Isolde Kurz
Phantasieen und Märchen
Isolde Kurz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der geborgte Heiligenschein.

Es war einst ein gar kurioser alter Heiliger, der wohnte in einem hohlen Baum und lebte nur von Heuschrecken und wildem Honig. Er war so fromm, daß er immer barfuß ging und nichts auf dem Leibe trug als einen halbzerfetzten härenen Mantel gleich wie einst Johannes der Täufer in der Wüste getragen; sein einziger Besitz war ein großer wunderschöner Heiligenschein, den hielt er auch über alles und pflegte ihn durch häufige Bußübungen und Enthaltsamkeit von aller Weltlust also, daß er immer besser gedieh. Sein größtes Vergnügen war, an schönen Sommertagen durch Wald und Feld damit spazieren zu gehen und ihn so recht lustig in der Sonne glänzen zu lassen; kam er dann an ein Bächlein oder an eine Pfütze, so auf der Straße blinkte, so blieb er auch gern einmal stehen und bespiegelte sich darin. Dabei war er aber gar nicht hochmütig gegen andere 20 Sterbliche, sondern wenn der Geringste vor Gott und Menschen an ihm vorüberging und ihn ehrfürchtig grüßte, so legte er immer freundlich dankend die Hand an seinen Glorienschein, denn einen Hut besaß er nicht und wollte auch keinen, und weit und breit pries man seinen gottseligen Lebenswandel und die Demut, wodurch er dieses köstliche Kleinod erworben hatte.

So erging er sich auch eines Tags in erbaulichen Betrachtungen auf der Landstraße, als er von weitem Staub aufwirbeln und einen Troß Söldner mit blinkenden Hellebarden heranmarschieren sah. Voraus gingen Musikanten, die bliesen einen gedämpften Marsch, darauf kamen einige Ratsherren mit langen Mänteln und würdevollen Gesichtern, und diesen folgte, von den Kriegsleuten umschlossen, ganz mit Ketten beladen und mit niedergeschlagenen Augen, ein armer Sünder, der zum Richtplatz geführt wurde. Von der Stadt her läutete unablässig das Armesünderglöcklein, und eine große Menge Neugieriger lief hinter dem Zuge drein. Als sie an dem Heiligen vorüberkamen, warf sich der arme Sünder auf die Kniee und bat ihn gar demütig und herzbewegend um seinen Segen auf den schweren Gang. Die Kriegsleute blieben stehen und machten ehrfürchtig Platz, der Heilige aber trat auf den armen Sünder zu, legte ihm beide Hände aufs Haupt und sagte:

21 »Stehe auf, mein Sohn! Deine Sünden sind dir vergeben. Ich nehme sie von dir im Namen dessen, der da Kraft hat zu binden und zu lösen. Ziehe hin in Frieden und gehe ein in die ewige Herrlichkeit.«

Dabei machte er das Zeichen des Kreuzes über ihn und wollte sich entfernen. Jener aber umklammerte seine Kniee und sagte: »O heiliger Vater, ich fühle mich kraft Eures Segens von allen Sünden reingewaschen und so unschuldig wie ein neugeborenes Kindlein. Nun Ihr aber solche Verwandlung in mir bewirkt habt, so flehe ich Euch an bei Gottes Barmherzigkeit, mir nunmehr auch vom Galgen zu helfen; denn nimmermehr geschehe es, daß schuldloses Blut vergossen und ein Gerechter dem Henker überantwortet werde.«

Da wurde der Heilige nachdenklich und sagte:

»Was willst du, daß ich für dich thun soll? Habe ich doch keine Macht über deine Schergen.«

Entgegnete der Delinquent in flehendem Ton:

»Frommer Vater, wenn Ihr mir nur auf ein halb Stündchen Euren Heiligenschein borgen wolltet, so glaube ich, daß mir doch noch könnte geholfen werden.«

Da ließ sich der Heilige von ihm mit den äußersten Eiden geloben, daß er ihm alsbald nach wieder 22 erlangter Freiheit sein kostbar Kleinod zurückgeben solle, und wollte der Heilige bis zu seiner Rückkehr auf der Straße warten.

