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Betrachtet man die heutige Welt, wie sie grau, langweilig, eintönig und kalt aussieht – und vergleicht man sie mit jenem üppigen, bunten, farbenprächtigen, lebenswarmen Dasein vergangener Tage – so möchten wir Alten schier seufzen über die Verzwergung und Erfrorenheit der jetzigen Menschen. Guter Gott! Was geschah, was geschah nicht alles zu jenen Zeiten, von denen uns die Großväter erzählten! Nicht als wollte ich sagen, daß damals alles besser gewesen, oder behaupten, daß es heutzutage schlimmer sei – aber weiß der Himmel – anders war es! oh! anders! der Mensch lebte und fühlte es, daß er lebte, denn er verbrannte sich manchmal, oder bekam eins über den Schädel; es flammte und kochte in ihm auf in rechtschaffenem Zorn – kam's jedoch dann zum Umarmen und Küssen, so krachten die Knochen im Leibe. Männer und Frauen, alle waren wir im Leben tüchtiger und heißer; fasteten bei Wasser und Brot, tranken aber kannenweise; rauften auf Leben und Tod, liebten aber bis zum Sterben. Heute ist alles blaß, elend, hüstelnd und kränklich; es liebt weder, noch haßt es herzhaft – atmet kaum und schleicht wie leblos herum …

Es wird sich wohl keiner von euch erinnern, noch wird er's gehört haben, was noch unter August II. Herrn Siegmund Pientka passierte; ich aber will's euch erzählen, damit ihr ein Pröbchen von dem Leben bekommt, welches damals fast überall gärte, und damit ihr erkennet, welches Feuer bei uns nicht nur in Männern, sondern auch in Frauen lebte. Doch muß ich ab ovo anfangen und euch vorher über die Familie und ihr Nest berichten.

Es ist bekannt, daß das Geschlecht der Pientka Otschkowitsch aus dem Drohitschischen stammte – aber wie es gewöhnlich beim ärmeren Adel geschah, daß selbst Leute von mittlerer Wohlhabenheit niemals lange auf einem Flecke sitzen blieben, und die jungen Leute sich, ihr Glück suchend, im Lande zerstreuten, um erst später zu heiraten, sich anzusiedeln und nach verschiedenen Richtungen abzuzweigen – so gab's auch wenige Orte, wo man, nachdem sie sich vermehrt, jene Pientkas nicht fand, die einen Nachtraben Wappen: Stehendes Hufeisen mit einem Kreuzchen, auf welchem ein Rabe sitzt. Anm. d. Uebers. in ihrem Siegel führten. Während sie ein Wappen behielten – da man in den letzten Zeiten bereits keine Kleinodien arbeitete, wie früher –, schrieben sich die Pientkas verschieden, je nach den Dörfern und Anwesen, die sie besaßen; Siegmund Pientka, von dem ich erzählen will, stammte von der Strumilow, des Wappens Dombrowa Wappen: Hufeisen mit drei Kreuzen. Anm. d. Uebers.; sein Vater oder wohl schon Großvater hatte sich im Krakauischen angesiedelt, wohnte dort, nachdem er ein Dorf erworben, und war wahrscheinlich Oberjägermeister, da man den Sohn den jungen Oberjägermeister nannte, bis er eine kleine Starostei und mit ihr einen selbständigen Titel erwarb.

Nun müßt ihr wissen, daß z. B. Hühner mit einem Schopf denselben schon durch Geburt zu eigen haben. Ob dies nun in der Erbschaft des Blutes liegt oder im Beispiel und häuslicher Gewohnheit – sicher ist, daß der Apfel nicht weit vom Baume fällt und eine Eule niemals einen Geier zur Welt bringt. Sagt, was ihr wollt, wie der Vater, so der Sohn, 's kommt selten anders. Zwar werdet ihr mir einwenden, daß Verschwender Geizhälse und Filze Prasser zu Kindern haben – 's ist wahr; dennoch ist es eine und dieselbe entartete Schwachheit des Geistes und Temperaments, die auch jene Geizhälse und Prasser schafft! – Es gibt ganze Familien von Schwachköpfen und ganze Geschlechter von Verwegenen … bei anderen vererbt sich das kochende Blut von Vater auf Sohn.

Es war vom ganzen Geschlecht der Pientkas vom Wappen der Nachtraben bekannt, daß bei ihnen der Narrenkolben Wie ihn früher die Schalksnarren trugen. Anm. d. Uebers. von einem auf den andern überging und daß die Pientkas erst beim vierten Kreuzchen Römische Ziffer X, also im vierzigsten Lebensjahre. Anm. d. Uebers. anfingen sich zu moderieren und gesetzte Leute zu werden. Dann waren sie so ehrbare und treffliche Bürger, sowohl beim Tanz als auch beim Rosenkranz, wie man keine besseren finden konnte – aber in jungen Jahren … keine Kette war so stark, an der du sie hättest festhalten können. Man erzählte sich Wunder von ihren Streichen: der eine entlief nach einem Sicz Befestigter Sitz eines Kosakenhaufens. Anm. d. Uebers. und trieb sich dort mit den Kosaken herum; ein zweiter ging mit ein paar Thalern vom Hause durch, durchwanderte ganz Europa und kam mit einer vollgefüllten Katze zurück; ein dritter endete elend in Konstantinopel, wo er an den Pfahl gespießt wurde. Wo wären sie nicht überall gewesen! In Klöstern und Feldlagern und am häufigsten dort, wo getrunken, gerauft und geliebt wurde, denn dann that es ihnen keiner zuvor. Man könnte sagen, ihr Haus war ihnen eine Hölle, so ungern saßen sie drin auch nur einen Tag, solange sie jung waren; hei! fehlte im Stall ein Pferd und ein Sattel und zu Hause ein Junge, dann kratzte sich der Vater bloß die Glatze – er wußte, was das zu bedeuten hatte. – Das Vögelchen war davongeflattert, und wenn's geschehen war, so war es umsonst, ihn zurückzulocken, zu fangen und zu rufen – der Junge mußte sich frei austoben. Sie kehrten verschieden nach Hause zurück; die einen krumm und lahm gehauen und nackt wie die verlorenen Söhne, die andern in Samt und Seide und goldenem Reitzeug – denn das Glück war gar verschieden gelaunt: selten jedoch einer ohne Schmarre am Kopf.

War der Vater gescheit, so gab er den Sohn beizeiten ins Lager, wo sich jene heiße Phantasie am freiesten austoben und auskochen konnte … Am schlechtesten kam weg, wer sie zügeln wollte, denn dann sprengten sie gar oft den Topf. Man erzählte sich von Hilarius Pientka, der die Güter Szeligs im Drohitschischen hatte, daß er seinen Sohn in ein Jesuitennoviziat steckte, um aus ihm einen Geistlichen zu machen … bis dieser später nach Hause zurückkehrte, aber mit einer Ungarin verheiratet.

Herrn Siegmunds Vater war wohl auch in seiner Jugend nicht besser; glücklicherweise hatte er eine Zeitlang als Soldat gedient, sich in der Rüstung tüchtig herumgeschlagen und manchen Aderlaß wegbekommen … dann heiratete er jene Strumilow, nahm sich voll Eifer der Wirtschaft an und ließ den Ueberschuß an Feuer bei Jagden aus – denn er war in der That de nomine et re ein Jäger von Beruf, besonders auf Wölfe, Bären, Wildschweine – und wo manchmal ein Spieß notwendig war, da bediente er sich desselben mit besonderer Passion. Im übrigen war's ein ernsthafter Mensch, in der Freundschaft beständig, gutherzig und, einmal gerührt, weich wie Wachs. Als der kleine Siegmund zur Welt kam, trug er ihn, da er Kinder über die Maßen liebte, vielleicht mehr auf den Händen herum, als die Amme selbst, spielte mit ihm, schnitt ihm Peitschchen zurecht und trieb seine Wunder mit dem Kleinen.

Einmal, als noch das Bürschchen winzig klein war, fand man ihn dasselbe in Schlaf einwiegend, nur war's schwer zu erraten, worin. An der Wand hing eine schwere eiserne Rüstung, wie sie die Husaren auf der Brust trugen. Weil sie bauchig war, legte er den kleinen Siegmund hinein und wiegte und schläferte ihn so ein; man hielt es für ein Omen, daß er dereinst ein Soldat werden würde, doch bewahrheitete es sich nicht. Weil es das einzige Kind war, von Vater und Mutter gleich verhätschelt, und der Oberjägermeister fürchtete, daß es nicht werde wie alle Pientkas, so sannen und überlegten sie schon beizeiten, auf welche Weise sie es vor Gefahren salvieren könnten. Mit allerlei Mitteln und Maßnahmen suchten sie die heftige, lebhafte und heiße Natur zu sänftigen und zu glätten und dem Kinde ein ruhiges Betragen und die Liebe zu einem stillen Dasein einzupflanzen.

Und richtig begann sich's schon frühzeitig zu offenbaren, daß sich dies Feuer auslodern müsse – Mundi war gut, aber weit über seine Jahre hinaus ausgelassen; kein Tag verrann, an dem er nicht einen Streich spielte oder eine Beule wegbekam, und noch war die eine nicht gefallen, schon setzte er sich einer zweiten aus. Man mußte ihn bewachen und ihm auf Schritt und Tritt nachgehen, – dennoch verstand er es, sich loszureißen. Der Vater nahm einen Schulmeister ins Haus, der im ewigen Nachlaufen hinter dem Jungen seine Füße verlor und es nicht einmal ein Jahr lang aushielt. Der zweite wurde stockheiser vor Schreien; man schickte ihn auf die Schule unter die strenge Zucht von Geistlichen, aber auch dort wußte man von seinen Streichen nicht genug zu erzählen. An jedem Quartal mußte der Vater ansehnliche Schadengelder bezahlen und neue Kleider anschaffen; man prügelte und strafte ihn wohl auch, doch erreichte man nichts damit; tags darauf wiederholte sich dasselbe.

Bekannte und Freunde sagten: Hast ihn doch im Harnisch eingewiegt, so laß ihn nun auch Soldat werden. – Der Vater wollte nicht recht und dachte, das Bier würde sich schließlich ausgären.

Die Jugendjahre werde ich euch nicht beschreiben. – Der Oberjägermeister wurde von einem Eber gefährlich gehauen und kränkelte. Und da er fürchtete, sein Einziger, dem damals schon ein Schnurrbart flaumte, könnte zu lange tollen, so beschloß er, nachdem er sich mit seiner Frau beraten, ihn zu verheiraten. Nun war's aber keine leichte Aufgabe, für ihn ein Weib ausfindig zu machen, denn irgend ein sanftes Geschöpfchen hätte sich mit Mundi keinen Rat gewußt und so mußte man denn eine suchen, die dem jungen Herrn einen tüchtigen Kappzaum anzulegen und ihn stramm zu halten fähig wäre. Mit der Kraft allein hätte sie ihn jedoch nimmermehr gezwungen, es mußte also ein schönes und gescheites Weib gefunden werden, um den rabiaten Jungen zu zähmen.

In der Nachbarschaft wohnte ein Schlachziz, ein gewisser Okon Pienkowski, nicht arm, nicht reich, wohlhabend und arbeitsam und gesegnet mit fünf bildhübschen Töchtern. Zwei davon waren verheiratet und hatten Segen ins Haus gebracht, drei heiratsfähige blieben noch zurück. Die Mutter hatte sie selbst erzogen und sie war eine, was man sagt, verständige Frau von fester Willenskraft; aus ihr konnte die Frau Oberjägermeisterin auf die Töchter schließen, denn fast immer geraten dieselben nach dem Bilde und der Beschaffenheit der Mutter. Sowohl dem Oberjägermeister als auch seiner Frau gefiel das Haus, die Leute und die Mädchen, besonders Elsbeth, das älteste von ihnen. Es war ein Mädel wie eine Hinde, hoch und kräftig gebaut, brünett, mit ein Paar fröhlichen Augen, mutig und lebhaft, von auffallender Schönheit, welche sich in der Farbe von der ihrer Schwestern unterschied; sie war weder eine helle Blondine, noch eine zu dunkle Brünette, hatte kastanienbraunes, goldig schimmerndes Haar und Zöpfe wie eine Königin. Dabei Händchen und Füßchen kleinwinzig, zart und geschickt; mit einem Worte, es hätte selbst der tadelsüchtigste Mensch an ihr nichts Tadelnswertes herausgefunden, höchstens das, daß sie mutig war wie ein Mann und ein bißchen unweibliche Launen hatte. Hätte man ihr gestattet, ein Pferd zu besteigen, sie wäre sicher mit ihm fertig geworden; sie schoß zum Vergnügen aus Muskete und Pistolen und erlangte eine solche Uebung darin, daß man die Treffsicherheit ihrer Schüsse bewunderte. Bisweilen setzte sie es beim Vater durch, daß er sie zur Wolfsjagd mitnahm, worüber jedoch zu Hause nicht gesprochen werden durfte. Ungeachtet dieses Temperaments liebten sie alle, denn sie war gut und aufopfernd wie ein Engel und hätte an Kranke und Arme ihr letztes Kleidchen hingegeben; dagegen durfte man von irgend einem Unrecht, von menschlicher Schlechtigkeit und Nichtswürdigkeit vor ihr nicht sprechen, so wütend ward sie darüber … Die Mutter, die bei den Fürsten Lubomirskis mit den Woiwodentöchtern zugleich erzogen worden war und, wie man zu sagen pflegt, Putz und Politur liebte, hatte ihre Töchter ein wenig parlieren und musizieren gelehrt und ihnen die Köpfe geöffnet; später bekamen sie auch als Bonne die Witwe eines Offiziers, welcher mit Leszczynski nach Lothringen gewandert und dort verstorben war; eine würdige Frau von höfischer Bildung; diese vollendete, was die Mutter angefangen.

Mundis Eltern, die oft zu den Pientkas kamen, konnten sich an Elsbeth nicht sattsehen – wer weiß, ob nicht der alte Oberjägermeister mit dem Untermundschenken Würde im einstigen Polen. Anm. d. Uebers. bei einem Gläschen über die Kinder sprach, nur hörte niemand etwas davon. Mundi mußte dem Mädchen so zugeführt werden, daß er keine Ahnung habe, daß man sie ihm geben wolle, sonst wäre er sicher vor ihr davongelaufen.

Ich weiß es nicht genau, wie man's bewirkt, daß er zu den Okons fuhr und dort Elsbeth erblickte, nur wollte sie ihm anfangs nicht gefallen. Die Eltern waren darüber ziemlich verstimmt. Zum Fasching luden sie die Nachbarn zu sich ein, Mundi die Wirtschaft und den Empfang anvertrauend, denn das verstand er wie einer. Es kamen die alten Okons samt den zwei verheirateten und den drei ledigen Mädchen. Elsbeth erschien wie eine Perle unter ihnen und verdunkelte durch ihre Schönheit und Gestalt nicht nur die Schwestern, sondern alle anwesenden Frauen. Erst jetzt gingen Siegmund die Augen auf, und vielleicht auch das Herz. Die Unterhaltung war überaus lebhaft und die Jugend trank nach Herzenslust. Mundi verwandte kein Auge von Elsbeth, und auch sie zog ihm kein schiefes Gesicht, denn er war ein bildhübscher, lustiger, beredter und geschickter Bursche, der den Tanz anzuführen und alle so merkwürdig zu erwärmen verstand, daß er überall den Vorrang einnahm. Beinahe zu Ende jenes tollen Faschings fand Herr Siegmund, wohl beim Tanzen, wo man die jungen Leute nicht sonderlich beobachtete, Appetit nach Elsbeths Kirschenmund; eine Wendung benützend, bückte er sich, um sie zu küssen und erhielt blitzschnell eine derbe Ohrfeige.

Wenn ich euch sagte, daß dieselbe das Handgeld ihrer gegenseitigen Liebe war, ihr würdet es vielleicht nicht glauben; doch war's in der That so, daß Mundi sich von diesem Augenblicke an rasend in sie verliebte und auch sie ihn mit wohlwollenderen Augen anzusehen begann, denn er war so gescheit, ihr nicht nur nicht zu grollen, sondern sie mit dem Glase in der Hand kniefällig um Verzeihung zu bitten.

Den letzten Tag des Faschings verbrachte man bei Okons und dort merkte man es bereits, daß sie zusammen etwas hatten, worüber sich der Oberjägermeister unbändig freute, wenngleich er so that, als ob er nichts sähe und nichts ahnte.

Während der Fasten riß Mundi sich unter verschiedenen Vorwänden zu Okons los, wo man ihn als den Sohn guter Nachbarn artig, jedoch ziemlich kühl empfing. Auch Elsbeth bezeigte ihm trotz ihrer Freundschaft keine besondere Neigung. Der Oberjägermeister, der auf allen Vieren Sprichwörtliche Anspielung auf den Pferdefuß des Teufels. Anm. d. Uebers. beschlagen war, warf absichtlich mit halben Worten herum, als wäre es nicht nach seinem Wunsch, den Sohn so jung zu verheiraten.

Indessen war Siegmund Feuer und Flamme, seine Liebe wuchs mit jedem Tage, sich ins Maßlose steigernd. Erst vertraute er's der Mutter an und diese versprach ihm, sich beim Vater verwenden zu wollen, um ihn geneigt zu machen. Als kluge Frau verriet sie, ihr Kind wohl kennend, mit keiner Silbe, daß ihr Elsbeth als Schwiegertochter sehr genehm wäre. Durch dieses verständige Vorgehen brachten sie Mundi dahin, daß er das, was die Eltern wünschten, aus eigenem Willen that, noch höchst beglückt von ihrer Einwilligung und ihrem Segen.

So heirateten sie sich denn. Der Oberjägermeister dankte Gott, daß er nun, nachdem er dem Sohne die Wirtschaft übergeben, ihn drin installiert und selbst nur einen kleinen Waldhof behalten hatte, über die Zukunft des Sohnes beruhigt, den Tod erwarten könne. Doch schien Mundi sich noch nicht genügend ausgetobt zu haben. Anfangs war die Liebe zwischen dem jungen Pärchen so groß, daß Mundi seine Elsbeth schier aufgegessen hätte. Er war rein toll mit ihr, überwachte die Wirtschaft und rührte sich nicht einmal aus dem Hause, außer zu den Eltern oder den Okons. Elsbeth nahm, diese Anhänglichkeit benützend, sofort alle häuslichen Angelegenheiten, die Wirtschaft, das Regiment und die Schlüssel in ihre Hand, doch so unmerklich, daß es Siegmund eher für eine Gnade nahm als für ein Unrecht.

Während der ersten Jahre ihres Zusammenseins starb erst die Oberjägermeisterin und, wie sich das bei uns gar oft in glücklichen Ehen ereignet, der an ihr mit der größten Zärtlichkeit hängende Gatte erkrankte bald darauf vor Sehnsucht und folgte ihr nach.

Nachdem Siegmund seine Eltern unter großem Schmerze – denn er hatte ein gutes Herz und liebte sie innig – zu Grabe getragen, begann er das ganze Gut zu bewirtschaften und in seinem großen Schmerze nach und nach Zerstreuungen zu suchen. Schon das war schlimm, daß ihm Frau und Haus dafür nicht genügten, denn er riß sich oft von beiden los, besuchte die Nachbarn, fuhr nach Krakau, blieb dort oft wochenlang mit lustigen Freunden sitzen und machte sich zuletzt unnötigerweise nach Warschau selbst auf, um den Hof zu sehen. König August II. weilte gerade dort, und mit ihm und um ihn trieben sich junge Leute und Soldaten, schöne Weiber, Ausländer und Abenteurer beiderlei Geschlechtes in bunter Fülle herum. Es waren das beweinenswerte Zeiten, denn im Lande herrschten Unordnung und Verwirrung und in der Residenz und bei Hofe allerlei glänzender, schöner, frivoler und sorgloser Leichtsinn.

Ein junger Mensch konnte sehr leicht verdorben werden, wenn er das sah, und war er einmal im Strudel drin, so tollte er unwillkürlich mit.

Siegmund machte bei seiner ersten Anwesenheit in Warschau sofort Bekanntschaft bei Hofe. Zum Unglück hatte er einen Oheim, der sich durch sächsische Gunst aus einem bettelarmen Jungen zu einem Hofamt emporgearbeitet hatte und auch den Neffen mit sich an den Hof zog. Siegmund besaß alle Eigenschaften, um hier gefallen zu können; Gesicht, Gestalt, Kraft, Witz, Humor stimmten ganz merkwürdig zu diesem Kreise. Man trieb's wie besessen, tafelte, unterhielt sich; man konnte keinen Augenblick ruhig aufatmen, wenn man unter diese Höflinge geriet, die selbst in den traurigsten Tagen, wenn alles drunter und drüber ging, an Maskeraden und Bälle dachten. Nach seinem ersten Besuche in Warschau kehrte Siegmund wie trunken zu Elsbeth ins Dorf zurück. Er konnte nicht genug erzählen von dem, was er dort gesehen, getrieben, selbst mitgemacht oder als Zeuge geschaut hatte. Es gefiel ihr nicht sonderlich, aber sie schwieg. Noch war Siegmund zärtlich gegen sie, so hoffte sie denn, daß er sich's aus dem Kopfe schlagen und zu seinen früheren Lebensgewohnheiten zurückkehren würde.

Aber weiß Gott, es ist eine große Wahrheit, daß es Nektar gibt, ohne den der Mensch, wenn er ihn einmal gekostet, nicht mehr leben kann. Siegmund brannten die Lippen, er seufzte, auf dem Lande sitzend, nach jenem Leben, das er versucht, nur wagte er nicht mehr sich darüber zu äußern, denn sein Weibchen sah ihn drohend an, und als er sich einst über eine Sängerin, eine Französin, die mit dem König nach Warschau gekommen war, in Lobpreisungen erging und ihr beschrieb, wie er bei ihr zu Nacht gespeist und welch herrliches Weib es wäre, da stampfte Elsbeth dermaßen mit dem Fuße, daß er sofort verschüchtert schwieg.

Hinter diesem Schweigen jedoch verbargen sich noch gefährlichere Pläne und Anschläge, um wieder an den Hof zurückkehren und mit den Taumelnden taumeln zu können. Er ging traurig und finster umher und seufzte, auf dem Lande wollte ihm nichts mehr schmecken, er fing an, sich mit einigen gleichgesinnten Nachbarn dem Trunke zu ergeben. Elsbeth verstand es, zu Hause gastfreundlich zu sein, und verwehrte auch lustiges Zechen in fröhlicher Gesellschaft nicht; aber solche Excesse, die Leben und Gesundheit bedrohten und angesehene Menschen dem Gelächter der Dienerschaft preisgaben, wollte sie nimmermehr dulden. Wollten sie demnach ungehindert trinken, so versammelten sie sich in Kavaliershäusern oder im Städtchen.

Elsbeth befürchtete bei ihm keine Ausartung zur Gewohnheit, denn Pientka trank so merkwürdig, als ob er Wasser schlürfte – es stieg ihm nicht sonderlich zu Kopf, und war er allein, so fühlte er kein Bedürfnis nach Wein, rührte ihn nicht an – er schmeckte ihm nicht. Sie achtete demnach nicht auf diese Streiche, denn sie war überzeugt, sie würden ihm selbst zuwider werden; sie hatte sie sogar lieber, als jene Ausflüge nach Warschau, die ihm den Kopf verdrehten, bis ihr Siegmund eines schönen Tages, ohne ihr ein Wörtchen zu sagen, unter irgend einem Vorwande durchbrannte, nachdem er erfahren, daß der Hof wieder eingezogen. Zwei Wochen ließ er sich nicht sehen, dann kehrte er demütiglich zurück. Wie ihn Elsbeth diesmal empfing, ist unbekannt; doch scheint sie ihm den Kopf gehörig gewaschen zu haben, denn sie schmollten ein paar Tage miteinander; nachdem aber der gar nicht eigensinnige Herr Pientka um Verzeihung gebeten, schlossen sie Frieden, und zwischen den Ehegatten herrschte wieder Einigkeit und wie früher ein musterhaftes Zusammenleben.

Dennoch zeigte es sich, daß Pientka von der Ansteckung des Hofes so weit ergriffen war, daß er sich seiner nicht mehr entschlagen konnte. Er langweilte sich auf dem Lande und gähnte in einem fort. Er versuchte es mit der Jagd, die Nachbarn kamen zusammen, zuweilen ließ man auch Musik kommen – aber diese ländlichen Vergnügungen waren nicht nach seinem Geschmack.

Es war bei dem allem nicht jene Pracht, jener augenbestrickende Glanz, jene elegante Sprache, jene köstlichen Ueberraschungen, nicht jene brausende und berauschende Ausgelassenheit wie bei Hofe. Mit diesem verglichen erschien ihm das ganze Dorfleben läppisch und dazu ging ihm jene Tänzerin, die an ihm seiner schönen Gestalt wegen ein momentanes Interesse gefunden, nicht aus dem Herzen und aus seinem berückten Kopfe.

Es war dies eine Französin, geschickt wie sie alle sind, die eine Zeitlang sogar den Sonnenblick Sr. Majestät des Königs auf sich zu lenken verstanden. Ohne sehr jung und sehr schön zu sein, war sie keck und lustig, verstand es, um jeden Preis zu gefallen, und hatte schon viele auf ihren Fahrten in Frankreich, Brüssel, Dresden und zuletzt in Warschau bestrickt … So auch den unglücklichen Pientka, der, nachdem er sie tanzen gesehen und dann beim Souper plaudern gehört, von ihr wie verzaubert war. Obwohl er ihr gefiel, so verstand es das schlaue Weib doch, ihn von sich fern zu halten.

König August II. hatte sie zufällig kennen gelernt, als er, dem die Politik nicht viel zu schaffen machte, in einer königlichen Laune inkognito unter dem Namen eines Grafen von Torgau in Gesellschaft des Fürsten Eugenius Sabaud und des Herzogs Marlborough eine Reise nach Flandern unternahm. Als er sah, daß sich die Belagerung von Lille in die Länge ziehe, verweilte er nicht lange dort und kehrte über Brüssel nach Sachsen zurück, und dort, einer Vorstellung im Opernhause beiwohnend, sah er jene Tänzerin Namens Duparc.

Man sagte, daß sie ihm damals so gefiel, daß er, nach einem mit ihr in Gesellschaft der Grafen Vitzthum, Bunditz und anderer Herren verbrachten Abende, ohne sein Inkognito zu lüften, ihr eine Stelle beim Dresdener Theater versprach, welches Versprechen er später auch einhielt und die daselbst Ankommende auf das glänzendste zu empfangen befahl. Allein diese königliche Gunst währte nicht lange und die Duparc blieb bei der Bühne, die während der Abwesenheit der Majestät nach Warschau überzusiedeln pflegte. Sie hatte unzählige Freunde bei Hofe und verstand es, durch Witz und Heiterkeit so lange außerordentlich zu fesseln, bis man es durchschaute, daß in dieser Komödiantin alles eine gut gespielte Komödie sei.

Diese hergelaufene Ballerine nun, die man schon in ganz Europa zu wiederholten Malen aus ihrem leichtfertigen Lebenswandel und ihrer Jagd nach wohlgefüllten Börsen kennen zu lernen Gelegenheit hatte, brachte es fertig, den geradherzigen und feurigen Pientka in ihre Netze einzufangen. Er steckte ihr durchaus nicht im Kopfe, sie hörte bloß, daß er ein reicher Schlachziz sei, sah, daß sie auf ihn Wirkung geübt, und so machte sie sich's denn zu nutze, indem sie vor ihm die Ehrbare spielte, die sie niemals gewesen. Die darauf dressierte alte Tante half, gleichsam als strenge Tugendwächterin, der nichtswürdigen Person, Siegmund hinters Licht zu führen. Zwar hätten ihn die Freunde warnen und ihm bedeuten können, mit wem er es eigentlich zu thun habe … aber diese waren mehr ihre als seine Freunde und gehörten zur Verschwörung, sich über den verrückten Jungen gehörig belustigend.

Genug – Pientka fand das zweite Mal Fräulein Duparc nicht mehr in Warschau und erfuhr bloß, daß sie bereits nach Dresden abgereist sei. Wahrscheinlich ließ sie ihm sogar die Post zurück, daß sie ihn dort erwarte. Lange genug kämpfte Pientka mit sich selbst, doch waren seine Augen bereits wie von einem Schleier benebelt, so daß er die hundertmal schönere und reizendere Gattin nicht mehr sah und nur von dieser Duparc schwärmte und träumte.

So mir nichts dir nichts mit einer kleinen Geldkatze zu damaliger Zeit nach Dresden zu fahren und überdies noch hinter einem nach Gelde lüsternen und an allerlei Saus und Braus gewöhnten Weibe – war undenkbar. Obwohl zu Hause Geld vorrätig lag, so konnte er es doch nicht von seiner Frau verlangen, auch hätte sie es ihm sicherlich abgeschlagen; er machte sich also in aller Stille nach Krakau auf und nahm dort bei Wucherern, welche Landbesitz mit räuberischen Schuldverschreibungen erwarben, Geld auf. Die Frau wußte von nichts; sie merkte es wohl aus seinem Humor, daß er etwas Böses vorhabe, ja vielleicht etwas plane – doch argwöhnte sie keine offene Auflehnung, keinen Verrat und keine so schamlose, eines verheirateten Mannes unwürdige Verrücktheit. Es kam ihr nicht einmal in den Sinn, daß er ihr so schmählich entwichen … in einem Augenblick, wo er sich gerade als der fügsamste Gatte benahm und ihr die einstige Zärtlichkeit bezeigte.

Bei Okon, dem Vater Frau Pientkas, lebte schon seit undenklicher Zeit dessen Bruder, welcher – man weiß nicht wie – sein ganzes Vermögen verloren hatte. Unverheiratet und nicht mehr jung, hatte er einst beim Militär gedient, sich dann als Pächter wiederholentlich niedergelassen, wobei ihn Hagelschlag und Ueberschwemmungen zu Grunde richteten, bis er, aus Desperation seinen Kopf verlierend, auch den Rest seines Geldes verbrachte, ohne sich selbst zu erinnern, wie.

Sein Name war Eligius. Nachdem er bis auf eine Schindmähre und ein Wägelchen heruntergekommen war und nicht mehr wußte, wo aus und ein, nahm ihn der Bruder bei sich auf, gab ihm ein schützend Obdach, und nachdem er sich's drin einmal bequem gemacht, ließ ihn die Gewohnheit nicht mehr weiter. Er gab hier einen besseren Oekonomen, Aufseher, Verwalter und was man nur brauchte ab, als einst auf seinem eigenen Grund und Boden. Dieser Onkel hing denn auch sehr an den Okonschen Kindern, besonders an Elsbeth, die er liebte und bei der er, nachdem sie geheiratet, öfter zu gasten pflegte, Als das arme Weib der Schrecken überfiel, daß ihr Mann so liederlich herumtolle, kam ihr der Onkel zu Hilfe und überwachte Siegmund. Er war ein äußerst langsamer Mensch, der es nicht fertig brachte, den Sausewind auszuforschen und auszuwittern, so sehr er auch nach ihm herumfuhr.

So standen die Dinge, und Onkel Eligius war eben nach langem Aufenthalt zum Bruder heimgekehrt, als Siegmund eines Tages unter dem Vorwand einer Reise in die Nachbarschaft von der Frau summarischen Abschied nahm und vom Hause wegfuhr. Bei Einbruch der Nacht sollte er wieder zurück sein, allein es kam der Abend – und von dem Herrchen war keine Spur. Es pflegte gar oft zu geschehen, daß er, in der Nachbarschaft gute Unterhaltung findend, statt abends erst andern Morgens heimkehrte; darum hatte die Frau auch keine Veranlassung, sich darüber beunruhigt zu fühlen. Tags darauf lugte sie gegen Mittag, von Fenster zu Fenster gehend, nach dem ungetreuen Gemahl aus, der sich auch bis zum Abend nicht sehen ließ. Noch war darin nichts Außergewöhnliches; am dritten Tage aber sandte Elsbeth einen reitenden Boten aus, um zu erfahren, ob er nicht etwa bei irgend einem Nachbarn erkrankt wäre. Dort aber, wo er sein sollte, hatte man ihn mit keinem Auge gesehen und der Bote erfuhr bloß so viel, daß Herr Siegmund am ersten Tage auf der zur Residenz führenden Landstraße gesehen worden sei.

Wie schon Elsbeth lebhaften Temperaments war und jede Falschheit haßte – kochte in ihr der Zorn mächtig auf, daß er es gewagt, seine Reise vor ihr zu verheimlichen, was nichts Gutes weissagte. Dennoch durchschaute sie noch nicht die ganze Größe seiner Schuld. Erst eine Woche darauf sagte der aus Warschau kommende Fürst Woiwode scherzweise zu Onkel Eligius, dem er am Wege begegnete: »Erwartet Siegmund Pientka nicht allzurasch; er kam nach Warschau in der Hoffnung, dort die französische Springerin zu finden, nachdem er jedoch erfahren, daß sie bereits nach Dresden zurückgekehrt sei, jagte er ihr wie besessen nach und muß gewiß schon in Schlesien oder will's Gott in Sachsen selbst sein.« Der gute Onkel brauste beinahe auf. Anfangs wollte er die unangenehme Nachricht vor der Nichte verbergen, doch merkte er bald, daß es nichts tauge. Es mußte rasch beraten werden, und da das Weib mutig und resolut war, so ziemte vor ihr kein Verstecken.

Er setzte sich also auf die Britschka und kam, während hier noch Ungewißheit herrschte, wie bald der Treulose aus Warschau heimkehren werde, bei seiner Nichte mit der Neuigkeit an.

»Verzweifle nicht, Elsbeth,« sprach er, »raufe nicht dein schönes Haar, weine dir wegen des Windbeutels nicht deine klaren Augen aus; ich will dir's nicht länger verheimlichen: der saubere Vogel ist uns nicht nach Warschau entflohen, sondern hinter jener vermaledeiten Französin nach Dresden echappiert. Gewiß haben sie ihn wo verhext.«

Elsbeth kniff die schönen Brauen zusammen, preßte die Lippen aufeinander, warf dem Onkel einen flammenden Blick zu, richtete sich stolz auf und fragte: »Woher weißt du's?«

Nun beichtete ihr Onkel Eligius, woher er die Neuigkeit bekommen, über die man sich in Warschau lustig machte.

Keine Thräne entrann den Augen des schönen Weibes – sie wurde nur blutrot vor innerem Zorn und ließ sich, ihre Gefühle bemeisternd, vernehmen: »Einer solchen Tollheit gegenüber Nachsicht üben, wäre Sünde; es gilt Rettung suchen. Sagt, was ihr wollt, denkt, was euch gefällt; darüber, was hier zu thun, bin ich der maßgebendste Richter … Es bleibt nichts anderes übrig, als ihm nachzureisen.«

»Wem?« fragte der Onkel – »er wird ja auf niemand hören wollen.«

»Nicht hören! Das möchte ich sehen! Er hat's nicht einmal gewagt, mir ins Auge zu blicken,« setzte Elsbeth hinzu; »oder glaubst du etwa, daß ich jemanden abschicke? Ich fahre selbst!«

Darauf rief der Onkel, daß dies unter keinen Umständen geschehen könne, daß es eine unausführbare Idee sei … Eine junge schöne Frau in einer solchen Stadt, die man Sodom und Gomorrha gleichhielt … nach derselben reisen hieß soviel, als sich umsonst und ohne irgend welchen Nutzen Gefahren aussetzen.

Elsbeth stand damals gerade in der vollsten Blüte ihrer Reize, so daß sie jeden fesseln mußte und niemand ihr widerstehen konnte, höchstens ein solcher Windbeutel wie Siegmund, der ihrer bereits satt war. Nicht umsonst fürchtete deshalb Elsbeths Onkel eine solche Reise nach Sachsen für sie selbst, da er vom Hörensagen wußte, was dort am und um den Hof herum geschah. Er begann sich also standhaft zu widersetzen und abzuraten – umsonst.

Elsbeth erklärte, ihren Mann holen zu wollen und setzte hinzu, daß sie gewiß sei, seine Rückkehr nach Hause zu bewirken.

Onkel Eligius war starr, doch hoffte er noch, daß Vater und Mutter imstande sein würden, sie von diesem Gedanken abzubringen. Er war so außergewöhnlich und aller Sitte zuwiderlaufend, daß der Onkel anfangs an seine Verwirklichung gar nicht glauben wollte. Noch an demselben Tage beschloß er, zu den alten Okons zu fahren, um sich mit ihnen über die Besänftigung der aufs höchste gereizten Elsbeth zu beraten. Schon standen die Pferde vor der Veranda, als sie, dieselben erblickend, zum Fenster hinausrief: »Wohin willst du denn, Onkel?«

»Nach Wulka.«

»Dann warte ein Weilchen, ich übergebe der Flora bloß die Schlüssel, treffe die nötigen Dispositionen und fahre mit dir.«

»Gut denn,« sagte sich Eligius im Geiste, »dort wird ihr's leichter aus dem Kopf zu schlagen sein.« Den ganzen Weg jedoch sprach Elsbeth von nichts, als von ihrer Reise und fragte ihn aus, wie viele Tage man nach Warschau brauche und auf welche Weise man von dort nach dem Sächsischen gelange. Der Wahrheit die Ehre, weiter als bis zur schlesischen Grenze wußte Onkel Eligius keinen Bescheid – dort hörte für ihn die Welt auf; um jedoch seine Nichte abzuschrecken, fing er an zu beschreiben, welch schreckliche Gebirge, Einöden und Ströme man dort zu übersetzen hätte …

Sie hörte ihm mit großer Aufmerksamkeit zu und hatte auf jeden Einwand nur eine Antwort: »Es reisen doch Leute dahin?« Das konnte der Onkel nicht leugnen und so zuckte sie denn lächelnd mit den Achseln, – »hat ja doch der Teufel meinen Mundi hingezerrt; er ist dort angelangt, so bin auch ich imstande, mich so weit durchzuschlagen!«

Onkel Eligius nuschelte etwas von Räubern in den Tarnower Bergen; – Elsbeth versetzte kalten Blutes: »Man muß also gute Pistolen mitnehmen.«

Als er schließlich diesen unerschütterlichen Widerstand sah, rechnete Onkel Eligius nur noch auf die notwendige Abkühlung, – auf die Reflexion, die diese Kühnheit und Verwegenheit zerflattern machen müsse … So kamen sie bis zum Okonschen Wulka. Zu Hause befanden sich der alte Vater, die Frau Mutter und eine von den verheirateten Schwestern – denn zu jener Zeit waren bereits alle an den Mann gebracht. Frau Siegmund sprang vom Wägelchen herab – sie hatte einen vom Regen durchfeuchteten, dicken Mantel an und ungarische Stiefelchen an den Füßen –, warf die Oberkleider ab und lief in das elterliche Haus hinein, auf dessen Schwelle sie ein erneuter Zornes- und Verzweiflungsausbruch zu überfallen schien. Vater und Mutter kamen ihr entgegen.

»Wißt ihr,« rief sie schon in der Thüre mit gerungenen Händen, »was mir begegnet ist? Dieser Galgenstrick Mundi, den mir irgend eine Französin vom königlichen Theatrum verdreht hat, ist mir vom Hause durchgebrannt und ihr nach Dresden gefolgt … der Lump!«

Vater und Mutter schlugen die Hände zusammen.

»Oh! du lieber Gott! Was ist da zu beginnen! Beruhige dich, teure Elsbeth …«

Und die ungeheure Aufregung der Tochter sehend, flüsterte die Mutter beunruhigt der anderen Tochter zu: »Larendogra! Larendogra!« Entstanden aus Eau de la reine d'hongrie. Anm. d. Uebers.

»Ah! was brauche ich Larendogra!« brauste Elsbeth auf und stieß mit ihrem eisenbeschlagenen Stiefelchen auf den Boden; »ich will diesen Taugenichts lehren, wie man mit einem anständigen Weibe umgehen soll! Ich lasse ihn nicht so ruhig und frei in der Welt herumflattern … Wir wollen sehen!«

»Wie das? Willst du ihn vor Gericht laden?« fragte der Vater, »oder vors Konsistorium?«

»Was? Ich? Um die Leute lachen zu machen? Kann ich mir etwa nicht selbst Rat schaffen?« rief Elsbeth, »bin ich denn ein Kind, daß ich ihn verklagen soll?«

»Was willst du ihm sonst thun?«

»Was?« schloß Frau Siegmund zornig, »eben komme ich her, um von euch Abschied zu nehmen, teure Eltern, euren Segen zu erbitten, und morgen oder übermorgen nehme ich Onkel Eligius in Requisition, die Pistolen in den Gürtel und wir reisen dem Nichtsnutz nach Dresden nach – ja selbst bis ans Ende der Welt. Irgendwo werde ich ihn doch finden – kommt er zur Besinnung und bittet mir's kniefällig ab, so bringe ich ihn mit, wenn nicht – so brenne ich ihm eins auf den Schädel, wie einem Hund – damit sich das erbärmliche Geschlecht nicht auf der Welt fortpflanze!«

Frau Okon schrie mit lauter Stimme auf: »Und das Wort ist Fleisch geworden!« Der alte Okon stand sprachlos … Elsbeth jagte ihnen mit ihrem erhobenen Haupt, ihren wie zwei Fackeln brennenden Augen beinahe Entsetzen ein, so hatte sie die Wut gepackt.

»Um der Liebe Gottes willen,« sagte die Mutter weinend und sie an sich drückend, »fasse, beruhige dich, – was ist dir, mein teures Kind! Das ist nicht Sache einer Frau … so wehrt sich ein Weib nicht …«

»Mein liebes Mütterchen,« unterbrach Frau Siegmund, »ich weiß ganz wohl, daß es uns Frauen nicht geziemt, bei der ersten besten Gelegenheit aufzubrausen, doch wenn im Hause solches Aergernis vorfällt … dann muß man Willen und Entschluß aufraffen und dem Ehemann den Kopf zurechtsetzen! Was kann ich dafür, daß ich an solch einen Narren geraten? Für ihn gibt's kein anderes Mittel, als ihn kurz nehmen und kurz halten … Er hat mich schön hingestellt. Läuft mir durch um einer Dirne willen, so wenig wert wie er selbst! Und was werden die Leute von mir denken? Höchstens, daß ich noch weniger wert sei als diese Französin. Nein! Ich will ihnen zeigen, daß Pientkas Frau besser ist als Pientka.«

Alle, wie sie sich dort befanden, erstarrten über die Worte Elsbeths: keiner wagte zu widersprechen, denn jeder sah ein, daß ihre Empörung Grund habe … Sie sah aus, wie eine wahrhaftige heidnische Göttin. Gestalt, Auge, Antlitz, Lächeln, Händchen, Füßchen, während jene Duparc – wie Leute erzählten, die sie gesehen – neben ihr eine wahre Fratze sein sollte … nur färbte sich das Ding rot und weiß an, schmierte und schnürte sich, und weil das Schleierspringen von Kindheit auf dasselbe zu allerlei halsbrecherischen Künsten zurechtgebogen hatte und ihm dabei ein tüchtiges Mundwerk zu statten kam, so konnte es einem verdorbenen Menschen munden, wie einem Trinker der Schnaps nach dem besten Tokayer.

Sie ließen Elsbeth sich aussprechen und austoben, wie sie nur wollte; trotzdem glaubte der Vater, daß dem Verflammen des ersten Feuers Thränen, Bedenken, weibliche Furcht und Unsicherheit folgen und daß die Sachen damit schließen würden, daß Elsbeth bei den Eltern verbleiben und Onkel Eligius, mit Reisegeld ausgerüstet, dem Treulosen nachgeschickt werde. Aber den ganzen Abend hindurch sprach Elsbeth nur von der Reise, und nachdem der erste Zorn verraucht war, von der Reiseausrüstung, dem Fuhrwerk, von dem hierzu notwendigen Gelde und der Anzahl der mitzunehmenden Dienerschaft.

Die Mutter tuschelte dem Vater ins Ohr: »Mag sie nur reden – so was redet sich aus und – vergeht.«

Sie gingen schlafen; am anderen Morgen begann man wieder bei Warmbier und Kaffee sich zu besprechen und glaubte, sie würde anderen Sinnes sein. Gott bewahre – sie blieb standhaft und sprach nur von der Eile der von ihrer Seite fest beschlossenen Reise; es war ihr bloß um den väterlichen Rat zu thun, wie es besser wäre: bescheiden und sparsam zu reisen, oder sich herrschaftlich zu equipieren. Denn es konnte ja so weit kommen, daß man gezwungen wäre, bei Hofe Zuflucht zu suchen … ja sogar bis an den Thron Seiner Majestät des Königs zu appellieren …

Jetzt merkten es schon die Eltern, daß sie keinen Spaß verstehe, und machten sich ans Abraten, doch wollte sie sie gar nicht anhören … und was schlimmer, sie riß mit ihrer Beredsamkeit so hin, daß die Mutter in Thränen ausbrach und der Vater auf ihre Seite trat, bevor man sich zum Mittagstisch setzte.

Elsbeth hatte Geld zur Hand und auch der Vater zählte tausend geschlagene Thälerchen für alle Fälle auf den Tisch. Es kam zur letzten Beratung über die Ausrüstung zur Reise; die Ansichten waren geteilt: Elsbeth wollte einen einfachen Rüstwagen für sich und den Ohm nehmen, einen Kutscher, einen Knecht und für alle Fälle einen Vorreiter, der zuweilen bei beschwerlichen Strecken den Weg voraus erkunden sollte, der Vater riet zu einer Wiege So nannte man damals eine Art Riemenwagen. Anm. d. Uebers., vier Vorreitern, zwei Knechten … und einem Respektsfräulein. Das schien ihr alles zu schwerfällig, sie hätte sich am liebsten selbdritt zu Pferde aufgemacht, wenn man es zugelassen und den Weg nicht als langwierig gekannt hätte.

Die Straßen waren damals ziemlich sicher; dessenungeachtet reiste niemand ohne einen gewissen Hofstaat, teils der Wohlanständigkeit, teils der Sicherheit wegen, um so weniger eine Frau. – Der alte Okon bestand fest darauf, daß sie die Wiege und mehr Leute mit sich nehme. Onkel Eligius, den man gar nicht fragte, ob er zu fahren Lust hätte, wurde als unentbehrlicher Gesellschafter und notwendiger Reisementor mitgerechnet.

Ihr müßt aber wissen, daß, so unschätzbar Herr Eligius im Hause war, so schwer wußte er sich zu helfen, wenn's ein bißchen weiter in die Welt galt, da er sie zu wenig kannte. Er war ein Phlegmatikus, der sich lange besann, immer im unklaren schwebte, wie er es besser machen könnte, und sich über die Maßen unbeholfen anstellte.

Diesen ganzen Tag über verbrachte Elsbeth bei den Eltern, doch befahl sie, daß am folgenden Morgen die Pferde zeitig bereit stehen und trug auch dem Ohm auf, einen Zupan Polnisches Unterkleid. Anm. d. Uebers. und Kontusch Polnisches Oberkleid. Anm. d. Uebers. zur Reserve mitzunehmen, damit sie nach kurzer Fütterung zu Hause sich sofort auf den Weg machen könnten. Sie wußte sie alle mit ihrem Mute dermaßen zu bezwingen, daß sich niemand mehr zu widersetzen unterfing.

