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Eine feuchte Herbstnacht lag auf der Dommitscher Heide bei Torgau. Es war die Nacht, die dem dritten November folgte, als dem Tage jener Schlacht, die der große Friedrich dem Marschall Daun lieferte. –

Man mag das volle Brausen des Gewittersturms auf dem Meere schrecklich nennen; aber der Moment kurz darauf, wenn der Blitz in den letzten Zuckungen und die Wuth des Donners im letzten Grollen erstirbt, der Moment ist schrecklicher, denn er ist öder, wüster und giebt Raum zur Betrachtung der Zerstörung rings umher. So auch hier, als die einbrechende Nacht dem Gewühle des blutigen Treffens ein Ende machte. Was kalte, berechnende List, was raffinirter Scharfsinn, von Schnelligkeit und Keckheit unterstützt, gegen die Uebermacht der Masse des Feindes zu leisten vermochte, war geschehen von preußischer Seite; die höchste Anstrengung geschah von beiden Theilen im blutigen Tagewerk, dann Ermattung hier und dort; nun war's Zeit zum Schlafengehen, und viele Tausende ruhten auch schon im ewigen Schlafe.

Unzählige Leichen benetzten mit ihrem Blute die dürre Heide und aus den Todtenhaufen krochen die Verwundeten hervor, um das Bischen Leben noch eine Strecke weiter zu schleppen, oder saßen unbeweglich da und erwarteten mit bangem Gewimmer den Tag, der ihnen Hülfe bringen sollte. Oestreicher und Preußen lagen neben einander in vertrauter Nähe, denn der Tod, der versöhnlicher Natur ist, beendet den Zwiespalt des Lebens; aber auch unter den Verwundeten half einer dem andern auf, ob's Freund oder Feind war, oder wusch ihm mit Wasser aus der eigenen Feldflasche die Wunde, die er ihm vielleicht selbst geschlagen hatte. Am Rande des Todes schien der Haß der Nationen nicht mehr zu gelten, die allgemeine Menschenliebe liegt ja auch in der menschlichen Seele tiefer begründet.

Niemand aber wußte, wer Sieger und Meister des Platzes geblieben war; erst der nächste Tag wies aus, daß die weichenden Oestreicher sich als überwunden ansahen. Marschall Daun war während des Treffens verwundet und hatte den Oberbefehl abgetreten, König Friedrich selbst, hieß es, habe einen Streifschuß am Arme erhalten; alles eilte jetzt, um unter sicherem Obdach Heilung und Linderung zu suchen; das ganze Leichenfeld schien wieder lebendig zu werden, und, während die Verwundeten sich hier und dorthin schleppten, schienen die Todten aufzuerstehen, um die getrennten, verlornen Glieder zusammen zu suchen.

Es war bereits das fünfte Jahr des dritten Schlesischen Krieges. Preußen hatte die letzte waffenfähige Mannschaft zur Schlachtbank geliefert; ganze Schaaren junger achtzehnjähriger Bursche aus Pommern und Brandenburg hatte man unter Friedrichs Fahnen gesehen, deren Muth und Stolz auf den Helden, der sie führte, die fehlenden Jahre ersetzte, und die bei Torgau nun hingestreckt lagen oder wimmernd vor den Schmerzen der blutenden Wunden in der kalten Nacht auf der öden Heide ihr nur noch halbes Leben verwünschten.

Von den Grenadieren waren ganze Züge durch die feindlichen Kartätschen niedergestreckt und lagen, noch im Tode das strenge Kommando achtend, fest in Reih und Glied neben einander. Unter ihnen war auch Sebastian, ein junger Pommeraner, mit dem Kopfe vorüber gebeugt, mit dem Leibe über einen feindlichen Krieger hingestreckt. Er schien nicht tödtlich getroffen, denn er war ohne blutiges Mahl. Der Tod, der in den Reihen seiner Kameraden blind wüthete, hatte ihn nur im Vorübergehen gestreift; ein Kolbenschlag gegen die Stirn hatte ihn in todtenähnliche Betäubung versetzt, aus der er noch einmal zum Leben erwachen sollte.

Der feindliche Krieger unter ihm raffte sich plötzlich auf, ein erwachendes Leben schien seine Muskeln zu durchzucken und er schleuderte den Preußen, der über ihm lag, kräftig zur Seite, um sich Platz zu schaffen, fiel aber dann noch einmal wüthend über ihn her und schien wie ein Wahnsinniger in seinen Eingeweiden wühlen zu wollen. Es war nicht Mordlust, die den Oestreicher trieb, es war glühender Durst nach einer Labung, die er heulend und wehklagend in den Kleidern des Preußen zu finden hoffte.

Sebastian erwachte aus seinem Todeskampfe durch die unsanfte Berührung, er schlug die Augen auf.

Lebst du, Kamerad? schrie der Oestreicher und umschlang mit beiden Armen seinen Leib; bist du lebendig, Leiche? ich hätt' dich halt' noch 'mal erwürgt.' Gieb mir einen Schluck Branntwein, Bruder, mich dürstet und der Tod ist kalt.

Sebastian, der, aus dem Schlaf erwachend, sich noch in dem Getümmel der Schlacht und mit den Feinden im Handgemenge glaubte, wollte nach seinem Gewehre greifen, aber ein Blick umher zeigte ihm nur Nacht und Leichen und ein Fieberschauer schüttelte seine Glieder, während der sterbende Oestreicher immer noch wimmerte: Kamerad, der Tod ist kalt!

Wart, Bruder, rief Sebastian, der sich nun ganz wieder erholt und zurecht gefunden hatte, hier ist ein Schluck Branntwein.

Er zog die Feldflasche hervor und reichte sie dem Bittenden. Dieser aber krümmte sich schluchzend zum letzten Todeskampfe und lag todt in Sebastians Armen, der, mit ihm am Boden liegend, ihn mitleidig eine Weile betrachtete.

Die Labung kam zu spät beim armen Kerl, sagte Sebastian darauf mit trockener Rührung, seine Seele hat reißaus genommen, der Succurs blieb zu lange; aber so ein Schluck von diesem Nordhäuser hätt' ihm noch für eine Weile Spiritus auf die Lebenslampe gießen müssen. Genau genommen, fuhr er sinnend fort, sterben wir doch alle am Frost; von den Füßen fängt er an und wirbelt sich so her auf bis er einen in's Genick faßt; verbrennen thut keiner, denn wo viel Hitze ist, da ist viel Leben. Verbrennen thut keiner, wiederholte er langsam, schob den todten Oestreicher sacht bei Seite und that einen langen kräftigen Zug aus der Flasche.

Br! es ist kalt hier! schrie der Pommer und raffte sich vom Boden auf. Was Wunder auch! es steht November und erstes Mondviertel im Kalender und man lag hier unter lauter Todten. Wunderlich! da steh' ich wieder auf meinen gesunden Beinen und dacht' schon vorhin, ich wäre todt, oder nein, dacht' nichts, denn wenn man so da liegt, da denkt man nichts und fühlt nichts, man ist eben todt. Es ist nicht die erste blutige Prügelei, die ich unter meinem Könige mitmachte, aber unter den Leichen hab' ich noch nicht gelegen. – Ja, wie ist mir nur? Da ist Süptitz – da die Schanze, die wir Grenadiere nehmen sollten; ach Kinder, da liegt ihr nun alle so durcheinander. Vetter Jacob, du warst der keckste Bursch im ganzen Dorfe und wir waren immer beisammen; auch du, dicker Feldwebel! für Kanonenkugeln nur allzu fette Nahrung, ruh' sanft auf deinem Bauche. Sieh, König Fritz, wir Pommern sind hier noch versammelt und halten Stand. Ja, wie war's doch, Leute – als unser König sprach: Kinder, nehmt mir die Schanze da! und dann wies er mit dem Finger und blitzte uns an mit dem großen Auge und da fuhr's uns durch die Glieder. Wir hin und hinauf, was auch die Kanonen brüllten. Ja, Fritz, wir Pommern standen, als wenn wir vier Beine und vorne zwei Hörner hätten, aber die östreich'schen Weißröcke waren auch keine sanfte Engel mit weißen Feierkleidern und ihre Kanonen schossen, als wenn unser Herrgott drinn säß' und donnerte.

Allmählig war es lebhafter geworden auf dem Leichenfelde. Einzelne Flüchtlinge, die im Getümmel der Schlacht zerstreut und versprengt waren, kreuzten hin und her und suchten durch Zurufen mit den Freunden ihrer Partei sich zusammen zu finden. Mitunter fiel auch hier und dort noch ein Schuß, indem Oestreicher und Preußen den alten Haß noch im Kleinen einander entgelten ließen, oder Feiglinge, die erst jetzt, nachdem der Donner der Schlacht ausgetobt hatte, aus ihrem Verstecke gekrochen, einen Muth und eine Bravour zeigen wollten, mit der sie im Trüben fischen konnten. Die Armen aber, die verwundet und verstümmelt aus dem Todeskampfe der ersten Betäubung zu einem elenden, schmerzlichen Dasein, vielleicht nur auf wenige Minuten, erwachten, waren zu einander gekrochen und saßen in Gruppen beisammen, um in unseeliger Gemeinschaft mit Ihresgleichen den letzten Augenblick zu erwarten. So sehr ist der Mensch, selbst wenn er nur seinem Instincte folgt, zur Geselligkeit geschaffen; Einsamkeit im Tode gilt ihm für doppelten Tod.

Das Wehklagen der Verwundeten um ihn her erinnerte Sebastian erst jetzt daran, an seinem Körper nach einer Wunde zu suchen, die er jedoch nirgends entdecken konnte, bis er an seiner Stirn eine Beule fühlte, deren Berührung ihn schmerzte. Schnell ward die Flasche Nordhäuser aus dem Tornister hervorgeholt, denn dieser irdische Nektar schien für den Pommer die universelle Leib- und Magenkur zu sein. Er wusch sich die Stirn mit einigen Tropfen, goß aber zugleich, als müsse der Schaden von innen geheilt werden, noch dreimal soviel durch die Kehle, ergriff sodann als ein braver Grenadier sein Gewehr, das er neben sich liegen sah, und suchte den Ort zu verlassen, wo er eine Zeitlang besinnungslos zu den Todten gehört hatte.

Aus weiter Ferne vernahm er die preußische Trommel, wie eine Glocke, welche die zerstreute Heerde zu sich lockt; aber wie durch den nahen Wald, der, wie er wußte, von vielen Morästen und Sümpfen durchschnitten war, in der Dunkelheit der Nacht durchzukommen sei, sah er keine Möglichkeit vor sich. Das nahe Dorf konnte von Oestreichern besetzt sein und er so in die Gefangenschaft der Feinde gerathen; so wie er denn in der That nicht wußte, ob er zum siegreichen oder geschlagenen Theile gehörte. Er sah sich in die Nothwendigkeit versetzt, auf der Heide selbst, in der feuchten Nachtluft und unter dem Gewinsel der Sterbenden, das gar schlecht sich eignete, einen Müden in den Schlaf zu lullen, den kommenden Tag zu erwarten; jedoch zwang ihn die Kälte zu dem Entschlusse, sich einem der Wachfeuer zu nähern, die man an mehreren Orten auflodern sah, und es dem Schicksale, an das ein Pommer eben so gut, als jede andere ehrliche Seele glaubt, anheimzustellen, ob er unter Freunde oder Feinde gerathen würde.

Ganz am Ende der Dommitscher Heide, dem Gehölze nahe, dessen sumpfige Stellen Sebastian durch das Manöver der Grenadiere am vorigen Tage kennen gelernt, waren mehrere Krieger um ein spärliches Feuer gelagert, das sie mit dem feuchten Laubwerk Mühe hatten von neuem anzuschüren. Der Qualm des knisternden Holzes, den der Wind im Kreise herumtrieb, verhinderte Sebastian, der sich behutsam näherte, die Uniform der Krieger zu erkennen. Es waren preußische Soldaten, aus verschiedenen Heeresabtheilungen zusammengelesen, die, von ihren Regimentern getrennt und in der Dunkelheit der Nacht verirrt, vom Zufall geführt, sich hier zusammengefunden hatten und dem ankommenden Unglückskameraden willig und in bester Laune ein Plätzchen am wärmenden Feuer einräumten. In dem weiten Reviere um sie her schwärmten noch immer Menschen auf und ab und störten mit Schießen, Feldgeschrei oder ängstlichem Rufen die öde Stille der Nacht; unsere Kameraden jedoch gewöhnten sich allmählig daran und achteten kaum noch die Gefahr eines Ueberfalls von Seiten der Feinde.

Der Nachtwind war kalt und feucht, das Feuer kaum hinlänglich, um die erstarrten Glieder zu erwärmen, das vorgeschobene Holz knisterte wie unwillig und mürrisch über den Dienst, den es leistete, und der Dampf fuhr abwechselnd dem einen wie dem andern ins Gesicht; dennoch war man von der bestmöglichsten Laune, man sprach von den Heldenthaten, wie von den Gefahren des verwichenen Tages, freute sich, sie mitgemacht zu haben oder ihnen entgangen zu sein; jedermann rühmte die Bravour seines Anführers, um in dem Lobe desselben sich mitzubegreifen und wer eine Pfeife bei sich führte, stopfte und qualmte rüstig mit. Vor allen strich ein alter Wachmeister vom Ziethenschen Corps das Verdienst seines Generals heraus, dessen Blitzesschnelle es gelungen war, die östreichischen Verschanzungen durch den erwähnten Wald zu umgehen und den Feind von der entgegengesetzten Seite anzugreifen.

Wie dem auch sei, erwiederte unwillig ein Artillerieoffizier, der seinen Arm von einem anwesenden Chirurgus nothdürftig verbinden ließ; Ziethen hat zu schnell angegriffen, bevor noch der König seine ganze Artillerie und Infanterie bei sich hatte. Der Angriff mußte von beiden Seiten zu gleicher Zeit und mit gleicher Stärke begonnen werden; so aber hat Friedrich seine besten Grenadiere geopfert, deren vereinzelter Angriff auf die feindlichen Batterien bei Süptitz nicht hinlänglich unterstützt wurde, weil die Mehrzahl noch im Anmarsch war. Ihr hättet warten müssen, bis Artillerie genug da war. Was soll ein flüchtiger Anfall leichter Kavallerie, wenn das Geschütz fehlt, die Hauptsache, die denn doch im Grunde eine Schlacht entscheidet!

Spaß bei Seite und Respect aparte, Herr Lieutenant, schrie der alte Husar, aber was Ihr da sagt vom Ziethen, das ist falsch, und was Ihr da sprecht von Euren Bomben und Granaten, das ist ein übel Ding. Ihr Herren Artilleristen drängt euch immer vor in euren Reden und bleibt doch hinten still sitzen bei eurer Pulverkarre. Aber was den wahren Soldaten erst ausmacht, das ist frisch drauf zu und, den Säbel in der Faust, eingehauen und durchbrochen und niedergetreten, als käm' ein Hagelschlag in die volle Saat. Schlimm genug, daß eure Kugeln eine so mörderische Wirkung thun, aber ihr seid hinterlistig und führt nicht offen Krieg, wenn ihr so aus der Ferne eure Schlangen abbrennt und zischen und sprühen laßt. Ich, mein Seel! wollt', es gäbe nicht diese Teufelserfindung eurer Kanonen. Hier mit der Faust und dem Bratspieß drauf zu, da käm's erst recht an, wer den mehrsten Speck gegessen hat. Und nun der alte Ziethen – hurra wie der Blitz! aus dem Busch und drüber her über die dreimal stärkere Bande, die sich nicht träumen ließ, daß der Feind, der vor ihnen stand, auch neben und hinter ihnen sein könnte. Mein Lebtag' vergess' ich's nicht, und wenn was unsterblich sein kann, so sollen Kindeskinder noch daran gedenken und sagen: hurra, wie der alte Ziethen aus dem Busch!

Nun, Ihr seid ein braver Husar, Kamerad, sagte der Offizier, der lächelnd die Worte des Wachmeisters angehört hatte, und eben weil Ihr ganz und nur Husar seid, könnt Ihr nicht beurtheilen, was in Euer Wesen nicht paßt. Ihr seid ungerecht, versteht nichts von der Kriegskunst, die Euch nur so recht ein Kriegshandwerk ist, aber Ihr seid dennoch ein wackerer Kerl und wollte Gott! jeder wäre so ganz der, der er sein soll, an seinem Platze, wie Ihr auf dem Eurigen. Was jedoch meine vorige Rede betrifft, so bleibt's einmal dabei, daß Euer vorschneller Angriff den Plan der Schlacht gestört hat.

Ich habe das selbst aus dem Munde unseres Königs gehört, setzte der Chirurgus hinzu, als ich durch ein Ungefähr das Glück hatte, in seine Nähe zu kommen. Es war kurz vor dem Anbruche der Schlacht, als er auf einer Anhöhe stand und mit dem Fernrohre in die Verschanzungen der Feinde blickte, während aus der Ferne hinter dem Walde einige Schüsse fielen. Er wurde unruhig, sah seine Begleiter der Reihe nach an, als wollt' er sie schweigend fragen, ob er richtig gehört, setzte sich dann, stand auf, ging hin und her, und als das Feuer lebhafter wurde, rief er ängstlich aus: Gott im Himmel, der Ziethen greift schon an und ich habe noch nicht meine Garde herüber!

Ach! sprach seufzend ein junger Fähnrich, der erst vor kurzem aus der Militairschule im Lager angelangt sein mochte und bis jetzt ohne Theilnahme an der Unterhaltung, seinen Kopf auf die Hand gestützt, in die verglimmenden Kohlen gestarrt hatte. Glücklicher, habt Ihr das aus seinem Munde selbst gehört? –

Da muß es ihm nah' ans Herz gegangen sein, wenn er deutsch geredet hat, unterbrach ihn der Artillerielieutenant, das kommt nicht alle Tage.

Gleich viel, in welcher Sprache er redet! brach der Junker aus; wer nur ewig in seiner Nähe sein könnte, um seinem Worte den geheimnißvollen Zauber, von dem er beseelt ist, abzulauschen und aus dem Flammenblick seines Auges sich unsterbliche Begeisterung zu trinken!

Als ihm der Tod des Obersten Anhalt gemeldet ward, den er immer sehr liebte, fing der Lieutenant wieder an, sprach er: Tout va mal aujourd'hui, mes amis me quittent! und eine Thräne schimmerte in seinem Auge. Das kommt ebenfalls nicht alle Tage. Er griff auch gleich in die Westentasche und schob eine Handvoll Taback in die Nase, um die Rührung nicht aufkommen zu lassen.

Glückseeliger Anhalt! fiel der Junker ein, der du deinen Tod nicht zu theuer erkauftest, weil Er dir eine Thräne weihte. Was sind tausend Tode, wenn Friedlich weint! O mein Gott, was bin ich, was kann ich sein! Ich habe den großen König kaum gesehn, ach! und ich stehe nicht einmal bei der Garde.

Der Lieutenant lächelte. –

Soll's denn bloß die Garde machen? Da müßte nicht Ziethen auch sein, sagte der Wachmeister und drückte murrend die Asche im Pfeifenkopf nieder.