Alsdann sagte er:

»Wohlan, du sollst ihn haben, und geschehe dir wie du geglaubet hast.«

Hierauf setzte sich der Zug in Bewegung. Als sie nun auf dem Richtplatz angekommen waren, wo der Galgen aufgerichtet stand und auch viel Volk versammelt war, da ward zuerst nach aller Form Rechtens das Urteil verlesen, und ein Ratsherr zerbrach ein schwarzes Stäblein. Alsdann griffen zwei Henkersknechte den armen Sünder unter den Armen und waren ihm behilflich, die Leiter zu besteigen. Als er aber hoch oben stand, daß er weithin allem Volk sichtbar ward, da erscholl plötzlich ein lauter, tausendstimmiger Schrei aus der versammelten Menge. Die Henker ließen die Arme sinken, die Ratsherren zogen fürsichtig ihre Brillen aus den Futteralen und setzten sie auf die Nasen, um besser zu sehen, und die Menge begaffte sprachlos vor Staunen das Wunder, welches hier geschehen war. Denn um das Haupt des Sünders schwebte in mildem, aber weithin glänzendem Licht der prächtigste Heiligenschein, den die Sonne beschienen hatte, seit die zwölf Apostel heimgegangen waren.

23 Einige Minuten lang blieb alles still, dann erhob sich zuerst ein leises Murmeln unter dem versammelten Volk, wie wenn ein säuselnder Windhauch durch die Blätter streicht, es schwoll aber lauter und lauter und ward zum tobenden Orkan.

»Gott hat ein Wunder gethan,« schrieen sie von allen Seiten. »Auf, duldet nicht, daß das Blut des Gerechten vergossen werde. Herunter von der Leiter, herunter mit dem heiligen Mann, schlagt die Richter tot und führt ihn nach Hause!«

Die Vordersten stürmten die Sprossen hinan, huben den armen Sünder von der Leiter herab, luden ihn auf ihre Schultern und trugen ihn, während die andern sich nachdrängten, unter lautem Jubel den kürzesten Weg in die Stadt zurück. Die Richter und Amtspersonen aber, soweit es ihnen nicht gelang, sich durch die Flucht zu retten, wurden von der empörten Volksmasse totgeschlagen, und die Soldaten, die gegen die Überzahl nichts ausrichten konnten, zogen sich eiligst in geschlossener Reihe zurück.

Sobald der König Kunde von dem Vorgefallenen erhielt, schickte er ein ganzes Regiment Soldaten aus und ließ die Menge mit gefällten Hellebarden auseinandertreiben und den vom Galgen Befreiten vor sich bringen. Lange betrachtete er mit Staunen den schönen Heiligenschein, dann sagte er:

24 »Obschon du ein abgefeimter Erzhalunke gewesen bist, so will ich, da Gott sichtbarlich ein Mirakel an dir vollbracht hat, nicht auf deine Bestrafung dringen. Ich bestätige dir also deine Begnadigung mit dem Beding, daß du den schönen Heiligenschein, der auf deinem ruchlosen Schädel ohnedies eine Gotteslästerung wäre, mir überlässest.«

Da dankte der arme Sünder dem König für seine Gnade, riß sich den Schein vom Kopf, legte ihn mit unterthänigster Miene dem König zu Füßen und machte sich eilig davon.

Da er sich aber ohne Schein nicht mehr getraute, dem Heiligen vor die Augen zu treten, so verließ er in aller Stille die Stadt und wurde nicht lange darauf über der Grenze festgenommen, als er eben im Begriffe stand, einem jüdischen Geldwechsler durchs Fenster seine Aufwartung zu machen, und wurde denn auch richtig die unterbrochene Vermählungsfeier mit Seilers Töchterlein noch nachträglich unter den üblichen Ceremonien an ihm vollzogen.

