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Aus den Memoiren des Grafen von Hayna.

Sein Aufenthalt in Frankreich in den Jahren der ersten Nationalversammlung.

 

Was in Vergangenheit hinter uns liegt, sind wir im Stande klar in seinem Zusammenhange aufzufassen. Wir forschen seiner Quelle nach und sind parteilos, ehe wir selbstthätig forschten und selbsteigen uns überzeugten; wir verfolgen von Stufe zu Stufe die Ereignisse und setzen ihren innern Zweck mit ihrem äußern Erscheinen in Vergleich; wir erkennen den Ausgang, auf den alles lossteuerte; wir fassen die volle Idee der ganzen Thatsache, ohne uns in einen Seitengang zu verirren, der uns abführte von dem Mittelpunkt des Geschehenen.

Für die Begebnisse unserer Gegenwart aber entgeht uns der Sinn einer strengen, klaren Auffassung; wir sind nicht mehr parteilos, ehe wir forschten; wir sind einer einzelnen Richtung preisgegeben und stoßen eine andere mit Vorurtheil von uns; ja wir sind schon in irgend einer Partei geboren und in dem Gewirre der Erscheinungen unserer eignen Zeit entbehren wir der leuchtenden Feuersäule, die uns, wie das Volk Jehovah's, durch die Wüste des Lebens leitet.

So geschieht es, daß der strengste Philosoph die Idee der Wirklichkeit, die ihn umgiebt, nicht mehr zu fassen vermag, während das Geheimniß der Vergangenheit, die ganze Weltgeschichte, dem Auge seines Geistes unverhüllt vorliegt. – Die Geschichte der französischen Umwälzung hat kein Zeitgenosse verstanden; sie wird erst deutlich werden, wenn die Leidenschaften schweigen.

Paris und Versailles galten am Ende des vorigen Jahrhunderts dem jungen Adel Deutschlands für die einzige Schule der feinen Bildung. Jugend und Reichthum, und bei dem frühen Tode meines Vaters, gänzliche Unabhängigkeit bestimmten mich, sie dort aufzusuchen. Charakterlos, wie ich war, fesselten mich die Reize einer raffinirten Geselligkeit; der Luxus des verschwenderischen Hofes blendete mich, daß ich dort alles für sicher begründet, für ein ewig dauerndes Dasein hielt, ohne zu ahnen, daß der Boden, auf dem ich wandelte, vulkanischer Natur war. Ich stürzte mich in einen Taumel sinnlicher Lüste, ich war vergnügungssüchtig bis zur Ausschweifung, ich war ausschweifend bis zur Sittenlosigkeit und verlor den sittlichen Halt für ein festes, wandelloses Lebensglück.

Die Versammlung der Stände in Versailles hielt ich Anfangs für einen bloßen Comité, welcher zusammenberufen war, um den financiellen Zustand des Staates zu verbessern und man sah noch keine Gefahr darin, neben den politischen Unruhen seinem Vergnügen nachzugehen, wozu der junge lasterhafte Adel sich damals für berufen hielt. Jene Clubs, welche daneben und eigentlich ungesetzlich existirten, galten mir für nichts als eine Zusammenrottung Mißvergnügter, denen der Zustand der Dinge überhaupt nicht gefiel und an die ich mich anzuschließen bald geneigt fand, theils um die Langweile zu füllen, welche die rauschenden Vergnügungen, in denen ich lebte, noch übrig ließen, theils aus Freundschaft zu St. Beaumont. Auch erhielten die Clubs erst später in Paris unter dem Namen der Jakobiner jene furchtbare Bedeutung, als man die Zusammenkünfte in die Kirche eines aufgehobenen Jakobinerklosters in St. Honoré verlegte, als Orleanisten Zutritt erhielten und die Rigoristen, unter dem Namen der Cordeliers, sich trennten, an deren Spitze jene Danton, Marat standen, die, vom schrecklichsten Fanatismus geleitet, durch Verbrechen ihr Vaterland zu beglücken, durch Dolch und Gift Gerechtigkeit in die Welt einzuführen und durch die furchtbarste Anarchie Ordnung wiederherzustellen wähnten.

