Hermann Kurz
Der Weihnachtsfund
Hermann Kurz

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Einleitung.

In demselben November 1854, in dem der »Sonnenwirt« das Licht der Öffentlichkeit erblickt hatte, dachte Kurz an weitere Erzählungen aus der schwäbischen Heimat und wurde von dem unermüdlich treibenden Verleger jenes Romans, Meidinger in Frankfurt, immer wieder darin bestärkt. Gerne wäre er auf der Bahn der Darstellung sozialer Konflikte weiter geschritten. Wenn er früher von einer Darstellung aus dem Bauernkriege geträumt hatte, so dachte er jetzt daran, den Vorläufer desselben, den »Armen Konrad« von 1514 zu schildern. Wenn auch nicht auf diesen, so doch auf andere Gegenstände schwäbischer Vorzeit kam er späterhin zurück, doch nicht mehr in der Form der Novelle. Vorerst aber trat Meidinger mit einem anderen Plan hervor, der rasch Gestalt gewinnen sollte. Er wünschte als Buch für Weihnachten 1855 eine Novelle zu haben; da Kurz diesen Plan aufgriff, aber die vorgeschlagene Wahl eines Stoffes aus der Geschichte der deutschen Dichtung nicht billigte, so wollte er sich auch eine Dorfnovelle gerne gefallen lassen. Kurz ging darauf ein und scheint zuerst an eine novellistische Schilderung aus seiner Vaterstadt Reutlingen gedacht zu haben, wie er solche schon früher mit Glück entworfen hatte. Im Sommer 1855 brachte er längere Zeit bei einem Freunde, dem Pfarrer Buttersack zu Liebenzell im Schwarzwald, zu. Dort wurde die Novelle in kurzer Zeit glücklich vollendet. Sie erschien auf Weihnachten 1855 unter dem dem Inhalt und der Art des Erscheinens angepaßten Titel »Der Weihnachtfund. Ein Seelenbild aus dem schwäbischen Volksleben« (in der 2. Auflage von 1862: »Der Weihnachtsfund. Erzählung aus dem schwäbischen Volksleben«), mit dem Übertitel »Unter dem Tannenbaum«.

Die Novelle ist des Dichters letzte Leistung auf dem Gebiete der objektiv erzählenden Gattung. Er dachte gleich nachher daran, alte Ulmer Geschichten zu bearbeiten, stand aber davon ab. Die 1859 erschienenen »Denk- und Glaubwürdigkeiten« zeigen ihn schon auf der Bahn einer humoristisch-ironisierenden Darstellung in der Art Jean Pauls, auf der ihm noch ein Meisterstück wie die »beiden Tubus« glücken sollte.

Wenn der Sonnenwirt ein großes Zeitgemälde gegeben hatte, so betritt die neue Erzählung das Gebiet der eigentlichen Dorfnovelle im engeren Sinne und Rahmen, wie sie auf schwäbischem Boden von Berthold Auerbach seit einem Dutzend Jahre gepflegt worden war und fast gleichzeitig mit dem Weihnachtsfund durch Melchior Meyr in seinen Erzählungen aus dem Ries bearbeitet wurde. Kurz tritt als ebenbürtiger Meister zwischen beide. Wenn ihn der höhere poetische Flug von dem nüchterneren Meyr entfernt, so steht er in der sprachlichen Behandlungsweise und im Gegenstand ihm doch näher als seinem engeren Landsmann Auerbach. In den Reden der Personen hatte Auerbach, in minderem Maße der Sonnenwirt, gerne nicht den Laut, aber den Rhythmus schwäbischer Zunge nachgebildet, was ihrer Sprache ein starkes Lokalkolorit, aber auch, wenigstens bei Auerbach, öfters etwas Geziertes und inmitten der hochdeutschen Erzählung etwas Buntscheckiges gegeben hatte. Der Weihnachtsfund redet ein planes, kaum durch leichte Lokalanklänge gefärbtes Hochdeutsch, das eher mitunter zu wenig populär klingt. Der Gegenstand scheint frei erfunden, und auch das Lokal ist nicht bestimmt gezeichnet. Wir werden in die intimste Sphäre des Volkslebens, den Verkehr zwischen Mann und Weib geführt, wie bei Meyr fast immer, aber mit mehr Kunst und freier Bewegung als bei dem auf die Länge etwas eintönigen Rieser Erzähler. Jenes lehrhafte Philosophieren, das bei Auerbach oft unangenehm wirkt, ist aufs glücklichste vermieden und ein reiner, behaglicher Gang der Erzählung durchaus eingehalten. Man wird so nicht anstehen, den Weihnachtsfund, das Erzeugnis glücklicher ländlicher Muße, den allererfreulichsten deutschen Dorfgeschichten beizugesellen.



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