Noch ehe sich dieses alles begab, hatte sich im Lande ein erbitterter Streit entsponnen. Die Räte des Königs hielten es nämlich für schicklich, seinem unlängst verblichenen Lieblingshunde ein großartiges Mausoleum zu errichten, und wollten zu diesem Zweck dem Lande eine neue Steuer auflegen. Da aber 25 bereits alles, was ging, flog oder kroch, seine Abgaben bezahlte, auch alle Besitztümer, Gewerbe, Lebensmittel und Luxusgegenstände mit Einschluß von Frauen und Kindern nach Gebühr versteuert waren, so sahen sich die Herren von der Regierung in einiger Verlegenheit, bis ein kluger Kopf den Vorschlag machte, daß jeder nach Maßstab seiner Größe für so viel Luft, als er mit seinem Körper verdränge, jährliche Taxe zahlen solle.

Darüber murrte nun das Volk, und die Längsten schrieen am lautesten. Es war aber unter den Volksvertretern eine Partei, die sich die liberale Opposition nannte und ihre Nase in alles steckte. Diese machte dem guten König und seinen Räten schon lange das Leben sauer und schlug auch jetzt richtig wieder Lärm gegen die Luftsteuer. Das Volk versammelte sich vor dem Palast und drohte die Fenster einzuwerfen, wenn nicht der König selbst herauskomme und verspreche nachzugeben. Da warf der König seinen Purpurmantel um, setzte die Krone auf, stülpte den Heiligenschein darüber und zeigte sich so seinem Volk. Bei diesem Anblick sahen sich die Leute betroffen an und sanken dann alle wie auf einen Schlag auf die Kniee. Nun kamen auch die Priester und redeten ihnen ins Gewissen, wie sie hätten auf die Schreier hören und einen so guten König durch 26 offenen Ungehorsam kränken können. Da ergrimmte das Volk gegen seine Rädelsführer, es zog die Liberalen hervor und steinigte sie. Die Luftsteuer wurde nun genehmigt und unter dem lauten Jubel des Volks ein prachtvolles Mausoleum, sowie ein Standbild zu Ehren des Verblichenen votiert. Von da an wurde auch das Einvernehmen zwischen dem guten König und seinen Landeskindern nicht mehr gestört. So oft er sich mit seinem Heiligenschein zeigte, fiel das Volk auf die Kniee und pries Gott, daß er ihnen einen Heiligen zum König gegeben hätte. Der Monarch aber legte seinen Heiligenschein nicht mehr ab, sondern behielt ihn, damit er ihm nicht entwendet würde, sogar nachts im Bette auf, wobei er ihm zugleich als Nachtlicht diente.