O Ihr da, fuhr der Junker fort, sich zu Sebastian wendend, Ihr seid von den Grenadieren, Ihr habt unter seiner Anführung die Schanze bei Süptitz erstürmt: o sagt, hat Euch seine Rede nicht zur Riesenbegeisterung entflammt, preist Ihr Euch nicht seelig, daß aus hundert Wunden das Blut für Friedrich strömt?

Mit Erlaubniß, Herr Junker, erwiderte Sebastian, für dießmal war's nur eine blaue Beule; kann ein andermal mit mehr dienen. Und was den König betrifft, so sprach er: Vorwärts, nehmt mir die Schanze da! und dann blickt' er uns scharf an und da gingen wir keck drauf zu, und wer Ehre im Leibe hatte, hielt Stand bis er umfiel. Eine Rede hat er weiter nicht gehalten.

Die Nachtluft war schärfer geworden; der Wind jagte am Himmel die dunkeln Wolken und der Mond, der nach dem Kalender scheinen sollte, ließ sich nirgend wahrnehmen. Ein jeder hüllte sich enger in seinen Mantel und rückte dem Feuer näher, das wenig Schutz gegen Wind und Wetter leistete. Man war einsylbig und verstimmt, wie es in jeder Gesellschaft hergeht, wenn alle sich einzeln ausgesprochen haben und es ringsum fühlbar wird, daß keiner mit dem andern harmonirt.

Endlich holte Sebastian sein Noth- und Hülfsbüchlein hervor, den steten Begleiter, der bei ihm in allen Lagen des Trostes nie ermangelte; er zog die Flasche mit dem Nordhäuser aus dem Tornister und ließ sie im Kreise der Kameraden herumgehen. Alle lobten und erquickten sich und selbst der keusche Junker wurde zu einem tüchtigen Schluck genöthigt, nachdem er es lange verächtlich zurückgewiesen hatte, bis der Wachmeister über unmännliches Wesen murrte und brummte.

Dieß gab eine Weile Stoff zur Unterhaltung; allmählich aber begannen die Köpfe der Kameraden, von der Kraft des Branntweins überlistet, zu nicken und zu wanken; nur der alte Husar, der Sebastian theils aus Vertraulichkeit, theils aus Neigung zur Flasche näher rückte, hielt sich so wie dieser noch munter.

Seid Ihr aus dem Lande, Kamerad, wo diese Milch und dieser Honig innen fließt? fragte der Wachmeister theilnehmend, um wieder auf die Flasche zu kommen.

Nein, war Sebastians Antwort, ich bin aus Pommern gebürtig, aber diesen Nordhäuser trinke ich schon seit meiner Jugend – seit meiner Jugend, setzte er wie nachsinnend langsam hinzu. Es ist, wie man zu sagen pflegt, ein wahrer Nektar, fuhr der Husar fort, recht um es einem blau vor den Augen zu machen. Unsere Kameraden schnarchen – ho! seht einmal unser Feuerchen, brennt's nicht blau, oder grün, oder wie Ihr wollt?

Sebastian schürte den ausglimmenden Brand wieder an, und legte neues Reis darauf; dann fing er nach einer Pause sehr ernsthaft, ja wehmüthig, an:

Wachmeister, habt Ihr nie gehört, daß einer sich um den Verstand trinken kann, so daß er von bösen Geistern verfolgt zu werden sich einbildet, die an seiner Seele reißen und zerren, um sie dem Teufel – Gott sei uns gnädig! hinzugeben? So einer läuft Nachts und Tags umher, was er spricht ist verrückt, was er thut nicht minder und, ob's Folge oder Quelle seines Wahnsinns ist, er trinkt und trinkt und geht in den Schneckenkreis der Verirrung immer enger und tiefer. Habt Ihr nie von einem solchen gehört?

Sebastian griff den Alten beim Arm und sah ihn starr mit seinen großen blauen Augen an. –

Gott im Himmel! rief der Wachmeister, beinah erschreckt, Ihr werdet doch nicht –?

Ich? sagte Sebastian, Gott mag mich behüten, ich nicht; aber es giebt ihrer und ich könnte Euch von einem eine Geschichte erzählen, die nicht possierlich und gleichwohl sehr wahr ist.

Erzählt, erzählt! sagte der Wachmeister und that einen kräftigen Zug aus der Flasche, um die es ihm mehr als um die Geschichte zu thun schien.

 

In der Nähe des Dorfes, wo ich geboren bin, tief versteckt in der Einsamkeit des Waldes, liegt oder lag das Haus des Gastwirths. Es war die Schenke des Dorfes, wo die Bauern in guten Zeiten jeden Abend sich zu versammeln pflegten, um in Fröhlichkeit die Mühen des Tagewerkes zu vergessen. Das Haus glich einem lustigen Bienenkorbe; auch von Reisenden ward es häufig besucht und für diese waren die obern Zimmer eingerichtet, während in den untern die Bauern sich bei Bier und Branntwein, bei Tanz und Kartenspiel ergötzten.

Der Wirth machte seine guten Geschäfte; man fing an, ihn für einen reichen Mann zu halten, aber man irrte, denn außerdem daß er, was die Verwaltung seines eignen Hauswesens betraf, ein schlechter Wirth war, der das Seine eben nicht zu Rathe hielt, so hatte er auch noch andere geheime Ausgaben, von denen niemand wußte.

Man kannte überhaupt wenig seine Herkunft. Er war als Fremder eingewandert, und hatte das Haus erst selbst erbaut und eingerichtet. Von einer Ehefrau wußte man nicht, obwohl er einen Sohn von siebenzehn Jahren hatte; in dem nahen Städtchen, hieß es, ließ er seine funfzehnjährige Tochter bei einer Muhme erziehen. Wie es aber auch mit seinen Vermögensumständen gehen mochte, sie waren immer glücklich zu nennen, bis ihn die Noth der Kriegszeiten, so wie jedermann, aber ihn am härtesten traf.

Die Felder lagen seit dem Einfall der Feinde verwüstet, das war für die Bauern hart; aber auch die Schenke, das Haus der Freude und des Wohllebens, stand leer und verlassen, denn niemanden fiel es mehr ein, sich einen frohen Abend zu machen. Die Vorräthe im Keller des Wirthes blieben unberührt und verdarben; wo sonst alltäglich gejauchzt und gejubelt wurde, war es nun still und öde, und wo in den Winterabenden die feisten Burschen und muntern Dirnen des Dorfes herumgesprungen waren, dehnte sich der Hauskater langweilig hinter dem Ofen oder schlich die alte Magd langsam einher.

Der Gastwirth zum grünen Esel, denn so hieß er in der Gegend, war verarmt, und er, der an Wohlleben gewöhnt, an dem Zechen und Schwelgen, an dem Jubel und Lärm, der sonst in seinem Hause herrschte, immerfort Theil genommen hatte, ertrug nur unter den bittersten Verwünschungen seines Lebens diesen plötzlichen Wechsel des Glückes. In die Stadt ging er selten mehr, vielleicht weil er sich schämte, dort als ein armer Wicht zu erscheinen, wo er sonst als ein reicher Mann aufgetreten war.

Desto häufiger besuchte ihn die Muhme, die ihn, so schien es, mit Vorwürfen quälte, welche seine bedrängte Lage ihm noch fühlbarer machten. Diese Muhme war keinesweges alt, wie Muhmen zu sein pflegen; sie war ein Frauenzimmer in den Jahren, wo man das Weib noch hübsch nennt, dabei trug sie sich sehr gut, ja sogar vornehm; ob sie verheirathet war oder nicht, wußte niemand im Hause, selbst der Sohn nicht, weil der Vater, verschlossen und kalt, nie über Dinge der Art Rede stand, noch gefragt sein wollte. In einem lärmenden Auftritt zwischen ihr und dem Alten, den der Sohn belauschte, kam es zu harten Schmähreden. Von Geld, diesem bittern Zankapfel war vielfach die Rede und das war ein schmerzlicher Punkt für den Gastwirth, dessen hoffnungsfarbiger Esel auf dem Schilde vom Schmutze und Staube grau zu werden anfing. Der heftige Wortwechsel endete damit, daß die Muhme wüthend fortlief, am andern Tage die Tochter dem Alten überschickte und sich seitdem nicht wieder sehen ließ.

Gegen Mittag am andern Tage stand der junge Anton, der Sohn, in der Küche und schürte das Feuer an, über welchem er zum spärlichen Mahle einen Topf mit Erbsen kochen ließ; denn so schlecht waren die Umstände des Schenkwirths bereits, daß er die Knechte, die er sonst hielt, und selbst die alte Magd des Dienstes entlassen hatte und die ganze Besorgung zum Bedarf des ärmlichen Unterhaltes dem Sohne nunmehr oblag, der sich willig in alles fügte.

So eben hatte er die Funken auf dem Heerde mit seinen rothen Backen zur hellen Flamme angeblasen und begann ein Lieblingsliedchen mit freundlicher Gebehrde vor sich hin zu summen, wie er denn überhaupt aufgeräumt von Natur und immer gern guter Dinge war, so weit es die mürrische Laune des Alten, die ihm oft entgolten wurde, zuließ, als Lisette, seine Schwester, aus der Stadt ankam, da sie niemand im Flur bemerkte, zu ihm in dir Küche trat und ihn fragte, ob er vielleicht Antons Knecht sei. Der junge Anton hatte seine Schwester noch nicht gesehen, denn der Alte erlaubte ihm nie, auf seinem Wege nach der Stadt ihn zu begleiten und eben so wenig war Lisette in das Haus des Vaters jemals gekommen.

Ich bin Anton, der Sohn des Alten, sagte der junge Mensch, sichtbar verlegen über den unerwarteten Besuch einer hübschen Stadtjungfer.

Als diese aber auf ihn zusprang, ihn umarmte und einen herzhaften Kuß auf seine Lippen drückte, wußte der arme Junge gar nicht, wie ihm geschah; er ward über und über scharlachroth und konnte sich von seinem Schrecken doch nicht erholen, als ihm Lisette einmal nach dem andern zurief:

Ich bin Lisette, deine Schwester, und also bist du ja doch mein Bruder!

Wie dem verschämten Bräutigam eine zärtliche, liebesüchtige Braut, so war sie ihm entgegen gekommen und er schien sich auch bald in sein Glück zu finden. Man scherzte, lachte und küßte sich mitunter vor Freude und erzählte sich in einer Minute tausend neue Dinge, während der schräg gestellte Topf am Feuer überkochte, bis er plötzlich umstürzte und beide sich gemeinsam beeiferten, die verunglückten Erbsen zu retten.

Unterdessen war der Alte nach der Wohnung zurückgekehrt. Die Ankunft der Tochter überraschte ihn nicht, aber sie schien ihn mehr unruhig als freudig aufzuregen, obschon er ihren zärtlichen Liebkosungen nicht unwillig begegnen konnte.

Lisette stand in den Jahren, wo die Jungfrau zum Bewußtsein gelangt über des Weibes Bestimmung, alles rings um sich her zu beglücken, was in den Kreis ihres Daseins gehört; aber noch nicht die zarte Unbefangenheit des Kindes abgestreift hat und so durch kindliche Scherze, durch eine ewig ungetrübte Heiterkeit leichter und wie im Spiel erringt, was die völlig erwachsene, sittsame Jungfrau, die in den Ernst, den des Weibes Leben und Bestimmung auch mit sich führt, tiefer hineinblickt, oft schwerer und langsamer erreicht.

In der Stadt groß geworden und die Vortheile einer städtischen Erziehung genießend, hatte ihr lebhafter, empfänglicher Sinn sich alles angeeignet, was ihre Sitten zart, ihr Benehmen lieblich machte; zugleich lag in ihrem Wesen ein Zug von Gutmüthigkeit, der oft in völlige Nachgiebigkeit gegen andere überging und der sie fast zu zwingen schien, jedermanns Wünschen zu willfahren, um nur zu erfreuen und zu beglücken.

Auf den jungen Anton hatte die Schwester den größten Einfluß. Sie besorgten gemeinschaftlich von nun an die kleine Wirthschaft; den groben Dienst verrichtete Anton und seiner Arbeit gab Lisette den Anstrich der zierlichen Sitte. Sein treuherziges, stilles Wesen, das der Stadtkultur ermangelte, war fortwährend der Gegenstand ihres fröhlichen Scherzes und Spottes; er lernte begierig von ihr in allen Stücken und mehr in kurzer Frist als von einem Schulmeister in langer Zeit; dafür war er dienstfertig, ja unterthänig gegen sie wie ein getreuer Knecht und räumte ihr alle Gewalt ein über sein ganzes Herz.

So lebten sie abgeschieden von der Welt in dem einsamen Waldhause, das niemand mehr heimsuchte, oft ärmlich und kärglich, aber in Freude und Lust, die nur getrübt wurde von der mürrischen Laune des Vaters, die immer mehr zunahm, je mehr er, an träges Wohlleben und Schwelgerei gewöhnt, einer völligen Noth, ja dem Hunger mit den Seinen entgegen sah. Seine Vorräthe an Lebensmitteln, welche er in den Zeiten, wo er auf reichen Absatz noch rechnen durfte, angekauft hatte, waren fast gänzlich verzehrt; durch die häufige Einquartirung feindlicher schwedischer Soldaten, die bis nach dem Schlosse des Edelmanns, das am Ende des Dorfes lag, einrückten, war der Keller des Gastwirths bedeutend ausgeleert.

Lisette hatte versucht, durch weibliche Handarbeiten, die man in der Stadt verkaufen wollte, einen kleinen Zuschuß zu gewinnen; Anton bot sie auf dem Markte aus, allein niemand war zum Kaufe geneigt, denn jedermann hielt das Seine zur nothdürftigen Anschaffung von Lebensmitteln zu Rathe.

Im Gemüthe des Alten reifte indeß ein anderer Plan, sich und die Seinen von der drückenden Noth zu befreien. Man hatte ihn schon lange im Walde des Edelmanns, dessen Jagdrevier sich einige Meilen weit erstreckte, spät am Abend, selbst in der Nacht umherspähen gesehen, mit dem letzten, zusammengerafften Gelde hatte er eine Büchse angeschafft; endlich war es klar, er hatte beschlossen, Wild zu schießen und durch den Verkauf des gestohlnen Gutes, der leicht auf der Mecklenburgischen Grenze geschehen konnte, sich vor dem Hungertode zu retten.

Der Erfolg des Unternehmens war glücklich und versprach einen eben so glücklichen Fortgang. Der Alte zog den Sohn in sein Geheimniß, mit dem strengsten Verbote, Lisetten etwas davon zu verrathen; er selbst hatte eine unüberwindliche Scheu davor, es seiner Tochter zu entdecken, die ihn so zärtlich liebte, daß er sie eben so wieder lieben mußte und ihren Schmeicheleien zu großen Einfluß auf sich selbst zutraute. Dem Widerspruche des Sohnes, der sein Unternehmen als unredlich schalt, begegnete er mit großem Zorne; er hatte den Plan dazu schon zu lange mit sich herumgetragen, hatte sich zu oft damit gequält, um Zweifel und Vorwürfe noch einmal zu erwägen. Auch entdeckte er sich erst dann seinem Sohne, als der Anfang der Wilddieberei schon glücklich gemacht war und das erhandelte Geld dem drückendsten Bedürfnisse abgeholfen hatte. Zudem machte er bemerklich, daß die Noth es erheische; ja die allgemeine Unruhe, die Kriegszeiten mit sich führten, setzte er hinzu, mache es verzeihlich und könne es rechtfertigen, dem Nächsten etwas zu entwenden, dessen Verlust ihm nicht fühlbar sei.

So zog denn der Alte, wenn die Hauskasse leer war, in der Herbstnacht hinaus in den Forst; das Glück war ihm jeder Zeit günstig, sowohl im Erlegen eines guten Stück Rothwilds, als auch im schnellen Absatz desselben auf der nahen Grenze. Der Sohn hatte sich nicht entschließen können, ihn zu begleiten, auch drang der Alte nicht weiter in ihn; seinem Vorschlage aber, zur Anschaffung des Geldes zunächst den Vorrath an Branntwein und feinen Liqueuren, der im Keller sich noch befand, zu verkaufen, begegnete er mit den bittersten Vorwürfen. Er schalt ihn einen Lieblosen, einen Undankbaren, einen Verräther, der seinen alten Vater auch um das letzte bringen wollte, was seine Freude wäre und um dessentwillen er dieß armseelige Leben fortschleppe. –

Der junge Anton wußte nur zu gut, daß bei dem Alten, seitdem er auf unrechten Wegen wandelte, die Sucht zum Branntwein, die schon immer bei ihm herrschend gewesen war, bedeutend zugenommen; er erfuhr es jedoch erst jetzt, wie sehr diese Leidenschaft bei ihm Wurzel gefaßt hatte.

Du rümpfest auch hierüber die Nase, rief ihm der Alte mit Hohn zu. Du sitzest still auf der Ofenbank; aber komm hinaus in die Nacht des Waldes, wenn der Mond so frostig scheint, und sieh zu, wenn du den Hahn spannst und auf der Lauer stehst, ob dir, sei's nur aus Kälte oder – zugegeben – aus Furcht ertappt zu werden, das Blut nicht erstarrt und dein Herz in kaltes Zittern jagt! Ich muß mich warm trinken, wenn die Kugel treffen soll, ich muß trinken, wenn ich nach Hause komme und die Groschen zähle, die euch und mir das elende Leben fristen sollen. Sag' mir, Junge, für wen bin ich Wilddieb? für Lisette und dich, für euch, weil ich kein schlichter Vater bin, der die Seinen in Hunger und Noth verläßt. –

Der Alte schwieg. –

Anton stand zerknirscht und roth vor Scham und Wehmuth. Die hellen Thränen stürzten aus seinen Augen, er fiel dem Vater um den Hals und weinte und schluchzte. Dem Alten lief auch eine Thräne über das Gesicht und nachdem sie sich eine Weile in seltsamer, stummer Rührung umarmt hatten, zog er seine Flasche Liqueur hervor, die er seit einiger Zeit immer bei sich führte, und that, um sich zu sammeln, einen kräftigen Zug. Der junge Anton entriß sie ihm und trank dem Alten zu; es war das Erstemal, daß er einen Schluck Branntwein kostete.

Nun ward nicht weiter vom Verkauf des Fasses gesprochen, das vom alten Vorrathe noch im Keller lag; Vater und Sohn saßen des Abends beim matten Schein der Lampe am Kamin und tranken, wenn Lisette schlafen gegangen war, einer wie der andere, jeder nach Maaß seiner Kräfte, der Sohn erst bloß, um dem Vater zu gefallen, den betrübt zu haben, ihn in tiefster Seele schmerzte, nach und nach aber aus eigner Neigung und mit eignem Wohlgefallen.

 

So weit erzählte Sebastian die Geschichte des jungen Mannes. Es war die Geschichte seines eignen Lebens, der junge Anton war er selbst, der Sohn des Gastwirths, Sebastian Anton war sein voller Name. Seine Stimme war schwach geworden, denn er schien sichtbar beklommen und murmelte die letzten Worte mehr vor sich hin als er sie sprach, während der alte Wachmeister, der sich anfangs, die Flasche in der Hand, bemüht hatte, der Erzählung seine Aufmerksamkeit zu schenken, in tiefem Schlafe vertraulich mit dem Kopfe auf seine Schulter gesunken war und alles um ihn her schlief und schnarchte.