Als es zum Abschiednehmen kam, warf sie sich den Eltern zu Füßen, damit sie sie für diese Expedition, die schlimmer war als ein Kriegszug, segnen, weinte dabei bitterlich und rührte das ganze Gehöft so, daß alle, so viele ihrer dort waren, wie die Biber weinten, legte dann ihren Reisemantel auf den Wagen, rief nach dem Ohm, der noch verweint herumtrippelte, und – fort ging's nach Hause. So gesprächig sie die ganze erste Fahrt über war, so schweigsam, düster und nachdenklich benahm sie sich nun auf dem Heimwege.

»Hm,« meditierte der Onkel, »ihre große Reiselust scheint gebrochen zu sein – vielleicht überlegt sie sich's noch.« Er reiste gar zu ungern.

Je nun, nachdem sie wieder zu sich gekommen, rüstete sich Elsbeth, keinen Augenblick verlierend, zur schweren Fahrt, ging selbst in den Stall, um die Pferde und ein festes Geschirr auszuwählen, befahl die Wiege zu untersuchen, ob nicht ein Riemen locker wäre, ebenso Sattel- und Bespannungszeug für die Leute, wie man es damals mit sich führen mußte. Es zeigte sich aber, daß die Wiege nicht ausreiche und daß noch ein gedeckter ungarischer Wagen und allerlei reichlicher Vorrat nötig sei, denn am Wege war nicht alles zu haben oder nur für schweres Geld. Und so geistesgegenwärtig disponierte sie über die unbedeutendsten Dinge, daß sich die Leute und der Onkel nicht sattstaunen konnten … Nun offenbarte sich's immer klarer, daß jede Einsprache und jedes Abraten bei ihr vergeblich seien: Onkel Eligius erfaßte tiefer Kummer, was denn bei dem allem herauskommen würde? Der Fall war außergewöhnlich: geschähe, Gott behüte, ein Unglück, so fiele es nicht auf das Weib, sondern nur auf ihn, den Beschützer.

Da die Räder frisch beschlagen werden mußten, weil sich die Reife für die lange Reise zu schwach erwiesen, und die Gebieterin die rohledernen Riemen wenden und frisch nähen ließ … so blieben noch ein paar Tage Zeit. Onkel Eligius überlegte aufs heimlichste, ob denn nicht der Rat eines Geistlichen wirksam wäre. Ohne sich's anmerken zu lassen, ging er eiligst nach dem nahen Kapuzinerkloster, dessen Guardian, ein äußerst gottesfürchtiger Mann, von allen hochgeschätzt, ja beinahe für einen Heiligen gehalten wurde. Tief versunken in Andacht und fromme Kontemplationen, pflegte er sich wenig in weltliche Angelegenheiten zu mischen, aber so oft man ihn davon losriß, wußte er stets so salbungs- und wirkungsvoll zu sprechen, so klar in den Herzen zu lesen, daß selbst die schlechtesten Menschen und gottlosesten Zweifler über ihn erstaunten und sich willig seinen Worten fügten.

Onkel Eligius wollte es vermeiden, daß die Nichte von seinem Plane etwas erfahre, er zog also mit der Flinte über dem Rücken aus dem Hause, lieh sich vom Hegereiter das Pferd aus, und weil dieser keinen Sattel besaß, so band er an einen Sack statt der Steigbügel ein paar Schnüre und gelangte mit der mageren Schindmähre, die noch zum Ueberfluß hinkte, ins Städtchen.

Da er sich schämte, so ins Kloster zu reiten, ließ er das Pferd im Einkehrhause und eilte rasch nach der Klosterpforte, um zum Pater Guardian zu gelangen. Er hatte an dem Pater Schaffner einen guten Bekannten, dem er zum Glück gleich im Korridor begegnete.

»Erbarmt Euch mein, Pater Felix,« rief er, seinen Arm küssend, »und führt mich so rasch als möglich zum Pater Guardian, den ich notwendig sprechen muß.«

»Bah! Und der Chor?«

»Wird der noch lange dauern?«

»Eine halbe Stunde sicher … und aus dem Chor kriegt ihn keiner heraus, wenn es auch brennte!«

Man mußte also geduldig warten; als Trost fand sich eine Bouteille Märzenbier. Als aber der Pater Guardian heraustreten sollte, paßte ihn Eligius ab und führte ihn in die Zelle.

»Mein Vater,« sagte er, nachdem er kaum die Thüre hinter sich geschlossen, »rettet uns Unglückliche! Außer Euch vermag's niemand!«

»Was ist denn geschehen?« fragte der Guardian gelassen.

»Ein Unglück oder vielmehr eine arge Dummheit, der vielleicht eine noch ärgere folgen kann, wenn Ihr uns nicht rettet,« begann Eligius. »Der Liedrian, der unglückselige Pientka, an den wir unsere Nichte verheiratet, ist uns vom Hause hinter irgend einer Spitzbübin nach Sachsen durchgegangen. Er würde ja sicher selbst zurückkehren, wenn er sich erst irgend einen Merks geholt. Was geschieht nun? Elsbeth, seine Frau, ebenso närrisch wie er, will ihm durchaus nach, um ihn, wär's auch gekoppelt, nach Hause zurückzubringen, weder ich noch die Eltern konnten sie, ihr die Gefahren einer solchen Reise vorhaltend, davon abbringen. Wenn Ihr die Güte haben wolltet, Vater …«

»Mein Sohn!« rief dieser, »was wird denn meine Stimme bei ihr vermögen?«

»Weshalb nicht?« fragte Eligius, »sie verehrt und gehorcht Euch gewiß … Kommt morgen – als ob Ihr nichts wüßtet – mit der heiligen Messe … sie wird's Euch gleich gestehen und vielleicht gelingt es Euch, sie von diesem verrückten Gedanken abzubringen?«

Der Guardian schüttelte den Kopf. »Mit der heiligen Messe komme ich,« sprach er, »warum nicht? Auch werde ich keine Worte sparen; doch bürge ich Euch nicht für deren Erfolg. Das Weib hat eine männliche Entschlossenheit und einen starken Willen …«

»Edel, treu, gut – aber –« sagte mit unterdrücktem Seufzen Onkel Eligius, dem es vor der Reise bangte, »aber ein Mannweib!«

Der Guardian lächelte. »Na,« sagte er, »beruhigt Euch, was Gott will, das geschieht. Ich komme morgen zu Euch mit der heiligen Messe und werde zu ihr sprechen, was mir der heilige Geist eingibt.«

Mit diesem Versprechen kehrte der Ohm ins Einkehrhaus zurück, bestieg das lahme Rößlein, gelangte damit zur Hütte des Waldbereiters und kehrte von dort des Abends, unterwegs einen Hasen erlegend, in aller Stille ins Gehöft zurück.

Noch war der Morgentau nicht getrocknet, als der Wagen des Paters Guardian vor der Veranda hielt. Elsbeth lief hocherfreut heraus und küßte seine Hände.

»Wie gelegen kommt Ihr mir, teurer Vater, als ob Euch die Vorsehung schickte!« rief sie aus, »so bekomme ich noch Euren Segen auf die Reise mit …«

»Wohin? Wohin gedenkt Ihr denn zu reisen, Frauchen?«

Elsbeth stürzten die Thränen aus den Augen.

»Mein guter Vater, mir wühlt arger Schmerz im Herzen; mein Gatte hat mich um irgend eines nichtswürdigen Geschöpfes willen verlassen … ich muß den Treulosen aus diesem Abgrund herausziehen und retten! Ich reise, ihn aufzusuchen …«

So sprechend, traten sie ins Zimmer; der Guardian setzte sich.

»Aber mein Kind,« sagte er, »besinne dich! ist das ein Geschäft für eine Frau, besonders für eine so junge, wie Ihr seid, in die Welt hineinzujagen, sich allerlei Unannehmlichkeiten und Gefahren auszusetzen, um einen toll gemachten Menschen zu bekehren? Ich würde es für schicklicher halten, wenn Ihr einen aus Eurer Verwandtschaft schicktet, einen gesetzten Menschen …«

Frau Siegmund schüttelte den Kopf dazu.

»Nein, mein Vater – nein – ich habe niemand, und niemand wird mir's so recht machen, wie ich selbst. Was soll mir denn mit Gottes Beistand geschehen? Fahre ich denn zum Vergnügen und nicht aus Pflicht? Die Vorsehung wird über mich wachen.«

In ihrem Antlitz malte sich eine so mächtige Entschlossenheit und ein fast unweiblicher Feuereifer, daß der Guardian sie erstaunt ansah und nichts zu sagen mußte.

»Dein Vertrauen in die Vorsehung ist schön,« ließ er sich nach einigem Besinnen vernehmen, »doch soll jeder mit seinen Kräften rechnen und nicht mehr auf seine Schultern laden, als sie zu tragen vermögen. Ihr unternehmet da eine unerhörte Sache, Frauchen, wahrhaftig eine unerhörte!«

»Weil mich auch ein unerhörter Fall dazu zwingt,« versetzte Elsbeth. »Wo hat man denn früher jemals davon gehört, daß ein verheirateter Mensch eine so offenbare Zügellosigkeit getrieben? Jetzt, wo von oben das böse Beispiel herabfließt und die Leute sehen, was auf den Höhen geschieht – warum sollte es ihnen verwehrt sein? sagen sie sich. Wir sind die Hüter der häuslichen Tugend und der Reinheit des häuslichen Feuers und müssen es vor jeglichem Makel bewahren! Ist's denn nicht heilige Pflicht, denjenigen, dem wir Treue gelobt, vom Verderben zu retten?«

Der Guardian war fast dem Weinen nahe, als er diese Worte hörte; er stand auf und rief lebhaft: »Ich segne dich im Herrn … das nenne ich eine Frau! Das heiße ich Mut! Das ist ein Weib? Was soll ich Euch sagen? … Gott segne Euch! Thut, was Euch Eure Seele eingibt!«

So geschah es, daß, während sie der Pater Guardian bekehren sollte, sie den Geistlichen zu ihrer Ueberzeugung neigte und Onkel Eligius, der an der Thüre lauschte, wie begossen davonschlich. Bei der heiligen Messe erteilte der fromme Priester selbst den für Reisende üblichen Segen, dem der ganze Hof der Gebieterin beiwohnte. Nun war nicht mehr daran zu denken, daß sich Frau Siegmund von irgend jemand von ihrem Vorhaben abbringen lassen sollte, und die Reisevorbereitungen begannen sonder Scherz.

Nachdem sich Elsbeth die Thränen abgewischt, begann sie, angethan mit einem leichten Kubrak Ordinärer polnischer Oberrock. Anm. d. Uebers., die Sachen herauszugeben, aufzuschreiben, zu zählen, sich unermüdlich herumzutummeln, denn nicht nur die Auswahl und Anordnung lag auf ihrem Kopfe, sondern auch das ganze Haus, das sie während ihrer Abwesenheit herrenlos zurücklassen mußte. Es ist bekannt, wie leicht die Leute davon Vorteil zu ziehen wissen. Es war zur Sommerszeit, die Ernte vor der Thür, wer wußte es denn, ob die Reise nicht bis zur Saat dauern oder sich auch noch länger hinausziehen würde? … Die Pientkas hatten zwar einen tüchtigen Menschen zum Verwalter; aber wer konnte es voraussehen, ob er imstande sein werde, sich allein Rat zu schaffen! Auch das vergaß die Hausfrau nicht … Wenn am Ende Einquartierungen, Requisitionen fremder Heere oder sonst welche unberechenbare Zufälle sich ereigneten? … Auch dafür wußte sie Rat.

Eine Ackerlänge vom Dörfchen entfernt wohnte ein alter Junggeselle, ein ehemaliger Militär, ein anständiger arbeitsamer Mensch, welcher oft bei den Pientkas zu Gaste war und Elsbeth beinahe wie sein eigenes Kind lieb gewann und niemals anders ihre Gesundheit trank, als auf den Knieen. Wenn ihrer Erwähnung geschah, so pflegte er stets zu sagen: »Ein ritterliches Weib! Echtes Blut von unserem Blute, entschlossen wie ein Soldat und tugendhaft und klug, versteht zu lieben, aber auch mit der Wahrheit ins Gesicht zu spritzen, wie mit siedendem Wasser.« Der alte Mioduschewski war ein Verehrer unserer Elsbeth, so daß man ihn zuweilen darob auslachte, woraus er sich jedoch nicht das Geringste machte.

Nachdem sie es wohl überlegt, schickte Frau Pientka nach Mioduschewsksi der eiligst sein Pferd selbst sattelte und in einer halben Stunde erschien. Da die Kunde von dieser Reise dank Herrn Eligius in der ganzen Nachbarschaft verbreitet war, so hatte auch der Alte etwas davon vernommen. Er traf die Hausfrau auf der Veranda, als sie eben ihre Befehle an die Leute erließ … und er hatte ein stehendes Sprichwort: »Hol mich … Nur sprach er's niemals aus, wer ihn holen sollte. Elsbeth erblickend, rief er mit gerungenen Händen: »Meine Göttin – hol mich! Ist's denn wahr, daß Ihr in die Welt hinaus wollt?«

»Ich muß,« sagte Elsbeth, »und zwar nicht aus Lust, sondern aus Notwendigkeit. Siegmund ist durchgebrannt, man muß ihn retten.«

»Meine Königin – ist es denn möglich! nach Sachsen?«

»Und wär's auch bis nach Spanien!« versetzte sie. »Ich muß ihm zeigen, daß ein Weib nicht mit sich scherzen läßt … Ist das Herrchen zurück, dann sprechen wir über das Weitere.«

»Hol mich! Meine Königin … Du bist eine zweite Judith,« ließ sich Mioduschewski ziemlich unpassend vernehmen.

»Den Kopf werde ich ihm nicht abhauen,« lachte Elsbeth auf; »nur waschen, wie sich's gehört. Aber mein lieber Rittmeister, nicht darum handelt es sich hier: ich ließ Euch herbitten als einen guten Freund, auf dessen Hilfe ich rechne.«

Sie reichte ihm ihre Hand, die er knieend küßte. – »Was Ihr befehlt! Meine Königin, für Euch gehe ich durch Feuer und Wasser. Hol mich! …«

»Ich reise fort,« begann Elsbeth, »Dorf und Wirtschaft bleiben dem lieben Gott anheimgestellt. Die Leute sind ehrlich, für die sorge ich nicht: es kann jedoch etwas Unvorhergesehenes eintreten, was sie ratlos machen kann. Lieber Rittmeister, nehmt als Freund das Dörfchen in Euren Schutz.«

»Hol mich! Ich bin bereit, Euch nicht nur als Oekonom zu dienen, sondern auch, wenn Ihr's befehlt, mich mit den Ochsen vor den Pflug zu spannen, meine Königin!« rief Mioduschewski. »Kein Wort weiter … Mit einem Kusse auf Eure Hand bin ich reicher belohnt, als ich's wert bin. Hol mich! …«

Er band auf der Stelle sein Pferd an den Pfahl und begann im Hofe geschäftig zu thun, um sich genau zu informieren, was er thun, wem er glauben und wie er vorgehen sollte. Um keinen Preis der Welt hätte sie sich einen solchen Verwalter und Bevollmächtigten schaffen können, als sie sich mit einem einzigen Lächeln erkauft hatte. Mioduschewski schoß den ganzen Tag in allen Winkeln herum, spürte nach, guckte und fragte, um seiner Sache später ganz sicher zu sein. Schließlich nahte jener große, lange hinausgeschobene Tag der Abreise heran – alles war fertig, Wiege, Räder, Riemen, Sattel, Pferde, und auch Onkel Eligius mit seinen Bündeln. Unverhofft kamen die Eltern angefahren, Mioduschewski, alles, was auf dem Gute lebte, lief zusammen, um die Abreise der Herrin zu sehen. Elsbeth war das Weinen nahe, doch ließ sie keine Thräne fallen und tummelte sich bis zuletzt geschäftig herum. Sie vergaß weder die geladenen Terzerole, noch Pulver und Kugeln für die Pistolen des Ohms, und der Vorreiter, Wiege und Wagen standen bereit, die Pferde gesattelt, das Gepäck angeschnürt: nach Anhörung der Messe nahm sie rasch von allen Abschied, ohne jemand rührselig und weinerlich thun zu lassen, sprang in die Wiege, grüßte Vater und Mutter und befahl in dem Augenblick, da der Vater die Karawane segnete, sich in Bewegung zu setzen.

Auf der zweiten Nachtrast vor Warschau fanden sie eine Herberge, die sie gegen Abend in sicherer Hoffnung auf Ruhe zu erreichen gesucht, so mit Pferden und Menschen überfüllt, daß es keine Möglichkeit mehr gab, sich in dieselbe einzuzwängen. Eben war die Sonne untergegangen und im Walde dunkelte es bereits stark. Onkel Eligius, der aus der Wiege gestiegen war, um ein Nachtquartier zu bestellen, kehrte mit langem Gesicht und traurig herabhängendem Schnurrbart zurück.

»Was ist da zu thun, mein Lieb?« sagte er. »Keine Möglichkeit, sich bis zur Wirtsstube hindurchzudrängen: 's ist alles so voll von Menschen, Pferden und allerlei wandernder Sippschaft, daß an ein Uebernachten nicht zu denken ist. Im Vorhaus wimmelt's von Herren und Knechten, in der Wirtsstube dröhnt's wie in einer Mühle – wer früher kommt, der ist der Herr … Hinausjagen kann man niemand. Und da zieht die Nacht heran und die armen Pferde lassen ermattet ihre Köpfe hängen.«

»Ah!« ließ sich Elsbeth vernehmen, »es wird sich schon jemand finden, der einer Frau ein Stübchen abtritt – Pferde und Knechte können im äußersten Falle kampieren – versuch es nur noch einmal, Onkelchen.«

Herr Eligius kratzte sich am Kopf und ging. Als noch Siegmund zu Hause weilte, pflegten sich eine Menge Gäste und Durchreisende aus verschiedenen Gegenden dort einzufinden; es fehlte ihnen demnach nicht an einer Unzahl von Bekannten aus aller Herren Ländern. Kaum hatte sich der Ohm von der Wiege getrennt, als ein hübscher Mann in reisemäßiger oder vielmehr in häuslicher Kleidung an ihn herantrat.

»Okon! wenn mich meine Augen nicht trügen?«

»Eligius, zu dienen – und mit wem habe ich die Ehre?«

»Erkennt Ihr mich denn nicht? – Tschaska!! Erinnert Ihr Euch, wie wir bei Mundi zusammen den Friedenstrunk tranken?«

»Gewiß, Tschaska! Nun entsinne ich mich.«

»Was macht Ihr denn hier mitten auf der Landstraße?«

»Hab' meine liebe Not; meine Nichte, eben jene Frau Siegmund, reist mit mir und nirgends ein Platz zum Uebernachten.«

»Wieso nirgends?« schrie Tschaska auf. »Ich würde Euch zusammenschießen, wenn Ihr nicht in meinem Gutshof einkehrtet, der hundert Schritt von hier entfernt liegt. 's ist ja mein Dorf und nebenan hinterm Wald mein Hof. Kehr um!« rief er dem Kutscher zu; »ich steige aufs Pferd und führe Euch dahin.«

»Wartet! Halt!« rief Onkel Eligius, ihn zurückhaltend; »Gott weiß, ob sich meine Nichte dazu versteht, und auf die werdet Ihr doch nicht schießen!«

»Warum sollte sie es nicht?« brauste Tschaska auf, »warum? Wer hat je eine aus gutem Herzen gebotene Gastfreundschaft abgelehnt?«

Und er trat, sein ungarisches Mützchen abnehmend, zur Wiege heran.

»Liebwerteste Frau,« sagte er, »verzeiht, wenn ich mich Euch in Erinnerung bringe. Ich bin Tschaska vom Roten Haus, der öfters in Eurem Hause vorgesprochen; das meinige liegt hundert Schritte weit von hier. Im Einkehrhause ist kein Platz, doch steht Euch mein Hof zur Verfügung. Meine alte Mutter und ich nehmen Euch mit ganzem Herzen auf.«

Elsbeth verbeugte sich bloß.

»Umkehren und mir nach!« rief Tschaska, nachdem er sich aufs Pferd geschwungen. Der Onkel kroch in die Wiege; es war keine Zeit mehr, leere Erwägungen anzustellen; auch hatten sie ja keine Wahl – so ging es denn zu den Tschaskas.

Während sie den Wald passiert, war es bereits ziemlich finster geworden; trotzdem sah man unweit von hier das ansehnliche Dorf und den Hof, der nicht umsonst das Rote Haus genannt wurde. Man weiß nicht, welcher von den Tschaskas, nachdem er, wohl in Preußen, an den roten Mauern aus Thorner Ziegeln Gefallen gefunden, sich die Meister verschrieben und aus herrschaftlicher Laune ein Haus, gleichsam ein Stück Marienburger Schlosses, hatte erbauen lassen. Das Ding war nicht groß und sah wunderlich und gar nicht übel aus. Die Leute, an derartige Baulichkeiten nicht gewöhnt, hielten es von weitem für eine Kirche und begannen erst das Schloß, dann das ganze Dorf nach ihm das Rote Haus zu benennen. Für Gäste gab es da Raum genug, denn das Bauwerk war bequem und nur vom einzigen Tschaska und seiner alten Mutter bewohnt.

Tschaska hatte gegen vierzig Jahre auf dem Rücken und war noch nicht verheiratet; er verschob es gewissermaßen und fürchtete dieses goldene Joch. Er war ein lustiger, frischer, feuriger Mensch, ein berufener Landtägler, diensteifrig gegen seine Mitbürger, ein berühmter Jäger und Tänzer, ein guter Gesellschafter; aber trotz dieser vielen Beschäftigungen ein wenig Faulenzer. Die Mutter führte die Wirtschaft, er selbst trieb sich meistens von einem Kamin zum andern herum und war nur schwer nach Hause zu bringen. Die Frau Tafeldeckerin (sie hatte diesen Titel von ihrem verstorbenen Mann) hätte ihn gerne verheiratet, um ihn ein bißchen gesetzter zu machen, aber er wußte ihr stets auszukommen, indem er nur immer wiederholte: »Noch Zeit, noch Zeit, gnädigste Mutter!«

Er bewies ihr haarklein, daß seine Vorfahren nicht vor dem fünfzigsten Jahre heirateten und sich dabei wohl befanden.

Als sie in den nach dem Hofe führenden Weg einfuhren, gab Tschaska seinem Pferde die Sporen und schoß wie ein Pfeil voraus, um dem schweren und langsam sich fortschleppenden Wagen zuvorzukommen und die Mutter zu benachrichtigen. Er that es so rasch ab, daß die Tafeldeckerin, nachdem sie einen schwarzen Schleier umgeworfen, schon in der Veranda war, als Elsbeth aus der Wiege heraussprang.

»Ihr verzeiht, Frau Tafeldeckerin, wenn ich hier so unerwartet hereinfalle,« ließ sich Frau Pientka vernehmen, »doch geschieht es teilweise nicht durch meine Schuld, vielmehr durch die Eures Sohnes, der uns beinahe mit Gewalt hierherschleppte.«

»Liebwerte Frau!« entgegnete die Greisin, »das gereicht ihm nur zur Ehre, er hat damit nur seine Pflicht gethan.«

Sie traten also in das innen wunderbar schöne und herrschaftlich eingerichtete Haus. Ueberall bemerkte man Ueberfluß und sorgsamste Ordnung. Anfangs bewegte sich das Gespräch um gleichgültige Dinge, schließlich aber, da man den Mann Frau Pientkas vermißte, begann man, nichts ahnend, über Ziel und Zweck der Reise zu fragen, sowie über Siegmund, den Tschaska kannte.

Elsbeth antwortete Halbdunkel nicht das, nicht jenes; Onkel Eligius versuchte es, sich noch ungeschickter herauszuwickeln. Es mußte Herrn Severin Tschaska ausgefallen sein, daß hinter diesem undeutlichen Erklären etwas stecken müsse; er begann sich an mancherlei zu erinnern und zog schließlich Onkel Eligius in eine Ecke.

»Verzeiht mir,« sagte er, »eine vielleicht unbescheidene Frage … Es geht mir etwas im Kopf herum, doch weiß ich nicht genau, ob ich nicht auf falscher Fährte bin? … Ich war neulich in Warschau, dort wurde von einem Pientka gesprochen … am Ende gar von dem Gemahl Eurer Nichte … Man sagte … bei Gott! ich weiß nicht, ob von demselben, daß er … nach Sachsen gereist sei.«

Er sah dem Ohm in die Augen, der in die qualvollste Verlegenheit geriet.

»Nun ja, möglich, möglich,« versetzte er leise, »denn zu Hause ist er nicht.«

»Und wißt Ihr nichts von ihm?«

Der so in die Enge getriebene Ohm, nicht wissend, wie er sich aus der Schlinge ziehen solle, drückte heimlich Tschaskas Hand und raunte ihm leise zu: »Kommt irgendwo beiseite, so sollt Ihr alles erfahren.«

Als sie ins anstoßende Zimmer traten, begann Tschaska sofort selbst: »Ihr braucht mir nichts zu sagen, Herr, denn jetzt entsinne ich mich, daß ich beinahe alles weiß. Siegmund hat sein Weib im Dorfe verlassen und ist jener Duparc nach Dresden gefolgt … Der Nichtswürdige! Wenn Ihr glaubt, ihn noch in Warschau treffen zu können, so irrt Ihr Euch kläglich. Mir thut die arme Frau leid, daß ihrer eine solche Täuschung harrt. Wär's nicht besser, sie beizeiten darauf vorzubereiten?«

»Es gibt nichts mehr vorzubereiten,« ließ sich der Oheim finster vernehmen: »sie weiß alles aufs Haar.«

»Was? Daß ihr Mann hinter der Französin durchgegangen?«

»Auch das.«

»Und was sagt sie dazu?«

Der so zur Rede gestellte Oheim konnte nichts mehr verheimlichen; außerdem war er ein Mensch, der sein Lebtag seine Zunge nicht hinterm Zaune halten konnte.

»Was sie dazu sagt,« brummte er vor sich hin; »Ihr kennt sie nicht, Herr, das ist ein Weib, wie es kein zweites mehr auf der Welt gibt. Sie hat sich von zu Hause aufgemacht, um ihrem Manne nachzujagen, und gedenkt ihn am Kragen wieder heimzuschleppen.«

»Was Ihr sagt!« rief Tschaska, »sie reist ihm nach Dresden nach?«

»Ihren Reden nach bis ans Ende der Welt!«

»Liebt sie ihn denn so sehr?« fragte Tschaska.

»O nein! Sie hat ihn geliebt, aber jetzt grollt sie ihm,« setzte Eligius hinzu; »bei Gott, ich möchte nicht in seiner Haut stecken.«

Tschaska schlug die Hände zusammen.

»Das nenne ich eine Frau!« rief er aus; »den Kopf zu Boden vor einer solchen! Wenn ich eine zweite ähnliche Heldin fände, ich würde sie vom Fleck weg heiraten.«

»Wartet nur, werter Herr,« murmelte der Onkel verdrießlich; »da sie sich vorgenommen, ihn zusammenzuschießen, wenn er sie nicht kniefällig um Verzeihung bittet, so könnt Ihr Euch noch um die Succession nach ihm in Erinnerung bringen. Sie hat ein Paar Terzerole bei sich, die sie niemals von sich legt.«

Mit wachsendem Erstaunen verfiel Tschaska in eine immer größere Hitze und Verehrung für die »Heroine«, wie er sie nannte.

»'s ist nichts zu reden,« schloß er, »selbst wenn sie dem Schuft eins auf den Hirnkasten brennt, so hat er's verdient. Gott hat ihm ein solches Weib gegeben und er hat es nicht zu schätzen verstanden!«

Er ging einigemal nachdenklich in der Stube herum.

»Wie dem auch sei,« sagte er, Onkel Eligius am Schleifenknopf seines Reisekontusch fassend, »weder sie noch Ihr werdet euch auf dieser Reise Rat zu schaffen wissen.«

»Das habe ich ihr hundertmal gesagt.«

»Und sie?«

»Sie lacht über jegliche Gefahr und Mühsal.«

Sie traten in die erste Stube heraus, wo die beiden Frauen unter sich flüsterten, denn eben fragte auch die Frau Tafeldeckerin Elsbeth aus, und auch diese machte aus dem Ziel ihrer Reise kein Hehl. Die Greisin rang die Hände und wußte allerlei Bedenken; Frau Pientka lächelte.

»Gnädigste Frau Tafeldeckerin,« sprach sie, »wir Frauen sind bloß darum schwach, weil man uns schwach haben möchte, doch findet sich in der Not auch bei uns Energie ein. Nein, ich bin gar nicht besorgt.«

Indessen wurde das Nachtmahl aufgetragen, und weil sich zu demselben, dem Brauche gemäß, viel Hausgesinde und Respektspersonen, Gratialisten und vornehme Gäste einfanden, so war ein vertrauteres Gespräch unmöglich.

Man unterhielt sich im allgemeinen über das, was man von Warschau und Dresden wußte. Es war just in dem Augenblick, da die Heirat des ältesten Königssohnes mit der Erzherzogin Maria Josephine im Anzug war; man sprach daher viel über die zu dieser Hochzeit projektierten Herrlichkeiten, zu denen gewiß eine ungeheure Fremdenmenge nach der Residenz Sachsens zusammenströmen würde, um die Festlichkeiten und Gastmahle anzustaunen, die damals nicht in ganz Europa mit solchem Pomp gefeiert wurden, wie in Paris und Dresden. Obschon diese Nachricht Elsbeth etwas verstimmte, da sie ihr auf der Reise und in der Residenz viel Schwierigkeiten weissagte, so ließ sie sich's dennoch nicht anmerken. Tschaska hatte während des ganzen Nachtmahls die Augen auf den schönen Gast geheftet, ohne sie auch nur einen Moment abwenden zu können, während sein Innerstes stets wiederholte, daß Pientka für seinen unverzeihlichen Leichtsinn die solennesten Hiebe verdiene. Wiewohl reisemäßig und nicht sonderlich aufgeputzt, strahlte Frau Siegmund dennoch von solchem Liebreiz, daß alt und jung sie bewundernd betrachtete. Ihr entschlossenes Aussehen, ihre Bewegungen und ihr heiterer Blick verliehen ihr etwas Majestätisches.

»Obwohl kein Freund, war ich doch Siegmund Pientka stets ein wohlgesinnter und guter Bekannter; wenn es aber jetzt darauf ankäme, ihm fünfzig auf der Bank zuzumessen, ich würde bei Gott meine Hand nicht schonen,« setzte Tschaska im Geiste hinzu; »das arme Weibchen thut mir beinahe leid, die Reise mit diesem alten Schwachkopf wird ihr viel Kummer bereiten; sie brauchte einen Menschen, der den Staub vor ihr wegkehrend, sie ans gewünschte Ziel brächte; denn sie ist es wahrhaftig wert!«

Herr Severin seufzte tief auf; die Heroine hatte ihm im Nu den Kopf verdreht, so majestätisch schön war sie ihm noch niemals erschienen.

»Ich schwör's Euch zu mit meinem Edelmannswort, wenn's nicht unschicklich wäre, ich setzte mich mit Euch aufs Pferd, um diesen Tölpel zu verfolgen!« flüsterte er nach dem Abendessen dem Oheim zu.

»Schickt sich nicht, schickt sich nicht!« versetzte Eligius seufzend, vielleicht auch betrübt, ihn nicht als Mithelfer an seiner Seite haben zu können. Tschaska setzte sich darauf zu Frau Siegmund und verbrachte den ganzen Abend mit ihr und seiner Mutter in trautem Geplauder. Im Grunde genommen sprachen sie von nichts anderem als im allgemeinen vom Weg, Wetter und von Menschen; aber Elsbeth hatte die Gabe, der unbedeutendsten Sache die fesselndste Seite abzugewinnen und das Gespräch zu leiten wie ein guter Spieler eine Mariagepartie.

Als es zum Gute-Nacht-sagen kam – Frau Pientka wollte in aller Frühe aufbrechen – nahm Tschaska, nachdem er mit einem Seufzer ihr Händchen geküßt, den Onkel noch mit auf sein Zimmer, um ein Gläschen Met vor dem Schlafengehen zu leeren.

»Ei, werter Herr!« sagte der angeheiterte Tschaska, »was ist das menschliche Glück? 's ist wahr, was die Alten sagten: Dem einen genügt eine Ahle zum Barbieren, dem anderen nicht einmal ein Rasiermesser – so geht's im Leben – ein solcher Sausewind und Hansnarr, wie Siegmund, kriegt eine Frau, wie man sie mit der Laterne nicht zum zweitenmal findet, und einem braven Menschen, der sie zu schätzen wüßte, teilt das Schicksal vielleicht ein Affengesicht zu.«

»Na, ich will Euch etwas sagen,« setzte leise der Onkel hinzu, bedächtig sein Gläschen schlürfend, »es ist zwar meine leibliche Nichte, die ich unendlich liebe, dennoch würde ich mich vielleicht trotz ihrer großen Schönheit und Klugheit fürchten, mit ihr zu leben.«

»Warum denn das?«

»Bah! Allerdings ist Siegmund selbst daran schuld, daß er sie so weit gebracht, aber seht Herr, wenn sie einander begegnen – wer weiß es denn, was mit ihm geschieht? … Sie sagt selbst, daß sie imstande sei, ihn niederzuschießen, und – die Pistolen trägt sie bei sich!«

Tschaska schnellte mit einem Schrei vom Sitze auf.

»Das nenne ich ein Weib!« rief er, »das ist ein Charakter! Offen gesagt: von einem solchen Händchen ist selbst der Tod willkommen. Und sie wäre imstande, es wirklich zu thun, sagt Ihr?«

»Möcht' keinen Groschen dagegen verwetten!« bestätigte der Ohm.

Da er dies schon zum zweitenmal aus Onkel Eligius' Munde hörte, wurde Tschaska nachdenklich.

»Straf' mich Gott, das liebe ich!« setzte er hinzu, »das lasse ich mir gefallen – das ist doch ein Weib, mit der sich nicht scherzen läßt. Ich brenne ordentlich darauf, die Geschichte aus der Nähe zu sehen; Herr Eligius – he! wenn ich nun mit euch reiste?«

»Ihr seht es doch selbst, daß es nicht angeht,« entgegnete der Onkel. »Davon kann keine Rede sein.«

»Meint Ihr?«

»Gewiß. Wie leicht könnte eine Klatscherei draus entstehen, die ihr das ganze Unternehmen vergällte.«

»'s ist wahr,« versetzte der nachdenkliche Tschaska. »Mit euch zu reisen ist unmöglich; doch, wenn auch ich ein Geschäft in Dresden hätte und denselben Weg mit euch nehmen müßte – wer könnte mir's verwehren?«

Herr Eligius begann zu lachen. »Gebt Ruhe, Herr Tschaska,« sagte er, »sie ist in einem solchen Humor, daß sie's schief nehmen könnte, und ein Mannweib, wie sie ist, thut sie ja doch keinen Schritt ohne Terzerole.«

Sie lachten noch weidlich, und damit war der Met und das Gespräch zu Ende. Tags darauf rasselte beim ersten Morgengrauen Frau Siegmunds Wiege mit Onkel Eligius und dem ganzen Hofstaat weiter. Tschaska stand in der Veranda und sah ihr lange nach. Er schien etwas zu berechnen. Gegen Mittag ging er zur Mutter.

»Gnädigstes Mütterchen, ich muß nach Warschau fahren. Der Referendar beruft mich expreß und läßt Euch die Hände küssen; unsere Angelegenheiten scheinen in Fluß zu kommen, denn er hat sich zu längerem Aufenthalt dahin aufgemacht.«

Die Mutter hatte nichts dagegen, die Vorbereitungen zur Reise waren kurz, und Herr Tschaska befand sich bereits vor Abend auf der Landstraße. Er hatte ein Paar hurtige Pferde, und befahl dem Kutscher, sie nicht zu schonen.

Niemals konnte Pientka, wenn er zu Hause saß, ohne zahlreiche Gesellschaft bestehen. Obwohl das Vermögen des Landedelmannes dazu nicht ganz hinreichen wollte, so hatte er doch stets junge Leute um sich, um mit ihnen allerlei Kurzweil zu treiben, Damenbrett zu spielen, Jagden zu veranstalten und nach der Scheibe ums Beste zu schießen. Das wechselte bei ihm ab, denn in Sold konnte er niemand nehmen und gab bloß solchen eine zeitweilige Unterkunft, die einen Dienst an Edelhöfen suchten. Weil es aber bei ihm an nichts fehlte, die Küche vorzüglich und Siegmund ein fröhlicher Geselle war, so gab's ihrer immer genug. Es fanden sich verschiedene ein; zuweilen demütige und zuthunliche Jungen, im ganzen jedoch mehr Tölpel, Faulenzer und Lärmmacher, mit denen es schwer war, lange zu leben. In solchen Fällen räumte Herr Siegmund ohne Umstände auf, doch, war er den einen los, so fanden sich bald drei andere an seiner Stelle ein. Es war schon so Brauch auf dem Edelhofe, daß sie zu Pientka gingen, wie die Motten zum Licht. Es brauchte nur irgend einer keinen Unterstand zu haben, gleich schickte man ihn zu Mundi.

Frau Pientka liebte zwar diesen Hofstaat von Umsonstfressern nicht, ihm schmeichelte es jedoch ungemein, daß er sich immer mit einer Kavalkade präsentieren konnte. In letzterer Zeit hatte sich ein gewisser Julek Dsiemba hierher verirrt, ein Taugenichts von einem Burschen, von dem man nicht recht sagen konnte, wie er eigentlich sei, da er sehr schweigsam war und ein sehr bescheidenes Aussehen hatte. Nur wegen des Sprichworts »Stille Wasser sind tief« sah ihn die Frau des Hauses schief an; dafür wußte er Siegmund so sehr zu gefallen, daß ihn dieser beinahe gar nicht entbehren konnte. Dsiemba begleitete ihn überall, war sein Briefbote und half bei jeder Schwelgerei mit; unaufhörlich hatten sie miteinander zu flüstern, Dsiemba erhielt Geschenke, Herr Siegmund belehnte ihn sogar für irgend etwas mit einem vollständig geschirrten Pferde. Er war auch gegen die Hausfrau diensteifrig und suchte sich bei ihr auf jedwede Weise einzuschmeicheln, nur gelang es ihm da nicht recht, denn Frau Siegmund kehrte ihm gewöhnlich den Rücken und wollte ihn nicht kennen. Sie fühlte, wie sie sagte, den Ohrenbläser und Schmeichler in ihm. Doch je schiefere Gesichter sie ihm schnitt, desto mehr stieg er bei Siegmund in Gunst.

Besagter Dsiemba, ein noch junger Bursche, stark wie eine Eiche, geschickt, blaß von Gesicht, mit unstät herumschweifenden Augen, schien mit dem Edelhofe wie verwachsen; andere kamen und gingen, er blieb. Ein paarmal nahm ihn Herr Siegmund sogar mit sich auf die Reise; Frau Elsbeth hoffte, er würde ihn irgendwo lassen – aber nein!

Als sich das Unglück ereignete, daß Mundi hinter der Französin verschwand, befand sich Dsiemba auf dem Edelhofe und blieb daselbst. Elsbeth sah ihn nicht einmal mit einem Blicke an. Er kam zu Tisch, erhielt seinen Platz, man gab ihm sein Brot, niemals aber ein gutes Wort. Der ganze Zorn Frau Elsbeths, ihre Drohungen, die Reisevorbereitungen, alles das ging vor seinen Augen vor – er sah bloß zu und sprach kein Wort. Während andere auf Siegmund Blitz und Donner herabschworen, entfiel ihm keine Silbe; er ließ die Augen zu Boden sinken, verschlang die Hände und drehte mit dem Daumen. Oft schlich er herum, sich zu irgend einem Dienst drängend, oder als Laufbote anbietend, allein die Hausfrau mochte ihn zu nichts gebrauchen. Auch andere Leute im Edelhofe, die ihn um die Gunst des Herrn beneidet, wichen ihm jetzt sichtlich aus; man fing an, seinem Pferde den Hafer abzuknickern, dem Burschen ward es immer enger, kurz, als man für Frau Pientkas Wiege die roheisernen Radreifen drehte, war eines Morgens Julek Dsiemba verschwunden. Gegen Mittag bemerkte man's, daß er die wenigen Sachen, die er besaß, ins Felleisen gepackt, sogar die Wäsche von der Wäscherin ungewaschen genommen hatte, und nachdem er sich sein Pferd gesattelt, in die Welt gezogen war. In der Stube, die er bewohnte, blieb nur auf der Pritsche das Heu und ein Häufchen Kehricht in einer Ecke zurück; auf die Wand hatte er mit Kreide in großen Lettern ein » Valete« geschrieben.

Als man Elsbeth davon berichtete, nickte sie bloß mit dem Kopfe, lächelte und sagte: »Mit Gott – und – ein Kreuzchen auf den Weg.« Es zweifelte niemand, daß er sich, wohl merkend, daß hier kein Futter mehr für ihn wachse, als nicht zu stolzer Herr in aller Stille gedrückt. Niemand ahnte es jedoch, daß Dsiemba, der alles hörte und wußte, was die Herrin sprach und womit sie drohend herumging, Herrn Siegmund nachzujagen beschlossen hatte, wär's auch bis ans Ende der Welt, um ihn vor der Gefahr zu warnen, vielleicht auch, um ihm die Schande zu ersparen.

Es lag zu damaliger Zeit nichts Sonderbares darin, daß ein junger, armer Schlachziz auf einem Klepper, wär's auch noch so weit, herumzog; auch reisten die Leute aus Neugierde in der ganzen Welt herum, obschon es sich auch ereignete, daß sie zuweilen nicht gerade dort hinkamen, wohin sie wollten. Obwohl noch jung, hatte sich Dsiemba seit beinahe acht Jahren in verschiedenen Winkeln Herumgetrieben; seine Natur war derart, daß sie ein längeres Verweilen an einem Orte nicht vertrug. Schweigsam und bedächtig verstand er es, sich überall zu raten und zu helfen, denn er war erstaunlich ausdauernd und ließ sich durch Kleinigkeiten nicht gleich außer Fassung bringen. Aus das Pferd, welches er von Siegmund bekam, konnte er kühn rechnen, daß es ihn nicht im Stiche lassen würde: es war ein plattfeister Fuchs, kein sonderlicher Renner, aber merkwürdig unermüdlich und ausdauernd. Schien er gleich langsam zu gehen, so hatte er doch einen großen Schritt, und hätte er sich auch noch so sehr angestrengt, nie würdest du ihn verschwitzt gesehen haben.

Nachdem er ihn bestiegen, eilte Dsiemba zuerst nach Warschau; er hatte hier bereits mannigfache Bekanntschaften und wußte deshalb, an wen er sich fragend wenden und wo er Kunde einziehen sollte. Man sagte ihm ohne Umschweife, daß Siegmund der Französin nach Dresden gefolgt sei; er fragte bei seinen Freunden an, wo er einkehren sollte und diese empfahlen ihm das Einkehrhaus »Zum polnischen Trompeter« am »kleinen Platz«, wo damals viele Absteigquartier zu nehmen pflegten. Es war leicht zu erraten, wohin er wollte, denn zu damaliger Zeit reiste fast niemand anders, als über Breslau. So schlug er denn auch denselben Weg ein, indem er zweimal des Tags fütterte, die Nächte und Morgen zu Hilfe nahm, ohne dabei sein Pferd übermäßig anzustrengen. Da sich in jener Gegend sächsisches Militär herumtrieb und man auch, wenn es das Unglück wollte, einer preußischen Abteilung begegnen konnte, so hing er sich eine lederne Tasche um und sagte auf Befragen, daß er mit Briefen an den Woiwoden geschickt sei und zwar von einem Hetman, dessen Namen er selbst erfand.

Es stieß ihm auf der Reise nichts auf und so erreichte er, Frau Pientka um einige Tage zuvorkommend, glücklich die Residenz, wo er wie ein Stein im Wasser verschwand.

Weil man ihn jedoch am Edelhofe der Pientkas zu sehen gewohnt war, drängte sich, als Elsbeth, in Warschau ankommend, Halt machte und Onkel Eligius auf Kundschaft schickte, sofort ein jüdischer bekannter Faktor an sie heran und erzählte ihr gleich beim ersten Begegnen, daß er den, sicherlich von der »allergnädigsten Frau« mit Briefen an den allergnädigsten Herrn geschickten zum Edelhofe gehörigen Dsiemba gesehen und gesprochen hätte, und daß er zweifellos an seinem Bestimmungsort angelangt sein müsse.

Diese Neuigkeit klang im Herzen Elsbeths nicht sonderlich angenehm wieder und sie wurde blutrot; da sie sich aber vor dem Juden nicht verraten wollte, begann sie ihn nach Dsiemba auszufragen.

Der Faktor dachte, er würde ihr die größte Annehmlichkeit erweisen, wenn er sich über ihn lobhudelnd ausließe, und begann demnach seinen vermeintlichen Boten bis in den Himmel zu heben.

»Er war hier, ich habe ihn selbst gesehen und gesprochen,« rief er, in atemloser Hast sich verschluckend, »welchen Diener haben die Herrschaften an ihm! Wie hielt er hier Nachfrage, wie forschte er zum voraus den Weg aus, wie sorgte er für sein Pferd!«

So plapperte der geschwätzige Mann fort, daß ihn Elsbeth schließlich fast gar nicht loswerden konnte. Diese Nachricht kam ihr sehr ungelegen. Sie konnte sich's leicht denken, daß Dsiemba, ihr vorauseilend, dem Herrn alles verraten, ihn warnen und vielleicht ihre ganze Verfolgung vergeblich machen würde.

Während Elsbeth noch überlegte, wie sie sich ferner verhalten sollte, kam der Onkel, einen zweiten alten Herrn mit sich führend, so alt wie er selbst und mit herabhängendem Schnurrbart. Es war dies der Starost von Liw, ein gewisser Bschefinski, ein ehemaliger Freund des Okonschen Hauses. Nachdem er vor allem Elsbeth die Hand geküßt, hustete er sich, vom Wege verschnauft, tüchtig aus, bevor er zu sprechen begann. »Herr Eligius sagt mir eben, daß Ihr, meine gnädigste Gebieterin, diesen nichtswürdigen Brausewind verfolgt! Was nutzt es, den Wind auf offenem Felde zu suchen. Er wird schon selbst zurückkehren. Ich hab's an zweien oder gar an dreien miterlebt, wie sie hier in die Falle gerieten. Als diese unglückseligen Springerinnen zugleich mit dem königlichen Theatrum ankamen, strömte alles in die Oper und riß sich um Billette bei Hofe herum wie zu einem Ablaß oder einer Andacht. Hat mir doch selbst ein anderes solches Teufelsweib wie jene Duparc, eine gewisse Fanfan, meinen Sohn ins Garn gelockt, so daß er mir durchging und ihr nach Sachsen folgte.«

»Und habt Ihr diese Duparc gesehen, Herr Starost?« fragte Elsbeth.