So lag er auch einmal im Bett und konnte lange nicht einschlafen, weil ihn ein ärgerlicher Gedanke beunruhigte. Er hatte nämlich in früherer Zeit, als noch die liberale Opposition ihr Wesen trieb, gegen seinen Willen und bessere Einsicht ein Gesetz durchgehen lassen müssen, wonach jedem seiner Unterthanen verstattet sein sollte, sich nach Belieben die Nägel wachsen zu lassen, was bisher ein ausschließliches Vorrecht des Hofes und des höchsten Adels gewesen war. Dies verdroß den König sehr, und da ihm der Gedanke gar keine Ruhe ließ, stand er auf, warf einen 27 Schlafrock über, nahm ein Federmesser zur Hand und ging, von seinem Schein geleitet, ganz leise hinüber in das Staatsarchiv. Dort radierte er in dem Gesetzbuch die betreffende Stelle aus und legte sich dann beruhigt wieder schlafen. Aber, o Schreck! als er am Morgen aufstand und sich ankleiden wollte, um eine große Audienz zu geben, da fand sich's, daß der Heiligenschein an mehreren Stellen ganz trübe geworden war. Der König war in der größten Verlegenheit; mit einem angedunkelten Heiligenschein konnte er sich seinem Hof und Volk nicht zeigen, das wäre nicht nur gegen alle Etikette gewesen, sondern hätte auch seiner Popularität geschadet. Er rief daher den Kammerdiener, der sich lange abmühte, mit Putzpulver den Fleck zu entfernen. Als aber alle Mühe nutzlos blieb, brachte er den Schein heimlich zum Goldschmied und trug ihm im Namen des Königs auf, bei Strafe seines Lebens binnen zwei Stunden den früheren Glanz wieder herzustellen. Der Goldschmied versuchte nun sein Äußerstes; als aber kein Mittel seiner Kunst anschlug, schleppte er Zangen, Blasebälge und allerlei Handwerkszeug herbei und verfertigte bei geschlossenen Thüren einen neuen Heiligenschein aus feinstem Gold, der dem ersten täuschend nachgebildet war. Der Goldschmied war aber ein großer Meister seiner Kunst, und als das 28 Werk vollendet war, hätte der Heilige selbst nicht mehr auf den ersten Blick unterscheiden können, welches der echte sei. Dann trug er sein Meisterstück in den Palast, wo er noch gerade rechtzeitig vor Eröffnung der großen Audienz ankam. Der König bezahlte ihn aufs freigebigste, setzte sich dann eigenhändig den falschen Heiligenschein aufs Haupt über die Krone und schritt zur Versammlung. Niemand merkte etwas von dem Tausch, die Unterthanen empfingen ihn wie gewöhnlich mit Jubel und hatten auch kein Arg dabei, als später die Gesetzesboten kamen und dem ganzen Volk die Nägel schnitten. Der König regierte mit dem falschen Heiligenschein in Frieden weiter, und sein Volk war glücklich. Der Goldschmied aber, der immer noch vor einer Entdeckung zitterte, entwich heimlich mit seinem vielen Gelde und führte den echten Heiligenschein im Felleisen mit sich.

Mittlerweile hatte der rechtmäßige Besitzer viele Wochen lang Tag für Tag auf der Landstraße gewartet, daß der arme Sünder kommen und ihm sein Eigentum zurückerstatten solle. Als alles Warten erfolglos blieb, konnte er schließlich nicht anders glauben, als der Delinquent sei trotz seines Scheines gehängt worden und habe denselben als Freikarte in den Himmel benutzt. Da ging er sehr betrübt von dannen, stellte auch keine weiteren Nachforschungen an, sondern 29 kehrte wieder in die Wildnis und in seinen hohlen Baum zurück. Es blieb ihm keine Hoffnung mehr, als durch noch größere Frömmigkeit und verdoppelte Bußübungen sich einen neuen Schein zu erwerben und denselben allmählich wieder zu der Größe und dem Glanz des ersten heranzupflegen. Hatte er vorher schon streng gefastet, so aß er jetzt gar nichts mehr, und statt des harten Bodens, auf dem er sonst zu schlafen pflegte, hielt er jetzt auf spitzen Kieseln und Brennesseln, die er zu diesem Zweck sammelte, seine Nachtruhe. Jeden Morgen ging er an den Bach, nicht um sich zu waschen, denn dadurch hätte er das junge Wachstum zerstört, sondern um sich in seinem Spiegel zu überzeugen, ob der neue Trieb noch nicht zu sprossen beginne. Aber ach, noch ehe die jungen Schößlinge sich zeigten, hatten Hunger und Entkräftung ihr Werk vollendet: der arme Heilige war seinen Übungen erlegen.

Zaghaft und niedergeschlagen erschien er vor der Thüre des Paradieses; denn er wußte nicht, wie er sich vor dem höchsten Richter wegen des abhanden gekommenen Heiligenscheines verantworten sollte. Er erzählte dem Pförtner den ganzen Handel, soweit er ihm selbst bekannt war, und bat ihn um Rat. Dieser zog die Stirne kraus und fand die Sache bedenklich, um so mehr, als man höheren Ortes gegenwärtig gar 30 nicht gut gelaunt sei wegen des vielen Kriegs und Haders auf der Erde, versicherte auch, keinen armen Sünder gesehen zu haben, der mit einem Heiligenschein Einlaß begehrte. Riet daher dem Heiligen, lieber bei ihm im Thorwarthäuschen zu bleiben und ihm seines Amtes warten zu helfen, bis daß sich der Mann, so den Heiligenschein unterschlagen, mit demselben an der Himmelsthür einstellen würde, alsdann wolle er dem Heiligen schon zu seinem Recht verhelfen.

