Isolde Kurz
Nächte von Fondi
Isolde Kurz

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Die fliehende Nymphe

Ninfa, ove fuggi? E perchè 'l dolce viso
Guasti col pianto? Vuolsi aver più cara
Tanta beltà per lo cui chiaro grido
Vengono amiche a te l'armate squadre
Che tu fuggi nemica. Il santo amore
A te l' ha porte con l'aurate penne – –

Muzio Justinopolitano a Monsignor Hippolito
Card. de' Medici: La Ninfa fuggitiva.

In Fondi war jene Stille eingetreten, die nach dem Abzug geliebter und geehrter Gäste zu herrschen pflegt, wo die gewohnten Beschäftigungen nicht munden und jedes Ding seine Würze verloren hat. Das selbstbewußte Wort des Kardinals: Wenn ich gehe, wer bleibt? mußte die Schloßherrin an sich erfahren. Denn er hatte eine Leere zurückgelassen, in der es kaum noch mitsprach, daß seinem plötzlichen Aufbruch schon in aller Frühe der Aufbruch Isabellas mit dem größten Teil des Hofgesindes gefolgt war. Und doch kündigte sich bei dieser Abreise die Auflösung einer langen Lebensgemeinschaft an. War schon durch den frühen Tod des Rodomonte das zärtliche Einvernehmen der beiden Schwägerinnen allmählich abgekühlt worden, so hatte Isabella in den letzten Wochen durch ihr Betragen unmißverständlich ausgedrückt, daß sie es müde war, in Fondi die zweite Rolle zu spielen. Julia konnte nichts dazu, sie trug ihre Schönheit wie ein König seine Krone, die ihm auferlegt ist zu tragen in guter und böser Zeit; der Vorzug, den sie genoß, war von ihr selber nicht beansprucht. Die andere aber, die ihr Leben noch genießen wollte, nahm jetzt die Gelegenheit wahr, einer unvorteilhaften Vergleichung zu entfliehen. Im letzten Augenblick hatte sich dann Donna Julia noch entschlossen, auch ihren Sekretär dem Reisezug mitzugeben, daß er in Paliano, ihrem römischen Lehen, ein Geschäft für sie besorge. So hätte sie sich gerne eingeredet, daß es die Abwesenheit so vieler lieber Hausgenossen sei, die ihrem Fondi auf einmal die Seele genommen habe. Aber da war etwas in ihrem Inneren, das sich nicht mehr betrügen lassen wollte. In allen Räumen schwebte noch, zart, aber unvertreiblich, ein feiner morgenländischer Duft, den Ippolito in Haaren und Kleidern zu tragen pflegte, er hing mit bedrängender Allgegenwart in Teppichen und Gobelins und jedem Gegenstande, den jener berührt hatte. Dieses schwebende, unfaßbare Etwas, das wie ein Auszug seines Wesens zurückgeblieben war, verursachte ihr eine körperliche Pein und zwang sie doch, es unersättlich einzuatmen. Sie suchte sich selbst und fand sich nicht, sie suchte ihren Gott und fand ihn nicht, die Religionsübungen, denen sie sich hingab, hatten keine erlösende Macht. Sogar um ihren Betstuhl hauchte der Duft, der sie am Irdischen festhielt; er war mit dem Miniaturenwerk ins Schlafgemach gekommen. Seit die gefährliche Gegenwart nicht mehr allen Widerstand in ihr aufrief, sprachen auch die inneren Stimmen viel lauter für ihn und erinnerten sie, was ihr Leben wäre, wenn es nicht mehr von dieser ritterlichen Liebe getragen würde. Wieviel Gutes hatte sie schon durch ihn getan, wie vielen geholfen. Wie manches Unheil wurde durch seine unbedingte Willigkeit, ihr zu dienen, abgewendet. Das bezeugte wieder einmal der Vorfall mit dem Garofalo und mehr noch der Anblick der sarazenischen Leibwache im Schloßhof, die zwar der mißtrauische Kastellan nicht mit günstigen Augen ansah, die sich aber viel ernster und gesitteter benahm als ihre eigenen lärmenden Untertanen.

Als sie auf der Treppe dem jungen Pagen begegnete, der die Leute aus Itri hergeführt hatte, blieb sie freundlich bei ihm stehen. Es war derselbe, der bei dem Waldfeste den Bacchus spielte, ein Sohn aus edlem Hause, schön und wohlerzogen. Wie er mit tiefer Ehrfurcht vor ihr stand, erinnerte er in der Anmut seiner Haltung an den Gebieter. Ohne ihm in den Zügen zu gleichen, hatte er Mienenspiel und Bewegungen von ihm angenommen, so daß man seiner nicht ansichtig werden konnte, ohne an jenen zu denken. Donna Julia fragte ihn, ob er Schach spiele. Ascan bejahte. Aber als er dem unbegreiflich schönen Gesichte am kleinen Schachtisch gegenübersaß und ihre Finger, die selber wie aus Elfenbein geschnitzt waren, die elfenbeinernen Figuren schoben, da wußte er den Läufer nicht mehr vom Springer zu unterscheiden und wagte vor Herzklopfen kaum den Blick zu erheben. Denn Donna Julia lächelte ihn viel holdseliger an als jemals seinen Herrn, da sie ihn seiner großen Jugend wegen für einen noch ganz unschuldigen Knaben hielt. Ascanio war gewitzt genug, um zu begreifen, daß dieses Lächeln eigentlich einem anderen galt, von dessen Wesen er den prägenden Stempel trug. Aber als ihm beim Niederstarren auf das Schachbrett eine schwere Haarlocke über die Augen fiel und Julia keinen Anstand nahm, sie ihm mit eigener Hand aus der Stirn zu streichen, mußte er sein Herz festhalten, um ihr nicht aufschluchzend zu Füßen zu stürzen.

Der Bischof, der ihr ein treuergebener Freund war, widmete der Einsamen täglich eine Stunde. Mit seiner feinen Seelenkenntnis ging er in schonendem Bogen um ihren inneren Zustand herum, indem er ihr auf seine Weise praktisch zu helfen suchte.

Der Schirokko brüte wie eine Pest in der Ebene, sagte er, und werde ohne Zweifel Fieberdünste aushecken. Wäre es da nicht gut, wenn Donna Julia sich rechtzeitig zu einem Ortswechsel entschlösse? Wer weise sei, sollte auch niemals allein auf einem verödeten Freudenplatze zurückbleiben. Nach den genossenen, unvergeßlich schönen Tagen werde es allen schwer werden, in den Alltag zurückzukehren. Für sie aber sei der Ausfall zu groß, da sie auch das Kind verloren habe, das seit seiner Geburt mehr ihr als der Mutter gehörte. Er habe vor kurzem einen Tag in kirchlichen Geschäften in ihrem schönen Vallecorsa verbracht, das sich nach dem Angesicht seiner Herrin sehne. Dort wäre sie in der reinen Gebirgsluft vor Fieberdünsten und Kriegslärm sicher, die Abwechslung, die eine große Freundin sei, würde ihr Gemüt angenehm zerstreuen, und die Sarazenenwache, deren man dort nicht bedürfe, könnte zu ihrem erlauchten Gebieter zurückkehren.

Donna Julia dankte ihm und versprach den Vorschlag zu erwägen. Das Colonnesische Lehen Vallecorsa, das nahe der Grenze auf römischem Boden lag, war ihr sonst der angenehmste Sitz während der Glut des Spätsommers. Jetzt aber graute ihr vor der noch tieferen Einsamkeit und der noch leereren Leere der großen Wälder. In Fondi hatte wenigstens noch jeder Gegenstand eine lebendige Seele; der Anblick des Pagen weckte die Vorstellung, als könnte der Herr noch jeden Augenblick hereintreten. Dort in dem Bergschloß war alles stumm und tot. Auch ihre Damen fanden ohne die Gesellschaft der Kavaliere wenig Reiz an einem Landaufenthalt. So trug man sich zwar mit dem Gedanken einer Übersiedlung, traf aber keine ernstlichen Anstalten zum Aufbruch.

Eines Abends führte der Bischof einen auf der Durchreise befindlichen vornehmen Kastilianer ein, der mit den feinsten Weltformen einen tiefglühenden religiösen Ernst und eindringende theologische Studien verband und der bestimmt war, unter der hohen neapolitanischen Gesellschaft als Reformator des Glaubens schon in einer nahen Zukunft zu wirken und Julias geistlicher Führer zu werden. Man sprach von den Übeln, die den Leib der Kirche zerrissen, und die Rede kam bald auf die lutherische Bewegung, die schon den ganzen Norden durchdrungen und statt zu einer Heilung des kranken Leibes zu seiner Zerreißung geführt habe. Beide Herren waren darüber einig, daß die Ursache der Abkehr in Rom selber, in der Ungeheuerlichkeit seiner Mißbräuche zu suchen sei, vor allem auch in dem von oben geduldeten barbarischen Aberglauben, der von den Kanzeln gepredigt werde.

Da wir von Aberglauben sprechen, sagte der Bischof, der gerne das Gespräch, wenn es sich auf die Schattenseite verlor, in den Sonnenschein des Weltbelächelns zurückführte, so möchte ich mit Madonnas Erlaubnis davon ein hübsches Stückchen aus meiner eigenen Jugend zum besten geben. Unter der Regierung des Herrn Ludovico Sforza brach in meiner Vaterstadt Mailand eine furchtbare Pest aus, die im Lauf weniger Monate zahllose Opfer forderte. Alle Bande der Ordnung rissen, der Hof verließ die Stadt und vermehrte dadurch die öffentliche Unsicherheit; die einen ergaben sich unsinnigen Ausschweifungen, um das bedrohte Leben noch auszukosten, die anderen, aus Furcht vor zeitlichem und ewigem Tode, lebten in stumpfer Verzweiflung vor sich hin. Da verkündigte ein Minoritenbruder von der Kanzel die tröstliche Botschaft, daß im Traume der heilige Franziskus zu ihm gekommen sei und ihm geboten habe, dem Volk von Mailand zu sagen, wer sich die Lenden mit einem Strick nach Art des seinigen umgürte, dessen werde er sich annehmen, daß er nach seinem Tode nimmermehr den Höllenflammen verfalle, sondern höchstens dem Fegefeuer und auch dem nur für kurze Zeit. Denn er, der Heilige, habe von Gott die Gnade erlangt, einmal im Jahr herabzusteigen und seinen Lendenstrick ins Fegefeuer niederhängen zu dürfen. Wer nun von den Seinen, der durch die Umgürtung kenntlich sei, sich an dem Strick festklammere, den werde er unfehlbar zu sich ins Himmelreich hinaufziehen. Soviel Arbeit hatten die Seiler von Mailand nie zuvor gehabt, wie nach dieser Predigt: die ganze Stadt umgürtete sich mit dem Strick. Ich war nicht klüger als die anderen und legte mir gleichfalls einen zu; doch muß ich zu meiner Entschuldigung sagen, daß ich fast noch ein Knabe war. Ich brauche nicht zu erwähnen, daß nun zwar die Gemüter nach einer Richtung beruhigt waren, daß aber andererseits die Ausschweifungen und Gewalttaten eher zu- als abnahmen, denn alle verließen sich für den Sterbefall auf ihren Strick. Nun lebte damals in Mailand ein Dominikanerprediger, ein strenggläubiger Mann und sehr gelehrter Theologe, dem die unsägliche Dummheit und barbarische Unwissenheit seiner Landsleute schwer zu schaffen machte. Lange besann er sich hin und her, wie er ihnen beikommen und sie von dem Glauben an die seligmachende Kraft des Lendenstricks befreien möchte. Da er ein großer Menschenkenner war und wohl wußte, daß man dem Irrwahn nicht mit der Vernunft beikommen, sondern den Teufel nur durch den Beelzebub, eine Erfindung mit einer anderen austreiben kann, sann er am Ende folgende List aus. Er ließ unter der Hand verbreiten, daß er am ersten Fastensonntag im Dome predigen und den Zuhörern eine Nachricht geben werde, die für jedermann, hoch oder niedrig, alt oder jung, von gleicher Wichtigkeit sei. Die Herrschaften hier kennen alle entweder aus eigener Anschauung oder aus der Beschreibung die Größe des Mailänder Doms; Sie wissen also, was es besagen will, daß das Riesenschiff jenes Tages bis in den letzten Winkel gefüllt war und daß die Leute sich noch außen vor der Domtür drängten.

Meine lieben Mailänder, begann der Dominikaner, ich habe euch eine Mitteilung zu machen, die ich lieber für mich behielte, weil ich weiß, daß sie euch vielen Kummer bereiten wird. Aber sie ist andererseits solcher Art, daß ihr sie nicht schnell genug erfahren könnt. Ihr erinnert euch des ehrwürdigen Franziskanerpredigers, der euch die frohe Botschaft brachte wegen des Lendenstricks; ihr alle habt euch ja sogleich mit dem Strick umgürtet. Ihr tatet wohl daran. Ich selber schickte zum Papst nach Rom um einen Dispens, damit auch ich, obwohl ich einer anderen Regel zugehöre, den Strick tragen dürfe. Aber denkt euch, was mir geschah. In einer der letzten Nächte erschien mir ein Engel, faßte mich bei der Hand und sprach: Komm. Er führte mich ins Freie, als plötzlich der Boden zu meinen Füßen unter heftiger, erdbebenähnlicher Erschütterung weit auseinanderklaffte und ich hinuntersah in den Ort der Pein. Der war durch das große Sterben der letzten Monate so angefüllt von armen Seelen, daß es schien, als ob gar keine weiteren Platz hätten, doch es kamen noch immer neue nach. Jetzt ging aber auch schon der Himmel auf und zwischen goldenen Wolken schwebte mit unsäglicher Glorie angetan der Seraphische Vater hernieder. Er löste seinen Gurt von den Lenden und ließ ihn lang hinunterhängen, damit er die, welche er in gleicher Weise umgürtet sähe, zu sich heraufzöge. Es war aber deren, die sich festklammerten, eine solche Unzahl, daß der heilige Franziskus zuletzt nicht mehr wußte, wie er sie halten sollte, er bog sich weit vor um mit aller Kraft zu ziehen, da kamen ihrer noch immer mehr und sie hätten ihn zu sich herabgerissen, was doch nicht anging, weil der verklärte Leib des Allerseligsten Vaters den Ort der Buße nicht betreten darf. So blieb ihm nichts übrig, als den Strick mit allem, was daran hing, loszulassen. Der fiel ins Feuer, wo er hochauf flammte und alsbald in Nichts verging. Also, meine Lieben, fuhr der Prediger fort, könnt ihr euch in Zukunft nicht mehr auf den Strick verlassen, sondern nur darauf, daß ihr nach Gottes Geboten lebt und einen Wandel führt, wie es frommen katholischen Christen zukommt. – An diese Worte knüpfte er noch eine feurige Bußpredigt, mit deren Inhalt ich die Gesellschaft verschonen will, weil ein jedes ihn sich selber denken kann. Jenes Tages wurden vor der Domtür nicht weniger als fünftausend weggeworfene Stricke gezählt – der meinige lag auch darunter –, gar nicht zu reden von den unzählbaren anderen, die noch nachträglich in allen Straßen aufgelesen wurden.

Die Damen lachten herzlich zu der Erzählung, die der Bischof mit dem ihm eigenen feinen Lächeln vorgetragen hatte. Nur der Kastilianer blieb ernsthaft. Er gehörte zu den Menschen, die niemals lachen, weil sie ganz von Einer Vorstellung beherrscht sind.

Ich muß mich fragen, sagte er, ob nicht von besagtem Wunderstrick eine gerade Linie herüberführt zu jenem anderen, den ein gewisser deutscher Landsknechtsführer auf dem Zuge nach Rom bei sich trug, um, wie er sagte, Papst und Klerisei daran zu hängen. Und vielleicht befindet sich auf der Mitte der Linie der Strick Eures Dominikaners, der, statt das unselige Volk aus dem Abgrund des Aberglaubens herauszuziehen, es, wennschon mit guter Absicht, noch tiefer hinunterstieß.

Der Bischof zuckte die Achseln und wendete das Gespräch, denn es ist für den, der sich gewöhnt hat, aus der Höhe einer stillen, wohlwollenden Weltverachtung auf den menschlichen Unverstand hinabzulächeln, immer unbehaglich, wenn er sich zu sittlicher Empörung über diese ihm längst bekannte Erscheinung aufgefordert sieht. Er war eine von den ausgleichenden Naturen, die mit den Weltkindern weltlich und mit den geistlich Gerichteten in mäßigem Grade geistlich sind, dabei aber fest auf eigenen Füßen stehen. Für seine Person hielt er sich an Seneka, der half ihm durch Wirrnisse und Schrecken seiner Zeit. Für ein suchendes Frauengemüt aber war seine Welt nicht reich und schenkend genug. Darum fand Donna Julia bei seiner Philosophie, die nur auf Umgehung der Übel gerichtet war, weder Anlehnung noch Erhebung, deren sie bedurfte, und noch viel weniger einen Ersatz für das Versagte. Der Fremde, das fühlte sie, hatte ihr mehr zu geben, und er seinerseits war von der sanften, hoheitsvollen Trauer ihres Wesens bei so glänzender Jugend völlig hingerissen.

Diese Frau, äußerte er auf dem Heimweg gegen den Bischof, verdiente die Königin des Erdkreises zu sein, denn ihre innere Schönheit übertreffe noch die äußere.

Aber ihr war die dunkle Glut seines Eifers fremd. Seine Gedanken fielen in ihr Herz wie Samen, der zunächst liegen bleibt und erst zu keimen beginnt, wenn die Herbstregen das Erdreich durchweicht und gelockert haben.