»Zweimal, gnädigste Frau, zweimal in einem Ballett einer gewissen Prinzessin Aulide. Tanzten da diese Affen herum und trieben Verrenkungen mit den Beinen, daß sich unsereins die Augen verdecken mußte, und beging eine von ihnen eine rechte Schamlosigkeit, so klatschte man ihr zu und freute sich drob, als hätte sie ein Wunder vollbracht, 's ist wahr, sie schwebten Euch förmlich in der Luft und knieten und wirbelten federleicht herum, daß man sich nicht sattstaunen konnte, aber, gnädigste Frau, eine solche Tatenlosigkeit ist doch Teufelswerk, wie es bei uns seit Erschaffung der Welt nicht vorgekommen.«

»Sind sie denn so schön, oder was?« unterbrach Elsbeth ungeduldig.

»Hab' ihnen nicht so recht zugesehen, gnädigste Frau, um mein Gewissen nicht mit derlei Sünde zu belasten. Je nun,« sagte der Starost, »die Dinger kamen mir nicht so außerordentlich vor, nur bemalt wie die Ostereier.«

»Und jene Duparc?« fragte Elsbeth.

»Auf dem Theater scheint sie einem und gebärdet sich wie ein Küchlein, gnädigste Frau,« sprach der Starost, »aber die, welche den Taufschein kennen, versichern, sie wäre nicht weit von den vierzigen. Das alles tritt Euch nur bei Kerzenlicht auf, denn am hellen Tage Gottes hatte man die Tünche auf den Gesichtern gleich los.«

Der Starost seufzte.

»Diese Fanfan hat mir den Sohn weggefangen, wie Euch, gnädigste Gebieterin, jene Duparc Euren Mann entrissen hat, obschon es meinem Jurek eher zu verzeihen ist, weil er keine Frau hat, während Siegmunds Streich unverzeihlich erscheint, wenn man Euch ansieht. Aber diese Teufelinnen haben ja ihre Künste, mischen ihnen in den Wein ein Zaubertränkchen bei, daß auch der Verständigste seinen Kopf verliert.«

Der Starost rang die Hände ineinander.

»Ich habe nur den einen Trost,« setzte er hinzu, »daß Jurek nicht viel Geld mit hat, und wenn dieses durchgebracht, heimkehren muß, denn ohne Groschen läßt es sich dort nicht lange grasen. Auch Euer Gemahl wird, wenn er nicht einen gespickten Beutel mitgenommen, bald umkehren und erscheinen, ausgezogen wie der türkische Heilige.«

Elsbeth sah finster drein und sprach nichts; nach einer Weile fragte sie noch einmal den Starost: »Beschreibt sie mir, wie sie eigentlich aussieht.«

»Die Duparc, gnädigste Frau – je nun! 's ist ja aller Welt bekannt, daß es einen Augenblick gab, wo Seine Majestät der König großen Gefallen an ihr fand, 's ist rein nichts, sage ich Euch! Große schwarze Augen, ebensolche Brauen – nicht groß – eben nur elastisch und biegsam … weiter weiß ich nichts zu sagen. Ihr Gesicht hat nicht unseren Schnitt, man sieht ihr die Ausländerin an … so halb Italienerin, halb Zigeunerin.«

Elsbeth verschlang die Hände und ließ den Kopf sinken.

»Herr Starost,« sagte sie, »Ihr habt dort den Sohn, reist mit mir; wir wollen die zwei Deserteure gemeinsam verfolgen und uns gegenseitig behilflich sein.«

Bschefinski wurde nachdenklich. »Ich würd's bei Gott thun,« sagte er, »wenn es etwas nutzte, ich glaube jedoch nicht daran; die Deserteure werden uns entschlüpfen und uns das Nachsehen lassen; und fingen wir sie auch, was dann?«

»O! Ich weiß, wie ich mich mit dem meinigen auseinandersetzen werde, und wenn er mir nicht Besserung schwört,« fügte sie hinzu, »nun – dann schieße ich ihn eben zusammen wie einen Hund!«

Auf diese Worte hin hielt sich der Starost mit beiden Händen die Ohren zu und drückte den Kopf zwischen die Achseln.

»Was sprecht Ihr da,« unterbrach er, »pst! pst! Solche Drohung darf man nicht einmal in den Wind sprechen.«

»Lieber Herr Starost,« griff die Frau leidenschaftlich auf, »ist denn nicht das heiligste Recht auf meiner Seite? Sie verlangen Treue von uns, mögen sie sie denn auch uns halten. Wenn einer nichtswürdigen Verrat begeht, so thue er's wenigstens geheim und schäme sich und stelle die Schande des Hauses nicht vor aller Welt bloß! Soll ihm das etwa verziehen werden und straflos hingehen und soll er, heimgekehrt, zu Hause mir befehlen und ich vor ihm als vor dem Herrn und Gatten in Demut knieen?! Das sollen sie nicht erleben!« schrie Elsbeth, »man muß ihnen zeigen, daß sich das Weib nicht immer nur mit Thränen zu wehren weiß.«

Als sie das sprach, stand der gute Starost mit offenem Munde da, als traute er seinen eigenen Ohren nicht, wurde blaß, erschrak, blickte nach Eligius hinüber und wußte nicht, was er darauf erwidern sollte.

»Gnädigste Frau,« stotterte er endlich nach reiflichem Erwägen heraus, »Ihr habt recht … gewiß, … nur weiß ich nicht, ob Ihr auch auf solche Weise Euren Lotterbuben bessert, 's ist ein ungewöhnlich Ding, sieht man einmal eine so männliche Frau … je nun … je nun … mich überlief's, als ich Euch zuhörte. Sieht man Euch an, so verdammt man Siegmund, und hört man Euch – wer weiß, man wäre imstande zu sagen, daß er irrtümlich einen Husaren geheiratet und nachdem er den Schnurrbart erblickt, ihm durchgegangen sei.«

Elsbeth sah ihn an und fing zum Beweise, daß sie keineswegs ein Husar sei, bitterlich zu weinen an.

»Was soll man da beginnen?« rief sie. »Vielleicht hättet Ihr recht, Herr, wenn man's mit einem andern zu thun hätte, nicht aber mit diesem verrückten Mundi. Bei dem helfen keine Thränen.«

»Und Terzerole noch weniger,« versetzte der Starost, »glaubt es mir, edle Frau.«

»Was sonst also? – Geduld? – Wenn ich sie aber nicht habe.«

»Hm! Es würde sich noch etwas finden lassen,« ließ sich der Starost vernehmen, »nur paßt's nicht recht für Euch …«

»Was denn?« fragte Elsbeth.

»Ihr seid nicht zum Komödiespielen geschaffen … Wovon das Herz voll, davon fließt die Zunge über! Und in dem Falle müßte man just so Vorgehen wie in jenem Stück, welches ich auf dem Theatrum sah, als der König zum letztenmal hier war und mit ihm die Französin Duparc.«

»Wie denn? wie?« fragte Elsbeth voll dringender Ungeduld.

»Wie? …« begann der Starost nachdenklich über die Fassung dessen, was er erzählen wollte. »Die Geschichte geht, ich weiß nicht mehr, in welchem Lande vor … Gott weiß, irgendwo bei den Antipoden, denn die Leute waren Euch angezogen, wie ich's hier noch nie gesehen. Ein Ehrenmann verrät seine Frau, just wie Siegmund Euch, um eines Scheusals willen. Was thut diese? Sie spielt die Ungetreue und liebäugelt mit einem Galan, womit sie den Gemahl zur Verzweiflung, zur Eifersucht und Reue treibt und ihn finaliter zwingt, sie demütig um Verzeihung zu bitten.«

»Nein, das könnte ich nicht,« ließ sich Elsbeth vernehmen, »im übrigen, da es immer gut ist, eine Waffe mehr in Bereitschaft zu haben, danke ich Euch für den guten Rat, Herr Starost.«

»Rate nicht! rate nicht, weil's ein schlüpfrig Ding ist,« griff Bschefinski auf, »und einer achtbaren Matrone wie Ihr seid, unwürdig. Es würde gewiß an solchen nicht fehlen, die diese Komödie mit Euch, gnädige Frau, zu spielen bereit wären; nur wäre es dann kein Leichtes, jene Liebesdiener los zu werden.«

Elsbeth lächelte traurig … sie schwiegen,,,

»Ihr reist also nicht mit mir, Herr Starost?« fragte sie endlich.

»Höchstens, wenn Ihr es befehlt, gnädige Frau,« sagte der Alte, »des Sohnes wegen fahre ich nicht, denn ich weiß, daß er mir wiederkehrt – wollte Gott mit heiler Haut! Ich vermag dabei nichts.«

»Dann reise ich allein,« setzte Frau Siegmund hinzu, »und zwar so rasch als möglich, denn mir wurde hier von Onkel Eligius,« – dabei wandte sie sich an ihn – »eine unangenehme Nachricht zu teil. Ich rechnete darauf, meinen Mann durch eine unerwartete Ankunft zu überraschen und ihn, während er von meiner Verfolgung nichts ahnt, plötzlich zu überfallen, indessen ist der nichtswürdige Dsiemba über Hals und Kopf mit der Kunde vorausgeeilt. Er scheint ihn absichtlich dort als Wache gelassen zu haben.«

Der Starost und Onkel Eligius begannen, mit den Händen über den Köpfen herumfuchtelnd, ihre Bestürzung und Entrüstung auszudrücken.

»Der Nichtsnutz Dsiemba!« schrie Eligius auf, »dennoch glaube ich nicht, mein Herz, daß er von Siegmund absichtlich dort gelassen worden, oder von ihm das Geringste gewußt habe, nein. Ich war selbst Zeuge, wie er lamentierte, und habe die Ueberzeugung, daß er ihn, gleich uns, werde suchen und jagen müssen wie im Blindekuhspiel. Und es fragt sich noch, wer ihn früher fängt, wir oder er!«

Onkel Eligius stieß einen Seufzer hervor.,

»Was die Sache noch schlimmer macht, ist, daß höchst wahrscheinlich weder der Eurige noch der meinige sich mehr in Dresden aufhalten,« sagte langsam der Starost, »Die Französinnen haben sich verzogen … will sagen, nach allen Windrichtungen zerstreut. Ich höre, daß sie in Leipzig waren, andere sagen sogar, sie wären nach Flandern abgezogen, die dritten – nach Paris. Gesetzt den Fall, die Tölpel sind ihnen gefolgt,« setzte Bschefinski hinzu, »so werden sie dann per pedes und wie die verlorenen Söhne zerlumpt zurückkehren müssen, wenn sie nicht irgendwo unterwegs von den Preußen mit Gewalt angeworben und in die Garde Seiner Majestät gesteckt werden; und von der gibt's bekanntlich wie aus der Hölle keine Rückkehr! Und unsere Jungen sind beide wie die Eichen! Und der preußische König wiegt solche Kerls mit Gold auf! Dem gilt's gleich, ob Schlachziz oder nicht, wenn er nur breitschultrig ist und seinen Karabiner worauf zu schleppen hat. Das ist's, was mich beängstigt.«

Elsbeth, die fortwährend düster und nachdenklich dastand, verzog ein klein wenig die Lippen.

»Eh!« sagte sie, »es würde nicht schaden, wenn sie ein paar Monate lang mit den Musketen herummarschierten; loskaufen könnte man sie ja immer.«

»Darin liegt's eben,« sprach der Starost weiter, »daß es nicht immer möglich ist. Die sind dort in Menschen von hohem Wuchs und großer Kraft so verliebt, daß man Wunder davon hört. Man fängt sie auf allen Wegen und Stegen zusammen, kauft und bringt sie von weit her, und es gibt keinen Preis, den der preußische König nicht für einen schönen Grenadier zahlte. Der unserige soll, wie ich höre, auf gleiche Weise in Geschirre und Töpfe vernarrt sein und die Leute sagen, daß er einst mit dem Preußen ein solches Geschäft gemacht; der Preuße gab einige chinesische Porzellanwaren und der Sachse ein paar Dutzend vierthalbellenlange Soldaten!« Elsbeth hielt's für einen Scherz des Starosten und dennoch war dies Gerücht ein historisches Faktum.

Weit stärker ward sie durch die Prophezeiungen des Onkels Eligius und des Starosten erschüttert, es könnten sich die Flüchtlinge nicht mehr in Dresden befinden, vielleicht auch nicht mehr in Leipzig, und daß man dieselben bis im Flandrischen oder Gott weiß wie weit werde suchen müssen. Ungeachtet dessen wankte Elsbeth nicht, es schien ihr vielmehr, als habe sich der Onkel mit dem Starosten verschworen, sie absichtlich so zu schrecken, um sie von weiterem Reisen abzuhalten. Nach einmal beschlossener Verfolgung wollte sie dieselbe um keinen Preis aufgeben; sie zog das schöne Gesicht in Falten, stützte das Haupt auf ihre weiße Hand und saß in Gedanken versunken da, ohne etwas zu sprechen.

Der Starost empfahl sich von ihr und schlich, vom Oheim geleitet, langsam hinaus.

Tags daraus rüstete man sich ganz ernsthaft zur Reise; Onkel Eligius wurde noch kopfhängerischer, nicht als ob es ihm an Mut fehlte – nein – er war nur zu bequem und empfand nicht die geringste Lust, sich in Abenteuer zu stürzen. Finster kehrte er nach Hause zurück, als er in der Straße hinter sich hörte: »Meinen unterthänigsten Gruß, Herr Okon!«

Er wandte sich um und bemerkte mit Staunen Severin Tschaska, der auf einem tüchtigen, prächtig geschirrten Schimmel durch die Straße parodierte.

»Was macht Ihr denn hier, Tafeldeckerssohn?« fragte er,

»Wie Ihr seht, schleppe ich mich voll Kummer herum … mich treibt ein Geschäft.«

»Wohin?«

»Ich weiß es noch nicht,« erwiderte Tschaska, »es hat mich hierher getrieben, vielleicht jagt's mich noch weiter! … 's ist eben eines, das an Hals und Kragen geht.«

»He! an Hals und Kragen?! Wie kommt's, daß im Roten Hause nicht einmal die Rede davon war?«

»Eine Stunde nach Eurer Abfahrt erhielt ich einen Brief vom Referendarius … und weil mir alles brennt, im Herzen und in der Hand, so bin ich eben hier! Und Ihr! Reiset Ihr bald von hier ab?«

Eligius seufzte.

»Heute morgen,« sagte er; »wenn sie mich hören wollte, oder Bschefinski, der bei ihr war und ihr tüchtig zusetzte, so kehrten wir nach Hause um, aber das Mannweib ist Euch eigensinnig!«

»Was sprecht Ihr, Herr! Das ist ein heroisches Weib!« rief Tschaska, die mit einer Feder geschmückte Mütze in die Höhe hebend.

Eligius erwiderte nichts, verbeugte sich und wollte sich entfernen.

»Wann reist Ihr denn?« fragte Tschaska.

»Wenn nicht schon heute, dann sicher morgen … Unterthänigster.«

»Unterthänigster,« sagte der junge Mann, »und legt meinen Respekt der Heroine zu Füßen.« Damit gab er seinem Schimmel die Sporen, daß der Kot hochaufspritzte und – war verschwunden, Ins Einkehrhaus zurückgekehrt, hatte Eligius nichts Eiligeres zu thun, als seiner Nichte die Begegnung mit Tschaska auszuplaudern und ihr die ganze Bewunderung, die dieser für sie empfand, zu erzählen.

Wieder verfinsterten sich Elsbeths schöne Brauen, und dabei schüttelte sie gar wunderlich das Köpfchen. »Was hat ihn hergetrieben?«

»Ich wollte meinen Kopf verwetten, nur deine schönen Augen,« sagte der Ohm, »wenn er uns nachzuziehen gedenkt, so kommen wir in eine schöne Sauce!«

»Die Landstraße steht jedermann frei,« ließ sich Elsbeth vernehmen, »doch möchte ich ihm nicht raten, mir allzunah vor die Augen zu kommen, sonst kriegt er eine Abweisung, wie er sie nicht erwartet.«

Onkel Eligius sah sie von der Seite an und brummte unter der Nase: »Ein Mannweib!«

Schon wurden die Koffer gepackt und die Pferde eingespannt und Elsbeth sah, mit Reisekleidern angethan, durch die Thüre ins Vorhaus, ob man bald so weit sein werde. Vielleicht eilte sie jetzt um so mehr, nachdem sie von Tschaska gehört, dessen Begleitung nicht nach ihrem Geschmacke war.

Am ersten Tage der Reise ereignete sich nichts Besonderes: das Land sah ringsherum ziemlich öde und traurig aus. Unzählige Truppenmärsche hatten es verwüstet. Man sah halbverlassene Dörfchen, abgebrochene Zäune, demolierte Höfe, auf den Feldern schüttere Getreidestände und verhungertes winziges Vieh. Wo immer auch Sachsen oder fremdes Soldatenvolk durchkamen, dort blieb nur wenig an Menschen, Vieh und Vorrat. Hier und dort stießen sie auf Schlachtfelder des vor einigen Jahren hier geführten Krieges, kenntlich an den im Felde aufgeschütteten Grabhügeln. Auf der Landstraße kamen sie an Herren mit ihrem Hofstaate vorüber, von denen die einen nach Sachsen zogen, die anderen davon zurückkehrten. In den Einkehrhäusern war nur schwer Platz, Futter für die Pferde oder ein halbwegs anständiges Stübchen zu finden. Tags darauf mußte sich Onkel Eligius ebenso abhärmen; zu aller Not erwiesen sich die frischbereiften Räder schlechter als die alten und ein Reifen begann sich dermaßen abzulösen, daß man ihn durchaus frisch anschlagen mußte. Da sie im Dorfe keinen Schmied fanden, so schleppten sie sich, das kranke Rad mit verschiedenen Hausmitteln heilend, bis zum Städtchen, wo man ihnen einen Handwerker versprach. Es war schon Nacht und am Himmel zogen sich Wolken zu einem Sturm zusammen, als sie auf den von Einkehrhäusern umgebenen Ringplatz anfuhren. Unglücklicherweise war im Städtchen gerade Jahrmarkt, die Häuser überfüllt und von beiden Seiten, aus Dresden und Warschau, war so viel reisende Herrschaft mit ihrem Gefolge zusammengeflossen, daß Onkel Eligius, wo er auch antreten mochte, sich beim Kopf nahm, überall ganze Wagenburgen erblickend. Fast hatte er schon die Hoffnung verloren, ein noch so schmales Plätzchen zu erobern, als Elsbeth, sich des Alten erbarmend, selbst aus der Wiege stieg. Es war ein günstiger Moment, denn just dem Platze gegenüber trat, offenbar um nach den Wolken auszuschauen, ein hübscher Mann heraus, mit einem Stock in der Hand, gefolgt von zwei Zwergen in reichem orientalischen Kostüm. Es mußte ein großer Herr sein, das bewies seine Kleidung, seine Mienen und dieser Zwergenhofstaat. Schön von Wuchs, war seine Gestalt von vollendetstem Ebenmaß, sein Gesicht bräunlich und klar, sein Reiseanzug auf ungarische Weise mit Gold verbrämt; als er sein Auge von den Wolken wieder herunter auf die Erde senkte, erblickte er Elsbeth und konnte, als wäre er zu Stein geworden, seine Augen von ihr nicht mehr losreißen. Und da sich eben Onkel Eligius um sie herumdrehte, ihr von seinen unglücklichen Erfahrungen berichtend, und es leicht zu erkennen war, daß hier irgendwelche Schwierigkeiten vorlagen, sandte er einen von den Zwergen hin, damit er Herrn Eligius zu ihm bitte. Der Alte begriff nicht sofort, was man von ihm verlangte, aber der vergoldete kleine Diener ließ ihm keine Zeit zur Ueberlegung, und so trat er denn auf den vor ihm stehenden Herrn mit einer Verbeugung zu.

»Verzeiht, mein Herr,« rief der Vornehme, »ich werde Euch nicht inkommodieren, schon um der schönen Frau nicht lästig zu fallen: aber ich sehe, die Herrschaften sind in Sorgen – ich halte hier mit meinem Gefolge das ganze Einkehrhaus besetzt – womit kann ich Euch dienlich sei? Ich bin der Woiwode von Inowraclaw.« Zugleich warf er seinen Namen hin,

Herr Eligius, der für Würdenträger die höchste Ehrerbietung empfand, verbeugte sich bis zu den Knieen.

»Großmächtiger Herr Woiwode,« sagte er, »ich und meine Nichte finden keinen Winkel – und da zieht ein Ungewitter heran und alle Einkehrhäuser sind überfüllt,«

»Heda!« ließ sich der Woiwode zum Zwerge vernehmen, »ruf mir den Rzefinski her, aber flink!«

Auf diese Worte stürzte ein ungeheurer Bengel herbei in einer Art von Montur, die ebenso reichlich mit goldenen Schleifen und Knöpfen verziert war, als die des Woiwoden selbst,

»Höre, Rzefinski,« kommandierte der Woiwode, »laß die Hälfte meiner Pferde und Leute ins Einkehrhaus am Ufer abfahren; diese Herrschaften nehme ich hier unter meinen Schutz. Sorge indes für eine Wohnung.«

Mit diesen Worten näherte sich der artige Woiwode Elsbeth, die Hand an die Mütze führend. Man erkannte sofort den Hofmann König Augusts in ihm, der es gewohnt war, der Schönheit zu huldigen, wenn dieselbe auch keinen Anspruch auf einen Senatorenstuhl erheben konnte,

»Schöne Frau,« ließ er sich vernehmen, »obwohl ich noch nicht die Ehre habe, Euch zu kennen, so genügte doch ein Blick auf Euch, um in mir den Wunsch zu wecken, Euch zu dienen. Es ziemt sich nicht, daß eine Person von solcher Schönheit und Distinktion ein Obdach suche, das sich ganz von selbst auf ihren Wink öffnen muß. Ich befahl das von mir besetzte Haus zu säubern und bitte Euch herzlich, in demselben mein Gast zu sein.«

Er verbeugte sich und wollte ihr dabei seine Hand reichen. Elsbeth erwiderte zwar lächelnd die Verbeugung, doch entzog sie ihm rasch die Hand und erwiderte resolut: »Ich danke Euch, Herr Woiwode … die Gastfreundschaft bin ich anzunehmen gezwungen, und wenn ein glücklicher Zufall Euch jemals in unsere Gegend führt, so wird Elisabeth Pientka glücklich sein, sie Euch in ihrem eigenen Hause durch herzlichen Empfang zu vergelten.«

»Von welchen Pientkas seid Ihr, gnädige Frau? Vielleicht von denen, die den Nachtraben im Siegel führen? Und von Haus, wenn ich fragen darf?« ließ sich der Woiwode vernehmen.

»Von Haus bin ich eine Okon Pienkowska und die Pientkas Oczkowicz führen in der That den Nachtraben in ihrem Siegel!« erwiderte Elsbeth kühn, auf das Einkehrhaus zugehend.

»Mir sind beide Familien bekannt, wenn sie auch nicht aus meiner Gegend stammen,« sagte der Woiwode, »beide Geschlechter alten Adels! Das ließ sich auch ohne Legitimation aus Euren Zügen lesen, gnädige Frau, denn Ihr seht aus wie eine Königin!«

Der Herr Woiwode war übermäßig galant. Elsbeth wurde ein über das andere Mal rot, doch ärgerte sie sich vielleicht darüber nicht. Sie dachte nur: Und jener Wicht ist mir wegen einer angemalten alten Französin durchgebrannt!

Sie traten ins Einkehrhaus, als es schon tüchtig zu donnern begann und der Himmel von rasch einander folgenden Blitzen durchzuckt wurde. Ebenso sehr scheint sich Rzefinski beeilt zu haben, denn die schöne Stube stand für die Frau bereits geöffnet und die Pferde wurden durch das Hinterthor hinausgeführt, damit die Wiege sogleich, ohne naß zu werden, einfahren könne.

Nachdem der Woiwode die Frau bis zur Schwelle geleitet, verbeugte er sich, küßte ihr die Hand, die sie ihm nicht mehr verweigern konnte, und schritt, Eligius mit sich ziehend, in die zweite Stube. Die Zwerge folgten ihm auf dem Fuße.

»Nun möchte ich auch Euch kennen lernen,« ließ er sich zum Ohm vernehmen.

»Ich bin Eligius Okon Pienkowski, der Bruder des Vaters der Frau Pientka, der sie auf der Reise begleitet.«

»Wohin geht's denn?«

»Wir reisen nach Dresden.«

»Höchstens, um die Dönhoff Die damalige Geliebte Augusts II. Anm. d. Uebers. bei Seiner Majestät dem König auszustechen!« rief der Woiwode, »denn wenn er diese Schönheit erblickt, so vergißt er die Cosel, die Königsmark, die Fürstin Teschenska und die letzte,« lachte der Woiwode.

»Scherze sind frei, Herr Woiwode; aber meine Nichte hat dergleichen gar nicht im Sinn. Wir sind Leute von altem Schlag und meine Elsbeth ein bescheidenes Kind.«

»Warum verhüllt Ihr ihr Gesichtchen nicht mit einer Maske?« fuhr der Woiwode scherzend fort; »sei sie auch noch so tugendhaft, so ist sie den Menschen doch gefährlich, weil sie eine Frau von unwiderstehlicher Schönheit ist.«

»Wenn ich die Wahrheit sagen soll,« flüsterte der Oheim, »ist ihre Schönheit die geringste der Eigenschaften, womit sie Gott zu beschenken geruhte, denn wer ihren Kopf, ihren Verstand und ihr Herz näher kennen lernt, der vergißt ihr Gesicht.«

Der Ohm hatte sich offenbar unter dem Einfluß der woiwodischen Wohlredenheit zu einem so herrlichen Lobe aufgeschwungen und ruhte nun, nachdem er geendet, aus, über sich selbst ungemein erfreut.

»Ich glaube wohl, was Ihr mir erzählt, denn alles das ist in dem Gesichtchen ausgedrückt,« setzte der Woiwode hinzu. »Darf man nun auch fragen, was sie nach Dresden führt?«

Obwohl geschwätzig und von tiefster Ehrfurcht vor der Senatorenwürde des Fragenden durchdrungen, wurde Onkel Eligius durch diese Frage in Verlegenheit gesetzt. Er hatte kein Recht, das Geheimnis der Nichte preiszugeben.

»Ein Geschäft von delikater, äußerst delikater Natur,« murmelte er mit zu Boden geschlagenen Augen, »und deshalb bitte ich, Herr Woiwode, mir, wenn es thunlich, die Antwort zu erlassen.«

»Dann,« sagte lachend der Herr und klopfte Eligius auf die Achsel, »dann wollte ich schwören, daß in dieser Sache Amor eine Rolle spielt. Es ist undenkbar, daß diese zudringliche Fliege nicht um den Zucker herumtanzen sollte!«

»Hm,« nuschelte der Ohm, »ich darf nichts sagen.«

»Herr Okon,« unterbrach ihn der Woiwode, »da ich auch nach Dresden fahre, so erfahre ich's doch! Mir bleibt kein Geheimnis verborgen.«

»Ich würde es ja auch nicht wagen, einem uns so gütigen und wohlthätigen Herrn und einem so ansehnlichen Senator gegenüber ein Geheimnis zu machen, wenn es sich um mich handelte … mit meiner Nichte ist's, um es Euch zu gestehen, Herr Woiwode – ein gefährlich Ding. Wenn ich plauderte …

»Was geschähe dann? Was? Welche Strafe würde Euch treffen, Herr?« lachte der Woiwode.

»Ich weiß nur so viel, daß ich mich nicht getrauen würde, sie böse zu machen, denn so schön das Weib ist, so jähzornig und gewaltthätig kann sie sein.«

Da hatte sich Onkel Eligius schon etwas verplappert.

»Wirklich! Schau! schau!« sagte der Woiwode, »ja auch das spricht aus ihren Augen. Ha, bei einer Frau deutet wie bei einem arabischen Pferde großes Feuer auf eine edle Rasse. Aber alles das erweckt in mir die mächtigste Neugier.«

In demselben Augenblick, da der mit den Zwergen und Herrn Eligius in der Mitte des Vorhauses stehende Woiwode dieses sprach, blitzte es entsetzlich hell auf und unmittelbar darauf betäubte ein Donnerschlag die Sprechenden, als ob das Einkehrhaus aus den Fugen ginge; zugleich verbreitete sich ein schwefeliger Geruch in der Luft. Der Woiwode bekreuzte sich, ebenso alle übrigen Anwesenden, die Zwerge fielen sogar auf die Kniee nieder. Im Nu schlug aus dem gegenüberliegenden Nachbarhause die Flamme empor und Lärm und Getöse erfüllten sogleich das ganze Haus und den Ringplatz. Ein panischer Schreck erfaßte alle.

»Es brennt! Feuer! Rettet!« rief man von allen Seiten und rannte besinnungslos umher.

Auch Elsbeth lief aus ihrer Stube heraus, zu sehen, ob nicht dem Ohm oder den Leuten etwas geschehen wäre. Der Woiwode, welcher ruhig dastand, näherte sich ihr, ungeachtet der allgemeinen Verwirrung die Pflichten der Artigkeit nicht vergessend

»Beruhigt Euch, gnädigste Frau,« sagte er, »wir stehen hier alle Wache und meine Leute werden es verhüten, daß das Feuer zu uns herübergreife. Auf jeden Fall werden wir für Eure Sicherheit sorgen.«

Elsbeth dankte, während der Woiwode die Augen auf sie heftete, wie auf ein Bild. Beim Hinauslaufen hatte sie das Mäntelchen von den Schultern geworfen und ihr Wuchs trat in dem anschließenden Kleide noch schöner hervor, gleichzeitig verrieten sich jene kleinen Terzerole, die sie an einer Schnur befestigt in den Taschen trug, durch ihre daraus hervorlugenden Griffe. Mit Erstaunen bemerkte sie der Woiwode.

»Beim lebendigen Gott!« rief er aus, »wie ich sehe, reist Ihr bewaffnet, schöne Frau, mehr auf Euch selbst, als auf Euer Gefolge Euch verlassend? Was bedeuten denn diese Waffen?«

Elsbeth wurde blutrot.

»Ich weiß, Herr Woiwode,« sagte sie, »daß diese Waffe in den Händen einer Frau vielleicht wunderlich erscheinen mag, aber ich bin daran gewöhnt, mir selbst Rat zu schaffen und nur auf mich allein zu bauen!«

»Heiliger Gott! Ihr erscheint mir wunderbar mit diesen Pistolen. Ich hörte nur von einer, die damit reiste – aber Gott bewahre mich, ihren Namen vor Euch auszusprechen!«

Da das Feuer gelöscht, teilweise auch von dem furchtbaren Regengusse bewältigt wurde, der Sturm nachzulassen begann und keine Gefahr mehr drohte, entfernte sich Frau Pientka nach einer Verbeugung eiligst nach ihrem Zimmer. Der Oheim wollte ihr nach, allein der Woiwode hielt ihn vermöge seiner Würde zurück.

»Kommt auf ein Wörtchen zu mir,« sagte er. »Ich sehe, daß der Koch bereits das Nachtmahl auftragen läßt; Ihr müßt es mit mir essen, es hilft Euch nichts, und an Frau Pientka will ich es schicken; da sie das Obdach von mir annahm, wird sie auch mein Brot anzunehmen die Güte haben.«

So geschah es auch. Herr Eligius ging zum Nachtmahl mit, bei dem sich auch ein Gläschen Wein fand, von dem der Woiwode eifrigst nachgoß, offenbar bemüht, seinen Gast in gute Laune zu versetzen, damit ihm dieser um so umständlicher den Zweck ihrer Reise ausplaudere. Von dem Empfang und der großen Gunst des Dignitärs hingerissen, plapperte Herr Eligius schließlich sub rosa alles heraus, hoch und heilig beschwörend, daß alles unter ihnen bleibe. Er hatte an dem Wirt einen gespannten Zuhörer, der in einem fort lachte und vor Erstaunen über den kernigen Charakter einmal über das andere laut aufschrie.

Als der Oheim fertig war, wurde der Woiwode nachdenklich.

»Bin neugierig,« sagte er, »wie sich die Historie löst. » Volens nolens folge ich Euch auf den Fersen nach, ich erwarte also, daß wir uns in Dresden wiedersehen und daß Ihr mich dort mit Eurem Besuch erfreut. Indessen trinke ich auf das Wohl Eurer schönen Nichte und auf den guten Erfolg ihrer Reise. Keinesfalls wird sie bereuen, dieselbe unternommen zu haben, denn wenn sie ihren Mann auch nicht findet, so wird sie dafür andere Verehrer schockweise aufzählen können. Wenn sie sich bei Hofe zeigte, bei Gott! ich stünde für Seine Majestät unsern König nicht gut, obschon er ein wenig schwerfällig geworden ist. Sie könnte der Dönhoff, ohne es zu wollen, ein Bein stellen.«

Während der Herr Woiwode diese Worte zu Ende sprach, schrie Eligius, der aufgestanden war und auf die rauchenden Reste des vom Blitze in Brand gesteckten, von einer dichten Volksmenge umgebenen Einkehrhauses hinausblickte, beinahe laut auf vor Erstaunen.

»Was habt Ihr denn gesehen?« fragte der Woiwode.

»Nichts Besonderes – nur einen Bekannten, den ich nicht gehofft hätte, hier zu erblicken. Ich muß doch sehen, was ihn hierher geführt.«

Der gastfreundliche Woiwode entließ ihn also. Vor dem Einkehrhause stand Herr Severin Tschaska mit seinen Leuten, sich nach allen Seiten umsehend, wo er einfahren könnte.

»Was macht Ihr denn hier, mein Herr?« fragte Eligius, auf ihn zueilend, »in Christi Namen …!«

»Wie Ihr seht, bin ich in Verlegenheit,« erwiderte Tschaska gleichgültig, »der Referendarius schickt mich nach Dresden, so muß ich denn reisen, wiewohl ich dazu nicht gerüstet bin. 's ist eine halsbrecherische Angelegenheit.«

Eligius sah ihn merkwürdig an.

»Höchst sonderbar,« setzte er hinzu, »daß wir uns so begegnen, es könnte einer meinen, daß Ihr uns auf den Fersen nachfolgt, Herr Tschaska.«

Tschaska zuckte die Achseln.

»Was Ihr träumt! Ich reise, weil ich muß! Doch da wir uns wieder getroffen, wie befindet sich unsere schöne Heroine?«

»Wie anders, als gesund und ruhig,« sagte der Oheim; »weiß Gott, sie ist von der Reise und von der Angelegenheit weit weniger angestrengt und angegriffen als ich! Aber Ihr müßt ein Einkehrhaus suchen.«

»Wer ist denn hier mit Euch?«

»Der Woiwode von Inowraclaw.«

»Kein Platz mehr für mich?«

»Nicht so viel …«

»Wann reist Ihr weiter?«

»Morgen bei Tagesanbruch, wenn der Reif bis dahin ans Rad genietet ist.«

Herr Eligius entfernte sich und begab sich bekümmert sogleich zu seiner Nichte. Nachdem er eingetreten, sah er sich um, strich sich über den halbausrasierten Schopf und verschlang die Hände.

»Siehst du, meine goldene Elsbeth, welch ein Unglück es ist, wenn ein junges Weib solche Hasardreisen unternimmt! Jeder Schritt bringt neuen Kummer.«

»Welchen, lieber Onkel? Ich kann doch nicht dafür, daß der Blitz ins Einkehrhaus geschlagen!«

»Dafür brennt der Woiwode für dich, mehr als das Einkehrhaus! Dazu führt der Satan noch den Tschaska her.«

»Wieso? Tschaska? Wo ist er?«

»Hier ist er und plappert daher, daß ihn der Referendarius über Hals und Kopf nach Sachsen geschickt! Wer ihm das glaubt! Er folgt direkt vom Roten Haus dir nach!«

Elsbeth zuckte ungeduldig die Achseln.

»Es ist schwer, ihm denselben Weg, den wir nehmen, zu verwehren,« sagte sie, »doch irrt er sich, wenn er glaubt, daß er auf der Reise die Bekanntschaft wieder anknüpfen werde. Der leichtsinnige Mensch hat fehlgeschossen, und er ringt mir damit wenig Achtung ab.«

Sie besann sich ein wenig.

»Lieber Ohm,« fuhr sie fort, »für alles findet sich noch Rat. Nur darf man den Herren die Zeit unserer Abreise nicht verraten. Man möge nur an dem Rade den ganzen morgigen Tag flicken, wir bleiben hier sitzen, jene reisen voraus und so verlieren wir uns. Mir Gesellschaft leisten dürfen sie nicht, denn ich gestatte es nicht, und wer es versuchen wollte, dem würde ich schon die rechte Antwort zu geben wissen.«

Sie sprach das mit solcher Stimme und Entschlossenheit, daß Herr Eligius erstarrte.

»Aber – Elsbeth, mein Herz – den Woiwoden wirst du vielleicht noch brauchen! Wer weiß, was geschieht, der Herr bedeutet viel bei Hofe!«

»Ich werde mit dem Hofe nichts zu thun haben!« entgegnete die Frau.

»Wer kann es wissen,« murmelte der Ohm, »diese Teufelinnen stehen in höfischem Sold. Wer weiß, wo Mundi steckt, vielleicht wird man das Schutzrecht anrufen müssen.«

Elsbeth lachte auf.

»Ich kenne kein anderes Recht, als das meinige, und das reicht für mich hin. Nur bitte ich von unserer Abfahrt nichts zu erwähnen und sie vorausfahren zu lassen.«

»Ja, wenn's geht!« setzte Eligius hinzu.

»Darum sei so gut, lieber Ohm, wenn man dich fragt, so zu thun, als wüßtest du von gar nichts.«

»Gewiß, auch das versteht sich von selbst,« erwiderte Eligius, »nur ist dieser Tschaska ein verzweifelter Geselle!«

»Wir dürfen nicht einmal von ihm wissen!« unterbrach Elsbeth, »was geht er uns, was wir ihn an!?«

Nach dem stürmischen Abend verging die Nacht ziemlich ruhig, die Luft kühlte sich merklich ab und kündigte einen überaus schönen Morgen an. Bei Tagesanbruch begannen die Leute des Woiwoden, die Kühle nutzend, sich zu rühren und zu rüsten.

Als Eligius ins Vorhaus trat, fand er auch den Woiwoden mit den Zwergen bereits angekleidet vor, welcher, ihn erblickend, laut ausrief: »Die schuldige Morgensuppe wartet auf Euch! Warum zögert Ihr denn so mit der Abfahrt? Wie ich sehe, habt Ihr noch gar nichts fertig?«

»Euer unterthänigster Knecht, Herr Woiwode,« sagte Herr Eligius mit tiefer Verbeugung, »auch wir werden bald gerüstet sein, aber Ihr wißt ja, mit den Weibern kommt man nie recht vom Fleck. Wir holen Euch ein.«

»Ich muß fahren,« sagte der Woiwode, »bei Tage ist die Hitze unerträglich, man muß die Kühle benutzen.«

Die Suppe eilig austrinkend, empfahl sich Herr Eligius, geleitete den Senator zur Kalesche, die Zwerge setzten sich zur Seite auf die Trittbretter und die ganze Prozession von Wagen, Berittenen, Bagagefuhren und Fuhrleuten zog mit Pomp aus dem Städtchen. Schon atmete Herr Eligius erleichtert auf, da erblickte er – sich umkehrend – Tschaska in einem Kaftan aus Elentierpelz, im Thore des anderen Einkehrhauses stehen.

»Unterthänigster! Guten Morgen!«

»Falle Euch zu Füßen.«

»Nun, fahrt Ihr?«

»Gewiß, gewiß, wir fahren, nur muß sich die Gnädige erst ankleiden.«

»Sollten wir nicht zusammen fahren? Es wäre lustiger.«

Eligius zog ein verdrießliches Gesicht und näherte es dem Ohre des Zudringlichen.

»Fahrt nur voraus! Die Frau ist nicht in bester Laune, 's ist besser, sich ihr nicht aufzudrängen. Fahrt voraus – wir holen Euch schon ein.«

Tschaska verstummte, sein Gesicht verfinsterte sich; er blieb noch ein Weilchen im Thor, sah herum und schrie der Dienerschaft zu: »Die Pferde eingespannt! Vorwärts auf den Weg!«

Dem Oheim wurde ordentlich leichter, als er auch diesen zweiten Zug die Landstraße entlang sich entfernen sah und er faltete die Hände.

»Gelobt sei die Vorsehung,« sagte er im Geiste, »nun sind wir sie los. Nur müssen wir bis morgen im Städtchen Schabbes halten, denn gar so lange werden sie nicht warten und wir verlieren sie mit Gottes Hilfe.«

Allein mit derlei Berechnungen – und wären dieselben auch für Reisetage – fährt der Mensch nicht immer so gut, wie er sich's wünscht. Der Bauer schießt und unser Herrgott führt die Kugel Aehnlich dem deutschen: Der Mensch denkt und Gott lenkt..

Sie rasteten also den ganzen Tag, was den Pferden besonders wohl that, doch hatte Frau Siegmund keine Ahnung, daß sie sich damit eine um so schlechtere Suppe einbrockte.

Zu jener Zeit, als sich Herr Siegmund Pientka um Elsbeth zu bemühen begann, fand er bereits einen gewissen Gracyan Boroditsch vor, der ihr auf Tod und Leben den Hof machte. Die Boroditschs besaßen ein Dörfchen in der Nähe Okons; sie wohnten in Wiasowka, an drei Meilen von Wulka. Damals lebte noch Gracyans Vater, Herr Philipp Boroditsch, ein gewesener Rittmeister der Nationalkavallerie, ein berühmter Haudegen, Schwätzer und Hetzer. Der Sohn ähnelte ihm gar nicht, bis auf Gesicht und Gestalt. Schön war er nicht, das ist wahr, aber wohlgewachsen, gesund, kräftig, von martialischen Mienen und so tapfer, daß er vor gar nichts in der Welt zurückschrak. Ohne Besinnen ging er mit dem Säbel allein auf zehn los und packte die auf ihn gezielten Pistolen bei den Läufen an. Er hatte eine schwerfällige Ausdrucksweise, sprach auch nicht viel, doch konnte man auf sein Wort bauen. Boroditsch hatte sich in das Fräulein verliebt und erwies ihr mit Erlaubnis der Eltern allerlei Aufmerksamkeiten, als plötzlich Siegmund erschien und ihn sofort aus dem Sattel hob. Boroditsch trat zurück, als er das Fräulein für jenen eingenommen sah, aber seine Liebe blieb die alte. Die alten Okons wollten ihm die zweite aufbinden – er dankte. Betrübt und seinem ersten Gefühle treu, gelobte er sich, niemals im Leben zu heiraten und schwur Elsbeth Treue bis zum Tode zu. Man lachte ihn deswegen aus, er ließ es geschehen und machte kein Hehl daraus.

»Was kann es ihr denn schaden, wenn ich sie liebe. Von weitem darf man auch die Sonne lieben.«

Man kannte seine Passion; Siegmund selbst scherzte zuweilen über den Kavalier seiner Frau – sie nicht. Sie sagte es offen, daß sie für ihn Hochachtung und Freundschaft hege. Offenbar schien sie Siegmund durch die Schärfe seines Witzes und durch sein einschmeichelndes Benehmen gewonnen zu haben, sonst hätte sie sicher Boroditsch geheiratet.

Als sich dies Unglück mit Siegmund zutrug, war Boroditsch nicht zu Hause; er hatte sich zu weit entfernten Verwandten aufgemacht. Erst nach seiner Rückkehr erfuhr er alles. Ohne sich auch nur einen Tag Rast zu gönnen, fuhr er zu den Okons.

Dort fand er Thränen und Unruhe und die Kunde von Elsbeths Abreise mit Herrn Eligius vor. Da er den Ohm gut kannte, so schien es ihm, als wäre derselbe zum Begleiter einer jungen Frau auf einer weiten Reise schlecht gewählt, was ihn unendlich betrübte. Nicht minder der Gedanke, daß sie, so ganz ohne Schutz in die weite Welt geworfen, viel Ungemach würde erleiden müssen.

Allein er sagte den Okons nichts, seufzte und kehrte nach Hause zurück. Selbigen Abend noch fuhr er, um nähere Kunde zu erlangen, zu Mioduschewski hinüber. Sie waren beide gleich heftige Verehrer der schönen Elsbeth und liebten sich auch gegenseitig sehr. Kaum war Boroditsch vom Pferde gestiegen, als ihn schon der alte Mioduschewski willkommen hieß.

»Was sagst du, Brüderchen? Weg ist unsere Königin, weg!«

»Deshalb komme ich auch, mich mit Euch zu beraten,« erwiderte, ihn umarmend, Boroditsch, »nicht nur, daß sie unvorsichtig in ein wildfremdes Land abreiste, so nahm sie auch einen mit, der – hm …«

»Ein zerkochtes Stück Fleisch!« rief Mioduschewski, »weich wie sie, aber nicht so kräftig. Hol mich! Eligius ist mitgereist!«

»Das ist's!« sagte Boroditsch. »Doch sprecht nur weiter! Wie? Was? Ich weiß gar nichts.«

»Was soll ich sagen? Ihr kennt unsere Königin,« begann Mioduschewski mit erhobenen Händen, »ein Weib, wie kein zweites auf der Welt! Sie sagte, sie wolle ihm nachreisen und fort war sie wie ein Stein aus der Schleuder – keine Macht der Erde konnte sie zurückhalten. Warum sie fortreiste? Schlagt mich tot, ich weiß es nicht! Eligius sagt, sie hätte sich vorgenommen, ihm eine Kugel durch den Kopf zu jagen – nun das wird sie nicht thun … um ihm jedoch ins Gesicht zu spucken und ihn dort zu beschämen, das lohnt doch, wahrlich, so vieler Mühsal nicht! Um ihn hierher zurückzuschleppen? Wird er ja doch selbst kommen, wenn er sich erst tüchtig eingeseift hat. Summa Summarum: unsere Königin hat, weiß Gott, aus Jähzorn einen Bock geschossen, den sie selbst hinterher bedauern wird. Hol mich …!«

»Wahrscheinlich!« seufzte Boroditsch, »und dazu Eligius!«

»Eine gute Haut, aber was weiter?« rief Mioduschewski.

»Hm!« murmelte Boroditsch, auf und abgehend, »schlimm – sehr schlimm … daß sie die Eltern fortließen!«

»Wer vermag es denn, sie aufzuhalten?« versetzte der Wirt; »wenn sie etwas will, muß es geschehen, und wenn sie erst zornig wird, dann zwingt sie keine Macht.«

»Hei! Hei!« lächelte Boroditsch, die ungeheuren Bärenpratzen wie zum Gebete faltend, »hei! hei! wie muß sie im Zorne schön gewesen sein!« Er seufzte fast aus voller Brust. – »Denn ob sie zürnt, ob sie lächelt, oder traurig ist, sie ist stets anders und immer schön … Kreuzschockschwerenot!« brauste er auf, – Mioduschewski preßte ihn an sich.

»Wahr! wahr! Sie ist die Schönheit aller Schönheiten, ein Weib, wie kein zweites unter der Sonne … hol mich …!«

»Kein zweites unter der Sonne!« wiederholte Boroditsch und begann wieder in der Stube herumzugehen wie ein Tier im Käfig.