Des war der andere zufrieden: er hielt sich ganz still in des heiligen Petrus Behausung und nahm mit ihm des Pförtneramtes acht, und sie hatten beide Feiertage; denn es gab dazumal viel Krieg und Mord auf der Erde, und obwohl der Tod reiche Ernte hielt, so waren doch nicht viele, die den Weg herauffanden.

So verstrichen Tage und Jahre, und immer noch saß der arme Heilige in des Petrus Turmstübchen und verzweifelte allgemach in seinem Herzen, ob es ihm je vergönnt wäre, in die ewige Herrlichkeit einzugehen. Da wurde eines Tages gar heftig und ungestüm an der Klingel gerissen, und als Petrus und sein Gehilfe den Kopf zum Fenster hinausstreckten, da stand unten ein Haufe Hofbedienter, die in großer Eile zu sein schienen, und hatten jeder einen roten Streifen um den Hals, auch wackelten 31 ihnen die Köpfe gar verdächtig zwischen den Schultern, gleich als wären sie nimmermehr angewachsen, sondern nur in Eile aufgesetzt. Diese erklärten auf Befragen, sie seien die Abgesandten eines reichen und mächtigen Königs und von ihrem Gebieter vorausgesandt, um seine Ankunft zu melden und eine reservierte Loge für ihn im Himmel zu verlangen. Petrus ließ jedem von ihnen ein Gläschen Wein zur Stärkung reichen und hieß sie dann warten, bis ihr Herr käme.

Dieser erschien denn auch in Bälde, umgeben von den Obersten seiner Leibwache, welche alle hatten ihr Leben lassen müssen, um dem König ein stattliches Geleite bis vor das Thor des Himmels zu bilden. Er selbst trug statt der Krone, die er seinem Nachfolger zurückgelassen hatte, einen glänzenden Heiligenschein auf dem Haupt, bei dessen Anblick sich Petrus tief verneigte, während sein Gefährte mit dem Ruf »Diebe! Diebe!« auf den König zustürzte und ihm den Schein vom Kopfe riß. Es entspann sich nun ein erbitterter Kampf, in den sich eben auch die Trabanten des Königs mischen wollten, als Petrus dazwischen trat und Ruhe gebot. Er nahm hierauf den Gegenstand des Streites, den unser Heiliger für sein ihm gestohlenes Eigentum erkennen wollte, an sich und gebot beiden, Ruhe zu halten, da sich die Sache bald entscheiden müsse. Er erklärte ihnen nun, daß 32 jeder ins Paradies einlaufende Heiligenschein einer Kommission von Sachverständigen vorgelegt werde, die zuvörderst seine Echtheit beglaubigen müsse, wonach dann erst die Annahme erfolge. Hierauf begab sich Petrus mit dem Schein in das Paradies, während die beiden Prätendenten klopfenden Herzens auf den Urteilsspruch warteten. Es dauerte nicht lange, so kam Petrus zurück und brachte die Nachricht, daß die hohe Heiligenscheinprüfungs-Kommission die Ansprüche beider abgelehnt habe, da der Schein (wie wir bereits wissen) überhaupt nicht echt gewesen und bei der Untersuchung bis auf den letzten Strahl zerschmolzen sei.

Der König zog grollend ab und begab sich vor das große Höllenportal, wo er übrigens gleichfalls abgewiesen wurde, da zurzeit kein seinem Rang gebührender Platz frei war. Dagegen wurde er im Fegefeuer, wohin ihm der arme Sünder vorangegangen war, standesgemäß untergebracht.

Was aber war inzwischen aus dem echten Heiligenschein geworden?