*

Weiche, mondlose Nacht über Ebene und Meer. Undurchdringliche Dunkelheit am Gestade. Nur die Schirokkowelle gab im Umschlagen ihren Phosphorschein, und im weiten Bogen der Küste blitzten die Lichter der einsamen Warttürme. Da kam es schnell mit lautlosen Rudern und mit abgeblendeten Lichtern von Süden her. Und bevor nur ein menschliches Auge die Umrisse der Barbareskenschiffe erkannt hatte, fuhren sie schon an dem bequemen Strande von Sperlonga an und entließen eine Horde von Teufeln. Unter betäubendem Gebrüll, das den Schrecken vermehren sollte, machten sie die kleine Hafenbesatzung nieder und fielen mit Mord und Brand über das auf einem Felsenvorsprung gelagerte, nur schwach befestigte Sperlonga her; beim roten Schein der Feuersbrunst plünderten und schändeten sie, was ihnen in die Hände fiel, und schleppten die unglückseligen, im ersten Schlafe überraschten Einwohner gebunden nach ihren Schiffen. Auf diesen sind jetzt plötzlich Lichter aufgeflackert, die die grellbunten Segel und die Standarten mit dem Halbmond erkennen lassen und die schaurige Szene erhellen. Am Strande steht der Barbarossa selbst mit dem wilden Flammenbart, von dem er den Namen hat. Er wettert und flucht und haut mit dem Säbel unter die Brandstifter, denn das Feuerzeichen, das die losgelassene Rotte aufgesteckt hat, war nicht in seiner Absicht. Er hat außer dem Raubzug an der italischen Küste, der den Angriff auf Tunis maskieren muß, noch einen zarten Auftrag mitbekommen, der in Stille und Dunkelheit ausgeführt sein will. Der Khapudan Pascha hat versprochen, die schönste Frau der Erde in Solimans Harem zu liefern: mit Julia Gonzaga soll der neue Vasall die Gnade seines Gebieters bezahlen. Auf dem Admiralsschiff wartet ihrer schon eine bequeme Koje, denn die Sultansbraut soll mit Auszeichnung behandelt und nicht mit gemeinem Christenvieh zusammengepfercht werden. Der Barbarudsch weiß, was sich schickt. Trotz seinem piratenmäßigen Äußeren kann er, wo es ihm paßt, einer der verbindlichsten Menschen sein. Die künftige Favoritin seines Herrn soll sich nicht über ihn zu beklagen haben. Er wäre ja mit seinen sechsundsechzig Jahren selber auch kein Kostverächter, aber die Erkorene seines Herrn will er wie ein Heiligtum behüten. Vielleicht wird sie es sein, die dem alten Osmanenreich den Erben schenkt, da empfiehlt es sich, ihr von vornherein mit aller Zartheit zu begegnen. Der alte Korsarenfürst dachte an die Herrin von Fondi mit dem Wohlwollen eines Pferdezüchters für eine edle Stute. Dazu kam noch der besondere Spaß, dem Neffen des Papstes die schöne Beute wegzukapern, ein Streich, vor dem ihm sein altes Piratenherz im Leibe lacht. Denn der Klatsch der Höfe dringt überall hin, auch in Konstantinopel weiß man von der unglücklichen Leidenschaft des Kardinals Medici zu Julia Gonzaga. Die Bilder, die dieser von ihr anfertigen ließ, hat der türkische Gesandte seinem Herrn mit solchen Worten geschildert, daß der Sultan darüber den Schlaf verlor; der feine Frauenkenner Soliman hat geschworen, daß er gerne seinen ganzen Harem hergäbe für diese Eine. Wenn ein Sultan den Schlaf verliert, hat sein Vasall die Pflicht, ihn ihm wieder zu schaffen. Khair-Eddin sah die Zeit voraus, wo die Entführte ihm danken würde, daß er der läppischen Witwenschaft ein Ende gemacht hatte, denn Soliman war ein stattlicher und ritterlicher Herr, der es an persönlichen Vorzügen mit jedem Christenfürsten aufnehmen konnte. So schickte er sich an, mit Mauerbrechern, Sturmleitern und Handgranaten für seinen Herrn zu werben. Seltsame Maschinen und Gerüste auf Rollen wurden ausgeladen; alle Neuerungen der Ingenieurskunst waren in des Barbaren Besitz, der ja selber auf diesem Gebiete zu den ersten Erfindern der Zeit gehörte. Er wußte auch in den Mauern von Fondi Bescheid; längst hatte ein christlicher Renegat ihm alles Wissenswerte mitgeteilt. Er wollte nur den Neumond abwarten, um ungesehen heranzukommen. Aber die mondlose Schirokkonacht, der ein kurzer Regenguß vorangegangen, war ihm ebenso lieb. Und da hatte ihm nun das viehische Schiffsvolk den roten Schein angezündet, der leicht alles verderben konnte!

Zwei christliche Rudersklaven, denen man die Ketten abgenommen hatte, wurden mit ausgeschifft. Es waren Eingeborene dieser Küste; der Barbarossa hatte ihnen die Freiheit und eine Belohnung versprochen, wenn sie ihn unentdeckt vor die Mauern von Fondi führten. Die Gefangenen ließen sich nicht zweimal bitten, sie brachten den Piratentrupp mit dem Piratenkönig an der Spitze durch die Strandwaldung, die noch von Römerzeiten her der Salto heißt, in drei Stunden vor das östliche Stadttor. In Fondi blieb bei ihrer Annäherung alles dunkel und stille.

Warum steigt denn der Bergfried so himmelhoch über die anderen Türme empor, wie um den Arkturus zu küssen, wenn er seine junge Herrin nicht schützen kann? Schon von seinem ersten Umgang müßte man den Brand von Sperlonga, der den südlichen Himmel rötet, sehen. Der Turmwart wohnt aber zwischen den höchsten Zinnen, wo die Aussicht unbegrenzt ist, kein Falk im ganzen Umkreis horstet höher. Dieser Dienst, der vor allem scharfe Augen und ein waches Hirn erfordert, ist vor kurzem an den flinken Tommaso, den Sohn des Kammerdieners, übergegangen. An den Augen des jungen Menschen hängt jetzt Julias Geschick. Aber diese Augen sind geschlossen, Tommaso schlummert friedlich in den Armen der Sanzia. Er hat versprochen das Mädchen zu heiraten, und seit Wochen hat er einen Weg durch die Lüfte eingerichtet, der den pflichtvergessenen Wächter nächtlich aus einer Luke des Turmes vor des Mädchens Fenster führt. Zu Vespasianos Zeit wäre das dem Verwegensten nicht in den Sinn gekommen, aber Frauenhände halten die Zügel der Regierung lose. Nur ein Gast des Schlosses, der junge Ascanio, hatte das Geheimnis entdeckt. Er war bei den häufigen Besuchen seines Herrn schon seit längerer Zeit um das hübsche Mädchen gestrichen, in dessen Augen er Gewährung zu lesen glaubte. Und eines Nachts, als es besonders spät geworden war, hatte der hübsche Edelknecht sich in ihr Zimmer geschmuggelt, war auch von ihr weidlich abgeküßt worden, da kratzte es plötzlich draußen vor dem Fenster, das in schwindelnder Höhe über dem Graben lag, und er wurde schnell von der Erschrockenen aus der Tür gestoßen. Des anderen Tages hatte sie dann mit neuen Küssen seine Verschwiegenheit erkauft und ihn vertröstet: übers Jahr werde er ja wieder nach Fondi kommen, wohin sein Herr den Weg so gut kenne; wenn sie bis dahin verheiratet und dem jungen Herrn ein Bart gewachsen sei, so wolle sie alsdann nicht mehr spröde sein. Der Knabe hatte aus Leichtsinn geschwiegen und damit, ohne es zu bedenken, Julias Sicherheit preisgegeben.

Mit einem Male erhob sich in der Stadt ein mörderliches Geschrei, ein Rennen und Toben mit Geheul der Sturmglocken. Eine Anzahl Sarazenen war leise mit Scherenleitern auf die Mauer geklommen, die Besatzung war erwacht und hatte die Eingedrungenen teils wieder hinabgeworfen, teils vollends hereingezogen und getötet. Da dieser Streich mißlang, wurde das östliche Tor mit einem Widder von neuster Erfindung berannt, dessen Stöße das ganze Stadtviertel weckten. Die Einwohner eilten zu den Waffen, Brandpfeile flogen von außen in die Stadt, Solimans flammende Liebesboten. Seit den Tagen, wo vor Troja um die spartanische Helena gekämpft wurde, hat man solche feurige Werbung nicht mehr gesehen. Gebt Julia Gonzaga heraus! heischen die Brandgeschosse. Nein! donnert die große Kartaune vom Ostturm. Aber sie donnert es nur ein einziges Mal, denn gleich darauf ist sie von den eingedrungenen Ungläubigen stumm gemacht. Und nun beginnt das Gemetzel in den Straßen, die zum Schlosse führen. Die Wache am äußeren Palasttor wird überwältigt, das Tor genommen, wie ein Strom ergießt sich die Feindesgewalt in den inneren Hof, darunter der Barbarossa selbst mit den tapfersten seiner Leute. Diesen sind die strengsten Verhaltungsmaßregeln eingeschärft. Wer die Herrin von Fondi nur mit seinem Blicke berührt, ist des Todes. Der Begler-Beg wird sie in Person gefangen nehmen, und wehe dem, der nicht die Stirne tief senkt, wenn die Braut des Königs der Könige vorüberkommt.

In seinem levantinischen Sprachgemisch aus fränkisch, spanisch und griechisch, das an der ganzen Küste des Mittelmeeres verstanden wird, redet er die Besatzung an: Kein Tropfen Blut soll fließen, gebt nur die Herrin heraus. Wir wollen auch ihr kein Leides tun, wir schwören beim Propheten, daß sie mit aller Achtung behandelt werden soll und daß sie den höchsten Ehren entgegengeht.

Die tapferen Türken des Kardinals sind die ersten, die sich widersetzen und die letzten, die standhalten. Sarazenen fechten wider Sarazenen, die kleiner werdende Schar wird kämpfend gegen die Palasttreppe gedrängt, wo sie alle stufenaufwärts hintereinander fallen, und über ihre Leiber geht es die große Treppe hinauf.

Julia schlief in dem sogenannten Neuen Schloß, das aber auch schon alt war und mit einem Flügel an den Hauptturm stieß. Ihr Schlafgemach lag auf der von der Stadt abgekehrten Südseite, wo die Außenmauer des Schlosses die mächtig erhöhte und unzugängliche Fortsetzung der niedrigeren Stadtmauer bildete. Der Blick ging über den Graben weg auf die weite, nächtliche Ebene hinaus. So drang das hundertfache Klirren und Dröhnen der kämpfenden Stadt nur wie ein unverständliches und gleichmäßiges Geräusch herüber, und der Schein der Feuerkugeln, die noch immer vom Osttor in die Straßen flogen, war von hier nicht sichtbar. Nur der Donnerschlag der Kartaune hatte sie geweckt. Allein sie hielt ihn für eine Fortsetzung des abendlichen Gewitters und schlief gleich weiter. Doch es war wie ein seltsames Leben um sie her. Aus dem Miniaturenbuch, das neben dem Bette lag, durchzog der wohlbekannte Duft den Raum und rief das immer nahe Bild des Gebers herbei. Sie meinte wieder seine Stimme zu hören, wie er zuletzt aus der Äneis las. Und mit der Schnelligkeit der Traumverwandlung fand sie sich selbst in der zerstörten Burg von Troja und hörte außen den wilden Pyrrhus toben. Da wurde sie von einer derben Hand gefaßt und geschüttelt.

Die Augen wild aufreißend, sah sie beim matten Schein der verschleierten Nachtlampe den Tommaso in der unzulänglichsten Bekleidung vor sich. Sie selber lag nur mit einem dünnen Flor bekleidet in den Linnen.

Fort, fort! flüsterte er, das Schloß ist gestürmt, die Piraten sind da.

Draußen tobte es schon die Treppe herauf und durch den langen Korridor heran, der sich glücklicherweise in verschiedene Seitengänge spaltete. Bevor der Strom sich in den ihrigen ergoß, war Julia auf den Füßen und warf das erste Gewandstück um, das ihr in die Hände kam. Da hatte Tommaso sie schon in die Fensternische gerissen, hatte das Fenster, das weit offen stand, überklettert und war draußen in der gähnenden Finsternis verschwunden. Aber nur für einen Augenblick. Dann tauchte sein Kopf wieder auf und er flüsterte: Mir nach!

Julia hatte begriffen. Unterhalb der langen Fensterreihe liefen über die ganze Südstirn des Palastes die steinernen Konsolen hin, die in alten Zeiten zum Herausschieben von Verteidigungswerken dienten. Sie wagte es sich gleichfalls hinabzulassen, von Tommasos Hand gestützt, der jetzt die nicht unbeträchtliche Entfernung zur nächsten Konsole abmaß und sie nachzog. Mit der angepreßten Rechten am Mauerwerk hinrutschend, an der Linken von ihm gezogen, folgte sie nach, während oben die verschlossene Tür des Schlafzimmers von der gewaltigen Hand Khair-Eddins gesprengt ward und gleich darauf die Flüche des enttäuschten Piraten losdonnerten. Zugleich erhob sich über ihren Köpfen ein Krachen, Schmettern und Rennen, als sollte der ganze Palast zusammenstürzen.

Sie suchen Euer Gnaden, flüsterte Tommaso leise wie ein Hauch.

Weiter geht es von Konsole zu Konsole, immer das Gesicht gegen die Mauer gekehrt. Niemals wird Julia in ihrem späteren Leben mehr begreifen können, wie sie den furchtbaren Weg gemacht hat. Bei Tage hätte der Schwindel sie unzweifelhaft in die gähnende Tiefe hinabgeschmettert. Aber die Nacht umgab sie beruhigend und die Furcht vor den Verfolgern feite sie gegen jede andere. Endlich waren sie am Ende der Mauer, wo der gewaltige Hauptturm über das Neue Schloß vorsprang und die Dunkelheit noch tiefer war. Da gab ihr Tommaso vorsichtig eine halbe Drehung und hieß sie einen Augenblick unbeweglich stehen. Er löste seine Hand aus der ihrigen und nun geschah etwas Sonderbares, das aber von ihr in dieser Erregung nicht deutlich wahrgenommen wurde: er schoß durch die Luft schnell wie ein Vogel nach einer Luke des Turmes hinüber, schob für den Bruchteil einer Sekunde eine schwachbrennende Ampel gegen den Rand der Luke vor, die ein schmales, hinübergelegtes Brett erkennen ließ, streckte ihr wieder die Hand entgegen und riß sie blitzschnell in den Turm. Dabei streifte ein leise schwirrendes Ding ihre Wange wie ein Fittich. Sie trat auf kaltfeuchten Stein, taumelte eine Stufe hinunter, modrige Kellerluft umgab sie, zugleich stieß Tommaso die Lampe um und sie waren in undurchdringlicher Finsternis. Aber der Turmwart kannte seinen Turm, er faßte sie wieder bei der Hand, und nun ging es enge, steile Treppen hinunter, die ihr endlos schienen, denn nach jedem Absatz, der immer mit einer Luke in Verbindung stand, kam eine neue Treppe, bis sie endlich das letzte Stockwerk erreicht hatten, das über dem alleruntersten, dem seit lange unbenützten Burgverließ, lag. Sie stieß gegen Haufen von Steinkugeln, die noch von alter Zeit her aufgeschichtet waren. Julia hatte nie zuvor diesen Turm betreten und alles war ihr fremd und unbegreiflich. Tommaso schob schwere Eisenriegel zurück und öffnete eine Tür, die wohl vierzig Fuß hoch über dem Erdboden angebracht war. Während er nach der in der Ecke stehenden Leiter tastete, erkannte Julia in dem hereinfallenden schwachen Dämmerschein, daß sie zu dreien waren. Die Zofe hatte sich ebenfalls gerettet; wie das zuging, sollte Julia niemals erfahren, und sie war auch viel zu erregt, um danach zu fragen. Die Leiter wurde hinausgeschwungen, schnell ging es hintereinander die Sprossen hinab. Unten standen sie auf gewachsenem Fels und traten in Schlammpfützen, die der Gewitterregen zurückgelassen hatte. Die Felsplatte umgab eine gezackte Mauer von mäßiger Höhe, woran sich der Wehrgang schloß, und außerhalb fiel der Felsen steil und unzugänglich gegen den Graben ab. Auf der Innenseite aber lehnte sich ein niedriges Dach gegen den flacher absinkenden Felshügel. Es gehörte zu dem Kapellchen, das auf dem ehemaligen, jetzt in die Außenwerke einbezogenen Klosterfriedhof stand. Hier war es noch stille. Im Schutz der Dunkelheit huschten sie unter den offenen Arkaden an alten Grabplatten vorüber nach dem Törchen, das ins Freie führte. Der Podestà verwahrte als Julias Vertrauensmann die Schlüssel zu allen Stadttoren, also auch zu diesem. Wie aber durch die vom Feinde durchtobte Stadt bis zum Podestà gelangen – wenn dieser überhaupt noch am Leben war – und den Schlüssel holen? Doch als die Dreie das sehr schwer gebohlte, mit Eisen verwahrte Tor erreichten, war der mächtige Eisenriegel schon aufgezogen und die Pforte offen. Mit einem Schritt sind sie im Freien und fliehen atemlos durch Wiesen und Felder, eine Marter für Julias nackte Füße, die nur durch die noch nicht ganz verschluckte Feuchtigkeit des Bodens ein klein wenig gemildert wird.

Aber Julia würde über Schwerter laufen, um rascher vorwärts zu kommen. Seit sie von den Einbrechern ihren Namen rufen hörte, hat sie begriffen, daß ihre Person der Zweck des Überfalls war und wahnsinniges Entsetzen hat sie erfaßt. Die unselige Schönheit, der Fluch ihres Lebens! O in diesem Augenblick alt und häßlich sein, daß kein Mann sie mehr ansieht oder daß er die Enttäuschung ihres Anblicks mit einem Schwerthieb bescheinigt. Hat sie sich darum so standhaft dem geliebtesten Freunde versagt, um den viehischen Begierden einer entmenschten Barbarenhorde zur Beute zu fallen? In der Bodenfurche, wo sie zuerst Atem schöpften, fiel sie mit den Nägeln über ihre Wangen her, um sich durch Blut und Wunden unkenntlich zu machen, aber die beiden hielten flehend ihre Hände fest, bis sie versprach, sich ferner kein Leides zu tun.

Dann schlich sich Tommaso in die noch stille Vorstadt, wo die Plünderer erst einzeln am Werke waren, während die Einwohner sich flüchtend über die Felder zerstreuten. Er stieg in einem Stalle ein und zog einen starken Lastgaul am Halfter heraus; von einem Seil, woran frischgewaschene Frauenkleider flatterten, riß er eine Handvoll herunter, um damit die Blößen seiner Herrin zu decken, dann setzte er ohne Zeitverlust die beiden Frauen aufs Pferd, stieg selber auf, und das kräftige Tier trug die dreifache Bürde in einem Trab, der den Fliehenden alle Eingeweide durchrüttelte, dem Waldgebirge zu, das im Norden die Ebene von Fondi überhöht.

