Heinrich Kruse
Seegeschichten
Heinrich Kruse

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Der Säufer von Juist.

        Wer zum Baue gehört, geht gern auf Reisen. Ich hatte
Auch zum Wasserbaue mich auszubilden beschlossen,
Und so reist' ich denn viel an den Küsten und Inseln der Nordsee.
Als ich in Norderney mir besehn den gewaltigen Schutzdeich
Sammt Leuchtthurm und Buhnen am Strand, so bedang ich ein Fahrzeug
Mich nach Juist zu bringen – in kaum zwei Stunden, so sagte
Boysen, der Schiffer zu mir. »Doch nehmt auch,« bat ich, »ein Boot mit
Wegen der Landung.« »»Das ist nicht nöthig!«« entgegnete Boysen,
»»Denn wir laufen in Juist mit der Flut bis dicht an den Strand auf.««
»Besser ist besser! Ich muß doch wünschen, Ihr nehmt uns ein Boot mit.«
»»Nein, das thu' ich nicht, Herr,«« entgegnete trotzig mir Boysen;
»»Denn das ist nicht Mode. Wir schleppen uns nicht mit dem Boote.«« 117
Boysen bestand auch zäh auf seinem friesischen Kopfe.
»Meinethalben, so wird ein anderer Schiffer mich fahren.«
»»Nein, der nimmt Euch ein Boot so wenig wie ich auf die Fahrt mit,
Denn das ist nicht Mode auf Norderney.«« So erfuhr ich,
Daß uns die Mode beherrscht nicht bloß in Paris und in London,
Sondern auch ebensowohl auf der kleinsten, entlegensten Insel.
»Nun, Ihr bringt mich nach Juist, und das Andere soll mich nicht kümmern.
Doch jetzt haltet Euch dran und laßt uns die Zeit nicht verlieren.«
Uebereilung ist nicht ein Fehler der Inselbewohner,
Und lang' währt' es bereits, eh' nur sich die Mannschaft vereinte,
Boysen, der Schiffer, sein Sohn und ein alter verwitterter Seewolf.
Und bald hatten sie Dies, bald Jenes vergessen. Ich sagte,
»Laßt uns die Flut nicht versäumen! So hißt doch endlich die Segel.«
»»So rasch geht es nicht, Herr,«« entgegnete Boysen. »»Zum Segeln
Fehlt es am Besten uns noch und so zu sagen am Hauptstück.««
»Und was ist das?« so fragt' ich den Schiffer. Er wies auf ein Fäßchen,
Welches man eben an Bord uns brachte. »Was ist in dem Tönnchen?«
»»Doornkaat!«« sagte der Schiffer. So heißt bei den Friesen der Branntwein, 118
Den Niemand so zu brennen versteht, wie der treffliche Doornkaat,
Unser Reichstagsmann aus Norden, dem freundlichen Städtchen.
Endlos wurde der Hahn gedreht an dem räumigen Fäßchen,
Um sich zur Reise zu stärken, so sagte mir Boysen, der Schiffer.
Mittag war es bereits und die Badeflagge gestrichen,
Als wir von Land abstießen, und endlich es rauschte am Kiele.
Auch beim Segeln vergaßen sie nicht, das Hähnchen zu drehen.
Jeder der Mannschaft riß dem Andern das Fäßchen aus Händen
Und ließ laufen, so lang' es laufen wollte; doch endlich
Dreht mein Schiffer es um und leert mit dem Munde das Letzte.
»Trefflicher Doornkaat!« rief er, vom langen Schluck sich erholend.
Aber so gern ich auch sonst in das Lob des vortrefflichen Mannes
Stets einstimme, mir war diesmal danach nicht zu Muthe,
Da ich die übele Wirkung des guten Getränkes erblickte.