In den Gesellschaften, die ich von Anfang an des Abends besuchte und in denen sich viele von der Armee und junge Edelleute überhaupt zu versammeln pflegten, um neue Genüsse für die Nacht oder den nächsten Tag zu verabreden, machte ich nämlich die Bekanntschaft des Herrn de St. Beaumont, welcher die Clubs, wie ich heimlich erfuhr, schon damals besuchte. Er hatte sein mäßiges Vermögen verschwendet, wozu er allerdings in dem Umgange, den er mit den Reichsten und Vornehmsten unterhielt, genöthigt war. Ein Cavalier, der sein Geld durchgebracht hatte, war nach den damaligen Grundsätzen in meinen Augen mindestens ein anziehender Gegenstand der Achtung und Bewunderung. Er hatte das Seinige gethan, die Welt vollauf zu genießen, zu den eiligsten Schwingungen hatte er den trägen Gang der Zeit beflügelt, ein reiches Leben lag hinter ihm, das er in den mannichfaltigsten Verhältnissen kennengelernt; und nun stand er fertig da in seiner vollendeten Persönlichkeit, auf der höchsten Stufe der geselligen Kultur.

Ich fühlte eine wahre Hinneigung zu Beaumont; der edle Anstand, die feine Grazie seines Wesens, die freisinnige Weise seiner Aeußerungen, seine ganze Persönlichkeit galt mir beneidenswerth und ich hatte das Glück, seine Freundschaft zu gewinnen. Seitdem die Quellen, aus denen Vergnügungen und Lustbarkeiten geflossen, ihm versiegten, verlor er auch den Sinn dafür und sein Geist, der nach Beschäftigung und neuer Thätigkeit strebte, fand in den politischen Unruhen einen neuen Reiz. Ja er wurde Anfangs sogar von dem Wahne geleitet, sein Interesse mit der Umwälzung der Formen des Staates in Verbindung zu setzen und es ward ihm nicht schwer, in den Jacobinerklubs seinen Adel abzulegen und seiner Gesinnung nach ganz Bürger zu sein, während seine Familienverhältnisse ihn immer noch an die Hofpartei fesselten, woraus er allein im Stande war seine schwankende Existenz zu sichern.

Beaumont huldigte auf die feine Weise, die ihm zu Gebote stand, meiner Eitelkeit und er besaß dafür mein unbegränztes Vertrauen. Durch seine Vermittlung ward mir unter verändertem bürgerlichen Namen der Zutritt zu einem der Clubs eröffnet, den ich nun eben so eifrig, als die Versammlung der Stände, besuchte.

Diese Versammlung des dritten Standes zu Versailles, die sich jetzt, theilweis mit Widerstreben des Adels und der Geistlichkeit, endlich aber nach scheinbarer Vereinigung aller drei Stände, als Nationalversammlung constituirte und permanirte, gewährte damals das großartige Schauspiel öffentlicher, freimüthiger Berathungen, welche begeisterte, aber klare Köpfe über das Wohl der Menschheit und die Erneuerung veralteter Staatsformen anstellten.

Mirabeau, der kühne Denker, der stürmische Redner, den der Adel aus seiner Mitte gestoßen, La Fayette, der edle, starke Mann, Bailly, der milde, gemäßigte Vermittler, nebst Sieyès, dessen philosophisch speculativer Geist auf Allgültigkeit seiner gewagten Theorien drang, diese waren damals die Seele der Versammlung. Frei von Verblendung und einseitiger Begeisterung, welche später als Fanatismus zum Werkzeuge der Hölle wurde, wollten diese Männer das Wohl der Monarchie und bezweckten ein constitutionelles Königthum, wo Fürst und Volk, gegenseitig gesichert, zur Beglückung der Menschheit die Hand sich reichten.

Der neuerwachte Zeitgeist verlangte Abschaffung der Lehnsverfassung, das aufdämmernde Bewußtsein der Nation machte Neuerungen erforderlich, die der volkliebende Ludwig selbst wünschte und bewilligte, dagegen die Pedanterei des Hofes und der Adel nebst der Geistlichkeit, im verjährten Besitze der Vorrechte, zu hemmen suchten.