Sebastian lehnte seinen ungetreuen Zuhörer, dessen Zutraulichkeit ihm lästig wurde, auf seinen Tornister, schürte das Feuer, das zu erlöschen drohte, zusammen, setzte sich wieder still hin und begann den fernern Begebnissen seines Lebens nachzusinnen, die wir dem Leser weiter mittheilen.

 

Die gute Lisette wunderte sich anfangs laut über die plötzliche und wiederholte Füllung der Hauskasse und als man ihren freundlichen Fragen auswich oder sie nur halb mit unbestimmten Versicherungen beantwortete, ahnete sie im Stillen, was man ihr verschwieg, denn sie war ein Weib, und wer weiß nicht, daß die Seele des Weibes oft so richtig ein ahnender Geist bewegt. Aber sie verschloß ihr bekümmertes Herz selbst vor dem Bruder; sie wagte keine Frage mehr, als sie sah, wie schwer es dem armen Jungen ward, ihr das unheilvolle Geheimniß des Vaters zu verschweigen.

Sonst hatten die Geschwister stundenlang neben einander gesessen und durch scherzreiches Hin- und Widerreden sich die Zeit verkürzt, Lisette vergaß dann die Einförmigkeit ihres jetzigen Lebens, das gegen das frühere in der Stadt unter ihren Gespielinnen so wenig Ersatz bot; seit lange aber saßen die Geschwister stumm und wortkarg neben einander, weil sie doch einmal ihrer Lage nach zusammen gehörten, oder sie wechselten doch nicht mehr wie sonst die vertraulichen Worte in Freundschaft und Liebe. Wenn ihre Blicke sich begegneten und fragend auf einander ruhten und Sebastian in dem blauen Auge der Schwester ihre ganze reine Seele sich öffnen sah, da war es ihnen wohl, als dürfte der Zwang gebrochen werden, als müßten die verschlossenen Herzen sich lösen. Gar oft schwebte das Geständniß auf Sebastians Lippen, aber er durfte, er konnte nicht reden, er mußte des guten Mägdleins schonen, damit sie nicht ihn und den Vater verabscheuen lernte, und er verschloß sich wieder und wollte das Geheimniß allein tragen, das sie nur zu deutlich in der Thräne las, die aus seinen gesenkten Augen unter der Wimper sich oftmals still hervordrängte.

Die Zurüstungen zur nächtlichen Jagd, die Lisetten nicht immer verborgen bleiben konnten, hatten es ihr schon verrathen, daß der Vater im Forste des Edelmanns Wilddieberei trieb; Sebastian selbst fürchtete, daß sie es errathen müßte: aber dennoch hegten sie gegen einander die Scheu, laut davon zu reden und nur durch leise Zeichen, durch andeutende Worte, theilten sie ihren Schmerz und ihre bange Furcht einander mit.

Wenn Sebastian, später als Lisette, des Nachts sein Lager suchte, schlich er noch manchmal an ihrer Kammerthür vorbei, um auf den Zug ihres Athems zu lauschen; aber sie lag seit lange noch immer wach im Bette, wenn der Bruder an ihrer Thür sacht vorüberschritt, und so hörte er eines Abends, wie sie laut in ihrem Nachtgebete sprach:

Lieber Herr Gott, führ' uns nicht in Versuchung! – und hast du uns doch hineingeführt, so erhalt' uns gut, den Sebastian und mich. –

Ein Geräusch, das Sebastian erregen mochte, störte sie.

Bist du's Sebastian? fragte sie mit leiser Stimme. –

Ich bin's, Lisette, war die Antwort. –

Schläft der Vater schon? fragte sie flüsternd.–

Ach nein! seufzte Sebastian – er wird sein Bett schon finden, setzte er zögernd hinzu. Schlaf wohl, Lisette. –

Gute Nacht, lieber Bastian, rief sie ihm nach mit zitternder, beklommener Stimme.

Es war an einem stürmischen Herbsttage. Die fallenden Schneeflocken verfinsterten den Horizont und machten aus Nachmittag eine frühe Abenddämmerung, während der Wind in den dürren Aesten der Bäume knarrend sauste. Sebastian war unter dem Vorwande, einige Bedürfnisse für die Wirtschaft zu erkaufen, in der That aber um dem Vater Pulver und Blei zu verschaffen, in die Stadt gegangen; denn ob er schon nicht Theil nahm an den nächtlichen Diebereien des Alten, so war er ihm doch in Allem behülflich, was die Vorbereitung zur verbotenen Jagd erforderlich machte.

Anton, der alte, war ebenfalls ausgegangen und Lisette saß in dem einsamen Waldhause allein in der untern Stube, die sonst von frohen Gästen täglich wimmelte. Wie manche ihres Geschlechtes wäre in dieser Einöde, bei dem Heulen des Sturmes, der durch die Fenster des Hauses fuhr, von banger Furcht erfüllt gewesen! Lisette hatte nicht Zeit, solche Erzeugnisse eines müßigen Gehirnes in sich aufkommen zulassen; das gute Kind war auch nicht feig von Natur, sondern im Gegentheil zu entschlossenem Muthe geneigt, wo es gegolten hätte. Sie saß am Fenster und blickte hinaus, wie der Wirbelwind die Flocken kräuselte, während dieß müßige Schauen ihr Zeit ließ, das Mißgeschick ihres Lebens zu überdenken, mit banger Furcht um den Vater, sowie mit Betrübniß über den guten Bastian.

Da klopfte es an der Hausthür, und Lisette, in der Meinung, es sei der zurückgekehrte Bruder, trat hinaus um zu öffnen. Sie schob den Riegel auf und ging dem Eintretenden voran durch den dunklen Hausflur in das Zimmer zurück. Es war nicht Sebastian, der eingetreten war und Lisette bemerkte erst ihren Irrthum, als ein fremder junger Mann, mit einem grünen Rocke bekleidet und in Begleitung eines Jagdhundes, auf der Schwelle der Stubenthür stand und ihr einen guten Abend bot. Sie faßte sich sogleich und erwiderte nach Gebrauch den Gruß. –

Das üble Wetter treibt mich in euer Haus, Jungfer, sagte der Fremde, indem er Büchse und Tasche ablegte. Zwar kann ich von unserm Schlosse drüben nicht weit mehr entfernt sein, denn wenn mir recht ist, bin ich hier in der Schenke zum grünen Esel, wie die Bauern sagen – oder haltet ihr keine Gastwirthschaft mehr, denn das Schild mit dem Esel glaubt' ich beim Eintritt zu vermissen? –

Der Sturm hat es nur zerbrochen und herabgeschleudert, sagte Lisette zitternd und eilte, als der Fremde schwieg, hinaus, mit dem Bemerken, Licht zu holen, denn es war dunkel im Zimmer und der Furchtsame will es gern hell um sich haben, damit er die Bangigkeit verscheuche. Es war aber nicht die Furcht vor dem Alleinsein mit einem fremden Manne; eine größere Angst hatte Lisetten plötzlich befallen bei den Worten des Gastes.

Heil'ger Gott, flüsterte sie draußen mit bebender Stimme, es ist der Sohn des Edelmanns. Wenn er wüßte, daß der Vater seine Hirsche schießt oder wenn er gar kömmt, um Kundschaft zu ziehen!

Noch immer zitternd betrat Lisette das Zimmer wieder und setzte die angezündete Lampe vor dem Junker auf den Tisch, mit der leisen Frage, ob er sonst noch etwas wünsche.

Eine Tasse Warmbier, war die Antwort, in Ermangelung von etwas Besserem. Wenn ich's auch nicht trinke, es ist um euch eine Zeche zu bezahlen. –

Lisette zündete Feuer im Kamin an, während sie sich anschickte, das Getränk zu bereiten. Der Edelmann ging, bald singend, bald seinem Hunde freundlich zurufend, im Zimmer auf und ab und rieb sich die Hände.

Wir bekommen einen harten Winter, unterbrach er endlich das Schweigen, um sich die Langweile zu vertreiben; das ist übel für das arme Volk und wir machen eine schlechte Jagd oder haben nicht Lust in Wind und Wetter herumzulaufen, denn die Jagd an sich soll gut sein in diesem Jahre. So mancher, wie ich höre, schießt einen Tag um den andern seinen Bock, dem man's nicht zutraute. – Erinnert ihr euch schon jemals einen so frühen Winter erlebt zu haben? fuhr er fort, zu Lisetten gewandt.

Aber das arme Kind stand bleich und bebend am Feuer. Die absichtlos hingeworfenen Worte des Junkers machten ihr Herzblut stocken; sie dachte mit allen Schrecken des Todes an die Jagd des Vaters, es schwindelte ihr vor den Augen und der gefüllte Topf, den sie eben ans Feuer rückte, stürzte zischend und sprudelnd in die Gluth.

Um Gott, was ist ihr, Jungfer? fragte der Edelmann, denn schon sah er sie taumeln und den Kopf gegen die Wand neigen. Er sprang ihr zu Hülfe, sing die Fallende mit seinen Armen auf und führte oder trug sie auf den nahen Stuhl.

Lisette war ihrer Sinne beraubt, ihre Augen ruhten, so sehr hatte der Schreck sie ergriffen; der Junker hielt den einen Arm um ihren Nacken, mit der andern Hand schob er den Schirm der Lampe in die Höhe und betrachtete voll Mitleid, voll Mitgefühl, voll zarter Neigung, die bleichen Züge des schönen Mädchens.

Endlich schlug sie die Augen auf. Ihr erster Blick begegnete dem seinen; sie senkte ihn zu Boden und eine Purpurröthe verjagte die Blässe auf ihren Wangen, aber als läge in dem Feuer seines Auges eine Kraft der Anziehung und ein geheimer Magnet der Seele: sie blickte noch einmal zu ihm auf, hüllte ihr Gesicht dann aber in die Schürze und verbarg die Thränen, die der plötzliche Wechsel ihrer Gemüthsstimmung erzeugen mochte.

Noch immer stand Eduard über sie gebeugt und Lisette wagte nicht sich zu regen, aus Furcht, seinen Augen wieder zu begegnen.

Wie ist Ihnen? fragte der junge Mann endlich mit weicher Stimme. –

Sie sprachen von der Jagd, schluchzte das arme Kind. Gott im Himmel, verschonen Sie uns oder den alten Vater. –

Was ist Ihnen? rief Eduard und der volle Ausdruck der Liebe, die ihn überraschte, lag in seinen Blicken und Worten. Erholen Sie sich völlig; ich sprach nichts, was Sie erschrecken konnte, laden Sie nicht den Schmerz auf meine Seele, von dem Unfall, der Sie traf, die Ursach gewesen zu sein. Besinnen Sie sich, hier standen Sie am Kamine. Mein Gott! ich sprach vom gleichgültigsten Dinge auf der Welt, vom Wetter! Freilich mochte das Wetter oder der Wechsel von der Kälte draußen und der Hitze am Feuer Schuld an der plötzlichen Ohnmacht sein, aber nicht meine Worte. –

Lisette war aufgestanden. Sie hatte sich unter Eduards freundlichem Zuspruche ganz erholt; sie wollte ihren Dank ihm ausdrücken und um Verzeihung bitten, aber sie war verlegen, beschämt, verworren und wußte nicht, was sie that, als sie schweigend ihre Hand in die dargebotene Rechte Eduards legte. –

Da klopfte es abermals an der Hausthür.

Das ist der Bruder Sebastian, sagte Lisette, die nicht wenig erschrak.

Sie eilte fort, um zu öffnen, und benachrichtigte den eintretenden Bruder schon in dem Hausflur von der Gegenwart des Junkers. Befremdet trat Sebastian ins Zimmer. –

Was kostet meine Zeche? fragte Eduard, indem er Flinte und Mütze ergriff, und als Lisette lachend die Gegenfrage that, was er genossen? legte er einen Kronenthaler auf den Tisch, grüßte freundlich, obschon nicht ohne Verwirrung, und verließ das Zimmer.

So bleib' ich das Warmbier Ihnen schuldig, gnädiger Herr, sagte Lisette, indem sie ihm laut lachend, mit der Lampe in der Hand und in Sebastians Begleitung, das Geleit gab durch den dunklen Flur des Hauses.

Sebastian legte die in der Stadt gekauften Sachen stumm und verdrießlich in eine Ecke, als sich beide wieder im Zimmer befanden; Lisette setzte sich zu ihrer Arbeit am Kamine nieder.

Ich habe dir eine Busenschleife mitgebracht, sagte Sebastian, indem er zur Schwester hintrat und ein rothseidnes Bändchen aus einem Packete hervorzog.

Habe Dank, lieber guter Sebastian, sagte Lisette, in dem sie ausstand und seine Hand ergriff, während sie ihn wie fragend oder zögernd anblickte. Sie war sonst bei solcher Gelegenheit dem Bruder freudig um den Hals gefallen und hatte ihm den kleinsten Dienst mit tausend süßen Küssen vergolten; aber sie wagte es seit lange nicht mehr, seitdem Sebastian sich wie verwandelt hatte und die alte Liebe und das alte Zutraun zu einander getrübt war. Außerdem schien der Bruder heute verstimmter als sonst, deshalb blickte sie ihn schmerzlich an, denn ein Geber und Wohlthäter, der nicht freudig spendet, ist widerlicher als jeder, der uns darben läßt. –

Es ist ein unscheinbares Bändchen, sagte Sebastian, indem er es ihr vorhielt, und neben solchen Geschenken, setzte er mit bitterem Lächeln und einem scharfen Blick auf den Kronenthaler hinzu, neben solchen Geschenken verschwindet es ganz.

Das hätte für die gute Lisette eine kränkende Beleidigung sein können, aber in ihrem leichten Sinn, in ihrem freundlichen Wesen nahm sie nie eine Beleidigung so tief zu Herzen als sie gemeint war. Sie richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Busenschleife, mit der sie sich schmückte, und erschöpfte sich in ihrem Danke gegen Sebastian. Sie nöthigte ihn dann, sich neben sie hinzusetzen und erzählte ihm erst nach einer geraumen Weile, wie sie zur Gesellschaft des Junkers gekommen sei.

Welche Angst habe ich ausgestanden, fuhr sie fort, und wie hoffte ich von Augenblick zu Augenblick auf deine Ankunft, lieber Bastian. Was will der Edelmann in unserm Hause? hat der Zufall oder das böse Wetter ihn zu uns geführt? oder will er Kundschaft ziehen und das Haus durchsuchen nach einem von den Hirschen, die der Vater – ach, mein Himmel! – in seinem Walde schießt? –

Lisette schwieg eine Weile, denn sie bemerkte, daß Sebastian sie erschreckt ansah, weil sie aussprach, was er verheimlicht wissen wollte. –

Alle diese Fragen beängsteten meine Seele, fuhr sie nach einer Pause fort, und als er von der Jagd sprach, die manchem besser, wie er hörte, gelänge als ihm und seinen Jägern, da überfiel mich eine unsägliche Bangigkeit; meine Sinne wurden betäubt, mir schwand es vor den Augen, ich sank gegen die Wand und der Junker hielt mich, als ich erwachte. Seine Worte waren absichtslos; aber hier im Zimmer war der, welcher uns zu Gericht ziehen konnte, hier vor mir stand er, der uns in den Schuldthurm werfen und uns ewiger Schmach überliefern konnte: der Gedanke trieb meine Angst zur Ohnmacht. Ach, Sebastian! sag', was haben wir zu erwarten, wenn der Vater als Wildschütz ertappt wird, welche Strafe werden wir dulden? – Liebster, du sprichst nicht, du hast es allein bei dir behalten und mir nichts davon vertraut! Soll ich denn unwissend und unvorbereitet dem Elende entgegengehen? –

O, o! schrie Sebastian, von dem Schmerz seiner Seele überwältigt, indem er aufsprang und, mit der Hand sein Gesicht bedeckend, im Zimmer auf und ab lief.

Heiliger Gott! was ist dir? rief Lisette, wo ist der Vater? was habt ihr vor? Und du bist so grausam, mir das alles zu verhehlen! Sebastian, wo ist der Vater? –

Sie war aufgestanden und hing weinend an seinem Halse.

Beruhige dich, Schwester, sagte Sebastian, es war albern von mir, dich ohne Noch in Angst zu setzen. Mit dem Vater steht es wie zuvor; es ist nichts geschehn und der Himmel wird das Aergste verhüten. Nur las ich in der Stadt ein geschärftes Edikt gegen Wilddiebe, das mir das Unheil, welches uns treffen könnte, lebhaft vormahlte. –

Hast du wohl gehört, fragte Lisette mit klopfendem Herzen, wie in alten Zeiten der Wilddieb auf einen lebendigen Hirsch geschmiedet und so, der Willkür des freigelassenen Thieres preisgegeben, ein Raub des unsäglichsten Todes wurde? –

Beruhige dich, tröstete Sebastian, noch ist uns der Vater erhalten, er muß gleich hier sein. –

Wenn meine bange Ahndung trügen wollte! seufzte Lisette, während sie nach dem Stuhl am Kamine schlich, Sebastian in der andern Ecke des Zimmers sich niederließ und jeder in der Stille seinen schmerzlichen Gedanken nachhing.

Die Lampe brannte kärglich und warf einen blassen Schein in das Zimmer, wo es nun still geworden war; der alte Kater kroch aus seinem Winkel hervor, sich langsam dehnend und die Füße reckend, und der Schlag der Wanduhr, heiser wie das Zirpen der Grille, maß den Takt der langweiligen Zeit. Lisette schlummerte; die erlebte Angst und Noth des Tages wirkten auf ihre Sinne und der Schlaf überraschte sie, während Sebastian sich wach erhielt, um die Ankunft des Vaters zu erwarten.

Es mochte nah' an Mitternacht sein, als der Alte sich an der Pforte meldete. Zitternd, wie es schien vor Frost, bot er Sebastian, der ihm die Hausthür öffnete, einen guten Abend und reichte ihm in seltsamer Hast die Rechte, was er sonst nicht an der Gewohnheit hatte.

Du bist ganz erstarrt von der Kälte, Vater, sagte der Sohn, als sie ins Zimmer getreten waren und er dem Alten behülflich war, Kleider und Jagdtasche abzulegen, ohne daß es ihm auffiel, daß derselbe die Büchse, welche er mitgenommen, nicht zurückgebracht hatte.

Hol' mir ein Glas Nordhäuser, mein Sohn, mich friert, stöhnte fröstelnd der Alte.

Hast du eine gute Jagd gehabt? fragte Sebastian leise; aber jener schien nicht gesprächig zu sein, er winkte abwehrend mit der Hand auf die Frage des Sohnes und schlich, in den Schlafrock sich einwickelnd, zum Platz am Kamine, den er gewohnt war einzunehmen. Er blieb erschrocken stehn, als er Lisetten dort schlafend fand und sah fragend den Sohn an.

Sie weiß alles, flüsterte ihm dieser in's Ohr.

Alles? wiederholte der Alte bebend.

Sie hat es selbst errathen, entgegnete Sebastian.

Der Alte stand mit gefalteten Händen vor Lisetten und betrachtete sie mit frommer Rührung, während jener hinausging, um den verlangten Labetrank zu holen.