Unsere Mannschaft, längst schon angeheitert, hantierte
Wunderlich mit dem Schiff, und es schien sich im Kreise zu drehen,
Kurz, als wir kamen nach Juist, da hatte die Flut sich verlaufen
Und weit lag schon entblößt von der Ebbe das flache Gestade,
Und so mußten wir denn vor Anker uns legen. »»Da sind wir!««
Sagte der Schiffer zu mir, und wies auf die glänzenden Dünen.
»Nein, da sind wir nicht! Wir sind noch weit von der Insel,
Und Ihr sollet nach Juist mich bringen.« »»Ja, weiter,«« so sagt' er,
»»Kann ich nicht fahren, Herr. Zieht Euch nun Stiefel und Strümpf' aus 119
Und – was macht es für Müh? – streift auf ein wenig die Hosen.««
»Nein, das ist mir zu mühsam.« »»So zieht Euch die Hosen nur ganz aus,
Nehmet sie über die Schulter und watet ans Ufer.««
                                                                                  »Ich danke!
Ist nicht Mode bei uns, Freund Boysen! Ihr habt mir versprochen
Mich nach Juist zu bringen. Erfüllt nun Euer Versprechen.
Euer Rücken ist breit und lastbar. Nehmt mich und tragt mich
Huckepack nach Juist.«
                                      Er kratzte sich hinter den Ohren.
»»Herr, das ist ja zu weit!««
                                            »So traget mich nur nach dem Boot da.«
Denn dort lag ein Boot im niedrigen Wasser. Im Boote
Saß ein Mann, mit dem Netz Garnelen zu fangen beschäftigt.
»Von dort komm' ich schon weiter.« Und Boysen bequemte sich endlich,
Mürrisch genug; denn er fühlte sich nicht mehr sicher beim Gehen;
Und oft schwankt' er bedenklich; auf unfreiwilliges Baden
War ich mehr als Einmal gefaßt; doch ging es noch glücklich.
Und im Boote der Mann war ein hochschultriger Riese,
Der auf den Rücken mich schlug, als wär' ich ein Bündel von Wäsche,
Und leicht trug an das Ufer von Juist wie der heilige Christoph 120
Weiland das Christkindlein. Ich besah mir die Dünen des Strandes
Und dann lenkt' ich den Schritt in das Dorf und trat in das Wirthshaus.
Doch wen traf ich da schon von Neuem beim trefflichen Doornkaat?
Boysen, den Schiffer. Er trällert ein Lied, was nüchtern den Friesen
Selten begegnet. Ich frug: »Was habt Ihr in Juist für Geschäfte?«
»»Ein sehr wichtiges, Herr! Ich muß uns das Tönnchen mit Doornkaat
Wieder versehn. Wir wollen von hier ja weiter nach Emden,
Und in der Mündung der Ems, da ist ein bedenkliches Wasser
Voll Untiefen und voll Sandbänken und Platten; da muß man
Segeln die Kreuz und die Quer, und das Nöthigste, Herr, bei dem Segeln –««
»Ist, ich weiß schon, der Schnaps!« »»Ihr werdet doch, hoff' ich, so gut sein,««
Meinte der Schiffer, »»den Schnaps zu spendiren.««
                                                                                  »Das laß ich wohl bleiben.
Wie mit betrunkenen Schiffern es geht, das hab' ich erfahren.«
Doch mein Boysen, er zieht aus der Tasche Münzen in Menge
Groß und klein, wirft's stolz auf den Tisch und lallet: »»Ich kann es
Selber bezahlen!«« Das Geld rollt hin auf den Boden, mit kleinen 121
Binsengeflechten belegt, daß mühsam es wieder zu finden.
Und so zog mein Boysen denn ab mit wiedergefülltem
Branntweinfäßchen. Ich sprach mit dem riesigen Mann, der so freundlich
Mich an's Ufer gebracht und versprochen, er trage mich wieder
Auch nach dem Schiffe zurück. Er war für die Juister der Fährmann,
Welcher so regelmäßig wie Mond und Flut nach dem Festland
Fährt bei wechselnder Zeit und wieder zurück nach der Insel,
Und ein nüchterner prächtiger Mann von Erfahrung und Einsicht.