*

Als der Korsarenfürst die Treppe heraufgestürzt kam, die feindlichen Glaubensgenossen mit seinen herkulischen Streichen eigenhändig niedermähend, lief ihm zuerst ein schlaftrunkener Kammerdiener, den der Lärm geweckt hatte, in den Weg. Diesen packte er und versprach ihm Schutz des Lebens, wenn er ihn unverzüglich vor die rechte Tür führe. Der Mann gehorchte, aber ehe sie Julias Gemach erreichten, warf oder rollte sich vielmehr eine sonderbare Gestalt, die nichts als ein Riesenbuckel war, in ihren Weg. Es war der unglückliche, verachtete Zwerg und Spaßmacher Margutte, der einzige von dem ganzen Hofstaate, der seine Herrin verteidigen wollte. Mit einem Messer, das er aufgerafft hatte, kollerte er zwischen die Beine des neuen Goliath, daß dieser das Gleichgewicht verlor und mit dem Kopf gegen die Türe schlug. Bis der Barbarossa sich aufrichtete, hatten seine Begleiter schon die Freveltat gerächt. Jedoch der winzige Zeitverlust, den die Selbstaufopferung des Krüppels ihn kostete, wurde Julias Rettung. Beim Eindringen fand er das Bett leer, aber die Tücher noch warm, und suchte zuerst im Zimmer nebenan, das gleichfalls eben erst verlassen schien. Da jedes der beiden Gemächer nur eine Tür auf den Korridor besaß, die von innen verriegelt gewesen, glaubte er sie im Zimmer versteckt und erbrach die Schränke, klopfte die Wände nach einem Hohlraum ab, während die Gesuchte Zeit hatte, in gräßlicher Angst unterhalb der von seinen Fackeln erhellten Fenster hinzuhuschen. An eine Flucht durchs Fenster dachte er bei aller Barbarenschlauheit nicht, da er beim Anmarsch die schwindelnde Höhe gesehen hatte im schwachen Schein, der von der nächtlichen Ampel auf die Felder fiel. Ein in der Richtung der Fensternische umgeworfener Stuhl zog ihn aber doch nach dieser Seite. Die Nische war aus der ungeheuren Dicke der Mauer ausgespart und bildete ein kleines, lauschiges Gemach, dem rechts und links eine mit kostbaren Polstern überspannte Truhe als Sitzplatz diente. Er riß die Truhen auf, ob nicht die Herrin von Fondi unter den Kleidern versteckt sei, und spießte an seinem langen Dolch Julias feine Wäsche heraus, die er durchs Zimmer streute. Da er die ganze Durchsuchung eigenhändig vornahm und seine Satelliten nur mit niedergeschlagenen Augen die Ausgänge besetzen durften, vergingen darüber einige Minuten; bevor es ihm einfiel, den Kopf durchs Fenster zu stecken, zu dem zwei Stufen hinaufführten, waren die huschenden Fledermäuse verschwunden und das Lämpchen am Turm, das sie hätte verraten können, ausgelöscht. Julias Verschwinden war dem Barbarossa so unbegreiflich, daß er noch den Fußboden aufreißen ließ, um sich zu überzeugen, daß hier nirgends eine Versenkung war, die durch einen unterirdischen Kanal ins Freie führte. Auch die Kellerräume wurden durchsucht, sowie Ställe und Wirtschaftsgebäude, aus denen man noch viele von den versteckten Insassen zitternd vorzog, wie sie aus dem Bett gesprungen waren, nur die Gesuchte nicht. Und doch, da das Bette noch warm war, da sie keine Flügel hatte, mußte sie irgendwo in einem geheimen Versteck des Schlosses verborgen sein und das Gesinde mußte dieses Versteck kennen. Er trieb Hofstaat und Dienerschaft zusammen, versprach und drohte, marterte sogar, aber er konnte nichts erfahren, weil niemand etwas wußte.

Bisher hatte er seine rohe Natur beherrscht, den Palast und seine Bewohner nach Möglichkeit geschont, um es mit derjenigen, in der er die künftige Herrin seines Herrn scheute, nicht zu verderben. Da sie ihm entgangen war, sprang seine Wut wie ein Tiger auf. Er wählte aus den zusammengetriebenen Personen und den hergeschleppten Schätzen die beste Beute aus, den Rest überließ er dem entmenschten Schiffspöbel, der nach Stillung seiner barbarischen Gelüste das Kastell an allen Ecken anzündete. Khair-Eddin warf selbst die erste Fackel hinein, weil er immer noch hoffte, die Verfolgte aus ihrem vermeintlichen Versteck herauszutreiben. Als diese Hoffnung zu Schanden geworden und im Schlosse nichts weiter zu zerstören war, denn den festen Mauern konnte er keine Gewalt antun, zog er sich auf die Piazza zurück und gab das unglückselige Fondi der Plünderung preis.

Auf dem freien Platz wurde ein Lagerfeuer angezündet, bei dem er sich mit seinem Stabe niederließ. Der aufgrauende Morgen zeigte ein schauriges Bild. Die blanken Säbel der Korsaren und ihre wilden Gesichter, das ärgste das des Begler-Beg selbst in seiner Paschatracht, den Gürtel voll von Pistolen und Dolchen, mit den tückischen, jetzt rotunterlaufenen Augen, der Hakennase und der scheußlich vorspringenden, formlosen Unterlippe, die ihm ein ganz dämonisches Aussehen gab. Um ihn her seine Vertrauten, vor deren bloßen Namen das Mittelmeer zittert wie vor dem seinigen: Hassan Aga, der Schiffsleutnant und sardische Eunuch, Haidin von Smyrna, der Geschwaderführer, den sie seiner Wildheit wegen »Jag den Teufel« nannten, Sinam Tschefut, der Jude, des Begler-Begs Generalstabschef und seine rechte Hand, sowie die Adjutanten Tambok, Salek und Mami-Rays, nebst ihren jungen Söhnen, der Löwenbrut, wie er sie nannte, aus der er sich die künftigen Löwen heranzog.

In Haufen durcheinandergeworfen liegt die tote Beute vor ihm: alles, was Schloß und Kirchen und reiche Privathäuser hergaben an goldenen und silbernen Leuchtern und Bechern, an Meßkelchen und Altardecken wie an weiblichen Prachtgewändern; Schmuck und gemünztes Gold in Schalen gesondert am Boden neben Lachen noch unvertrockneten Blutes. Nun aber die lebende Beute: auf der einen Seite die jungen männlichen Einwohner, soweit sie nicht in der Gegenwehr niedergehauen wurden, eng zusammengedrängt, mit gefesselten Händen und je zwei und zwei aneinandergebunden, um jeden Fluchtversuch unmöglich zu machen, schätzbare Ausfuhr für die levantinischen Märkte. Der Barbarossa hat sie selber ausgesucht, die Festigkeit ihrer Muskeln befühlend: was der Überfahrt nicht lohnte, mußte gleich über die Klinge springen. Auf der anderen Seite die ganze weibliche Jugend, Mädchen und Frauen, auch welche von Julias Ehrendamen unter ihnen, und die Kinder beiderlei Geschlechts, alle die unglückseligen Geschöpfe mit auf den Rücken gebundenen Händen, zur Abfahrt bereitgestellt. Auch diese haben des Paschas höchsteigene Prüfung über sich ergehen lassen müssen. Er schmunzelte zu dem Fang, denn die Bevölkerung dieser Küste, Abkommen der einstigen griechischen Ansiedler, ist durch Schönheit ausgezeichnet. Und wenn Khair-Eddin lächelt, so geht in dem Gesichte des Unmenschen etwas ganz Seltsames vor, das niemand bei diesen abschreckenden Zügen für möglich halten sollte: sein Lächeln ist bezaubernd und von wahrhaft gewinnender Freundlichkeit. Dieses Lächeln, das eine Berühmtheit hat, erhöht noch den Schrecken, der von ihm ausgeht, denn es heißt, daß es ihm von den höllischen Mächten verliehen sei, um seine Opfer wehrlos zu machen. Auch stattliches Hornvieh und Pferde vermehren seinen Raub, darunter die von dem Kardinal zurückgelassenen, eine erlesene Zucht, die durch ganz Europa berühmt war. In einer anderen Ecke des Platzes standen, von der spanischen Leibwache des Paschas umringt, die Vornehmsten von Fondi, zitternde Graubärte, ihres Schicksals harrend. Der Bischof und der Podestà fehlten. Nach ihnen hat man vergebens alle Keller der Stadt durchsucht. Sie sind ebenso wie die Herrin von Fondi entkommen. Aus dem Kastell, aus Kirchen und städtischen Palästen steigen Rauchwolken. Die engen Straßen sind vielfach von Leichen gesperrt. Alle Stadttore, ebenso die Bastionen, Türme, Mauern, soweit deren hölzerne Wehrgänge nicht brennen, halten die Truppen des Piratenkönigs besetzt, der Rest lagert außerhalb der Stadt: Albanesen, Griechen, Südslawen, nur wenige echte Türken darunter, Abschaum der Länder oder ihre Auslese, wie man es nennen will, denn sie übertreffen an wilder Tapferkeit und Kriegszucht alle Söldnerheere des Abendlandes. Noch einmal wurden alle Schlupfwinkel innerhalb der Mauern durchstöbert und selbst die Grüfte durchwühlt. Das Schloß konnte man in der Frühe nicht mehr betreten, es war eine glostende Rauchmasse.

Sobald der Morgen graute, nahm der Barbarossa die Verfolgung Julias von neuem auf. Er ließ die ganze Gegend von Piratentrupps durchstreifen, jeder von einem seiner zuverlässigsten Offiziere geführt, der jedoch nur den Auftrag hatte, das Wild zu stellen, nicht es selber festzunehmen, welche Ehre einzig dem Generalissimus aufgespart bleiben sollte. Bei dieser Gelegenheit wurden auch die beiden Vorstädte, die noch wenig gelitten hatten, sowie alle außerhalb der Stadt liegenden Kirchen, Villen und Gehöfte verheert und ausgebrannt. Man fand noch alles Mögliche an Kostbarkeiten, aber keine Julia. Bis nach dem hochgelegenen Itri flutete eine Sturmwelle hinauf, brach sich aber an dem starkbefestigten Städtchen und mußte unverrichteter Sache wieder abziehen.

Gefangene Einwohner hatten, um sich selbst zu retten, die Anzeige gemacht, die Gräfin werde sich in dem Benediktinerinnenkloster befinden, das eine halbe Stunde vor der Stadt auf einer Anhöhe oberhalb der Straße nach Neapel lag.

Das leuchtete Khair-Eddin ein und er machte sich gleich selber dorthin auf den Weg. Schmunzelnd ging er neben der leeren Sänfte her, in die er seine Gefangene setzen wollte, mit breitspurigem Seemannsgang sich auf den Säbel stützend und mit den scheußlichen Lippen zuweilen Locktöne ausstoßend, als ob er eine verflogene Taube zum Futter riefe. Seine Untergebenen krümmten sich vor Vergnügen, denn ihr Gebieter war ein spaßiger Mann, der auch in den äußersten Gefahren, so der Schlacht wie des Seesturms, die gute Laune nicht verlor und oft mitten im Gemetzel seine schnurrigsten Witze machte.

Er ließ die betagte Äbtissin herausrufen und radebrechte ein wenig mit ihr in der Landessprache. Er verhieß ihr, das Kloster und alle seine Bewohnerinnen zu schonen, wenn sie ohne Umstände das weiße Täubchen herausgeben wolle, dem sein Gebieter, der großmächtigste Sultan Soliman, die Ehre antun wolle, es zwischen seine goldenen Gitter am goldenen Horn zu setzen. Die zitternde Greisin schwur ihm auf das Kruzifix, das sie in Händen hielt, zu, daß sie von Julias Flucht nichts wisse, da stieß er sie roh zur Seite, drang in das Kloster ein, riß alle Türen auf und kehrte das unterste zu oberst, bis er erkennen mußte, daß die Verfolgte auch hier nicht war. Aus Rache wurde das Kloster völlig ausgeraubt und dann angezündet, die jungen Nonnen gebunden und weggeführt, die Mutter Äbtissin erstochen. Khair-Eddin kommandierte das Unternehmen und machte seine Witze dazu.

Jetzt aber erhielt er eine Nachricht, die ihn mahnte, die weitere Verfolgung der Vermißten aufzugeben und unverzüglich in See zu stechen.

Aus dem brennenden Fondi war noch einer entkommen, an den niemand dachte, das war des Kardinals kleiner Page. Nach dem Schachspiel mit Donna Julia war er all die Zeit wie herzkrank herumgeschlichen, indem er die dienenden Mädchen keines Blickes mehr würdigte, hatte des Abends in verliebter Schwermut lange auf seinem Zimmer Gitarre gespielt und ein bißchen dazu geweint, und in der Nacht des Überfalls war er am Ende angekleidet, mit dem Kopf auf den Armen ruhend, eingeschlafen. Beim ersten Zusammenrennen im Schloßhof wurde er wach; als er die Auslieferung Julias verlangen hörte, verständigte er sich schnell mit den türkischen Wachen, die ihm einige von ihren bunten Lappen um Kopf und Lenden wanden, damit lief er zu den Ställen, zog, als wollte er plündern, eins ihrer windschnellen Pferde am Zügel heraus, rannte damit als wie mit einer Beute durch die vom Flammenschein ungewiß erhellten Straßen, wilde, arabisch sein sollende Laute ausstoßend, und entwischte durch das gesprengte Tor ins Freie. Dort schwang er sich auf und ritt wie ein Sturmwind nach Terracina. In der päpstlichen Grenzfeste lag eine starke Besatzung, deren Kommandant von dem Kardinal auf diesen Posten befördert und ihm persönlich sehr verpflichtet war. Diesen weckte Ascan mit der Schreckenspost und beschwor ihn im Namen seines Herrn, dem überfallenen Fondi, dessen Schicksal er noch unentschieden glaubte, Hilfe zu bringen. Der Mann jedoch, der schon in der Nacht den Brand von Sperlonga beobachtet hatte und einen Angriff auch auf Terracina fürchtete, erklärte sich nicht für befugt, seinen anvertrauten Posten zu verlassen und sich in fremde Angelegenheiten zu mischen. Nur wenn Ascanio ihm einen schriftlichen Befehl seines Herrn überbrächte, worin dieser die Verantwortung übernähme, würde er gehorchen. Da er nichts erreichte, ritt der tapfere Junge, die angebotene bewaffnete Begleitung ablehnend, in höchster Eile weiter, ob er nicht unterwegs noch auf den Reisezug des Kardinals stoße. Aber er fand nur den langsamen, von Itri her aufgebrochenen Troß, der sich einen Rasttag gönnte; der Herr selber war mit seinen Edelleuten schon vorangereist. Von Furien der Angst gejagt, das Bild des brennenden Fondi in der Seele, flog Ascanio auf einer Straße, die auch Erwachsene lieber in Begleitung zu machen pflegten, bei Nacht und Morgenschein und sengender Mittagshitze durch Sumpfland und durch die öde Campagna unaufhaltsam weiter bis nach Rom in den Palast am Campo Marzio.

Der Weckritt des Knaben hatte aber doch zur Folge gehabt, daß der Kommandant von Terracina mit sich zu Rate ging, ob er nicht durch seine Weigerung die Gunst des Kardinals unwiederbringlich verscherze, und da er gewärtigte, ihn mit Ascanio und seinem Gefolge wie ein Ungewitter zurückkommen zu sehen, hielt er es doch für geratener, ihn nicht abzuwarten, sondern von sich aus seinen Eifer zu zeigen. Am Morgen fühlte er sich vorsichtig mit ausgewählter Mannschaft über die Grenze nach der Grafschaft vor. Sie brauchten sich dem rauchenden Fondi nicht weit zu nähern, um an der Zahl der Truppen, die vor der Stadt an ihren Feuern kochten oder futtereintreibend umherschweiften, zu erkennen, daß der Platz fest in den Händen des Feindes war. Sie zogen sich also wieder zurück. Ihre Bewegung war aber doch bemerkt worden. Späher des Barbarossa hatten sie mißverstanden oder auch mißverstehen wollen und hatten ihm gemeldet, daß eine Streitmacht im Anmarsch sei, deren Vortrupp sich gezeigt und wieder zurückgezogen habe. Das kam ihm ungelegen. Wenn der Handstreich auf Tunis glücken sollte, so durfte er sich auf keine Schlacht auf italienischem Boden einlassen und Verluste an Mannschaft erleiden, er durfte nur da und dort an schlechtbeschützten Küstenorten einbrechen und beim ersten Gegenangriff das Weite suchen. Also beschloß er, kein zweites Mal in Fondi zu nächtigen, sondern gleich mit seiner Beute in See zu stechen. Bevor er aber aufbrach, gab er den Überlebenden dieses Schreckenstages noch einen Anblick zum besten, der in Fondi unvergessen bleiben sollte. Um seine ungeheure Körperkraft zu zeigen und durch die Kunde solcher Riesenstärke immer mehr Schrecken im Lande zu verbreiten, hielt er auf der Piazza inmitten seiner Leute einen großen Hammel so lange mit einem ausgestreckten Arm in die Luft, bis das Tier geschlachtet und völlig ausgeweidet war, daß das Hammelblut sich mit dem noch ungetrockneten Menschenblut mischte. Es war sein Lieblingskunststück, mit dem er seinen Abgang zu schmücken liebte. Dann wurde der geschlachtete Hammel gehäutet und, nachdem die Vorderbeine abgelöst waren, mit langausgestreckten und fest zusammengebundenen Hinterbeinen an einen langen Spieß gesteckt und unter langsamem Drehen geröstet, was beim jedesmaligen Umwenden, wenn die weißen, bleckenden Zähne zum Vorschein kamen, ein so grausiges Ansehen hatte, daß die Bewohner von Fondi nachmals erzählten, der Barbarossa habe einen seiner Gefangenen, welchen er nach der vorgenommenen Untersuchung für den wohlschmeckendsten gehalten, eigenhändig geschlachtet und auf offenem Platz am Spieße gebraten, um sich mit seinen teuflischen Untergebenen an Christenfleisch gütlich zu tun.

*

Dem Kardinal war es bei seiner raschen Heimkehr nicht nach Wunsch ergangen. Beim Papste, dessen Gemächer er jederzeit unangemeldet betreten konnte, fand er seinen ehemaligen Waffengefährten, den Marchese Del Vasto, und die jungen Männer, beide gleich glänzend und gleich ehrgeizig, begrüßten sich mit ausgesuchter Zuvorkommenheit, hinter der gegenseitiges Mißtrauen schlummerte. Schon seit einer Stunde bedrängte der Spanier den kranken Papst im Auftrag seines kaiserlichen Herrn mit Klagen über die Ränke Frankreichs und suchte ihn zur Parteinahme zu bewegen. Sogar in dem neuerlichen Türkeneinfall witterte er französisches Einverständnis. Desselben Tages war aber auch schon der französische Gesandte im Vatikan vorstellig geworden und hatte an gewisse Zusagen gemahnt, die der heilige Vater dem Allerchristlichsten König gegeben hatte und nicht zu halten gedachte. Der unglückliche Clemens, immer zwischen den zwei Mühlsteinen Franz und Karl zerrieben, drehte und wand sich, wie es seine Art war, um jedem Recht zu geben und keinem helfen zu müssen, aber er war sichtlich am Rande seiner Kraft, seine Augen irrten unstet, seine Nasenflügel bebten, nur der Mund unter dem schöngepflegten Barte hielt noch das bekannte verbindliche Lächeln fest. Er atmete auf, als der unerwartete Eintritt seines Neffen und Vizekanzlers ihm Gelegenheit gab, den Peiniger zu verabschieden. So war denn der Augenblick für Ippolitos eigene kriegerische Wünsche so ungünstig wie möglich. Kaum daß er zu reden anhob, so geriet der Oheim in zornige Aufwallung und warf ihm vor, daß auch er, den er so groß gemacht, zu seinen Widersachern gehöre und ihm mit seinen ewigen Umtrieben das Leben zu verkürzen strebe. Es sei schon zu viel, was über ihn gekommen, er sei alt, er sei müde. Er wünsche nichts mehr, als das Pontifikat, das so entsetzlichen Jammer über ihn gebracht und von dem nur die Familienglieder die Früchte genössen, in Frieden zu beschließen. Seit er in der Engelsburg die Kriegsfurie aus nächster Nähe gesehen, habe er auf alle Zeiten genug von ihr. Wie er fortan unter allen Umständen bei den Händeln der christlichen Fürsten neutral zu bleiben denke, so wolle er auch von keinem neuen Kreuzzug hören.