»Wißt Ihr was? wißt Ihr? Mich dünkt,« setzte er hinzu, »es ziemt sich nicht, sie so zu verlassen, so der Gnade der Vorsehung mit diesem Eligius, diesem Schwachkopf, zu überantworten. Zu spät erfuhr ich von dieser Abreise, je nun, je nun, wißt Ihr was, Mioduschewski?«

»Nun? Was denn?«

»Ich reise ihr nach! Sie soll nicht einmal etwas davon wissen, und niemand außer Euch, nur um die Sache aus der Ecke zu beobachten. Nun? Was sagt Ihr dazu?«

»Hm!« seufzte der andere, »hätte sie mir nicht die Wirtschaft übergeben, ich würde dasselbe gethan haben, hol mich …!«

»Aber sagt keiner lebendigen Seele ein Sterbenswörtchen davon!« setzte Boroditsch hinzu, »ich wollte bloß wissen, was Ihr dazu sagt; jetzt lebt wohl, ich werde heute nacht schon auf der Landstraße sein.«

»He? he?« fragte Mioduschewski, »wirklich?!«

»So wahr mir Gott helfe! lebt wohl.«

Sie umarmten einander. – Noch am selben Tage machte sich Boroditsch auf den Weg und rückte, Pferde und Leute auswählend und sich nirgends aufhaltend, dermaßen nach, daß er an dem Tage, als man das Rad im Städtchen reparierte, darin zur Fütterung ankam.

In Wahrheit war das Rad schon lange fertig, die Pferde ruhten sich nur genügend aus, die Leute schnarchten, Elsbeth saß am Fenster, und Onkel Eligius, welcher sich entsetzlich langweilte, ging, die Hände in den Taschen, auf dem öden Ringplatz des Städtchens herum, wie auf seinem eigenen Grund und Boden. Zwei dünne Ziegen und eine magere Kuh, welche die Abfälle des gestrigen Jahrmarkts verzehrten, leisteten ihm Gesellschaft. Während er so mit aus Bequemlichkeit abgeschnalltem Gürtelriemen herumspazierte, stieß er beim Abbiegen Nase an Nase mit einem Reiter zusammen, so daß er beinahe zurückfuhr.

»Alle guten Geister loben Gott den Herrn! Boroditsch! Was macht Ihr denn hier?«

Der unglückliche Herr Gracyan, der unmöglich schon hier ein ähnliches Begegnen erwarten konnte und darauf gar nicht gefaßt war, verlor die Sprache. »Piff – paff! paff! – Was sagen?«

Er fing an, sich zu verbeugen und zu lachen, um Zeit für eine Lüge zu gewinnen. Einem anderen wäre dies vielleicht leicht angekommen, allein Boroditsch besaß nicht die geringste Uebung, er hatte nicht zweimal im Leben Gelegenheit dazu gehabt. Er verschluckte also die Worte, lachte, drehte an seinem Schnurrbart und dachte: »Was werd' ich Unglückseliger ihm nur sagen?«

Um keinen Preis wollte er bekennen, daß er ihnen nachjagte, ja er wollte sich ihnen nicht einmal zeigen. Er fragte am Wege nach, wann sie vorbeigekommen, und glaubte fest, sie wären ihm mindestens um eine ganze Futterstation, voraus. Indessen war der Aufenthalt im Städtchen der Grund des unerwarteten Zusammentreffens.

»Was macht Ihr denn hier?« fragte Eligius.

»Ich? Was ich hier mache? …« sprach Gracyan gedehnt, um sich besinnen zu können; »es mag Euch in der That wunderlich scheinen, was ich hier mache, nicht wahr? Ha! Und auch ich kann mich nicht satt staunen über den merkwürdigen Zufall, der mich Euch begegnen läßt.«

»Wart Ihr zu Hause?« fragte der Oheim.

»Wann?«

»Ihr wart doch jetzt in Wiasowka?«

»Wieso?«

»Ihr kommt von dort – nicht?«

Boroditsch merkte, daß er sich mit einer verwegenen Lüge herausretten könne.

»Ich? Ich komme von meinen Verwandten. Vier Wochen sind's, seit ich nicht mehr zu Hause war.«

»Ihr wißt also nichts?«

»Was soll ich denn wissen?«

Onkel Eligius atmete auf. »Ihr wißt nichts? Mundi ist mit einer Teufelin durchgebrannt und ich und Elsbeth verfolgen ihn! Sie ist hier.«

»Hier?« rief Gracyan, gleichsam erstaunend.

»Hier!« Und der Ohm wies auf das Einkehrhaus.

Ein guter Geist kam über Boroditsch.

»Da führt mich in der That ein glücklicher Zufall hierher.«

»Ein sehr glücklicher … Kommt zu Elsbeth, sie wird Eurer froh sein, denn Ihr seid ja ein alter Adorator, ein alter Adorator!« setzte der Oheim lachend hinzu.

Boroditsch weigerte sich anfangs: doch folgte er schließlich, den Staub von sich schüttelnd, dem Ohm nach. Schon hatte ihn Elsbeth vom Fenster aus bemerkt und wurde glutrot, denn es kam ihr vor, als zöge auch dieser ihr nach; darum beschloß sie, ihn mit aller Strenge zu empfangen und abzuweisen, um so mehr, da sie mit ihm als ihrem treuesten Anbeter keine Ceremonien zu machen brauchte.

Als sich der Oheim auf der Schwelle zeigte, erkannte er aus den Mienen der Nichte, daß sie ärgerlich war; denn in solchem Falle flossen die dunkeln Brauen beinahe ineinander, und auf die Stirne trat eine tiefe Furche.

»Was macht Ihr denn da!« rief sie Boroditsch an, ihn erblickend und nicht einmal seinen Gruß abwartend.

»Der reine Zufall, liebwerteste Frau! Ich bin auf der Rückreise von meinen Verwandten; es sind vier bis fünf Wochen, seit ich von Hause fort bin.«

Das entwaffnete Elsbeth; sie lächelte.

»Eben erfahre ich von Herrn Eligius, daß die Herrschaften auf der Reise begriffen sind, und noch dazu auf einer so weiten, so traurigen.«

»Setzt Euch, Herr Gracyan,« begann Elsbeth heiter; »die Reise ist nicht so schrecklich; auch habe ich keinen Grund zum Traurigsein! Ich will eben einen Menschen retten, der den Verstand verloren. Finden muß ich ihn, muß versuchen, ihn zu retten, und wenn nicht! …« Sie fuhr mit der Hand durch die Luft.

»Was dann?« flüsterte Boroditsch.

»Dann kehre ich nach Hause zurück und behelfe mich ohne den Dummkopf; aber wenn er wiederkehrt, wird er mich vielleicht nicht finden. Ich fürchte weder die Reise noch ihn.«

»Ein Mannweib!« flüsterte der Oheim; »sie fürchtet sich nicht, während ich zittere.«

Boroditsch schwieg. Elsbeth ging im Stübchen ziemlich heftig umher, mit in die Hüften gestemmten Händen, und es war eine Freude, zu sehen, wie schön sie im Reisejäckchen aussah; der unglückliche Gracyan weidete denn auch sattsam seine Augen und seufzte ein über das andere Mal. Alles das hatte ihn so plötzlich und unverhofft angepackt, daß er keine Zeit fand, sich auf eine rechte Antwort zu besinnen, und als ihn Elsbeth plötzlich ansprach: »Wohin reist Ihr, Herr Gracyan?« da zuckte er zusammen und wurde so verlegen, daß er nichts zu antworten wußte. Nach langem Schweigen wiederholte sie: »Wohin reist Ihr denn?«

Was war da zu erwidern? Ihm wollte schier der Kopf zerspringen, jede Lüge kostete ihm eine unerhörte Ueberwindung. In dem Augenblick, während er unverständliche Worte verschluckte, die er nicht auszusprechen wagte, war's, als flüsterte ihm jemand ins Ohr: »Nach Schlesien, Ochsen einkaufen.«

»Barmherziger Gott!« lachte herzlich die Frau, »seid Ihr ein Wirt! Man führt sie doch von uns dahin zum Verkauf?«

»Hm! Ich weiß nicht!« sagte Boroditsch in namenloser Verwirrung … »Ich weiß nicht, man sagte mir, daß man bei uns solch ein Vieh, wie es in Schlesien vorkommt, gar nicht zu sehen kriege.«

Es roch dies so nach einer Lüge, daß Elsbeth furchtbar mit dem Kopfe zu schütteln begann.

»Am Ende jagt auch Ihr irgend einem Fratzengesicht nach!« lachte sie hellauf, »weil Ihr's nicht zu gestehen wagt! Die Dinger haben es scharf auf Euch.«

»Auf mich nicht,« rief Boroditsch heftig; »das erlebt Ihr an Boroditsch nicht!«

Auf diese Weise ungefähr endigte das spitzige Gespräch: der arme Gracyan stand da und schaute; er hatte das Gefühl, als sollte er seine Herrin nicht so bald wiedersehen.

»Gewiß habt Ihr's eilig mit Euren schlesischen Ochsen,« sagte Elsbeth mit etwas pfiffigem Nachdruck; »darum Glück auf die Reise, wir halten Euch nicht auf, da wir hier noch zu übernachten gedenken.«

Sie verbeugte sich – gern oder ungern, er mußte gehen und Onkel Eligius folgte ihm. Doch sprachen sie nur wenig mehr, denn Gracyan war zu einem Gespräch nicht aufgelegt, und der Oheim schritt verdrießlich neben ihm her; schließlich mußte man überlegen, was da zu thun sei. Sie verabschiedeten sich am Ringplatz, Boroditsch flüchtete sich in die nächste Gaststube, wo er sich eine Eierspeise bestellte. Das Reisegericht war längst kalt geworden, und noch immer ging er nachdenklich herum und überlegte, was er mit seiner unglückseligen Figur beginnen sollte, um sich der Frau nicht aufzudrängen und ihr doch zur Seite zu bleiben als treuer Wächter. Nach langen Berechnungen beschloß er vorauszureisen, irgendwo abzuwarten, bis sie ihn überholt, und ihr später unbemerkt nachzufolgen.

Während sich dieses zutrug, flog Julius Dsiemba auf der Landstraße ein gut Stück allen voraus nach Dresden mit der Information, sich eine Gaststube beim »Polnischen Trompeter« zu suchen, wo die Postillone einzukehren pflegten, welche mit Briefen extra an den König geschickt wurden. Er langte in der Residenz gerade zu so unglücklicher Zeit an, da aus Deutschland verschiedene Fürsten und eine Anzahl Reisender von der ganzen Welt in der Hauptstadt zusammengeströmt waren, in der Hoffnung auf außerordentliche Gelage und Feierlichkeiten. Nicht viel deutsch verstehend und darauf bauend, dort eine Menge von Landsleuten zu finden, gelangte Dsiemba in die Neustadt (heute heißt dieselbe umgekehrt: Altstadt), und da in den Straßen ein außerordentliches Gewühl von Reitern, Wagen, Sänften und Fußgängern durcheinander wogte, versank er im Tumult und wußte selbst nicht mehr, was er beginnen sollte. Zum Glück erblickte er einen Bauernjungen mit polnisch ausrasiertem Kopf, mit ein paar Gänschen unter dem Arm.

»Um Gottes Barmherzigkeit willen, Junge,« rief er ihm polnisch zu, »rette einen Landsmann und sag mir, wohin ich mich wenden soll?«

Der Bursche zeigte seine weißen Zähne: »Woher seid Ihr denn?«

»Du siehst es ja an der Sprache! Das Geplapper hier hat mich dumm gemacht – ich verstehe nichts davon. Führ' mich zu irgend einem Einkehrhause, wo man sich mit menschlicher Zunge verständlich machen kann.«

Der Junge lachte, ihm fortwährend in die Augen schauend. »Denkt Ihr,« sagte er, »daß Ihr hier irgendwo einen Winkel finden werdet? Was glaubt Ihr denn? 's ist alles vollgepfropft.«

»Wo ist denn das Einkehrhaus zum Trompeter?«

»Will Euch hinführen; aber was dann? Dort gibt's kein Loch mehr.«

So gingen sie denn sich durchdrängend, der Knabe mit den Gänsen voraus, Dsiemba ihm nachfolgend und sein Pferd hinter sich führend. Indessen hatte einer im Gedränge aus Mitleid, damit die Mähre keine allzugroße Last zu schleppen habe, die Sattelriemen abgeschnitten und das daran befestigte Bündelchen weggenommen. Dsiemba bemerkte es nicht so bald. Sie kamen vor dem Trompeter an. Der Hof überfüllt, zum Stall sich durchzudrücken keine Möglichkeit, Troßgesinde jeder Art wie Ameisen durcheinanderdrängend, bis plötzlich hinter dem Thor das bleiche Gesicht Janeks, des Fuhrmanns Herrn Siegmunds, sichtbar wird, aber so traurig wie nach einer Woche Fasten. Dsiemba stürzte, des Jungen vergessend, sofort auf ihn zu. »Gelobt sei Gott! Ist der Herr da?«

»Weiß ich?« zischte Janek gähnend hervor.

»Du weißt es nicht?«

»Wie soll ich's wissen! Fünf Tage haben wir ihn nicht mehr gesehen, als hätte ihn das Wasser verschlungen. Der Wirt will uns keinen Hafer und keine Kost mehr geben, die Pferde zerbeißen die Krippen, wir knabbern trockenes Brot, und vom Herrn nichts zu sehen und zu hören.«

»Wo sucht man ihn?«

»Weiß ich's?« versetzte Janek; »einmal von hier weg und kein Auge sah ihn mehr. Uns bleibt nichts übrig, als hier Hungers zu sterben! Was man auch flucht und schimpft – sie verstehen nichts … als ob Ihr Erbsen an die Wand würfet … Man hat nicht einmal die Freude, sich mit einem zu zausen.«

»Der Herr ist doch noch in der Stadt?«

»Weiß ich's, ob er noch auf der Welt?« sang der hungerige Janek gleichgültig heraus.

Zu dem allem wurde Dsiemba jetzt gewahr, daß von den Sattelriemen das Bündelchen verschwunden war, das sein ganzes Hab und Gut faßte; das war nun fast zum Weinen. Er setzte sich neben Janek auf den Thorstein, und nun begannen sie zu zweien eine Litanei von Flüchen, wobei vielleicht auch ihr eigener Herr etwas wegbekam. Schon war es Mittagszeit, als Dsiemba sein Pferd unterbrachte, und weil er glücklicherweise ein mageres Geldkätzchen in der Tasche hatte, so ging er nach der Stadt, um Janek abzufüttern und auch selbst etwas zu essen. Sie stärkten sich beide mit Würstchen, und da die Pferde im Einkehrhause sicher standen und der Bauernjunge bei ihnen geblieben war, so bat Dsiemba den Janek, ihn ein wenig herumzuführen.

Auf Siegmund mußten sie in der Hoffnung warten, daß ihn Gottes Barmherzigkeit in ihre Hände führe, denn selbst wußten und hatten sie keine Ahnung, wo sie ihn suchen sollten. Sie schleppten sich durch den noch überfüllten Ringplatz, die Schloßstraße, sahen ins Thor hinein, gingen hinaus gegen die Brücke, überall ein ungeheures Gedränge findend und sich durch die Menge von Pferden, Wagen, Sänften und Menschenmassen mühsam durchwindend. Beim Schloß bekamen sie von dem klafterlangen Hellebardier eins über den Rücken, damit sie rascher aus dem Weg gingen, und kehrten ermüdet zum Trompeter zurück. Nur Dsiemba verschob, nachdem er sich ein wenig mit den Gassen vertraut gemacht, auf morgen den Rückgang.

Tags darauf, als er nach der auf Stroh im Stall zugebrachten Nacht erwachte, wollte er schier darüber weinen, daß er aus übertriebenem Eifer jenem Herrn nachgejagt, der ihn hier verhungern lassen konnte wie seine Pferde und Diener. Der arme Teufel machte sich auf und ging in eine Kapelle, die man ihm zeigte, zur Messe; dann wanderte er wieder in den Straßen herum, aß wieder ein paar Würstchen, half ihnen mit einem Schnäpslein hinab und wußte gar nicht mehr, was er anfangen sollte, als er – es war schon hoch am Mittag – über den alten Ring schreitend, sich in ein Fenster verschaute. Im Fenster stand ein sehr schön geputztes Frauenzimmer mit einem Fächer und gab ihm, sich vor Lachen schüttelnd, mit Hand und Handschuh Zeichen, daß er hinaufkomme. Dsiemba sah erst herum, ob denn das nicht jemand andern angehe, allein die Einladung galt offenbar nur ihm. Er zauderte – das schöne Gesichtchen winkte ihm mit mühsam unterdrücktem Lachen eifrig zu, hinaufzukommen. Er näherte sich erstaunt dem Fenster, es war eine völlig unbekannte Person und aus ihren Lippen floß es rasch einmal über das andere Mal herab: »Siemba! Siemba! Siemba!«

Es war demnach kein Zweifel – er wurde gerufen, und keiner sonst. Obwohl überaus verwirrt, dachte er doch, daß es einem Schlachzizen nicht gezieme, über etwas Unbekanntes zu erschrecken, und trat mutig in das Haus ein.

Die Treppen waren sehr finster, doch kaum begann er sich hinaufzutappen, als sich oben die Thür öffnete; er vernahm eines andern Stimme: »Dsiemba!« und eilte ihr nach. Er fand die Thüren angelweit offen; zu beiden Seiten standen zwei aufgedonnerte Frauenzimmer ganz in Bändern und Kokarden, weiß und rot angestrichen, in hohen Stöckelschuhen, bis zum Ellbogen entblößten Armen, in Korsetts wie in Schachteln steckend, mit zierlich ausgeschmückten Halskrausen; auf ihren gepuderten Köpfen erblickte er zwei so mysteriös frisierte, mit Blumen durchwundene Pyramiden, daß er fast zur Säule erstarrt stehen blieb. Die Frauen riefen ihn in einem fort lachend in ihre Mitte; doch sprachen sie nichts dabei, sondern wiesen nur mit Gesten nach den übrigen Zimmern. Was war zu thun? Trotzdem man sich offenbar über ihn lustig machte, schritt er weiter.

Das erste Zimmer war von schönster Einrichtung: vergoldete Möbel mit seidenem Ueberzug, die Spiegel in Porzellanrahmen, der Luster am Plafond wie aus Blumen und Vögelchen zusammengesetzt, aber … kein Mensch darin. Dsiemba fand sich ganz allein und wußte nicht, was er davon halten sollte. Die Thür ins zweite Zimmer stand angelweit offen, er guckte hinein. Es war noch prächtiger. Die Wände darin glänzten ganz von Seide. Das Tischchen vor dem zierlichen Kanapee war mit allerlei eingelegtem Marmor geschmückt, die Platte sah aus wie eine kostbare Schatulle in Würfel- und Arabeskendessins. In den Ecken trugen gemalte, auf Säulen ruhende Vasen ganze Garben von Blumen, deren Duft die Lüfte durchströmte. Auch hier keine lebende Seele. Dsiemba schritt langsam, jedoch immer kühner vorwärts. Was hatte das alles zu bedeuten? Aus diesem Vorzimmer vorsichtig hinausspähend, erblickte er eine Art Flur mit Marmor ausgelegt, von dem ein ungeheures, halb geöffnetes Fenster auf einen von einer Marmorbalustrade umgebenen Balkon hinausführte. Am Balkon stand ein vergoldeter Käfig und im Käfig saß ein grüner Papagei, der, Dsiemba erblickend, seinen Kopf herumzudrehen und zu schreien begann: »Gute Nacht! Gute Nacht!«

Alles das berührte ihn seltsam. – Was thun? Offenbar machte sich jemand einen Jux mit ihm! Dsiemba kehrte mit dem festen Entschlüsse um, dieses gleichsam verzauberte Haus zu verlassen. Allein zur ersten Thür gelangend, fand er sie mit dem Schlüssel verschlossen, und als er sich umwandte, bemerkte er, daß sich auch die zum Papagei führende geschlossen hatte. Dafür sah er eine andere in der Wand geöffnet, 'wo früher keine zu sehen war, und durch sie hindurch einen merkwürdigen Anblick. Mäuschenstill, bewegungslos, wie versteinert saß bei Tisch eine aus mehreren Personen bestehende Gesellschaft, gleich einem lebenden Bilde anzusehen.

Auf dem reich besetzten, mit Vasen, Gläsern, Blumen, Porzellan und allerlei Nippes geschmückten Tische standen kostbare Schüsseln mit Früchten, Speisen, Zucker- und Naschwerk. Die aufgeputzten Frauenzimmer, von denen sich eine auf den Ellbogen, die andere auf die Schulter eines Mannes stützte, die dritte ihre Hände über dem Kopfkranze hielt, schauten alle auf den unglücklichen Dsiemba. Ihre Anzüge waren merkwürdig genug, funkelnd und blitzend von zahllosem Flitterwerk, blitzend auch ihre Gesichtchen und ihre Augen und kirschroten Lippen, um welche die Löckchen der eigenartigen Frisur und die Brillanten der Ohrgehänge und Halsbänder funkelten. Mitten unter ihnen saßen zur Abwechslung die Männer in Masken, der eine mit ungeheurer Nase und bis zum Gürtel herabfallendem chinesischen Schnurrbart, der zweite im Harlekinsanzug, der dritte in einer Perücke wie eine Fuhre Heu und mit tellergroßen Augengläsern, der vierte mit Hörnern am Kopfe und in die Höhe starrenden Ohren.

Dsiemba schaute und schaute auf dies eigentümliche Bankett, dessen Bewegungslosigkeit ihn immer mehr ängstigte, als sich plötzlich – Musik hören ließ … Alles belebte sich, rückte herum, und eine von den Damen begann Dsiemba mit der Hand zu Tisch einzuladen und mit lachenden Lippen zu rufen: »Siemba! Siemba!«

Der Mann mit der Perücke und den Augengläsern hob das volle Kelchglas zu ihm empor und rief: »Vivat Siemba!« Sämtliche Anwesenden griffen nach den Gläsern, Kelchen, Flaschen und im Echo erscholl's: »Vivat!«

Noch kam ihm alles vor, als schliefe er irgendwo im Stall zum Trompeter, als träumte ihm Gott weiß welch dummes Zeug, und gerne hätte er den Traum abgeschüttelt, als der mit den Hörnern mit lautem Gelächter herausplatzte, die Maske vom Gesicht herabriß und der erfreute Dsiemba den – teuren Siegmund in ihm erkannte.

Mundi unterhielt sich hier köstlich avec les Comédiens ordinaires du Roi … Er sprang vom Tisch weg und eilte auf den erstaunten Burschen zu. Wieder lachten alle im jubelnden Chor und klatschten in die Hände. Der Prolog des Stückes war vorzüglich gespielt worden. Man setzte Dsiemba, ohne ihn zu fragen, zu Tisch, schenkte ihm einen Humpen Wein ein, rückte ihm den Braten zu, und als der Rest der Gesellschaft sich singend und schreiend nach eigenem Belieben vergnügte, klopfte ihm Siegmund auf die Achsel.

»Was machst du hier? Wie kommst du hierher?«

»Freiwillig hätte ich mich sicher nicht in dies deutsche Land begeben,« seufzte Julek Gebräuchlich für Julius. Anm. d. Uebers., »mich hat die Liebe zu Euch hergetrieben; 's ist ein Unglück geschehen, Herr.«

»Welches Unglück?«

Dsiemba überlegte, wie er es ihm beibringen sollte.

»Eure Frau ist furchtbar ergrimmt über Euch.«

»Bah, – das geht vorüber.«

»Kaum, denn sie ist auf dem Wege zu Euch und ich hörte es mit meinen eigenen Ohren, wie sie drohend sagte: ›Ich schieße ihn zusammen wie einen Hund!‹«

Siegmund, der niemals erwartet hätte, daß die Frau seinen Raptus so strenge aufnehmen würde, wurde sichtlich verlegen. So weit kannte er Elsbeth, daß er das von ihr ausgesprochene Wort nicht geringschätzte.

»Als ich sah, daß dies kein Spaß, daß sich Eure Frau mit Herrn Eligius zur Abreise rüste und überdies ein paar Terzerole in die Tasche stecke, flog ich voraus, um meinen lieben Herrn zu benachrichtigen und zu warnen. Was ich dabei an Not, Hunger und Angst gelitten, das sei höchstens unserem Herrgott zum Opfer dargebracht.«

Siegmund klopfte ihm auf die Achsel.

»Das soll dir nicht verloren sein – sei ruhig. Aber sollte sie mir denn bis hierher nachjagen? he?«

»Unzweifelhaft, sie kann jeden Augenblick eintreffen!«

»Wer ist denn mit ihr?«

Dsiemba begann Pferde und Leute herzuzählen und alles, was zur Reise als nötig erachtet worden war.

Siegmund schüttelte die Arme.

»Das scheint kein Scherz,« sagte er erzürnt, »doch kommt es zwischen uns zu etwas, dann bin auch ich kein gemalter Türke! Sie soll nur kommen, wir wollen sehen, was sie hier gegen mich vermag? Und vor allem, ob sie mich nur so mitnimmt, wie ihr scheint? Versteht sie das Verfolgen, so verstehe ich das Fliehen. Ist das ein Weib!« rief er, »sollte das nicht lieber beim Ofen am Spinnrocken sitzen? he? Kriegt das auf einmal Lust, die Welt mit sich zu beschäftigen und die Heroine zu spielen … hol sie …!«

Er schlug mit der Faust so mächtig auf den Tisch, daß alle Kelchgläser herumrollten und das Porzellan schmerzlich wimmerte. Seine zusammengekniffenen Brauen und seine Wut sehend, lief plötzlich eine von den Damen, klein, behend und neugierig, mit schwarzen Aeuglein und samtenen Brauen, weiß und rot angestrichen und mit Schönheitspflästerchen beklebt, auf ihn zu, lehnte sich vertraulich auf Siegmunds Achsel und klapste, ihm etwas ins Ohr flüsternd, mit ihren kleinen Händchen ihm auf die Wangen.

Siegmund wandte sich um, um den Klaps zu bestrafen, als das Dämchen wie ein Brummkreisel in die Luft hüpfte, sich herumdrehte, noch einmal nach ihm schlug, auf den Sessel sprang, vom Sessel auf den Tisch, mitten unter die Vasen und Kelchgläser und von dort glücklich und geschickt, jeden Zusammenstoß vermeidend, sich auf einen Sessel rechts fallen ließ, dort sehr gemessen sitzen blieb, Siegmund zwei rosige Feigen drehte und als Zugabe die nicht minder rosige Zungenspitze zeigte. Es geschah dies so schnell, daß Pientka keine Zeit fand, sich vom Sessel zu erheben, und Dsiemba verblüfft sein Kelchglas umwarf und den Wein vergoß. Donnernder Applaus der Versammelten belohnte die Geschicklichkeit der Ballerine. Wer anders als eine Tänzerin konnte solch ein Kunststück ausführen?

Ein allgemeines Gelächter begrüßte denn auch die vergeblichen Anstrengungen Siegmunds, welcher der Verbrecherin habhaft werden wollte; allein die Hände sämtlicher Tafelgäste haschten nach ihm und hielten ihn auf seinem Wege auf: der Harlekin schlug nach ihm mit einer zwischen den Stühlen geholten Feuerschaufel, es wurden ihm Beine und Fußschemel als Falle gestellt, man schüttete ihm Wasser hinter den Halskragen, zum Schluß setzte der Mann mit der Perücke, sie geschickt von seinem kahlen Schädel trennend, dieselbe verkehrt auf Siegmunds Kopf, so daß die rückwärtigen Locken ihm die Augen verdeckten …

Dsiemba schaute zu, ohne zu wissen, ob er Siegmund schützen, oder lachen, oder aber entfliehen sollte. Die Verwirrung war schrecklich, doch endete sie auf die sonderbarste Weise von der Welt: man packte Herrn Pientka unter den Armen und die ganze Gesellschaft flog mit ihm in rasendem Tanze, springend, stoßend und singend in den ersten Salon. Hier ging ein wahrhaft höllisches Hüpfen los, mit solchen Sprüngen, solchem Heulen, Pfeifen und Durcheinanderrasen auf Tischen, Stühlen, Kanapees und Fußboden, als ob die Tollwut sie erfaßt hätte.

Dsiemba erhob sich vom Tische, rieb sich die Augen und starrte hin. Einige der Tänzer und Tänzerinnen setzten sich auf den Boden, die anderen sprangen ihnen auf die Schultern, schlugen Purzelbäume und es schien, als ob sich alle die Knochen im Leibe brechen und die Hälse ausrenken müßten. Das Ganze endete mit einer solchen Ermattung, daß sie schließlich auf dem Boden herumlagen, wie zerschlagene Puppen.

In der Mitte keuchte Siegmund, von der Perücke halb befreit und sich vor Lachen die Seiten haltend.

»Nun, Dsiemba?« schrie er, »versteht man's bei uns, sich so zu unterhalten? Diese Französinnen, Italienerinnen und Zigeunerinnen sind eingefleischte Satans.« Kaum konnte sich Mundi aufraffen, dabei streckte und versuchte er sein Kreuz, ob es nicht irgendwo gebrochen wäre, und hinkte auf einem Fuße. Sein Anzug – und er hatte hier offenbar bereits einen nach deutschem Muster angethan – war in Fetzen gerissen, die Krausen hingen in Fasern herab, das Kamisol hatte keine Knöpfe, am Frack fehlte ein Schoß, der am Boden geblieben war, vom Jabot flatterten nur noch Ruinen und selbst ein Strumpf hatte sich auf den Schuh heruntergeschoben.

Nicht besser befanden sich die anderen, besonders die Damen, deren Frisuren sich aufgelöst hatten und deren Roberondes Robe ronde, Kleid mit abgerundeter Schleppe. Anm. d. Uebers. zahllose Oeffnungen zeigten. Trotzdem lachte man herzlich, während man die verlorenen Kettchen, Halsbänder und Ohrringe aufklaubte.

Mundi fiel auf den Stuhl, sich den Schweiß von der Stirne wischend.

»Was sagst du dazu, Dsiemba?«

Julek zuckte die Achseln. »Zu dieser Unterhaltung braucht's eiserne Menschen!« sagte er leise.

»Das sind sie auch!« versetzte Mundi; »sie trinken, springen, schreien Tag und Nacht und nichts schadet ihnen! Das sind mir Leute, das nenne ich Vergnügen! Während bei uns! Eh!« setzte er hinzu, »die reinen Kapuziner!«

Nachdem er sich einen Moment ausgeschnauft und geradegestreckt, ging er zu jener Kleinen mit den dicken Augenbrauen, flüsterte ihr etwas ins Ohr, sowie sie ihm, gab Dsiemba einen Wink und sie schlüpften durch die Thür zur Stiege. Allein in dem Zustande, in dem sich Pientka befand, war's unmöglich, sich auf der Straße sehen zu lassen, er trat demnach in das kleine Stübchen, wo er den Schneider bei der Arbeit fand und den Friseur bei einer Perücke, die er mit dem Brenneisen umtanzte; diese zwei Künstler nahmen ihn eine Viertelstunde unter ihre Obhut, flickten, nähten und putzten an ihm herum, Mundi bekam eine Art Mäntelchen über die Schultern und nachdem er die Deutschen großmütig belohnt, stieg er mit Dsiemba die Treppen hinab.

»Wo wohnt Ihr denn, gnädiger Herr?« fragte ihn Julek am Wege.

»Bisweilen, wenn ich stark getrunken habe, thue ich mein Nachtlager in einem Winkel beim Trompeter ab,« sagte Pientka, »und den Rest des Tages treibt man sich halt hier und dort herum.«

»Wo könnten wir denn ein Wörtlein ungestört sprechen?« setzte Dsiemba hinzu.

»Hm … vielleicht sollten wir irgendwo auf ein Glas Wein eintreten, denn mir ist von diesem närrischen Tanz die Kehle eingetrocknet,« murmelte Pientka, »meinst du nicht?«

»Weiß nicht, doch sollte man auch zum Trompeter hineinschauen, denn Janeck stirbt dort vor Hunger und die Pferde beknabbern die Krippen … Der Wirt gibt nichts mehr her.«

»Ich zermalme die Bestie zu Brei!« schrie Mundi.

»Wißt Ihr was, Herr? Wenn Ihr solches vorhabt, gehe ich nicht mit Euch,« sagte Julek nach einigem Besinnen, »wir sind hier unser nur wenig und die Deutschen in der Uebermacht; Ihr werdet einen zu prügeln anfangen und alle werfen sich uns an den Hals, daß wir nicht lebend davonkommen.«

»Was dir einfällt!« rief Pientka ruhig, »ich mag prügeln, wen ich will, so schauen die anderen zu. Das Schlimmste dabei ist nur, daß sie einen vors Gericht citieren, Zeugen vorbringen und einen so viel zahlen lassen, wie sie es alle zusammen nicht wert sind; darum werde ich ihm bloß in irgend einem Winkel die Ohren verreißen. Sei du ruhig, ich kenne sie bereits.«

Sie gingen also vereint zum Trompeter. Mundi setzte sich in einer Ecke mit dem Wirt so auseinander, daß dieser nur einmal mit dem Kopf wackelte, und jener wieder zu Dsiemba zurückkehrte. Das Stübchen, worin er wohnte, erschien ihm nach den prächtigen, vor einem Augenblick verlassenen Salons unendlich traurig. Das Fenster ging auf den Hof hinaus. Das Bett war mit Federdecken angestopft, aber schmal, der Tisch wackelig und die Sesselchen wie nach einem Trinkgelage auf unsicheren Füßen.

»Warum sucht Ihr Euch nicht eine anständigere Wohnung, Herr?« fragte Dsiemba.

»Wozu denn? Ich bin fast niemals hier, 's ist schade ums Geld … und weißt du was, Dsiemba – ich werde, weiß Gott, bald keins mehr haben. – Was anfangen?«

Der Bursche erschrak.

»Und das, was Ihr von Hause mitgenommen?«

»Bitte dich! Man lebt eben ein paar Tage königlich und das kostet höllisch,« sagte Siegmund aufseufzend. »Etwas wurde vertrunken, etwas verschmaust, etwas verspielt, etwas zogen sie mir aus der Tasche; wo der Rest hin ist, weiß ein anderer, ich nicht.« Er zog ein Kätzchen aus der Tasche und schüttelte den Inhalt auf den Tisch – es waren ein paar Dukaten und einige Thaler.

»Eh! eh! eh!« rief er aus, »hui! hui! hui! Ich war nicht einmal auf so viel Edelmetall gefaßt. Mit oder ohne das! wir gehen zum Nachtmahl.«

»Aber Herr,« protestierte Dsiemba.

»Aber schweig!« unterbrach Mundi, »es gibt hier einen, der mir Geld gibt! Ah bah! Ich ziehe mich bloß um und führe dich mit auf ein Nachtmahl.«

Alles, was Dsiemba bis jetzt begegnete, gab ihm viel zu denken; trotzdem er an herrschaftliche Lustbarkeiten gewöhnt war, bei denen es zuweilen sehr vergnügt und toll herging, so war ihm dennoch etwas Aehnliches, wie er es hier sah, niemals vorgekommen, ja er hätte es nicht einmal geträumt, daß dergleichen auf der Welt möglich sei. Auch Siegmund schien von dieser Atmosphäre wie berauscht. Er nahm alles obenhin, lachte über die Drohungen der Gattin, zuckte mit den Achseln und sang; ein Morgen gab es für ihn nicht. Er begann Dsiemba von der Französin zu erzählen, wie lieb und talentvoll das Weibchen sei, wie sie springe und singe und wie sie zur rechten Zeit sogar ernst und sittsam zu sein verstehe; er fügte hinzu, daß er sterblich in sie verliebt und überaus glücklich sei, und daß er nicht eher von hier weichen würde, wenn auch zehn Gattinnen ihm nachjagten, bis er diesen Kelch zur Neige geleert!

»Dennoch bin ich neugierig,« warf er hin, »was sie und Onkel Eligius hier anfangen werden, wenn sie schließlich hier anlangen? Erstlich werden sie viel Kummer fressen, bevor sie mich finden, dann werde ich ihnen viel Schabernack spielen und mich für diese Verfolgung rächen. Ha! Krieg ist Krieg!«

»Und wenn sich Eure Frau an den König wendete?« fragte Dsiemba.

Siegmund schüttelte sich vor Lachen.

»Da käme sie an den Rechten! Macht er's denn besser!? Aber die Frau ist zu gescheit, um so hoch zu greifen, und Onkel Eligius kommt allenfalls mit Hasen zurecht, aber nicht mit Böcken, wie ich einer bin.«

Sie begannen demnach zu zechen und weil Siegmund der bescheidene Dsiemba allein nicht genügte, so trieb er sich noch zwei Gesellen auf, mit denen er die Nacht bis zum hellen Morgen verbrachte. Schließlich legten sie sich auf mit den Mänteln bedeckten Bänken schlafen und erwachten erst zur Frühstücksstunde.

Nach den ziemlich langen und langweiligen, im kleinen Städtchen verbrachten Tagen machte sich Elsbeth frühzeitig auf den weiteren Weg, in der Gewißheit, keinem Zudringlichen mehr zu begegnen und ohne Störung ihr Ziel zu erreichen. Zwar ließen sie Boroditsch, der eine Art Hinterhalt legte, hinter sich, doch traf man bei der ersten Fütterungsstation wieder mit dem Woiwoden und seinen Zwergen zusammen. Es zeigte sich, daß er, beunruhigt über das Schicksal der Frau, Halt gemacht und bis zu ihrer Ankunft gewartet hatte. Das machte Elsbeth verlegen, doch schickte er artigerweise seinen Marschall zu ihr mit dem bloßen Rate, sich bei der Weiterreise dicht hinter ihm zu halten, damit sie sich keinen Fährlichkeiten aussetze. Im übrigen belästigte er sie nicht, außer daß die Zwerge Kaffee und Semmeln brachten, die sie anzunehmen gezwungen war. Onkel Eligius erhielt Schnaps und einen aufgewärmten Bigos Polnisches Nationalgericht, eine Art Ragout. Anm. d. Uebers., der Woiwode selbst zeigte sich nicht einmal vor Frau Pientka.

Was sie weit schlimmer und übellauniger aufnahm, war der zweite Besuch Herrn Severin Tschaskas, der sich unterthänigst vorstellte und mit vielen Worten auseinandersetzte, wie er durch einen besonderen Zufall sich auf demselben Wege befinde und notwendigerweise – was ihm jedoch viel Freude mache – gezwungen sei, ihr manchmal Gesellschaft zu leisten; – Elsbeth verzog die Lippen.

»Herr Tafeldeckersohn«, ließ sie sich vernehmen, »Ihr kennt mich nicht und beurteilt mich wahrscheinlich falsch. Je kühner ich mich so in die weite Welt begebe, desto mehr fühle ich die Notwendigkeit, alle Rücksichten des Anstandes auf das strengste zu wahren. Es ziemt sich nicht, daß Ihr Euch hier um mich herumdreht. Die Leute könnten sonst glauben, Ihr assistiert mir wegen einer gewissen Aufmerksamkeit, die ich nicht annehmen kann. Ich habe zwar einen ausgemachten Schurken zum Manne, es ist wahr – aber – ich habe ihn noch und solange er da ist, möge mich niemand mit übertriebener Zuvorkommenheit kränken, sonst müßte ich ernstlich böse werden!«

»Gnädigste Frau«, sagte Tschaska verlegen, »ich trete Euch doch durch meine zufällige Anwesenheit hier nicht zu nahe.«

»Nichts weniger als das, doch bitte ich, diesen Zufall den letzten sein zu lassen.«

Sie verbeugte sich artig und wandte sich nach entgegengesetzter Richtung um. Tschaska eilte befriedigt auf den Korridor hinaus.

»Wenn's so ist!« rief er dem Ohm zu, »wenn's so ist, dann werde ich der Gnädigen nicht lästig fallen, doch Schritt für Schritt Euch folgen, und sicher nicht zurückbleiben.«

Allein er sprach das in der ersten Hitze, die sich sofort legte. Ans Umkehren dachte er jedoch nicht und befahl bloß den Leuten, hinten zu bleiben. Der Woiwode fuhr voraus, ihm folgte später die Wiege Frau Siegmunds. Tschaska zögerte noch herum, doch trieb ihn Boroditsch an. Sie kannten sich nicht, allein zwei Schlachzizen auf der Reise im Einkehrhaus müßten höchstens stumm sein, wenn sie nicht miteinander plaudern sollten. Tschaska fragte nach längerem Schweigen Boroditsch, ob er die vor ihm fahrende Frau nicht kenne. Herr Gracyan that zuerst, als wüßte er nicht, wen er meine, dann, als erführe er erst, von wem die Rede sei, sagte er gleichmütig, daß er sie bereits gesehen.

»Ein schönes Weib«, sagte Tschaska, »ihr Mann ist ein Lump und sie ist so streng, daß sie einem fast das Ansehen verwehrt.«

»Hm«, setzte Boroditsch hinzu, »ich weiß nur – denn wir wohnen benachbart –, daß ich eine ehrenhaftere und bravere Frau nicht kenne. 's ist die reine Wahrheit, was Ihr sagt, allein es steht ihr wohl an, wie dieser Frau überhaupt alles zu Gesichte steht.«

»Das ist wahr!« fügte Tschaska begeistert hinzu, »habe mein Lebtag eine ähnliche nicht gesehen. Man könnte ihretwegen verrückt werden.«

»Wo habt Ihr denn ihre Bekanntschaft gemacht?«

»Auf der Reise …«

Nun begannen sie beide im Chorus ihre Schönheit zu preisen, ohne daß einer dem anderen mit einem Wörtlein gestand, daß er absichtlich hinter ihr herfahre. Boroditsch mäßigte sich sogar rasch, dem Reisebegleiter das Feld der Begeisterung und des Lobes räumend.

Sie sprachen dann über den Gatten, von dem es schwer war, etwas Gutes zu sagen. Dennoch ward das ganze Gespräch so geführt, daß sich keiner mit seinem Geheimnis verriet. Aber da eine gemeinsame Fahrt lustiger war und das Ausweichen schwer, so schlossen sie sich einander an. Tschaska forschte Gracyan aus, weshalb er so weit reise. Dieser forschte umgekehrt ihn aus – so fertigten sie sich gegenseitig mit Redensarten ab. Sie fuhren der Wiege fast auf der Spur nach, ließen jedoch so viel Zwischenraum übrig, um sich von ihr nicht erblicken zu lassen, und suchten beide stets solche Nachtlager und Futterstationen auf, daß ein Zusammentreffen mit Frau Pientka verhindert wurde.

Sonderbar, daß die beiden, sich jeden Augenblick verratend, einander durchaus nicht deswegen beargwöhnten, was sie eigentlich der schönen Frau nachzog. Es öffnete ihnen nicht einmal die Augen, daß sie sich der Art und Weise, wie die Wiege reiste, accommodierten, der sie ja bequem hätten zuvorkommen können. So kamen sie denn, nachdem sie sich durch Schlesien durchgedrückt, an die Grenzen Sachsens und langten endlich nach Durchmessung eines erst ziemlich traurigen, dann immer dichter bevölkerten und fruchtbareren Landes in der ersehnten Residenz an. Als sich ihnen die Elbe mit ihren grünen Ufern zeigte, seufzten beide in dem Gedanken an das, was ihnen hier bevorstünde. Boroditsch war es um nichts mehr zu thun, als sich bei irgend einer Gelegenheit nützlich zu machen, sei es mit dem Arm, sei es mit dem Geldbeutel oder dem Kopf. Tschaska wußte selbst nicht recht, warum er auf die Reise bestanden, nachdem man ihm sogar verboten hatte, sich zu zeigen. Dennoch schleppte er sich verdrießlich fort. Auf der Straße, in der Kirche, wo es auch sei, werde ihm ja doch keiner verwehren können, sie anzusehen, sich zu verbeugen und wenigstens von ferne zu erkunden, was mit dem Gemahl der Gnädigen geschähe. Der Tafeldeckersohn wünschte ihm ohne Gewissensbisse, daß er sich irgendwo den Hals breche, um sich augenblicks um die reizende Witib zu bewerben. »Er ist, weiß Gott, nichts anderes wert, da er ein solches Kleinod nicht zu schätzen wußte.«

Der Zug des Woiwoden und Frau Pientkas Wiege waren unseren beiden Kavalieren so zuvorgekommen, daß dieselben, in die Stadt einfahrend, ihre Spur nicht auffinden, sie nicht einmal erfragen konnten. Tschaska suchte sich ein vornehmeres Einkehrhaus, Boroditsch ein bescheidenes und billiges; sie trennten sich also ad vivendum, falls sie das Glück hätten, einander zu begegnen. Zu jener Zeit war die ganze Stadt nicht so ausgedehnt, sie wurde noch von den sie rings umgebenden Schutzmauern eingeengt, hinter denen sich die Vorstädte und Gärten hinzogen. Das ganze Leben und Treiben drängte sich fast nur um das königliche Schloß zusammen und die mit demselben verbundenen Baulichkeiten. Hier wohnten die Günstlinge, die Dignitäre, die Herren, die Beamten und die zahlreiche Dienerschaft des Hofes nebst denjenigen, die ihnen dienten. Eigentlich lebte, atmete und regte sich die Stadt in dem Maße, als der Hof, der das Centralfeuer alles Daseins war, lebte und ihr Bewegung gab. Wenn derselbe die Residenz verließ, dann schlief sie und ging im Negligé herum. Dagegen durchschütterten jede Lustbarkeit am Hofe, jeder Ball, jede Feierlichkeit und Auffahrt die ganze Stadt und ließen sich bis an ihren äußersten Enden verspüren. Die ungeheuren Ausgaben des Hofes belebten einigermaßen das mit enormen Lasten von Abgaben und Anleihen überbürdete Land, wovon aber die ansehnlichere Hälfte für Luxusgegenstände, glänzenden Tand, Sünden der Politik und für diplomatische zwecklose Launen über die Grenze hinausging. Die Stadt verarmte und das ganze ausgesogene Sachsen seufzte unter dem wachsenden Elend, während kaum an den glänzendsten Höfen Europas ein solcher Luxus, eine so unerhörte Verschwendung herrschten wie hier; alles was in Gunst stand, bereicherte sich schamlos, mästete sich sozusagen unter den Augen und rivalisierte an Pracht mit dem Könige selbst. Luxuriöser Geschmack war zu damaliger Zeit der Stempel geistigen Vorrangs; jeder ansehnlichere Hofmann mußte eine Bildergalerie, eine Sammlung von Antiken, vergoldete Möbel, Gobelins, chinesisches Porzellan besitzen, und wenn er sich darauf auch nicht verstand, so heuchelte er Gefallen, Liebhaberei und Kennerschaft. Unzählbare Summen wurden dafür, sowie für Putz, lukullische Gastmähler und Präsente an schöne Augen verausgabt, deren Verehrung zu den Abzeichen der Distinktion gehörte.