Ludwig war der beste, aber zugleich der schwächste der Könige. Theils geleitet von der natürlichen Güte seines Willens, theils Werkzeug der tyrannischen Hofpartei, ward er ein Opfer der Leidenschaften seiner Zeit. Diese antirevolutionäre Sekte, an deren Spitze die Königin und die Prinzen des Hauses standen, handelte unsinnig, unverständig und störte das großartige Walten einer freisinnigen, aber nichts weniger als willkürlichen, sondern in jenen ersten Zeiten des Maßes sich bewußten Versammlung der Volksvertreter. Man zog Truppen nach Versailles, man bewirthete die Officiere und suchte sich ihrer Ergebenheit gewiß zu machen.

Es war am ersten October des zweiten Jahres der Nationalversammlung, wo der Hof dieß allgemeine Aergerniß gab. Zum Platze des Gastmahls ward der große Schauspielsaal gewählt, sonst nur ein Ort, wo die Feier einer königlichen Vermählung stattzufinden pflegte. Die Kapelle des Königs bekam Befehl zu spielen. Man brachte, berauscht von royalistischen Gefühlen, die Gesundheit der Königsfamilie stürmisch aus und verachtete es, auf das Wohl der Nation die Becher zu leeren, während die Garden als Zuschauer im Hintergrunde standen.

Auf Einmal erschien der König selbst in seiner einfachen Würde, im bescheidenen Jagdgewande, die Königin mit ihm, den Dauphin auf dem Arme. Ein allgemeines Zujauchzen begleitete den Eintritt; mit jedem Augenblicke stieg der Enthusiasmus für diesen König; der Champagner floß in Strömen, die Sinne taumelten und selbst die, welche den Tag vorher noch jacobinisch gewesen, wurden fortgerissen vom allgemeinen Jubeltakt und vergaßen den alten Tick, daß ein freier Bürger in beschränkter Monarchie mehr sein könne, als in unumschränkter ein Fürstenknecht. Mit gezücktem Schwerte in der Hand trank man das Wohl der Majestät: es war ein Schwur, der alle band, Leben und Heil für die Person des Monarchen zu opfern, und als der sanfte Ludwig sich entfernte, entzückte die Gemüther jene Arie in süßer Melodie: »O Richard, o mein König, von aller Welt verlassen!«

Dieses Gastmahl, das sich für die verschiedenen Heeresabtheilungen wiederholte, mußte die Spannung der Gemüther vergrößern und das Volk in Paris, wo zu gleicher Zeit eine Hungersnoth ausbrach, auf das Höchste erbittern. Der allgemeine Unwille gegen den Hof stieg zur Wuth und der Mangel an Brot war die Losung zum Ausbruch. Schrecklich, wenn der Mann die bestimmte Sphäre eines verständigen Wirkens verläßt und eine Schwärmerei des überwiegenden Gefühls ihn fortreißt: schrecklicher noch, wenn das Gemüth des Weibes eine solche Verirrung ergreift. Eine Leidenschaft, die das Weib aus den Grenzen eines gemüthlichen, häuslichen Wirkungskreises hinauszutreiben vermag, die dessen angeborne Schüchternheit, ihre instinctartige Treue am Althergebrachten, überwindet, ist von der schrecklichsten Gestalt; die Fesseln des Verstandes, die das gefühlvolle Geschlecht schon im Allgemeinen weniger binden, werden gänzlich abgestreift und das Weib, sonst die Krone der Schöpfung, die der Herr als sein Liebstes bis zuletzt sich aussparte, dem Naturtriebe preisgegeben, wird zur Furie, gleich dem wilden Thier der Wüste.

Ein zartes Mägdlein in Paris, vom Fanatismus getrieben und vom Hunger gepeinigt, stürzte in ein Wachhaus, ergriff eine Trommel und lief sie wirbelnd durch die Gassen der Stadt mit dem Ausruf: Brot! Freiheit! Ein Haufe Weiber, längst schon harrend auf ein Signal, rottet sich zusammen. Sie stürmen in das Stadthaus und fordern Brot und Waffen; die Vorrathshäuser werden erbrochen, die Sturmglocke ruft alle zu Hülfe, ganz Paris ist im Aufruhr und die wüthenden Weiber machen sich unter Anführung eines der sieben Gefangnen, die aus der Bastille ein Jahr vorher befreit waren, eilends auf den Weg nach Versailles. Die Nationalgarde will folgen; ihr Befehlshaber, La Fayette, widersetzt sich: umsonst, er selbst muß sie führen. –