Als der Neffe ihm entgegenhielt, daß ein Zusammenschluß der christlichen Herrscher gegen das Osmanenreich auch ihrer Eintracht untereinander dienen würde, und als er gar von ferne daran zu erinnern wagte, daß dieser Gedanke einst das unerreichte Lebensziel des staatsklugen Leo gewesen, flackerte der Papst mit Heftigkeit auf:

Genug, genug! Du weißt nicht, was du redest. Löse du dem Scheusal Krieg die Kette, so fährt es dir selber an den Hals. Ich will Frieden auch mit Soliman. Für den Schimpf, der dem Kaiser in Procida widerfahren ist, brauchen Wir nicht aufzukommen, das ist seine Sache. Solange Ich noch lebe, muß wenigstens im Kirchenstaate der Janustempel geschlossen bleiben.

So gestatte mir Eure Heiligkeit wenigstens so viel Mannschaft aufzustellen, als es der Schutz unserer Küste, die bloßliegt, erfordert.

Da sieh du zu. Das Militärische ist deine Sache, antwortete der Oheim besänftigter. – Aber daß du Uns nicht zu tief in den Säckel greifst. – Wir sind sehr auf dem Trockenen.

Die letzten Worte sprach er mit verlöschender Stimme, dann sank er plötzlich ohnmächtig zurück. Der Neffe mußte ihn mit Hilfe der Kämmerer auf sein Bette tragen, des Papstes Puls ging nicht mehr, man hielt ihn für verschieden. Die Ärzte wurden gerufen und erst nach vielem Reiben und Besprengen mit starken Essenzen kehrte der unglückliche Mann mit einem tiefen Atemzuge in sein gequältes Leben zurück.

Verstört und erschüttert von dem Anzeichen der nahen Auflösung verließ Ippolito den Vatikan, wo der Boden unter ihm zu wanken begann. Aber seinen Plan gab er nicht auf. Er nahm Rücksprache mit seinen in Rom weilenden Kollegen und bestrebte sich nach Kräften, ihre Furcht vor dem Barbarossa zu vermehren. Es hatte sich inzwischen gezeigt, daß der freche Angriff auf Procida nicht die erste Tat des türkischen Generalissimus gewesen. Dieser hatte schon die sizilische Küste verheert und dann zum gleichen Zweck Sardinien angelaufen. Die Kardinäle zitterten für ihre herrlichen Schlösser und Villen am Meere, und da während der Unpäßlichkeit des heiligen Vaters die päpstliche Schatzkammer nicht zugänglich war, schossen sie ihrem kriegerischen Kollegen sofort aus eigenen Mitteln die Gelder zum Aufstellen einer Schutztruppe vor.

Ippolito, jetzt ganz in seinem Fahrwasser, beauftragte gleich seine Hauptleute, die nötige Mannschaft anzuwerben. Sein eigener Palast wimmelte ohnehin von Soldaten und er hielt deren noch in verschiedenen Quartieren Roms verborgen. Da er aber ihre Zahl nicht ins Ungemessene vermehren konnte, ohne Argwohn zu erregen, so umgab er sich seit lange mit ausgewählten militärischen Führern und Fachleuten, die im Bedürfnisfalle schnell ein gutausgerüstetes Soldheer auf die Füße bringen konnten; so war vorgesorgt, daß ihm keine für seine Zwecke günstige Gelegenheit entging.

Als die militärischen Maßregeln getroffen waren, begab sich der Kardinal dunkel gekleidet und den Hut ins Gesicht gedrückt zu Fuße nach der Innenstadt. Niemand, der den Jüngling sah, hätte gezweifelt, daß er zu einem Liebchen schleiche. Aber ganz anderes lag ihm im Sinne: er hatte die florentinischen Verbannten, die ihn zu sehen verlangten, vorsichtshalber in einen entlegenen Winkel Roms beschieden, da er sich im eigenen Hause vor den Spionen Alessandros nicht mehr sicher fühlte. Sonderbare Vorkommnisse während seiner Abwesenheit hatten ihn genötigt, seinen vertrautesten Sekretär, den Nachfolger Porrinos, jählings zu entlassen. Dieser Posten war in der letzten Zeit von dem Dichter Berni, dem Erfinder der komischen Dichtart, die man die Berneske nennt, besetzt gewesen, und der Medici hatte diesen Mann nach seiner Art leutselig und freigebig gehalten, sich auch bisweilen an seinen witzigen Zynismen ergötzt. Freilich hatte er ihn verschiedentlich auf Zügen des Undanks betroffen, aber einen Verrat hätte er ihm niemals zugetraut. Denn da er selber keine Verstellung übte (ein Ausnahmefall in seiner Zeit), sondern sich im Guten und Schlimmen offen gehen ließ, so pflegte er sich auch keiner Falschheit von den anderen zu versehen. Jetzt aber hatte er zwingende Gründe anzunehmen, daß der Berni in heimlichem Verkehr mit dem Herzog von Florenz stehe.

Im Kreise der Verbannten fand er zu seinem Erstaunen jenen florentinischen Kaufherrn, den er eben erst in Fondi kennen gelernt hatte und der somit gleich schnell gereist war wie er selber. Es war etwas in dem Mann, das Ippolito mißfiel, ohne daß er sich recht darüber klar wurde, aber sein eigener Verwandter, Piero Strozzi, der des Herzogs Todfeind war, hatte den Fremden eingeführt und sagte gut für ihn.

Die Verbannten, die ihres Vermögens beraubt und von jedem Verkehr mit ihren Familien abgeschnitten zumeist im Elend lebten, waren in gärender Erregung und überschütteten den Kardinal mit ihren Bitten und Klagen. Gemieden von ihren in Rom ansässigen, glücklicheren Landsleuten, fanden sie nirgends Unterstützung noch Erwerbsmöglichkeit, denn welcher Florentiner nur den Gruß eines solchen »Rebellen« auf der Straße erwiderte, der verfiel derselben Acht und daheim wurden seine Güter eingezogen. Jeder der Anwesenden hatte eine neue Ruchlosigkeit des Herzogs zu berichten, der sein hitziges Negerblut in den wildesten Ausschweifungen kühlte. Nicht einmal im Kloster waren die Töchter der Florentiner vor seinen schrankenlosen Gelüsten sicher; wer ihm wehren wollte, verschwand vom Erdboden. War sein Säckel leer, so schickte er einen neuen Schub reicher Bürger ins Exil und praßte mit ihrer Habe. Die Unbequemsten wurden zum Zwangsaufenthalt in irgendeiner verseuchten Gegend verurteilt, wo sie mittellos und schlecht ernährt, bald aufhörten eine Gefahr zu bilden. Wer sich ohne Erlaubnis von dort entfernte, für den büßten seine Angehörigen, auch wenn sie noch in der Wiege lagen. Der reisende Kaufmann bestätigte das düstere Bild. Von dem Kardinal wurde verlangt, daß er ungesäumt die Klagen der Verbannten vor den in Spanien weilenden Kaiser bringen und ihn um Absetzung des Tyrannen angehen solle, in welchem Falle sie willens waren, ihn selbst von Karl als Oberhaupt der Republik zu erbitten.

Ippolito erklärte ihnen, was er soeben von dem Marchese Del Vasto gehört hatte, daß der Kaiser sich in widrigen Verwicklungen befinde, weshalb der Augenblick, ihn mit den florentinischen Angelegenheiten zu behelligen, schlecht gewählt wäre. Aber die Verbannten wollten nicht hören, sie sahen nur sich und ihre Not und fanden, daß es im Schoß des Glückes leicht sei, Geduld zu predigen, während jener bei sich selber feststellte, daß das Entwurzeltsein die staatsmännische Einsicht nicht befördere. Besonders verdrossen ihn einige gelehrte Versteinerungen aus der alten Republik, die alle Schwierigkeiten durch die grundsätzliche Anwendung ihrer Theorien lösen wollten und sich mit den Fragen der Gegenwart durch Hinweise auf antike Republikanertugend auseinandersetzten. Fast hätte man sich überworfen, aber die beiden Brüder Strozzi, nahe Vettern des Medici und nach ihm die Vornehmsten in diesem Kreise, die eben erst heimlich aus Florenz gekommen waren, vermittelten. Sie trugen frische Trauer um den jähen Tod ihrer schönen Schwester Luisa, den sie der Rache des von ihr verschmähten Wüstlings zuschrieben. Doch heimlich wurde gemunkelt, es sei der Brüder eigenes Werk, weil sie die Ehre der Schwester nirgends mehr sicher glaubten als im Grabe. Nun setzte Ippolito auseinander, daß man erst die durch den Korsareneinfall geschaffene Lage, die den Kaiser zunächst angehe, sich klären lassen müsse, um dann je nach der Wendung der Dinge zu handeln, weil nichts schädlicher wäre, als das Ohr eines zerstreuten und abgeneigten Monarchen mit einer Klage zu erfüllen, die einmal abgewiesen, kein zweites Mal mehr vorgebracht werden dürfte. Was er redete, war so bündig und überzeugend, daß es danach keine andere Meinung mehr geben konnte, besonders als der Prior von Rom, Bernardino Salviati, gleichfalls ein Verwandter des Medici und mit dem Herzog verfeindet, Ippolitos Reden aufnahm, erläuterte und seine raschen Gedankengänge den langsameren Gehirnen durch Wiederholung einhämmerte. Es wurde beschlossen, daß die Verbannten sich noch einige Monate gedulden würden und daß der Kardinal unterdessen die Bedürftigsten unter ihnen mit Mitteln zum Lebensunterhalt versehen sollte. Ihr Wortführer, der Geschichtsschreiber Nardi, dankte im Namen der Anwesenden und sprach die Hoffnung aus, daß, wenn die Zeit gekommen sei, Seine Herrlichkeit mit seiner hinreißenden Überzeugungsgabe auf den Kaiser ebensoviel Eindruck machen werde wie jetzt auf seine unglücklichen Landsleute.

Diese Bemerkung traf den Kardinal an seiner empfindlichsten Stelle und folgte ihm noch auf dem ganzen Heimweg als ein Stachel nach. So leicht es ihm sonst wurde, die Herzen für sich zu gewinnen, über den schweigsamen, scharf zuhörenden, völlig undurchdringlichen Karl V. hatte er keine Gewalt. Der Kaiser war der einzige Mensch, in dessen Gegenwart sich sein strömendes Wesen irgendwie bedingt und behindert fühlte, denn während er die verbindlichsten Reden von ihm empfing, war es, als ob unterdessen ihre Geister sich in unsichtbarem Raume bekämpften und abstießen. Es fiel ihm jener ägyptische Wahrsager ein, der einst den Marcus Antonius vor der Nähe des Cäsar Oktavian gewarnt hatte, weil sein Dämon, so stolz er sei, den Dämon Cäsars fürchte, und daher sein Glück in jenes Gegenwart verbleiche. Lag hier ein ähnlicher mystischer Zusammenhang vor, da über allen seinen Begegnungen mit dem Kaiser, so glanzvoll sie äußerlich verliefen, bisher der Unstern geschwebt hatte? Zu tiefinnerst mußten ja dem bigotten Monarchen die Mediceer mit ihrer strahlenden Weltlust zuwider sein. Sie vor allem machte er für den Verfall des Klerus und die daraus hervorgegangene Kirchenspaltung verantwortlich, die ihm soviel Not bereitete. Und gerade in diesem letzten Spätling sah er alle die Züge wieder durchschlagen, die sein Ärgernis erregt hatten. Wenn Ippolito dies auch nicht wußte, so bekam er doch die Wirkung davon zu schmecken. Schon bei der Kaiserkrönung zu Bologna hatte Karl dem Papst, der sich die kaiserliche Hilfe zur Wiedereinsetzung seiner Familie in Florenz als Pfand des Friedens ausbedang, mit guter Art nahe gelegt, daß der rauhere Alessandro, für den auch das Recht der Primogenitur sprach, zur gewaltsamen Niederhaltung einer unruhigen, auf ihre alte Freiheit eifersüchtigen Stadt geeigneter sei als der geistreiche, verfeinerte, in allem Schönen schwelgende Ippolito. Dem Papste schien es ohnehin, daß sein Haus in Florenz nicht blühen könne, wenn es nicht auch nach seinem Abscheiden einen Vertreter im heiligen Kollegium hätte. So ward das Abkommen geschlossen, das ihn um den Thron brachte. Als er hernach die kaiserliche Majestät bis Mantua zu geleiten hatte, geschah es, daß bei einer Hofjagd Karls Pferd mit solcher Gewalt gegen das seinige prallte, daß beide Reiter aus dem Sattel flogen und wenig fehlte, so wären Kaiser und Kardinal tot am Platze geblieben. Karl, der sich selbst die Schuld an dem Unfall beimessen mußte, bezeigte sich von da an noch gnädiger als zuvor, aber es war dem Kardinal nicht wohl bei dem Gedanken, daß er den kaiserlichen Herrn in sehr unkaiserlichem Zustande gesehen hatte. Ein Jahr später, als er dem von den Türken bedrängten Herrscher in Regensburg das päpstliche Hilfsheer und die päpstlichen Gelder zuführte, da hatte man ihn freilich mit offenen Armen wie einen Retter begrüßt und höchster kaiserlicher Dank war ihm zugesagt. Aber auf dem Heimzug aus Ungarn kam es zum offenen Bruch. Der Kaiser wollte ihn beim Aufmarsch vorsichtig dem langen Zug der Männer von Toga und Sutane einreihen, doch der Heißblütige durchkreuzte seinen Plan. Er warf sich in die landesübliche Kriegertracht, den Wolfspelz, und jagte mit wenigen Hauptleuten seinen von Karl ohne Löhnung gelassenen und darum meuternden Truppen nach, um an ihrer Spitze im Toskanischen einzufallen. Jedoch in Sankt Veit nahe bei Klagenfurt wurde er auf Befehl des Kaisers angehalten und gefangen gesetzt. Damals hatte Clemens, so sehr er den Streich mißbilligte, vor Zorn geweint, daß man sich an seinem Neffen und Legaten zu vergreifen wagte. Dieser war zwar schon nach wenigen Tagen wieder frei und bei der nächsten Zusammenkunft hatte der Kaiser sich aufs höflichste wegen des angeblichen Mißverständnisses entschuldigt. Allein die Verzeihung des Papstes erlangte Karl wiederum auf Ippolitos Kosten, indem er versprach, seine eigene Bastardtochter Margarete neben den Mulatten auf den Thron von Florenz zu setzen. Darum schien es dem Kardinal nicht angebracht, die kaiserliche Majestät in ihrer jetzigen Stimmung an die früheren Versprechungen zu erinnern; besser ihm an der Hand neuer Verdienste die alten zurückrufen. Nahm Karl die blutige Herausforderung Solimans an, wie er kaum anders konnte, rückte er zur Rache und Befreiung der weggeschleppten Christen aus, so konnte der Papst, wenn auch nur noch ein Rest von Leben in ihm glomm, trotz aller Friedensliebe nicht untätig bleiben. Von dieser Entscheidung hing alles ab, dann galt es je nach Umständen den Kurs steuern.

Unter solchen Gedanken, die er mit niemand teilte, kehrte der Kardinal in seine Wohnung zurück. Als er sein Gemach betrat, fand er den armen Ascan in seiner sonderbaren Kleidung gänzlich erschöpft auf dem Teppich eingeschlafen und rüttelte ihn verwundert wach. Da sprang der Knabe auf die Füße: Hilfe, Herr, Hilfe für Fondi!

*

Als Julia mit ihren Fluchtgenossen die Richtung auf das Gebirge nahm, war es zum Glück noch so dunkel, daß sie ohne den roten Schein in ihrem Rücken den Weg nicht gesehen hätten. Ihr einziges Denken war, vor Anbruch des Tages, der nicht mehr fern sein konnte, den schützenden Bergwald zu erreichen, wo ihr auf einer freistehenden Kuppe, deren Anstieg durch Waldung gedeckt war, das feste Schlößchen Monfalcone stand, das ehedem Herrn Vespasian als Jagdschloß gedient hatte; dort hoffte sie sich zu bergen. Aber der Fluchtweg war voll von Gespenstern, ihr harter Traber schien ihr mit seinem schweren Hufschlag tausend Verfolger zu erwecken, deren Hauch sie mit der Nachtluft im bloßen Nacken spürte, und bei jedem Geräusch glaubte sie sich von den Piraten eingeholt. Der Lastgaul, der nicht zum Rennen erzogen war, kam ihrer Angst nicht rasch genug vorwärts. Tommaso bearbeitete ihn mit der unterwegs gebrochenen Gerte, die beiden Frauen stießen ihn mit den Fersen, umsonst, er blieb bei seiner Gangart, und als der Boden sich zu heben begann, fiel er in den behäbigsten Schritt. Da traf ihn ein verzweifelter Hieb mitten auf den Kopf, daß er auffuhr und fehltrat und die drei Reiter fast herabgeworfen hätte. Der Knecht sprang ab, um ihn am Zügel weiter zu führen, aber er hinkte so, daß er nicht mehr vorwärts kam. Jetzt blieb nichts übrig, als abzusteigen, das Tier seinem Schicksal zu überlassen und zu Fuß weiter zu gehen. Und da sie hinter sich in der Ferne Stimmen zu vernehmen glaubten, schienen ihnen die Kehren, die keine Deckung boten, gefährlich. Darum arbeiteten sie sich auf holprigen Fußpfaden durch den Bergwald hinauf unter unsäglicher Pein für die nackten Füße der Gräfin. Im Schutze der Dunkelheit legte sie die mitgenommenen bäuerlichen Kleider an, die noch von Frische und eingesogenem Sonnenschein dufteten; die Sanzia half ihr das schwere Haar unter dem Kopftuch verbergen. Als nun der Morgen graute, zeigte sich's, daß sie die Richtung verloren hatten und sich weitab von dem Jagdschloß befanden. Aber es war zu ihrem Heil. Denn während die Dreie von Julias gutem Engel in die Irre geführt wurden, hatte Sinam der Jude mit einem Trupp Korsaren und einem Renegaten als Wegweiser den Waldweg erstiegen und war früher als sie vor dem Schlößchen angelangt, dessen Insassen sich bei seiner Annäherung in Sicherheit brachten. Als die Flüchtigen am lichten Tage jenseits einer Schlucht die gesuchten Mauern aufsteigen sahen, ging Tommaso vorsichtig voran, indes die Frauen im Walde zurückblieben. Da sahen sie, daß er sich mit einem Male platt zur Erde warf und ohne Laut und Regung verharrte. Erschrocken zogen sie sich tiefer ins Dickicht zurück und warteten ab, wie er, ohne den Kopf zu erheben, zwischen Heide und abgedorrtem Asphodelos langsam, zollweise rückwärts kroch. Er hatte den Trupp von Krummsäbeln gesehen, die das Schloß bewachten, während Sinam der Jude, der mit seinem einen Auge mehr sah als andere mit beiden, das ganze Schloß nach seiner Herrin durchsuchte. Lautlos flohen die Drei den Weg zurück, den sie gekommen waren. Es blieb nichts übrig, als noch höher in das Gebirg hinaufzuflüchten, wo sie den Tag ohne Nahrung und die Nacht ohne Schlaf neben einem ausgebrannten Meiler verbrachten. Die Frauen schwärzten sich ihre Gesichter mit dem warmen Ruß, um Jugend und Schönheit zu verbergen, und in der verfallenden Köhlerhütte, die sie notdürftig mit Zweigen zum Schutz gegen Tiere verwahrten, saßen sie die Nacht über, betend und wachend.