Ein Vitzthum konnte darin dem König nicht nachstehen und später maß sich Graf Brühl in allem mit August III. Die Sitten des Hofes gingen auf die niederen Klassen über und Baron Pöllnitz hat als Reisender die Bemerkung in seinen Memoiren eingetragen, daß die sächsischen Städterinnen, ja selbst die Dienstmädchen sich bemühten, wenigstens äußerlich Hofdamen gleichzusehen.

Die Verschwendung des nicht erarbeiteten, leicht verdienten und ebenso leicht hinausgeworfenen Groschens geschah mit unvergleichlichem Leichtsinne. Das Leben in der Residenz war denn auch für diejenigen, die in irgend einer Weise mit dem Hofe Fühlung hatten, ungemein kostspielig und ein großer Teil des Ruins von Adels- und Herrschaftsvermögen, der in dieser Epoche begann, sollte eigentlich damit erklärt werden. Alles mußte mit Geld, Geschenken, oder königlichen und verschwenderischen Gastereien gemacht werden, wobei besonders das in Rechnung kam, was erst von ferne mit vieler Mühe und großen Kosten bezogen werden mußte. Aus Polen begaben sich meistenteils nur diejenigen nach Sachsen, welche ihre Angelegenheit mit etwas zu stützen hatten, prächtig auftreten und hier so lange leben konnten, als es die sich endlos hinziehenden Angelegenheiten verlangten. Dennoch strebte mancher minder begüterte Schlachziz seinem vermögenderen Protektor hierher nach, durch den er etwas erwirken und für sich zu erhalten hoffte. Andere reisten zu Verwandten her, die bei Hofe Pflichten hatten und in Dresden wohnten. Es war demnach jederzeit ein Zusammenfluß von Ankömmlingen da, denen es keineswegs an Einkehrhäusern fehlte.

In einer Straße beim Schlosse, am alten und neuen Ring, in der Wilsdruferstraße und in der Gegend des kurländischen Hauses waren geräumige, den damaligen Bedürfnissen entsprechende Gasthöfe, denn jedermann pflegte einen Zug von Wagen, Pferden und Dienerschaft mitzuführen. Und je größer derselbe war, eine desto ansehnlichere Person verkündete er. Die Armen aber stiegen in Vorstädten ab, in Häusern, die sich zeitweilig den Reisenden zu öffnen pflegten, sich ihnen sogar des Gewinnes wegen gerne anboten.

Onkel Eligius, ein altgesessener und modriger Landmann, wußte sich in einer fremden größeren Stadt nur mühsam Rat; die Unkenntnis der Sprache brachte ihn außer Fassung, er schielte hie und da nach den Kleidern, um den ersten besten Landsmann als Führer zu nehmen, als er im Georgenthor, in der Nähe des Schlosses, den wie auf der Lauer stehenden Rzesinski, den Marschall des Woiwoden, erblickte. Sie kannten sich bereits von der Reise. Rzesinski war ein heiterer und gewandter Kerl mit hochgestrichenem Schnurrbart, der ihm in die Augen zu schießen schien. Die Wiege erblickend, stürzte er mit einem Gruße auf sie zu.

»Ich sah es voraus, daß die Herrschaften nicht so leicht ein Einkehrhaus erfragen würden, deshalb stellte ich mich hier wie in einem Paß auf,« rief er; »bitte, mir zu folgen; die Stuben – sind bestellt, die Stallungen anständig, die Leute diensteifrig und unserer Sprache mächtig.«

So kamen sie glücklich in ein polnisches Einkehrhaus unweit des Schlosses, das ungemein sauber und anständig aussah und in welchem Frau Pientka nach den Anstrengungen der Reise bequem ausruhen konnte.

An den Anordnungen Rzesinskis erkannte man es gleich, daß auch der Woiwode in demselben abgestiegen war. Man wies Elsbeth ein paar geräumige Stuben an, deren Fenster auf die Straße hinaussahen, was keine kleine Annehmlichkeit war, weil sie sowohl die Stadt als auch deren Einwohner beizeiten, wenn auch nur durch die Scheiben kennen lernen konnte. Und da hier der einzige Weg zum Schlosse führte, so mußte sich ihr alles zeigen, was dahin zog. Als sie ankamen, neigte sich der Tag bereits seinem Ende zu und weil es im Schlosse irgend eine Festtafel für angesehene, vom österreichischen Hofe angekommene Gäste gab, so konnte sie die prächtigen Pferde, Anzüge, Sänften und Berittenen zur Genüge bewundern.

Elsbeth schaute, auf den Ellbogen gestützt, nicht neugierig, sondern fast traurig hinaus und dachte, wie viel Geld und von ferne hierherziehende Menschen in diesem Gedränge zu Grunde gingen. Es kamen ihr auch recht schmerzliche Erwägungen über sich selbst: wozu sie hierhergekommen und wie sie sich in diesem Wirrwarr werde Rat schaffen können. Vom Hause mit großer Eile und Wut ihrem Herrn Gemahl nachziehend, kam sie jetzt zur Einsicht, daß sie eigenwillig in eine schwierige Lage geraten sei; sie wußte nicht, was sie beginnen, wo sie ihn suchen und, wenn sie ihn gefunden, was sie ihm sagen sollte.

Von weitem sah das überaus leicht und natürlich aus; nach der Abkühlung erpreßte es ohnmächtige Thränen. Was thun?

Guter Rat wäre sehr erwünscht gewesen, doch durfte man ihn von dem guten Onkel Eligius, der überdies auf der Reise durch den Genuß schlechter Schwämme erkrankt war und trotz gepfefferten Schnapses durchaus nicht hergestellt werden konnte, schwerlich erwarten. Er schlich mit herabhängendem Kopfe herum und stöhnte; wenn ihn jemand anredete, schien er wie aus dem Schlafe zu erwachen, zuckte die Achseln und antwortete ohne Zusammenhang.

Elsbeth konnte demnach keinen festen Plan fassen, trotzdem sie auch das in Rechnung zog, daß der durch Dsiemba gewarnte Herr Siegmund sich verbergen oder gar entfliehen werde. Die ganze Reise kam ihr jetzt zwecklos und unnütz vor. Während dieser von Thränen begleiteten Erwägungen trat, nicht ohne früher angeklopft zu haben, Herr Rzesinski im Auftrage des Woiwoden ein, Frau Pientka benachrichtigend, daß an diesem Tage im Schloß-Theatro eine Vorstellung stattfinden sollte, daß dazu bloß ansehnlichere Personen zugelassen würden, daß aber der Herr Woiwode für die Gnädige eine Einladung in eine Extra-Loge erwirkt und sich erdreiste, ihr dieselbe anzubieten. Frau Siegmund zögerte erst, ob sie es annehmen sollte, doch streckte sie nach kurzem Besinnen, Herrn Rzesinski und dem Woiwoden dankend, ihr Händchen danach aus und knickste. Es fiel ihr ein, daß sie just auf diese einzige Weise am ehesten etwas über Siegmund erfahren, ihm begegnen, oder, nach dem ihr vom Starosten in Warschau gegebenen Rate, seine Eifersucht erwecken könnte.

Das Theater begann ziemlich früh, wie zu damaliger Zeit alle; man mußte sich deshalb rasch ankleiden und ziemte es sich gleich nicht, zu einem Spektakel, bei dem der Hof anwesend sein sollte, gewöhnliche Kleider anzulegen, so wollte Elsbeth doch auch keinen allzu auffallenden Putz zeigen.

Drei Schritte von dort befanden sich die königlichen Friseure, von denen einer herbeigeholt, unter tiefen Bücklingen mit einem Brenneisen gelaufen kam und als er Elsbeth Aug' in Auge sah, beinahe zu Boden fiel, so schön erschien sie ihm. Er war unendlich komisch mit seinen Komplimenten und seiner Sprache, in die er, um verstanden zu werden, etwas gehacktes Französisch nebst polnischen Brocken einmengte. Die Frisur war bei solchen Haaren, wie sie unser Herrgott Frau Siegmund beschert, leicht und mußte prächtig ausfallen, weil man sie nicht mit geliehenem Haar anzustückeln brauchte. Als sich die schöne Frau darauf im Spiegel besah, konnte sie sich kaum wiedererkennen, so schön hatte sie der Haarkünstler herausgeputzt. Der damaligen Sitte ungeachtet, bedurfte sie weder weißer noch roter Schminke, denn sie hatte einen ländlichen, von Gesundheit weißen und von jungem Blute rot gefärbten Teint. Die Toilette war nicht schwer, denn sie beschloß ein einfaches schwarzes Seidenkleid mit karmesinfarbigen Schleifen anzulegen, einen von der Großmutter ererbten Kanak Halsbändchen von Gold oder Silber. Anm. d. Uebers. um den Hals und einen Spitzenschleier über Kopf und Schultern. Dieser einfache Schmuck stand ihr so schön, daß zuerst das Dienstmädchen und später Onkel Eligius, der in einem Sonntags-Kontusch eingetreten war, ganz verblüfft dastanden und sich nicht sattstaunen konnten. Elsbeth schämte sich fast, daß sie trotz Kummer und Sorge so gut aussah. Blickte man sie an, so konnte man auf den ersten Blick ein willensstarkes und zum Herrschen geschaffenes Weib erkennen, einen so energischen Ausdruck hatten ihre kühn blitzenden Augen und ihre königlichen Lippen. Wenn sie ging, mußte jedermann unwillkürlich ausweichen und vermochte es nicht, ihren Blicken standzuhalten.

Um die bezeichnete Stunde schickte man um Sänftenträger in die Nähe des Schlosses für sie und den Ohm, der sie begleiten sollte. Herr Eligius, zum erstenmal in diese neue Gattung von Wiegen steigend, bekreuzte sich, eine solche Apprehension erweckte ihm dieselbe, wie er sich ausdrückte. Frau Siegmund sprang leicht in die ihrige und die Sänftenträger setzten sich gemessenen Schrittes in Bewegung. Das königliche Theater befand sich in den Nebenbaulichkeiten des Schlosses. In dem Momente, als sie vor der Treppe hielten, kamen eine Menge Sänften und Wagen vorgefahren, eine Unzahl geputzter Personen eilte die Treppe hinan, so daß sie sich kaum hätten durchdrängen können, wenn nicht jedermann vor dem strahlenden Antlitz Elsbeths zurückgewichen wäre; und weil dasselbe hier neu und unbekannt war, so fragte eins das andere, wer es sein könnte, in dieser geheimnisvollen Schönheit irgend eine neue Dieskau- oder Osterhausen Maitressen König Augusts II. Anm. d. Uebers. vermutend. Da sie auf diese Weise den Weg geebnet fanden, fragten sie sich bis zum angewiesenen Platze durch, welchen wohl der Woiwode besorgt haben dürfte, und es traf sich so glücklich oder unglücklich, daß sie just gegenüber der Loge Seiner Majestät des Königs Platz nehmen mußten.

Herr Eligius, der sein Lebtag ähnliche Feierlichkeiten nicht mitgemacht, verbarg sich soweit er nur konnte in einen Winkel, um nicht mit seinem ziemlich windig aussehenden Sonntags-Kontusch aufzufallen. Elsbeth setzte sich, den Spitzenschleier ein wenig lüftend, vorne hin, und als ihr schönes Antlitz und ihre Figur in ihrem vollem Glanze sichtbar wurden, ging ein Gemurmel der Bewunderung und des Staunens durch den ganzen Saal.

Das Theater war mit Wachskerzen und Lampen prächtig erleuchtet und die anwesenden Damen verdunkelten durch ihren Putz das einfache Geschöpf vom Lande, denn sie funkelten über und über von Brillanten und Rubinen; dessenungeachtet konnte sich keine mit der Schönheit ihres Marmorantlitzes messen. Dieselbe war um so frappanter, als die anderen Frauenzimmer alle dicke Schichten von weißer und roter Schminke auf ihren Gesichtern kleben hatten; nur sie allein wagte so zu sein, wie sie Gott erschaffen. Es war dies eine unerhörte Verwegenheit, welche man als absichtliche Herausforderung auffaßte. Die Neugierigen neigten sich über ihre Sitze hinaus, um die Unbekannte zu sehen, die Jugend drängte sich dicht an ihre Loge und zerbrach sich den Kopf, wer es eigentlich sein könnte. Neben dieser Loge hatte sich der Herr Woiwode seinen Sitz bestellt und nahm ihn jetzt ein; da er Elsbeth begrüßte, wurde er von allen Seiten mit Fragen bestürmt. Der Woiwode zog sich geschickt aus der Schlinge und antwortete, daß er diese Frau auf der Reise getroffen habe und sie nur vom Sehen kenne.

Da der König noch nicht erschienen war, so konnte mit dem aus Oper und Ballett zusammengesetzten Schauspiel nicht angefangen werden. Indessen war für die Versammlung jene rätselhafte Frau, die niemand kannte und die trotzdem einen Sitz im Theater und eine durchaus angemessene Haltung hatte, das wirkliche Spektakel. Die Vermutungen wären vielleicht noch weit höher gestiegen, als es sich geziemte, hätte nicht die in den Winkel gedrückte Gestalt des Herrn Eligius mit ihrem bescheidenen Aussehen die allzuverwegenen Konjunkturen verscheucht.

Während dieses Murmelns und Bewegens entstand plötzlich eine feierliche Stille, alles eilte auf seinen Platz und erhob sich, man hörte die aufgehende Thüre, die Musik ertönte: August II. trat in den Saal.

Beinahe in demselben Moment erhob sich der Vorhang und das Stück nahm seinen Anfang.

August II. war dazumal weder jener Herkules mehr aus seinen jungen Jahren, noch der wegen seiner Schönheit Apollo und Helios benannte Mann; von seiner ehemaligen Gestalt und seinen Zügen waren ihm bloß einzelne Reste und Spuren geblieben. Das Gesicht war aufgedunsen, das Fleisch über die Maßen verfettet, der Teint wurde von einer falschen Röte gehoben. Auf der Stirne hatte so manche Blatter eine ewige Furche gerissen, das glatte Gesicht war von Runzelchen übersponnen, die Lider schienen schläfrig auf die müden Augen herabzufallen. Allein von der mühsam geglätteten Stirne leuchtete eine große Majestät herab und die Lippen lächelten liebenswürdig und einschmeichelnd. Der nagelneue, reiche, glänzende Anzug hob die Reste ehemaliger Schönheit vorteilhaft heraus. Kaum war er eingetreten und hatte, gefolgt von Vitzthum, dem jungen Brühl, von Sulkowski und Rutowski, Platz genommen, als er seine Augen im Saale herumschweifen ließ; doch da er lauter bekannte Physiognomien fand, ließ er sie auf keiner derselben ruhen. Erst der Anblick der gegenübersitzenden Elsbeth weckte den König gleichsam; er zuckte auf, heftete sein Auge auf das einigermaßen blasse Gesichtchen Frau Pientkas und flüsterte Sulkowski etwas zu. Dieser schlich unbemerkt hinaus. Nicht gewöhnt, seine Empfindungen zu verbergen, betrachtete August II. unsere Elsbeth, welche kaum einmal auf den majestätischen König hinüberblickte und ihre Augen ganz dem Theater zuwandte mit merkwürdiger Beharrlichkeit. Man wird es wohl leicht erraten, daß Sulkowski den Auftrag erhielt, sich nach der schönen Unbekannten zu erkundigen, den er auch sofort ausführte, indem er sich geradewegs zum Woiwoden begab.

»Meinen Sie nicht, Fürst,« flüsterte der Angesprochene, »daß es besser wäre, wenn ich selbst Seiner Majestät dieses Histörchen erzählte?«

»Das sollten Sie bei passender Gelegenheit – wenn's wirklich ein Histörchen gibt; indessen bitte ich bloß um den Vor- und Familiennamen,« sagte Sulkowski. »Seine Majestät wollen sie sogleich wissen.«

Damit entfernte sich der mit einer ungemein kurzen und ungenügenden Information vom Woiwoden abgefertigte Abgesandte. Der Aufmerksamkeit der Zuhörer war dieser Auftrag aus königlicher Loge nicht entgangen, und man schloß daraus, daß die unbekannte Person auch Seiner Majestät dem König unbekannt sei. Es erweckte dies ein noch größeres Erstaunen und allerlei Vermutungen, daß die Feinde der Frau Dönhof oder derjenige, welcher August von seinen launischen, sich jetzt allzu oft wiederholenden Liebeleien abzubringen bemüht war, absichtlich diese neue Schönheit für ihre Zwecke und geheim gesponnenen Intriguen hierhergebracht hätten.

In der That schien auch der König, trotzdem das Theater von Schönheiten seines Hofes gefüllt war, in deren Mitte noch Fräulein Osterhausen strahlte, die ganze Aufmerksamkeit nur auf Elsbeth zu richten. Ein paarmal blickte er nach der Bühne, doch sein Blick schweifte unbefriedigt von den Tänzerinnen und Sängerinnen zur Loge Frau Siegmunds hinüber.

Im Ballett der Fürstin Aulide trat die berühmte Duparc auf, die einst eines zeitweiligen Blickes vom König gewürdigt ward, den sie nun mit Hilfe von allerhand reizenden und rührenden Bewegungen zu beanspruchen schien; doch lenkten dieselben die Aufmerksamkeit des Königs keineswegs auf sich. Frau Pientka betrachtete zornig und klopfenden Herzens die Tänzerinnen, eifrig bemüht, diejenige aus ihrer Mitte herauszufinden, die ihr den flatterhaften Gemahl entrissen, als ein unverhoffter Zufall sie die Duparc erkennen ließ. Nach Siegmunds Abreise wurde unter den Juwelen der Gattin der Abgang einer in ihrer Art einzigen Kette von Granaten bemerkbar, einer mysteriösen Arbeit, die sich seit urewigen Zeiten in der Familie forterbte und schwerlich ihresgleichen hatte, nicht wegen der Kostbarkeit der Steine, sondern mehr wegen der überaus kunstreichen Arbeit. Verschiedene Leute waren des Diebstahls dieses Kleinods verdächtigt worden, ohne daß jemand an Siegmund gedacht hätte. Diese mit goldenen Maschen verknüpfte Granatenkette hatte eben die Duparc an ihrem Halse hängen.

Elsbeth zuckte zusammen bei dem entweihenden Gebrauch des von Groß- und Urgroßmüttern überkommenen, nun aus dem häuslichen Schatzkästlein für eine französische Springerin entwendeten Kleinods. Ihr Gesicht wurde blutrot, ihr Auge blitzte im Feuer eines furchtbaren Zornes; dennoch hütete sie sich, wenn auch mit schwerer Ueberwindung, ihre Entrüstung kundzugeben.

Sie hatte also diese berühmte Schönheit vor sich, um derentwillen Siegmund Gattin, guten Ruf und häuslichen Frieden preisgegeben, und suchte an ihr nach den Reizen, mit denen sie imstande gewesen, ihr sein Herz zu entfremden. Die Französin exekutierte zwar ihre Sprünge mit großer Unverschämtheit und wunderlichen Bravourstücken, war geschickt, graziös, feurig und verwegen; dennoch durchschaute der weibliche Blick an ihr gar leicht Alter, Mattigkeit, Anstrengung und die längstverlorene Jugend. Mit tiefer Verachtung sah sie auf die bald zur königlichen Loge, bald zu den hübschen Herren, bald der Reihe nach zu hundert Zuschauern liebäugelnde Tänzerin herab, die ihre zahllosen Verehrer mit verstohlenem Lächeln beschenkte. Onkel Eligius, der von nichts wußte, aber ebenfalls jene berühmte Granatenkette am Halse der Balletteuse erblickte, murmelte zur Versöhnung des erzürnten Himmels mit gefalteten Händen leise ein Gebet.

Eben sprach er das Gebetlein zu Ende, als ihm der aus seiner Loge sich vorneigende Woiwode unter allerlei Winken zu verstehen gab, sich ihm ein wenig zu nähern. Herr Eligius kam der Aufforderung gehorsam nach.

»Seht nur, Herr,« flüsterte ihm der Woiwode ins Ohr, »wie aller Augen auf Eure Nichte gerichtet sind; selbst der König betrachtet sie seit Beginn des Schauspiels unaufhörlich Gratuliere zu dem Succurs.«

»Und wozu taugt er uns, Herr Woiwode?« fragte der Ohm naiv, »was haben wir davon? Uns rettet nicht einmal die königliche Gnade aus diesem Schlamme heraus, in den wir durch jenen Tölpel hineingeraten sind! Er verdaut's leicht! Aber sie – was wird sie beginnen? Es liegt ihr freilich nichts mehr an ihm.«

Der Woiwode winkte mit der Hand, legte sie an die Lippen und flüsterte Herrn Eligius zu: »Die Gnädige wird sich zu fassen wissen und, bei Gott, einen anderen und besseren Mann finden, davon bin ich überzeugt. Mit ihrem Gesichtchen dürfte es nicht allzu schwer sein … Der König hat sogar Herrn Sulkowski zu mir herübergeschickt, sich nach der gnädigen Fran zu erkundigen.«

»Was nützt uns der König und seine Neugier?« brummte Eligius.

Ein donnernder Applaus, zu dem August II. selbst den Impuls gab, belohnte Fräulein Duparc für ihre mit einem entsetzlichen Salto mortale beschlossenen Verrenkungen, die Tänzerin verbeugte sich mit über die Brust gekreuzten Händen bis zur Erde, während sie die Füßchen in einem gestreckten Winkel zu einander hielt.

Man klatschte so stark, daß Elsbeth, um das schändliche Geschöpf nicht sehen zu müssen, sich hinter dem Fächer verbarg. Endlich waren die Tänze beendet.

Niemand hatte die Szene gesehen, die sich während dieser Produktion nebenbei hinter den Coulissen abspielte. Dort stand schon seit dem Beginne der Oper Herr Siegmund, welcher seiner Duparc im Theater Gesellschaft leistete, indem er sich geschickterweise hineinzustehlen verstand. Er hatte sich seinen Platz gerade auf derselben Seite gewählt, wo seine Gattin saß, weshalb er sie nicht sehen konnte. Erst gegen Ende, als er hinter dem Hintergrunde durchschlüpfend, sich zur gegenüberliegenden Coulissenreihe begab, um Fräulein Duparc, die sich in einem fort vor dem König herumdrehte, Aug' in Auge zu sehen, und zufällig einen Blick nach dem Saale warf, erblickte er zu seiner Bestürzung Elsbeth in der Loge sitzend und Herrn Eligius in einen Winkel derselben gedrückt. Sein erster Eindruck, sein erster Gedanke war, zu entfliehen. Er lachte selbst, darüber, allein Elsbeths Antlitz verzauberte ihn: festgewurzelt blieb er auf dem Platze, wo er stand, starrte und war nicht imstande sich zu rühren. Ein Irrtum war da nicht möglich, das war sie – zwei solche gab's nicht auf der Welt. Sie selbst, aber wie verändert! Wie schreckhaft und drohend! Der Ueberrest der Liebe schlug im Vereine mit dem Zorne flammengleich ins Gesicht des Gatten. Er begann im Saale herumzuschauen … Aller Augen waren auf sie gerichtet. Zur Wut gesellte sich bereits Eifersucht.

»Seht,« flüsterte ihm der Franzose Laflùte ins Ohr, indem er auf Elsbeth hinwies, »das soll, wie man sagt, die neue Geliebte des Königs sein. Ich habe es selbst mit meinen eigenen Augen gesehen, wie Seine Majestät Herrn Sulkowski mit einer geflüsterten Botschaft zu ihr schickte. Seht nur, seht, sie ist aber auch satanisch schön und sieht in der That mit ihrem stolzen weißen Gesicht einer königlichen Geliebten gleich! Sie hat sich nicht einmal zu schmücken geruht und kommt im Alltagskleids her, ohne rote und weiße Schminke, so gewiß ist sie ihrer selbst. Wißt Ihr nicht, wer sie ist? Man sagt eine Polin.«

Siegmund kehrte dem Franzosen, den er am liebsten durchgebläut hätte, den Rücken und erwiderte nichts. Er kniff die Lippen zusammen und schäumte vor Wut. Man sprach also bereits von seiner Frau, man wies mit Fingern auf sie, wie auf die Geliebte des Königs! Dieser Gedanke brannte in ihm wie Höllenfeuer!

Doch, hatte er das Recht, sie an ihre Liebe zu mahnen? Nein – an den Namen höchstens, den sie trug. Allein diesen Namen hatte er ja selbst beschmutzt und geschändet. Hatte er das Recht, Ehre und Pflicht zu vergessen, so stand es ihr auch frei, auf dem Taburett neben dem Throne ihre Freude zu suchen. Siegmund schaute und schaute, sein Inneres kochte und er wäre vielleicht bis zum Ende der Vorstellung so versteinert dagestanden, hätte ihm die Duparc nicht auf die Achsel geklopft. Er wandte sich um, erblickte die getünchte und verdrehte Tänzerin, welcher vor Hitze die Schminke stückweise herabschmolz, deren Gesicht in der Nähe wie eine Larve aussah – und zuckte zusammen. Sein Auge fiel auf die Granatkette, die sie eben heute angelegt hatte, und sogleich fiel ihm bei, daß Elsbeth dieses Schmuckstück an ihr erkennen mußte. Er war also ein Verräter und ein Dieb dazu.

Die Duparc schlug ihn auf die Achsel, während er stumm, zornig und zitternd vor ihr stand und sie nicht anzusehen wagte. Die Französin nahm dies für einen Ausbruch von Eifersucht infolge der süßen Augen, die sie dem Könige hinaufgesandt.

»Was stehst du denn so versteinert da! Du bist böse? Ich verstehe!« sagte sie lachend, »ha, das ist umsonst, König bleibt König … ihm gebühren alle Huldigungen, und wenn du auf ihn eifersüchtig bist,« setzte sie hinzu, »so … ist das einfach lächerlich! Die Zeiten sind vorüber, da er mir in Brüssel so holdselig zulächelte und mich später in Dresden so großartig empfing. Jetzt kann ich kaum mehr eine schäbige Erhöhung meines Gehalts erbitten. Bah, was liegt daran! Wenigstens hatte ich auch eine schöne Stunde im Leben.«

Siegmund hörte nicht zu, er war in Gedanken versunken und schielte nur zeitweise nach Elsbeth. »Ha!« wiederholte er sich. »Die Geliebte des Königs! schön! herrlich! Das ist bei den Pientkas noch nicht dagewesen!«

Die Duparc zog ihn kräftig mit und er folgte ihr nachdenklich, mit gesenktem Kopfe.

Nach dem Theater war in jener Wohnung der Französin, wohin man Dsiemba gelockt hatte, ein Souper verabredet. Eben sollten sie zusammen hingehen. Doch der sonst heitere und vergnügte Siegmund schlich verbittert und ärgerlich davon. Die Französin freute sich seiner Eifersucht, sie war ihr ein Beweis seiner Leidenschaft für sie. Er hatte bereits etwas anderes im Kopfe. An der Schwelle des Schlosses erwartete ihn Dsiemba, welcher nicht ins Theater hinein gelassen worden war. Es war schon spät am Abend und finster. Die Straße bot einen malerischen Anblick dar, da fast jeder Wagen Fackelträger hatte, die ihm voraneilten. Weil die Stadt in der Nacht nicht beleuchtet war, so mußten alle Gäste ihr Licht für die Straße haben. Jene Leute standen also mit bereits angezündeten Fackeln da und ihr orangenfarbiges Licht vergoldete funkelnd die Gesichter der Dienerschaft, die Pferde, Wagen und Sänftenträger. Da und dort trat eine helle Mauer hervor, auf der die ins Riesenhafte verlängerten Schatten der herumdrängenden Hofleute und herrschaftlichen Diener vorbeihuschten.

Mitten unter ihnen wartete Dsiemba, im Mantel eingehüllt, auf Siegmund, der ihn eben bei der Schulter packte.

»Nun also,« rief er aus, »sie ist schon hier!«

»Ich sah, wie man sie ins Theater trug!« sagte Dsiemba, »und wollte Euch die angenehme Neuigkeit verkünden!«

»Die Gnädige hat es offenbar verstanden, die Zeit gut auszunutzen,« ließ sich Siegmund höhnisch vernehmen. »Ho! ho! sie ist nicht so geradsinnig, wie es den Anschein hat! Sie kennt bereits Seine Majestät und Seine Majestät kennt sie. Man deutete im Theater mit Fingern nach ihr und bezeichnete sie als Geliebte des Monarchen! Hörst du's! Woher hätte sie sonst eine Hofloge im Theater!« Siegmund knirschte mit den Zähnen. »Wenn es aber so ist! na! dann werde ich ihr zeigen, wer Herr ist.« Er hob die Faust: »Wir wollen sehen!« rief er. Nicht alles, was mir erlaubt, ist es auch ihr … Wir wollen sehen! Bis morgen mußt du es erfahren, wo sie abgestiegen – verstehst du! bei deinem Kopf!«

Dsiemba verstand in der That kaum zur Hälfte dies Geschwätz: er erfaßte bloß den Befehl, die Wohnung auszuforschen. Derselbe war sehr leicht zu erfüllen, da die Sänften sich bald in Bewegung setzen sollten und er nur derjenigen nachzugehen brauchte, welche Frau Siegmund hierher gebracht hatte, um das Einkehrhaus zu erkunden, wo sie abgestiegen. Er stellte sich demnach bei den Trägern auf, während Siegmund zornig zur Französin stürmte, die er bereits in diesem Augenblicke haßte. Eine Art Raserei bemächtigte sich seiner, er wollte trinken, schlagen, morden, toben, die ganze Welt in Trümmer schlagen. In seinem Kopfe rasten Wut, Eifersucht und Rachgier durcheinander!

Als die Vorstellung zu Ende war und Eligius Frau Pientka die Hand zum Weggehen reichte, begegneten sie auf der Schwelle der Loge dem Woiwoden, der sie sehr devot begrüßte.

»Ich freue mich, daß ich Euch glücklich im Hafen angelangt sehe, gnädigste Frau,« ließ sich der Woiwode vernehmen, »und hege die Hoffnung, daß auch hier alles nach Eurem Sinne gehen werde, was ich von Herzen wünsche! Ihr werdet mir erlauben, gnädige Frau, Euch als Nachbar meine Verehrung darzubringen.«

Elsbeth knickste, – es war unmöglich, diese Bitte zu verweigern.

Alles strömte aus dem Theater, die einen zogen hinauf in die Säle, wo ein Souper für einen kleinen Kreis von Auserwählten angesagt war, die anderen kehrten zur Stadt zurück, aber fast die ganze Gesellschaft, begierig, die schöne Unbekannte in nächster Nähe zu sehen, blieb beim Ausgange erwartend stehen. Elsbeth mußte deshalb, sich verschleiernd, durch die in dichten Scharen bis zum Thore aufgestellten Reihen von Neugierigen schreiten, die sich bemühten, sich so nahe als möglich durchzudrängen, um wenigstens den Glanz ihres schwarzen Auges zu erhaschen. Sie atmete erleichtert auf, als sie sich in der Sänfte und einen Augenblick später in ihrer Wohnung befand.

Zum erstenmal im Leben war eine Landbewohnerin plötzlich in die Residenzstadt und deren glänzendste Gesellschaft versetzt worden. Dennoch war Elsbeths Charakter so beschaffen, daß dies durchaus keinen großen Eindruck auf sie übte, sie sah auf all den Glanz mit einem fast gleichgültigen Auge. Der König fesselte ihre Neugier. Sie verglich ihn mit dem auf den Thalern gesehenen und fand ihn darauf ziemlich ähnlich. Der Glanz, die Musik, die Toiletten, diese ganze Pracht machte sie nicht erstaunen, sie hatte sich dieselbe genau so vorgestellt, wie sie sie fand … und sie fand sie nicht verlockend. Den schmerzlichsten und gewaltigsten Eindruck hatte jene Granatkette am Halse der französischen Tänzerin auf sie geübt und die Gestalt dieses verlebten Geschöpfes, dem sie hingeopfert ward. Sie fragte sich selbst, was Siegmund mehr zu dieser alten Ballerine hinziehen konnte, als zu ihr … zu ihr, die ihn so aufrichtig, so heiß liebte.

Sie liebte, während sie doch fühlte, daß sie jetzt nicht mehr imstande wäre, den so tief gefallenen Menschen zu achten. Beinahe wollte sie an irgend einen Zauber, ein eingegebenes Gift glauben, denn eine solche Leidenschaft konnte unmöglich natürlich sein. Sie weinte bittere Thränen und lachte doch gleichzeitig so krampfhaft, daß das Dienstmädchen sie mit Wasser bespritzen und ihre linke Hand anbinden mußte. Der Oheim stand mit gerungenen Händen und rief ein über das andere Mal: »Herr! erbarme dich unser! Herr! wie strafst du uns!«

Schon sollte nach dem Arzt geschickt werden, als Elsbeth plötzlich wie durch die Kraft ihres Willens Zorn und Schmerz von sich schüttelte, aufstand, ihr Gesicht mit Wasser abwusch und im Zimmer nachdenklich herumzugehen anfing.

Siegmund war zur Französin zum Souper gefahren, wo sich eine zahlreiche Gesellschaft versammelte: einige Tänzerinnen, ein paar Söhne von Senatoren, die sich glücklich schätzten, hier eine so anmutige Bekanntschaft anknüpfen zu können, einige durchreisende Franzosen nebst einer Schar kleiner Diplomaten. Das Souper sollte wie immer ein zusammengesteuertes sein und die Duparc lieferte für ihren Teil ihre Wohnung und Möbel dazu.

Siegmund, der an ähnlichen Abenden großen Gefallen fand, weil dabei auch ziemlich hoch gespielt wurde, betrat diesmal die Schwelle so finster, daß die Wirtin gezwungen war, ihm darüber Vorwürfe zu machen.

»Bevor du hier so sauertöpfisch sitzest,« sagte sie, »geh zum Henker, nach Hause, schlaf, schnarch, ärgere dich aus und dann komm. Ich liebe die trüben Gesichter nicht. Geh zum Teufel!«

Siegmund wandte sich, ohne etwas zu erwidern, in das Speisezimmer, nahm die erste beste Bouteille Wein, goß sich davon in ein ungeheures Glas, leerte das erste und zweite in einem Zuge und warf sich, die Wirkung erwartend, in einen Stuhl. Der Zorn war jedoch stärker als der Wein … er konnte sich nicht berauschen und zerbrach sich den Kopf, was er mit dieser Frau anfangen sollte. Die Duparc ergötzte die lustigeren Gäste mit Gelächter und Witz. Das allgemeine Gespräch drehte sich um die schwarze Unbekannte. Siegmund mußte all die Bemerkungen über ihre Schönheit, ihre Gestalt, ihren Gang, all die Vermutungen und boshaften Anspielungen an hören, die ihm das Herz zerfleischten. In lügnerischer Weise wurden die Umstände erzählt, unter denen sie der König in Warschau kennen gelernt haben sollte, und wie er ihr anbefohlen, sich jetzt hier in Dresden einzufinden. Einige schwuren sogar hoch und teuer, daß dies eine alte, jetzt bloß erneuerte Bekanntschaft wäre.

Siegmund brütete in einem fort, was er mit ihr beginnen sollte. Die Leidenschaft für die Französin hatte ihn augenblicklich ganz verlassen: er hatte nie geglaubt, daß dieselbe solche Folgen nach sich ziehen könnte. Er hatte sich stets gesagt, daß er, von ihr übersättigt, nach Hause zurückkehren, mit einem Kusse die ganze Angelegenheit gut machen und daß alles nach alter Weise fortgehen werde. Zuerst schien es ihm, als könnte Elsbeth selbst um den Preis der königlichen Gunst nichts Böses verüben, jetzt kam er langsam dahin, alles für möglich zu halten. Er hatte sie schmählich verlassen, konnte sie sich nicht sagen, daß es auch ihr frei stehe, das Joch abzuwerfen und sich in der Welt herumzutummeln? »Was beginnen?« wiederholte er. Erst kam ihm der Gedanke, diese faule Liebelei abzuschütteln, sein Weib zu nehmen und mit ihr nach Hause zurückzukehren: allein – der Teufel brannte noch in ihm, die Leidenschaft pochte, es that ihm leid, das liederliche Leben mitten unter ausgelassener Jugend zu verlassen, leid um die lustige Duparc, – und auf dem Lande war's so langweilig! – Dann dachte er daran, ein Häuflein Leute aufzunehmen, die Gattin abzufangen und sie durch Dsiemba nach Hause bringen zu lassen, selbst aber hier zu bleiben. – Doch wo die nötigen Helfershelfer finden? Und wenn sie zu Hause von den Okons überfallen und ihnen die Beute entrissen würde? … Auch wußte er wohl, daß es mit Elsbeth kein leichtes Spiel sei: sie würde sich vielleicht mit bloßer Faust nicht fortschleppen lassen.

Sollte er vielleicht zu ihr hingehen und, Aug' in Auge vor ihr stehend, sich mit ihr auseinandersetzen und …? Doch wohin würde ein solches Gespräch führen? Zum erbittertsten Streite vielleicht. Er grübelte lange nach und ging wiederholentlich zur Bouteille, sich Rats zu erholen. Nach dem vierten Glase traf die erwünschte Wirkung ein, im Kopf wurde es heller, im Herzen leichter, es stellte sich wieder Mut ein und der Zorn verrauchte etwas. Die Duparc erschien ihm wieder schöner … und die Gattin – »hol sie der Teufel!« – sagte er im Geiste. – »Nur möchte ich ihr gern tüchtig zusetzen, denn sie verdient's. Nicht genug, daß es sie gelüstete, von verbotener Frucht zu naschen, so kam sie auch noch, sie hier vor meiner Nase zu essen, damit ich es ja sehe! Das nenne ich liebenswürdig! ha! ha!«

Man zog ihn zum Souper … er ging. Die Duparc hatte Mitleid mit ihm und gab ihm einen Kuß, aber er setzte sich weit weg von ihr.

Sie war überzeugt, daß dies nur aus Eifersucht auf den König geschehe und lachte vor Freude. Indessen ließ sie einen neuen Verehrer neben sich sitzen, der sich schon seit drei Tagen um ihre Gunst bemühte. Es war dies der junge Flemming, ein Jüngling, kaum in die Welt gelassen, ohne Kinn- und Schnurrbart, jedoch schon in Montur und mit vollgefüllter Tasche. Er hatte nur seine Großmutter, ein uraltes Weibchen, das ihn maßlos liebte und ihm die Mittel gab, all seinen Launen zu frönen. Die Duparc begann, nachdem sie sich vorher über ihn gut unterrichtet, mit wohlgefälligem Auge nach ihm zu blicken. Ueberdies war Siegmund seit einiger Zeit gänzlich erschöpft … er fing an, sich Geld zu borgen … es war an der Zeit, ihn los zu werden. Flemming versicherte, daß der Pole außer einigen geborgten Dukaten keinen Groschen in der Tasche hätte.

Die Duparc glaubte sehr daran; eines nur hielt sie vor dem vollständigen Bruche zurück und das war, daß junge Leute, die gleich Siegmund aus der Ferne hierher strömten, in Sachsen als ungeheuer reich galten, auch konnte der augenblickliche Mangel vielleicht nichts bedeuten, denn von den Gütern flossen immer neue Hilfsquellen zu. Immer jedoch gab dieser Mangel zu dem Gedanken Veranlassung, die unausstehliche Familie könnte eines Tages unter dem Vorwande der Verschwendung diese Einnahmequellen verstopfen.

Sie wußte noch nicht, was sie beginnen sollte, denn andererseits versprach Flemming als Deutscher nicht viel, wenngleich er als bartloser Jüngling zu großen Hoffnungen berechtigte. Noch zauderte sie … Alles sprach dafür, Siegmund entweder artig oder mit Gewalt den Abschied zu geben, seine Schulden, sein Geldmangel machten sich bereits unangenehm fühlbar, er fing auf einmal an lächerlich zu werden und ein Grobian dazu … und das Geld, das Geld wollte immer nicht kommen! – Wenn er ihr wegen Flemming eine Scene machte? Sie war entschlossen, ihn sofort zur Thüre hinauswerfen zu lassen. Unterdessen trank Siegmund grimmig weiter und dachte gar nicht daran, ihr eine Scene zu machen …

Das Souper war im ganzen weniger lustig als gewöhnlich. Man erhob sich nicht viel animierter vom Tisch, als man sich dazu niedergelassen hatte. Im anstoßenden Zimmer begann das Spiel. Sobald nur das Gold erklang, setzte sich alles, was anwesend war, dahin in Bewegung.

Man begann zu spielen.

Siegmund suchte mechanisch in den Taschen herum – er hatte noch ein paar Dukaten drin – man mußte sein Glück versuchen. Er warf die Hälfte auf den Tisch, verlor, hielt eine Weile inne, zog dann den Rest hervor, er brauchte nicht lange zu warten, auch dieser wurde ihm genommen.

»Hör mal,« sagte die Duparc, sich ihm nähernd, »setz auf mein Glück und du wirst gewinnen.«

»Ich habe kein Geld mehr.«

»Wie kann man nur kein Geld haben? Das ist ja lächerlich!« ließ sich die Französin vernehmen, »so hast du's zu Hause?«

»Ich habe auch zu Hause keines,« entgegnete Siegmund.

»Und wann bekommst du wieder welches?«

»Ich weiß nicht, ob ich so bald etwas bekomme.«

Die Duparc sah ihn verächtlich an.

»Was wirst du denn anfangen?«

»He?« fragte Siegmund, »ich werde mir's eben borgen.«

»Und dann?«

»Nicht zurückzahlen.«

»Und was weiter?«

»Weiß ich's!« sagte Pientka mit den Achseln zuckend. »Hol's der Teufel!«

Die Duparc zog eine strenge Miene. Alles das mißfiel ihr höchlich.

»Wie können Sie denn in anständigen Häusern verkehren, ohne Geld zu haben?«

Siegmund sah sie an: »Nennt sich das ein anständiges Haus?« fragte er höhnisch, »ha! ha!«

Die Augenbrauen der Duparc zogen sich drohend zusammen. »Sapristi!« rief sie, »Sie sind impertinent!«

Siegmund begann zu lachen, ging ein paar Schritte beiseite und warf sich in einen Sessel; die Französin folgte ihm; sie erachtete die Sache für zu gut begonnen, um sie auf halbem Wege liegen zu lassen.

»Ich vertrage das nicht,« setzte sie hinzu.

»Was? Einen Menschen ohne Geld?« fragte Pientka.

Sie sahen einander an. Siegmund schien sie wieder eine häßliche Hexe, er ihr ein gefährlicher Habenichts. Eine Weile blieb sie nachdenklich vor ihm stehen.

»Ich möchte Sie bitten, mein Herr,« sagte sie schließlich, »Ihre Besuche in meinem Hause einzustellen.«

Pientka sah sie lange, lange an, maß sie von Kopf zu Fuß, sprach kein Wort, suchte, die Hände in den Taschen, seinen Hut, setzte ihn auf den Kopf und ging langsamen Schrittes hinaus. Die ihm nachschauende Duparc fühlte sich ein wenig beunruhigt. Der Henker kennt ihn! Er hat die Miene eines so großen Herrn, daß er vielleicht schon morgen wieder Geld besitzt! Es wäre schade, ihn irgend einer Deutschen zum Aussaugen zu überlassen. Allein man hörte hinter dem Abgegangenen nur noch das Zuschlagen der Thüre, wovon die Scheiben in den Fenstern erbebten. Das Gelächter der Spieler übertäubte alles, die Duparc eilte zum jungen Flemming und eine Hand voll Dukaten aus seiner Tasche ziehend, warf sie dieselben lachend auf den Tisch, auf das Glück – beider!

Diesmal gewannen die Dukaten!

Mit welchen Gedanken die schöne Elsbeth den folgenden Tag aufstand, vermochte Onkel Eligius nicht zu erraten. Ihr Gesicht sah nach dem gestrigen Lachen und Weinen ruhig, wohlgefärbt und frisch aus; man sah darin keine Spur von Ergriffenheit und Ohnmacht.

Als der Alte das sah, küßte er ihre Hand und fragte ganz leise, was sie weiter thun würden?

Elsbeth antwortete erst nichts darauf.

»Wir wollen sehen,« sagte sie nach einigem Besinnen, »mein Herr Siegmund muß gewiß auch von mir gehört haben, entweder von Dsiemba oder durch den gestrigen Theaterbesuch. Dreht er sich doch um diese Tänzerin herum, folglich wird er auch von der gestrigen Vorstellung wissen, und ich denke, auch von mir. Wir richten uns danach, was er beginnen wird, und was wir über ihn zu erfahren imstande sind.«

Eligius kreuzte die Arme und ließ den Kopf auf die Brust fallen: »Dein Wille –«

In demselben Augenblick wurde an die Thüre geklopft; der Woiwode bat, vor das Antlitz der schönen Frau gelassen zu werden.

Die Thürflügel gingen auf, der Oheim trat zum Empfange hinaus, und kostbar geschmückt, mit dem Mützchen unter dem Arm, von der eine Kita Federbusch. Anm. d. Uebers. mit Brillanten blitzte, schlüpfte der Woiwode herein, schon auf der Schwelle seine Komplimente machend.

»Wie freue ich mich, daß Ihr nach einer solchen Reise so herrlich ausseht, gnädigste Frau! Ein glückliches Los hat mich hier, kann ich sagen, zu Eurem Beschützer erkoren; darum wundert Euch nicht, wenn ich mich zu fragen erkühne, worin ich Euch dienlich sein könnte.«

Elsbeth bot einen Stuhl, warf einen Blick auf den Oheim und begann: »Ich glaube kaum, daß Ihr, Herr Woiwode, den Grund meiner Herkunft erratet. Ich kam nicht freiwillig, mich trieb ein großer häuslicher Kummer hierher, für den ich in der That als unerfahrene Frau keinen Rat zu finden weiß. Mein Mann ist mir heimlich hinter irgend einem leichtfertigen Frauenzimmer durchgegangen, das vielleicht nicht einmal den Namen Frauenzimmer verdient. Im ersten Aufruhr des Schmerzes und des Zorns machte ich mich auf den Weg, um ihn zu verfolgen. Heute bedauere ich es, weil ich eher unserem Herrgott hätte danken sollen, daß er mich von ihm befreit. Meine Angelegenheit ist klar, ich möchte diesen Menschen los sein, und benütze meinen hiesigen Aufenthalt und Eure gütige Intervention, indem ich Euch bitte, mir beim Konsistorium betreffs der Scheidung behilflich zu sein, und bei Seiner Majestät dem König, damit auch er beim Bischof ein Wort für mich einlege.«

»Die Sache ist sonnenklar, himmelschreiend!« unterbrach der Woiwode begeistert. »Wer das Glück gehabt hat, Euch zu sehen, gnädige Frau, der kann dem Verbrecher unmöglich verzeihen. Mit größtem Vergnügen werde ich mich ins Mittel schlagen, um Euch von diesen Fesseln zu befreien. Seine Majestät der König, der Euch gestern noch seine Aufmerksamkeit zu teil werden ließ, wird sich Euer Geschick, davon bin ich überzeugt, angelegen sein lassen.«

»Ich werde Euch und Seiner Majestät sehr dankbar dafür sein,« setzte Elsbeth hinzu.