Herr Gott im Himmel! seufzte der alte Mann, verwirf mich nicht um dieser einen Gerechten willen. Und wäre in Sodom nur ein Einziger rein erfunden, du hättest deinen Feuerzorn nicht über sie ergossen. – Wenn sie alles wüßte, das gute, liebe Kind? fuhr er nach einer Pause fort – alles? wie wäre das möglich! Daß ich ein Dieb bin und Räubereien treibe – Kleinigkeit, Kleinigkeit! – aber daß ich ein Mörder – ha! was war das? wer sagt, wer weiß das? Niemand, im Himmel und auf Erden Niemand, ich selbst nicht.

Sebastian trat ein mit Flasche und Glas.

Mit wem spracht ihr, Vater? sagte er furchtsam, denn er hatte ihn von außen reden gehört. Lisette liegt noch im tiefen Schlafe; habt ihr mit euch selbst gesprochen? –

Es war nichts, mein Sohn, sagte der Alte frostig, nicht des Wiederholens werth; als Junge lernt' ich deklamiren, das fiel mir eben bei. –

Er nahm Sebastian, der ihn mit großen Augen ansah, das Glas aus der Hand, schenkte ein und trank den Liqueur hastig hinunter.

Was giebt es Neues in der Stadt? fragte er dann und nöthigte Sebastian neben ihm zu sitzen und zu trinken.

Dieser erzählte von dem geschärften Edikte gegen Wilddiebe.

Das alte Kapitel! sagte der Vater, kommen wir nie mehr davon los? – Aber sag' mir. Junge, fuhr er fort, ihn vertraulich mit der Hand auf die Schulter fassend, wenn ich ertappt würde, um der Schmach, der Schande, dem Elende überliefert zu werden: sag' mir, was thatest du, Sebastian, die Entdeckung zu unterdrücken? Wie wär's, wenn man mich in den Kerker schleppte? –

Denkt nicht daran, erwiderte Sebastian, oder glaubt wenigstens, daß ich jede Strafe mit euch theilte. –

Aber hier, Lisette? O, o! rief der Alte und warf einen schmerzlichen Blick auf die Tochter, die noch immer im süßen, unbewußten Schlummer dalag. Er sprang auf und lief mit großen Schritten im Zimmer hin und her; endlich stand er am Fenster still und stierte hinaus in die mondbeleuchtete Winternacht. Eine weiße Schneedecke lag, wie ein Leichentuch, über den Boden gebreitet und die dürren, morschen Bäume standen da mit ihren knotigen Aesten wie versteinerte Menschen, die einander drohen.

Heiland der Welt! schrie der Alte plötzlich, von dem Anblick getäuscht, das ist der Jäger des Edelmanns! Wie? hat die Kugel nicht getroffen, oder hast du dich wieder aufgerappelt und streckst mir noch einmal die dürre Faust und dein Mordgewehr entgegen? – Er zielt, er zielt! ha! gebt mir die Büchse, ich oder er; gleichviel, wer Mörder, wenn der Mord nothwendig ist.

Er taumelte mit diesen irren Worten, wie ein Wahnsinniger, im Zimmer umher, nach der Wand tappend, wo das Gewehr zu hängen pflegte; er wankte, schien zu stürzen und mit dem Hülferuf der Verzweiflung hielt Sebastian den sinkenden in seinen Armen.

Lisette erwachte aus ihrem festen Schlafe.

Wer rief hier im Zimmer? fragte sie, sich die Augen reibend; sie sah den Vater bleich und todtenähnlich in Sebastians Armen liegen und händeringend stürzte sie mit dem Geschrei des Entsetzens auf ihn zu. Was ist dir, mein Vater? rief sie jammernd und seine kalte Stirn an ihre glühende Wange drückend; mir träumte, du hättest einen Menschen erschossen, den du für einen Hirsch im Walde ansahst bei der täuschenden Dämmerung des Mondes! –

Nein, nein, sagte der Alte, sich langsam erholend, nicht für ein Thier des Waldes hielt ich den Menschen; ich erschoß ihn, weil er mir auflauerte. Ob es meine Absicht war, einen Mord zu verüben, ob Zufall die Kugel ihm durch den Kopf jagte, weil er, während ich auf den Hirsch anlegte, vor das Rohr der Büchse sich stellte – gleichviel: ich war der Thäter, bin der Mörder.

Lisette taumelte zurück und sank leise wimmernd zu Boden. Der Alte hatte sich aufgerichtet, er drückte mit beiden Händen gegen seine Stirn, als wollte er das Bewußtsein über die verübte That herauspressen. Sebastian wollte der Schwester zu Hülfe eilen, er wollte den Vater beschwören, sich über das Geschehene deutlich zu erklären; er wußte nicht, was er thun sollte, und rang nur laut weinend die Hände.

Hör' mich an, Sebastian, sagte der Alte nach einer Pause mit einiger Fassung. Ich ging heut' schon am Tage, wie du wissen mußt, von hier fort, mit der Flinte unter dem Mantel. –

Mit der Flinte, Vater? unterbrach ihn Sebastian; ihr seid ohn' euer Gewehr zurückgekehrt: besinnt euch, Vater, um Gottes Willen, gingt ihr mit der Flinte von hier fort? –

Verwirr' mich nicht ganz und gar, rief der Alte unwillig, sei ruhig und folge dem Gange der Gedanken, die ich nur mühsam aus der Vergangenheit herauswinde. Das Große, das Bedeutende bleibt haften, und das Gewöhnliche, Alltägliche verwischt sich auf der Tafel der Erinnerung; aber jedes große Ereigniß pflegt die Folge von Kleinigkeiten zu sein und hier, o mein Gott! verwirrt sich Zufall und Absicht, Spielerei, Blendwerk der Sinne und grauser Mord in einander. Ich sage dir, ich ging mit der Büchse aus, nicht jedoch um Wild zu schießen, denn dazu ist die Nachtzeit tauglich, sondern um auf der Grenze das Gewehr für ein anderes einzutauschen, das ich dort angekauft habe. Ich ging längs dem Ufer des langen Teiches drüben und erfreute mich am Anblick zweier jungen Rehe, die auf dem jenseitigen Ufer in muthwilligen Sprüngen ihres kurzen freien Lebens sich ergötzten. Als ich sonst durch den Wald strich, so empörte sich mein Herz inwendig, wenn ich die Büchse auf ein so junges Thierchen anlegen wollte: ein alter Schütz hat eine kalte, unbarmherzige Seele; ich lud mein Rohr und zielte. Es war schon Dämmerung rings um mich her, der Himmel war trübe mit Wolken bedeckt und kaum hatte es aufgehört zu schneien. Dennoch faßte ich mein Ziel sicher auf's Korn, der Hahn war gespannt; da rauschte aus dem Schilfe eine graue Gestalt hervor, gerade in meiner Schußlinie. Es war ein Spion, der mich belauschte, ein Förster des Edelmanns, der mich ertappte: alle Todesfurcht, die den Sünder auf verbotenem Wege anwandelt, alle Schrecken der Entdeckung überfielen mich; meine Sinne verwirrten sich, ich drückte zitternd los und mit einem gellenden Schrei sank die graue Gestalt zusammen. Die Höllengeister der Reue umstrickten alsbald meine Seele, eine eisige Hand fuhr schaudernd über meinen Nacken und das Geschrei des von mir Gemordeten ertönte in wiederholten Schwingungen, gleich dem Hohnlachen des bösen Geistes, in meinen Ohren wieder. Eine Zeit lang war ich starr vor Entsetzen; ich begriff die That nicht, die ich verübt hatte; alsdann ergriff mich eine quälende Unruhe. Die Büchse war meiner Hand entfallen oder ich hatte sie voll Abscheu fortgeworfen, als ein Instrument, mit dem der Teufel sein Spiel getrieben; ich lief Thal ein, Thal aus, während über mir die Wipfel der Bäume rauschten, die mir, gleich dem ersten Mörder, die mahnenden Worte zuzurufen schienen: Kain, wo ist dein Bruder?

Alle Qualen des peinigenden Gewissens waren wieder über den Alten gekommen, aber sein Schmerz, den er erst seinen Kindern zu verhehlen entschlossen gewesen, hatte sich ausgesprochen und er fühlte eine Linderung in den Thränen der Reue, die seinen Augen entströmten. Er hatte die Tochter in seinen Schooß genommen und saß still und ohne Regung über sie gebeugt, während seine Thränen sich mit den ihrigen vereinigten. Sebastian stand mit gefalteten Händen vor ihnen, das Auge starr auf den Boden geheftet. Endlich, nach einer langen Pause, wo nur Seufzer und Schluchzen laut geworden, suchte die unglückliche Familie ihr Ruhelager, während es draußen schon graute und der Morgen zu dämmern begann.

Ohne Schlummer oder Ruhe auf seinem Lager gefunden zu haben, schlich Sebastian nach einigen Stunden aus dem Hause und eilte nach dem Platze am Teiche, wo nach der Beschreibung des Vaters die unsägliche That geschehen war. Er fand nicht, wie er gehofft, die Büchse, welche der Alte, nachdem sie den tückischen Dienst treulich geleistet, von sich geschleudert hatte; aber nach langem Suchen entdeckte er die Stelle, wo der Getroffene gefallen war. Geronnenes Blut am Boden zeigte sie ihm.

Alle Schrecken erneuerten sich in Sebastians Seele, als er auf seiner Heimkehr den Gedanken erwog, ob der Erschossene wirklich ein Jäger des Edelmanns gewesen sei, der dem Alten aufgelauert, und ob die Kugel, die ihn getroffen, auf der Stelle ihn getödtet oder nur verwundet habe, und er im letztern Falle fähig sei, über den Thäter Bericht zu erstatten.

Seine Furcht dieserhalb war jedoch unbegründet. Die Räubereien im Walde waren schon seit einiger Zeit ruchbar geworden: da sie aber von verschiedenen Seiten und mehreren Personen geschahen, so fiel der Verdacht wegen der Ermordung des Unterförsters, der allerdings mit der Absicht herumgeschlichen war, um einen der Wilddiebe einzufangen, am wenigsten auf den Schenkwirth des Dorfes. Man hatte die Leiche noch an demselben Abend gefunden: die Kugel war ihm sicher durch den Kopf gefahren. Bei der Durchsuchung des Gebüsches fand man zu gleicher Zeit das corpus delicti, die Büchse, welche der Mörder sonderbarer Weise an Ort und Stelle gelassen. Es wurden übrigens alle Gebäude, die einzeln im Forste standen, mithin auch die Schenke durchspürt; da die Bewohner derselben jedoch klüglich alles, was verdächtig scheinen konnte, bei Seite geschafft hatten, so war die Nachsuchung ohne Nutzen.

Das Innere des Hauses glich mehr einer Todtengruft, als einem Wohnorte lebendiger Wesen. Die drei Menschen schlichen an einander vorbei wie Schatten, scheu und verschlossen; Niemand wagte zu dem andern zu reden, keiner suchte des andern Gesellschaft, jeder brütete still für sich. Der Alte betäubte sich im Genusse des Branntweins, oder er saß mit gefalteten Händen stundenlang für sich, ohne Regung, ohne Trost, vernichtet und zerstört. Am tiefsten jedoch litt die arme Lisette. Des Weibes empfindsame Seele erliegt am leichtesten, wie dem Taumel der Freude, so dem Drucke des Schmerzes. Der Mann ist härter, kälter, ordinärer, prosaischer; das Weib aber, in dem lebendigeren Wechsel von Lust und Leid, höher jauchzend und tiefer weinend, trägt die Fülle der Poesie in ihrer Seele.

Es sollte jedoch von einer andern Seite neues Unheil auf die Familie Anton einstürmen; Sebastian, die heranwachsende Stütze derselben, sollte aus ihrer Mitte plötzlich gerissen werden. Der arme Junge war seit langer Zeit wie verändert, sein friedfertiges, treuherziges Wesen war verschwunden oder hatte sich zurückgewendet in sich selber und trat nicht mehr wie sonst hervor in seinen Worten und Handlungen. Dazu verschaffte ihm der Genuß des Branntweins, an den er sich nach und nach gewöhnt, manche böse Stunde, wo seine aufgeregte Heftigkeit fast keine Grenzen kannte.

Am auffallendsten war die Veränderung seines Benehmens gegen die Schwester. Von je hatte er sie brüderlich geliebt, seit ihrem Eintritt in die Küche, wo er sie zum Erstenmale erblickt und wo sie den verschämten überraschten Jüngling mit dem freundlichsten Liebesgruß begrüßt hatte. Nicht nur wie einer Schwester, sondern wie einer gebietenden Geliebten war Sebastian ihr zugethan gewesen; seit einiger Zeit aber war es, als beherrsche ein Argwohn gegen Lisetten sein Gemüth, ja seine Neigung zu derselben schien sich in Eifersucht zu verkehren, als der junge Edelmann den Besuch in der Schenke wiederholte, und Sebastians Umgang suchte, offenbar nur, um seiner Schwester näher zu kommen.

Lisette vermied, dem Junker zu begegnen, weil es sie in ihrer betrübten Stimmung zu schwer ankam, heiter und fröhlich zu erscheinen; aber je mehr sie sich zurückzog, desto heftiger wurde Eduards Neigung, die seit dem ersten Zusammentreffen mit ihr in seinem Herzen aufgekeimt war, zur Leidenschaft entflammt. Die erste Liebe, sagt man, ist schüchtern; allein sie ist auch schlau und verwegen bei veränderten Verhältnissen.

So hier die Neigung Eduards. Es war seine erste, es war eine reine, wahre Liebe, denn sein Herz war gut, sein Gemüth unverdorben, nur daß der reiche Junker, in Glanz und vornehmer Bequemlichkeit erzogen, die Tugend der Entsagung nicht kannte. Sein Sinn war nicht auf Gemeines gerichtet; die gewöhnlichen Zerstreuungen genügten ihm nicht, die Lectionen des Hofmeisters wurden langweilig, denn er hatte die Weisheit des Lehrers ausgelernt; er sah sich unbeschäfftigt und fühlte in der Liebe zu Lisetten Anstrengung und Zerstreuung, Freiheit und Gebundenheit, Schmerz und Lust. Da er bemerkte, daß Lisette ihn absichtlich vermied, und sein Klopfen an der Thür unberücksichtigt blieb, so lauschte er dem Alten die Zeichen ab, durch welche derselbe sich seiner Tochter zu erkennen gab, um den Eintritt zu erhalten, oder er trat, was Sebastian zu thun pflegte, an das Fenster und klopfte wie ein vertrauter Bekannter an die Scheibe.

So erlistete er sich eines Abends den Eingang, als Lisette allein im Zimmer saß und trüben Gedanken nachhing, während Vater und Bruder nach der Stadt gegangen waren. Eine plötzliche Verlegenheit bemeisterte sich des armen Mädchens, als der Junker in das Haus trat, das Gelingen seiner List belachte und scherzend und schmähend über Lisettens Grausamkeit ihre Hand mit Küssen bedeckte.

Hartherzige! rief er, als sie sich im Zimmer befanden, jedem Bauer öffnen Sie die Thür, keinem Bettler versagen sie den Eintritt, der ein Glas Bier zu trinken kömmt; und mir, der kömmt – nun – ja, weßwegen komm' ich, was will ich? –

Eduard ergoß sein ganzes Herz in Vorwürfen: Lisette fühlte sich seltsam bewegt und gerührt, ja es schien ihr nicht unangenehm, daß sie aus ihrer öden Einsamkeit gerissen wurde, wo sie den drückendsten Vorstellungen preisgegeben war. Dennoch wich ihre trübe Stimmung nicht; sie antwortete verlegen und ausweichend.

Ich will Licht anzünden, sagte sie endlich, als auch Eduard über ihre Verstimmung unwillig und betrübt schwieg und beide im Finstern stumm neben einander saßen.

Wollen Sie mir eine Tasse Warmbier bereiten? sagte Eduard, – wie damals als ich zuerst Ihr Haus betrat.

Lisette bejahte, indem sie schweigend mit dem Kopfe nickte und das verglimmende Feuer im Kamine anzufachen begann.

Lieber Himmel! fing der Junker an, Sie müssen hier an die Einsamkeit Ihres Waldhauses so gewöhnt sein, daß Sie statt Worte sich einer Zeichensprache bedienen. Sie sind zuviel allein, Lisette, es fehlt Ihnen an Gesellschaft, an Zerstreuung. –

Es fehlt mir an allem, sagte das gute Mädchen traurig, an Freude, an Zufriedenheit, an Gesellschaft wohl am meisten. –

Und weisen den ab, entgegnete Eduard, der, nicht, Sie zu betrüben, Sie zu erheitern kömmt? Lassen ihn stehn und draußen klopfen in der Kälte! Lisette, was drückt Ihr Herz? – oder darf ich Ihren Kummer nicht wissen, denn ich dränge mich nicht in ein Geheimniß, so stoßen Sie mich nicht von sich, der nie die Absicht hatte, Ihnen weh' zu thun. Gestern Abend schlich ich um dieselbe Stunde der Dämmerung vor dem Fenster hier vorbei; ich mochte nicht an die Pforte klopfen, denn es wäre doch vergeblich gewesen, aber ich sah Sie am Fenster stehen. Wie in einen schmerzlichen Traum, verloren, starrten Sie vor sich nieder und bedeckten dann plötzlich, als überraschte Sie ein unseeliger Gedanke, mit beiden Händen Ihre Augen. Lisette, was trübt die stille Heiterkeit Ihres schuldlosen, reinen Gemüthes?

Er fragte mit Gefühl und Innigkeit, indem er naher trat und sein Blick an ihrem Auge haften blieb, das helle Thränen befeuchteten. Aber Lisette kehrte ihr Gesicht fort und hielt das Tuch vor die Stirn, um die Thränen, die Verrätherinnen ihres Kummers, zu verheimlichen.

Mein Himmel! wie wird Ihnen? rief Eduard besorgt, wandelt Sie die Ohnmacht wieder an, wie an jenem Abend? Lisette! hier standst du, Geliebte, an diesem Orte und kochtest mir, wie heut', eine Tasse Warmbier; aber der Topf fiel um und das Getränk rann zischend in's Feuer. –

Er hielt, wie an jenem Abend, seinen Arm um sie geschlungen, denn es schien ihm, als bedürfe sie wie damals der Unterstützung; er drückte sie an sein klopfendes Herz und lehnte die brennende Wange an ihren Busen.

Lisette sträubte sich nicht, aber sie weinte laut und schmerzlich; sie war ja so elend, so kummerbeladen, sie bedurfte des Trostes und überließ sich ganz seiner Umarmung.

Du weinst, Lisette? fragte Eduard. Kein Wort der Liebe aus deinem Munde und ich vergehe vor Wonne, an deinem Herzen zu liegen? O hätt' ich's träumen können! aber sieh, als ich zuerst in dein Haus trat, – nenn' es nicht Zufall, nenn' es Schickung des Himmels! – als du in Ohnmacht lagst und meine Arme dich hielten, da liebt' ich dich ganz und innig. Ein Wort der Gegenliebe und der Schmerz der Seele löst sich in ewiges Entzücken. –

Sie sprach das Wort der Gegenliebe nicht, aber sie hing an seinen Lippen und heiße Küsse besiegelten stumm den Schwur der Liebe.

Da traten zwei dunkle Gestalten von außerhalb vor das Fenster. Sie blickten starr in's Zimmer auf die Liebenden, die sich, in die Wonne des Gefühls verloren, fest umarmt hielten. Der Alte murmelte unvernehmliche Worte, der Jüngere klopfte gegen das Fensterkreuz, daß die Scheiben klirrten. Da fuhren die Liebenden aus einander; Eduard sprang beherzt nach dem Fenster, Lisette wankte im Zimmer umher.