Der Hof erbebte bei der Ankunft des rebellischen Haufens die Grenadiere greifen zu den Waffen und umringen das Schloß; das Getümmel nimmt zu, Blut fließt auf beiden Seiten, bis La Fayette's Annäherung den Tumult beendigte. Er führte die Königin an das Fenster, er, damals noch der Mann des Volkes, küßte ehrerbietig ihre Hand, der König erschien mit der dreifarbigen Kokarde: man rief ihm ein Lebehoch, die Leidenschaften waren für dießmal befriedigt und gestillt.

Seit dieser Zeit dachte die königliche Familie auf Flucht. Obwohl der König jetzt noch die Volksgunst wiedererlangte, so wurde man doch immer argwöhnischer gegen ihn, je schwankender sein Benehmen ward. Obschon er die neue Ordnung der Dinge bestätigt, und mitten in der Nationalversammlung erschienen war, so traute man doch selbst seiner eigenhändigen Erklärung nicht, seitdem die Hofpartei unter den Grafen von Artois und der Provence, den königlichen Brüdern, ausgewandert war. Wollte er die Revolution unterdrücken: wie günstig wäre eine Flucht und eine Rückkehr an der Spitze der östreichischen und preußischen Heere dazu gewesen; blieb er in Frankreich, so gereichte die geringste Zögerung bei der Annahme der neuen Gesetze schon zum stärksten Verdachte. Er hatte von den Zudringlichkeiten der Plebejer viel zu leiden, dennoch mußte er ihnen in immer gesteigertem Maße huldigen, da er einmal angefangen, auf die Gunst des Haufens zu bauen, wenn er nicht sinken wollte; Jacobiner auf der einen Seite und die aristokratische Hofpartei auf der andern, störten fortwährend das gute Vernehmen zwischen Volk und König; in der zweiten Nationalversammlung wurden die Demagogen immer kühner, weil die Aristokraten ihnen mehr in den Weg legten und ihr Einverständniß mit den Feinden des Landes drohender ward.

Die Entweichung des Königs, das fühlten wir damals schon, mußte die Scheidewand zwischen ihm und der Nation unübersteiglich machen; das galt für Verrath an der Sache des Vaterlandes; auf einen solchen Schritt hatten die Jacobiner gewartet, um die Unverletzbarkeit der Majestät, die Mirabeau's Scharfsinn aufrecht gehalten, in Zweifel zu ziehen. In Varennes ward Ludwig verhaftet; die königliche Familie nach der Hauptstadt transportirt. Wir trieben uns schon lange in Paris herum und waren nun Zeugen vom Einzug des Königs. Unermeßlich war die Menge, die in den Straßen auf und nieder wogte; Schritt für Schritt bewegte sich der Zug im Gedränge vorwärts. Es war das Erstemal, daß Ludwig öffentlich erschien ohne den Jubelruf des Volkes zu vernehmen. Noch wagte der Unwille nicht, sich laut zu äußern; ein banges, dumpfes Schweigen herrschte unter all den Tausenden, man hörte nur das Wogen der Menge, hier und dort ein leises Gemurmel, sonst aber schwebte eine ängstliche Todesstille über ganz Paris; mich überkam die Ahnung von Ludwigs bald erfolgtem Tode. –

Wild war der Sturm, der in der Versammlung des Volkes tobte; republikanische Ideen wurden allgemein, die Nationalversammlung hielt sich jetzt für souverän. Vom Altare des Vaterlandes auf dem Märzfelde redeten Danton und Camille Desmoulins die schwärmerische Menge an; sie lasen eine an sie gerichtete Bittschrift vor, welche auf die Absetzung des Königs drang, weil seine Entweichung eine Abdankung von seiner Seite gewesen sei. Der Gemeinderath war im Hause der Invaliden versammelt. Die Menge strömte dorthin, um die Schrift zu überreichen; man stürmte das Haus, mehrere Invaliden wurden getödtet. La Fayette nahte an der Spitze der Nationalgarde, Bailly, der Maire von Paris, begleitete ihn. Nieder mit der rothen Fahne! schrie der wilde Haufe und empfing die Garde mit Steinwürfen. La Fayette ließ blind in die Luft feuern; vergebens, die Menge antwortete mit Hohn, bis eine zweite scharfe Ladung Hunderte zu Boden streckte, da zerstieb der Haufe. –