»Nein, ich mag nicht zurück zum Trunkenbolde!« so sagt' ich
»Fährmann, bringt mich doch selbst in Eurem Schiffe nach Emden.«
»»Seid nicht bange,«« so sagte der Fährmann, »»wegen der Leute,
Denn sie sind ja gewohnt betrunken zu sein, und benebelt
Halten sie dennoch den richtigen Curs.««
                                                                  »Nein, fahrt mich doch selbst hin.«
»»Lieber Herr, so gern ich es thät', ich darf es nicht wagen,
Boysen würde darüber erzürnt sein. Der ist gerade
Jener Schiffer, der uns nach Juist herbringet die Fremden,
Die auf der Robbenplatte mit Seehundsjagd sich ergötzen.
Seht, da würd' ich mich ja mit den sämmtlichen Juistern verfeinden.
Nein, das darf ich nicht thun.««
                                                    »Doch bedenkt, sie haben das volle
Fäßchen wieder an Bord, und Boysen und seine Genossen 122
Werden nicht ruhn, bis daß sie es leer von Neuem getrunken
Und dann sind sie besoffen. Wie komm' ich mit ihnen nach Emden?
Muß man ein Unglück nicht sich besorgen? Drum thut mir die Liebe,
Fahret mich selbst!«
                                  »»Ich darf es fürwahr nicht!«« sagte der Fährmann.
»»Doch was das Fäßchen betrifft, entschlagt Euch, Herr, nur der Sorgen.
Dafür schaff' ich schon Rath.«« So nahm er mich denn auf den starken
Rücken und trug mich an Bord. »Ha,« rief er, die Stirne sich trocknend,
»Das hat Mühe gekostet! Ihr könntet mir wohl zur Belohnung
Einen Schluck aus dem Fäßchen erlauben.«
                                                                        »»Ja gerne,«« so sagte
Boysen, »»auch zwei! Der Herr ist schwer, das hab' ich erfahren.««
Also der Fährmann langt sich das Fäßchen und öffnet das Spundloch,
Leget den Mund daran und trinket. Er weiß es zu machen,
Daß mein Boysen den Rücken ihm dreht; dann hält er das Fäßchen
Ueber den Bord und läßt, was Doornkaats Künste geschaffen,
Rasch auslaufen in's Meer. Ich hörte das Glucksen mit Freuden,
Das von den Anderen nicht im Wellengeräusche bemerkt ward.
Als er die Hälfte, und mehr, aus dem Fäßchen gegossen, so schließt er
Wieder es zu und legt es zurück an die vorige Stelle.
Und so schieden wir lächelnd und drückten einander die Hände, 123
Aber der Fährmann machte sich auf und schritt nach der Insel
Watend zurück, oftmal mit fröhlichem Herzen den blanken
Abschiedsgruß sich beseh'nd. Gern hatt' ich mich dankbar bewiesen.
Und kaum schwellte der Wind nach gelichtetem Anker die Segel,
Als mein Boysen bereits sich das Branntweinfäßchen hervorlangt.
Anfangs merkt' er noch nichts. Doch bald, als das Fäßchen die Runde
Einmal gemacht, da muß man bereits vornüber es halten.
Boysen bemerkt es erstaunt und wie vom Blitze getroffen.
»Herre, Du meine – Wo ist denn die Gottesgabe geblieben?
Unser Fäßchen ist leer! Wo blieb denn das gute Getränke?«
»»Ja,«« so sagte zu ihm sein alter verdrossener Seewolf,
»»Warum habt Ihr dem Juister erlaubt aus dem Fäßchen zu trinken?
Dieser flämische Kerl hat ausgesoffen den Doornkaat.««
Und so fluchten und schimpften sie viel auf den Säufer von Fährmann.