Das ist Sebastian und der Vater! flüsterte sie, nahm ein Licht und eilte zitternd hinaus, um die Pforte zu öffnen.

Es waren der Alte und der Sohn, die aus der Stadt zurückkehrten; sie hatten die Liebesscene wahrgenommen: stumm traten sie in's Zimmer, wie zürnende Geister. Erschrocken eilte Eduard dem Vater entgegen.

Sie wissen alles, oder sie ahnen es, sprach er mit einiger Verwirrung, jedoch mit edlem Anstande. Schelten Sie, strafen Sie die Verwegenheit dessen, der zu ihrem Heerde sich drängt und Ihr Heiligstes antastet; aber seien Sie nicht unversöhnlich. Ja, ich liebe Ihre Tochter, ich wagte es, ihr Gegenliebe abzuzwingen, aber meine Liebe ist rein, meine Absicht unsträflich. Rechnen Sie mich nicht zu den Verworfenen, welche die heilige Unschuld eines Mädchenherzens für ein Spiel ihrer Laune halten. Morgen, alter Mann, ein weiteres. Wenn meine Bitte, wenn mein Flehn etwas vermag, so treffe kein Vorwurf Ihre Tochter; laden Sie alles auf mich. –

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und eilte dem Schlosse seines Vaters zu. –

Denkst du eines Edelmanns Weib zu werden? sagte der Alte spottend zu Lisetten, die verlegen da stand. Nun, fuhr er mit Heftigkeit fort, nun? – und seine Dirne?

Laut schreiend fiel ihm Lisette um den Hals und weinte bitterlich und beichtete alles dem zürnenden Vater. Sebastian aber stand unbeweglich neben ihnen, sein Gesicht glühte, sein Auge blickte starr und finster auf die arme Schwester. Dann schritt er, als diese zu erzählen begann, hastig im Zimmer auf und ab, als wäre hier ein Entschluß zu fassen: plötzlich stürzte er hinaus, sein Plan war gereift, er eilte dem Junker nach.

Eduard kehrte sinnend nach seinem Wohnorte zurück; er schien in Gedanken lebhaft beschäftigt, stand oft still und schaute betrübt in den Mond, der sein volles Licht auf ihn niederströmte: Er kam von dem Wohnsitz seiner Liebe, seiner Seligkeit und kehrte nach einem Orte zurück, wo für ihn die Freude eben nicht gedeihen wollte; deßhalb ging er langsam und zögerte im Weiterschreiten. Er trat jedoch eben in den vordern Theil des Schloßhofes, als er sich von der Seite am Arme ergriffen fühlte.

Sebastian! rief er fast erschrocken, als er sich umwandte und Lisettens Bruder erblickte. Sag? wie steht es zu Hause, was Macht Lisette, was denkt der Vater von mir, was du, Sebastian? –

Ich denke nichts von euch, Herr Junker, sagte Sebastian mit verhaltenem Zorne, als daß ihr meiner Schwester entsagen müsset und fortan nie mehr einen Schritt über unsere Schwelle setzet. Wir sind armselig und elend genug, aber von allen Seiten soll nicht Vewirrung und Verirrung über uns einbrechen. Haltet das Reine und Unbefleckte heilig und bringet ihr nicht noch Verderben in unser Haus, in dem der Fluch der Sünde herrscht. Darum laßt ab von meiner Schwester. Ihr habt ihr Liebe aufgedrungen und abgenöthigt, es war kein freies Geständniß, das sie that; vermeidet unser Haus und den Funken der Neigung, den ihr anzündetet in ihrem Herzen, muß die Vergessenheit erlöschen. Entscheidet euch hier an Ort und Stelle, entsagt meiner Schwester. –

Bei diesen Worten Sebastians erwachte in Eduard der Stolz des Edelmannes; er unterdrückte jedoch die plötzliche Aufwallung, er redete ihm freundlich zu, nichts Arges von ihm zu denken, und suchte ihn zu überzeugen von der Unsträflichkeit seiner Neigung. Vergeblich verschwendete er seine Beredsamkeit.

Entscheidet euch, wiederholte Sebastian mit trotziger Stimme, laßt ab von Lisetten!

Er ergriff des Junkers Rechte; sein Auge schwamm in dunkler Gluth und sprach mehr als die verschlossene Lippe von der Leidenschaftlichkeit seiner innern Aufregung.

Warte bis morgen, dann komm wieder und hole dir meine Entscheidung, entgegnete ihm Eduard, den Sebastians Trotz endlich zum Zorn reizte.

Er entriß sich mit einem verächtlichen Blicke seinen zudringlichen Händen und wandte sich, um seinen Weg fortzusetzen. Aber den unglücklichen Sebastian übermannte die Leidenschaft; seine Wangen brannten, seine Hände zitterten vor Wuth. Das war nicht bloß gekränktes Ehrgefühl, nicht erbitterte Leidenschaft, das waren die Spuren der unseeligen Trunksucht, der sich der Arme ergeben. Kurz zuvor, eh' Vater und Sohn die Stadt verließen, hatten sie sich am Genusse berauschender Getränke erlabt, um Vergessenheit zu suchen für Kummer und Noch und für den drückenden Schmerz, der ihr Gewissen belastete. –

Mit wilder Hast stürzte Sebastian auf den Junker.

Wagst du's, Bauer! rief Eduard, über die Verwegenheit empört, zog den Hirschfänger, den er zur Seite führte und hielt die scharfe Klinge vor.

Doch Sebastian ergriff seinen Arm, entwand ihm den Degen und schwang ihn über dem Junker selbst, der beim Ringen zu Boden stürzte. Der laute Wortwechsel hatte einige Diener aus dem Schlosse herbeigerufen. Sie sahen im Schein des Mondlichts die Klinge blitzen und als der Junker niederfiel, waren sie eilig herbeigekommen, entrissen dem tollkühnen Sebastian den Fänger und warfen ihn zur Erde. Er ward gebunden und auf Eduards Befehl in ein enges Gemach geführt, dem die vergitterten Fenster und die Lage in einem untern Erdgeschoß nicht viel mehr als das Ansehn eines Gefängnisses gaben. Eduard verlangte jedoch von den Dienern das tiefste Stillschweigen über den Vorfall, der allen räthselhaft sein mußte, besorgte selbst die Verschließung des finstern Gemachs, das der Mond nur spärlich erhellte und überließ den unglücklichen Gefangenen auf einem Strohlager seinen Gedanken und Betrachtungen, die er voller Reue über seine Verwegenheit anstellen mochte.

Sebastian hatte vollkommen Zeit, über seine Lage mit kalter Ueberlegung nachzudenken, denn eine lange, schlaflose Nacht stand ihm bevor und kaum war sie angebrochen. Er konnte sein Benehmen gegen den Junker nicht anders als übereilt schelten und seine Heftigkeit sich vorwerfen; dachte er jedoch an Eduards Liebe zu Lisetten, so begann sein Blut in den Adern wiederum zu toben. Es war nicht brüderliche Sorge um die Schwester, es war die volle Leidenschaft zu einer Geliebten, die ihn bewegte, und die Flamme der Eifersucht loderte in seinem Herzen.

Die Nacht war vergangen in unsäglicher Qual. Der Morgen brach an; man brachte ihm Frühstück. Der Morgen verging und der Wärter kam und brachte ihm zum Mittag Essen. Man speiste ihn ab wie einen Verbrecher, man behandelte ihn wie einen Verurtheilten und der Thürschließer, ein ihm sonst bekannter Mensch, betrachtete ihn mit verächtlichen Seitenblicken.

Da stieg in ihm der Gedanke auf, die Mordthat des Vaters könne entdeckt und bekannt sein und man wolle am Sohn zuerst die Strafe vollziehen. Eine Angst und Furchtsamkeit für sich und das Schicksal der Seinen beschlich ihn und in dieser Stimmung traf ihn Eduard, der gegen Abend das Gefängniß besuchte.

Sebastian blieb schlaff auf seinem Strohbündel sitzen und wagte kaum, den furchtsamen Blick zum Junker zu erheben, der schon eine Zeit lang vor ihm stand und ihn schweigend betrachtete.

Ihr seid strafwürdig, Sebastian, begann Eduard endlich mit gemäßigter, sanfter Stimme, denn ihr habt mich ungestüm beleidigt. Doch was mich betrifft, so kann und will ich euch verzeihen und möchte euch die Freiheit schenken; aber ihr seid strafwürdiger in den Augen der Welt, denn ihr habt euch, so erzählt man sich, an der Person eines Edelmanns vergriffen, ihr habt ihn auf seinem eignen Grund und Boden gemißhandelt oder doch die Absicht gehegt. Mein Vater, den ein böses Ungefähr an das Fenster seines Zimmers führte, hat unsern Auftritt im Schloßhofe wahrgenommen; er hat die Bedienten gezwungen, ihm Rede zu stehen und ich selbst habe ihm nichts verschweigen dürfen. Er würde hart gegen euch verfahren: deßhalb will ich euch zur Flucht behülflich sein, wenn ihr Verschwiegenheit geloben wollt. Zwei Tage mögt ihr noch hier im Gefängnisse verweilen; in der dritten Nacht, bis dahin habt ihr nichts zu fürchten, geb' ich euch Gelegenheit zu entweichen, versehe euch mit Geld und lass euch geheim über die Grenze unsers Bodens bringen, den ihr für's erste nicht wieder betreten dürfet.

Sebastian war von seinem Sitze aufgestanden, in etwas erleichtert, denn es war ja nicht die Rede vom Verbrechen des Vaters.

Was macht Lisette? fragte er innerlich bewegt und betrachtete den Junker mit einem zweideutigen Blicke.

Ihr ist wohl, gab Eduard zur Antwort; ein tiefer Seufzer beengte seine Brust und er bedeckte seine Augen mit beiden Händen, in schmerzliche Erinnerung versunken. –

Sein Vater hatte auch von des Sohnes häufigen Besuchen in der Waldschenke Kenntniß genommen und den Vorfall im Schloßhofe damit in Verbindung gesetzt. Der alte Baron litt am Podagra und hatte, wie es die Eigenthümlichkeit dieser Krankheit mit sich bringt, seine heftigen, jähzornigen Stunden, in deren einer er seinem Sohne die nur allzu richtigen Vermuthungen darüber mitgetheilt hatte, die er mit dem ganzen Ausbruch seines Zornes und den bittersten Verwünschungen begleitete.

Du sollst dich vermählen, hatte der Alte seine barsche Rede geschlossen, die Gräfin Aurelie ist dir bestimmt, damit des Oheims Erbschaft dir zufällt und da mag dir, denn die Gräfin ist älter als du, ein junges Weib nebenbei genügen; aber wie kann ein Edelmann einer gemeinen Creatur nachlaufen und sie lieben! –

Eduard war kein gemeiner Mensch. In wissenschaftlichen Beschäftigungen, denen er sich mit Neigung ergab, erwachsen, war ihm der Sinn für das Edle und Schöne zur andern Natur geworden und die Verletzung seines Zartgefühls wollte er durch die Beharrlichkeit seines Willens gegen den Vater rächen; es reifte in ihm der Plan, den schon das empörte Ehrgefühl ihm einflößte, die Liebe zu Lisetten nicht aufzugeben und die Disharmonie ihrer niedern Abkunft mit der seinigen, so gut es sich thun ließ, in Einklang zu setzen.

Die Erinnerung an das Verhältniß zu seinem Vater und zugleich der volle Schmerz der Liebe überfiel den armen Eduard, als Sebastian nach seiner Schwester fragte, und er stand lange da, versunken in das Gefühl seines Unglücks, während Sebastian ihn ungewiß anblickte, dem sein Benehmen räthselhaft erscheinen mußte. Endlich raffte er sich zusammen, empfahl seinem Gefangenen noch einmal Stillschweigen, mit der wiederholten Verheißung auf Freiheit, und verließ das Gemach.

Der Abend war heraufgezogen und schon brach die Nacht herein; der Mond warf sein volles Licht auf Sebastians Lager durch ein kleines Fenster, das oben in der Mauer nach dem Schloßhofe führte. Sebastian saß auf seinem Bündel; er schien auch diese Nacht dem Schlafe sein Recht nicht einräumen zu wollen: die Begebenheiten seines Lebens hatten sich in kurzem so gedrängt, daß seine Gedanken Stoff genug hatten, hin und her zu kreuzen.

Endlich aber begannen seine Augenlieder matt zu sinken, er streckte sich bequemer auf die schlechte Ruhestätte: da bewegte sich eine Gestalt an dem Fenster und rauschte mit dem Kleide gegen das Eisengitter, bückte sich, erhob sich wieder und klopfte dann leise mit dem Finger an die Scheibe.

Sebastian, bist du's? erklang eine lispelnde, fragende Stimme.

Himmel! das ist Lisette! schrie Sebastian, freudig erschreckt sprang vom Lager auf und strebte nach dem Fenster, welches jedoch so hoch war, daß es von seinen Händen kaum erreicht werden konnte. Aber der Drang, seine Schwester zu sehen, war zu stark; er grub mit den Nägeln hastig eine Spalte in die Mauer, stieg hinein mit dem Fuße und schwang sich in die Höhe, den Fensterflügel erfassend, den er mit vieler Mühe eröffnete.

Du bist's! riefen Bruder und Schwester mit einem Tone, jeder fragte und antwortete fragend dem andern.

Lisette streckte ihre Hände verlangend durch's Gitter und Sebastian küßte ihren warmen, weichen Arm mit dem seeligsten Entzücken, wie ein Verdammter, der an der Pforte der Hölle stehend, einen Blick in das Himmelreich thut und eines Engels Hand ergreift, dem er nicht weiter nahen darf und kann.

Eine Pause der freudigsten und doch schmerzlichsten Gemüthsbewegung erfolgte. –

Du böser, böser Mensch, begann Lisette endlich, wie sind wir deinetwegen so in Angst gewesen! Kein Schlaf kam in unsre Augen die ganze Nacht, bis am Morgen Eduard – der Junker, wollt' ich sagen, kam und uns Nachricht gab von deinem Aufenthalte. –

Ach dieser Eduard, dieser Junker! seufzte Sebastian aus tiefster Seele. Um aller Heiligen willen, Lisette, laß ab von ihm, denn er kann dich zwar in Wohlleben und Ueppigkeit führen, aber doch in Schmach und Schande vor Gott und allen guten Menschen. O mein Jesus! wie sind wir denn dazu gekommen! Der Vater ein Räuber und Mörder; der Sohn ein Wüthender, der sich in der Trunkenheit an einem Edelmann vergriff und im Kerker seine Strafe büßt; und die Tochter eines Edelmanns Liebchen und Kebsweib! –

Pfui, pfui! rief Lisette in der ganzen Empörung ihrer sittlichen Unschuld, während sie die dunkle Röthe ihrer Wangen nicht verbergen konnte. Eduard ist ein edler Mensch, er kann mich nicht in das tiefste Elend stürzen. Warum sollte er mich denn lieben, wenn er mich unglücklich machen wollte; er liebt mich ja und ich liebe ihn wieder. –

Und darum treffe mich das Strafgericht des Himmels, schrie Sebastian, weil ich dir auch gut bin und dich auch liebe? –

Aber du bist ja doch mein Bruder, flüsterte die erschrockene Lisette. –

Und Er, rief Sebastian, Er ist ein Edelmann!

Ein Geräusch, wie von Kommenden, trennte die Geschwister; Lisette schlüpfte vom Fenster fort und schlich der Mauer entlang zum Schloßthor hinaus. Ohne Versöhnung, ohne Trost schieden sie von einander und Sebastian drückte das Fenster zu, glitt die Wand hinab und warf sich, an seinem Schicksal verzweifelnd, auf das harte Lager.

Kein Schlummer verdrängte das dumpfe Brüten seiner Seele und so war er noch vollkommen wach, als, nicht lange nach Mitternacht, die Thür seines Gefängnisses sich öffnete und der Junker, eine Lampe in der Hand, eintrat, von einem Diener begleitet, der verschiedene Geräthschaften unter einem Tuche verborgen trug.

Ihr sollt schon heut' in Freiheit gesetzt werden, sagte Eduard, nachdem er Sebastian gegrüßt. Ihr habt das theils Lisettens Bitten, theils meiner Besorgniß zu danken, daß euch schon morgen etwas Unangenehmes von Seiten meines Vaters zugefügt werden möchte.

Er wandte sich dann schweigend an den vertrauten Diner, der unter dem Mitgebrachten ein Beil hervornahm und die Thür des Gemachs, mit so wenig Geräusch es sich thun ließ, von einander zu spalten begann, damit die Flucht des Gefangenen nicht im Einverständniß mit dem Wächter, sondern eigenwillig erschiene.

Nachdem das Werk vollzogen war, so daß die aus einander gebrochene Thür völlig das Ansehn hatte, als sei sie von innen heraus zersprengt, ward Sebastian, der von Eduard sehr reichlich mit Geld und einem Mantel gegen die Nachtkälte versehen war, hinausgeführt und im nahen Walde, der an den linken Flügel des Schlosses stieß, auf einen Wagen gesetzt, der ihn sicher eine Strecke fortbringen sollte. Eduard empfahl ihm noch einmal, sich für's erste nicht in der Nähe sehen zu lassen, wünschte ihm Glück zur Reise und der Wagen rollte schnell davon, der ihn noch vor Anbruch des Tages vier Meilen weit vom Schlosse brachte.

Sebastians Entschluß, was zu thun sei, war bald gefaßt. Er hatte Geld, womit er sich lange Zeit erhalten konnte, aber er wollte Beschäftigung und Zerstreuung. Das dritte Jahr des dritten schlesischen Krieges brach an. Auf allen Wegen und aus allen Winkeln seines Reiches ließ der König junge Mannschaft werben; Sebastian meldete sich zum Kriegsdienst. Seine hohe, schlanke Gestalt brachte ihn zur königlichen Garde, sein entschlossener Muth, seine würdige Haltung verschafften ihm bald die Gunst seiner Obern und so fanden wir ihn denn in der Nacht, die dem Treffen bei Torgau folgte, auf der Dommitscher Heide und suchen ihn dort wieder auf im Kreise der schlafenden Kameraden, die in wunderlichen Gruppen um das verglimmende Wachfeuer lagen, ermüdet vom schweren Dienst des Tages.

*

Auch auf Sebastians Lebensgeister, die bis jetzt unermüdlich thätig gewesen, alle schmerzlichen Erinnerungen der Vergangenheit in sich zu erneuern, schien der Schlaf allmählig sein Anrecht geltend zu machen; seine Augenlieder sanken gemach, endlich ruhten sie geschlossen und er schlief fest.

So sehr ihn auch die militärische Beschäftigung in fortdauernd angestrengter Thätigkeit und in steter Betäubung erhielt; die Erinnerungen der Vergangenheit blieben frisch und lebendig, die ängstliche Sorge um das Schicksal des Vaters, die Liebe zur Schwester, der eifersüchtige Haß gegen Eduard, der, aus Furcht zurückgedrängt, jetzt wieder in voller Kraft erwachte, alle Gefühle, die sein Jugendleben durchzogen und so seltsam verwirrten, wollten durch die Macht der Zeit in seiner Seele nicht veraltern und häufig stand er nordwärts, nach der Gegend seiner Heimath blickend, aus der ihm nie eine Kunde erschollen war, seine Augen verfinsterten sich, seine Seele war betrübt bis in den Tod.