»Wißt Ihr, wo sich Euer Mann aufhält?« fragte der Woiwode. »Er muß hier sein, denn auch die Französin ist hier und ist sogar, wenn ich mich nicht täusche, gestern auf der Bühne aufgetreten.«

Der Woiwode, herzlich froh, daß man sich ihm anvertraute und daß er einen Vorwand haben würde, die schöne Frau öfter zu besuchen, begann, sich nach den Einzelheiten zu erkundigen. Er blieb noch eine Weile, küßte dann mit großem Nachdruck ihr weißes Händchen und ging unendlich beglückt davon.

»Was höre ich!« rief Eligius nach seinem Abgang, »meine Elsbeth will sich scheiden lassen?«

»Was bleibt mir anderes übrig?«

»Ein bedenklicher Fall!« murmelte der Ohm, »ein bedenklicher Fall!«

»Es werden doch alle wissen, weshalb ich die Scheidung verlangt! Lieben kann ich ihn nicht! Ihn achten ist unmöglich! Ihm verzeihen schwer! – Nein!«

»Scheidung! Scheidung!« wiederholte der Oheim, »und was dann? Zurück nach Wulka? Zu dir nach Hause? Nicht als Fräulein, nicht als Frau! Nicht gekocht, nicht gebraten! Jesus von Nazareth! Was hast du dir da eingebrockt, Frauchen!«

»Lieber Onkel,« versetzte Elsbeth ruhig, »mich schreckt weder die Rückkehr nach Wulka, noch auch das Kloster. Viel ärger ist's, mit einem Menschen zu leben, der kein Schamgefühl hat und kein Gewissen! Ich habe mich dem einen gelobt, einem zweiten werde ich's nicht mehr, so lange dieser am Leben, denn ich habe ihm Treue bis zum Tode geschworen – aber mit ihm leben? Niemals! Niemals!«

Der Ohm murmelte zur Abwehr jeglichen Uebels ein Gebet, sah die Nichte an und verstummte. Wieder wurde an die Thüre geklopft. Elsbeth blickte empor, auf der Schwelle stand, geputzt wie zur Hochzeit, Herr Severyn Tschaska.

»Ich konnte es nicht über mich gewinnen,« begann er schon in der Thüre, »da ich schon einmal hier bin und von Eurer Anwesenheit weiß, Euch, gnädigste Frau, nicht meine Reverenz zu Füßen zu legen.«

Elsbeth begrüßte ihn schweigend mit einem leichten Kopfnicken, der Ohm mit einer tiefen Verbeugung, doch erhielt er gar keine Antwort.

»Die Reise ist Euch, hoffe ich, glücklich von statten gegangen?«

»Ziemlich,« flüsterte Elsbeth, »und Euch?«

»Ich bin wohl angelangt, doch weiß ich noch nicht, was ich hier beginnen werde!« Dabei entfuhr ihm ein Seufzer, »werdet Ihr hier lange verweilen, gnädigste Frau?«

»Auch ich muß sagen: ich weiß es selbst noch nicht.«

Tschaska stand mitten im Zimmer, man bat ihn nicht einmal, sich zu setzen. Frau Pientka vergaß es vielleicht und der Oheim wagte es nichts

Zum Glück klopfte es noch einmal.

Eligius beeilte sich, zu öffnen, vor der Thüre stand mit verkümmerter und bescheidener, von seiner Riesengestalt merkwürdig abstechender Miene, in offenbarer Verlegenheit, Boroditsch.

Als Elsbeth seiner ansichtig wurde, zuckte sie leicht mit den Achseln und errötete.

»Was macht denn Ihr hier?«

Boroditsch trat ein.

»Das merkwürdigste Zusammentreffen der Verhältnisse, denn da ich in Schlesien kein Rindvieh kaufen konnte, so dachte ich wenigstens sächsische Schafe zu bekommen, die eine besondere Rarität sein sollen,« ließ sich der Schuldige vernehmen, »und weil ich denn schon einmal hier bin –«

Elsbeth warf ihm einen strengen Blick zu.

»Ihr werdet hier am Ende keine Schafe bekommen, werdet am Ende noch weiter reisen und zu Hause für verloren gelten,« sagte sie spöttisch.

»Eh! Es ist zu Hause niemand, der sich um mich sorgte!« versetzte Boroditsch.

Dabei sahen er und Tschaska sich von der Seite an; beide staunten nicht wenig, einander so unverhofft hier zu finden.

»Was macht der hier?« dachte Tschaska.

»Was bringt den daher?« dachte Boroditsch.

Sie verneigten sich von weitem, aber kalt und steif, voreinander.

»Die Herren kennen sich?« fragte Elsbeth.

»Eine Bekanntschaft vom Einkehrhause,« sagte Tschaska, »wir trafen uns aus der Straße.«

»In Schlesien?« fragte Elsbeth.

Boroditsch, fühlend, daß seine Lüge hier ans Tageslicht kommen könnte, hüstelte und trat eilig zum Oheim. Tschaska maß ihn mit wunderlichem Blick. Sie fühlten sich beide bereits als Nebenbuhler.

»Erlaubt mir, gnädigste Frau,« ließ sich Boroditsch schüchtern vernehmen, nachdem er früher leise mit dem Ohm einige Worte gewechselt, »daß ich Euch als alter treuer Diener Eures hochansehnlichen Hauses auch hier in der Fremde meine Dienste weihe.«

»Ich dank' Euch, Herr, aber was kann ich hier benötigen, da ich meinen lieben Oheim zur Seite habe?« Eligius verneigte sich. »Kauft nur Eure Schafe und kehrt nach Hause zurück. Die Ernte steht vor der Thür! Wie kann da ein guter Wirt außer Hause sein?«

Boroditsch seufzte auf. »Bah! Diese Ernte zwingt auch der Verwalter, und werden mir auch ein paar Garben, ja selbst ein Schock gestohlen, was liegt daran? Hungers werde ich deshalb nicht sterben!«

Sie schwiegen still. Als Tschaska sah, daß es diesmal nicht recht glücken wolle, begann er sich zu verabschieden; auch für Boroditsch ziemte sich's nicht, zu bleiben, denn auch ihm war's nicht zum besten ergangen. So empfahl er sich denn ebenfalls. Elsbeth neigte gegen beide den Kopf, jedoch mit so kaltem und strengem Blick, daß beide eine Art Kälte im Herzen verspürten. Der Oheim geleitete sie bis zur Thüre. Als sie sich im Vorhaus befanden, sahen sie einander ins Auge.

»Was habt Ihr mir denn erzählt?« begann Tschaska.

»Warum habt Ihr mir's nicht gestanden?« redete ihn Boroditsch fast gleichzeitig an.

Und sie sahen sich wieder an.

»Ah, hört auf,« platzte Boroditsch lachend heraus und reichte Tschaska die Hand. »Wir verstehen uns schon! Es bedarf keiner langen Auseinandersetzungen. Wir haben beide den Kopf verloren, ich früher, Ihr seit kurzem – das ist der ganze Unterschied. Als alter Patient will ich noch eins hinzusetzen, daß es nämlich keine Hoffnung auf Heilung gibt, keine!«

Sie schwiegen eine Weile still.

»Wer würde ihr nicht nachreisen? Und wer würde ihretwegen nicht verrückt werden?« setzte Herr Gracyan, sich ermunternd, hinzu, »'s ist eine Person, wie es keine zweite auf der Welt gibt. Seid Ihr nicht gleicher Meinung?«

»Unbedingt – doch sagt Ihr,« sprach Tschaska, »daß es keine Hoffnung gäbe. Wieso keine? Ihr Mann ist ein erbärmlicher Schuft! Habe hier bereits nach seinen Streichen geforscht und sie erfahren. Den wird noch ein böses Schicksal treffen, davon bin ich überzeugt – und dann!«

»Eh! Ich habe die Vorhand!« lachte Boroditsch traurig auf und ließ den Kopf hängen, »ja, ja! und was habe ich von dieser Vorhand? Hab' mein Lebtag kein Glück gehabt. Wenn es der Zufall fügte, daß sie frei wäre, so würde sie mir der erste beste vor der Nase wegschnappen! Gott mit ihm! wenn er sie nur glücklich macht,« setzte er still hinzu, »wenigstens würde ich sehen, daß es ihr gut geht auf der Welt. Ihr kennt sie nicht, Herr,« sprach er weiter mit wachsender Begeisterung. »Ihr seht dieses herrliche, strahlende Antlitz und die königliche Gestalt und die leuchtenden Augen und die Lippen, die ein schöner Ernst krönt; ich sah sie wachsen, erblühen, sah, wie Gott sie mit der Glorie dieser Schönheit umgab, die aus der Seele quillt. Das ist ein Weib! Festigkeit und Gefühl, Verstand und Herz – alles! Ah! was ist da zu reden!« schloß er plötzlich, sich die Augen wischend, »ich liebe sie gerade so, wie ich sie fürchte. Sie ist schrecklich!«

Unter solchen Auseinandersetzungen gingen sie selbander dahin. Der weit findigere Herr Severyn wußte schon alles von Siegmund, was nur irgend zu erfahren möglich war. Das erfüllte seine junge Liebe mit Mut, denn er fühlte, wie er sagte, daß dieser Mensch ein schlimmes Ende nehmen müsse. Von dem Vorsatz, sich um die Scheidung zu bemühen, konnte Tschaska noch nichts wissen, weil er auch mit Eligius nicht gesprochen hatte, sonst würde er ihm dieses Geheimnis leicht entlockt haben.

Im Laufe des Tages überschickte der Woiwode die zweite Einladung ins Theater, mit der Nachricht, daß, wenn es Frau Pientka wünschte, sie nach dem Theater Seiner Majestät dem König vorgestellt werden könnte. Da bedurfte es eines festen und sicheren Entschlusses. Onkel Eligius konnte es nicht einmal fassen, daß jemand ein ähnliches Glück aus eigenem Willen abweisen könnte. »Du mußt hin,« sprach er, »mußt dich einfinden, es trifft sich nicht ein zweites Mal im Leben, daß man das Glück hat, die königliche Hand küssen zu dürfen. Und dann, wenn man wieder ins Dorf heimkehrt, ob nun so oder so, wäre es doch angenehm, erzählen zu können, daß man mit Seiner Majestät dem König gesprochen. Nicht jeder wird dieser Ehre teilhaftig.«

Elsbeth schien das anders aufzufassen, sie schwieg; schließlich war sie jedoch damit einverstanden, sich im Theater zu zeigen und im Korridor durch den Woiwoden dem vorübergehenden König vorgestellt zu werden.

Als Onkel Eligius die Antwort schrieb, verdarb er beim Aufsetzen des Textes drei Bogen Papier, dann mußte er nach der Stadt, um die zur Toilette nötigen Bestandteile auszufinden, nach Hause zu bringen und deren Anordnung zur bestimmten Zeit zu sichern. Und weil es schon gestern mit den Sänften keine geringen Schwierigkeiten gab, so mußten auch diese Tragkörbe beizeiten bestellt werden, freilich unter unsäglichen Kosten!

Onkel Eligius, der, als er die Reise antrat, niemals eines solchen Glückes teilhaftig zu werden hoffte, und auch zu Hause eine überaus bescheidene Garderobe besaß, versetzte sein Feiertags-Kontusch, der hier kaum für einen alltäglichen gelten konnte, in nicht geringe Sorgen. Es mußte also auch seinetwillen das Felleisen geöffnet werden, denn die Korduan-Stiefel waren stark abgetragen und der falsche Zupan Polnische Weste, die den Bauch verdeckte. Anm. d. Uebers. nicht mehr von erster Frische. Dem allem sollte ein Schneider abhelfen, ein halber Deutscher, ein halber Warschauer, der sich hier zu dem Zwecke angesiedelt hatte, unglücklichen Reisenden mit seiner Kunst zu Hilfe zu kommen. Vor der Theaterstunde war zwar alles fertig, sowohl was Frau Pientka bedurfte, als was der Oheim unumgänglich nötig hatte, doch ließen sich die alles besorgenden Schneider und Friseure auch tüchtig dafür bezahlen.

Die Besuche des Woiwoden, dann die Tschaskas und Boroditschs hatten nebst anderen auch diese Wirkung, daß sie Siegmund, der schon die Absicht hatte, sein Weib zu überfallen, zurückhielten.

Dsiemba, der böse Folgen befürchtete, trug ihm zu, daß dort eine Menge Leute zur aufmerksamsten Bewachung wären, daß man offenbar etwas erwarte oder fürchte, weil das Haus von allen Seiten so sorgsam behütet werde.

»Auf des Diebes Kopf brennt die Mütze!« zischte Siegmund hervor. »Je nun, ich werde doch das Meinige durchsetzen. Ich muß doch die Gnädige sehen und sprechen, und wenn's den Hals kostete. Wir haben miteinander abzurechnen!«

Der im gegenüberliegenden Hause auf Kundschaft postierte Dsiemba berichtete dann, daß eine Sänfte zum Schloß bestellt worden sei und daß sich Frau Pientka wieder im Theater einfinden werde.

Siegmund fehlte es bloß an Geld zur Ausführung eines ausgezeichneten Planes; er wollte die Sänftenträger bestechen, daß sie vom Schlosse aus die Frau statt ins Absteigequartier in ein anderes Haus trügen, welches er ihnen bestimmen würde. Dort wollte er sich, wie er sagte, mit der Gattin auseinandersetzen, dabei lachte er satanisch. Derlei Dinge geschehen nicht ohne Groschen, und just daran mangelte es ihm. Er ging zu den ihm bereits bekannten Wucherern und erhielt endlich mit Hilfe eines Kaufmannes, mit dem er schon längere Zeit halbwegs bekannt war, einige zehn Stück Dukaten auf eine schreckliche Schuldverschreibung.

Mit dem Gelde flogen sie beide zu den Sänftenträgern, da man nicht wissen konnte, welchem von ihnen es bestimmt sein würde, die Frau zu tragen. Sie weigerten sich anfangs, ihre Verantwortlichkeit vorschützend, schließlich machte sie aber das Gold mürbe und nachgiebig. Siegmund versicherte ihnen, daß der Frau, welche sie tragen sollten, keinerlei Gewalt geschähe, da sie von dem Plane wisse. Den Oheim sollten sie allein in irgend einem öden Stadtteile absetzen und entfliehen.

Alles das wurde so rasch und geschickt ersonnen, daß, als die Stunde des Theaters heranrückte, Siegmund bereits in einer in der Pirnaschen Vorstadt gemieteten Wohnung Thüren und Schlösser beaugenscheinigte.

Das Theater war wieder überfüllt und Frau Siegmund erweckte keine geringere Neugier als das erste Mal. Auch die Tänzerinnen leisteten Vorzügliches; Fräulein Duparc jedoch wurde an diesem Abend nicht auf der Bühne gesehen; man sagte, sie wäre erkrankt.

In dem Augenblick, als man hinauszugehen begann, kam der Woiwode zu Elsbeth, reichte ihr seine Hand und führte sie nach der Galerie, durch die Seine Majestät der König nach seinen Zimmern zurückkehren sollte. Frau Pientka fühlte sich durchaus nicht in der Aufregung, die ein ähnliches Glück bei jeder anderen hervorgerufen hätte; sie ging sehr mutig dahin, und als sich von weitem August II. zeigte, umgeben von seinem Hofstaate und strahlend von Kleinodien, die er anzulegen liebte, betrachtete sie ihn, ohne auch nur mit den Augen zu zucken, mehr neugierig und erstaunt als verschüchtert. August erblickte den Woiwoden von weitem und winkte ihm mit dem Kopfe. Diesen Tag schmerzten ihn die Beine, die schon damals anzuschwellen begannen, woraus sich später die letzte Krankheit entwickelte; er stützte sich auf einen Stock, und obwohl das Gesicht den verborgenen Schmerz verriet, lächelte er dennoch, trotz seiner Jahre immer bestrebt, den Herzensberücker und den Niesen zu spielen. Elsbeths hübsches Gesichtchen nahm sein Auge gefangen, das an ihr Wohlgefallen zu haben schien; er seufzte, indem er sie ansah, als trauerte er um die verflossenen Jahre. Als August II. einige Schritte that und der Woiwode, sich tief verneigend, seine Klientin vorstellte, fragte der König mit etwas schwerer Zunge, womit er ihr dienen könnte.

Elsbeth wurde kirschrot, erhob die thränenfeuchten Augen und begann, mit jedem Worte mutiger werdend, zu sprechen.

»Großmächtigster Herr! Ich bin gekommen, Eure Königliche Majestät um Protektion und Gerechtigkeit anzuflehen; ich wurde von meinem Manne um einer nichtswürdigen Buhlerin willen verraten. Ich muß das Band zerreißen, das mich mit diesem befleckten und herzlosen Menschen verknüpft.«

»Wieso herzlos?« unterbrach der König scherzhaft. »Erscheint ja davon sogar zu viel gehabt zu haben, da er damit so viel Personen beschenken konnte?«

»Allerdurchlauchtigster Herr, bei uns auf dem Lande teilt man alles, außer Herzen von Eheleuten, die einander ganz gehören müssen, sollen sie nicht jeden Wert verlieren,« entgegnete Elsbeth. »Wir sind Leute von einfachen Sitten und nennen jedes Ding bei seinem rechten Namen. Mein Mann ist ein Verschwender und ein Wüstling.«

Der König, dessen Gewissen in dieser Beziehung selbst nicht ganz rein war, zog ein etwas schiefes Gesicht.

»Man darf nicht so streng und unerbittlich sein,« sagte er. »Der Jugend verzeiht man viel. Euer Gemahl kann zurückkehren.«

»Nach Hause, aber nicht zu mir,« rief Elsbeth energisch. »Wenn in früheren Zeiten bei Gastmählern ein Unreiner die Hand an die Schüssel legte, aßen die andern nichts mehr daraus. Ich halte mich an diese Sitte! – Darum bitte ich Eure Königliche Majestät um Protektion, damit ich nicht gezwungen sei, weiter mit ihm zu leben.«

Als August II. dies heftige Auflodern hörte und den Zorn bemerkte, womit Elsbeth diese Worte sprach, lächelte er, während er ihre feuersprühenden Augen betrachtete, wie in seliger Erinnerung vergangener Zeiten. Wer weiß es denn? Vielleicht kam ihm die Gräfin Cosel Ehemalige Maitresse Augusts II. Anm. d. Uebers. zu Sinn und ihre ungebändigten Zornesausbrüche und Drohungen.

»Wahrlich! Man kann Euch diese Strenge verzeihen, gnädige Frau; denn wer Euch ansieht, vergibt nimmermehr dem Schuldigen, ja begreift ihn nicht einmal. Ist Euer Mann nicht blind?« fragte der König lächelnd.

Elsbeth senkte traurig die Augen.

»Wer es auch sei, dem er sich freiwillig und ohne Zwang gelobt, großmächtigster Herr, er hätte als rechtschaffener Mensch das Gelöbnis halten müssen, wie immer auch diejenige aussehen mochte, die er ehelichte!« sagte Frau Pientka.

»Ach! ach!« begann August, sich auf seinen Stock stützend und immer mehr Gefallen an dem Gespräch findend. »Herzensschwüre werden selten gehalten, denn über das Herz, schöne Frau, haben wir keine Macht!«

»Es geht mir auch nicht mehr um sein Herz,« rief Elsbeth, »wohl aber um die Rechtschaffenheit! Mich und mein Haus mit solcher Schmach zu bedecken!«

»Ah! Ihr seid strenge, werte Frau! Allzu strenge und unbarmherzig!« sprach der König mit einer Art erzwungenen Lachens, »der Jugend muß man vieles verzeihen.«

»Ja, solange sie jung ist, hochmächtigster Herr! Wer heiratet, der hört auf, jung zu sein!«

Der König öffnete bloß stärker die Augen und hob seine allerdurchlauchtigsten Augenbrauen, die Hofherren dagegen zeigten, verwundert und geärgert über eine so verkehrte Anschauung, erschrockene Mienen. Indem sie sich selbst ansahen, als wollten sie fragen, wie sich eine solche Frau hierher verirren konnte, befürchteten sie, August II. könnte sich durch eine so kühne Sprache beleidigt fühlen. Diese hätte vielleicht auch eine solche Wirkung geübt, wenn sie von anderen Lippen gekommen wäre; allein Elsbeths Gesichtchen ließ keinen Groll zu – so außergewöhnlich schön war es.

Nachdem sie geendet, verbeugte sie sich tief; der König wollte gehen, doch hielt er an, flüsterte dem Hofmarschall etwas zu, der Marschall kam mit der Botschaft zum Woiwoden, und dieser erklärte Frau Pientka, daß Seine Majestät der König sie an seinem Hofe und gleich morgen auf dem Balle im Schlosse zu sehen wünschte.

Da August, als harrte er der Antwort, noch dastand und schaute, näherte sich ihm Elsbeth.

»Allerdurchlauchtigster Herr, verzeiht, daß ich, für Eure Gnade dankend, Euren Befehlen nicht werde genugthun können. In meiner Lage ziemt es sich nicht, sich öffentlich zu zeigen; außerdem würde ich mit meinen traurigen Mienen und meiner übeln Laune Eurer Königlichen Majestät nur die Freude verderben.«

Nach diesen Worten machte sie einen Knicks und zog sich zurück. Diese kühne abschlägige Antwort schien sowohl den König als auch den Hofmarschall und den Woiwoden, sowie diejenigen, die sie noch hören konnten, in überaus großes Erstaunen zu versetzen; dennoch fühlte sich der König nicht beleidigt, es schmeichelte ihm, daß man ihn, ungeachtet der Jahre und des Podagras, noch für gefährlich hielt. Er nickte mit dem Kopfe mit liebenswürdigstem und einschmeichelndstem Lächeln, grüßte sie noch einmal mit der Hand und schritt, sich auf den Stock stützend, weiter. Ihm folgte in majestätischem Zuge der ganze Hof, und nicht allzu rasch konnte der Woiwode, seiner Protegierten die Hand reichend, sie an den Standort der Sänften führen. Onkel Eligius, der stumme und passive Zeuge dieser ganzen Scene, der sich mit lauter Verbeugungen nur den Hals schiefgedreht hatte, eilte jetzt, sich durch die Menge drängend und sein Säbelchen in der Hand festhaltend, der Nichte nach, mit großem Kummer im Herzen. Trotzdem er nur ein paar Schritte vom Könige entfernt stand, hatte er doch dessen Hand nicht erreichen, ja nicht einmal ein mühsam ersonnenes lateinisches Kompliment anbringen können.

Doch es war bereits geschehen; er verzweifelte nicht. Die nagelneuen Korduanstiefeln und sein Lateinisch konnten sich ja noch ein zweites Mal bewähren. Er grollte nur ein wenig der Nichte, die eine so schöne königliche Einladung nicht hatte annehmen wollen! So wiederholte er denn im stillen die nun einigermaßen gerechtfertigten Ausrufe: »Ein Mannweib! Ein Mannweib!«

Das Thor, wo die Sänften standen, wurde ringsherum von einer dichten Menge Neugieriger belagert; die Nacht war heiter und schön. Diejenigen, die kein Recht hatten, ins Schloß hineinzukommen, wollten wenigstens davon Zeuge sein, wie die Gäste daraus hervorströmten, indem sie ihren Putz und ihre Gesichter musterten. Unter die Neugierigen hatten sich, nicht zufällig, sondern wohlbedacht, Tschaska und Boroditsch eingedrängt, die Sänfte Frau Pientkas nicht aus den Augen verlierend. Sie stellten sich verhüllt, damit man sie nicht erkenne, so nahe, als es nur anging, zu derselben hin. Die Veranlassung zu diesem Hinterhalte war der Umstand, daß Tschaska an demselben Tage durch die an sein Zimmer stoßende Thüre die ganze zwischen Pientka und Dsiemba gepflogene Besprechung in betreff des Anschlags auf die Frau erlauscht hatte. Tschaska wußte demnach, daß die Träger bestochen waren und daß sie die Sänfte nach der Pirnaschen Vorstadt bringen sollten, gleichzeitig auch, daß Pientka und Dsiemba nur selbzweit Elsbeth aus der Sänfte zu reißen hofften, ohne einen dritten zu ihrer Hilfe zu haben.

Tschaska war augenblicklich zu Boroditsch geeilt und hatte ihm alles berichtet. Sie waren gewiß, daß sie selbzweit mit den beiden fertig und ihre Gebieterin zu beschützen imstande sein würden. Sie stellten sich also, nachdem sie die Sänfte ausgeforscht, beim Ausgange auf, überzeugt, dieselbe würde ihnen nicht entgehen. In dem Momente jedoch, als Elsbeth einstieg, stürmte die Menge so heftig an, daß sie ein wenig weggedrängt wurden und Boroditsch, sich auf die Fußspitzen stellend, kaum noch wahrnehmen konnte, wie man den Deckel der Sänfte schloß, in der Frau Siegmund Platz genommen hatte, nachdem Onkel Eligius bereits in einer anderen verschwunden war. So konnten sie sich denn auch im ersten Augenblick nicht so leicht aus dem Gedränge winden und den Trägern nacheilen. Erst, nachdem dieselben eine Strecke voraus waren, begann die Verfolgung. Doch je schneller sie den Sänften nacheilten, einen desto rascheren Galopp schlugen die Träger an.

Gleich hinter dem Schloßthore warfen sich diejenigen, die Elsbeth trugen, nachdem sie sich mit den Trägern des Oheims durch Zeichen verständigt, nach links und eilten durch ein knapp au den Mauern laufendes Gäßchen hinab; Onkel Eligius aber wurde blitzschnell nach rechts durch ein enges finsteres Durchhaus entführt.

Tschaska und Boroditsch liefen, jeden Augenblick aufgehalten und gestoßen, so rasch sie konnten, atemlos der Sänfte nach, ohne dieselbe noch erreicht zu haben, da sich immer neue Hindernisse entgegenstellten. Die Träger schienen absichtlich die gewundensten Gäßchen und winkeligsten Durchhäuser zu wählen, so daß Boroditsch und Tschaska sie kaum noch mit den Augen erfangen konnten, um nur die Sänfte nicht zu verlieren.

So waren sie schließlich im Galopp bis zur Pirnaschen Vorstadt gelangt, in eine etwas breitere Straße, in die das Mondlicht hell hineinfiel. Boroditsch erblickte sofort im Thore eines der Häuser Siegmund und Dsiemba an der Schwelle stehen. Sie waren allein und ohne Waffen. Die Träger hatten ihre Schritte so verlangsamt, daß Tschaska Zeit fand, sich zu nähern und Boroditsch, der schon den Säbel gezogen hatte, der Sänfte seitwärts zuvorzukommen. Kaum war sie aufs Pflaster niedergestellt und der Deckel aufgehoben, als Siegmund und Dsiemba an das geöffnete Thürchen stürzten, in demselben Augenblicke aber hatten sie schon Tschaska und Boroditsch im Nacken.

Als Elsbeth beim Aussteigen ihren Mann erblickte, entfuhr ihr ein Schrei des Erstaunens; dieser hatte bereits ihre Hand erfaßt und Dsiemba sollte eben die andere ergreifen, als Boroditsch, nicht länger wartend, ihm mit der flachen Klinge einen so derben Hieb versetzte, daß er, plötzlich zum Umkehren gezwungen, ausrutschte und auf allen vieren zu Boden stürzte; beinahe gleichzeitig schlug Tschaska nach Siegmund.

Das sehend, stürzten die Träger, ohne auch nur ihre Tragriemen mitzunehmen, fort, um sich so rasch als möglich zu verbergen. Auch Dsiemba raffte sich, durch den Hieb erschreckt, auf und warf sich, nicht länger wartend, ins Haus, dessen Thür er hinter sich zuschlug.

Nun packten Boroditsch und Tschaska selbzweit den Herrn Siegmund, den sie leicht dermaßen bezwangen, daß er keinen Schritt thun konnte; er fluchte, warf sich herum und drohte – jedoch vergebens.

Elsbeth war bereits aus der Sänfte gesprungen, die Hand am Gürtel haltend, unter dem sie in schwarzer Scheide stets den Dolch stecken hatte. Obwohl sie an der Stimme sowohl ihren Mann als ihre unerhofften Beschützer erkannte, erschien ihr doch dieses ganze Ereignis sonderbar und unbegreiflich.

»Was soll das bedeuten?« rief sie. »Wo bin ich? Auf welche Weise befinde ich mich hier? Was macht der hier?«

Sie wies mit dem Finger auf ihren Mann.

»Habt keine Furcht, gnädige Frau,« sagte Boroditsch, sich ihr um so viel nähernd, als es die Hände zuließen, »es war dies ein niederträchtiger Anschlag auf Euch, den Herr Tschaska durch Zufall entdeckte. Die Sänftenträger waren von Eurem Manne bestochen. Gott sei's gedankt! Wir fanden uns rechtzeitig ein.«

Siegmund warf und riß sich, schäumend vor Wut, fortwährend herum. Elsbeth trat mit eingekniffenen Brauen drohend an ihn heran.

»Was wolltest du denn von mir, daß du dich sogar der Gewalt und des Verrats bedienen mußtest, um mit der Gattin zu sprechen?« rief sie. »Du konntest mir doch, wenn du Mut hattest, die Stirne zeigen und bei hellem Tage vor mich hintreten. Du wußtest, daß ich hier sei, allein du weißt nicht, weshalb ich gekommen. Ich bin gekommen, um dir deinen Ehering ins Gesicht zu werfen. Gib ihn derjenigen, welcher du die Kette der Urgroßmutter um den Hals gehängt hast, nachdem du sie aus dem Hause gestohlen! O, Schmach und Schande!«

»Die wirfst du mir vor? Du?« rief jetzt Siegmund: »Die du mit dir ein ganzes Regiment Liebhaber gebracht, damit sie dich vor deinem Manne beschützen! Du, die mit dem König liebäugelt, um die Erbschaft der Duparc zu übernehmen!«

»Schweig!« schrie Elsbeth auf, »mir kann außer dir niemand einen Blick vorwerfen! Mein Gewissen ist rein!«

»Um Gottes willen!« unterbrach Boroditsch, »mäßigt Euch! Wir sind auf offener Straße! Schon beginnen sich die Fenster zu öffnen, die Leute zu sammeln, die Wache kann dazu kommen! Mit diesem Herrn da wird man sich anderswo auseinandersetzen. Hier ist nicht der Ort dazu. Tschaska und ich, wir packen ihn, stopfen ihm den Mund zu und bringen ihn vor Eure Schwelle, werte Frau, dort möge er sich rechtfertigen.«

»Ich mich rechtfertigen! Vor wem? Vor ihr? Was heißt das? Gedenkt ihr mich etwa zu richten?« rief Siegmund, absichtlich die Stimme nicht schonend. »Mein Weib wird das Urteil dekretieren und die Liebhaber werden es ausführen! Ha! ha! Das sollt ihr nicht erleben.«

Und er schrie nach Dsiemba; dieser aber, dem die wuchtigen Hiebe Boroditschs noch bleischwer auf dem Rücken lagen, dachte gar nicht daran, sich vor die Thüre zu wagen.

Elsbeth sah zornig, jedoch gemessen auf ihren Gemahl.

»Es bedarf keines Urteils über dich,« sagte sie, »du hast es dir selbst geschrieben, du selbst! und Gott wird es vollziehen! Bitte, laßt ihn, ihr Herren; will er mir folgen, dann möge er mein letztes Wort vernehmen, wenn nicht, so kehre er zu seiner Liebsten zurück, ich werde ihn nicht verfolgen, noch mich vor ihm fürchten. Er ist es nicht wert, daß ihr euch die Hände an ihm beschmutzt!«

Als Siegmund diese verächtlichen Worte hörte, sprang er, losgelassen, wankend und einige Schritte taumelnd zurück.

»Furie!« schrie er wütend, »und da wundere sich noch einer, daß ich diesem Weibe entfloh! Auch ich werde dir nicht nachjagen, meine Gnädigste, obschon ich als Mann das Recht hätte, dich einzusperren, zu bestrafen, mich an dir zu rächen. Mit ihr will ich mich schon einmal auseinandersetzen; allein derjenige, der es gewagt hat, mich mit der Klinge anzurühren und die Hand über mich zu heben, der muß mir dafür Rede stehen. Hört ihr's, ihr Herren?«

Boroditsch und Tschaska traten gleichzeitig vor.

»Ich stehe Euch zu Diensten, ich war der erste, der Euch säbelte,« sagte Tschaska.

»Und ich, der Euch zuerst am Kragen packte, ebenfalls,« setzte Boroditsch hinzu. »Wir werden uns auseinandersetzen.«

»Das werden wir!«

»Nicht später als morgen!« rief Siegmund. »Wenn ihr die Gnädige nicht nach Hause zu geleiten vorhabt, so steh' ich euch hier zur Verfügung, wo nicht, dann morgen bei der Fasanerie!«

»Wozu hier? Wozu?« unterbrach Tschaska. »Morgen um acht Uhr im Fasanenwäldchen.«

»Morgen.«

Während dieses lauten, abgebrochenen und hastigen Gespräches stand Elsbeth mit gerungenen Händen da – ihr Zorn hatte sich in stumme Thränen aufgelöst.

»Mit Euch, Frau Hochmut, rechnen wir anderswo ab,« schloß Siegmund höhnisch; »und daß Ihr dem nicht entgeht, dafür stehe ich!«

Mit diesen Worten begann er ans Thor zu schlagen, hinter dem Dsiemba stand. In demselben Augenblick kamen von der Schloßseite her der Oheim und der Woiwode mit Fackeln herbeigeeilt.

Die Sänfte des Oheims, deren Träger, von Furcht getrieben, ihre Mitgenossen verrieten, kam nicht weiter als bis zum Einkehrhause. Herr Eligius, hier von der Verschwörung unterrichtet, lief zum Nachbar hinüber und alarmierte das ganze Haus. Die Leute, die ihn getragen, wiesen sie nach der Pirnaschen Vorstadt, wohin sich sofort der Woiwode in eigener Person, Rzesinski, die Troßknechte und alles, was im Einkehrhause lebte, schleunig begab. Siegmund hatte, diesen Haufen erblickend, kaum Zeit, sich ins Haus zu flüchten und das Thor hinter sich zu verriegeln. Der Woiwode hatte nämlich am Wege dahin aus dem Schlosse Soldaten mitgenommen. Das alles erwies sich nun als nicht mehr notwendig, doch machte es in der Stadt einen solchen Aufruhr und Lärm, daß die Einwohner glaubten, es brenne irgendwo.

Frau Pientka wurde in die Sänfte gesetzt und im Triumphzuge nach Hause geführt. Onkel Eligius weinte und betete still, Elsbeth ging mit zusammengepreßten Lippen nachdenklich herum.

»Ein Mannweib!« flüsterte der Alte im Winkel, »ein Mannweib!«

*

Die »Fasanerie« wurde jenes Wäldchen genannt, das später zu einem prächtigen, großen königlichen Garten umgestaltet wurde. Wie diese ganze Gegend einst eine einzige große Wildnis war, in der uralte Eichen herrschten, so hatte auch die Fasanerie stellenweise noch undurchdringliches Dickicht aufzuweisen, aus dessen Mitte majestätische Buchen, Tannen, Eschen und Linden wie Säulen herausragten. Hier und dort lachte inmitten des düsteren Walddunkels eine kleine grüne Wiese mit smaragdenem Teppich hervor. Das war noch ein Wald, der an die Zeiten der unabhängigen Lausitz erinnerte, da noch die deutsche Eroberung nicht die jenseitigen Ufer der Elbe berührt hatte. Damals schon begann man auf Augusts Befehl inmitten der Wildnis einen kleinen Jagdpalast zu bauen und auszuschmücken; schon standen kleine, für verschiedene Personen errichtete Villen da, die man in diesen Schatten zu verhüllen strebte. Ringsherum jedoch war fast noch unberührte, von kapriziös verschlungenen Pfaden durchschnittene Wildnis. Hier gab's genug, ja nur zu viel Platz für die ritterlichen Fechterkünste der übrigens auf Krieg und Kriegsgefahr nicht sehr versessenen Höflinge Augusts. Man schlug sich aus Eitelkeit und äußerem Zwang, um der Ehre genugzuthun und sich mit einem geschickten, doch niemals tödlichen Stoß zu brüsten. Unter Lachen fuhr jeder zum Zweikampf, um noch fröhlicher zurückzukehren.

Es achtete denn auch niemand darauf, als den folgenden Morgen einige Männer durch das taufeuchte Gras und Gesträuch mit Säbeln und Pistolen nach der ein wenig hinter der Fasanerie liegenden kleinen Wiese drangen. Der erste, der hier erschien, war Siegmund, zu Pistolen und Pallasch so aufgelegt wie zu anderen Tollheiten, gegenwärtig jedoch nach Rache dürstend und wutentbrannt. Er schoß gut und schlug sich bewundernswert. Unzählbar war die Anzahl der durch ihn bereits Getroffenen. Dsiemba leistete ihm Gesellschaft, aber unausgeschlafen, blaß, verstimmt und brummend, daß er die ganze Nacht über Alpdrücken hatte. Siegmund konnte ihm sein gestriges Entweichen vom Platze nicht verzeihen, er schalt ihn aus; da er jedoch niemand anderen hatte, so war er gezwungen, sich seiner zu bedienen. Als zweiter Zeuge fungierte ein Deutscher.

Bald nach ihnen kamen Tschaska, Boroditsch und zwei andere Herren vom Gefolge des Woiwoden, Rzesinski und Kornacki geritten, mit zwei Knechten, welche die Pferde halten sollten. Der Hufschlag verkündete sie Siegmund schon von weitem; seine Augen hellten sich auf, seine Hände erbebten, er reckte sich gerade und fuhr mit der Hand über die Stirne.

»Nun geht das Spiel los!« rief er und fing an zu pfeifen, während er die Pistolen untersuchte und den Feuerstein mit dem Hahn probierte.

Die Angekommenen stiegen von den Pferden; man begrüßte sich von weitem, Rzesinski ging zu Dsiemba, mit dem er etwas flüsterte. Tschaska schob sich zuerst vor, Boroditsch den Vorrang streitig machend, was beinahe zu Streit Anlaß gegeben hätte.

Wenn zu damaliger Zeit der Kleinadel, um Appetit zu bekommen und einander zur Ader zu lassen, ein wenig die Klingen kreuzen wollte, gingen die Gegner zu Fuß aufeinander los. Beim wirklichen Zweikampfe aber auf Leben und Tod, bei einer großen Ehrenbeleidigung, sprengte der zum Kampfe »auf die Hand« Geforderte zu Pferde mit Pistolen hervor; erst wenn man umsonst Schüsse gewechselt, focht man, wie im Kriege, mit blanker Waffe, solange die Kräfte vorhielten. So traten sich denn auch hier die Gegner zu Pferde entgegen. Siegmund hatte einen Rappen aus eigener Zucht, der durch die Reise und durch die schmale sächsische Kost zwar abgemagert, aber noch immer flink und feurig war, Tschaska einen untersetzten feisten Eisenschimmel, ein nicht besonders edles Pferd, mit dem jedoch ein tüchtiger Reiter machen konnte, was er nur irgend wollte.

Sich in einiger Entfernung voneinander aufstellend, sollten sie gegeneinander anreiten und aufeinander schießen, wie ihnen die Laune eingab, denn die damaligen Zweikämpfe waren nicht so sklavisch begrenzt wie die von heutzutage.

Das blasse Gesicht Siegmunds verriet einen furchtbaren Grimm, den er nur mühsam beherrschte, damit er ihn nicht bei der Rache behindere.

Tschaska war scheinbar ruhig und kalt, in Wahrheit aber flimmerte es ihm vor den Augen, wenn er auf seinen Gegner hinübersah.

Die Pferde begannen anfangs im leichten Paßgang gegeneinander anzurücken; beide Gegner zogen ihre Pistolen hervor; Siegmund zielte zuerst, nach ihm Tschaska. So behielten sie einander im Auge, ihre Pferde leitend, die die Ohren spitzten und die Rücken aufwarfen, als Pientka, sich ein wenig bückend, schoß und sich dann in den Steigbügeln aufstellte, um durch den Rauch die Wirkung des Schusses zu gewahren. Allein Tschaska saß unbeweglich auf seinem Rößlein. Nur die Reiherfeder seiner Mütze flog, von der Kugel getroffen, davon. Nun schoß auch Herr Severyn; seine Kugel pfiff knapp am Ohr Pientkas vorbei, der laut auflachte. Noch ein Dutzend Schritte voneinander entfernt, zogen sie, als hätten sie sich verabredet, gleichzeitig ein neues Paar Pistolen aus dem Halfter, nachdem sie die abgeschossenen von sich geworfen, die Pferde hielten an, der Rappe stemmte sich auf die Hinterbeine, warf sich herum, wollte zuerst gar nicht gehen, bäumte sich empor, schlug aus, tauchte den Schädel zwischen die Füße und blickte mit blutunterlaufenen Augen vor sich.

Die beiden Gegner zielten abermals und Siegmund schoß mit Tschaska beinahe gleichzeitig. Pientkas Roß schrak zusammen, strauchelte und sank in die Vorderfüße, während sein Herr heruntersprang, Tschaska wankte und fiel, er war in der Seite verwundet.

Siegmund war nichts geschehen; ohne Schaden genommen zu haben, stieß er das Pferd mit dem Fuße empor und fing an zu lachen.

»'s ist noch nicht zu Ende!« rief Boroditsch vorlaufend, »so wahr Gott, lebt, 's ist Euch nichts geschenkt. Wir haben uns schon lange am Zug, Herr Siegmund, und auch für meinen Freund Tschaska gebührt Euch etwas.«

»Ha! bitte! bitte!« lachte Pientka auf, »ich stehe zu Diensten und wären eurer noch drei.«

Unterdessen wurde Severyn, der kein Wörtchen mehr fallen ließ und keinen Seufzer ausstieß, weggetragen. Das Blut rann ihm von der Seite herab, er suchte es bloß mit einem Tüchlein zu stillen.

»Nun also, 's ist nichts!« rief Rzesinski, die Wunde in der Eile untersuchend. Denn zu damaliger Zeit, wo so viele Wunden beschaut werden mußten, war jeder Schlachziz ein Wundarzt – »nichts! Zwar hat die Kugel ein bißchen Fleisch weggerissen; wenn erst das Blut gestillt ist, heilt die Geschichte in ein paar Wochen!«

Siegmund bestieg ein anderes Pferd, auf dem Dsiemba gesessen hatte.

Man wollte Tschaska weiter ins Dickicht tragen, um ihn auf dem Rasen bequemer ruhen zu lassen, allein er gab es nicht zu. »Nun will ich wenigstens zusehen!« rief er, »das dürft ihr mir nicht verweigern.«

Eben setzten jene den Fuß in den Steigbügel. Boroditsch, der ein gottesfürchtiger Mensch war, machte vor dem Pferde ein Kreuz, bekreuzte sich auch selbst, sprang in den Sattel und hob schon die Pistole. Siegmund pfiff sich noch eins.

Sei es nun von den Schüssen, sei es von dem allgemeinen Tumult, die Pferde waren nicht von der Stelle zu bringen; sie schnoben, warfen sich zur Seite und wollten nicht aufeinander losgehen. Boroditsch schlug dem seinigen die Sporen in die Weichen, das Tier sprang empor und war wieder an derselben Stelle, das Siegmunds schlug den Kopf zurück und weder Schlagen noch Reißen konnten es in Gang bringen. Während dieses Durcheinanders mit den Pferden schrie Tschaska voll Ungeduld dazwischen: »Laß die Zügel schießen! Reiße es nicht zurück!«

Boroditsch gehorchte und jetzt erst machte das Pferd, am ganzen Leibe zitternd, einen Sprung nach vorwärts. Auch Siegmund zwang das seinige, indem er ihm den Kopf emporriß, von der Stelle zu rücken; sofort waren auch die Pistolen aus den Halftern.

»Siegmund,« rief Boroditsch, »bete zu Gott; ich fühl's, daß deine letzte Stunde geschlagen hat.«

Bei dem letzten Worte, bevor noch der andere sein lautes Gelächter beendet, schoß Herr Gracyan los. Siegmund saß zu Pferde, doch gleich darauf fiel er nach hinten aufs Kreuz, streckte die Hände empor und glitt zu Boden herab, während das Pferd sich unter ihm losriß und im Galopp waldeinwärts rannte. In demselben Moment sprangen Dsiemba, Boroditsch selbst und Rzesinski zu Pientka heran, dem schon das Blut aus den Lippen quoll.

Die Kugel war durch die Lunge gedrungen, hatte sich irgendwo ins Kreuz hineingebohrt und blieb daselbst stecken. Die Wunde war tödlich. Dennoch atmete Pientka, rollte die Augen und riß ungeduldig an der Brust herum. Sein Anblick hatte jeglichen Zorn, der noch hier und dort im Herzen wallte, gesänftigt; alle traten sie vereint zu seiner Rettung herbei und zur Beratung, was man mit den zwei Verwundeten beginnen sollte.

»Um mich macht euch keine Sorgen,« sagte der Tafeldeckersohn, »mir macht meine Seite durchaus nicht bange, ich schleppe mich auf irgend eine Weise in die Stadt und krabbele mich schon wieder empor. Mit dem da steht's schlimmer, den heißt's rasch forttragen, damit ihn der Geistliche wenigstens zum Tode vorbereite.«

»Ich sagt' es ja!« versetzte Boroditsch händeringend, »ich fühlt' es ja, daß es mir bestimmt sein würde, ihn zu töten, und ich weiß auch, warum! Seinem Schicksal kann niemand entgehen. Es mußte so kommen!«

Dsiemba und Kornacki eilten in das nächste Försterhäuschen, um für Siegmund eine Trage oder eine Matratze zu beschaffen.

Die Zeit drängte; noch konnte Siegmund gerettet werden, doch bedurfte es dazu eines Arztes, der es verstand, die Wunde zu untersuchen, die Kugel herauszunehmen und das strömende Blut zu stillen. Einer der Troßknechte bestieg ein Pferd und jagte nach der Stadt, um einen Arzt herbeizuholen. Der Kranke war besinnungslos, von Zeit zu Zeit entfuhr seiner Brust ein gepreßtes Stöhnen, er knirschte mit den Zähnen und zerrte an seinen Kleidern, schnellte empor und fiel wieder kraftlos zurück.

Tschaska hatte sich unterdes mit allen Tüchern, die er nur auftreiben konnte, selbst umwunden, um das heftige Entströmen des Blutes hintanzuhalten.

Boroditsch war fortwährend um Siegmund beschäftigt, er stand bei ihm, betrachtete ihn, und die Thränen standen ihm in den Augen. So verfloß fast eine Stunde, ohne daß sich jemand aus der Stadt zeigte. Tschaska schleppte sich, einen der Diener zu seiner Unterstützung mit sich nehmend, langsam fort; die übrigen blieben bei Pientka. Diesem entfloß fast stromweise das Blut, der ganze Platz, wo er lag, Gras, Decke und Wäsche, waren davon überschwemmt. Schon ging's auf elf Uhr, als sich von der Stadt her Gerassel vernehmen ließ. Der Geistliche Brzeski, der Vikar des Königs, kam mit dem Arzte, dem Hofrat Schwarz, in einem Wagen gefahren.