»Nymphe, wohin, warum dein holdes Antlitz
Von Gram entstellt? Was zürnst du deiner Schöne,
Zu deren Schutz die reisigen Scharen fliegen
Der Freunde, die dein Schreck wie Feinde flieht?
Die heilige Liebe fährt auf Cherubsflügeln
Dir Hilfe zu –«

So hat ein dichtender Zeitgenosse in einer dem Kardinal Ippolito de'Medici gewidmeten Ekloge Julia Gonzagas Flucht besungen. Aber zur Stunde konnte die Irrende, Verzweifelnde nicht ahnen, daß diese Hilfe unterwegs war.

*

Durch die pontinischen Sümpfe braust es heran wie ein Heer von Nachtgespenstern, bald auf der alten Via Appia den Weg verkürzend, bald die Marittima entlang. Lanzenspitzen und Helmzimiere blitzen wie Leuchtkäfer im Dunkeln auf. Es sind des Kardinals eigene Leute, die er auf den Notruf Ascanios zusammengerafft hat, seine Leichtberittenen, die immer für ihn in Bereitschaft stehen. Im Abstand folgen die neugeworbenen Fähnlein, von seinen vertrautesten Hauptleuten, dem Grafen Ottaviano Della Zenga, dem in Waffen ergrauten Herrn Otto von Montauto und dem tollkühnen Dante Berlinghieri geführt. Das Fußvolk und die Kanoniere mit den Geschützen sind zu Schiff nach Terracina befohlen, um von dort aus in die Grafschaft einzurücken, wo Ippolito den Barbarossa noch zu finden hofft. Seine Lieblinge, die Sarazenen, wollte er zu Hause lassen, um sie nicht gegen ihre Glaubensgenossen zu führen. Aber als sie den kriegerischen Aufbruch sahen, waren die Söhne des Ostens nicht zu halten. Sie hängen mit solcher Inbrunst an ihrem brausenden Gebieter, daß sie um seinetwillen dem Propheten zu Leibe gingen. Sie sind auch die einzigen, die mit seinem Tempo Schritt halten, denn er rast, als ob er ganz allein Fondi entsetzen könnte. Verschlafene Büffel heben ihre schweren Häupter aus den Sumpfgründen; bis die trägen Tiere aufschauen, sind jene vorüber. Weite, giftige Moräste, übelriechend und dumpf, wechseln mit tiefdunkeln Buschwäldern, römische Grabmäler, Hügel mit Ruinen tauchen neben dem Wege auf und bleiben zurück; im bleichen Sternenschein, der alles gleich macht, durchrasen die wilden Reiter das Reich des Fiebers und des Todes. Julia! Donna Julia! knirscht das alte Römerpflaster unter den Pferdehufen. Schneller! Schneller! ist der einzige Gedanke, der aus dem wirbelnden Hirn des Führers antwortet. Auf jeder Militärstation reißt er, was Waffen trägt, mit sich und die Wetterwolke wächst im Lauf. Bis aus bleichen Frühnebeln das Circekap aufsteigt und man sich der Grenze des Kirchenstaats nähert. Endlich ist Terracina erreicht, das alte Anxur auf dem rotglänzenden Felsen. Hinter Gaeta geht die Sonne auf. Sein erster Blick sucht die Ebene von Fondi. Über der Stadt liegt ein dichter blutroter Rauch, den die Morgendünste zurückhalten, während auf dem Sumpfsee die wohlbekannten Nebel brauen. Aber das Meer erstrahlt im lichtesten Morgenglanz. Es ist vollkommen leer. Kein Barbareskensegel mehr bis zum fernsten Horizont. Nur das rauchende Sperlonga erzählt noch vom Besuche Khair-Eddins. Der Retter kommt zu spät. In einer kurzen Augustnacht hat er die ungeheure Entfernung überwunden und kommt doch zu spät.

In Terracina wird Halt gemacht, die verdurstete Mannschaft darf sich mit einem Bügeltrunk laben. Der Kardinal und seine Edelleute wechseln die Pferde. Der Kommandant der Besatzung meldet den erfolglosen Fühler nach Fondi und daß die Piraten abgezogen sind. Was aus der Gräfin geworden, ist ihm nicht bekannt.

Jetzt könnte Ippolito sich und seiner Begleitung Rast gönnen, da Julias Geschick im Guten oder Schlimmen entschieden ist. Aber wie kann er Atem schöpfen, ehe er die Wahrheit weiß? Durch den Knaben ist er davon unterrichtet, daß der Überfall ihrer Person gegolten hat. Die Mannschaft mag jetzt ihre Tiere verschnaufen lassen und langsamer folgen, er sitzt schon wieder im Sattel und jagt dem Schicksalsspruch zu, der ihm das Leben wiedergeben oder auf einmal nehmen soll. Denn es scheint, als müßte sein Herz augenblicklich aus Wut und Verzweiflung zerspringen, wenn die unglückliche Frau jetzt auf hohem Meere schwimmt, allein inmitten der viehischen Barbarenhorde, den erzwungenen Umarmungen Solimans entgegen. Den ferneren Bericht über die Vorgänge kann ihm der Offizier nur im atemlosen Nebeneinanderhinfliegen zukeuchen. Auch Trajetto raucht, das andere Lehen Donna Julias? Bedauerlich, aber in diesem Augenblick ohne allen Belang. Die Banditen zeigen sich wieder? Gott segne sie, er hat nichts mit ihnen zu schaffen. Ihn kümmert nur Fondi, Fondi! –

Als er durch die westliche Vorstadt, die am wenigsten gelitten hatte, und durch das unversehrt gebliebene römische Tor einritt, kam ihm halbnacktes Volk mit zitternden Gliedern und wie verblödet entgegen. Viele drängten sich heran und küßten seine Steigbügel. Auf den Straßen, wo man ihm noch vor kurzem fröhlich zugejubelt hatte, streckten sie heulend die Arme nach ihm aus. Die Unglücklichen konnten nicht mehr sprechen, sie lallten bloß. Auf die Frage nach dem Geschick der Gräfin antworteten sie mit Armbewegungen, die in eine unbekannte Ferne deuteten. Ein Schmied, bei dem er erst kürzlich sein Pferd hatte beschlagen lassen, stand wie geistesabwesend bei seinem ausgebrannten Hause, aus dem soeben in einem Korb verkohlte menschliche Gliedmaßen herausgetragen wurden. Ippolito winkte den Mann zu sich heran, der auch den Mund öffnete, um ihm Rede zu stehen, aber es kam nur ein rauher Kehllaut heraus, der in einen Lachkrampf überging. Ein Krieger weiß, was zerstörte Städte sind, aber einen solchen Ausdruck stumpfsinnigen Entsetzens wie bei den übriggebliebenen Bewohnern von Fondi hatte der Kardinal noch nicht gesehen.

Vor Santa Maria kam ihm der Porrino lautweinend entgegen. Ihn hatte das Gerücht von dem Vorgefallenen unterwegs ereilt und spornstreichs zurückgetrieben.

Wo ist Donna Julia?

Über den Hals des Pferdes gebeugt, ruft es ihm der Kardinal schon von weitem zu.

Der Trostlose antwortet mit derselben unbestimmten Gebärde wie die Einwohner von Fondi.

Mensch! Und du schämst dich nicht zu leben, wenn Donna Julia geraubt ist?

Gnädigster Herr, es ist nicht meine Schuld, daß ich lebe, antwortete der Jüngling mit Würde. Ich war verschickt und bin nur kurz vor Euch angekommen. Aber in Barbarossas Gewalt ist Donna Julia nicht. Alle Übriggebliebenen versichern, daß sie sich nicht unter den Gefangenen befand.

Ippolito war abgestiegen und reichte ihm die Hand in einer Weise, die eine stumme Abbitte enthielt. Sein Blut, das beim Anblick des zerstörten Fondi wie eingefroren war, begann wieder zu fließen. Lieber will er sie ja unter den Toten finden, wenn sie nur dem Barbaren entronnen ist.

Was sagen die Schloßbewohner?

Die sind alle tot oder verschleppt. In der Stadt aber heißt es, daß sie zu Pferd entkommen sei.

Das gebe Gott! Hast du schon im Schloß Umschau gehalten?

Herr, es brennt noch und ist nicht betretbar.

Das wollen wir gleich untersuchen.

Er übergab sein Pferd einem Knecht, bestimmte das Quartier, wo er mit seinem Stab absteigen wollte und erteilte Befehle für die nachfolgende Mannschaft. Dann wählte er zwei Offiziere aus, die im Kriegsbau Erfahrung hatten, und eine Handvoll Soldaten. Der Porrino schloß sich an und zusammen begaben sie sich, jeder das Haupt durch einen schweren Stahlhelm geschützt, nach dem Schloß, das wieder stärker rauchte. Der Brand hatte fortglimmend eine noch unversehrte Futterkammer erreicht und war von neuem aufgeschlagen.

Als sie am Dom vorüberkamen, der von einer Seite an das Schloß stieß, warf der Ankömmling einen Blick hinein und gewahrte, daß nicht nur Altäre und Sakristei geplündert, sondern auch die Grabstätten der Barone erbrochen und nach Schätzen durchwühlt waren. Selbst den Stammesheroen der Colonnesen, Prospero und Marc' Antonio war das Grab geschändet und ihre Gebeine herausgeworfen. Ippolito ließ sie zusammenlesen und die Grüfte notdürftig wieder schließen.

Am Eingang des Schloßhofs lagen die Leichen der Verteidiger noch so, wie sie gefallen waren, der Sonne ausgesetzt; ein furchtbarer Anblick; auch der Kastellan mit seinen beiden Söhnen unter ihnen, der die Verwahrlosung der Festungswerke teuer bezahlt hatte. Im Schlosse selber mußte wegen der Einsturzgefahr jeder Fußbreit untersucht werden, ehe man weiter ging; zum Glück war das Balkenwerk seiner Mächtigkeit wegen nur angekohlt, aber noch tragfähig. Aus dem Saal der Arazzi, der so viel heitere Feste gesehen hatte, drang der Rauch, die herrlichen Teppichschildereien hingen als geschwärzte Fetzen von den Wänden und schwelten leise weiter. Gemälde und Statuen waren zerhauen – Bilder verachtet der Muselmann –, die sonstigen Kostbarkeiten weggeschleppt.

An der Treppe wartete der Eindringenden ein ergreifender Anblick. Da lagen hintereinander die Sarazenen des Kardinals, wie sie stufenaufwärts den Zugang zu den oberen Räumen verteidigt hatten, von ihren eigenen Glaubensgenossen erschlagen.

Wackere Bursche, sagte ihr Gebieter, indem er über sie wegstieg, wie es der Feind getan hatte. Aber am Eingang des langen Korridors, der sich in mehrere Gänge teilte, überließ er die Führung dem Porrino, denn er selbst hatte nur einmal in dem Schlosse genächtigt. Das war vor fünf Jahren bei seinem ersten Besuch, als sein Oheim Strozzi, der Verehrer aller Frauenschönheit, ihn als neuernannten Kardinal in Fondi einführte. An jenem Abend, wo Julias und seine Augen zum erstenmal ineinander hängen blieben und nicht mehr wußten, wie sich voneinander lösen. Damals hatte er mit dem Oheim in dem Gästeflügel geschlafen, den Weg zu Julias Gemächern kannte er nicht. Porrino ging durch den Mittelgang voran. Vor der Schwelle der Herrin lag ein neues Hindernis, eine menschliche Gestalt, zum unförmigen Klumpen zusammengeballt, mit rundem Rücken fast wie ein Igel anzusehen. Der unglückliche Zwerg, der durch seinen Opfertod die Räuber aufgehalten hatte, daß Julia Zeit zur Rettung gewann.

Ippolito sah ihm ins Gesicht: Armer Margutte! Du allein hattest also das Herz am rechten Fleck.

Julias Zimmer war noch im gleichen Zustand, wie der Pirat es verlassen hatte. Da stand noch das Bett, wie sie in Eile herausgesprungen war, und am Boden lagen die Gewand- und Wäschestücke, von der Säbelspitze des Barbarossa aus den Truhen gezogen und umhergestreut. Auch Stücke des kostbaren Miniaturenwerkes fand er von Säbelhieben zerhackt unter den anderen Fetzen, ein Zeichen, wie wert Julia das Buch gehalten und daß sie es zuletzt noch um sich gehabt hatte. Ippolito suchte ebenso wie es Khair-Eddin getan hatte, nach einem geheimen Ausgang, und Julias Flucht blieb ihm so rätselhaft wie diesem. Denn die Tür, die zertrümmert in den Angeln hing, bewies zur Genüge, daß die Überfallene keine Zeit gehabt hatte, über den Korridor den einzig möglichen Rettungsweg zu gewinnen, die kleine Zugbrücke, die das Neue Schloß mit dem Alten verband. Also konnte sie sich nur durchs Fenster gerettet haben. Als der Kardinal sich hinausbeugte, erblickte er die Konsolen, die dem Barbarossa in der Nacht entgangen waren, und begriff. Da hinaus hatte die zarte Frau sich gewagt über der schwindelnden Tiefe.

Alsbald schwang er sich selbst hinunter, nachdem er den Helm aufs Gesimse gestellt hatte, und faßte auf der nächsten Fuß, das Gesicht zum Fenster gekehrt. Da sah er von der Brüstung ein sehr langes Haar herunterhängen, dessen leuchtendes Braun mit goldenen Lichtern flimmerte. Jetzt war kein Zweifel mehr. Er wand es zärtlich um den Hals und schob sich zum Entsetzen der Nachblickenden von Konsole zu Konsole, wie es in der Nacht die Flüchtenden getan hatten. Dem Ingenieuroffizier, der ihm folgen wollte, winkte er zurückzubleiben. Auf der letzten der Konsolen lag noch das Brett, das über den Abgrund in die Luke des Turmes führte. Das also war ihr Rettungsweg gewesen. Der Medici war sehr beherzt und sicher, denn es gab kein noch so halsbrecherisches Kunststück seiner farbigen Begleiter, das er ihnen nicht abgelernt hätte, aber um diesen Schritt der geliebten Frau nachzutun, mußte er seine ganze Willenskraft zusammennehmen.

Innerhalb der Luke blieb er stehen, stutzte und ging nicht weiter. Denn von oben hing an einem frischeingemauerten Haken ein Seil herunter. Julia hatte auf der eiligen Flucht sein Anstreifen gefühlt, aber sich nichts dabei gedacht. Anders der Kardinal. Wer das Seil in die Hand nahm, konnte von der Luke aus gefahrlos den gähnenden Abgrund überschreiten, und wenn er es drüben befestigte, wo noch von alters her Eisen aus der Mauer vorstanden, so hatte er auch für den Rückweg einen Halt. Jetzt klirrte auch noch ein staubiges Ding zu seinen Füßen und als er es aufhob, war's die Ampel, die dem Knecht zu seinen nächtlichen Abenteuern geleuchtet hatte.

Mit einem Male befiel den leidenschaftlichen jungen Mann eine Übelkeit, daß er sich an die Wand lehnen mußte. Diese wohldurchdachte Vorrichtung, der Julia ihr Entkommen dankte, konnte nicht im Augenblick der Gefahr aus dem Boden gestampft sein und stammte auch nicht aus älteren Tagen. Es war ein vorbereiteter Schleichweg. War es ein – Liebesschleichweg? Galt er ihrem Fenster, vor dem er endete?

Wie wenn ein Wagen im stärksten Lauf auf einmal von einer Riesenfaust gepackt würde, daß sein ganzes Gefüge in sich ächzt und knackt, so griff ihm etwas in die Brust und drehte sein ganzes Fühlen in die umgekehrte Richtung. Hätte er sie tot gefunden, es wäre ein kleines gegen die Marter dieses Zweifels. Alle die zahllosen schlüpfrigen Geschichten von der Schlauheit verbuhlter Frauen fielen ihm ein, mit denen die Großen und ihre Umgebung zum Ergötzen von Mann und Weib ihre Gastmähler würzten und die wie ein schlammiges Meer das Bewußtsein aller umwogten, als wären sie der einzig wahre Ausdruck des Menschenlebens. Wenn auch sie nicht anders wäre als die Allgemeinheit ihres Geschlechts? Wenn sie ihn betrogen hatte, indem sie ihn an eine tiefe, stillentsagende Neigung glauben ließ und mit ihrer meisterlichen Kunst des Abstandes seine Leidenschaft gefesselt hielt, daß sie nicht vor- noch rückwärts konnte, während ein anderer sie auf andere Weise besaß? Aber wer, da doch der ganze männliche Hofstaat, wie er von dem Porrino wußte, verschickt war? Ihm schwindelte. Vielleicht ein Niedriggeborener, einer vom Gesinde, der zum Turm den Zugang hatte. Oh, solche Verirrungen waren nicht ohne Beispiel. Wie manche vornehme Frau hatte sich einen gemeinen Dienstmann zum heimlichen Gespons erkoren. Wenn die Witwe des Colonna ihre Güter und ihre Freiheit wahren und doch zugleich ihre Jugend genießen wollte, so gab es keinen abgefeimteren Gedanken für ein Frauenhirn als diesen. Ein Niedriggeborener erregte keinen Verdacht, und wenn er unbequem wurde, konnte man ihn verschwinden lassen. Mit rasender Schnelligkeit durchliefen seine Gedanken die ganze Skala menschlicher Verworfenheit, an die ihn das Weltleben gewöhnt hatte, vom Leichtsinn bis zum Verbrechen, und jeder stieß ihm einen Dolch ins Herz; aber in ihrer Wut und Tollheit liefen sie sich desto schneller zu Tode.

Von klein auf hatte dieser Sohn seines Jahrhunderts die Welt in Sinnlichkeit und Selbstsucht verstrickt gesehen, und er selber machte keine Ausnahme. Aber auf der anderen Seite stand ein Engel und hielt die Wage. Dieser Engel hieß Julia Gonzaga, ihr Amt war es, dieses Erdendasein im Gleichgewicht zu halten, damit die Menschheit nicht ins Chaos stürzte. Wo an Frauenreinheit gezweifelt wurde, da nannte man ihren Namen, und die Spötter verstummten. Es war wie eine Musik von süßer Schwere um ihn, wenn er nur an sie dachte. Dafür diente er ihr unbelohnt schon ins fünfte Jahr. Durch seinen Dienst und seine Liebe hatte er einen Anteil an ihrer Vollkommenheit, auch ohne eigene Verdienste, sie verknüpfte ihn unmittelbar mit dem Höheren. Und das alles sollte eine lügnerische Maske gewesen sein, hinter der sich die alltägliche Gemeinheit des Lebens barg? Wäre doch ein Feind zur Stelle, auf den er sich mit seinen tapferen Reitern stürzen könnte, um die Schlacht in seinem Inneren zu übertäuben. Wie herrlich war die Welt noch vor wenig Augenblicken gewesen trotz der Qual der Angst, in der er herflog, ganz durchflutet von der heroischen Melodie des Opferwillens, sein und der Seinigen Leben an die Rettung der geliebten Frau zu setzen.