Dieß war ein Vorspiel zu den blutigen Ereignissen des zehnten Augusts. Zwar hatte die bewußte, verständige Partei der mäßiggesinnten Vaterlandsfreunde noch gesiegt, aber zum Letztenmal; sie bluteten bald oder verloren Macht und Einfluß, und die wilden, bacchantischen Schwärmer aus der Hefe des Volkes triumphirten.

Das Blut des Königs sah ich nicht mehr fließen; ein günstiges Geschick ließ uns das Land des Schreckens fliehen. Aber alles geschieht in Revolutionen stufenweise und in strengster Consequenz. Die Umwälzung begann mit einer Reformation, einer gesetzmäßigen Umwandlung der Staatsformen, die der König selbst bezweckte und begünstigte. Wird erst die Majestät des Monarchen angetastet, der über allem Urtheil der Zeitgenossen erhaben und unverletzbar dastehen muß, wenn er Herrscher bleiben soll, wagt es das Volk erst, von Fanatikern irrgeleitet, seine Unfehlbarkeit und Heiligkeit in Zweifel zu ziehen, so sucht man anfangs als Tyrannei, die keinem Sterblichen zukomme, diese Allmacht des Herrschers zu beschränken; aus einem unumschränkten König wird ein constitutioneller. Das war das Werk der ersten Nationalversammlung.

Aber der Pöbel hatte schon zu sehr seine Bedeutung kennengelernt, weil die Reformation des Staates nicht von der Regierung lediglich ausgegangen war. Die Vernunft des rohen, natürlichen Menschen, wenn sie noch Vernunft genannt werden kann – einmal erwacht zu willkürlicher Thätigkeit, entblößt sich nach und nach aller Fesseln, welche Kultur und Religion ihr auferlegten, das Werk von Jahrhunderten der Menschengeschichte wird zertrümmert und der Mensch, in seine Natürlichkeit zurückversetzt, stürzt sich in Zügellosigkeit, die er Freiheit nennt. Die droits de l'homme sind dann nicht mehr bildende und bindende Gesetze der Moral, Religion und der Kultur eines weit vorgeschrittenen Säculums; sie sind die Rechte des freien Nomaden, dem nur sein Bedürfniß Vorschriften giebt, sie sind die frevelhafte Willkür des Thieres der Wüste, dessen Seele ein böser Geist entzündet und zum Spiel seiner tückischen Lüste macht.

Anfangs war die Losung: Befreiung des niederen Volks von den drückenden Lasten, Freiheit, Constitution; bald aber schrie der Pöbel: Gleichheit Aller im Innern und Aeußern; Brüderschaft unter Allen und gemeinsames Gut; fort mit den Bildungsanstalten, keiner soll durch Gaben des Geistes mehr als der andere gelten; fort mit Kirche, Altar und Bibel, keiner soll durch Frömmigkeit, durch stille Tugenden des Gemüthes vor dem andern einen Vorzug behaupten. –

Tiefer konnte die Menschheit nicht sinken und die Zeit des Terrorismus, wo der Pöbel als Souverän galt und die Tyrannei einzelner Ungeheuer, die nur scheinbar im Dienste desselben standen und ihm huldigten, alles lenkte, war der Gipfel der Revolution. Der neunte Thermidor des Jahres 94 endigte die Herrschaft der Menge und der wahnsinnigen Schwärmer, die ihre Organe waren; von nun an kehrte man allmählig dahin zurück, von wo man ausgegangen war.

Die Parteien, lange aus einander gehalten durch Mißverständnisse der blutigsten Art, näherten sich langsam, selbst die verstockten Realisten traten wieder an das Tageslicht. Die Achtserklärung gegen Adel und Geistlichkeit war schon ausgehoben und tüchtige Männer traten an das Ruder des Staates, während nicht mehr der Pöbel, sondern eine Auswahl verständiger Bürger sich berieth und Stimme gab.

