bestellt war.

Mittlerweile neigte dieses reiche Leben sich zu frühem Ende, das »strahlende Feuer« hatte den Brennstoff allzu schnell verbraucht. Im Beginn der Vierziger stehend, mochte der einst so kräftige Mann, der auf Turnieren gesiegt hatte, wohl dem bekannten Porträt von Vasari in den Uffizien gleichen, über dessen geneigter Haltung und sinnender Miene schon der Schatten des nahen Todes lagert.

Lorenzo de' Medici

Lorenzo de' Medici.
Von Vasari.

Im April des Jahres 1492 verschlimmerte sich das Magenleiden, das ihn seit längerer Zeit quälte, so, daß er seinen Landsitz zu Careggi, das alte Sterbehaus der Mediceer, nicht mehr verlassen konnte. Die Mischung von zerstampften Perlen und Edelsteinen, die ihm ein in Eile vom Herzog von Mailand gesandter Arzt dort bereitete, war jedenfalls nicht geeignet, das Ende aufzuhalten.

47 Schwere Sorgen trübten seinen frühen Lebensabend: durch die Orsinische Heirat war ein fremder Blutstropfen in die Familie gekommen, sein ältester Sohn Piero hatte mehr vom römischen Feudalherrn an sich, als vom florentinischen Bürger und versprach ein schlechter Steuermann für das Schiff zu werden, dessen schwieriger Kurs nur durch die Weisheit und Erfahrung des Vaters regiert werden konnte.

In den letzten Stunden wollte der Sterbende seine beiden Vertrautesten Pico von Mirandola und Angelo Poliziano um sich haben. Mit ihnen redete er in ungetrübter Heiterkeit von ihren gemeinsamen Studien und von der angelegten Bibliothek, die er wünschte vollendet ihnen hinterlassen zu können.

Aber noch eine andere Gestalt tauchte an Lorenzos Sterbelager auf, wie eine düstere Verkörperung des dem Mediceerhause drohenden Geschicks: Girolamo Savonarola. Was ihn nach Careggi geführt, was die beiden zusammen geredet haben, ist ungewiß. Savonarolas Anhänger haben erzählt, er sei von Lorenzo selbst gerufen worden und habe nach empfangener Beichte den Sterbenden aufgefordert, seinem Volke die Freiheit wiederzugeben, worauf Lorenzo stumm den Kopf nach der Wand gedreht und jener sich ohne Absolution entfernt habe. Eine wunderliche 48 Ueberlieferung! Als ob ein Mann, und wäre er der mächtigste, durch Wort oder Federstrich einem Volk die Freiheit geben könnte, das diese Freiheit nicht im Mark seiner Knochen mit sich trägt. Wenn aber die Anekdote wahr ist, wie mußte der sterbende Staatsmann in diesen Worten den politischen Schwärmer erkannt haben, und da gab es dann freilich keine Antwort als Schweigen.

Lorenzo starb am 8. April 1492 im nicht vollendeten dreiundvierzigsten Lebensjahr. Sein Tod war wie der Cäsars von Naturphänomenen begleitet, die als Wunderzeichen gedeutet wurden. Ein unerhörter Sturmwind raste über Florenz, der Blitz schlug ein Stück der Domkuppel herunter, die Löwen, die auf Staatskosten gehalten wurden, zerfleischten sich gegenseitig, man wollte Stimmen in den Lüften gehört haben, ein leuchtender Feuerstreif stand unbeweglich über Careggi und erlosch, als Lorenzo den Geist aushauchte. Ein schlimmeres Vorzeichen aber für die kommenden Tage war das geheimnisvolle Ende Meister Pierleonis, seines Leibarztes, den man tags darauf bei San Gervasio in einem Brunnen ertrunken – oder ertränkt fand.

Kaum war der Damm gerissen, der den allgemeinen Hader so lange zurückgestaut hatte, so war es, als sollte das Chaos hereinbrechen. Piero wirtschaftete in den Tag hinein, ohne auf 49 die letzten Ermahnungen seines Vaters und auf die Zeichen der Zeit zu achten. Nach innen schaltete er gewaltsam, nach außen zweideutig und stellte damit die politischen Traditionen seines Hauses geradezu auf den Kopf. Die entzweiten Fürsten Italiens riefen zu ihrem Unheil französische Waffen herbei, dazwischen donnerte Savonarola und kündigte den Anfang vom Ende an. Die Beängstigung ward allgemein, Lorenzos Freunde starben rasch im Kummer weg, das nachwachsende Geschlecht klammerte sich an den neuen Propheten. Seltsame Visionen schreckten auch unbeteiligte Zuschauer. Einem Musikus an Pieros Hofe, mit Zunamen Cardiere, der wegen seiner wunderbaren Improvisationsgabe viel bei dem Magnifico gegolten hatte, erschien bei Nacht der tote Lorenzo mit schmerzverstörtem Gesicht und schwarzen zerrissenen Gewändern, durch welche die Haut schimmerte, und befahl ihm, seinem Sohne Piero zu sagen, sein Sturz sei nahe; bald werde er von Florenz vertrieben sein, um nicht zurück zu kehren. Der Mann, der die Lebenden offenbar noch mehr fürchtete als die Toten, wollte trotz Michelangelos dringendem Zuspruch nicht reden. Da erschien ihm die Gestalt zum zweitenmal, gab ihm zum Beweis ihres Daseins einen heftigen Schlag ins Gesicht und wiederholte den Befehl. Jetzt rannte der arme Musikus sinnlos vor Schreck 50 nach Careggi, um den jungen Gebieter zu suchen, der ihm unterwegs mit seinem Gefolge entgegengeritten kam. Piero fand die Geschichte spaßhaft und gab den unglücklichen Geisterseher dem Spott des Gesindes preis; Michelangelo floh entsetzt aus dem Hause, das er dem Untergang verfallen sah.