Wie ein verworrener Knäul lag das vergangene Leben hinter ihm und für die Fäden, die er abgerissen noch in Händen hielt, wußte er kein Mittel der Verbindung, Lösung und Entwirrung. Er konnte nichts Besseres thun, als schlafen, um sein Gemüth in Vergessenheit zu tauchen und abzuwarten, was ein weiteres Geschick verfügen würde. So überkömmt am Ende der Tage den armen, gequälten und umhergetriebenen Menschen ein glückseeliger Todesschlaf, und ein gütiges Geschick vergönnt ihm dann, die Lösung und Versöhnung zu finden für sein wundersam verstricktes Menschenleben, dessen Verwirrung hieniden ihm unlösbar schien.

Ein Büchsenschuß ganz in der Nähe schreckte plötzlich die Schläfer auf; ein zweiter fiel und eine Kugel fuhr zischend durch den Kreis der preußischen Krieger. Diese, aus dem friedlichen Schlummer mitten in die Angst des Lebens versetzt, waren aufgesprungen und fuhren bunt und lärmend durch einander, indem jeder nach seinen Waffen suchte. Rings um sie her war noch die Dunkelheit der Nacht verbreitet, alle standen betäubt und wußten nicht, wohin sie das Auge in der Finsterniß wenden sollten.

Wir sind von Feinden umgeben, flüsterte der Artillerielieutenant, der spähend umhergeblickt und das Ohr nach der Seite, von wo die Schüsse kamen, aufmerksam hingestreckt hatte. Ladet die Gewehre, aber verhaltet euch still! setzte er hinzu, indem er mit beiden Füßen sich bemühte, die noch glimmenden Kohlen auszustampfen, damit ihr Schein sie nicht verriethe.

Aber schon waren sie eben durch das Feuer den Feinden verrathen. Zwei östreichische Reiter sprengten auf sie zu und riefen ihnen mit der Frage: Wer da? das Feldgeschrei der Feinde entgegen. Da keine Antwort erfolgte und die Preußen im Schweigen verharrten, spannte der eine von den Reitern den Hahn seines Karabiners, ein Blitz erhellte beim Abdrücken die Gegend und die Kugel schlug pfeifend neben den Kriegern nieder. Sebastian und zwei andere Grenadiere, die sich in dem Haufen befanden, feuerten jetzt ebenfalls, der Oestreicher stürzte nebst dem Pferde zu Boden; sein Begleiter sprengte mit verhängtem Zügel davon.

Schon glaubten die preußischen Krieger der Gefahr entgangen zu sein, als eine solche in wahrer Gestalt erst ihnen entgegentrat. Nach der Entfernung des Oestreichers hörte man es von der Seite her, wohin er zurückgeeilt war, lebendig werden; eine volle Schaar feindlicher Reiter rückte in geschlossenen Gliedern heran; man sah es weniger, als man aus der rasselnden Bewegung es hörte.

Wir müssen uns links hinter die Sümpfe des Waldes ziehen, sagte der Artillerieoffizier, der ohne weiteres das Kommando übernommen hatte. Es kann nicht lange währen, so bricht die Dämmerung des Morgens an und wir, gestern Sieger des Tages, kommen heut' in schmachvolle Gefangenschaft. Das Rathsamste ist, wir suchen ganz still den Feinden aus dem Wege zu gehen; wenn etwas, so deckt uns am sichersten der Wald, wo wir freilich auch Gefahr laufen, in den Sümpfen stecken zu bleiben.

Mittlerweile rückten die feindlichen Reiter näher auf den bisherigen Standort der Preußen, den das unvorsichtige, unzeitige Feuern der Grenadiere verrathen hatte. Man hielt ihre unbedeutende Anzahl entweder für größer, oder wurde durch die Hoffnung gelockt, einen vornehmen Gefangenen zu machen.

Jeden Falls war es wunderlich, daß man auf eine Handvoll Preußen noch eine blutige Jagd anstellen wollte, nachdem die Wuth des Kampfes schon längst ausgetobt war. Es hatte sich bei den Oestreichern das Gerücht verbreitet, daß König Friedrich verirrt im Walde umherstreife; er war allerdings am Abend nach der Schlacht unter geringer Bedeckung einem Haufen feindlicher Truppen kaum entgangen. Vielleicht war dieß Gerücht der Grund, daß die Reiter noch in dunkler Nacht einen Streifzug hielten, in der Aussicht, den König zu fangen.

Unsern preußischen Kriegern war es gelungen, die nahe Waldgegend zu erreichen, während die getäuschten Oestreicher noch auf der Heide ihnen zu begegnen dachten. Allmählich begann jedoch der Tag zu grauen; man erblickte die weichenden Feinde zwischen den Bäumen und sobald sich Preußen und Oestreicher ansichtig wurden, ward der alte Haß gegen einander lebendig. Von beiden Seiten begann ein heftiges Feuern, das jedoch ohne großes Blutvergießen ausfiel, bis den Preußen Pulver und Blei ausging und sie sich eiligst auf die Flucht begaben, da sie den feindlichen Schüssen gänzlich bloßgestellt waren, ohne erwidern zu können.

Man suchte die Tiefe des Waldes zu erreichen, das Vorwärtsschreiten ging aber nur langsam von Statten wegen der unsichern Beschaffenheit des morastigen Bodens und der ungewissen Dämmerung, welche das Morgenlicht verbreitete. Die feindlichen Reiter waren abgesessen und drangen, die Karabiner in Händen, eilig vorwärts.

Plötzlich aber sahen die Preußen sich auf allen Seiten von einem tiefen Sumpfe umgeben, rückwärts ausgenommen, wo sie die Feinde bedrängten. Es war keine Möglichkeit, den Sumpf zu durchwaten, jeder, der es versuchte, versank oder lief Gefahr, stecken zu bleiben.

So, im Rücken den Kugeln der Oestreicher ausgesetzt und zu beiden Seiten und vorn eingeengt, sahen sie dem sichern Tode entgegen, und es blieb ihnen nichts übrig als der rühmliche Entschluß, in der Hoffnung sich durchzuschlagen, den Feinden entgegen zu gehen und, da die Gewehre nicht mehr ihren Dienst thun konnten, mit dem Bajonett oder dem Degen in der Hand sich einen Weg zu bahnen.

Alle machten sich bereit, um einen wüthenden Angriff auf die Uebermacht der Feinde zu wagen, die in kurzer Entfernung von ihnen Halt gemacht hatten.

Die Klugheit erfordert beinah, sagte der Artillerist, das wir uns gefangen geben. –

Da erscholl von der Seite her ein Gerassel wie von anrückenden Reitern, die das Schießen im Walde anlocken mochte.

Das sind Preußen! rief der Ziethensche Husar mit lauter Stimme. Nichts da vom Ergeben, Herr Lieutenant, fuhr er in kräftiger Begeisterung fort, wir schlagen uns durch. –

Nun denn, so mag eure Faust walten und das ihrige thun, versetzte der Offizier mit einem zornigen Seitenblick auf den Husar, der den Säbel hoch schwingend, mit tollkühnem Muthe alle um sich versammelte und an der Spitze des ganzen Haufens den Feinden entgegenstürzte.

Mit lautem Hurrahrufen und in bachantischer Wuth stürmte er voran; alle drängten sich an ihn, um wie ein Keil die Reihe der Feinde zu durchbrechen. Diese aber standen gefaßt und erwarteten nur die Annäherung der Preußen, um das Feuer ihrer Karabiner wirksam zu machen. Die erste Kugel traf den kühnen Anführer. Noch schwang der alte Husar, alle durch Größe des Körpers überragend, den Säbel hoch über seinen Kopf, da sank er, in der Brust getroffen, lautlos nieder. Nicht minder tödtlich waren die übrigen Kugeln der Oestreicher. Der ganze Haufe der preußischen Krieger ward zusammengeschossen; der Artillerieoffizier, der so richtig die übereilte Verwegenheit des ungünstigen Angriffs getadelt, lag blutend am Boden; auch Sebastian fuhr eine Kugel in den linken Arm, der Schmerz durchzuckte krampfartig seinen ganzen Körper, betäubt stürzte er nieder und mit dem letzten brechenden Blicke sah er den sentimalen Junker, der sich immer hinter ihn gedrängt hatte, winselnd über sich zusammensinken. –

Es konnten nicht viel Minuten verstrichen sein, als sich Sebastian von einer sanften Berührung erweckt und seine Stirn mit erfrischendem Wasser benetzt fühlte. Er schlug die Augen auf und sah sich in den Armen eines Chirurgus, der ihn in's Leben zurückgerufen hatte und seine Wunde an der Schulter untersuchte. Vor ihm stand ein Offizier in unansehnlicher Kleidung und von eben so wenig einnehmender Gesichts- und Körperbildung. Mit seiner hervorragenden, steilgeraden Nase bog er sich über den Verwundeten, der scharfe, leuchtende Blick seines Auges schien weniger mitleidige Theilnahme, als strenge Wißbegierde zu verrathen, seine Rechte ruhte auf dem gekrümmten Griffe eines Stockes, die andere in der Westentasche, auf der erhabenen, gedankenreichen Stirn saß ein kleiner, abgenutzter Hut.

Für diesen kann ich eher haften, Ew. Majestät, sagte der Wundarzt, auf Sebastian deutend, die Andern geb' ich sämmtlich auf. –

Es war König Friedrich selbst, der vom Pferde gestiegen war, um die seltsame Todesgruppe der über einander gefallenen Krieger näher in Augenschein zu nehmen. Ganz früh, noch eh' der Morgen graute, war er von seinem Nachtlager, in der Kirche eines nahen Dorfes, wo er sich kaum einige Stunden Schlaf gegönnt, aufgebrochen und eilte mit einer Schwadron leichter Reiterei nach der Dommitscher Heide, um das Schlachtfeld und den Stand der Feinde zu besichtigen. Das Schießen im Walde zog seine Aufmerksamkeit an, er näherte sich: die letzten der kleinen Heldenschaar sanken eben getroffen nieder und die Oestreicher hatten kaum Zeit, beim Heransprengen der preußischen Reiter davon zu eilen.

Sie sind den Heldentod gestorben, aber doch miserabel umgekommen, sagte der König vor sich hin, indem er das Terrain betrachtete, das die gefallenen Krieger gezwungen hatte, der Ueberzahl der Feinde die Stirn zu bieten. Seh' er 'mal, fuhr er zum Adjutanten gewendet fort, hier Sumpf und Moor, zu beiden Seiten nicht minder, und im Rücken Feinde. Ist das nicht en miniature ein prägnantes Bild meiner Lage in diesem vermaldeiten, maussaden Kriege? Standen wir nicht schon oft so, im Rücken und zur Seite eingeengt und mußten vorn drauf losschlagen, ein Mann gegen drei! Freilich schlugen wir uns durch und haben die Affaire meist brillanter gemacht.

Da raffte Sebastian bei diesen Worten des Königs all' seine Kräfte zusammen; es galt, seine und seiner Kameraden Ehre zu retten.

Majestät! sprach er, mit einiger Mühe sich emporrichtend, wir hatten kein Pulver und kein Blei; alles verschossen, nichts in der Faust als das Bajonett und den Säbel. –

Was ist er für ein Landsmann, Grenadier? fragte der König, indem er sich wieder zu Sebastian wandte. –

Ich bin aus Pommern, Majstät, war die Antwort. –

Nun, so laß er sich heilen, malader Kamerad und geh' er nach seiner Heimath, und ist der Krieg zu Ende, dann meld' er sich in Sanssouci, er soll Feldwebel sein und seine Pension ziehen. –

Nach diesen Worten grüßte der König, mit dem Kopfe nickend, bestieg sein Pferd und eilte an der Spitze der Reiter davon, während Sebastian, vom Wundarzte, der so eben die Kugel aus der Wunde nahm, am Arme unsanft berührt und vom Schmerze überwältigt, von neuem in Betäubung fiel.

Die östreichische Armee hatte den Kampfplatz um Torgau verlassen, den Preußen das Feld geräumt und diese somit als Sieger des verwichenen Tages anerkannt. In wenigen Stunden war das preußische Heer gesammelt und rückte mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen in Torgau ein, wo der König sein Hauptquartier aufschlug. Die Todten wurden auf dem Felde beerdigt, für die Verwundeten aber Hospitäler in der Stadt errichtet und zu den Kranken, die hier verpflegt wurden, gehörte auch Sebastian. Seine Wunde ward für gefährlich angesehen; ein hitziges Wundfieber hielt ihn lange auf dem Krankenlager und der ganze Winter verging, ehe man gegründete Hoffnung zu seiner Besserung schöpfen konnte. Der Andrang der Verwundeten ward jedoch in den Hospitälern so drückend, daß eine schleunige Heilung der alten Kranken wünschenswerth, ja nothwendig erschien, und so sehen wir denn Sebastian schon mit dem Beginn des Frühlings in der Uniform eines preußischen Feldwebels, aber den linken Arm noch in der Binde und mit bleichen, abgehärmten Wangen, nach seiner Heimath wandern.

*

Sebastians Kräfte waren noch sichtlich erschöpft; der Marsch ward ihm beschwerlich und er benutzte begierig eine Gelegenheit, die sich ihm darbot, die größere Strecke des Weges auf einem Wagen zurückzulegen. Er hätte, um sich gänzlich zu erholen, noch längere Zeit im Lazareth verweilen sollen; aber theils nöthigte ihn die Ueberfüllung der Krankenhäuser, seinen Aufenthalt daselbst zu verkürzen, theils und noch mehr war es ein innerer Drang, den Vater und die Schwester wieder aufzusuchen, der ihn von hinnen trieb; es war eine geheime, mahnende Stimme, die ihn nach der Heimath zurückrief. Scheu und Scham, Furcht und zärtliche Bangigkeit um das Schicksal der Seinigen, alle diese Gefühle, in voller Stärke erwacht, waren auf seinem Krankenlager nicht von ihm gewichen, hatten fortwährend seine Seele wachend beschäfftigt und auch im Schlummer seinen Träumen die verworrenen Verhältnisse seines Lebens in neuen schreckenden Bildern vorgeführt.

Wie mochte es dem Vater ergehen? – war sein Verbrechen entdeckt und er der Strafe und allem Elende preisgegeben? – hier reihten sich Vorstellungen in der traurigsten Ahndung an einander. Wie konnte das Verhältniß zwischen Lisetten und Eduard sich gestaltet haben. Wenn die Thaten des Alten, seine Wilddiebereien und der Mord, enthüllt: hatte sich dann der Edelmann losgesagt oder den Vater begnadigt, aus Liebe zur Tochter? War Lisette deßhalb dem barmherzigen Richter durch Dankbarkeit verbunden und ihm mit treuer Liebe zugethan?

Hier verwirrten sich all' seine Gedanken, eine unsägliche Angst trieb ihn vom Lager, er lief wimmernd umher und hatte keine Ruhe, bis er sich vom Schicksal der Seinigen überzeugen und die schwankende Unsicherheit seiner Vorstellungen mit der Wirklichkeit und wäre sie auch die härteste, die bitterste, vertauschen konnte.

Bei solcher Gemüthsstimmung hatte dem Kranken die Sorge um sein eignes Wohl und die so nöthige, ruhige Behaglichkeit fehlen müssen. Die Kugel, die ihn getroffen, hatte eine Sehne gesprengt und den Knochen, wenn auch nicht bedeutend verletzt, doch gestreift; Ruhe des innern und äußern Menschen hätte die Heilung gefördert, aber dieß fehlte unserem Sebastian gänzlich: die Wunde war nur oberflächlich geheilt. Der neue Wundarzt, der kurz vor seinem Aufbruch im Hospital angelangt war, hatte bei einer sorgfältigen Besichtigung des Armes seine Bedenklichkeit über die Abreise des Patienten eindringlich geäußert; aber den alten, von dem er vorher behandelt war, hatte Sebastian durch Versicherungen seines Wohlbefindens, von dem er sich selbst überredete, getäuscht und so ward denn die Kur für beendigt angesehen.

Die Wunde war geschlossen und gefüllt und bei anhaltender Schonung wäre der Verwundete vielleicht zum völligen Gebrauche seines Armes wieder gelangt; aber schon auf dem zweiten Tagemarsche waren Sebastians Kräfte erschöpft und er fühlte Anfangs leise, dann immer heftigere Zuckungen im kranken Arme.

Endlich sehen wir ihn an demselben Platze anlangen, wo er aus dem Wagen abgestiegen, der ihn vor mehr als zwei vollen Jahren, nach seiner Entlassung aus der Haft, von dem Schlosse des Edelmanns und seiner Heimath entführt hatte. An dem Orte, wo sich die Wege kreuzten, stand ein Wirthshaus. Auf einem Kreuzwege pflegt der Wandrer still zu halten und über sich und die Welt Betrachtungen anzustellen; um wie viel mehr nicht in einem Wirthshause!

Sebastian fühlte sich von der Bewegung des Fahrens ermattet, wie langsam auch der Frachtwagen, der ihn bis hieher geführt hatte, von den trägen Rossen fortgezogen sein mochte. Still und in sich gekehrt und mit einer gewissen Gleichgültigkeit, mit der man Wirthshäuser besucht, wo man der langen Weile zu entfliehen meint und oft noch eine längere Langweile findet, betrat er das Zimmer der Schenke, wo er mehrere Gäste versammelt antraf, welche sich über die politischen Ereignisse der Welt unterhielten.

Er glaubte einige der anwesenden Personen wiederzukennen, weil sie ja früher zu seiner Nachbarschaft gehört hatten; aber seine Stimmung erlaubte ihm nicht, sich unter sie zu mischen, um über das Schicksal des Vaters und der Schwester Erkundigungen einzuziehen, wovon ihn theils vorsichtige Klugheit abhielt, theils die Gleichgültigkeit, die in seinem Innern Platz genommen hatte.

Der Pelz, den er über der Uniform zum Schutz gegen die schneidende Frühlingsluft trug, verhinderte, daß man ihn für einen Krieger vom Schlachtfelde hielt, niemand von den Anwesenden beachtete ihn und er saß eben so um die ganze Welt unbekümmert, still und stumm, in der Ecke vor dem Tische, auf welchem ein Glas vom alten Liqueur stand, der für ihn ebenfalls den Reiz verloren zu haben schien.

Wie stürmisch hatte er sich nach den Seinen zurückgesehnt, wie eifrig hatte er seine Reise begonnen: und nun saß er matt und kalt da und fürchtete mehr sie zu beenden, als er es wünschte. Es drängte sich sogar der Entschluß ihm auf, seinen Weg zurückzunehmen, die Heimath nie wieder zu betreten und das Schicksal der Seinen nicht kennen zu lernen. Was konnte er thun, ihnen zu helfen und zu nützen? Waren sie bedrängt und elend, er mußte ihr Unglück nur vergrößern; lebten sie glücklich, so konnte sein Erscheinen nur störend auf ihr Glück einwirken.

Das waren die trüben Gedanken, die Sebastian beschäfftigten, bis seine Lebensgeister, von der ungewohnten Wirkung des Branntweins, den er sich während des Winters hatte versagen müssen, allmählig ermüdeten und er sanft einschlief.