Die Stände begannen sich wieder, wie es in der Natur der menschlichen Gesellschaft liegt, zu sondern und zu gliedern; es fehlte nur noch die Einheit, die alles dauernd zusammen hielt; man fühlte das Bedürfniß nach einer Concentration des Ganzen und diese trat in Napoleon hervor, dem, bei allem Tadel, der seine Persönlichkeit trifft, für Frankreich das Verdienst zufällt, die noch revolutionären Stoffe und die gährenden Gemüther, freilich durch einen neuen Taumel militärischer Begeisterung, gebändigt und den noch glimmenden Funken der Revolution in der Asche erstickt zu haben.

Jedoch schon unter dem Directorium waren die Gemüther des Staatslebens müde. Man warf sich plötzlich in ein schwelgerisches Privatleben; man schien alle Ideen, denen man im bacchantischen Taumel gehuldigt, die man mit Feuer und Schwert durchgesetzt hatte, vergessen zu haben und suchte sich in Lustbarkeiten der höchsten Potenz zu erholen. Die Herrschaft der Sanscülotte war vorüber in der Masse des Volkes, die Reichen zogen durch ihre Festlichkeiten die Aufmerksamkeit wieder auf sich; dem Cynismus der Freibürger folgte der Sybaritismus der frühern Zeit, und Napoleon, Kaiser geworden, fühlte alle Bedürfnisse eines Monarchen und einer Monarchie; selbst mit einem Erbadel umgab er wieder den Glanz des Thrones.

Es war nur wenige Wochen nach der Gefangennahme des Königs, als Beaumont und ich nur durch die schleunigste Flucht dem Tode entflohen, der freilich mehr aus Privathändeln für uns hervorgehen konnte. Seitdem Mirabeau gestorben war, Bailly Amt und Ansehen verloren und La Fayette, um nicht ein Werkzeug der Terroristen zu werden, seine Würde niedergelegt hatte, war die mäßige Partei ihrer Stützen beraubt, und die Auswanderungen wurden zahlreicher. Je mehr der Jacobinerklub seinen ursprünglich philosophischen Karakter verlor, desto mehr trennten sich die Gutgesinnten von ihm und wir schlossen uns an sie und stifteten einen neuen Verein, der unter dem Namen des Clubs vom Jahre 89 die constitutionelle Monarchie aufrecht zu halten bezweckte. Dieß mußte für Beaumont um so nachtheiliger werden, weil Alle, die zum Adel gehörten, sie mochten dessen Rechte vertreten oder befeinden, im gefährlichsten Verdachte standen und weil man ausfindig machte, daß er sogar in Verbindungen mit der Partei des Hofes seine Existenz zu sichern fortführe.

Beaumont war redlich; und diese Tugend, verbunden mit jener Freisinnigkeit, die mir an ihm so wohl gefiel, war in den damaligen Zeiten schon gefahrbringend genug. Unvorsichtigkeit jedoch von seiner Seite war es, daß er jene Gebrüder Arnot in einer Abendgesellschaft auf das Heftigste erbitterte. Sie hatten ausgewittert, daß ich unter fremdem Namen in die Gesellschaft aufgenommen war, und sie brachten in Vorschlag, uns beide aufzufordern, der ganzen Versammlung Rechenschaft davon abzulegen. Vor unserm Erscheinen stimmte man schon über unsere Schuld und Nichtschuld. Beaumont fand Vertheidiger, denen sein Benehmen nicht zweideutig erschienen war; gegen den deutschen Grafen, dessen Namen man ermittelt, stimmte alles zur verdienten Todesstrafe.

Da die beiden Arnot die Versammlung zu keiner bestimmten Entscheidung über Beaumont vermögen konnten, so suchten sie die Privathändel, die er mit ihnen gehabt, wieder hervor und forderten blutige Genugthuung, theils für den Schimpf, der ihnen in öffentlicher Gesellschaft angethan, theils damit er sich von dem Verdachte, mit der Königspartei im Einverständniß zu sein, reinigen könnte; den deutschen Verräther beschlossen sie am Abend vorher beim Eintritt in den Klub zu erstechen.