Kaum ein paar Wochen vergingen, so war die Prophezeiung des Traumgesichts erfüllt. Piero mußte aus seiner Vaterstadt flüchten, um in der Fremde zu sterben, seine Brüder und Freunde irrten im Exil. Florenz wurde ein Gottesstaat mit Jesus Christus als Gonfaloniere. Der herrliche Mediceerpalast ward geplündert und seine Schätze zerstreut. Auf der Piazza della Signoria gingen die »Eitelkeiten«, darunter unersetzliche Kunstwerke, beim Psalmodieren tanzender Mönche in Rauch und Flammen auf. Freilich sollte der Brand, den er angefacht hatte, am Ende den Propheten selbst verzehren.

Man hat Lorenzo de' Medici oft die maßlose Herrschgier vorgeworfen, die ihn von seinem Lebenselement, den Studien und der Poesie, hinweg in die Irrgänge politischer Minen und Gegenminen trieb. Allein man vergißt, daß Menschen, die in solcher Höhe stehen, nicht die Herren ihrer Geschicke sind, weil sie ein Dämon lenkt, das Muß. Sein Vater Piero hatte ihm die 51 Erfahrung geliefert, daß man auf einem ausgesetzten Posten sich nicht kleiner machen darf. Die ererbte Stellung zu behaupten, war ein Gebot der Notwehr, wie der angeborenen Herrschergabe, und die Gewaltsamkeiten, von denen auch er sich nicht frei erhalten konnte, fallen mehr seiner Zeit als seinem Charakter zur Last. Seit der blutigen Niederwerfung von Volterra vermied er gern unnötige Härte, und auch den Ueberlebenden der Pazzi wurde ihr schweres Strafurteil bald gemildert und endlich ganz aufgehoben; diese historische Familie existiert noch heute in Florenz.

Freilich auf unserer heutigen Wage darf man einen Lorenzo de' Medici nicht wägen wollen, so wenig wie irgend einen seiner Zeitgenossen. Sie lebten in einem eisernen Jahrhundert, wo jedermanns Hand wider jedermann war und wo man sich ohne List und Gewalt nicht durchschlagen konnte. Aber sie haben mit ihrem wunderbaren Genius um dieses eiserne Jahrhundert ein flimmerndes Sternengewand gewoben, das es uns aus der Ferne wie ein goldenes erscheinen läßt. Er mit allen, die um ihn waren, den Dichtern, den Künstlern, den Gelehrten, den Wiedererweckern des Altertums und den Förderern einer neuen Kultur, sie arbeiteten gemeinsam an dem großen Gebilde der Vorstellung, das 52 unsere Phantasie unter dem Namen des mediceischen Zeitalters entzückt. Und diese Vorstellung ist eines der größten Geschenke, welche die Menschheit empfangen hat.

In der Basilika von San Lorenzo, wo die Mediceer ihre Grablege hatten, ruht auch Lorenzo il Magnifico mit seinem Bruder Giuliano. Aber, seltsam genug, während alle anderen Gräber durch Schmuck und Namen kenntlich sind, während über der Asche unbedeutender Epigonen Michelangelos unsterbliche Marmorgruppen sich erheben, bezeichnet kein Mal, keine Inschrift die Stätte, wo der Mann, der seinem Zeitalter den Namen gab, den letzten Schlummer schläft. Bis vor wenigen Jahren kannte man nicht einmal die Stelle. Da wurde Ende des Jahres 1895 in der sagrestia nuova das schmucklose Postament abgehoben, das Michelangelos Madonna mit dem Kinde und die Heiligen Cosmus und Damianus trägt, und aus dem hohlen Innern trat ein wunderbarer Fund zu Tage: die Gebeine Lorenzos und Giulianos. Sie lagen abgesondert in schlichten hölzernen Kisten, die durch Namensaufschrift bezeichnet waren. Zwei breite und tiefe Dolchstiche über Giulianos Stirn und ein ebensolcher Einschnitt im Schenkelknochen ließen noch die Form der Mordwaffe und die Gewalt, womit sie geführt wurde, erkennen. Auch Lorenzos Schädel konnte nach den 53 vorhandenen Bildnissen identifiziert werden. Wie die edlen Reste sich in diesen schlechten Behälter verirrten und wie es zuging, daß sich alsdann der Schleier der Vergessenheit so dicht um das Grab eines Herrschers spann, dessen Ruhm in vier Jahrhunderten nichts von seinem blendenden Glanze verloren hat, ist ein schwer zu lösendes Rätsel. Noch merkwürdiger aber ist es, daß die so lange gesuchten Gebeine, nach einigen fruchtlosen Beratungen über eine würdige Ruhestätte, einfach an den alten Ort zurückgebracht wurden, wo sie abermals ohne Inschrift und Mal einer neuen Entdeckung nach vielleicht aber vierhundert Jahren entgegen harren mögen.

 

 


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