Seltsame Gestalten bewegten sich auf den Wogen des Traumes schwankend vor seiner Seele, wundersame Mischungen düster drohender Schatten und lieblich lockender Gebilde hielten seinen Geist in Spannung. Es war ihm, als säß' er, ein Knabe, am Ufer des Meeres. Aus den brausenden Wellen erhob sich ein freundliches Mädchenbild, das ihn zu sich winkte und, als er zögerte, das wilde Meer zu betreten, an's Ufer sprang und seine blendend weißen Arme nach ihm ausstreckte. Er wollte ihr nahen, aber schwarze Schatten fuhren zwischen sie und das stürmische Meer ergoß seine dunklen Wellen über sie. Dennoch drängte er sich zu ihr; doch als er sie mit Riesenkraft an seinen Busen zog, erkannte er seine Schwester Lisette in den Zügen der Geliebten und mit einem Schrei des Jammers, den Sebastian von sich stieß, weil ihm plötzlich der Frevel der sinnlichen Neigung zur Schwester deutlich wurde, sank das ganze Traumbild zusammen, er selbst stürzte hinten über und sah sich erwachend neben dem umgefallenen Sessel am Boden.

Alle anwesenden Gäste waren, durch den Tumult erschreckt, von ihren Sitzen aufgesprungen und eilten neugierig zu Sebastian, der sich mit ihrer Hülfe vom Boden erhob und, die Augen reibend, verwirrt da stand, als ränge er noch mit den Geburten seines Traumes. Der Pelzrock, den er über seinem Unterkleide trug, war bei dieser Gelegenheit zurückgeschoben und man erkannte die Uniform des preußischen Soldaten.

Die gewohnte Neugierde zog die Leute zu ihm; ein älterer Mann blickte schärfer in sein Gesicht, strich ihm das Haar von der Stirn und rief, ihn plötzlich erkennend, erstaunt aus:

Mein Gott! Sebastian – Sebastian Anton, seid ihr's? Kehrt ihr aus dem Kriege zurück; man hat sich viel von euch erzählt. Und ihr seid hier und nicht drüben auf dem Schlosse bei dem gnädigen Herrn Baron und Fräulein Lisette, eurer Schwester! –

Laßt mich von hinnen, rief Sebastian, die Umstehenden von sich abwehrend, was hab' ich mit dem Baron zu thun – und was wißt ihr, ob ich je mit ihm zu thun gehabt! –

Seine stürmische, unfreundliche Aeußerung scheuchte die theilnehmenden Gäste und auch den Alten von ihm, der aus der früheren Bekanntschaft mit dem alten Anton ihn so gut wiedererkannt hatte. Die übrigen gingen zurück auf ihre Plätze und steckten murmelnd die Köpfe zusammen; die Namen Sebastians, seiner Schwester und Eduards gingen flüsternd von Mund zu Mund. Sebastian aber, der sich in dieser Umgebung verwirrt und beschämt fühlte, hüllte sich unwillig in seinen Pelzrock, bezahlte dem Wirthe den Liqueur, dessen Genuß eine so üble Wirkung bei ihm verursacht hatte, und ging langsam fort nach der Gegend des Schlosses und seines früheren Aufenthaltsortes, wo er die Seinen zu finden gedachte.

Nach einem mühsamen Marsche und noch immer in aufgeregter Stimmung, langte er endlich in dem heimathlichen Walde an, der das einsame Haus seines Vaters umgab, während er mit den heftigen Schmerzen kämpfte, die der Fall vom Stuhle im Wirthshause seinem kranken Arm verursacht hatte.

Es war ein schöner Frühlingsmittag. Die Luft war noch kühl und frisch, jedoch überall waren die Spuren schon sichtbar, wo die schaffende Kraft der sich verjüngenden Natur in Wald und Feld hervorbrach. Bäume und Sträucher begannen zu treiben und zu knospen, die muntern Waldvögel flatterten singend in den Zweigen umher, vor Sebastians Füßen breitete sich ein leuchtender grüner Teppich; aber in sein Herz wollte die Freude nicht einkehren, in ihm wollte die Brust zu einem neuen Leben sich nicht verjüngen.

Er kannte die alten Stege und Wege wieder, alles war noch wie sonst, auch die alte Waldschenke stand noch wie vormals da; aber die Thür war verschlossen, vor alle Fenster waren die Läden gehangen und das ganze Gebäude hatte nicht mehr das Ansehn eines bewohnten Aufenthaltsortes. Sinnend stand er vor der bekannten Pforte, dessen Klinke er mehrmals hin und her gerüttelt hatte.

Nach und nach waren ihm erst auf dem Wege die Worte des alten Mannes in dem Wirthshause, die er wie klanglose Laute in seinem Gedächtnisse behalten, aufgefallen. »Ihr seid hier und nicht drüben im Schlosse?« hatte ihn der Alte gefragt: die seltsamsten Vorstellungen kreuzten sich in seiner Seele. Wohnt der Vater im Schlosse, dachte er grübelnd, o Gott! so lebt er wohl an demselben Orte, aus dem ich durch die drückende Großmuth meines Feindes entlassen wurde? Oder wohnt Lisette drüben im Schlosse beim Junker in Frieden und Freuden!–: Der Gedanke war ihm noch trauriger und berührte noch schmerzlicher sein Gemüth.

In der Unruhe, die ihn überfiel, rannte er mehrmals um das Haus; nirgends war eine Spur anzutreffen, die den Aufenthalt eines lebenden Wesens darin verrieth, aber in dem kleinen Garten dicht hinter demselben, den Sebastian und Lisette in den guten Tagen ihres Lebens in fröhlicher Gemeinschaft angelegt und besorgt hatten, waren Veränderungen vorgefallen. Der Platz selbst, wo sonst Blumen und Küchengewächse durch einander gepflanzt und gezogen waren, lag wüst; am Ende desselben war eine Erderhöhung, mit grünen Rasen bedeckt und von einer Trauerweide überschattet.

Sebastian eilte mit klopfendem Herz dorthin. Es war ein Grabhügel, der Rasen schien noch frisch, doch konnte er neu gelegt sein, und die Weide, die wehmüthig ihre Zweige, wie das aufgelöste Haar eines weinenden Mägdleins, über ihn beugten, schien auf längere Zeit der Pflanzung zu deuten.

Vater, mein unglücklicher Vater, du bist's, der hier im Grabe schlummert! rief Sebastian, von tiefer Ahnung ergriffen, und warf sich laut schluchzend auf den feuchten Hügel, der von seinen Thränen noch feuchter ward. Du hast Ruhe gefunden, fuhr er nach einer Pause stiller fort, gut, ich will es loben; es ist auch nur zu loben, daß deine arme, von der kahlsten Dürftigkeit des Lebens geängstete Seele ihren Frieden gefunden hat. Ich will gläubig sein und an der versöhnenden Macht des Todes keinen Zweifel hegen, ich will glauben und mich überreden; aber Niemand anders kann hier ruhen, als du, mein Vater.

Noch einige Augenblicke lag Sebastian über des Vaters Grabe in dumpfem Schmerze.

Jetzt nach dem Schlosse drüben! flüsterte er mit bebender Stimme und erhob sich aus seiner knieenden Stellung. Wohl dem, der hier in Frieden schläft, versöhnt mit der Welt, mit sich und dem gütigen Richter im Himmel! Und wenn's auch nicht wäre, wenn auch seiner im Lande jenseits ein strenges Gericht wartete, besser, vom Schauplatz der Sünde fort, als hier leben in Pomp und Herrlichkeit, die die Seele betäubt gegen den lauten Ruf des Gewissens. –

Noch einmal streifte sein Auge über den Hügel und über die Trauerweide, die sanft vom Winde bewegt und mit den Blättern leise rauschend, über den Rasen sich bückte; dann schied er – es kam ihm vor, auf ewig, und eilte mit hastigen Schritten nach dem Schlosse des Edelmanns.

Angelangt auf dem Edelhofe, schritt er langsam an den Gebäuden auf und nieder, wie Jemand, der ein bestimmtes Geschäft und eine Bestellung erwartet. Das ganze Schloß hatte sich in dem Zeitraume seiner Abwesenheit bedeutend verändert; es war noch das alte, aber eine geschmackvolle Bekleidung des Aeußern gab ihm das Ansehn eines neuen Prachtgebäudes, auf eine gleich vortheilhafte Verwandlung des Innern ließ die verschönerte Außenseite schließen und das Ganze stand neu und herrlich da, ein Aufenthalt der Freude und des Wohllebens. Eine bequeme und elegante Auffahrt erstreckte sich vom Hauptportal zu beiden Seiten, durch dessen Glasthüren man den prachtvollen Flur des Hauses erblickte. Auch in dem Hofraum und dessen Umgebungen waren mancherlei Veränderungen sichtbar, aber vor Sebastians Augen ging alles unbemerkt vorüber oder er achtete deß alles nicht, denn seine Blicke schweiften rastlos an der Reihe der Fenster auf und nieder, ohne einen Gegenstand zu finden, an dem sie hafteten.

Die Mütze tief in's Gesicht gedrückt und in den grauen Pelzrock eingehüllt, ging er noch immer hin und her, bald langsam sinnend, bald mit hastigen Schritten, in leidenschaftlicher Aufregung. Die Diener des Schlosses, die auf dem Hofe beschäftigt waren, sahen ihn staunend und argwöhnisch an, denn für den ruhigen Betrachter hatte seine ganze Haltung, noch mehr aber seine Bewegung etwas Seltsames. Den wärmenden Pelz doppelt um den kranken Arm geschlungen und mit der Rechten ihn an sich pressend, stand er still und ruhig, denn der Schmerz in der Wunde hemmte seine ungestümen Bewegungen. Dennoch schien er wenig darauf zu achten, sondern in Gedanken zu einem Plane vertieft; es waren die Worte des Alten in der Schenke, die ihm so eben in den Ohren wiederklangen, als derselbe ihn mit Erstaunen fragte:

Und ihr seid hier und nicht drüben bei dem jungen Baron und Fräulein Lisette! –

Da rollte eine Equipage in den Schloßhof und das Geräusch zog seine Blicke dorthin. Ein leichter Jagdwagen, von zwei Rappen gezogen, flog an ihm vorüber; ein junger Mann in einem grünen Kleide saß drinnen, der die Rosse selbst lenkte, eine Dame ihm zur Seite, in einen schönen Pelz gehüllt; der weiße Schleier ihres Hutes flatterte rückwärts im Spiel des Windes.

Heiland der Welt! stammelte Sebastian bleich und zitternd, das ist Eduard und Lisette!

Wie ein Rasender stürzte er dem Wagen nach, der schon auf der Erhöhung zur Auffahrt vor der Flügelthür hielt. Die schnaubenden Rosse standen, die Dame stieg herab, während ihr Begleiter schon unten sich befand, mit der Linken den Zügel hielt und seine Rechte der Dame zur Unterstützung bot.

Sebastian drängte sich dicht an die Thür: er konnte sich täuschen – nein, es waren ihre braunen Locken, es war ihr blaues Auge.

Lisette! rief der Unglückliche und sank, im Uebermaaß der Angst seiner Seele, zitternd vor ihren Füßen zusammen; Lisette! rief er, zu ihr emporschauend, die fast mit Entsetzen unbeweglich ihm entgegenstarrte; Lisette! schrie er laut weinend und schlang seinen Arm um ihren Leib. –

Ha, ist es Sebastian, Ihr Bruder? rief Eduard zornig.

Mein Bruder, flüsterte Lisette, o Gott, der Unseelige!

Thränen erstickten ihre Stimme; sie verbarg ihr Antlitz, sie riß sich los und eilte in den Vorsaal des Hauses. Sebastian raffte sich zusammen, er wollte ihr nach; aber Eduard ergriff den Ungestümen mit kräftiger Hand. Er widersetzte sich und suchte loszukommen; es mißlang, aber die Pferde, deren Zügel nur schlaff in des Lenkers Hand ruhten, benutzten diesen Augenblick zur zügellosen Freiheit. Wild rissen sie sich fort und stürzten mit dem leichten Wagen in jäher Hast die Erhöhung hinunter. Eduard wurde mitgezogen, Sebastians Kleidung von den Rädern erfaßt und beide rings um den Hof geschleift, den die unbändigen Thiere umkreisten, eh' die herbei eilende Dienerschaft sie aufzuhalten im Stande war.

Die tobenden Rosse standen unwillig, während die Diener sie fest am Zügel hielten; das leichte Räderwerk des Wagens lag zerschmettert am Boden und unter den Trümmern holte man den Edelmann und Sebastian hervor. Sie konnten indeß nicht schwer beschädigt sein; die Räder, die sie ergriffen und mit sich gezogen, waren über sie fortgegangen, aber der leichte Wagen, der Last entledigt, konnte nicht gefährlich verletzen.

Der Baron stand schon wieder aufrecht und wies die Unterstützung, die man ihm anbot, von sich; es war nur der Schreck und die Betäubung, wovon er sich erholen mußte.

Sebastian jedoch lag matt am Boden, unfähig sich zu erheben, und richtete sich nur mit Hülfe der Bedienten auf.

Mein kranker Arm rief der Unglückliche leise wimmernd und sank bei der Berührung der alten Wunde bleich und todtenähnlich unter den Händen der Diener zusammen. Schon vor diesem Unfall hatte der Schmerz im Arme seine Glieder durchzuckt, eine Folge seiner heftigen Bewegung des Aeußern und Innern. Die Aufregung, in der sein Gemüth sich befunden, war Ursach gewesen, daß er so wenig Rücksicht auf den verletzten Arm nahm, und die Unruhe im Innern hatte seinem Körper die äußere Ruhe, die ihm nach der Anstrengung der Reise so nöthig war, nicht gegönnt. Jetzt aber, obschon nur leicht durch den Sturz verletzt, ward er von den heftigen Schmerzen übermannt und er lag in den Armen der Diener, ohne ein Zeichen des Lebens von sich zu geben. Durch seinen Schmerzensruf aufmerksam gemacht, berührte und untersuchte man den linken Arm vorsichtig und sorgfältig. Auf einen Wink des Barons, der theilnehmend zu ihm getreten war und seinen hülflosen Zustand erblickte, ward der Ohnmächtige in ein Zimmer getragen, wo er auf dem weichen Bett, nach Entledigung der beschwerlichen Kleidung, langsam das Bewußtsein wiedererhielt.

Lisette blieb unterdessen von dem ganzen Vorfall im Schloßhofe ununterrichtet; sie war auf ihr Zimmer geeilt, dessen Fenster nach der entgegengesetzten Seite des Gebäudes hinausgingen und verschloß die Thür hinter sich, denn sie wünschte allein zu sein, um sich von der Furcht und Angst zu erholen, in welche sie Sebastians plötzliches Erscheinen versetzt hatte. Sie ließ sich schweigend auf das Ruhebett nieder und begann den wundersamen Schicksalen ihres Lebens nachzusinnen, die immerfort der Gegenstand ihres stillen Denkens waren, wenn sie sich einsam befand.

Das Zimmer, in dem wir sie nach den veränderten Verhältnissen ihres ganzen Lebens betrachten wollen, war durch Pracht und Reichthum weit von jenem unterschieden, das sie in dem ärmlichen Waldhause des Vaters bewohnte. Dort, in dem engen Dachstübchen, war es der Geist der Ordnung, welcher mitten aus der Dürftigkeit der Umgebung dem Auge des Beschauers anmuthig entgegentrat, sowie die rührende Einfalt und die zarte Sitte, welche ihrem ganzen Wesen, bei aller Freimüthigkeit des Herzens, eigen war und ihrem Aufenthaltsorte sich eben so einprägte.

Hier in Eduards Hause, in welchem sie seit dem Tode ihres Vaters wohnte, umgab sie Pracht und Glanz. Der seidne Vorhang an den Fenstern, die geschmackvollen Geräthe, der offene, mit Noten bedeckte Flügel, die Gemählde an den Wänden, das Ruhebett, auf dem sie, den Kopf in die Hand gestützt, eben sinnend lag; alles zeigte von dem völligen Gegentheil, in das sich die Verhältnisse ihres Lebens umgewandelt hatten.

Sie selbst hatte sich in den Jahren, wo uns die Kunde von ihr fehlte, bedeutend verändert. Ihre Gestalt war voller und blühender geworden; die offene Freundlichkeit, die rücksichtslose Heiterkeit, mit der sie der ganzen Welt entgegenlachte, sprach nicht mehr so unverholen aus den Zügen ihres Angesichtes; ihr helles blaues Auge schien dunkler und die Freiheit ihres Blickes mit einer scheuen Bangigkeit vermischt; eine sanftere Röthe als sonst schimmerte auf ihren Wangen und ein Zug von stiller Wehmuth schwebte um ihre Lippen.

Die Eigenheit in der Wahl ihrer Kleidung und die verschwiegene Eitelkeit, die, so lange sie verschwiegen bleibt, dem Weibe so wohl steht, schien Lisette verloren zu haben und aus dem Reichthume, mit welchem der junge Baron sie beschenkte, wählte sie mit Gleichgültigkeit. Sie hielt es für niedrig, sich mit Eduards Ketten und Ringen zu brüsten, ja es schmerzte sie tief, wenn sie sich damit schmücken mußte und sie hatte ihn oftmals mit Thränen in den Augen gebeten, den allzukostbaren Geschenken Einhalt zu thun, mit denen er seine unerschöpfliche Liebe zu Lisetten zu bethätigen meinte.

Nach der Entfernung Sebastians hatte ihr Verhältniß zu Eduard an Innigkeit und Wärme zugenommen, seitdem der Vater in seiner hilfsbedürftigen Lage sich genöthigt sah, die Unterstützung des Edelmanns anzunehmen; nach dem Absterben des alten Anton jedoch und dem kurz darauf erfolgten Todesfall des Barons, ganz und gar der Hülfe Eduards preisgegeben, willigte sie endlich in sein dringendes Flehen, die für sie bereiteten Zimmer im Schlosse zu bewohnen.

In der trostlosen Bekümmerniß ihrer damaligen Lage und in Angst und Furcht gejagt durch den plötzlichen Tod ihres Vaters, der in unsäglicher Qual die letzten Tage seines Lebens hingeschleppt hatte, war sie fast außer Stande gewesen, über den gewagten Schritt, den sie that, mit kalter Besonnenheit nachzudenken.

Das Testament des Alten deckte ihre völlige Armuth auf, über Sebastians und ihr eignes Verhältniß zum Gestorbenen gab es den traurigsten Aufschluß, und bekümmert und bedrängt, warf sie sich dem Manne in die Arme, der ihr mit voller Liebe entgegen kam und dessen grenzenloser Güte sie auch noch nicht zu entgehen wußte, weil sie ja mit ganzer, inniger Seele an ihm hing und unter allen Menschen sonst einsam und verloren dastand.

Eduards Neigung war seitdem nicht vermindert; sie hatte sich in dem täglichen Umgang gesteigert, als die Geliebte, nunmehr in seiner Nähe, die ihn unendlich beglückte, Tugenden und Talente des Herzens und Gemüthes entwickelte, die er nirgends in der ganzen weiten Welt in so reiner Würde wiederzufinden wähnte. Er schien ganz seelig in seiner Liebe, ganz erfüllt von seinem Glücke und in der Nähe der Geliebten keinen Mangel zu fühlen.