Kaum ausgestiegen, eilte dieser zu Pientka, sah ihn an, erblickte das vergossene Blut und begann den Kopf zu schütteln. Man hob den Verwundeten auf und schnitt ihm der Eile halber die Kleider vom Leibe. Der Arzt tastete herum, betrachtete, sann nach, sprach jedoch kein Wort. Bandagen, einige Fläschchen und andere Ingredienzien hatte er bei sich in der Tasche. Während der Arzt die Kugel herauszog, öffnete Pientka die Augen, stöhnte auf, schwieg jedoch mit verkniffenen Lippen.

Boroditsch hätte den Arzt gerne befragt, allein Rat Schwarz sprach nur deutsch und schien zu einem Gespräche keineswegs gelaunt. Der Geistliche Brzeski kniete, den ersten passenden Augenblick benutzend, auf der anderen Seite des Kranken nieder und begann ihm leise ein Gebet ins Ohr zu flüstern, um fromme Gedanken in ihm zu wecken. Der Kranke öffnete langsam die Augenlider, er sah den Priester lange an, hob dann die Hand, um sich zu bekreuzen; doch vollendete er nicht das Kreuzeszeichen; die Augen schlossen sich wieder, die kraftlose Hand glitt hinunter. Doch hörte man den Atem in der Brust, und obwohl das Gesicht von einer leichenhaften Blässe bedeckt war, so lebte Siegmund doch noch. Der Priester Brzeski sah den Rat mit einem Blicke an, als fragte er um etwas – sie bedurften keiner Worte – Doktor Schwarz bedeutete mit Kopf, Augen und Achseln, daß er nichts Gewisses sagen konnte.

Es war also noch ein Fünkchen Hoffnung vorhanden.

Der Arzt legte ihn selbst auf der bereitgehaltenen Matratze zurecht, schrieb vor, welche Vorsicht die Leute, wenn sie ihn in die Stadt tragen, gebrauchen müßten, worauf der traurige Zug, nachdem er auf die breite Straße gelangt war, den geradesten Weg zur Residenz einschlug.

Die ganze Nacht ging Elsbeth im Zimmer auf und ab, betete, sann nach und trug sich mit Gefühlen herum, die in ihr mit Zorn, Reue und Schmerz über ein verlorenes Leben wechselten. Ihr klang in den Ohren die Herausforderung nach, die sie gehört hatte: sie wußte wohl, daß sie deren Folgen nicht werde abwenden können, und fürchtete sich, sie wußte selbst nicht, wovor.

Der treubrüchige Mann war ihr verhaßt, und sie hatte beschlossen, sich auf ewig von ihm zu trennen; und dennoch durchdrang sie der Gedanke, er konnte getötet werden, mit Schauder und Wehmut. Onkel Eligius wußte anfangs nichts von der Herausforderung; erst gegen Morgen ließ ihn Elsbeth zu sich bitten und berichtete ihm alles. Der Onkel sank vor Schrecken auf einen Stuhl. Er wußte nicht mehr, wohin er gehen, was er thun und wie er den Zweikampf verhindern könnte, der, nach der Wut der Gegner zu schließen, nicht ohne unglückliche Folgen ausfallen konnte.

»Heilige Mutter Gottes, nimm uns in deinen Schutz!« rief er aus. »Da haben wir's! Da haben wir's! Da hinein sind wir geraten! War das auch notwendig?«

Elsbeth schwieg.

»Onkel Eligius,« sagte sie nach einer Pause, »geh, ich bitte dich und bringe mir Nachricht – ich muß wissen, was geschehen – es ist schon nahe an acht Uhr.«

»Wohin soll ich denn gehen? Weiß ich denn die Fasanerie?«

»Nimm einen Wagen, einen Führer – was du willst! Nur gehe!« flehte Frau Siegmund.

Der Alte konnte dieser dringenden Bitte nicht widerstehen; er nahm betrübt seine Mütze und schlich zum Hause hinaus. Noch wußte er selbst nicht, wie er an den bestimmten Ort gelangen würde; er trieb sich verzweifelt in der Straße herum und betete mechanisch dazu.

Da weckte ihn Hufschlag aus seinem Sinnen. Einer der Troßknechte des Woiwoden, der nach dem Arzte und dem Priester geschickt war, sprengte eben an ihm vorbei.

»Halt!« rief Eligius, »was ist denn geschehen? Bist du mit Rzesinski bei der Fasanerie gewesen?«

»Ja, Herr.«

»Wie ist es gegangen?«

»Nun,« sagte der Bursche, »sie haben sich garstig zugerichtet. Der Herr, den Sie Tschaska nannten, ist in die Seite geschossen.«

»Stark?«

»'s wird ihm nichts geschehen. Was soll ihm auch geschehen?«

»Und weiter?« fragte Eligius.

»Weiter ist jener andere, wohl der Mann Eurer Gnädigen, jetzt weiß ich nicht, wie er heißt …«

»Pientka, was ist's mit Pientka?«

Der Bursche wackelte mit dem Kopf.

»Den hat die Kugel durch und durch gebohrt, bis sie ihm irgendwo im Kreuze stecken blieb. Wenn der davonkommt, kann er schon eine Messe lesen lassen.«

Eligius schlug die Hände zusammen und blieb regungslos stehen. Der Bote ritt indes seiner Wege. Eligius kehrte langsam nach Hause zurück, da es ja doch nicht mehr nötig war, die Fasanerie aufzusuchen. Er beeilte sich gar nicht so sehr, seiner Nichte die Unglücksbotschaft zu überbringen, er irrte deshalb am Ring und in den Seitengassen herum und trat durch den hinteren Eingang ins Haus, um erst den Woiwoden von dem Vorgefallenen in Kenntnis zu setzen. Aus den verzweifelten Mienen des Oheims erkannte der Woiwode, daß er ihm etwas Trauriges bringe.

Eligius erzählte erst leise, was er erfahren hatte und fügte dann hinzu: »Was ratet Ihr mir, gnädiger Herr? soll ich gehen und es ihr sagen?«

»Besser die ganze Wahrheit, als die Ungewißheit!« sagte der Woiwode: »um den Schurken, mit Erlaubnis, ist's nicht gar so schade.«

»Es war halt doch immer ihr Gatte,« flüsterte Eligius: »aber wenn Ihr sagt, großmächtiger Herr, daß man sie benachrichtigen müsse, so will ich es thun.«

So ging er denn endlich heim. Als Elsbeth den Eintretenden an der Schwelle bemerkte, stürzte sie ihm entgegen. »Sprich! sprich! was, was weißt du? Ist er tot?«

»Das nicht, aber es fehlt wahrscheinlich nicht viel dazu,« platzte Eligius heraus, ihr in das erblassende Antlitz sehend, »er ist durch und durch geschossen.«

»Wer hat ihn erschossen?« fragte Elsbeth.

»Ich glaube Boroditsch, denn Tschaska ist auch stark blessiert.«

»Wo sind sie?«

»Sie werden wohl in der Nähe dieser verdammten Fasanerie sein; es wurde nach dem Arzt und nach dem Geistlichen geschickt.«

Frau Pientka sprang auf und suchte Schleier und Mäntelchen.

»Wohin denn? Wohin?« rief der Oheim.

»Dorthin, wo jetzt mein Platz ist; dem Lebenden würde ich nicht mehr ins Auge schauen, bei dem Toten aber muß ich sein.«

Onkel Eligius war wie vom Donner gerührt.

»Wer vermag die Weiber zu ergründen?« meinte er achselzuckend, »gestern so, heute so. Warte doch, Herzchen«, sagte er zu Elsbeth. »Du weißt nicht, wohin du fahren sollst, in welcher Richtung? Was eilst du? Jetzt läuft er dir nicht mehr davon.«

Die Nichte gab ihm keine Antwort: mit fieberhafter Hast, beinahe besinnungslos, griff sie nach ihrem Schleier und Tüchlein.

»Pferde!« rief sie, »Pferde! Geh, Onkel, um Pferde und Wagen! Wenn du keine findest, laufe ich zu Fuß. Ich muß hin, bei ihm ist jetzt mein Platz.«

Tief bekümmert, ohne ein Wort weiter zu sprechen, ging Eligius hinaus.

»Jetzt Pferde!« brummte er. »Jetzt will sie Pferde! Wo soll ich die jetzt herbekommen?«

Der verzweifelten Lage des in der That unglücklichen Greises kam der Wirt des Hauses zu Hilfe, indem er ihm Pferde und Wagen zu verschaffen versprach. Die Pferde, mit denen sie hierhergereist waren, konnten nämlich nicht benutzt werden, da ein Teil derselben ohne Hufeisen war, eines sich unterwegs beschädigt hatte und der Rest unmöglich allein vor die schwere Wiege gespannt werden konnte. Das Versprechen des Wirts verwirklichte sich jedoch nicht so bald, es verging eine gute Stunde, bevor der Wagen vor der Thüre bereit stand. Elsbeth setzte sich schweigend hinein und befahl, den Weg zur Fasanerie einzuschlagen. Sie brauchten nicht lange zu fahren: als sie kaum die Stadt hinter sich hatten, begegneten sie Leuten, die langsam einen Verwundeten auf einer Trage schleppten. Neben ihm ging Boroditsch, der Arzt und der Priester Brzeski. Der Oheim, welcher zuerst den Zug erblickte, ließ sofort halten. Sie stiegen aus. Beim Anblicke Elsbeths zog sich Boroditsch rasch zurück. Sie trat an den Verwundeten heran, den die Leute auf den Boden niedersetzten, sah ihn an und erbleichte.

»Herr Dsiemba,« ließ sie sich leise vernehmen, »tragt ihn in meine Wohnung, versteht Ihr? Ohne Widerrede!«

Sie sah den Arzt an, dessen Mienen jedoch über den Zustand des Kranken nichts sagen wollten. Nun trat auch der Geistliche hinzu.

»Hochwürdiger Herr, was sagt der Arzt?« fragte sie leise.

»Er sagt, daß Gott zuweilen Wunder wirkt,« entgegnete der Vikar.

So leise auch Elsbeth flüsterte, der Kranke öffnete die Augen, sah im Kreise herum, lies; sie einen Augenblick auf der Gattin ruhen und schauerte zusammen, Er öffnete sie wieder, als traute er ihnen nicht, und schloß sie abermals, ohne mehr ein Zeichen von Bewegung zu geben, Die Leute hoben die Trage auf und schritten langsam der Stadt zu, Elsbeth wich nicht von ihrer Seite und ging tief verschleiert und schweigend den weiten Weg zum Einkehrhause zu Fuße mit.

Eine große Menschenmenge, die sich bei dem düsteren Anblick herandrängte, gab ihnen bis zum Thore das Geleite.

An dem Lager des Sterbenden änderten sich Empfindungen, Beziehungen, Pläne und Gedanken, alles! Das grollende Weib machte der Gattin Platz, die sich verpflichtet fühlte, bei dem Unglücklichen bis ans Ende auszuharren.

Das beste Bett wurde dem ohnmächtigen Siegmund abgetreten, Die Wunde, der Blutverlust, die Schmerzen hatten ihm die Besinnung benommen, so daß er wenig Lebenszeichen von sich gab; nur von Zeit zu Zeit öffnete er die Augen, welche die sie umgebenden Gegenstände nicht zu sehen und zu unterscheiden schienen, dann fielen die matten Lider wieder zu wie zum ewigen Schlafe, Sein Gesicht hatte bereits jenen bleichen, leichenhaften Ueberzug, den der Tod über den Menschen breitet, und doch glimmte in ihm noch ein winziges Lebensfünkchen und mit ihm das Fünkchen der Hoffnung,

Der Arzt schrieb alles vor, was beim Kranken beobachtet werden mußte, ließ zur Aushilfe einen tüchtigen Feldscher zurück und ging weg, nachdem er noch einen neugierigen Blick auf Elsbeths Antlitz geworfen, das jetzt in seiner Schönheit aussah wie ein antikes Medusenhaupt, Der Priester Brzeski blieb, auf den Augenblick wartend, wo so viel Kraft und Leben zurückgekehrt sein würden, um den scheidenden Wanderer zur letzten Reise mit tröstenden und aussöhnenden Worten versehen zu können. Elsbeth hatte sich zu Füßen des Kranken aufs Bett gesetzt und blieb daselbst, Onkel Eligius trippelte erstaunt und kleinlaut an der Schwelle der weiten Stube herum – er wagte nicht einzutreten und brummte, daß seine Nichte sich freiwillig die Sorge aufgehalst, die ihnen mit dem Leichnam bevorstand. Dsiemba saß an der Schwelle und weinte still vor sich hin.

Eine unheimliche Stille, die Vorbotin der letzten Augenblicke, herrschte in der Wohnung, deren Fenster vor dem eindringenden Lichte verhängt waren. Alle Augenblicke kam der Feldscher, um den kaum fühlbaren Puls des Verwundeten zu prüfen und sein Atmen zu hören, da er eine rasche Auflösung erwartete, die ihm unvermeidlich schien.

Trotzdem flackerte bis zur Nacht das Leben in ihm fort, und der Arzt, der herbeikam und ziemlich erstaunt Siegmund noch atmend fand, ließ, wiewohl er nur wenig Hoffnung hatte, daß es etwas nutzen könnte, die Wunde frisch verbinden und dem Kranken etwas Labendes einflößen. Auf diese Erquickung atmete der Kranke auf, öffnete die Lippen, richtete einigemal die Augen auf die Anwesenden und begann langsam einzuschlafen.

Doktor Schwarz setzte sich ans Bett und dachte mehr an das Phänomen einer so gewaltigen Lebenskraft, als an den Kranken selbst; es war ersichtlich, daß er es darauf absah, zu versuchen, ob es ihm nicht gelinge, den Verwundeten zu retten; er schickte nach neuen Arzneien und blieb länger, als er vorhatte, bei ihm sitzen. Inmitten der tiefen Stille wiederholte man die Arznei und wartete auf ihre Wirkung, und diese Wirkung war nur ein tiefer, ziemlich ruhiger Schlaf mit etwas stärkerem Pulsschlag und Atem.

So wurde die Nacht verbracht. Onkel Eligius, der die Sterbenden nicht liebte und vor den Toten sich sogar fürchtete, war schon ziemlich spät ein wenig ausgegangen, um sich an der frischen Luft zu erquicken. Nicht weit vom Thore traf er zu seiner Freude Tschaska und Boroditsch, wie auf der Lauer stehend. Er trat also zu ihnen und sie gingen zusammen in eine gegenüberliegende Weinstube. Jene wollten über Pientka und die Frau selbst etwas erfahren, und Eligius fühlte das Bedürfnis, sein Leid zu klagen. Tschaska konnte es, ungeachtet der schrecklichen Wunde, die man ihm verklebt und verbunden hatte, weder im Bette noch zu Hause aushalten. Ihn quälte eine Art Unruhe.

»Nun, wie geht es denn bei Euch?« fragte Boroditsch; »lebt er?«

»Denkt Euch, er lebt noch! und nun sitzt meine Nichte bei ihm und überwacht so eifrig jede seiner Bewegungen, als ob nichts zwischen ihnen vorgefallen wäre. Na! Da soll sich einer bei einem Weibe auskennen! Trotzdem ist ihm nicht mehr zu helfen, er kann jeden Augenblick sterben! Kaum daß noch ein winzig Restchen Leben in ihm glimmt. Eine Leiche im Hause! Brr! Das ist ein Vergnügen!«

Tschaska stöhnte auf und griff sich an die Seite. Der indessen in der ganzen Stadt lautgewordene Vorfall machte keinen geringen Eindruck; der König ließ sich ihn vom Woiwoden mit allen Einzelheiten erzählen und schickte abends an Frau Pientka seine Kondolenz, für die Onkel Eligius bezahlen mußte, da die Boten dieser Gattung nicht umsonst kommen. Auch im Theater erfuhr man vom Tode Siegmunds, denn alle waren überzeugt, es würde mit ihm heute nacht zu Ende gehen. Die Duparc schlug die Hände zusammen, schüttelte den Kopf und sprach ganz leise statt jedes Nekrologs: »Er hatte ja doch keinen Groschen mehr.« Trotzdem war ihr diesen Abend so bange zu Mute, daß sie lustige Gesellschaft aufsuchen mußte, um die düstere Melancholie zu bannen.

Bei Hofe bedauerte man es, daß die schöne Frau, deren der König einigemal freundlichst gedacht hatte, gewiß nicht so bald sich werde zeigen können. Trotzdem wurde die Abwesende leicht vergessen und eben hatte Frau de Watedorff, eine Freundin und Vertraute Seiner Majestät des Königs, eine neue Schönheit eingeführt, von welcher der König an diesem Abende ganz eingenommen war. Nur der Woiwode bewahrte seine schöne Nachbarin länger im Gedächtnis und seine Zwerge kamen jede Stunde gelaufen, um sich zu erkundigen, wie es bei Pientkas gehe.

Die ganze Nacht durch war das Befinden des Kranken gleichmäßig. Am Morgen zeigte sich wieder einige Besserung, aber die Schlafsucht dauerte fort.

Gegen Mittag schlug er die Augen auf, durch die fahlgewordene Haut schimmerte etwas Blut durch, die Lippen waren ein wenig gefärbter. Er wollte sprechen, allein Doktor Schwarz verbot die geringste Anstrengung und befahl ihm aufs strengste Stillschweigen. Die immerwährend beim Bette stehende Elsbeth sorgte für die Erfüllung der ärztlichen Anordnungen.

Onkel Eligius, der, um so rasch als möglich von der Leiche befreit zu werden, schon zeitlich früh einen Sarg bestellen wollte, ließ von seiner Eile nach, da er fürchtete, das unnütze Gerät könnte ihm auf seine Rechnung geschrieben werden.

Die zweite Nacht verging und steigerte die Wahrscheinlichkeit, daß man Siegmund, wenn auch nicht das Leben erhalten, so doch wenigstens seine Lebensfrist werde verlängern können. Mit jedem neuen Tage wuchs das Erstaunen aller und die Freude des Doktor Schwarz, welcher diese wunderbare Rettung sich allein zuschrieb. Während dieser ganzen Zeit verließ Elsbeth fast keinen Augenblick das Lager ihres Mannes, der sie erkannte und ungemein erstaunt schien, da man ihm aber jedes Fragen und Sprechen verbot, schweigend verharren mußte. Nur mit den Augen verfolgte er jede Bewegung und jeden Blick seiner Frau. Anfänglich bezeigte die erschütterte, gerührte und aufopfernde Elsbeth dem Kranken eine außerordentliche Sorgfalt, in dem Maße jedoch, als derselbe langsam zu Kräften zu kommen anfing, erkaltete sie zusehends, wenngleich sie ihn nicht verließ. Sie erfüllte ihre Pflicht, aber das war auch alles.

In Siegmunds Seele mußte eine merkwürdige Wiedergeburt und ein eigenartiger Wechsel der Empfindungen vor sich gehen, den nur die Augen verrieten. Er suchte Elsbeth damit ohne Groll, ja er wurde sogar, als wollte er sie um Verzeihung bitten, sanfter, eine geistige Gedrücktheit bemächtigte sich seiner und auf die verstohlenen Fragen Dsiembas, der, jede momentane Abwesenheit der Frau benutzend, einigemal zu ihm herbeisprang, wollte er gar keine Antwort geben. Zehn Tage verflossen über dieser schweigenden Pflege des langsam zu Kräften kommenden Kranken. Der Arzt legte ihm nicht mehr Schweigen auf und befahl bloß, ihn vor jeglicher Aufregung zu bewahren. Siegmund ließ sich in kurzen Worten gegen die Dienerschaft vernehmen, sprach jedoch niemals die Frau an, noch sie ihn.

Von Zeit zu Zeit kam Onkel Eligius, stellte sich dem Bette gegenüber, betrachtete Pientka und wackelte mit dem Kopfe. Es wurmte ihn doch, daß man den Wicht gerettet; auch war er dafür, ihn, sobald er nur einigermaßen gesünder geworden, mit Dsiemba nach seinem eigenen Quartier zu befördern. Er wagte nicht, sich darüber mit der Nichte offen auszusprechen; zwar versuchte er es einmal mit einer Anfrage, da sie jedoch schwieg, wollte er nicht weiter in sie dringen. Täglich kamen Boroditsch und Tschaska in die Weinstube, wo ihnen der Onkel, der sich vom Hause weggeschlichen hatte, vom Zustande des Kranken berichtete.

»Es ist zweifellos,« sagte Boroditsch an einem der letzten Tage der zweiten Woche, »daß Herr Siegmund aufkommen wird. Ist er bis heute nicht zu den Vätern hinüber gegangen, so geschieht ihm nichts mehr. Was hat die Gnädige dann mit ihm vor?«

»Weiß ich's denn? Verstehe ich's denn? Hat denn jemals ein Mann ein Frauenzimmer durchschaut?« sprach der Oheim. »Sie spricht auch kein Wort. Anfangs wartete sie sein mit der größten Fürsorge, jetzt schaut sie bloß nach. Ich weiß nur, daß er einmal versuchte, ihre Hand zu küssen, und daß sie ihm sie wegriß und davonging. Sie spricht nichts zu ihm und antwortet auf seine Fragen nur dann, wenn es unumgänglich nötig ist. Wer kann die durchschauen!«

»Glaubt Ihr nicht, daß sie ihm jetzt alles verzeihen wird?« fragte Boroditsch.

Der Oheim schüttelte verneinend den Kopf.

»Gut wär's,« sagte er, »wenn's einmal aus wäre, sei's nun auf diese oder jene Weise! Bei Gott! ich ließe auf meine eigenen Kosten eine heilige Messe lesen.«

»Auch ich,« seufzte Boroditsch.

Tschaska heilte noch an seiner eigensinnigen Wunde; da er jedoch nicht wußte, wozu er hier länger sitzen sollte, und in Furcht war, die Tafeldeckerin könnte sich seinetwegen beunruhigen, so begann er langsam an die Rückkehr zu denken. Der Woiwode, der schon einigemal die Pientkas besucht hatte, verlängerte, beharrlich genug, seinen Aufenthalt, vielleicht wegen der schönen Augen Elsbeths, nach denen er schmachtete.

Eines Tages, da Siegmund immer wohler zu werden anfing, im Bette bereits sitzen konnte und, obzwar bleich und abgezehrt, augenfällig zum Leben zurückkehrte, Elsbeth in einiger Entfernung in einem Buche las und außer ihnen beiden keine Seele im Zimmer war, kam es ihm vor, als könnte er mit ihr ein Gespräch anknüpfen.

»Ich darf ja doch sprechen?« fragte er.

Die Frau sah ihn an.

»Willst du etwas?« sagte sie nach einer langen Pause.

»Ich möchte – ich möchte ein Wörtchen sprechen.«

»Es ist besser, du enthältst dich dessen,« unterbrach Elsbeth, »der Arzt befahl, du sollst dich in acht nehmen.«

»Aber das kann doch nicht ewig dauern! Ich fühle mich stark genug. – Wie wird's denn weiter mit uns sein?«

»Mit uns?« fragte Elsbeth – »wieso mit uns? Denke nur an dich, ich werde an mich schon denken.«

»Elsbeth, die du mich im Sterben nicht verließest, willst du den Genesenden verlassen?«

»Nicht, solange du der Hilfe und Pflege bedürftig bist,« sagte Elsbeth gelassen.

»Nun – und dann?«

»Dann werden wir sehen,« versetzte sie leise; »das eine jedoch muß ich dir heute sagen, daß von einem Zusammenleben zwischen uns fortan keine Rede sein kann.«

»Warum nicht?«

»Darum, weil ich zwar Mitleid für dich fühle, Liebe jedoch und Achtung keine.«

»Für meinen Fehltritt bin ich doch schon genug bestraft worden,« erwiderte Siegmund, »und zweimal straft man niemand!«

»Es wird für dich keine Strafe sein,« unterbrach Elsbeth; »ich kehre zu den Eltern zurück – leben kann ich nicht mehr mit dir.«

»Welches Verbrechen habe ich denn begangen?«

»Schweigen wir lieber, für heute ist's ohnehin genug,« schloß Elsbeth; »ich antworte nicht mehr.«

Siegmund schob sich auf seine Polster zurück und schwieg, tags darauf jedoch begann er, einen günstigen Augenblick erhaschend, abermals: »Wird mir meine Elsbeth verzeihen?«

Es kam keine Antwort.

Als der Arzt einige Tage darauf die merkliche Besserung sah, gestattete er ihm, aufzustehen und ein wenig umherzugehen. Als er fort war, sagte Elsbeth: »Du kannst die Erlaubnis des Arztes benutzen, um wieder in deine Wohnung zurückzukehren.«

»Wie? Du jagst mich weg?«

»Ich reise ab.«

»Wohin denn?«

»Zu meinen Eltern.«

»Du bleibst also unerbittlich?« rief Siegmund.

»Du brauchst mich nicht zu bitten,« entgegnete Elsbeth; »wir sind einander fremd. Einmal verraten, habe ich den Glauben verloren und diesen gewinnt man nicht wieder. Mit uns beiden ist's aus.«

»Du jagst mich davon?« rief er. »Gut! Aber wie wirst du allein nach Hause zurückkehren? Wagen, Pferde und Leute sind mein Eigentum.«

Bei diesen Worten lachte er höhnisch.

»Das ist wahr,« versetzte Elsbeth schneidig; »allein die Aussteuer gehört mir. Die wird sich doch irgendwo finden lassen. Indessen kann ich auf ihre Rechnung Wagen und Pferde nehmen.«

»Gewiß,« sagte Siegmund, um sie nicht noch mehr zu reizen.

Er sann eine Weile nach.

»Also wann soll ich von hier wegziehen?«

»Je eher, je besser,« sagte Elsbeth.

»Morgen?«

Sie antwortete mit einem bloßen Kopfnicken und verließ das Zimmer.

Siegmund, den die Aufregung stark mitgenommen hatte, legte sich aufs Bett. Um sich künstlich zur Ruhe zu bringen, versuchte er ein Liedchen zu pfeifen, allein der Atem ging ihm aus und er fing zu husten an.

An diesem Tage zeigte sich Elsbeth nicht mehr. Tags darauf begann Siegmund, nachdem er Dsiemba zu sich beschieden, sich zur Abfahrt anzuschicken, in der festen Zuversicht, Elsbeth werde ihn noch im letzten Momente zurückhalten. Erst vom Oheim erfuhr er, daß Elsbeth für den ganzen Tag ausgefahren sei und vor Abend nicht zurückkehren werde. Grimmig machte er sich mit Dsiemba auf und verließ die Wohnung.

In Wahrheit war Siegmund mit Dsiemba weniger erzürnt, als verzweifelt und niedergeschlagen fortgegangen. Das Leben, das er früher geführt, war ihm nun zuwider; während der Krankheit hatte er stets eine Versöhnung mit Elsbeth gehofft und sich ein rechtschaffenes, ruhiges Dasein auf dem Lande vorgenommen: er war seiner Gattin dankbar für ihre Güte und Aufopferung in der Zeit der Gefahr, sein Herz schlug ihr wieder entgegen, wie einst in besseren Tagen, und er bereute seinen Leichtsinn. Es schien, als hätte auch sie verzeihen und vergessen wollen; manchmal hatte er mit halbgeschlossenen Augen Thränen auf ihren Wangen und eine tiefe Traurigkeit in ihren Zügen wahrgenommen. Er war fast gewiß, daß alles vergessen sein werde. Jetzt – hinausgetrieben und verschmäht – wußte er nicht, woran er sich klammern sollte. Als er den ersten Tag, gestützt auf Dsiembas Arm, in der Nähe des Zwingers spazieren ging, bot sich seinen Augen zwischen den Bäumen oberhalb des Teiches der Anblick einer lustigen Gesellschaft dar, zu der er noch unlängst gehörte. Obwohl ihm bei der Erinnerung des einstigen Taumels das Herz höher schlug, empfand er doch eine gewisse Verachtung für diese wie berauscht und übernächtig aussehenden Menschen: zum erstenmal sah er klar, daß die eine Hälfte derselben lebenstrunken war, und die andere, nüchterne, sich taumelnd stellte, um die innere Leerheit und Kümmernis zu übertäuben oder von der tollen Lustigkeit jener Vorteil zu ziehen. Mitten unter ihnen ging die aufgeputzte Duparc, die ihm seiner Zeit schön erschien und gethan hatte, als wäre sie in ihn verliebt, am Arme des jungen Flemming: sie lachte mit einer seelenlosen, trockenen Stimme, aus der die Falschheit heraustönte. Zum erstenmal im Leben kam sie ihm bei Tage fratzenhaft häßlich vor. Alles an ihr war, wie jenes Lachen, Falschheit und Verstellung.

Von weitem schon hatte die Duparc Siegmund erblickt und als sie ihn erkannte, wollte sie sogar umkehren, um ihm nicht zu begegnen; allein das Manöver war auf dem schmalen Wege nicht auszuführen. So mußte sie ihm denn entgegenschreiten. Bleich, vernichtet und geschwächt, wie er heute war, glich Siegmund keineswegs mehr jenem feurigen jungen Manne, der einst mit seinen tollen Streichen alle in Erstaunen setzte. Einige Personen aus der Gesellschaft der Balletttänzerin beschleunigten ihre Schritte, um den gewissermaßen vom Tode Auferstandenen zu begrüßen. Die Duparc blickte mit einer Art kalter Neugier nach ihm hin. Sie fürchtete, er könnte so zudringlich sein, sich ihr wieder zu nähern und ihr den jungen Flemming verscheuchen. Sie wußte ja, daß sein Reichtum dahin sei.

Als sie so aufeinander zukamen, blieb die Duparc stehen.

»Ah!« sagte sie, Erstaunen heuchelnd, »Ihr seid also nicht tot! Und wir läuteten bereits die Kelche und tanzten für Euch das Requiem und sangen ›Gute Nacht‹. Welche Ueberraschung!«

Sie sah ihn an. »Ihr seid vorzeitig aufgestanden. Ihr seht noch aus wie ein Todeskandidat. Leute wie wir, können mit Euch nichts anfangen. Ins Bett mich Euch, ins Bett!«

In Siegmund kochte es auf. »Ich fühle es selbst, daß ich heute für Euch nicht mehr tauge,« sagte er, »auch Ihr für mich nicht, Duparc; Ihr übt auf mich eine anekelnde Wirkung aus.«

Damit kehrte er ihr den Rücken und schritt, auf Dsiemba gestützt, weiter. Die Französin wandte sich nach ihm um und rief ihm mit geballter Faust ein: » L'impertinent« zu. Pientka hatte seinen Gedanken nämlich in weit kräftigerer Weise, als wir es thaten, Ausdruck gegeben.

Dies war auch die letzte Begegnung Siegmunds mit dem Weibe, in das er so rasend verliebt gewesen, dem er sein Glück, seine Ehre und seinen Frieden geopfert hatte. Um so öder erschien ihm jetzt die ganze Welt. »Wäre ich ein bißchen stärker,« sagte er zu Dsiemba, »ich wollte sofort nach Hause fahren, hier habe ich nichts mehr zu schaffen.«

Aber abgesehen davon, daß er erst völlig genesen mußte, war Siegmund gezwungen, an die Bezahlung seiner Schulden zu denken, um die Stadt verlassen zu dürfen. Dafür wußte er beinahe keinen Rat. Auf sein Stübchen zurückgekehrt, schickte er gleich nach Onkel Eligius.

Der Onkel, den Dsiemba einlud, hatte keine große Lust dahinzugehen; er begab sich zu seiner Nichte, um sie zu fragen, ob er der Einladung folgen sollte. Elsbeth meinte: »Geh nur hin, Onkel, fressen wird er dich ja nicht.«

Der gehorsame Alte folgte Dsiemba. Er fand Siegmund in einer finsteren Behausung auf einem schmalen Federbett im Schlaf dahingestreckt. Erwachend, sah er den Onkel an, der sich auf einen hölzernen Schemel gesetzt hatte.

»Was wünscht Ihr von mir?« fragte dieser.

»Ihr reist ja nach – Wulka?« sagte Siegmund. »Die Gnädige hat mir's gesagt. – Reist nur zu, mich kümmert's ja nicht mehr, wie sie sagt, dennoch möchte auch ich gerne nach Hause zurück und kann nicht.«

»Und warum denn nicht?«

»Hab' keinen Groschen Geld und Schulden in Menge. Onkelchen! – ach verzeiht, wenn ich Euch so nenne – Jugend hat keine Tugend! Man tollte eben herum; nun heißt es für die Dummheiten bezahlen, teuer! teuer! Denn man zahlte auch mit Blut. Die Sachsen bringen mich um, wenn ich kein Geld kriege.«

»Und kriegt Ihr etwas,« erkühnte sich Eligius zu erwidern, »dann geht Ihr wieder zu jenen Teufelinnen und verjuckt es?«

»Hm! Möglich!« sagte Siegmund, »denn seht Ihr, Onkel, auf der Welt ist's so langweilig, daß Ihr Euch darob bei Gott nicht verwundern solltet. – Nun?«

»Nun?« wiederholte der Oheim.

»Wie ist Euer Rat?« fragte Pientka, »soll ich mich denn schließlich hier in der Friedrichsstadt mit einem Stein unterm Kopf zum ewigen Schlafe hinlegen, Ex-Oheim Eligius?«

»Herr Ex-Neffe, ich weiß es nicht; doch was wolltet Ihr von mir?«

»Vor allem ist es doch notwendig, daß mich jemand aus dieser nicht babylonischen, sondern sächsischen Gefangenschaft erlöse. Ich habe Schulden in Krakau, habe Schulden hier, habe sie überall, denn auch auf dem Lande zu Hause dürften sich welche finden, 's ist ein ganz anständiges Sümmchen.«

»Je nun, ich besitze keinen löcherigen Heller,« ließ sich der Oheim vernehmen; »und wenn ich ihn auch besäße, so würd' ich ihn Euch nicht geben.«

»Das weiß ich,« schloß Siegmund, »dennoch ist's nicht mein Wunsch, hier Hungers zu sterben. Die Gnädige mag mich nicht?«

»Nein.«

»Nach Hause zurückzukehren, ist nicht der Mühe wert. Hört denn, Ex-Onkel Eligius, Euer alter Bruder hat Geld, Ihr wißt es ja.«

»Und wenn er welches hätte?«

»Er kaufe sich doch das Dörfchen, ich gebe es her, so hoch Ihr es bewertet. Ihr habt dort ein paar ehrliche Leute, Boroditsch, Mioduschewski und meinen gewesenen Schwiegervater. Aber halt! ist Boroditsch hier?« fragte er plötzlich.

»Ja, warum?«

»So – das ist mir lieb, denn Ihr seid ein etwas langweiliger Faselhans, Ex-Onkel.«

»Eh! eh!« fuhr Eligius auf, »was soll denn das wieder?«

»Bleibt ruhig sitzen und hört. Schätzt das Dörfchen ab, bezahlt die Schulden und gebt mir den Rest bar in die Hand.«

Eligius sah ihn verwundert an.

»Dort hat ja Euer Vater und Eure Mutter gelebt?«

»Meinetwegen auch der Großvater!« sagte Siegmund. »Kauft Euch das Dörfchen und gehabt Euch wohl.«

»Und was werdet Ihr beginnen?«

»Ich?« lachte Siegmund ironisch, sich im Bette herumwendend – »ich? Ich, exgeliebter Onkel, habe tausend Wege vor mir. Erstens auf den Friedhof in der Friedrichsstadt, dann kann ich ins Ballett Seiner Majestät des Königs eintreten, habe ich doch ein Dorf und eine Frau vertanzt! he? Drittens nimmt mich der preußische König zum Militär, des Wuchses wegen, viertens kann ich Sänften tragen und mich kanariengelb kleiden, was mir sehr zu Gesicht stehen würde, fünftens –«

»Eh! eh!« unterbrach der Ohm, »Ihr scherzt wohl?«

»Nein, nein, alles das ist möglich; schließlich – was geht's Euch an, was Pientka mit sich anfängt – Ihr nehmt Euch das Dörfchen, die Gnädige heiratet einen ihrer Anbeter und damit gut!«

Der Oheim, der sich durch diese Scherze beleidigt fühlte, stand auf, seine Mütze unter den Arm knütternd.

»Weshalb habt Ihr mich denn hierher rufen lassen?« fragte er.

»Damit Ihr mich loskauft und Euch das Dörfchen nehmt. Ihr könnt es ja schließlich weiter verkaufen, an wen Ihr wollt! Ich,« fuhr er fort, »werde schon, wenn mich die Schwarzen nicht von hier davontragen, irgend einen Winkel und Beschäftigung finden. Nun ade, Ex-Onkel!« Damit drehte er sich im Bette mit dem Rücken nach Eligius um, was einen nicht sehr artigen Abschiedsgruß bildete. Eligius sah auf, zuckte die Achseln und ging, die Thüre hinter sich zuschlagend, weg.

Schon stieg er die engen Stufen hinab, als Dsiemba hinter ihm hergelaufen kam, um ihn noch einmal zu seinem Herrn hinaufzubitten; der Onkel trat brummend ein.

Siegmund lag auf dem Bette wie vorhin und hatte nur den Kopf zur Stube gekehrt.

»Mein lieber Ex-Onkel,« ließ er sich mit sanfterer Stimme vernehmen, »wenn Ihr mich liebt, woran ich nicht zweifle, so schickt mir Boroditsch her, sagt ihm, er sei es mir schuldig. Auf der ganzen Welt ist's Brauch, daß, wenn einer den andern so in die Brust schießt, er ihn dann zu beglückwünschen kommt, daß er sich so herausgekrabbelt. Saget ihm, ich ließe ihn darum bitten.«

Eligius nickte bloß mit dem Kopf, ging zu Elsbeth und teilte ihr den Inhalt seiner Unterredung mit Siegmund mit.

Elsbeth wurde nachdenklich. »Schicke ihm den Boroditsch und sage demselben, daß er dann auch zu mir komme.«

Boroditsch war an diesem Tage nicht zu finden; am folgenden sagte ihm Onkel Eligius, was man von ihm wolle und daß Elsbeth ihn zu sich bitte. Der beglückte Gracyan machte sich sofort auf und eilte zum »Trompeter«, um so bald als möglich seine Königin zu sehen.

Er fand Siegmund blaß und abgezehrt bei einer Schüssel schlechter Nahrung, die er mit dem Löffel herumrührte, ohne sie in den Mund nehmen zu können. Der etwas weniger wählerische Dsiemba aß mit ihm aus einer Schüssel. Besseres zu kaufen, war man nicht imstande und mußte sich noch glücklich schätzen, wenn einem selbst diese Kost kreditiert wurde.

Als Boroditsch eintrat, reichte ihm Pientka, ohne sich zu erheben, die Hand, die jener schweigend in der seinigen drückte.

»Schaut nur, lieber Gracyan,« sagte er, »was für Essen diese bestialischen Wirte den Menschen vorsetzen, unter dem Vorwande, auf Kredit kein besseres geben zu können. Bei mir zu Hause füttert man Schweine mit besserer Kost! Nicht zum Beißen! Je nun, was thun! Nach dem Fasching folgt das Fasten.« Dabei wandte er sich nach ihm um. »Ihr habt mich mit Eurer Kugel erbarmungslos durchbohrt,« sprach er weiter, »noch fühle ich's, wie sie mich durchfuhr, trotzdem war's immer noch eine Freundeshand, denn sie ließ mir wenigstens ein Restchen Leben. Aber Scherz beiseite,« fuhr er fort, sich nun völlig zu Boroditsch wendend; »vor Euch habe ich kein Geheimnis, wiewohl Ihr meine Frau weit mehr liebt als mich. Was thun? Auch ich war Euch ein guter Freund und bin es noch.«

Sie reichten sich die Hände.

»Was wollt Ihr von mir?« fragte Boroditsch.

»Ich bat Eligius, aber das ist ja ein Faselhans,« ließ sich Siegmund vernehmen, »ein Mensch, der in Rührung zerfließt, unzählige Vaterunser betet, dem aber das Herz in die Hosen fällt, wenn er wirklich etwas thun soll. Ich habe Schulden – viel Schulden. Meine Gesponsin will mit mir nicht leben und ich muß ihr nun die Mitgift zurückerstatten, und hier schnüren mir die Gläubiger die Kehle zusammen. Ich muß mich frei machen und darum mein Dörfchen verkaufen. Kaufe es, wer will, mir ist's gleichgültig. So oder so, verkauft mir das Dörfchen und schickt mir das Geld, wenn Ihr Gott liebt! Ich sterbe hier vor Hunger.«

»Herr Gott! Steht es mit Euch so schlimm?« rief Boroditsch, unter seinen Gürtel greifend und eine Geldkatze hervorziehend. »Wohlan! Hier habt Ihr, so viel Ihr wollt. Ihr sollt nicht Hungers sterben.«

Siegmund traten die Thränen in die Augen.

»Gott lohn' es Euch! Doch habt Ihr auch selbst genug, um nach Hause zurückzukehren?«

»Genug, genug!« rief Boroditsch, »gebt den Hunden diesen Fraß da zurück, laßt Euch etwas Anständiges bringen und die Grillen werden davonfliegen! He, Dsiemba!«

»Halt, Vorsicht!« sprach Siegmund, »wenn's die Dresdener erfahren, daß ich noch einen Heller besitze, so pressen sie mir ihn aus und ich muß wieder bei solcher Kost bleiben. Aber um Gottes Barmherzigkeit willen, Boroditsch, verkauft das Dörfchen, damit ich meine Schulden bezahlen und etwas mit mir anfangen kann. Die Gnädige will nicht mehr mit mir leben, und ich selbst könnte es auch nicht mehr dort, wo ich mit ihr zusammen gehaust. Ich will es nicht! Ich gehe in die weite Welt! Zum Henker mit dem Dörfchen!«

»Lieber Pientka! fasset Mut und verzweifelt nicht! Weiß Gott, Euch hat nicht meine Kugel und dieser ganze erbärmliche Handel so weit gebracht, sondern die Verzweiflung. Es ziemt sich nicht, daß der Mensch die Hoffnung verliere, solange er lebt.«

»Was für eine Hoffnung?« lachte Siegmund. »Heute wäre mir ein gut Stück saftiges Fleisch lieber, als die Hoffnung; was schwatzt Ihr davon?«

Gesenkten Hauptes, tiefbetrübt, hörte ihn Boroditsch an.

»Ja, so geschehe es,« sagte Siegmund, »verkauft mir das Dörfchen und ich will sagen, daß Ihr mir ein Freund gewesen. Ich vertraue Euch wie einem Bruder, werde Euch die Vollmacht, die Ihr zum Verkaufe braucht, in Gegenwart eines sächsischen Haarzopfes oder einer Perücke ausstellen. Schlagt es los, um welchen Preis und an wen Ihr wollt. Ich bezahle meine Schulden und – –«

Finster vor sich hinbrütend, blieb er in der Mitte der Stube stehen. »Das übrige ist dann bald entschieden,« setzte er hinzu.

»Wie hoch belaufen sich denn Eure Schulden?« fragte Boroditsch.

»Bah! wenn ich das wüßte!« sagte Siegmund. »Der größere Teil davon wurde im Rausch gemacht und Ausgaben eintragen, Rechnungen machen – davor hat mich Gott im Himmel bewahrt. Das habe ich mein Lebtag nicht in Gewohnheit gehabt.«

»Aber gleichwohl –«

»Gleichwohl? – Hör' mal, Dsiemba? Als du hier ankamst, gab's da schon Schulden?«

»Ich glaube nein, denn da hattet Ihr noch Geld genug,« ließ sich Dsiemba aus dem Winkel vernehmen.

»Ah bah! Geliehenes Geld! Und was ist seit der Zeit deiner Ankunft dazugewachsen? Hast du's nicht gezählt?«

Dsiemba zuckte die Achseln. »Hab's nicht gezählt; als ich hier beim »Trompeter« einstand, benagten die Pferde ihre Krippen und der Knecht weinte vor Hunger. Dann aber hattet Ihr wieder Geld, Herr, und später lieht Ihr Euch immer welches dazu. Mir steht's nicht zu, Eure Ausgaben zu überwachen.«

»Dann weiß es nur der liebe Himmel, wieviel Schulden ich habe,« sagte Siegmund, »und es bleibt mir nichts übrig, als, wenn das Geld kommt, austrommeln zu lassen, daß sich jedermann melde, der eine Quittung von mir besitzt.«

»Ihr kehrt aber auch alles ins Scherzhafte,« begann Boroditsch, »und hier gilt's ein ernstes Wort. Vielleicht können wir die Schulden bezahlen, dann nehme ich Euch mit mir und Ihr könnt selbst an Ort und Stelle Eure Verfügungen treffen.«

»Nach Hause fahre ich nicht, jenen Ort betritt mein Fuß nicht wieder,« rief Siegmund. »Nennt's eine Dummheit, wenn Ihr wollt, aber ich kann meine Heimat nicht mehr sehen, ich hätte nicht die Kraft dazu, unter jenem Dache zu schlafen, – nein, nein! fahrt nur hin und thut, was Ihr für gut findet.«

Fortwährend umhergehend und von Zeit zu Zeit Blut hustend, näherte sich Pientka dem Winkel, wo Dsiemba stand, küßte ihn auf die Stirne, nahm ihn beim Ohr und warf ihn, die Thüre öffnend, hinter die Schwelle. Darauf kehrte er wieder zu Boroditsch zurück.

»Hört mich an, Gracyan, thut mir noch eine Gnade, die größte, ich schenke Euch alles andere dafür! Mir lastet ein Stein auf der Brust, befreit mich davon.«

Er küßte ihn auf beide Wangen.

»Gracyan, Ihr könnt mir eine große Wohlthat erweisen.«

»Nun, so sagt's doch heraus, sagt es doch!« rief Boroditsch ungeduldig.

»Ich schäme mich und doch muß ich's beichten,« dabei schlug er sich auf die Brust. »Ei was! Ihr seid ein braver Mensch, der eher weint als verdammt. Ich handelte gemein, als ich von Hause fortlief. Hört mich gut an. Wie berauscht von der Leidenschaft flog ich hinter dieser französischen Hexe her, die mich heute anekelt. Was wollt Ihr! Sie haben mir einen Trank gegeben – ich war wahnsinnig geworden. Genug, ich nahm für sie mit, was ich nur konnte, Geld, Kleinodien. – Hört nur! in meinem Tollwahn stahl ich meiner Frau sogar eine alte Granatkette, die vielleicht nicht so wertvoll, aber ein teures Andenken ist! Ich habe damit eine That verübt, die mir auf dem Gewissen brennt. Ich habe sie jener Hexe gegeben. Die Kette muß ich nun loskaufen, um welchen Preis es auch sei! Sie soll ausgeräuchert, gereinigt, geweiht, und meiner Frau zurückgegeben werden.«

»Aber wie kriegen wir sie?« rief Boroditsch händeringend. »Ich bin ein einfacher Mensch, ich kann das nicht. Auch werde ich keinen Einlaß finden bei diesem Weibe, das ich fürchte und verabscheue.«

»Das ist wahr! Hm! Wenn ich ihr auf der Straße begegnete, ich würde ihr die Kette herabreißen. Aber ich habe sie ihr geschenkt! es ziemt sich nicht recht, und doch wird nichts anderes übrig bleiben. Ich kann sterben und will die Schuld nicht auf dem Gewissen haben. Boroditsch, rettet, helft! ich beschwöre Euch! Ich muß die Kette wieder haben, schafft mir sie.«

»Es ist umsonst,« entgegnete Gracyan finster, »ich bringe das nicht fertig. Was ich vermag, dazu bin ich gern mit allen Opfern bereit – aber eine solche Angelegenheit, lieber Siegmund, wie könnt Ihr mich nur zu so etwas verwenden wollen?«

»Ihr habt recht; Ihr seid ein rechtschaffener Mensch, Ihr würdet Euch in dem Schlamm nicht zurechtfinden,« seufzte Siegmund. »Lassen wir's gehen.«

Mit diesen Worten nahm er Boroditschs Geldkatze, die auf dem Tische lag, in die Hand. »Wieviel ist drin?« fragte er.