Der Goldschmied hatte sich nach manchem Irrsal auf seiner Flucht endlich nach Paris gewendet, wo er bald einer lustigen Gesellschaft in die Hände fiel, die sich und ihm mit seinem Geld gute Tage machte. Auch schöne Mädchen fanden sich ein, es wurde gezecht und jubiliert, und immer, wenn die Wogen der 33 Freude am höchsten gingen, holte er seinen Heiligenschein hervor und setzte ihn unter allgemeinem Beifallsgeschrei aufs Haupt. So geschmückt, durchtobte er die Nächte, und wenn er am feuchten, nebelgrauen Morgen den Heimweg suchte, so leuchtete ihm noch sein Heiligenschein nach Haus.

Aber lange konnte er es so nicht treiben, sein Geld ging zur Neige, ihn selbst ergriff eine schwere Krankheit. – Da lag er im Spital und begehrte dringend zu beichten. Ein frommer Pater willfahrte seinem Wunsch und nahm seine reumütigen Bekenntnisse entgegen, nicht nur über seinen schlechten bisher geführten Lebenswandel, sondern auch über die unrechtmäßige Erwerbung des Heiligenscheins. Über diese Missethat entsetzte sich der Pater sehr, wollte auch die Sünde nicht eher vergeben, als bis der Kranke sich bußfertig des gestohlenen Gegenstandes entäußert hätte, den er selbst in Verwahrung zu nehmen versprach. Dann empfahl er ihm noch strenge Verschwiegenheit und erteilte ihm endlich die Absolution. Was aus dem Goldschmied weiter auf Erden geworden, wissen wir nicht zu sagen, der Heiligenschein aber wanderte in die Hände des Geistlichen. Der Pater gebrauchte ihn, um sich als Beichtvater im Haus einer vornehmen Dame einzuführen, die von ihrem eifersüchtigen Gatten in strenger Aufsicht gehalten 34 wurde. Der Heiligenschein aber entwaffnete jeden Argwohn und brachte die Dame in den Ruf der größten Frömmigkeit. Später mußte ihr sogar der Pfaffe den Schein abtreten, und als die Dame nach Jahren im Geruch der Heiligkeit zu sterben kam, da schenkte sie ihn auf dem Totenbett ihrem letzten Verehrer, einem schönen, aber etwas leichtsinnigen Baron, zum Andenken. Dieser trug ihn öffentlich, und wenn er damit auf seinem feurigen englischen Rappen vor den Fenstern der Schönen paradierte, so liefen die Gassenjungen lärmend herbei und baten um seinen Segen.

Leider trieb der Baron großen Aufwand und hatte viele Schulden, die er nicht zu bezahlen gedachte. Seine Gläubiger aber dachten anders, und als er ihren gerechten Wünschen kein Gehör schenkte, da erschienen sie mit den Dienern des Gesetzes, seine Güter kamen unter den Hammer, und all sein Besitz, soweit er ihm nicht durch gesetzliche Bestimmungen gesichert war, fiel in die Hände der Wucherer. Ein Jude aber, der ein spekulativer Kopf war, erklärte gegen Abtretung des Heiligenscheins auf Bezahlung zu verzichten. Der Baron nahm sich den Verlust seiner Habe nicht weiter zu Herzen; lachenden Mundes sah er auch noch den Heiligenschein in die Hände des Sohnes Isaaks übergehen, er verschleuderte, was ihm noch geblieben war, und wurde bald darauf im 35 Duell erschossen. Der Jude aber gründete ein Bankgeschäft unter der Firma »Heiligenschein und Cie.«, dessen Kredit, auf einen solchen Namen gestützt, schnell ins Unabsehbare wuchs. Alle Spekulationen glückten, und in Bälde war der Ruf der Firma so fest gegründet, daß der Besitzer nicht mehr des Heiligenscheins bedurfte. Er nahm ihn daher vom Kopf und legte ihn beiseite, um ihn für etwaige kritische Fälle zu schonen. Daran that er auch sehr wohl; denn der Heiligenschein, der schon bei seinem letzten Besitzer stark angedunkelt, aber doch immer noch von einzelnen lichten Strahlen durchschossen war, hatte sich in den Händen des Juden in kurzem vollends so getrübt, daß er kaum mehr kenntlich war. Die Firma florierte also, der Bankier aber, der sich ein stattliches Bäuchlein angemästet hatte, zog sich eines Tages eine Indigestion zu, an deren Folgen er starb. Auf sein Geheiß mußten ihm die Seinigen den inzwischen ganz schwarz gewordenen Heiligenschein anlegen, und mit diesem versehen begab er sich geradeaus vor die Pforte des Paradieses.