Dennoch konnte es nicht fehlen, daß ein weiteres Bedürfniß seines Herzens und die Sehnsucht nach dem vollen Besitz der Gattin in ihm rege wurde. Auch in den reinsten Herzen, die an einander schlagen, wird die Sehnsucht zum Genuß und zum Augenblicke der innigsten Vermählung, bald leise lockend, bald stürmisch dringend, lebendig werden, denn in diesem Drange liegt das tiefe Geheimnis; der Liebe still und scheu verborgen.

Auch Lisettens Seele mochten neue Wünsche wie leise Mahnungen an ein noch ungeträumtes Glück vorschweben und das war es, was die Freude ihres Lebens und die Wonne ihrer Liebe störte. Sie gab sich seiner Zärtlichkeit nicht mehr mit unverholner Neigung hin, eine bange Scheu ergriff ihre Seele, wenn er ihre Lippen küßte, sie war selbst befangen, wenn er ihre Hand ergriff, und ihr Auge schwamm in dunkler Gluth, wenn das seinige auf ihr haftete.

Um das Maaß der Schwermuth in Lisettens Gemüthe voll zu machen, drängte sich ihr der Gedanke noch auf, mit dem sie in den Stunden der Einsamkeit sich peinigte: was die Welt, was die Menschen von ihr und ihrem Verhältniß zum Baron denken mochten! Bei ihrem äußeren Erscheinen genoß sie alle Rechte und Auszeichnungen, die nur Eduards Gattin zukamen; die Diener des Schlosses warteten ihr auf, wie sie nur die gnädige Frau des Hauses bedienen konnten; an der Mittagstafel erschien sie an der Seite des Barons, der untröstlich war, wenn sie bisweilen die Laune, allein zu speisen, durchsetzte; und des Abends war es Eduards höchster Genuß, wenn sie beisammen auf ihrem Zimmer musikalischen Beschäftigungen die Zeit widmeten.

Eduard spielte die Flöte, er liebte Musik leidenschaftlich, ohne jedoch selbst auf seinem Instrumente bedeutendes zu leisten. Lisette hatte in kurzer Zeit das Fortepiano erlernt, sie übte eine gleiche Meisterschaft über ihre klangreiche, innige Stimme, wie über ihr Instrument, und Eduard lauschte wie ein verzückter Geist, wenn sie seine Lieblingsarien sang und auf dem Flügel begleitete. –

Es konnte nicht fehlen, daß jedem Fremden, der das Verhältniß zwischen Lisetten und dem Baron nur in der Gegenwart betrachtete, beide als ehelich Verlobte erschienen; wer aber näher darum wußte, daß sie die Tochter des weiland armseeligen Gastwirths zum grünen Esel war, und wer zugleich die Macht und Stärke einer tugendhaften Frauenseele nicht kannte, dem mußte Lisette in einem schlimmern Lichte erscheinend.

Was half es ihr, daß sie mit der Reinheit ihrer und Eduards Neigung die Vorwürfe eines allzu ängstlichen Gewissens niederschlug; vor den Menschen blieb dieß verborgen und die arge Welt beurtheilt gar gern zu leichtfertig und böse alles das, was die zartesten Interessen des Gemüthes berührt. Was half es ihr, daß in guten Stunden die leichte, frohsinnige Seite ihres Wesens lebendig und siegreich hervortrat und sie in reiner Liebe ihres Glücks und ihres schönen Daseins sich erfreuen ließ; die Stunden der Bangigkeit und Sorge kehrten immer wieder und endlich ward es ihr klar und deutlich, ihr Verhältniß zu Eduard ermangele, zur Vollendung und sichern Beruhigung, der Rechtmäßigkeit, die nur eine ehliche Verbindung zu geben vermochte.

Die Ueberzeugung von diesem Gedanken, der doch, so schien es ihr, die Unmöglichkeit seiner Verwirklichung mit sich führte, trug sie schon lange mit heimlichem Kummer in ihrem Innern. Und er überwältigte sie auch jetzt wieder, als sie sinnend über sich und ihr Schicksal auf dem Ruhebette lag.

»Eduard« – rief sie schmerzlich aus – »ist ein edler, ein herrlicher Mensch, oder nein, ich finde keinen Ausdruck, der seinen ganzen Werth bezeichnen könnte; aber er ist vornehm, er ist Baron und ich die Tochter des Wirths aus der Schenke zum grünen Esel. Ein widriges Schicksal hat uns zusammengeführt, aber das Band, das uns scheinbar fesselt, muß gelöst werden und ein allmächtiger Gott gebe mir Muth und Stärke, es selbst zu zerreißen! Eduard hat die Welt wenig gesehn. Er muß fort unter Menschen seines Standes, er wird finden und glücklicher wählen unter den Damen seiner Geburt; er wird finden und glücklich sein und über mich walte dann ein gnädiges, barmherziges Geschick!«

Heiße Thränen entströmten ihren Augen, ihr Gesicht glühte; sie fühlte ihr Unglück, sie fühlte die ganze Unendlichkeit ihres Schmerzes.

Da klopfte es zum wiederholten Male an der Thür. Lisette stand auf und öffnete: es war Eduard. Er hatte sich umkleiden lassen und eilte zu ihr, um sie über den Unfall, der ihn und den Bruder getroffen, vorzubreiten, oder sie zu beruhigen, wenn sie schon davon in Kenntniß gesetzt wäre.

Ich sehe Thränen in Ihren Augen, Lisette? fragte Eduard, indem er sie theilnehmend anblickte. Also wissen sie schon von dem Vorfall; aber seien Sie unbesorgt, auch Ihr Bruder konnte nur leicht von den Rädern verletzt sein und die alte Kriegswunde am Arme soll, hoff' ich, hier besser geheilt werden. –

Ich weiß von nichts, rief die erschrockene Lisette, um Gott! was ist geschehen? wo ist Sebastian? –

In dem untern Zimmer jenes Flügels im Schlosse, war die Antwort.

Man setzte sich nieder und der Baron erzählte den Vorfall und zwar in so schonenden Worten, welche die Schuld des stürmischen Sebastian nur leise berührten, daß Lisette sich alsbald beruhigen mußte.

Also war nicht dieß die Ursach Ihrer Thränen? begann Eduard nach einer Pause. Lisette, werd' ich nie diesen Kummer kennen dürfen? werden Sie meinen Bitten hartnäckig verschlossen bleiben und mir alles anvertrauen, nur die Ursach ihres geheimen Schmerzes nicht, da ich ihn doch theilen und mittragen könnte?

Du bist nicht so glücklich, als ich es bin, Lisette. Ich kann mir denken, daß Dein Gemüth nicht ganz befriedigt ist, daß ich Deine reiche Seele nicht ganz zu erfüllen und zu beschäftigen im Stande bin; aber sollte nicht der Anblick eines Menschen Dich mit zur Heiterkeit stimmen, der ganz glücklich ist in seiner Liebe zu Dir, ganz erfüllt von Deinem Werthe, ganz seelig in Deinem Besitze! –

Sein gutes, seelenvolles Auge hing an dem ihrigen, er schlang seinen Arm um ihren Nacken und drückte sie sanft an sich, um ihre Wange zu küssen; da ergriff sie wieder die Unruhe und die Angst, die sie bei seiner Berührung fühlte, das Blut wallte tobend in ihren Adern und eine dunkle Röthe goß sich über ihr Antlitz. Sie riß sich hastig los aus seinen Armen und eilte von ihm; als Eduard aber betrübt und schweigend sitzend blieb, kehrte sie schnell sich wieder zu ihm, umschlang seinen Hals und drückte einen brennenden Kuß auf seine Lippen, um den Guten, zu versöhnen und ihn zu entschädigen für die allzu hartnäckige Verschwiegenheit. Dann sprang sie, um ihn völlig zu begütigen, zum Flügel, griff in die Tasten und sang eines jener schmelzenden Lieder, die Eduard so gern hörte, der in stummem Entzücken und mit gefalteten Händen dasaß und in stiller Andacht auf die Töne lauschte, die sie innig und leidenschaftlich bewegt vortrug.

Es mochte spät am Abend sein und die Dämmerung war hereingebrochen, als Eduard, durch ein Geschäft abgerufen, das Zimmer verließ. Lisetten überschlich die Sorge um den kranken Bruder; sie warf den Mantel über und machte sich auf den Weg, um Sebastian zu besuchen. Der Baron hatte ihr alles mitgetheilt, was er über den Zustand des Kranken in Erfahrung gezogen, sie hatte das Anerbieten, in seiner Gesellschaft den Bruder zu besuchen, abgewiesen, sie wollte ihn allein, ohne Zeugen sprechen, denn es drängte sie zu einer Mittheilung mit dem Unglücklichen, von dem sie in seiner Abwesenheit nur das schwankende Gerücht vernommen hatte, daß er im Dienst des Königs stände. Es war seit der Entfernung Sebastians so manches vorgefallen, was ihm zu eröffnen nöthig schien; zögernd stand sie noch eine Weile, um sich zu sammeln und zu dem schmerzlichen Wiedersehn sich vorzubereiten, dann ging sie über den Schloßhof zum andern Flügel des Gebäudes, mit dem festen Entschluß, dem Armen Trost einzusprechen und selbst seinen Vorwürfen, auf die sie gefaßt war, mit Geduld und mit Sanftmuth zu begegnen.

Sebastians Zustand war traurig und trostlos genug. Der kranke Arm war von einem Arzte neu verbunden, aber der Schmerz der alten, frisch aufgebrochenen Wunde zuckte durch alle Glieder und er saß, im Bette halb aufgerichtet, bleich und elend da, als Lisette langsam eintrat und dem Wärter, der bei dem Kranken wachen sollte, befahl, das Zimmer zu verlassen.

Bist du's wirklich? fragte Sebastian, als er die Schwester beim matten Schein der Lampe mit Müh' erkannte. Fräulein Lisette läßt lange Warten und schmachten, setzte er hinzu und ein bitteres Lächeln verzog seine Lippe.

Lisette begann bei seinen Worten zu zittern, als er mit lauterer Stimme fortfuhr:

O warum mußt' ich erst hierher kommen, um hier zu sterben! Warum durft' ich nicht, von der feindlichen Kugel getroffen, auf der Dommitscher Heide ruhig einschlafen! Ach Lisette, Lisette, müssen wir so uns wiedersehen? –

Er hatte sich mit Anstrengung ganz emporgerichtet und sank jetzt entkräftet auf sein Lager zurück. Lisette kniete mitleidig vor ihm; sie faltete, über ihn gebeugt, ihre Hände um die seinigen zusammen und lehnte ihre Wange an die kalte Stirn des armen Sebastian.

Nicht diese wilde Hast, mein Bruder, sagte sie mit leiser aber fester Stimme. Sei geduldig und gönne dir Ruhe. Schone deiner und meiner, wir sind ja unglücklich genug, und klage nicht mich an, sondern das Schicksal, das uns ungünstig war seit der unseeligen Stunde unsrer Geburt. –

Es war ihr nicht völlig Ernst mit diesen Worten der Mystik; sie trug ja, um alles Schicksal zu beschwören, den sichersten Talisman in ihrem Herzen, die stille Zuversicht und die feste Treue, mit der sie am Guten hing und an ihrer eignen reinen, unbefleckten Seele. In den Stunden der Trübsal und Angst hatte sie jeden Vorwurf überwunden und in sich aufgelöst, und ihre Beruhigung ward stärker und gediegener beim Anblick des Bruders, der körperlich und geistig leidend, an allem zu verzagen schien, was befriedigen darf und soll. –

Wo ist unser Vater? begann Sebastian. –

Er ist nicht mehr, er lebt nicht mehr unter uns, war die Antwort. –

O ich weiß, rief Sebastian, hinter dem Hause unter dem grünen Hügel, da hast du ihn bestattet und das ist gut von dir. Ob er ruhen wird in Frieden; ob ihm wohl sein mag im Tode! Doch laß uns nicht von ihm reden, sprich du von dir, ob du noch die alte treue Lisette bist. –

Warum nicht von ihm reden, mein Bruder! unterbrach ihn Lisette. An des Vaters Todtenbette hab' ich gelernt, wie man nicht sterben muß und wie ich nicht einzuschlafen gedenke. Sind doch unsere Sünden schon hienieden ziemlich abgethan und das Maaß der Strafe voll, und für das Unverschuldete giebt es einen ewigen Erlöser, der unverschuldet den Rest der Sünde für uns trug. Sei nur unser Leben kein Wirrwar, in dem wir eigensinnig umhertappen, und suchen wir nur nach dem Lichte, das in uns dämmert und wenn es erloschen, wieder angefacht wird durch die himmlische Gnade. Des Vaters Leben aber war ein Wirrwar und er glich in den letzten Tagen einem unseel'gen Geiste, der nach der Versöhnung mit dem Himmel ringend, sie nicht findet, weil er sie Zeit seines Lebens nicht in und mit sich selber suchte. Wir lebten ganz von der Gnade Eduards und wir brauchten nicht die Entdeckung und Bestrafung jener unseel'gen That im Forste des Barons zu fürchten: ich hatte sie ihm selbst bekannt und den Thäter entdeckt, mit allen Umständen und Veranlassungen und mit der vollen Schilderung dessen, dem das Bewußtsein des Bösen bald darauf den Tod so schwer machte. Ich traute Eduard und täuschte mich nicht in ihm; er sah ein, daß menschliche Strafe hier verschwinden müsse, wo die Stimme des Gewissens der härteste Richter war. Die quälende Unruhe seines Innern warf unsern Vater auf das Krankenlager, seine Natur erholte sich zweimal und erst das dritte Mal erschöpfte seine Kräfte ein abzehrendes Fieber. Er fühlte schon lange vorher seinen Tod nahen, die peinigende Angst, in der seine Seele schwebte, nahm zu, man ahndete und fühlte, daß er vieles auf dem Herzen hatte, aber seine Verschlossenheit zu verbannen war meinen Bitten und meinen Thränen unmöglich. Auf sein Testament verwies er, das er mit Andeutungen über die Verhältnisse seines Lebens begleitet hat. Er hatte mich eines Abends von seinem Lager fortgewiesen und als ich dennoch zu ihm zurückkehrte, fand ich ihn eingeschlafen. Der ganze Vorrath der Gebet- und Andachtsbücher, die er eifrig zu lesen pflegte, lag auf seinem Bette aufgeschlagen oder unter seinem Kopfkissen angehäuft. Er schien nicht ruhig gestorben zu sein. Seine Lippen waren krampfhaft zusammengepreßt, sein Kopf vornüber auf die Bücher geneigt, seine Hände eng gefaltet: im Lesen und Beten schien ihn der Tod dennoch bitter überrascht zu haben. – Sein Leben war voll Sünde! – weh' mir, daß das Wort über meine Lippen mußte, weh' dem Kinde, das von den Verirrungen seines Vaters spricht! – Das Testament ist eröffnet. – Sebastian, kanntest du je deine Mutter? Nein, auch ich die meinige nicht; wir wähnten sie früh verstorben. Erinnerst du dich, daß den Vater eine Unruhe anwandelte, wenn wir nach der seeligen Mutter fragten? Ach, Sebastian, unsere Geburt ist sündenvoll, wir sind nicht im Sakrament der heiligen Ehe geboren, unser Vater war niemals ehelich verbunden. O laß mich schweigen, Bruder, wenn du mein Bruder bist. Im Testamente steht alles geschrieben, nur eins will ich berichten.

»Ich hatte,« so lautet das Bekenntniß des Vaters, das er wenige Wochen vor seinem Tode zur späteren Eröffnung in seinem Testamente ablegte, »ich hatte vertrauten Umgang mit einer Frau, die, ohne daß ich's wußte, von ihrem Manne getrennt lebte und die ich zu ehelichen gedachte, eh' ich erfuhr, daß sie Anderen nicht minder als mir ihre Gunst schenkte. Ich trennte mich alsbald von ihr, aber sie schob mir das Kind unter, das sie gebar und bekannte mich als Vater desselben. Es war ein gutes, liebes Mädchen, ob sie aber meine Tochter, ob Lisette mein Kind ist, mag ich im Geständniß meiner Sünden vor Gott nicht bezeugen.«

Ach, Sebastian, die Muhme in der Stadt ist meine Mutter. Wo sie jetzt leben mag, ist mir unbekannt, denn sie hat ihren sonstigen Wohnort verlassen; ihre Spur hab' ich nicht entdecken können. O, mein Bruder, sei ruhig, ich bitte dich bei dem Allmächtigen, der uns gnädig sein möge. Beruhige dich, Sebastian, wie ich es that. In der Art unserer Geburt waltet mehr ein Zufall, als darin, wie wir sterben und übergehn zu einem andern Leben. Die Sünde, die mich in die Welt einführte, weis' ich von mir, denn sie gehört mir nicht und ich bin still und ruhig in treuer Demuth.

So bist du also nicht meine Schwester, Lisette? sagte Sebastian mit einem tiefen Seufzer, indem er sie innig an sich drückte. Nein, nein, der alte Anton war nicht dein Vater, der meinige war er, denn ich bin von seiner Art, aber nicht du, meine sanfte, süße Taube. Darum konnte, darum durft' ich dich auch lieben mit mehr als brüderlicher Neigung, darum konnt' ich dir auch zugethan sein in heißer Liebe, wie ein Bräutigam seiner Braut. – Muß es sich also lösen? Gelobt sei Gott im Himmel! – Sieh, wie ist mir nun so wohl und leicht um's Herz, da ich weiß, daß du nicht meine Schwester, daß du die Geliebte meiner Seele warst und sein durftest. Lebewohl, Lisette, die ich so innig liebte in den Tagen meines Lebens und meiner Stärke; lebe wohl, meine Kraft ist hin, aber ich sterbe ruhig, in der Hoffnung meiner Seeligkeit. –

Weinend hielt Lisette den treuen Geliebten umschlungen; ihre Thränen flossen in milder Wehmuth über ihre Wangen und Sebastian verhauchte an ihren Lippen seine Seele. Sie hielt ihn noch umfangen, aber sie fühlte seine Wangen kalt, seine Arme steif und ohne Leben; Sebastian lag todt an ihrem Busen. Der Wundarzt trat ein; er gedachte den Kranken zu besuchen und fand staunend einen Todten.

Lisette verließ das Zimmer und der Arzt übernahm die weitere Sorge für den Entseelten. Sie eilte zu Eduard, sie ergoß vor ihm ihre ganze Seele und fühlte Trost und Beruhigung an seinem mitfühlenden Herzen.

Am andern Tage ward Sebastian im Garten hinter dem Waldhause still begraben; neben dem Grabhügel des Vaters ward ein zweiter bepflanzt und eine zweite Trauerweide bog ihre Zweige über den frischen Rasen. Lisette aber gehörte ganz und völlig dem Leben an. Nach wenigen Monaten reichte sie ihre Hand zur ehelichen Verbindung dem Baron, der groß genug dachte, über Vorurtheile sich hinwegzusetzen, die der Zufall bestimmte und die fortgeräumt sind durch den Einklang der Gemüther. Lisette ward sein treues Weib und im vollen Besitze des Mannes, der ihr auf Erden alles war, genoß sie des Glückes, das ihrem Herzen gebührte und das der volle Ersatz war für die Leiden, welche die Tage ihrer Jugend trübten.

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