Ja und was wollte er jetzt noch hier? Sie war ja in guten Händen, wie er sich mit Hohn sagte. Wer sie hinausgeführt hatte, mochte auch für ihre Zurückkunft sorgen. Geringe Leute kennen immer am besten alle Schlupfwege. Und wenn es ihr übel erging, mochte sie's haben! Also umkehren, da kein Feind mehr da ist, aufbrechen, sobald sich die Truppe ausgeruht hat.

Aber konnte er nicht auch eine feinere Rache nehmen? Vielleicht war der Mensch, in dessen Hände sie sich gegeben hatte, ein Feigling, der sie in der Not verließ. Die Wälder waren nicht frei von wilden Tieren, und räuberisches Gesindel gab es gleichfalls. Zwar sie verdiente kein besseres Los, aber er konnte sich auch den höheren Triumph gönnen, sie zu suchen, zu retten, zurückzuführen und ihr dann angesichts dieses Turmes, der von ihrer Schande wußte, seine ganze Verachtung ins Gesicht schleudern, bevor er auf immer von ihr ging. Daß der Drang, sie wenigstens noch einmal zu sehen, an der grausam wollüstigen Ausmalung dieser Szene seinen Teil hatte, gestand er sich selber nicht. Er riß das verräterische Seil aus dem Haken und warf es durch die Luke hinaus, die Ampel sandte er mit einem Fußtritt nach: niemand sollte diese Entdeckung, durch die er sich selber lächerlich erschien, mit ihm teilen. Gleich belohnte sich die feinere Regung, denn sobald die stummen Verleumder weg waren, wurde ihm leichter. Zwei Frauenaugen, die immer das Beste in ihm geweckt hatten, blickten ihn durch seinen verfinsterten Luftkreis rein und ruhig an, er spürte wieder ihr Wesen wie Musik um sich, die leise zu klingen begann. Ist es nicht Wahnsinn, was ich mir da zusammendenke? mußte er sich selber fragen. Ein Seil und eine Ampel, zwei gemeine Gegenstände des Alltags, sollten zeugen dürfen gegen eine solche Frau? Ist nicht das Band, das uns verflochten hat, stärker als dieser Seilstumpen, und die Sonne, die unsere Neigung beschien, lauterer als ein stinkender Ampeldocht?

Aber wie er auch ankämpfte gegen das Niedrige, das ihn beschlichen hatte, seine Seele blieb krank und verstört. Die Furien des eifersüchtigen Wahnes lauerten noch nahe genug, um wiederzukehren. Unterdessen war er, dem ersten Bewegungsantrieb folgend, halb unbewußt die enge Turmtreppe hinabgeglitten und kam vor das offene Tor, wo noch die Leiter lehnte. Als er auch diese herunter geklettert war, sah er in dem längst verharschten Schlamm jener Fluchtnacht die bloßen Füße der Fliehenden abgedrückt, und in den durcheinanderlaufenden Spuren meinte er Julias schlanke, geschwungene Sohlen herauszukennen. Mit Erleichterung nahm er wahr, daß jedenfalls mehr als zwei Personen die Leiter herabgestiegen waren, und wenn dies auch keine Bürgschaft gegen seine Zweifel gab, so erweckte es doch minder quälende Vorstellungen und stützte einigermaßen den besseren Glauben. Von dieser Stelle aus verfolgte er Julias Flucht unter den Arkaden hin bis zu dem Mauerpförtchen und begriff nun, daß sie sicher ins Freie gelangt sein konnte. Alles andere aber blieb so dunkel wie zuvor. Wer sie geführt hatte, ob und wo sie sich Pferde verschafft, wohin sie sich gewandt, darüber konnte auch der Porrino, der sich über den Klosterhof wieder zu ihm fand, keinerlei Mutmaßungen hegen. Von der verfänglichen Wahrnehmung erfuhr dieser nichts und schrieb seines Gönners verändertes Wesen und erschüttertes Schweigen dem schaurigen Luftweg zu, den er ihn hatte machen sehen.

Nachdem Ippolito eine Wache vor das Schloßtor gestellt hatte und für die Wegschaffung der Toten gesorgt, kehrte er in sein Quartier zurück. Da fand er den Podestà, der ihm von beiden Seiten gestützt entgegentrat, denn sein schwerer Körper wankte noch. Er war gleich nach dem Abzug der Piraten an seinen Posten zurückgekehrt, den er in der Nacht verließ, um sich zu verbergen, als nach seiner Meinung nichts mehr zu retten war. Allein bei der Heimkehr befiel ihn ein neuer Schrecken: während man noch starr und stumpf den abziehenden Barbaren nachsah, hatte sich das Raubgesindel der Landstraßen über die offenliegende Stadt hergemacht, die Hyänen, die niemals fehlten, wenn Feindesgewalt oder Erdbeben den unglücklichen Landstrich heimsuchten. Sie schleppten vor den Augen der Wehrlosen den Rest ihrer Habe weg. Denn der Barbarossa hatte nur das Kostbarste mitgenommen, diese raubten auch die letzte Notdurft. Niemand hatte mehr zu essen und von dem Beispiel verführt bestahl der Nachbar den Nachbarn.

Der Kardinal versprach militärischen Schutz und ordnete gleich das Nötige an. Er besetzte die Tore, daß niemand ohne Ausweis herein- oder hinauskonnte, vor alle öffentlichen Gebäude stellte er Wachtposten und ließ den Rest der Truppen vor der Stadt lagern, wo die Leute sich an ihren mitgebrachten Vorräten erquickten und auch den hungernden Landeskindern davon mitteilten. Durch Trompeter ließ er in Stadt und Umgegend ausrufen, daß er gekommen sei, um im Namen der erlauchten Gräfin von Fondi die Ordnung wieder herzustellen und daß jeder beim Plündern Ergriffene ohne weiteres an seinen Hals gehenkt werden sollte. Nach Terracina hatte er unterdessen Befehl gesandt, daß die nachfolgende Mannschaft nicht mehr auszuschiffen, sondern gleich zum Schutze der eigenen Küste zurückzuschicken sei. Die Anwesenheit der Truppe war eine Wohltat für das unglückliche Fondi, und der starke Lebensstrom, der von der Persönlichkeit des Führers, ja von der bloßen Nennung seines Namens ausging, hob die gesunkenen Gemüter. Die Diebstähle von Seiten der Eigenen hörten auf und mancher ältere Mann, der noch Mark in den Knochen hatte, stellte sich der Militärgewalt zur Verfügung, um beim Wiederaufbau der Ordnung zu helfen. Alle segneten den Stifter des Heils; der aber ging mit finsterem Gesicht umher, sprach kurz und barsch und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß der Porrino in diesem rauhen Soldaten den feinen Weltmann, den Freund der Musen und Grazien, nicht mehr erkannte.

Der Podestà hatte gleich nach seiner Rückkehr durch öffentliche Bekanntmachung eine Belohnung für denjenigen ausgesetzt, der die erste Nachricht von dem Fluchtweg der Gräfin bringe.

Kretine! murmelte der Kardinal zornig, als er es erfuhr; konnten sie nicht in der Stille suchen, mußten sie auch die Banditen auf ihre Spur hetzen!

Allein die weitere Umgebung war so reich an Schlupfwinkeln aller Art in Berg-, Busch- und Sumpfwald, an natürlichen Höhlen und alten Unterbauten aus der Römerzeit, daß es ein nutzloses Unterfangen war, ohne Anhaltspunkt zu suchen. Natürlich fanden sich viele, die die Gräfin auf der Flucht gesehen haben wollten, der eine da, der andere dort, der zu Fuß, der zu Pferd, aber ging man den Angaben nach, so führten sie ins Leere. Auch in dem geretteten Itri wußte man nichts vom Verbleib der Herrin. Des anderen Tages kehrten noch verschiedene von den Vermißten zurück, darunter sogar eine von Julias Ehrendamen, die man im Strandgeklüft gefunden hatte, – wie sie dorthin geraten war, wurde niemals aufgehellt, denn die Unglückliche hatte den Verstand verloren. Von Julia selber keine Spur.

Während sich die Stadt ein wenig von den nächsten Ängsten erholte, sah es auf dem Lande traurig aus. Die Plündererbanden, die bei Annäherung des Kardinals zerstoben waren, suchten die in der Ebene zerstreuten Wohnstätten heim, in denen noch etwas zu finden war, und erschlugen die Bewohner, die sich zurückwagten. Aus Sperlonga, Trajetto und anderen Ortschaften, die der Piratenkönig noch zerstört hatte, kam zerlumptes Volk und half beim Plündern. Denn diese elenden Menschen, die selber obdach- und brotlos geworden waren, sahen keinen Ausweg, als sich den Räubern anzuschließen und mit ihnen gemeinsame Sache zu machen. So wuchs das Gesindel lawinenartig an; es laufe, so hieß es, einem Bandenführer zu, dessen Name kaum minderen Schreck verbreitete als der des Barbarossa.

Mitten in diesen neuen Unruhen kam zu Ippolitos Überraschung auf seinem in Terracina gelassenen Leibroß Ascanio angesprengt mit dem Sacripante. Er war auf eigene Hand mit dem Transportschiff angekommen und hatte es durchgesetzt, zu landen und das ausgeruhte Leibroß des Kardinals zu besteigen.

Ich bringe Euch den Bajazet und den Sacripante, rief er seinem Herrn entgegen, während der Hund diesen fast mit seinen Liebkosungen umwarf. – Das Tier war so außer sich über Euer Verschwinden, daß es wie ein Sturmwidder gegen die verschlossenen Türen rannte und sich in seiner Verzweiflung noch den Kopf zerschmettert hätte, wenn es Euch nicht hätte folgen dürfen.

Du bist recht unvorsichtig, Kleiner, so allein zu kommen. Der Meo da Penna ist um den Weg mit seiner Bande, die ganze Gegend wimmelt von Raubgesindel.

Ich sah es wohl, Eure Herrlichkeit. An Stellen, wo der Weg sich krümmt und die Felsen überhängen, zeigten sich Gesichter, denen ich nicht zu Fuß begegnen möchte. Aber mit dem Bajazet und dem Sacripante konnte mir nichts geschehen.

Die Ankunft des Knaben, der den Piratenüberfall mit klaren Sinnen erlebt hatte, brachte in das noch schwebende Dunkel Licht und benahm seinem Herrn die Reste des eifersüchtigen Wahns. Denn als dieser ihn mit Vorsicht über Donna Julias Flucht und ihren mutmaßlichen Helfer befragte, beichtete Ascan sein Abenteuer mit der Sanzia und wie es durch Tommasos Dazwischenkunft vom Fenster her gestört wurde. Das erhellte mit einem Schlag die rätselhaften Umstände dieser Rettung.

Ich kenne das ganze Schloß, sagte der Knabe. Glaubt mir, es ist wie ich sage. Einen anderen Weg als über die Konsolen gab es nicht mehr und nur Tommaso, der ganz nahe war und der flink ist wie eine Katze, konnte sie noch hinausbringen.

Der Kardinal wurde ganz stille. Die Reue wegen seines unedlen Verdachtes und das Staunen, daß die Vorsehung sich so unheiliger Hände bedient hatte, um eine Heilige zu retten, machte ihn völlig zerknirscht. Darüber entging der kleine Taugenichts jeder Rüge wegen seiner ungebührlichen Aufführung in dem gastfreundlichen Schlosse.

Unter den nach Fondi Heimgekehrten befand sich auch der Bischof, der von der Aufregung erkrankt war und sich entschuldigen ließ, daß er dem hochwürdigsten Herrn Kardinal die schuldige Aufwartung nicht machen könne. Als dieser mit dem Porrino zu ihm eilte, fanden sie den alten Herrn, dessen gelassene Liebenswürdigkeit wie immer den Dingen die härtesten Spitzen abbog, ohne ernstliche Sorgen über Julias Geschick. Sie hatte ja noch am Vorabend des Überfalls die Absicht geäußert, sich mit ihren Damen nach Vallecorsa zu begeben und ohne Zweifel waren die Anstalten schon getroffen. Warum sollte sie ihren Plan nicht im Augenblick der Gefahr ausgeführt haben? Pferde waren gewiß aufzutreiben – auch er selbst war zu Pferd entkommen, obwohl der bischöfliche Palast früher gestürmt wurde als das Schloß. Der Weg nach Vallecorsa führte durch dichte, undurchdringliche Bergwälder, wo sie vor dem Auge der Verfolger gedeckt war. Freilich mußte die nächtliche Flucht durch die Wälder schauerlich gewesen sein, aber sie hatte doch sicher zu gutem Ziele geführt, denn wenn Donna Julia sich mit ihrer Begleitung in der Umgebung verborgen hätte, so wäre sie jetzt so gut wie alle anderen zurückgekehrt.

Während so die Besorgnisse des Retters eingelullt wurden, verbrachte die hilflose Frau entsetzliche Stunden. Seit sie durch die Verfolgung Barbarossas zwischen zwei Feuer geraten war und auch das Jagdschloß in den Händen der Piraten gesehen hatte, was nur durch Verrat der Einheimischen möglich war, gab sie die Hoffnung auf, zu Fuße eine feste Zuflucht zu erreichen, und die Flüchtigen suchten ihr Heil nur noch im bergenden Dickicht. Zuweilen hörten sie Stimmen anderer Flüchtigen, aber sie wagten sich nicht um Nachricht hervor, weil Julia fürchtete, verraten und ausgeliefert zu werden. Den ersten Tag hatten sie sich von den wilden Früchten ernährt, deren das Waldgebirg viele hervorbrachte. Als dann der Hunger unerträglich wurde, ließ Tommaso die Frauen in dem Versteck zurück, um im Tal nach Nahrungsmitteln zu suchen und ein Saumtier aufzutreiben, mit dem sie über das Gebirge gelangen konnten, denn sie glaubten Fondi noch immer vom Feinde besetzt. Die Stadt lag drunten in der Ebene wie mit Händen zu greifen. Aber Lagerfeuer brannten vor der Mauer und sie sahen Waffen blitzen, ohne zu wissen, daß es Freundeswaffen waren. Wohl dachte Julia zuweilen, ob nicht Ippolito von ihrer Not gehört habe und zu Hilfe geeilt sei, aber es war nicht möglich, von hier aus seine Fahnen zu erkennen. Aus weiter Ferne schimmerte ein Stück Meer, jedoch der Strandwald versperrte den Ausblick auf die Küste; so konnten sie nicht wissen, daß Khair-Eddins Flotte längst verschwunden war. Bevor Tommaso das Tal erreichte, fügte es der Zufall, daß er in einer Waldschlucht ein paar junge Weiber und Kinder aus dem Volke sitzen sah, die bei Annäherung der Korsaren aus ihren Gehöften geflohen waren und auch noch nichts vom Abzug des Barbarossa wußten. Sie hatten die Reste ihrer mitgenommenen Nahrungsmittel vor sich ausgebreitet und aßen. Als nun plötzlich ein halbnackter, verwildert aussehender Mensch zu ihnen herabgesprungen kam, liefen sie schreiend davon und ließen die Vorräte zurück, die Tommaso alsbald an sich raffte. Damit fristete man sich einen weiteren Tag. Aber als der Knecht von der Not gedrängt sich zum zweitenmal nach Nahrung aufmachte, kehrte er nicht wieder. Die Nacht brach über dem vergeblichen Warten herein, für die geängsteten Frauen die schrecklichste von allen. Jedes fallende Blatt, jeder verlorene Vogelton erschreckte sie in ihrem Laubversteck und der verhangene Himmel schien sogar dem Gebet den Aufstieg zu verwehren. Aber auch der Morgen brachte den Verschwundenen nicht zurück, und nun ergoß sich über die verlassenen Frauen erst die ganze Schale des Unheils.

*

Als der Kardinal mit dem Porrino aus dem bischöflichen Palaste kam, sahen sie am Ende der Straße einen Auflauf. Bewaffnete führten einen jungen Menschen mit auf den Rücken gebundenen Händen daher, der sich verzweifelt sträubte und mit Stößen vorwärts getrieben wurde.

Blitzschnell sprang der Kardinal dazwischen.

Wohin mit diesem Menschen?

Herr, er gehört zu der Bande des Meo da Penna. Er wollte in Santa Maria Nachlese halten. Wir haben ihn auf der Tat ertappt und sind dabei, ihn nach Euer Herrlichkeit Befehl zu hängen.

Was fällt euch ein, ihr Tölpel, einen Ehrenmann hängen zu wollen, der uns die schätzbarsten Aufschlüsse geben kann?

Jener warf sich schreiend auf die Knie.

Bei der allerglorreichsten Jungfrau, Euer Hochehrwürden, Herr Kardinal, ich bin kein Räuber, ich bin guter Leute Kind. Aber wenn Eure Herrlichkeit mir mein Leben zusichert, so will ich alles sagen, was Eure Herrlichkeit wissen will.

Da tust du wohl, mein Sohn. Solange einer redet, lebt er. Nimm deine Schreibtafel, Gandolfo.

Nun stellte er seine Fragen:

Wo befindet sich der Meo? – Wie stark ist seine Bande? – Wie ist ihre Bewaffnung? – Schreib alles auf, Gandolfo.

Der Bursch war der Bande erst seit kurzem zugelaufen und wurde nur zum Spionendienst verwandt, das Stehlen trieb er daneben auf eigene Rechnung. Er konnte daher dem Kardinal nicht viel Neues sagen. Die wertvollste Mitteilung war, daß der Meo sich in dem verwüsteten Jagdschloß Monfalcone niedergelassen hatte und von dort aus Streifzüge unternahm.

Jetzt kam die Hauptfrage:

Was weiß man in eurer Bande von dem Verbleib der Gräfin von Fondi?

Euer Gnaden, ich erfuhr erst heute in der Stadt, daß sie gesucht wird.

Das freut mich. Hast du mir noch mehr zu sagen?

Ich weiß nichts mehr, gnädigster Herr. Befehlt jetzt, daß diese Leute mich losbinden.

Er weiß nichts mehr, jetzt könnt ihr ihn hängen, sagte der Kardinal sich abwendend.

Der Porrino hielt sich die Hände vor die Ohren, um das Jammergeschrei des Betrogenen nicht zu hören, und folgte betreten seinem Gönner, den er mit scheuen Blicken maß.

Dieser betrachtete eine Gemme an seinem Finger, die er kurz zuvor zerschlagen hatte, und sagte nach einer Weile in seinem natürlichen Ton:

Du bist ein Poet und Schwärmer, Freund Gandolfo, zwei Begriffe, die in einen zusammenfallen, was mein verehrter Lehrer, Herr Pierius Valerianus, eine Tautologie zu nennen pflegte. Wenn ich den Burschen begnadigt hätte, so bliebe er ja eine Gefahr für Donna Julia.