»Gott meiner Väter!« rief Petrus, als er seiner ansichtig ward, und klatschte vor Freuden in die Hände. »Gott meiner Väter! wie hat sich unser Stamm so rein erhalten! Sei willkommen, Rose von Zion, und zeig' mir deinen Erlaubnisschein; denn du 36 weißt, daß ohne diesen keiner von unserem Geschlechte hereinkommt.«

Da wies der Jude stolz auf seinen Heiligenschein, und Petrus setzte seine Brille auf, mit deren Hilfe es ihm auch gelang, einen dunkeln Reif auf dem Kopf des Juden zu entdecken. Da er aber seit dem letzten Vorfall gegen Heiligenscheine mißtrauisch geworden war, sagte er:

»Ist er denn auch echt? Er sieht nicht aus, als ob er auf deinem Kopf gewachsen wäre.«

»Wie heißt echt?« schrie der Jude zornig. »Kostet er nicht zwanzigtausend Karlin? Hab' ich ihn nicht an Zahlungsstatt von dem jungen Baron genommen?«

Da nahm Petrus den Schein und trug ihn eigenhändig zur Prüfungs-Kommission. Als er zurückkam, sagte er:

»O Landsmann, deine Aktien stehen schlecht! Der Schein hat sich zwar als echt erwiesen, aber die Kommission erklärt, er sei nicht nur durch viele Sünden ganz geschwärzt, sondern überdies für deinen Kopf viel zu eng. Ich rate dir, dich ganz in der Stille davon zu machen und zu sehen, ob du anderwärts unterkommst.«

Das ließ sich der Jude nicht zweimal sagen, und noch ehe Petrus ausgesprochen hatte, war er schon verduftet.

37 Jetzt wurde aber unser Heiliger mit großer Eile vor Gottes Thron gerufen; denn die Heiligenscheinprüfungs-Kommission hatte inzwischen herausgebracht, auf wessen Kopf der fragliche Schein gewachsen sei, und hatte allerhöchsten Ortes einen Bericht darüber vorgelegt. Er kam, warf sich auf die Kniee und bekannte aufrichtig, auf welche Weise er um sein Besitztum gebracht worden sei. Da sprach der Herr mit ernstem Gesicht:

»Du hast unrecht gethan, mein Sohn, dich der Gabe zu entäußern, die ich dir verliehen. Mit diesem geschwärzten Schein kannst du hier oben nicht bleiben. So gehe hin und büße, bis dein Schein im Feuer der Läuterung seinen alten Glanz wieder erhalten hat.«

Da zog unser Heiliger betrübt von dannen, und nachdem er von Petrus Abschied genommen, begab er sich vor das Thor des Fegefeuers.

Nun ist aber das Fegefeuer keinesweges, wie Dante meinte, ein Berg mit stufenweisen Kreisen, sondern ein durchbrochener, unterirdisch geheizter Rost, durch dessen Öffnungen der Dampf zieht, und seine Wirkung ist der eines russischen Dampfbades ähnlich. Durch den starken Schweiß werden zuerst alle schlechten Elemente ausgeschieden, dann wird durch gesteigerte Heizung der Sünder, der zuerst ganz schwarz gewesen, allmählich zum Rot und schließlich zum Weißglühen 38 gebracht, was die letzte Stufe der Läuterung bedeutet.