»Herr,« so sagte der Schiffer zu mir in großer Entrüstung,
»Ich kann auch was vertragen. Doch eimerweise zu saufen
Wie ein Pferd, das ist mir noch nie bei Menschen begegnet.
Wenn ich der Fährmann wär', ich würde mich schämen. Der Säufer!
Uebel bekommt es ihm noch, und es sollte mich weiter nicht wundern,
Wenn er wie todt hinfällt und will ausschlafen das Räuschchen;
Doch da kommt dann die Flut und er muß elendig ersaufen.
Aber er hat es verdient, der Saufaus! Wenn er vom Fasse
Gut zwei Drittel auf einmal säuft, das nennt er ein Schlückchen! 124
Gott verdamm' ihn, den Völler!«
                                                    »»Ihr solltet doch christlicher reden,
Boysen, und billiger Weise die Größe des Mannes bedenken.
Denn je größer das Schiff, um desto schwerer die Ladung.
Seht, so war in Bingen am Rhein in der Rochuskapelle
Ein gar stattlicher geistlicher Herr, der die Predigt dem Volk hielt,
Das zum Feste des Heiligen dort zahlreich sich versammelt,
Und zum nüchternen Wandel ermahnte die fromme Gemeinde:
»Seid stets mäßig, Geliebte im Herrn, und genießet bescheiden
Seine Gaben, die hier ringsum am fröhlichen Rheine
Gott läßt wachsen auf Berg und im Thal am köstlichen Weinstock.
Jeder kenne sein Maß und überschreite es niemals.
Einige sagen – ich kann's kaum glauben – sie könnten nur eine
Einzige Flasche des Tags, nicht mehr, vom Weine genießen.
Das sind arme Leute und tief zu beklagen; man kann sie
Als Kreuzträger betrachten im irdischen Jammerthale.
Andere können nur zwei, drei Flaschen vertragen; auch sie sind
Von der Natur versäumt; vier Flaschen, das ist so der Durchschnitt,
Wobei, ohne zu murren, man fügen sich muß in das Schicksal.
Wer fünf Flaschen verträgt und sechs und meinethalb sieben,
Der ist ausgepicht und ein Glücksvogel zu nennen.
Aber am Lautesten hab' ich selber zu preisen die Allmacht;
Denn sie hat mir verliehen die seltene Gabe, daß täglich
Ich acht Flaschen vergnügt aussteche und wohl mich befinde. 125
Daß es am Leib mir gedeiht, das könnt Ihr ja sehen.« So schlug er,
Glücklicher Mann! sich stolz auf sein ansehnliches Bäuchlein.
Und solch Einer ist auch, wie leicht zu ermessen, der Fährmann.
Seht doch die Hünengestalt; ein Faß, das zu füllen nicht leicht ist.
Denn wir sahen mit all' dem Getränk im Leib' ihn behaglich
Sicheren Schritt's hingehen nach Juist und ohne zu torkeln.
Wolltet Ihr ihm es erlauben, so schluckt er gewiß Euch das Tönnchen
Ohne abzusetzen in Einem Zuge hinunter.««
»Ei, das sollte mir fehlen!« so rief unwillig der Schiffer.
Und so segelten wir gar bald vor der Ems und im Dollart.
Oftmals mußten die Schiffer die Segel da wenden und schwitzten
Unter der Julisonne. Als Boysen zu trinken verlangte,
Sagte der Sohn, auch sein Korbfläschchen wäre geleeret
Und an Getränk an Bord nichts mehr als Wasser vorhanden.
»Wasser hab' ich nicht gern im Stiefel, noch minder im Magen!«
Brummt mein Boysen darauf; indessen er trinkt doch, Gesichter
Schneidend und oft ausspuckend, das laulichte Wasser und flucht dann:
»Hole den Säufer von Juist, den Trunkenbolden, der Teufel!«

 


 


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