Ich habe mir kein Urteil über Euer Herrlichkeit Maßnahmen erlaubt, antwortete der junge Gelehrte.

Das fehlte. Aber Euereins kann nicht still für sich denken. Ihr seid ja durchsichtig. Weißt du, wer der Bartolommeo da Penna ist? – So will ich es dir sagen. Er ist der gleichnamige Enkel eines einst angesehenen Soldführers, der nach Ausrottung der großen Kondottieren durch den Borgia wie viele andere seines Handwerks sein Brot verlor, und weil er kein bürgerliches Gewerbe mehr lernen mochte, mit seinem Häuflein in den Buschwald ging. Er gründete im Apennin eine Räuberdynastie, die wie er das Räuberhandwerk als Kriegskunst treibt und jetzt schon im dritten Glied das Königreich Neapel und die Grenze von Latium brandschatzt. Auch der bewußte Anfall auf den Postreiter fällt ihm zur Last. Lauter Dinge, die du selber wissen müßtest, wenn du nicht ein unheilbarer Träumer wärest. Schlimmeres konnte die Grafschaft nach dem Überfall des Barbarossa nicht treffen, als daß der Meo da Penna ihr die Ehre seines Besuches erweist. Ich werde Fondi nicht verlassen, bevor ich ihn unschädlich gemacht habe.

Diese Dinge waren mir in der Tat ganz unbekannt, antwortete Gandolfo kleinlaut.

Freilich, du kennst nur die Räuber, die weiland Theseus schlug, von deinen Zeitgenossen weißt du nichts. Freund Gandolfo, ich werde dich immer gerne um meine Person haben, aber mit militärischen oder politischen Aufträgen werde ich dich nie betrauen.

Ihr würdet mich damit auch sehr unglücklich machen, gnädigster Herr. Die Welt ist nicht so einfach, wie sie am Studiertisch erscheint. Aber Euch auf meine Weise dienen zu dürfen, das würde für mich immer das Ziel aller Ziele sein.

Das sollst du gleich. Nimm Feder und Papier und schreibe in meinem Namen an Donna Julia für den Fall, daß sie sich wirklich in Vallecorsa befinde. Sag ihr mit meinem ehrerbietigen Gruße, daß Fondi in guten Händen sei und daß ich um Nachricht über ihr Befinden bitte. Sie möge ruhig an Ort und Stelle bleiben, bis die Grafschaft gesäubert ist und ich ihr die Schlüssel einer wieder gesicherten Stadt in die Hände legen kann. Den Brief gib dem Garofalo, den ich mit zurückgebracht habe, weil er die Gegend am besten kennt. Er soll sogleich satteln und dann ohne Zeitverlust mit der Antwort zurückkehren.

Der Jüngling strahlte und beeilte sich zu gehorchen. Allein bevor der Brief fertig geschrieben war, hatte sich die freudige Hoffnung in Schrecken und Entsetzen gewandelt.

Im Vorzimmer des Kardinals mitten unter der türkischen Leibwache hockte ganz verängstigt und verwirrt ein altes Weib aus dem Gebirge, das ein zusammengewickeltes Bündel unter dem Arme trug. Bei seinem Eintritt kniete sie ehrfurchtsvoll nieder. Er hob sie auf und fragte nach ihrem Begehr. Da wickelte sie ein Gewandstück aus zartester weißer Wolle, das mit amethystfarbenem, seidenem Blumengeranke und Goldfäden wundervoll durchwirkt, aber um und um zerfetzt war, auseinander und hielt es ausgebreitet in die Höhe. Sie hatte es fest zusammengerollt und unter Dorngestrüppe versteckt im Walde auf dem Weg nach dem Jagdschloß gefunden.

Es ist das ihre, sagte Ascanio augenblicklich und küßte aufschluchzend einen Zipfel, sie trug es noch am Morgen vor dem Überfall in ihrem Schlafzimmer.

Bist du dessen sicher? fragte sein Herr erbleichend.

Ja, Herr, denn ich sah sie durch das Schlüsselloch der Zofe, als diese ihr die Haare kämmte.

Das Betragen des Sacripante, der das Gewand beschnupperte und zu winseln anfing, bestätigte zum Überfluß die Angabe des Knaben.

Dem Liebenden stand das Herz einen Augenblick still und begann dann mit furchtbarer Heftigkeit zu schlagen. Also war Vallecorsa nur ein Trugbild, sie irrte im selben Wald, wo sich der Meo umtrieb, im höchsten Brennpunkt der Gefahr. Wenn sie in seine Hände fiel, so war ihr Schicksal noch schlimmer als mit dem Barbarossa auf hoher See. Er packte vorn sein Ringelhemd, das er unter dem Kleide trug und wand sich wie ein Erstickender in den stählernen Maschen.

Aber jetzt war es nicht die Zeit zu verzweifeln und jede verlorene Minute zu verfluchen. Jetzt mußte jeder Gedanke der Angst sich in Tat verwandeln. Er rief den Garofalo, der zum Glück noch nicht weg war, daß er sich von der Frau den Fundort genau beschreiben lasse, er selber beriet sich mit denjenigen seiner Offiziere, die in dem Kleinkrieg des Bandenwesens schon Erfahrung hatten, und schickte zunächst seine Leute in kleinen Gruppen vor, je vier und vier in einem Abstand von hundert Schritten, daß sie sich gegenseitig stützen und zu Hilfe kommen konnten. So schob er ein engmaschiges Netz von Bewaffneten über den ganzen Südhang des Berges hinauf, worin die Strolche sich fangen mußten. Alle waren gut bewaffnet und mit Pfeifen versehen, auf denen zwei bestimmte Signale verabredet wurden, das eine, um sich gegenseitig zu rufen, das andere, längere, um anzuzeigen, daß die Gesuchte gefunden sei. Zur Sicherheit wurde noch eine starke Abteilung am Fuß des Berges aufgestellt, um für den Fall eines überlegenen Angriffes als Rückhalt zu dienen. Ein paar Leute aus der Gegend begleiteten die Streifmannschaft als Führer, die außer der Waffe auch Pinsel und angerührten Menning mit sich trugen, um die Bäume zu bezeichnen und der Flüchtigen, Verängsteten die nahe Hilfe anzusagen oder ihr, falls sie verirrt wäre, die Richtung zu weisen. Sobald der ganze Wald besetzt war, daß er den fliehenden Banditen zur Falle werden mußte, und Donna Julias Spur gefunden, sollte eine andere Abteilung sich rasch auf das in ein Räubernest verwandelte Schlößchen werfen.

Als alles bestimmt war, stieg Ippolito selber zu Pferde, denn er ertrug es nicht, in Ruhe den Erfolg seiner Anordnungen abzuwarten. Der Garofalo folgte ihm, er sollte heute der Herrin den Dank für das geschenkte Leben abtragen. Beide starrten von Waffen und hatten den Kopf mit Eisenhauben geschützt. Sacripante sprang mit freudigem Bellen voran. Über die Stelle weg, wo das Gewandstück gefunden wurde, führte der Fußpfad so schroff hinauf, daß ihre Pferde fast klettern mußten. Dann ritten sie eine Zeitlang auf ebenerem Weg an den Spuren eines Meilers vorbei, hinter dem der Hochwald steil hinaufstieg, mit vielfachem Myrtengestrüpp durchwachsen. Als es wieder bergauf ging, nahm der Knecht den Sacripante, der sehr aufgeregt war, an die Leine. Frische, rote Zeichen an den Bäumen zeigten, daß die Streifmannschaft schon vorübergekommen war. Auf einmal begann der Hund, der schon mehrmals geknurrt hatte, zu bellen und zerrte wütend an der Leine, denn hinter ihnen knackte und raschelte es wie von aufgescheuchtem Wild. Da hielt der Medici sein Pferd an und horchte, während der Hund sich wie toll gebärdete und vergebens dem Rascheln nachstrebte, das sich felsenaufwärts fortsetzte wie von einer Schlange. Jetzt tönte aus einiger Entfernung von unten ein kurzer Pfiff, dem gleich darauf ein ebensolcher aus der Nähe antwortete.

Das sind unsre Leute, sagte Ippolito, und gleich darauf traten vier Bewaffnete zwischen den Bäumen hervor, die grüßend haltmachten.

Zu Euer Gnaden Befehl. Habt Ihr gepfiffen?

Ich nicht. Saht ihr etwas Feindliches im Walde?

Wir sahen nichts, gnädigster Herr. Aber die Leute des Herrn Berlinghieri fanden in der Nähe einer verlassenen Mühle den ganz ausgezogenen Leichnam eines Erschlagenen, an dem schon die Tiere genagt haben, und der Führer will in dem Toten den Turmwächter von Fondi erkannt haben.

Es war in der Tat, wie sich später zeigte, der unglückliche Tommaso. Ob er bei dem Versuch, sich gewaltsam seinen Bedarf zu nehmen, das Leben eingebüßt hatte, ob er von anderen Hungrigen bei der Verteidigung seiner Beute erschlagen worden war, hat niemand je erfahren. In jenen Schreckenstagen, wo das beste Vieh von den Piraten weggetrieben, Scheunen und Schober verbrannt waren, galt ein Huhn oder ein paar Eier mehr als ein Menschenleben. Das unaufgeklärte Ende des Unseligen gab der Nachwelt, die von den näheren Umständen nichts mehr wußte, zu der abscheulichen Legende Anlaß, Donna Julia habe im Übermaß der Sittenstrenge, um das verletzte Schamgefühl zu rächen, den Knecht, ihren Retter, der sie halbnackt aus dem Bette riß, heimlich erdolchen lassen, damit kein Lebender sich rühmen könne, ihre verborgenen Reize gesehen zu haben.

Noch einmal ertönte jetzt das verabredete Zeichen von unten, aber diesmal scharf und schneidend wie ein Hilferuf. Die Vier fuhren auf und im Sprung über die Felsenböschung hinab, einer hinter dem andern, und dann in langen Fluchten über die leere Meilerstelle hinweg, dahin, wo ihre Kameraden nach Beistand riefen. Ihr Gebieter horchte noch ein wenig, ehe er von Angst getrieben, seinen Weg beschleunigt fortsetzte. Ein Krampf des Jammers schüttelte sein Innerstes. Der Beschützer tot und Julia allein, wer weiß wie lange schon, unter Raubwild und Mördern. Vielleicht war sie ihnen schon in die Hände gelaufen und der Knecht bei ihrer Verteidigung gefallen. Das war ja das Schicksal, das er ihr in der Verblendung seiner Eifersucht gönnen wollte. Konnte denn der Himmel die Gedanken eines Verrückten gehört und einen Engel verlassen haben? Wo ist sie jetzt, was ist aus ihr geworden? Kommt er noch zeitig, sie zu retten? – Er ahnt nicht, daß die Frau, die er sucht, gerade jetzt in diesem Augenblick nur wenige hundert Schritte von ihm entfernt der größten Gefahr ihres Lebens entgegengeht und daß es seine eigenen Maßnahmen sind, die ihr die Verfolger zugezogen haben. Denn gleichzeitig mit ihm sucht noch einer nach der Herrin von Fondi, und es fragt sich jetzt nur, wer von beiden sie zuerst findet.

*

Die unglückliche Julia war nach dem langen, vergeblichen Warten auf Tommaso mit der Zofe, die vor Angst irre redete, zuletzt durch den Hunger aus ihrem Versteck getrieben worden. Ihr schwindelte, sie hatte den Begriff der Zeit verloren und es schien ihr, als ob sie schon seit Wochen in diesem Waldgebirge umherirrte. Noch eine Nacht hier oben zu verbringen, war ihr so unmöglich wie dem Mädchen. Die Türme ihrer Stadt ragten wie ausgereckte Finger und schienen ihr aus der Ferne zu winken. Ohne Überlegung begannen beide den Abstieg, so sehr die Füße schmerzten. Aber den Weg, den Tommaso sicher hin- und hergegangen war, hatten sich die Frauen nicht gemerkt. Sie gingen, ohne die Zeichen zu finden, die ihnen die Richtung gewiesen hätten. Als sie zum zweitenmal an einem Eichbaum vorüberkamen, der eine gestürzte Ulme aufgefangen hatte wie ein Riese, der eine ohnmächtige Riesin stützt, da erkannten sie, daß sie in der Irre gegangen waren. Jetzt wälzte sich die Sanzia, die am meisten zum Aufbruch gedrängt hatte, mit Geheul am Boden und erklärte, nicht weiter zu können. Nur der Gedanke, aus welchem Blut sie stammte, hielt die Herrin ab, daß sie sich nicht verzweifelnd daneben warf. Es gelang ihr, die Magd wieder in die Höhe zu bringen. Auf einem Seitenpfad, den sie zuvor übersehen hatten, gelangten sie an einen Holzschlag, der ihnen bekannt war. Auf einmal hörten sie Männerstimmen und Schritte in geringer Entfernung. Wenn jetzt Donna Julia herausträte und sich zu erkennen gäbe, so würde der Graf Zenga ein Knie vor ihr beugen und sich im Namen des Kardinals die Ehre erbitten, sie nach Fondi heimführen zu dürfen. Aber das Schicksal will die Gequälte noch weiter prüfen, vielleicht auch will es ihre Rettung für einen anderen aufsparen. Julia wagt nicht, sich den Unbekannten anzuvertrauen und birgt sich mit dem Mädchen ganz stille im Gestrüpp.

Eine lange Zeit verging, bevor sie sich entschloß, den von Holzfällern gehauenen Weg, auf dem die Stimmen verklungen waren, zu betreten. Nach wenigen Schritten entfuhr beiden ein Schrei. Ein Stamm war mit frischer Farbe gezeichnet; es waren mehrere dicke, rote Punkte, die Kugeln vorzustellen schienen, doch die Kugeln waren zerflossen, daß sie langen, roten Tränen glichen; darunter ein Pfeil, der abwärts wies. Staunend, zweifelnd, ihren Augen nicht trauend, aber angefeuert von der Hoffnung, gingen die beiden weiter und fanden nach kurzem einen anderen Stamm in der gleichen Weise gezeichnet. Diesmal waren deutlich die sechs Kugeln des Mediceerwappens in der bekannten Anordnung zu erkennen, und darunter abermals der Pfeil, der nach Fondi wies. Kein geschriebener Liebesbrief hat je eine stärkere Woge des Entzückens hochgetrieben als diese sechs Kleckse auf dem Baum, die die hilfreiche Nähe dessen anzeigten, von dem die Hilfe am süßesten kam. Das Glück war so überwältigend, daß Julia niederkniete, den Stamm mit den Armen umschlang und ihn mit Tränen netzte. Das liebe Zeichen, es nimmt der Wildnis allen Schauer. So versteht nur einer zu trösten. Neues Lebensgefühl strömte ihr durch die Adern, daß sie das persönliche Näherkommen des Freundes zu spüren glaubte. Schon hinter dem nächsten Busch konnte er hervortreten. Beim ersten Bächlein, das sie überschritten, bückten sich beide und wuschen den Ruß aus den Gesichtern. Dann ging es flügelleicht von Zeichen zu Zeichen talwärts, doch nach jeder Biegung dehnte sich der Weg aufs neue und schon glänzte der Himmel purpurn durch die Stämme. Sie fingen trotz der schmerzenden Füße zu laufen an. Plötzlich kam es schnell und leise aus dem Dickicht gesprungen. Ein paar Männer mit in die Stirne gedrückten Hüten warfen sich auf die beiden Frauen. Nur einen einzigen furchtbaren Schrei konnte Julia ausstoßen, dann wurde ihr der Mund zugehalten. Die Zofe schrie nicht und wehrte sich nicht, sie lag ohnmächtig in den Armen der Räuber, die sie rasch und behutsam wegtrugen, denn sie hielten der städtischen Kleidung wegen sie für die Gräfin. Diese in ihrer Bauerntracht stieß den Angreifer mit solcher plötzlich erwachten Kraft zurück, daß er ihrer erst Herr wurde, als noch zwei andere über den Steilhang auftauchten und sie wegschleppen halfen.

Den Schrei Julias hatten die beiden Helfer, die sie suchten, vernommen. Gleichzeitig hatte Sacripante sich losgerissen und raste mit gewaltigen Sätzen, die Leine nachschleifend, durch das Gebüsch felsenaufwärts, mehr einem Löwen als einem Hunde gleichend. Im Nu waren die Männer von den Pferden und brachen sich, die blanken Waffen in der Hand, hinter dem Hunde her durch das Unterholz Bahn. Sie konnten nicht rasch genug folgen, weil das Gestrüppe sie aufhielt und sie sich erst den Weg hauen mußten, daß die Zweige flogen. Aber das wütende Bellen des Tieres zeigte die Richtung. Endlich hatten sie den Ort erreicht, von wo der Hilfeschrei erschollen war. Doch da war nichts mehr zu sehen, nur viel weiter oben hörte man Flüche und Blättergeraschel und immer dazwischen das Toben des Sacripante. Wieder kletterten sie felsenaufwärts, der schlanke junge Fürstensohn und der grobschlächtige Kriegsknecht, beide mit gleicher Gelenkigkeit und Ausdauer. Zuletzt erklommen sie eine baumlose Felsenterrasse und sahen kaum fünfzig Schritte vor sich die Frau, die auch in bäurischen Lumpen als die Eine kenntlich war. Ihren ersten Angreifer hatte der Hund niedergerissen und war dabei, ihn mit den Zähnen zu zerfleischen. Aber gleich hatten zwei andere sich auf sie gestürzt, während ein vierter, kleinerer, dem gräßlich brüllenden Kameraden zu Hilfe kam.

Schon unterm Laufen hatte der Jüngling die Pistole aus dem Gürtel gerissen. Die Feuerwaffen waren noch in ihren Anfängen und auch in den geübtesten Händen nicht treffsicher, allein es mußte auf jede Gefahr gewagt werden. Er legte an und traf einen der Schächer so gut, daß er rückwärts taumelte und sich überschlagend den Abhang hinunterrollte, an dessen Rand sich der Vorgang abspielte. Der plötzliche Knall hatte zur Folge, daß auch der andere losließ und sich mit dem übriggebliebenen Kameraden auf den Schützen stürzte. Da traf der Garofalo mit dem Kolben seiner Büchse den Nächsten und streckte ihn mit geborstenem Schädel ins Heidekraut. Der Kleine entsprang. Der mit den Bißwunden lebte noch, aber nicht mehr lange, denn gleich war der Knecht über ihm her und sorgte, daß er sich nicht mehr erhob. Daneben hatte Sacripante sein treues Leben ausgehaucht, dickes Blut quoll ihm durch das gelbliche Fell. Und neben ihm lag Julia in der rotblühenden, zerstampften Heide. Sie war ihren Befreiern ein paar Schritte entgegengetaumelt und dann vor Schwäche niedergestürzt, ihren Kopf gerade auf dem Kopf des toten Tieres.

Ippolito kniete bei ihr und suchte sie aufzurichten.

Julia, um Gottes Barmherzigkeit, sprecht zu mir. Denkt, ich wäre Euer Bruder, und sagt mir, was ist Euch geschehen?