Als sich die Pforte hinter unserm Heiligen geschlossen hatte und er in dem starken Dampf allmählich zu unterscheiden begann, da fand er inmitten einer großen Gesellschaft einen alten Bekannten, nämlich den armen Sünder, durch den er um seinen Heiligenschein gekommen war. Dieser begrüßte ihn hocherfreut und stellte ihn seinen Schicksalsgefährten vor; denn hier hatten sich alle, die an dem Handel mit dem Heiligenschein beteiligt waren, zusammengefunden: der Dieb, der König, der Goldschmied, der Pfaffe, die Dame, der Baron, der Bankier und jetzt der Heilige selbst. Sie waren alle ziemlich guten Humors, nur der Jude jammerte sehr, weil ihm bei seiner fetten Konstitution das viele Schwitzen sehr beschwerlich fiel. Auf etliche Millionen Jahre waren sie in Anbetracht ihrer Sünden alle gefaßt und suchten sich inzwischen die Zeit so gut wie möglich zu vertreiben. Die Dame machte sich gleich mit all ihrer Liebenswürdigkeit an den alten Heiligen, erhielt aber von ihm eine so strenge Bußpredigt, daß sie vor Schreck auf mehrere hundert Jahre verstummte. Diese Zeit benutzte der junge Baron, der sonst ganz von ihr in Anspruch genommen war, um sich ein wenig im Fegefeuer umzusehen. Es waren da zur Bedienung einige 39 allerliebste Teufelinnen in roten Röckchen, mit gelben Bernsteinketten um den Hals; diese gehörten nicht zu der schlimmen Sorte, waren vielmehr Mischblut, daher auch nicht ganz schwarz, sondern nur von bräunlicher Hautfarbe.

Auf eine von ihnen warf der Baron ein Auge, was von ihr gar nicht unfreundlich aufgenommen wurde, und aus Gefälligkeit oder vielleicht mit der Nebenabsicht, ihren Verehrer dadurch länger zurückzuhalten, schürte sie ihm sein Feuer so gelinde, daß er nur wenig von der Hitze empfand, während die andern schon aus allen Poren schwitzten. Der Heilige, dessen Schein schon nach wenigen Jahrhunderten so durchglüht war, daß er wieder zu leuchten begann, wunderte sich sehr, daß sein neuer Freund, der Baron, so schwarz blieb; er forschte der Sache nach und kam auch bald auf den Grund. Darüber ward die Dame sehr erbost und machte nun ihrerseits dem Kavalier die Hölle so heiß, daß auch er in starken Schweiß geriet und seine Läuterung Fortschritte zu machen begann.

Der Schein des Heiligen, der schon lange dunkelrot geworden, trat jetzt allmählich in das Stadium des Weißglühens über, und als das erste Jahrtausend verflossen war, erschien der Engel des Herrn, um den Geläuterten in die ewige Seligkeit abzuholen. Da sah sich der Heilige um, denn er gedachte von 40 seinen Gefährten einen gerührten Abschied zu nehmen; wie erstaunte er aber, als er an der Stelle seiner schwarzen Freunde sieben weißdurchglühte Lichtgestalten erblickte, die sich gegenseitig mit freudigem Erstaunen betrachteten. Sogar der fette Bauch des Juden und die rote Nase des Pfaffen, die sonst die dunkelsten Punkte gewesen, strahlten jetzt in weißlichem Licht. Da streckte der Engel die Hand nach ihnen aus und sagte:

»Gehet mit ein zur ewigen Herrlichkeit, denn dieser Gerechte hat für euch gebüßt.«

Bei diesen Worten sprangen die Thore des Fegefeuers auf, und sie wallten Arm in Arm mit einander hinüber in die Gefilde der Seligen, wobei ihnen der geläuterte Heiligenschein voranzog und alle mit seinen Strahlen übergoß.

Jeder fand nun im Himmel eine passende Unterkunft. Der Goldschmied trat der Heiligenscheinprüfungs-Kommission als Sachverständiger bei, der Baron ward Anstandslehrer in einer Erziehungsanstalt für junge Engel, der Jude setzte sich in Abrahams Schoß, die andern sangen im Chor und unser Heiliger erhielt seinen wohlverdienten Platz zur Rechten des Thrones. 41

 


 


 << zurück weiter >>