Beaumont übersah das Unheil, das ihm und dem Freunde drohte; er war entschlossen, dem Doppelduell zu entfliehen und mich zu retten. Er eilte nach meiner Wohnung, während der Abend schon hereinbrach, an welchem mein Tod beschlossen war; er fand mich nicht. Er durchspähte alle Oerter, die ich zu besuchen pflegte, nirgends war mein Aufenthalt zu entdecken. Mit einem Stockdegen bewaffnet, eilte er endlich, in der fürchterlichen Ahnung von des Freundes schon vollzogener Ermordung, nach der Straße in St. Honoré, um mich am Eingange des Klosters zu erwarten. In einen Winkel gedrückt, von wo aus die Straße übersehen werden konnte, gewahrte er zwei Männer, in Mäntel gehüllt. Niemand anders als die beiden Arnot, welche in eine Seitennische traten, als vom Ende der Gasse ein Wagen herbeirollte.

Es war der gewöhnliche Abend, wo ich in der Woche einmal den Klub noch zu besuchen pflegte, damit mein plötzliches Zurücktreten nicht allzusehr auffiele. Mein Wagen hielt, ich stieg aus und befahl dem Kutscher, den Rückweg anzutreten. Da sprangen die beiden Arnot auf mich zu, die ich in der Dunkelheit nicht erkannte; ich fühlte mich hinten und zur Seite ergriffen und taumelte vor Schreck, des Anfalls nicht gewärtig, zu Boden. In demselben Augenblick stürzt Beaumont mit gezücktem Degen auf die Mörder, stößt den einen über den Haufen, den andern, der den Dolch auf meine Brust setzt, trifft seine Klinge.

Ich hatte mich aufgerafft und schleuderte den zweiten Arnot von mir. Er stürzte in den Kanal und sein wildes Geschrei war uns weiter nicht hinderlich, es mahnte uns nur zur schleunigsten Flucht. Wir konnten uns nicht nach dem Unglücklichen umsehn, den Beaumonts Degenstoß wahrscheinlich ganz zur Ruhe gebracht hatte, es war selbst keine Zeit vorhanden, meinen Retter zu umarmen; wir eilten im schnellsten Laufe nach meiner Wohnung, um noch in derselben Nacht Paris zu verlassen.

Das Glück war uns günstig und wir erreichten ungefährdet die Grenze. Beaumont hegte noch die Hoffnung, in sein Vaterland zurückzukehren; deßhalb schloß er sich an die Emigrirten, welche von den östreichischen und preußischen Kabineten begünstigt, Mainz zu dem Mittelpunkt ihrer Unternehmungen machten.

Des Umherschweifens müde, war ich froh, dem heimischen Boden wieder anzugehören und warf mich mit Eifer in eine practische Thätigkeit, wozu die Verhältnisse meiner Familie zum Hofe mir eine würdige Laufbahn eröffnen mußten, während Beaumont der Feldzug in der Champagne beschäftigte. Trostlos über das Schicksal seines Vaterlandes, kehrte er nach dem Frieden zurück und gab meinem Wunsche Gehör, auf meinen Gütern den Zufluchtsort zu finden, der ihm nirgends offen stand.

Um in treuer Gemeinschaft die Drangsale der politischen Welt zu vergessen, wollten wir im Familienleben die Entschädigung suchen. Wir vermählten uns an demselben Tage, Beaumont mit der Tochter eines östreichischen Obersten, der ihn lieb gewonnen hatte, mich beschränkten die Verbindungen, die ich in Darmstadt angeknüpft, in der Wahl, die in möglichster Freiheit einem Jeden gestattet sein sollte.

Unsere Ehen waren unglücklich, Beaumonts, weil sie der Tod im nächsten Jahre trennte, die meinige, weil sie ohne Vereinigung der Gemüther nur ein äußeres drückendes Band war. So wurden wir denn enger auf unsere Freundschaft zurückverwiesen und sie blieb uns der schönste Ersatz während der Unglückszeit der deutschen Nation, bis der Tod von der Hand jenes Arnot, dem Beaumont entflohen war, ihn dennoch erreichte. –

Sollen wir die Schicksale des Menschen für vorherbestimmte, unentfliehbare Naturnothwendigkeit halten, und, des freudigen Muthes zu selbsteigener Thätigkeit beraubt, einem dumpfen Glauben an die Ohnmacht des menschlichen Willens huldigen? Oder sollen wir die seltsam verworrenen Wege des Geschickes für Zufall ansehen? Dann bedürften wir eines Leichtsinns, der uns auf den Wogen des Lebens immer mit dem freudigsten Uebermuthe beseelte, der uns aber im Drange der Gefahr treulos verläßt.