Sie richtete sich auf den Knien auf, denn weiter vermochte sie sich nicht zu erheben, und mußte mehrmals ansetzen, bis sie auf sein angstvolles Flehen herausbrachte: Nur der Schrecken –!

Dann sah sie sich mühsam um: Wo ist –? Sie wollte nach Sanzia fragen, aber ein plötzliches Schluchzen zerriß ihr das Wort und schüttelte ihren ganzen Leib.

Der Freund unterstützte sie sanft mit den Armen, bis der Krampf sich löste und sie ermattet in sich selbst zusammensank. Es fiel ihm ein, wie lange sie ohne Nahrung sein mußte. Er hatte beim Wegreiten auch daran gedacht und trug im Gürtel eine Feldflasche mit Kraftbrühe gefüllt. Als ihre Brust sich beruhigt hatte, hielt er ihr die an den Mund, sie trank ein wenig, schob sie aber gleich zurück, weil die geschwächten Organe so starke Labung noch nicht ertrugen.

Herr, wir dürfen hier nicht bleiben, mahnte der Garofalo seinen Gebieter, der nur mit der Geretteten beschäftigt war. Wenn sie mit Überzahl zurückkommen, sind wir geliefert.

Du hast Recht, Garofalo, der Ort ist nicht geheuer.

Er hob die zu Tode erschöpfte Frau auf und trug sie eine Strecke weit bergab ins dichtere Gehölz, während der Knecht den Weg vor ihm frei machte. Im Baumgewirre, das sie den Blicken entzog, befahl er dem Knecht nach den Pferden zu sehen und sie heranzubringen. Kaum war dieser weggegangen, so vernahm man aus der Ferne ein Schreien und Fluchen, befehlende Stimmen dazwischen und das Getöse eines Handgemenges. Augenscheinlich waren Leute des Kardinals mit denen des Meo zusammengeraten.

Seid barmherzig und tötet mich gleich, wenn sie wiederkommen, flüsterte Julia kaum hörbar.

Er drückte ihr die Hand, während er schaudernd nach seinem Dolch im Gürtel tastete. Aber der Lärm, der näher kommen zu wollen schien, entfernte sich wieder, die Kämpfenden zogen sich in andere Richtung.

Erst nach einer guten Weile kam der Knecht zurück. Er hatte die Pferde nicht zur Stelle gefunden und in der Vermutung, daß sie sich verlaufen hätten, um in der Nähe zu grasen, war er vergeblich nach ihnen umher gestreift. Die Sonne war schon hinter den höheren Bergen des Westens untergegangen und der Wald lag im Schatten, als er mit seiner Hiobspost wiederkam. Die beiden Männer beratschlagten eben, ob es besser sei, durch ein Pfeifenzeichen Hilfe heranzurufen, oder in der Stille das Weitere abzuwarten, um den eigenen Schlupfort nicht zu verraten. Da erscholl plötzlich in der Höhe über ihnen das Signal: Gefunden! und nach kurzer Pause ein zweites, drittes und viertes Mal: Gefunden! Gefunden! Gefunden! wie ein schmetternder Siegesruf. Herr und Knecht sahen sich betroffen an, sie dachten beide dasselbe: daß der Feind von ihren Verabredungen Kenntnis habe und sie in eine Falle locken wolle. Sie hielten sich unbeweglich und horchten mit Blicken, die sich gegenseitig fragten: Ist unter den Unseren ein Verräter?

Der Knecht nickte: Ja, Herr, sie haben uns ausgekundschaftet. Auch das Zeichen, mit dem Herr Zenga von Eurer Seite gelockt wurde, war falsch. Ich hab es mir längst gedacht.

Jetzt blieb nichts übrig, als sich völlig stille zu verhalten. Ohne die Pferde konnten sie ohnedies nicht mehr hoffen, vor Einbruch der Nacht die Stadt zu erreichen. Der Garofalo, der in diesen Bergen zu Hause war, wußte nicht allzuweit von der Stelle, wo sie sich befanden, ein natürliches Felsversteck, wo sie vor dem ortsfremden Feind geborgen die kurzen Nachtstunden verbringen konnten. Dorthin trugen sie die Gerettete und machten ihr unter dem Felsendach auf einer ebenen moosigen Platte mit Streu und Blättern einen Platz zurecht, wo sie alsbald einschlummerte. Den Kopf stützten sie ihr mit moosigen Schollen und schlangen um ihre blutigen, zerschundenen Füße ein feuchtes Tuch, das der Garofalo draußen im fallenden Tau benetzt hatte. Ihre wundervollen Flechten, die mit dem Kopftuch losgegangen waren, hingen aufgelöst über der Felsbank. Der Sternenschein stahl sich durch die Blätter auf das schmal gewordene, aber immer noch unsagbar schöne Angesicht der Schlummernden, aus dem die Starrheit des Entsetzens zu weichen begann. Auch die Hoheit, mit der sie schrecken konnte, war abgefallen, dafür trat ein Ausdruck von Unberührtheit wie etwas Heiliges hervor und weckte in dem Retter, der sich über sie beugte, noch einmal die tiefe Scham, daß er diesem Angesicht jemals mißtrauen konnte.

O Nichtswürdigkeit des Mannes, sagte er zu sich selber. Er greift nach jedem Blümchen am Weg und dünkt sich um so größer, je mehr er deren gebrochen hat. Aber da hängt irgendwo ein Seil herab, ein Brett liegt, wo er es nicht erwartete, und alsbald beschuldigt seine verderbte Phantasie die reinste der Frauen. Er würde die Muttergottes nicht mit seinen Verdächtigungen schonen, denn der Teufel hat sein Wesen in uns allen. Wenn ich Herrscher bin, soll es meine Sache sein, die unglücklichen Frauen gegen die eifersüchtige Tollwut der Männer zu schützen.

Als sie einmal mühsam die Augen öffnete, um sich zu überzeugen, daß der Retter wirklich neben ihr sei, und sie dann beruhigt wieder schloß, schossen ihm plötzlich Tränen hervor in der überraschten Rührung eines Mannes, der nie Mutter noch Schwester besessen hat und der mit einemmal eine ganz neue Süße der Liebe begreifen lernt. Der Dämon der Leidenschaft ließ ihm Ruhe und machte einer stillen, tiefen Zärtlichkeit Platz. Wenn sie noch ängstlich aufseufzte, flüsterte er ihr tröstende Worte zu oder hob ihren Kopf in die Höhe, um ihr Stärkung einzuflößen. Die bäuerlichen Lumpen waren ihr von den rohen Griffen der Banditen am Leibe zerfetzt, daß die Haut durchschimmerte, ein Ärmel, zur Hälfte herausgerissen, ließ einen Teil des blendenden jungen Busens frei. Die züchtige Julia wußte es in ihrer Erschöpfung nicht; aber ihr Retter zog leise sein Seidenwams aus und hüllte sie ritterlich darein. Und er neigte sein selbstbewußtes Haupt in der Erkenntnis, daß kein schwacher, sterblicher Mensch das Wunder dieser Errettung um Haaresbreite sich selber zuschreiben durfte.

So saß er in den blanken Maschen seines Stahlhemdes neben ihr, wie ein gewappneter Erzengel anzuschauen: ihn wärmten Jugend und Liebe. Wenige Schritte von ihnen am Eingang des Felsenlochs hockte der Garofalo am Boden, mit wachen Augen auf seine Waffe gestemmt. Und die milde Augustnacht streifte mit dem Wandel der Sommergestirne über die Dreie hin.

Seltsam und geheimnisvoll sind solche im Freien verbrachte Sommernächte, wenn die wachgebliebenen Sinne jeden verträumten Vogellaut und jedes Flüstern der Blätter wahrnehmen, während die Seele schläft. Die Zeit hat dann aufgehört zu sein. Die Stunden gehen mit so leisem Tritt, daß niemand von den eilenden weiß. Mit einem Male wurde es hell, der späte Mond war aufgegangen und plötzlich erkannte Ippolito den Ort, wo sie sich befanden. Ganz nahe war der Felsensitz, wo Ariadne geschlafen hatte, die Lichtung da vornen im Gehölz hatte er vor kurzem selber hauen lassen. Also hatten sie von hier nicht weit ins Tal.

Julia richtete sich empor.

Ich habe geschlafen. Wie das wohltut. Jetzt bin ich stark und kann alles hören. Wie sieht es in Fondi aus?

Die Stadt hat sehr gelitten, das Schloß ist ausgebrannt, begann er schonend.

Das will ich verschmerzen. Meine Frauen?

Donna Julia, bereitet Euch etwas Schweres zu hören, Ihr müßt es ja doch erfahren. Der Barbarossa hat sie weggeführt.

Alle? fragte sie entsetzt. Auch Cassandra und Lionora?

Die feinen Zwillingsschwesterchen mit den silberblonden Haaren? Ja, auch die!

Die Kinder! Ach die Kinder! stöhnte Julia und schlug die Hände vor die Augen. Meiner Hut waren sie anvertraut und ich dachte nur an mich selber.

Ihr hättet sie ja nicht retten können, nur ihr Schicksal teilen. Und glaubt mir, Julia, diese unschuldigen Opfer werden viel gemartertes Christenblut freikaufen. Ich verspreche Euch, nicht zu ruhen, bis der Rachezug eine beschlossene Sache ist.

Was ist ferner noch geschehen?

Kirchen und Häuser sind geplündert, von Einwohnern, was jung und blühend ist, fortgeschleppt.

Sie schlug die Hände vors Gesicht: Alles um mich.

Alles um Julia Gonzaga, von der noch die späte Nachwelt sagen wird, daß ihre Schönheit den ersten Anstoß zu der endlichen Vergeltung gab.

Die unselige Schönheit! Ich hätte sie mir gerne mit den Nägeln vom Gesicht gekratzt.

Ihr hättet sehr, sehr Unrecht getan. Diese Schönheit hat auch Wunder gewirkt. Meine Sarazenen haben sämtlich für Euch fechtend das Leben gelassen. Mögen es ihnen die schönsten Houris in ihrem Paradiese lohnen. Und was das Rührendste ist, vor Eurer Schwelle lag der kleine Margutte mit einem Messer in der Hand, womit er Euch beistehen wollte, ganz von Säbeln zerhackt. Jetzt braucht er nicht mehr zu fragen, ob Gott auch ihn vollkommen erschaffen habe. Seine Opfertat macht ihn den Schönsten gleich. Ohne die wärt Ihr wohl jetzt auf dem Wege nach Konstantinopel.

Jammer über Jammer. Der arme Zwerg! Eure tapferen Wachen! Und auch Euren treuen Sacripante habt Ihr um meinetwillen verloren.

Aber Donna Julia ist gerettet. Was ist da noch schwer? Morgen müssen mir alle Glocken der Christenheit Tedeum läuten.

Der Garofalo, der unter die Bäume hinausgetreten war, kam eilig zurück und sagte:

Ich höre Schritte und Stimmen der Unseren.

Gleichzeitig wieherte ein Pferd.

Das ist der Bajazet, sagte Ippolito lebhaft.

Er zog seine Pfeife und schmetterte das Signal: Gefunden!

Ein Jubelruf antwortete und nicht lange, so tauchte ein Trüpplein der Eigenen auf, den Bajazet am Zügel nachführend. Der treue Dante Berlinghieri verbeugte sich tief vor seinem Herrn, der ihm entgegentrat.

Gott sei Dank, daß Eure Herrlichkeit da ist. Wir suchen Euch seit Stunden in der größten Besorgnis, weil wir den Bajazet ledig gefunden haben. Habt Ihr unsre Signale nicht vernommen?

Nun klärte sich das Wirrsal auf. Sie hatten die übel angekommene Sanzia befreit, die sie zuerst gleichfalls für die Gräfin hielten, bis der Irrtum entdeckt wurde. Im übrigen hatten sie ihren Befehl ausgeführt und die Bande mit Übermacht erdrückt. Den Meo, einen schönen, starken Burschen, hatten sie umstellt, daß er nicht mehr entkommen konnte. Da ließ er dem Kardinal einen unflätigen Gruß vermelden und seine Frau Liebste sei ein feiner Bissen für ihn und seine Leute gewesen, aber baumeln wolle er um ihretwillen nicht –, und blitzschnell hatte er sich mit dem Messer die große Schlagader des Halses durchschnitten. Danach wurde der Rest der Bande teils festgenommen, teils zersprengt. Das Mädchen aber, das nicht mehr sprechen konnte, war bei der Fortbringung verschieden; die Bluthunde hatten ihr einen Messerstich in den Unterleib mitgegeben.

Der Medici biß sich auf die Lippen. Er schnallte seinen Mantel von dem Rücken des Pferdes los und umhüllte damit Donna Julia, ehe er sie herausführte. Seine Leute gingen auf seinen Wink voran, während er sein edles Tier streichelte und sich dann mit zeremoniöser Haltung daneben stellte, als ginge es zu einem fürstlichen Jagdausflug.

Gräfin von Fondi, Herzogin von Trajetto, gestattet mir, Euch aufs Pferd zu heben.

Ehrfurchtsvoll empfing er die nackte Sohle des jungen Weibes auf seiner Handfläche und hob sie mit leichtem Schwung in den Sattel. Dann faßte er den Bajazet beim Zügel und führte ihn vorsichtig über die Waldwurzeln zu Tal.

Was meint Ihr, Donna Julia, daß unser Ariost zu dieser Waldnacht sagen würde? fragte er neben ihr hergehend.

Wenn er noch lebte, erwiderte sie mit schwachem Lächeln, so würde er vielleicht seinem göttlichen Gedicht einen neuen Gesang hinzudichten.

Jawohl, und dieser Gesang hieße Julia und Hippolyt und wäre der schönste von allen. Hatte ich nicht recht zu sagen, daß das Leid nur eine andere Form des Glückes sei?

Als sie auf die Landstraße herauskamen, schwang er sich selber auf. Dem Garofalo befahl er, gleich in der Frühe mit dem Spaten auf die Felsenterrasse zurückzukehren und unter einem der nächsten Bäume dem treuen Sacripante ein Grab zu graben, es auch durch ein eingeritztes Zeichen kenntlich zu machen. Der verfemte Mann konnte sich jetzt frei in der Gegend bewegen, denn die ganze Familie seines Opfers war wie seine eigene von den Barbaren verschleppt. Dann sagte Ippolito:

Umfaßt mich fester, Donna Julia, ich lasse jetzt das Pferd laufen. Die Morgensonne darf die Herrin von Fondi nicht barfuß und in Lumpen überraschen.

Im Palaste des Podestà erhielt Julia die erste Pflege und schlief sich gesund, während noch die Freunde nah und fern um ihr Schicksal bebten. Bald sollten schon die ersten Federn angesetzt werden, um in Gesängen, die an den Kardinal Medici gerichtet sind, die »Fliehende Nymphe«, die »Neue Arethusa« zu feiern. Die Gesänge sind fast alle mit ihrer Zeit verweht. Aber der rote Schein der Feuersbrunst, die Solimans Werbung um die schönste Frau der Erde gewesen, glänzt noch durch die Jahrhunderte nach, als ob Fondi seitdem keine anderen Schicksale mehr gehabt hätte.

Dem Retter blieb die Befriedigung versagt, der Geretteten eigenhändig die Schlüssel einer neugesicherten Stadt zu übergeben. Denn anderen Tages kam eine Stafette aus Rom und meldete, daß der Korsarenfürst in Ostia eingebrochen sei und das ganze Gelände tiberaufwärts bis vor die Tore Roms brandschatze.

Immer schlimmer und immer besser, sagte Ippolito zu den Herren von seinem Gefolge. Jetzt wird dem Papst und dem heiligen Kollegium nichts übrig bleiben als vom Schlummer zu erwachen.

Er ließ gleich zum Sammeln blasen, hatte noch eine längere Unterredung mit dem Podestà und wählte aus seinen sichersten Leuten ein kleines Trüpplein unter dem Befehl des ältesten Offiziers für einen besonderen Auftrag aus. Dann ließ er sich bei der Gräfin melden, die ihm nach dem langen Schlaf in frischaufgeblühter Schönheit entgegentrat:

Gebt mir Urlaub, Donna Julia, und laßt mich Eure Hände noch küssen; der Barbarossa ist in Ostia.

In seiner Stimme war der Jubel des Soldaten, dem es endlich vergönnt ist, an den Feind zu kommen.

Aber die Frau erblaßte und stand regungslos, ohne die Augen zu ihm zu erheben.

Und plötzlich erblaßte auch er.

Ich muß Euch sogleich verlassen, Donna Julia, sagte er, ihre beiden Hände fassend, aber Ihr dürft mir hier nicht schutzlos zurückbleiben, solange der Feind in der Nähe ist. Ich habe Herrn Otto von Montauto beauftragt, Euch nach Eurem festen Vallecorsa zu begleiten, wo das Volk Euch ohnehin vermutet. Ihr müßt noch heute ungesehen in der Dunkelheit aufbrechen. Niemand weiß von Eurem Hiersein, als die Hausgenossen und meine Leute, die werden schweigen; es ist nicht nötig, daß die Welt von diesen letzten Ereignissen erfahre. Laßt auch den kleinen Ascan dabei sein, er hat sich bewährt.

Sie nickte und schwieg noch immer.

Warum sieht mich Donna Julia nicht an? Darf ich nicht in ihre Augen blicken, ehe ich scheide?

Da erhob sie schwer die Augen, die von Tränen verdunkelt wären. Und plötzlich hielten sich beide fest in den Armen. Diesmal stieß sie ihn nicht zurück. Seine vertraute Nähe in den Schrecken des Waldes, die wie die eines Bruders war, hatte alle Fremde zwischen ihnen niedergelegt. Draußen tönten aus allen Gassen die Signale des Abmarschs. Julia schaudert. So riefen einst die Hörner ihren Rodomont zum Aufbruch, von dem er nicht wiederkehrte. O nur diesen Einen nicht auch verlieren müssen!

Versprecht mir, Euer Leben zu schonen, fleht sie leise.

Süße, süße Frau! Was hätte denn ich zu fürchten? Wer des Lebens ganz voll ist, den meidet der Tod. Und wer könnte des Lebens voller sein als der Mann, den Julia Gonzaga liebt?

Sie schlingt die Arme fester um seinen Hals, während ein Feuerstrom von Küssen ihr Gesicht versengt und die Welt mit allen ihren Forderungen verschwindet. Für einen Herzschlag lang vergißt sie ihren Schwur, den Fürsten der Kirche nicht zu lieben. Die niedergehaltene Sehnsucht dieser langen, wehen Jahre wächst und schwillt wie ein Dampf, der sein Gehäuse sprengen will. Unter dem Fenster rufen die Trompeten immer lauter und dringender, der Bajazet, von den Stallknechten kaum noch gehalten, wiehert und schlägt Funken, und auf dem Gang fragen schon die Stimmen der Offiziere nach dem geschwinden Führer, der sie herbestellt hat und jetzt ihr eiliges Kommen verwünscht. Da reißen die Zwei sich auseinander. Aber an der Schwelle kehrt er um und umschlingt sie noch einmal: Bewahrt mir Euer Herz, bis ich kommen kann, es einzufordern, um es nie zurückzugeben.


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