Am besten, wir hoffen mit treuer Demuth und verharren in stiller Zuversicht, wenn wir, von irgend einem Ungefähr bedroht und unterdrückt, nicht mehr Meister unserer Thaten und unserer Schicksale bleiben können. Nur zertrümmert nicht die Naturbedingungen, denen euer Leben, oft durch Geburt und angeborne Verhältnisse schon, anheimgefallen ist. Es ist gleich unheilvoll, Revolutionär zu sein im Staate und der geschichtlichen Entwicklung eigensinnig vorzugreifen, als die Familienverhältnisse willkürlich zu revolutioniren, indem uns irgend eine Leidenschaft, die uns Anfangs zu beglücken scheint, aus dem angewiesenen Kreise hinaustreibt und uns irgendwo ein neues, ungesetzliches Verhältniß eröffnet. Füget euch der Naturnothwendigkeit mit stiller Ergebung und mit thätiger Liebe und ihr findet Freiheit des Willens genug in jedem Wirkungskreise. –

Für euch, meine Söhne schrieb ich diese Worte. Sie sind das Resultat meines Lebens, das von Verirrungen nicht frei blieb, dessen Erfahrungen mir aber eben deßhalb die Pflicht zu reden und zu warnen, auferlegten.

Du, mein Sohn Cäsar, der einen gesicherten Wirkungskreis im Staatsleben gefunden, sei eifrigst bemüht, dir ein festes häusliches Verhältniß zu gründen; werde der Gatte eines edlen, tugendhaften Weibes, das du dauerhaft lieben oder, was hinreichend ist zum Glück der Ehe, wahrhaft achten kannst, und hast du irgendwie mit eigensinniger Laune eine Verbindung angeknüpft, die nicht für die Dauer eines Menschenlebens berechnet ist, sei verständig, zerstöre nicht dein Lebensglück; aber wenn ein Herz darüber brechen sollte, suche das Mißverhältniß in ein richtiges Gleis zu bringen. –

An dich, mein Sohn Otto, ergeht die strenge Mahnung, zur Pflicht des Bürgers zurückzukehren und den aberwitzigen Grillen, den Zustand der deutschen Staaten zu reformiren, nicht weiter nachzulaufen, denn sie führen nur zum Verderben. Die Verbrüderung der akademischen Jugend, jetzt noch frech und ungestüm in Worten, wird in Unthaten sich äußern und mit Verbrechen enden. Schon seh' ich's im ahndenden Geiste vorher, wie ein Verruchter den Dolch erheben wird zur schwarzen Höllenthat! Wirst du einst mit Verbrechern in Verbindung erfunden, Otto, dann will ich im Grabe mich umkehren und will dir als Geist mein drohendes, zorniges Antlitz zeigen, um dich an mein Wort zu mahnen. Und wer sind denn diese deutschen Revolutionäre? Die Aristokraten sind ja mäßig und lassen ab von der Anmaßung der früheren Zeiten; das Volk ist ruhig und freut sich des Friedens: nur einige schwärmende Jugendköpfe schreien nach Freiheit und Brüderschaft, ohne daß die Nation ein Bedürfniß fühlt nach solchen weitläufigen, zweideutigen Begriffen, die sich elastisch drücken und dehnen lassen. –

Mein Sohn, ich war immer nachsichtig gegen deine Schwächen, da du mir die Unehrlichkeit deiner Geburt zum Vorwurf machen durftest; ich beschwöre dich noch einmal am Ende meines Lebens, kehre zurück und suche dir ein stilles, gesichertes Glück im Kreise des Familienlebens. Dir galten die letzten Thränen, die ich weinte; störe nicht den Schlummer deines Vaters im Grabe. –


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