»Es waren hundertfünfzig Goldgulden, etwas wurde davon verzehrt, wieviel, weiß ich nicht.«

»Zählt's nach,« sprach Siegmund.

Sie fingen an, das Geld zu überzählen.

»Hundertdreißig sind geblieben – soll ich Euch eine Quittung geben?« fragte Pientka.

»Wenn Ihr mich beleidigen wollt,« versetzte Boroditsch.

Sie umarmten einander.

»Von der Granatkette sagt niemand etwas,« rief Siegmund finster aus, »ich werde sie selbst wiederzuerlangen suchen.«

»Wie denn?«

»Das ist meine Sache.«

So beratschlagten sie noch eine Stunde lang, erst um die Abenddämmerung ging Gracyan, mit dem Versprechen, tags darauf wiederzukommen, weg und eilte mit dem Rapport zu Frau Pientka. Dieses Gespräch hatte ihm das Herz recht schwer gemacht.

Elsbeth empfing ihn wie immer ernst und kühl.

Boroditsch, der sich an ihren Augen und ihrem Gesichte nicht satt schauen konnte, benutzte die Gelegenheit, um sich des langen und breiten auszulassen und auszusprechen, der Kette jedoch wagte er keinerlei Erwähnung zu thun. Dies eine verheimlichte er, weil er sich selbst für Pientka schämte und ihn nicht noch schuldbeladener erscheinen lassen wollte.

»Er will demnach sein Dörfchen um jeden Preis verkaufen,« schloß Gracyan, »und ist bereit, mir die dazu nötige Vollmacht zu geben.«

»Dann nehmt sie an, Herr,« rief Elsbeth, »'s ist besser, es hat sie ein ehrlicher Mensch, als daß sie dann einem in die Hände fiele, der ihn hinterginge. Macht Euch auf die Reise, Herr Boroditsch. Wir wollen morgen das nämliche thun.«

Elsbeth seufzte tief auf.

»Wer weiß?« murmelte Gracyan schüchtern, »die Herrschaften können sich noch miteinander versöhnen, also wozu die Vollmacht?«

Elsbeth wandte sich gegen ihn.

»Dann kennt Ihr mich nicht, Herr,« sagte sie. »Siegmund hat mich verraten, verzeihen kann ich nicht. Er hat mich, die ihn liebte, die ihm vertraute, einem so gemeinen Weibe aufgeopfert – o niemals! Die Liebe kehrt nicht zurück in ein Herz, aus welchem sie unter Thränen entflohen.«

»Aber er – er ist sehr unglücklich!« wagte Boroditsch leise einzuwerfen.

»Auch ich bin es,« entgegnete Elsbeth.

Nachdem er noch einen Augenblick verweilt und sich mehrmals vergebens bestrebt hatte, ein minder trauriges Gespräch anzubahnen, zog er sich zurück, traurig um seinet- und um Siegmunds willen.

Der Oheim begleitete ihn bis auf die Straße.

»Ich sagte es Euch ja! Ein Mannweib! – Gute Nacht!« Gracyan schlug den Heimweg ein.

Es dunkelte bereits stark, als Boroditsch den »Trompeter« verlassen. Als der zur Thüre hinausgeschaffte Dsiemba den Abgehenden bemerkte, kehrte er sofort zu seinem Herrn zurück. Er traf ihn, wie er gerade in einem Felleisen nach Kleidern herumwühlte.

»Rasch, Dsiemba, hol mir den Barbier, daß er mir den Bart schere! Füße in die Höhe! rasch!«

Dsiemba zögerte einen Moment.

»Ei, Herr,« sagte er, »Ihr seid leidend, werft Blut aus –«

»Was geht's dich an, was ich auswerfe!« fuhr Siegmund heftig auf, »fort nach dem Barbier – sogleich! – kein Wort! Verstanden?«

Dsiemba lief hinaus. Unterdessen zog Pientka seinen besten Anzug aus dem Felleisen und bereitete alles zum Ankleiden vor.

Der Barbier, welcher unten seine Barbierstube hatte, eilte mit Seifenschüssel, Handtuch und Wasser herbei. Es wurde eine Kerze angezündet, die Dsiemba zu halten hatte. Siegmund schwieg verdüstert. Kaum vom Barbier befreit, sprang er auf, um sich anzukleiden. Dsiemba half ihm dabei unter fortwährendem Seufzen.

»Ei! Herr! mein lieber Herr!« sagte er zuletzt, »'s ist Euch nur wenig Leben verblieben, der Husten verschlimmert sich immer mehr, wie kann man dabei an Jux und Unterhaltung denken? Die Brust verblutet sich noch ärger und der Arzt sagte –«

»Geh zum Teufel samt deinem Arzt!« schrie Pientka gewaltsam auf, Boroditschs Geldbeutel in die Tasche steckend. »Wenn du nicht schweigst –«

Dsiemba machte bloß eine Handbewegung.

»Du bist ein Feigling. Denkst du noch daran, wie du mir dort unter Boroditschs Fäusten entwischtest, anstatt ihn bei den Füßen zu packen und ihn niederzuwerfen?«

»Ich trage noch die Spuren von seinen Säbelhieben.«

»Du bist ein Feigling, sage ich dir, der auch mich mit seinem Hasenherzen anstecken möchte – genug! Schweig und folg mir auf dem Fuße nach!«

Obgleich ihm die Füße ein wenig schwankten, warf Pientka sein Mäntelchen um und sie traten hinaus. Schweigend erreichten sie den alten Ring. Es war schon finster und spät, denn das Ankleiden hatte sich ziemlich lange hingezogen. Pientka schlug den Weg nach dem Hause ein, das die Duparc bewohnte und wohin Dsiemba zum erstenmal gelockt worden war. Er blickte nach den Fenstern, und da er den Hausgebrauch vortrefflich kannte und die Tänzerin an diesem Abende im Theater nicht aufzutreten hatte, so schloß er daraus, daß sie zu Hause und keine große Gesellschaft bei ihr sein müßte, denn nur wenige Fenster waren beleuchtet.

Von früheren Zeiten her war ihm das Zeichen erinnerlich, mit dem man an die verschlossene Thüre klopfen mußte, um eingelassen zu werden. Nur die Eingeweihten besaßen die Kenntnis dieses Sesams. Er klopfte dreimal rasch, das vierte Mal etwas langsamer an das Thor. Nach einer Weile wurde dasselbe geöffnet.

»Du, Dsiemba, du stehst beim Hausthor Wache, bis ich herauskomme,« flüsterte er ihm zu, »aber schlafe ja nicht!«

Mit so raschem Schritt, als es seine Schwäche gestattete, stieg Siegmund die Treppen empor, öffnete die Thüre des Saales, in dem einige Lichter brannten, ohne daß sich eine Seele darin befand. Links vom Kabinett her schlugen Stimmen an sein Ohr. Auf das Geräusch der sich öffnenden Thüren erschien das etwas erschrockene und bleiche Gesicht des Fräuleins Duparc; sie erschrak noch heftiger und hielt sich mit beiden Händen an der Thüre fest, als sie Pientka erblickte, der von der Krankheit und vor innerer Aufregung wie eine Leiche aussah. Nur die Augen glühten in dem weißen Gesicht in fieberischem Feuer.

Die Duparc wußte nicht, was sie anfangen sollte; erst wandte sie sich nach dem Kabinett zurück, dessen Thüren sie zuschlagen wollte, lief dann aber zornig und mit empörter Miene ins erste Zimmer hinaus.

»Ist es erhört, sich so einzuschleichen!« rief sie. »Wir haben uns doch ein für allemal verabschiedet, mein Herr!«

Siegmund raffte sich mit großer Anstrengung zu einem Lächeln auf; die Hand in der Tasche, klimperte er mit dem Gelde, das er darin hatte.

»Meine teure Duparc!« sagte er flehend, »verzeiht mir! Meine Lage hat sich geändert. Gestern hat sich ein Paktolus in meine Taschen ergossen und mit wem soll ich ihn denn teilen, wenn nicht mit dir! Ohne dich gibt es keine Unterhaltung! ohne dich keine Freude, kein Leben!«

Die Französin betrachtete ihn einigermaßen mißtrauisch. Er klimperte fortwährend mit dem Gelde, nahm eine Handvoll heraus und hielt es gegen das Licht.

»Ah! Alles sei vergessen und vergeben!« rief er aus. »Wir wollen Freunde sein, wie ehedem. – Wen hast du denn dort im Kabinett! Ich bin nicht eifersüchtig.« Er zuckte die Achseln. »Ganz und gar nicht eifersüchtig. Wenn ich nur wieder dein lustiges Geplauder hören kann. Wer ist denn drin?«

Die Duparc verstand es, sich rasch und geschickt zu besänftigen.

»Ah, dieser zudringliche Gelbschnabel,« flüsterte sie ganz leise, »dieser Flemming.«

»Der geniert mich nicht. Wir essen zu drei unser Abendbrot. Es muß doch auch eine von den Deinen kommen, Fanchonette?«

Die Französin zögerte. Siegmund reichte ihr die Hand.

»Ohne Groll,« rief er, »wir sind ja alte Freunde!«

»Dieser Gelbschnabel ist so eifersüchtig,« begann die Duparc leise, indem sie mit den Achseln zuckte und ihn zur Thüre geleitete. »Thu so, als ob du dich wieder entferntest, ich bitte dich darum. Du kennst ja die Thüre zum Kabinett? Ruhe dort aus, in einer Stunde sind wir allein und ungestört; es kommen höchstens Fifine und Laroche. Wir soupieren zusammen, doch erst muß ich den Jungen dort fortschaffen.«

Siegmund begann sich gleichsam zu verabschieden und die Französin ihn laut und ungeduldig abzufertigen. Schließlich ging er hinaus, die Thüre hinter sich verschließend und schlich sich seitab in das ihm bekannte Kabinett. Eine einzige Alabasterlampe beleuchtete diesen ganz mit Atlas ausgeschlagenen und längs den Wänden mit Diwans eingefaßten Winkel. Siegmund warf sich hin und streckte sich ohne Umstände aus, da er das Bedürfnis nach Ruhe verspürte.

Ungefähr eine halbe Stunde darauf trat Fifine auf den Fußspitzen ein. Es war dies eine von den Kolleginnen der Duparc: an Reizen, Kunst und Namen viel tiefer unter ihr stehend, ein Wesen, das sich nach seinem Heimatsdörfchen sehnte, nachdem es in dies Leben gezerrt war, welches bald jubelnden Taumel, bald Kummer und Qual in sich faßte. Unter dieser unscheinbaren Gestalt, der es an Reiz und Geschicklichkeit fehlte, barg sich etwas Mitleidswürdiges und Gutes. Siegmund sprang empor. Fifine erschrak, doch erkannte sie ihn rasch. Er legte den Finger an seine Lippen.

»Was machst du denn hier? Mein Gott! Wie schrecklich du aussiehst.«

»Was willst du?« lächelte Siegmund. »Diejenigen, die aus dem Grabe erstehen, können nicht anders aussehen.«

»Die Duparc hat einen Gast! Sie kann dich nicht empfangen.«

»O! sei ruhig, ich habe sie bereits gesehen und die Erlaubnis erhalten, auf ihre Königliche Majestät zu warten.«

Fifine sah den blassen, armen und nur mit Anstrengung atmenden Ankömmling an und schüttelte den Kopf.

»Armer Mensch,« flüsterte sie, »aber wozu kehrst du zurück – in diese Hölle?«

»Ja! Du hast recht, Fifine – allein – ich mußte es thun.«

Er sah sie an; dem Mädchen standen die Thränen in den Augen; sie wischte sie sich mit dem Schürzchen ab.

»Nicht wahr,« sagte er lebhaft, »es thut dir leid um mich, wüßtest du aber, was mich hierherführt, du würdest blutige Thränen vergießen.«

»Und darf ich es nicht wissen?« flüsterte Fifine, sich zu ihm setzend.

»Du bist ein gutes Kind,« sagte Siegmund. »Hilf mir, hilf, und du sollst alles wissen.«

»Aber bin ich auch imstande, dir zu helfen?«

»Ah! gewiß.« – Siegmund ergriff ihre Hand und preßte sie in der seinigen. Fifine erbebte.

»Was ist es denn?«

»Du bist ein gutes Kind!« wiederholte Pientka. »Du kennst die Duparc, du weißt den Weg zu ihrem Kopfe, denn – zum Herzen gibt es keinen, wo das Herz selbst fehlt. Willst du mir helfen, Fifine?«

»Es ist doch nichts Schreckliches?«

»Oh! nein! nein – doch handelt sich's für mich um Leben und Tod. Kennst du die Granatkette, die ich ihr bei ihrer Ankunft gab? Ich habe sie meinem Weibe gestohlen, ich muß sie wiederbekommen, oder ich bin schlechter als ein Dieb. An dieser Kette hängt mein Leben. Wie kann ich sie wiedergewinnen? Wie? sprich!«

Fifine sah ihm, beinahe erschrocken über die Heftigkeit, mit der er das sprach, in die Augen. Pientka warf sich zu ihren Füßen.

»Rate mir! hilf mir!«

Das Mädchen verhüllte sich die Augen mit den Händen und sann nach.

»Wie soll man die Kette wiedererlangen? Die Duparc hält sehr viel darauf. Sie ist altertümlich und schön. Der König selbst bewunderte sie an ihr, sie wird sie so leichten Kaufes nicht hergeben wollen!«

»Wofür würde sie sie eintauschen? Sprich! Denke nach,« rief Siegmund; »wonach steht jetzt ihr Wunsch? Wovon träumt sie? Die Duparc hat Launen, hat Eigenheiten. Heute wirft sie weg, wofür sie gestern noch schwärmte.«

Fifine stand auf und begann nachdenklich im Kabinett herumzugehen.

»Ich weiß nichts! Es fällt mir gar nichts ein. Warten wir auf sie! Vielleicht bietet sich die Gelegenheit, ich helfe von Herzen gern.«

Damit schlüpfte sie rasch hinaus, Siegmund ein Zeichen gebend, sich nicht von der Stelle zu rühren. Sie hörte es früher als er, daß Flemming sich zärtlich verabschiedete und entfernte.

Durch die Thüre des Kabinetts drangen Worte, mit denen sich die Duparc entschuldigte, das Bedürfnis nach baldiger Ruhe vorschützend.

»Du glaubst gar nicht, wie mich der Kopf schmerzt; ich muß mich niederlegen, denn morgen nimmt das Theater meine ganzen Kräfte in Anspruch. Es sind Pas dabei, die mir sehr schwer fallen.«

Ein Flüstern des Jünglings, ein Lachen, dann noch ein paar abgerissene Worte und Flemming begann die Treppe hinabzusteigen. Das Thor öffnete und schloß sich hinter ihm. Erst, als er bereits auf der Straße war, klopfte die Duparc an die Thüre des Kabinetts.

»Komm heraus, unglücklicher Gefangener,« rief sie lachend, »wir wollen soupieren.« In demselben Augenblick erschien Fifine mit Laroche, dem Hausfreunde der Duparc, der gewöhnlich für ihren Bruder galt. Alles war für das Souper hergerichtet. Siegmund mußte sein Versteck verlassen und wieder den Fröhlichen spielen.

Als ihn Laroche bei Lichte erblickte, erschrak er förmlich.

»Was ist denn das!« rief er. »Du solltest eher ins Bett gehen, als dich zum Souper setzen! Du mußt einen tüchtigen Aderlaß wegbekommen haben.«

»Du bist unartig wie ein Spiegel!« unterbrach ihn Siegmund. – »Das ist ja gerade der Grund, warum ich jetzt den ganzen Tag über essen und trinken muß.«

Die Duparc fing an, ihn zu umschmeicheln und zugleich das Souper zu beschleunigen. Von Zeit zu Zeit warf sie verstohlen einen Blick nach ihm und schien von dem Anblick dieser Leiche entsetzt, die mit ihr am Tische Platz nehmen sollte.

Man setzte sich. Das Gespräch begann sich zu beleben. Pientka schenkte sich, wiewohl ihm der Arzt jedes Getränk untersagt hatte, ein volles Glas Wein ein; er bedurfte Geistesgegenwart, Witz und Stärke, die er in sich nicht fühlte. Die Duparc trank, um ihre Furcht vor dem Tafelgenossen zu bemeistern, Laroche trank, weil er den Wein über alles liebte, nur Fifine allein berührte niemals ihr Glas, ohne es zur Hälfte mit Wasser zu mischen.

Man servierte einen Fasan, den Flemming des Morgens geschickt hatte.

»Essen wir diesen Flemming auf!« lachte Fifine, die Duparc bedeutungsvoll ansehend.

»Warum sprichst du das in der Mehrzahl?« unterbrach die Wirtin, »ich glaube, daß ich imstande bin, ihn allein zu zwingen.«

»Ah! den Gebratenen! vielleicht! aber den Lebendigen? Wer weiß? Weißt du, Duparc, daß du mit so blutjungen Fasanen nicht so recht umgehen kannst.«

»Bist du etwa geschickter als ich?«

»Wer weiß?«

»Du scherzest, Fifine,« sprach die Duparc mit einem Blick auf sie, »der Junge ist förmlich närrisch nach mir!«

»Nach dir! köstlich!« und Fifine lachte laut auf, »und wenn ich mich erkühnte, dasselbe zu behaupten?«

»So würdest du eben lügen, liebe Fifine.«

Das Mädchen hob die weißen Achseln.

»Und wenn ich – Beweise hätte?«

Die Duparc sprang zornglühend auf, den Sessel von sich stoßend.

»Du willst mich mit deinen Scherzen bloß in Wut bringen.«

»Still! still!« begann Fifine, ihre Hand ergreifend, »ich sage das aus Liebe zu dir, darum Geduld und laß uns ernsthaft darüber sprechen.«

Laroche, der sich mit Pientka unterhielt, mischte sich in das Gespräch.

»Fifine ist ja heute bis zur Unkenntlichkeit emancipiert.«

»Für jeden kommt die Stunde,« versetzte das Mädchen. »Laßt uns trinken und essen und ich erzähle euch die Fabel vom Fasan.«

Aller Augen wandten sich auf sie.

»Nicht wahr? die Duparc würde schwören, daß der junge Flemming sie anbetet und doch bin ich imstande, ihn ihr mit dem Winke eines Fingers abwendig zu machen.«

Mit diesen Worten neigte sie sich zum Ohre der vor Zorn und Erstaunen blutrot gewordenen Duparc, begann ihr lachend etwas zuzuflüstern, zog unter dem Korsett eine Karte hervor, schob sie rasch an ihren Augen vorbei und kehrte, in die Hände klatschend, auf ihren Platz zurück.

Die Augen der Duparc schossen Blitze. Laroche lauschte neugierig, zu erraten bemüht, um was es sich handelte. Pientka verfolgte jede Bewegung und jedes Wort Fifines, als ahnte er, daß sie etwas zu seinen Gunsten durchsetzen könnte.

»Nun? nun?« begann das Mädchen, »nicht wahr, meine Gnädige befinden sich in einer argen Gefahr? Aber,« setzte sie hinzu, ihre Arme in die Seite stemmend, »ich bin großmütig. Was gibst du mir, wenn ich zu deinen Gunsten darauf verzichte? Wenn ich ihn dir ganz übergebe, was gibst du mir?«

»Du willst ihn mir verkaufen?« fragte die Duparc.

»Vielleicht – oder verschachern.«

»Was verlangst du für ihn?« rief die Tänzerin, »nun handeln wir?«

»Er könnte wahrhaftig sehr teuer kommen!« entgegnete Fifine. »Bedenke selbst, ein so junger, unerfahrener Fant – was läßt sich aus dem nicht alles herausschlagen!«

»Ich hätte nie gedacht,« sagte Laroche, indem er sich und Siegmund Wein einschenkte, »daß diese Fifine so klug sein könnte.«

»Siehst du!« lachte das Mädchen aus vollem Halse.

»Sprich, was willst du?« wiederholte die Duparc.

»Ich sage dir ja, ich könnte sehr viel verlangen; zum Beispiel das Porzellanservice, welches du vom König hast – oder das Silberzeug, das dir der junge Brühl zum Geschenke gemacht.«

»Ah! du bist wirklich unverschämt!«

»Ja, ich könnte sogar beides verlangen, und es wäre nicht zu viel. Du wirst ihm schönere Federchen ausrupfen, diesem Goldfasan. Seine Großmutter wird schon dafür sorgen, allein ich habe meine Launen – ich gebe dir ihn billiger.«

»Um welchen Preis?« fragte die Duparc.

»Laut kann ich's nicht sagen,« begann Fifine.

»So sag mir's ins Ohr.«

Fifine neigte sich zu ihr, während sie mit ihren Augen nach Siegmund schielte, um ihm zu verstehen zu geben, daß sie in seinem Interesse wirke. Die Duparc lachte auf und zuckte die Achseln.

»Das kann ich nicht,« sagte sie, »suche dir etwas anderes aus.«

»Etwas anderes will ich nicht! Entweder – oder! Ich gebe dir eine Viertelstunde Bedenkzeit.«

Die Tänzerin sah im Kreise herum, ihr Blick fiel auf Siegmund, der sich eben mit Laroche über seinen letzten Zweikampf unterhielt. Vielleicht dämmerte in ihr ein Verdacht auf, allein er verflog im Nu und sie wandte sich wieder zu Fifine.

»Du gibst mir aber das Billett?«

»Als Tausch dafür – was ich dir sagte und – morgen reise ich nach Leipzig, wenn du willst, und übermorgen werde ich auf dem Wege nach Brüssel sein.«

Noch zauderte die Duparc, als Laroche sie bei der Hand faßte und flüsterte: »Man muß sie um jeden Preis loswerden; sie wird zu schlau.«

Beide Frauen sahen einander an und standen vom Tische auf.

»Pardon, ich bin im Augenblick zurück,« sagte die Duparc, und tänzelte zur Thüre. »Eßt und trinkt für viere, meine Herren!«

Aber Laroche und Siegmund, die nun allein zurückgeblieben, hatten weder Lust, etwas zu essen noch zu trinken. Der erste, von den Geschäften der Duparc eingenommen, fühlte sich durch dieses Feilschen und die Ansprüche Fifines zu erregt, der andere wartete gespannt, wie die Sache enden würde. Er erriet wohl, daß Fifine die Granatkette verlangte, doch wußte er nicht, was sie dafür von ihm fordern würde. In dieser Gesellschaft an cynische Ansprüche gewöhnt, überrechnete er schon zum voraus – ob er nur imstande sein werde, Fifine zu bezahlen.

Nach einer Weile kehrten beide Damen zurück. Fifine hatte jenes Kleinod am Halse, welches Siegmund so gerne wieder zurückgehabt hätte. Ihr folgte die etwas verlegene Duparc.

»Du wirst mir's nicht übelnehmen,« sprach sie zu Siegmund, »daß ich mit deinem Geschenke diese heimtückische Fifine beruhigen mußte, nicht wahr? Ich werde auch ohne das an dich denken.«

»Er wird dir's um so weniger übel anrechnen,« unterbrach sie das Mädchen, die Kette vom Halse streifend und Siegmund darreichend, »als ich ihm sein Eigentum zurückstelle!«

Die Duparc stützte sich mit einem Aufschrei auf den Tisch.

»Was soll denn das heißen?«

»Eine Laune,« lachte Fifine, »ich habe so meine Wunderlichkeiten.«

Aus den Augen Pientkas, der die Kette sofort ergriff, blitzte eine solche Freude, daß die Duparc, welche eine List vermutete, die beiden mit drohenden Blicken maß.

»Fifine,« rief Siegmund, »mir fehlen die Worte, dir meine Dankbarkeit auszudrücken, allein es wäre unrecht und häßlich von mir, wollte ich dieses Opfer von dir annehmen. Sprich! Bewerte es! Verlange, was du willst von mir.«

Das Mädchen wurde blutrot, ihre Augen leuchteten.

»Ich habe dir die Kette geschenkt!« sagte sie, »und werde keinen löcherigen Heller dafür nehmen. Ich will, daß du von hier die Erinnerung fortnimmst, daß – daß auch Tänzerinnen bisweilen etwas Herz und Gefühl haben.«

Laroche und die Duparc sahen einander vielbedeutend an.

»Fifine spielt die Generöse,« lachte der Franzose.

Siegmund, der es auf seinem Platz nicht aushalten konnte, erhob sich von seinem Sessel, eilte zu dem errötenden Mädchen hin und ergriff ihre bebenden Hände.

»Ich habe nichts, was ich dir zum Tausch anbieten könnte,« sagte er erschüttert; »morgen aber – morgen bringe ich dir irgend eine Kleinigkeit, damit du dich, so oft du sie ansiehst, deiner edlen That erinnern kannst.«

Fifine hatte Thränen in den Augen; sie nahm ein Kelchglas vom Tisch.

»Auf deine Gesundheit!« sagte sie mit bewegter Stimme und trank das Glas aus.

»Bis morgen, teure und, redliche Fifine!« versetzte Siegmund, »bis morgen, wo ich kommen werde, dir zu danken.«

»Das ist zu dramatisch und sentimental!« lachte die Duparc. »Laroche, applaudieren wir den Akteurs.«

Mit trockenem Gelächter klatschten sie in die Hände, Siegmund begann, sei es infolge des getrunkenen Weines, sei es infolge der inneren Bewegung, heftig zu husten, zog sein Taschentuch, legte es an die Lippen, und trotzdem er es zu verhüllen strebte, bemerkten alle das Blut, das ihm daraus hervorquoll.

Fifine sah ihn mitleidsvoll an.

»Geh nach Hause,« sagte sie, »geh und ruhe dich aus, du bist krank.«

»Ach nein!« entgegnete Pientka mit geheuchelter Fröhlichkeit, »es ist der Ueberschuß des Lebens, der sich da Luft macht.«

Dennoch griff er nach seinem Hut, da er hier nichts mehr zu thun hatte.

»Diesmal,« sagte er zur Duparc, »scheint mir, nehme ich zum letztenmal von Euch Abschied. Möge es Euch auch ferner so glücken. Hier ist's nicht zuträglich für mich und meine Gegenwart für Euch nicht geheuer; darum gute Unterhaltung und viel Glück!«

Er verbeugte sich vor allen und ging.

Fifine begleitete ihn bis zur letzten Thüre. »Geh', geh',« flüsterte sie, »ich bin glücklich, dich überzeugt zu haben, daß nicht alle leichtfertigen Menschen schlecht sind. Es gibt unter ihnen auch so arme wie ich, die ein ungekanntes Herz in sich tragen und lachend Thränen verschlucken müssen.«

»Dich sehe ich wieder, Fifine,« versetzte Siegmund, »ich habe das Gefühl, als ob dich das Schicksal für mich belohnen sollte.«

Bei diesen Worten fühlte Pientka wieder Blutgeschmack auf den Lippen und stieg, sich mit einem Händedruck von der auf der Schwelle Stehenden verabschiedend, langsam zu Dsiemba herab, welcher, gehorsam unter dem Thore stehend, halb eingeduselt war.

Zum »Trompeter« zurückgekehrt, betrachtete Siegmund seine Beute und atmete freier auf; er wickelte sie in ein reines Tuch, band es zusammen, versiegelte es und setzte sich zum Schreiben, da er seiner Frau die Kette nicht selbst zurückbringen wollte.

Es verging wohl eine gute Stunde, bevor der der Feder Ungewohnte einen kurzen Brief nach seinem Sinne aufgesetzt hatte. Derselbe klang wie folgt;

»Innig geliebte Frau!
Meine Sünden werde ich weder erklären noch rechtfertigen: – Blut, menschliche Schwäche sind meine einzige Entschuldigung. Wollte Gott, daß mir zur Besserung Zeit bliebe, allein solange ich lebe, werde ich alles thun, was in meinen Kräften steht, um die Schuld, soweit sie gesühnt werden kann, zu sühnen. Bei der Beichte wird der Ersatz der gestohlenen Sachen befohlen; indem ich selbst mein Gewissen prüfte, legte ich mir die Zurückgabe des Andenkens auf, das ich im Augenblicke der Raserei mir angeeignet. Ich sende die Kette zurück und schließe die Bitte bei, es möge mir verziehen werden, daß sie in der Welt herumgeirrt, wie ich, mit dem Unterschiede, daß sie aus dieser Reise ganz hervorging, ich aber zerschellt … u. s. w.«

Tags darauf wurde Dsiemba in aller Frühe mit Brief und Kette zu Frau Pientka abgeschickt. Dort rüstete man sich bereits langsam zur Rückreise. Elsbeth las den Brief durch und nahm die Sendung entgegen, ohne anfangs ein Wort zu sprechen; da jedoch Dsiemba durchaus mindestens eine Bestätigung verlangte, rief sie Onkel Eligius herbei und bat ihn, daß er für sie ein paar den Empfang bestätigende Worte schreibe. Der Onkel setzte sich zu dieser lästigen Arbeit nieder, die er in einer sehr amtsmäßigen Form nach vieler Mühe endlich zustande brachte: »Tag – im Monate des Jahres … Ich Untergefertigter von der hochwerten Frau Elsbeth Pientka, geborener Okon von Pientka, hierzu Bevollmächtigter, bezeuge in ihrem Namen und in ihrer Gegenwart hiermit, daß selbige an dem heutigen Tage eine alte Kette von Granaten, die sich zeitweilig im Besitze des Herrn Siegmund Pientka von Otschkowitsch befand und von ihm durch Vermittlung des hochwerten Herrn Julian Dsiemba zurückerstattet wurde, richtig zu Händen erhalten hat, was ich mit eigener Unterschrift bestätige. Datum supra – in der Haupt- und Residenzstadt Dresden in Sachsen. Eligius Okon von Pientka. m. p.«

Herr Eligius holte schon das Petschaft hervor, um das Siegel aufzudrücken, als ihn der Mangel an Siegelwachs und die Unkenntnis, wo man dasselbe in dieser Stadt bekomme und welcher Preis dafür gefordert werde, zur Vernachlässigung dieser letzten Formalität bewog. Nachdem Dsiemba den Zettel in Empfang genommen und von Frau Pientka einen Thaler erhalten hatte, dessen Opferung Herr Eligius für unnötig erachtete, verbeugte er sich und kehrte ins Einkehrhaus zurück. Hier traf er Boroditsch.

Siegmund stürzte sich auf den Zettel, da er etwas mehr darin erhoffte, als eine einfache Quittung, oder doch wenigstens die Handschrift seines Weibes; er warf ihn jedoch, als er nur die bloße Bestätigung des Herrn Eligius erblickte, unwillig in einen Winkel hinter das Bett. Boroditsch, welcher jede seiner Bewegungen beobachtete, sah die Veränderung in seinen Zügen: nach todesfahler Blässe eine glühende Röte, doch wurde darüber nicht weiter gesprochen.

»Also,« endete der Gast, ihm in die Augen schauend, das unterbrochene Gespräch, »womit kann ich Euch dienen?«

»Vorläufig mit nichts anderem,« entgegnete Siegmund, »als mit dem möglichst raschen Verkauf des Dörfchens. Ich habe dort nichts mehr zu schaffen, noch irgend einen Grund, dahinzufahren. Ich bleibe hier und – huste weiter.«

»Ob es für den Husten hier oder bei uns zu Hause besser ist, weiß ich selbst nicht,« ließ sich Boroditsch vernehmen, »allein ich wünschte, daß Ihr um des lieben Friedens willen nach Hause reistet.«

»Sie lassen mich ja nicht einmal weg von hier,« sagte Pientka, »und öffnete sich auch durch irgend ein Wunder die Mautschranke, so habe ich Euch bereits gesagt, daß ich nicht mehr imstande wäre, dort zu leben. Laßt mich also in Frieden – und das recht lange.«

»Die Schulden werden sich doch nicht auf Millionen belaufen?« versetzte Boroditsch, »tausend, zweitausend Thaler?«

»Gewiß mehr,« entgegnete Pientka.

»Nun, also drei?«

»Ich sage Euch ja, ich weiß es nicht, man müßte jemand aufnehmen, der es zusammenrechnete, dann einen zweiten suchen, der für mich bezahlte, einen dritten, der mir Zehr- und Reisegeld gäbe, und einen vierten, der mir eins auf den Nacken versetzte und mich vor sich hintriebe.«

»Ich würde vielleicht für alle viere genügen,« sagte Boroditsch, »mit dem einzigen Unterschiede, daß ich Euch statt eins auf den Nacken zu versetzen, meinen Arm als Stütze reichte.«

»Aber woher kommt denn diese Zärtlichkeit gegen mich?« lachte Pientka, »daß Ihr meine Ex-Gattin liebtet, weiß ich, doch daß dies Liebe für mich erwecken sollte, bezweifle ich; Ihr denkt wohl, daß ich Euch bald Platz machen werde?«

»Laßt die Spöttereien,« brauste Boroditsch auf, »mir thut es leid um Euch, außerdem habt Ihr doch, da Ihr von mir verwundet seid, das Recht, meine Dienste in Anspruch zu nehmen.«

»Das ist wahr,« antwortete Siegmund, »wenn einer einen Hasen spießt, so trägt er ihn am Herzen nach Hause. Laßt mich aber in Ruhe mit Eurer Ueberredung zur Reise. Sie ist mir nicht zuträglich.«

»Was wollt Ihr denn aber hier anfangen?« fragte Gracyan; »wieder diesen Teufelinnen nachlaufen? Zu den Kapuzinern könnt Ihr hier nicht eintreten, da es hier in Sachsen keine gibt, die Medizin treiben. Zum Militär taugt Ihr auch nicht recht mit diesem unaufhörlichen Husten, und wer wird Euch hier pflegen?«

Siegmund ging fortwährend in der Stube umher und sann nach.

»Nein doch, nein!« sagte er wie zu sich selbst, »aufs Dorf fahre ich nicht, ich würde, sage ich Euch, schon aus Reue über meine eigene Dummheit sterben.«

»So fahrt mit mir nach Krakau.«

»Wozu? Um dort zu Grunde zu gehen?«

»Je nun, 's ist bei Gott noch immer besser als hier,« unterbrach Boroditsch ungeduldig; »wenigstens gebt Ihr die Knochen der Erde wieder, von welcher Ihr sie habt. Hier in der Friedrichstadt macht, wie ich höre, jeden Frühling das Wasser den Gräbern einen Besuch, und wenn es die Leichen auch nicht mitnimmt, so ist's doch immer ungesund, in solcher Feuchtigkeit zu schlafen.«

Pientka fing an zu lachen.

»Wenn Ihr schon mit solchen Dingen kommt, Gracyan,« rief er aus, »dann steht die Welt nicht mehr lange, 's ist wahr, ich bliebe nicht gern hier liegen. Kommt's zum jüngsten Gericht, so hat man niemand, den man um den Weg nach dem Thale Josaphat fragen könnte; es sind lauter Deutsche, ich würde mich mit ihnen nicht verständigen können und müßte schnurstracks zur Hölle wandern, um mich von der Feuchtigkeit abzutrocknen.«

Nun lachten beide. »Bah!« versetzte Boroditsch, »fahrt mit mir und die Geschichte ist fertig; dort verkauft Ihr das Dorf, wenn Ihr wollt – und wir überlegen das Weitere.«

»Und die Schulden? deren Zahl Legion,« rief Siegmund, »man läßt mich von hier nicht weg.«

»Das ist meine Sache, ich besitze ein paar Groschen,« murmelte leise der Freund, »da wird sich schon Rat schaffen lassen. Fahrt Ihr also mit?«

»So nehmt mich mit, wann Ihr wollt. Was kann ich thun? Aber nicht nach Hause! Nein, nach Krakau. Der Ungarwein ist gut … wir wollen uns zu Tode saufen.«

Auf diese Weise überredete ihn schließlich Boroditsch zur Abreise, natürlich nachdem er seine Schulden bezahlt, deren Verrechnung man sofort in Angriff nehmen mußte. Es war dies keine leichte Arbeit, da Pientka beim Ausstellen der Schuldscheine nicht immer las, was er unterschrieb und die Wucherer davon Vorteil zogen. Als es zum Abrechnen kam, zeigten sich bedeutende Verpflichtungen, allein Boroditsch wußte, nachdem er sich einen Deutschen zur Hilfe genommen, den Gläubigern geschickt vorzustellen, daß Pientka todkrank sei und sie, falls er stürbe, nicht so bald zu ihrem Gelde kommen würden; daß seine Besitzungen verschuldet und zu weit entfernt seien, als daß es ohne kostspieligen Prozeß dabei abginge. Da auch der Wirt zum »Trompeter« die Krankheit bestätigte und Siegmunds Gesicht am besten davon zeugte, ließen sich die Gläubiger erweichen und gingen auf Vergleiche ein. Boroditsch hatte Geld im Vorrat: er zahlte mit Thalern und Dukaten. Diese Barschaft sprach sehr nachdrücklich zu Herzen. Siegmund mischte sich in nichts hinein, sah von ferne zu und lächelte heimlich über die Wucherer. Tags darauf kam Dsiemba mit der Nachricht, daß Frau Pientka nicht mehr im Einkehrhause, da sie mit Onkel Eligius am frühen Morgen ausgerückt wäre, was nicht einmal Boroditsch wußte. Auch der Woiwode sei ihr mit seinen Zwergen nachgezogen.

Da die Gläubiger nicht so rasch befriedigt werden konnten und es mit ihnen ziemlich viel Plackerei gab, mußte man noch ein paar Tage verweilen. Siegmund kaufte ein gar nicht übles Halsband aus Granaten, brachte es Fifine und nahm von ihr Abschied wie von einer guten Schwester. Besonders rührte es ihn, zu sehen, wie sie um ihn weinte und wie sie sein Husten beängstigte. Die übrige Zeit lag er oder ging in seinem Stübchen herum, ohne zu irgend etwas eine größere Lust zu verraten. Er war schweigsam, und öffnete er einmal den Mund, so geschah es nur, um zu spotten. Schließlich verkündete Boroditsch aufatmend, daß alles geordnet sei und daß sie sich nun auf die Reise machen könnten.

»Schleppt mich in Gottes Namen wohin Ihr wollt,« sagte Pientka, »nur erlaubt mir, daß ich noch vor der Abfahrt eine heilige Schuld abtrage.«

»Noch eine? An wen?« rief Boroditsch bekümmert.

»Eh! 's ist nichts! Diese werde ich selbst und zwar mit der Faust bezahlen,« versetzte Siegmund, »dem Wirt vom »Trompeter« gebührt ein Andenken von mir; die Bestie fütterte mich in der Zeit meiner Rekonvalescenz mit altem Schweinefleisch – das kann ich ihm nicht verzeihen.«

Nachdem er diese letzte Verpflichtung knapp vor der Abfahrt gewissenhaft an den sich tief verneigenden Wirt abgetragen hatte, setzte sich Pientka mit Boroditsch in den Wagen und nahm Abschied von der unglückseligen Stadt, in der er binnen wenigen Monaten fast sein Leben eingebüßt hatte. Eben fuhren sie über die Brücke, als sie die ganze wie absichtlich um dieselbe Stunde ausrückende Compagnie von französischen Tänzern und Tänzerinnen begegneten, die zur Messe nach Leipzig zogen. Die Duparc sah bei Tageslicht wie eine Harpye aus und Fifine wie ein gutmütiges Landmädchen, Laroche und seine Genossen wie Scarrons Komödianten. Als die Duparc Pientka erblickte, streckte sie die Zunge heraus, Fifine warf ihm eine Kußhand zu und die Franzosen musterten das ungewöhnliche Pferdegeschirr und die Kostüme der Begleiter Siegmunds. Eine Zeitlang fuhren sie nebeneinander, dann trennten sich die Wege: der eine ging nach rechts, der andere nach links. Pientka sah sich gar nicht mehr um. Er saß finster und schweigsam da, was sonst nicht seine Gewohnheit war, hustete von Zeit zu Zeit und hatte fortwährend den Geschmack von Blut im Munde, das sich bei der geringsten Bewegung oder Ermattung immer wieder zeigte. Es kostete Boroditsch genug Mühe und Sorge, ihn bis Krakau zu bringen, denn da er sah, daß Pientka das Reisen nicht gut bekomme und sein kranker Körper öfterer Ruhe bedurfte, so war er gezwungen, mit ihm einigemal am Wege Rast zu machen. Die Fahrt zog sich demnach ziemlich in die Länge und erst in den ersten Tagen des Herbstes erreichten sie die stille ehemalige Residenz, die jetzt traurig und menschenleer genug aussah. – Auf Siegmund übte schon der Anblick der Plätze, die ihn an seine Abfahrt und sein früheres Leben erinnerten, augenscheinlich einen sehr unangenehmen Eindruck. Kaum angelangt, mußte er sich zu Bett legen, und da Boroditsch heimwärts eilte, blieb er hier mit Dsiemba zurück in einem viel schlimmeren Gesundheitszustande, als derjenige war, in dem er diese Stadt einst verlassen. Der herbeigerufene Arzt riet möglichste Ruhe an und verschrieb irgend ein bitteres Getränk, das Pientka, nachdem er es verkostet, nicht einnehmen wollte. – Es fanden sich alte Bekannte ein, mit denen er sich einigermaßen zerstreuen konnte, allein er mied ihre Gesellschaft. Tagelang saß er auf dem Schemel am Fenster und sah nach den Vorübergehenden oder räsonnierte mit Dsiemba. Boroditsch, der zu seiner Wirtschaft eilte, verließ, die Vollmacht zum Verkaufe mit sich führend, den fast bis zur Unkenntlichkeit Veränderten mit schmerzlichen Gefühlen. An Ort und Stelle glücklich angelangt, wollte er, nachdem er sich über die Ernte und die Verluste, die er davongetragen, erkundigt, sofort zu Mioduschewski fahren, als dieser, von den Leuten über seines Freundes Ankunft unterrichtet, selbst zu ihm angesprengt kam.

Sie umarmten sich auf der Schwelle.

»Ihr habt Euch da eine schöne Last auf den Hals geladen!« rief Mioduschewski.

»Ich?« versetzte Boroditsch. »Was ich gethan, mußte gethan werden. – Wo ist denn Frau Pientka? – zu Hause?«

»Bewahre! Sie fuhr schnurstracks zu den Eltern, ohne auch nur die Schwelle überschreiten zu wollen,« rief Mioduschewski.

»Auch Pientka denkt nicht ans Heimkehren – und dringt auf den Verkauf des Dorfes.«

»Wer wird es jetzt kaufen wollen?«

So plauderten sie lange zusammen, denn es war gar vieles zu beraten und Mioduschewski seufzte nur immer über das Geschick des unglückseligen Hauses.

»Meint Ihr nicht, daß sie sich versöhnen?« fragte er zuletzt.

»Zweifle sehr, daß es dazu kommt; wenigstens hat es nicht den Anschein,« sagte Boroditsch schnell. »Mit Siegmund steht es schlimm.«

Ohne langes Besinnen machte sich Gracyan zu der bei den Herrschaften Okon weilenden Frau auf, wo er sie treffen sollte. In der That erfuhr er auch, als er nach ihr fragte, daß sie seit einigen Tagen hier weile. Onkel Eligius ließ sich's, als er sich, zu Hause angekommen, von den schweren Pflichten eines Beschützers seiner Nichte befreit sah, in seiner Wohnung recht wohl sein, und erzählte jedermann, der sich ihm darbot, von den Abenteuern der unglückseligen Reise. Stoff zum Plaudern hatte er nun fürs ganze Leben genug. Als Boroditsch eintrat, traf er bloß den alten Okon, der in der Stube auf und ab ging und seinen Schnurrbart strich.

»Was bringt Ihr mir, Herr Boroditsch?« fragte er.

»Nichts – nichts!« seufzte finster der Gast: »Frau Pientka befindet sich doch hier?«

Der Vater zuckte mit den Achseln.

»Ja wohl – hier! Sie ist zurückgekehrt und – offen gestanden verstehe ich die ganze Angelegenheit nicht! Sie will nicht nach Hause! Wo ist denn Pientka?«

»In Krakau, denn er will auch nicht heim.« Bei diesen Worten trat Elsbeth ein, schwarz gekleidet, noch immer schön, jedoch bedeutend verändert und bleicher, elender als jemals. Boroditsch begrüßte sie ehrerbietig.

»Eben fragte ich Herrn Boroditsch nach Siegmund. Was ist mit ihm geschehen? Ist er in Krakau?«

»Jawohl, ich habe ihn mit Gewalt mitgebracht,« entgegnete Boroditsch, »jedoch sehr krank und leidend, auch ist er traurig und verkümmert bis zur Unkenntlichkeit. Ihn zur Heimfahrt zu bewegen, wollte mir um keinen Preis gelingen, er blieb daher in Krakau und trug mir auf, das Dörfchen, für wieviel es auch sei, zu verkaufen.«

Okon rang die Hände und ließ den alten Kopf auf die Brust sinken.

»Wer soll es denn aber kaufen?«

»Je nun, kauft es doch selbst, oder vielmehr verhelft der Gnädigen zum Kauf – Siegmund stellt keinen hohen Preis – dann hat die gnädige Frau ihre Mitgift. Ich warte gern mit meinen Forderungen. Pientka braucht einiges Geld und würde sich gern der übrigen Vorteile, die das Anwesen mit sich bringt, begeben.

Es erfolgte keine Antwort darauf, denn Elsbeths Vater pflegte derlei Geschäfte nicht zu überstürzen – er sann nach und erwog, während Elsbeth schwieg. Boroditsch wurde nur ersucht, dazubleiben und an der Beratung teilzunehmen.

Der ganze Tag verfloß im Gespräch mit dem Alten, der über jede Sache lange zu verhandeln liebte, worin sich Elsbeth mit keinem Worte mischte. Man begann schriftlich zu berechnen, wieviel das Dörfchen wert sei, wieviel es gekostet, wieviel Barschaft dazu nötig wäre u. s. w. Gegen Abend befand sich Boroditsch einen Augenblick mit Elsbeth allein im Zimmer.

»Liebwerte Frau,« sagte er, »kann Euch denn der arme Teufel gar nicht rühren? Wenn Ihr ihn nur sähet! Selbst Fremden schnürt's das Herz zusammen, so elend und unglücklich sieht er aus. Er hat fürwahr nicht lange mehr zu leben und bei Gott! 's ist schade um ihn und – schade um Euch!«

»Hört mich an, Herr Gracyan,« sagte Elsbeth, »glaubt nicht, daß ich kein Herz habe; er thut mir leid, – aber aus einem zusammengestoppelten Leben wird sein Lebtag nichts. Er wird mir zu Füßen fallen, mich um Verzeihung bitten – doch glaubt Ihr, daß er sich damit bessert? Er wird gesunden und dann wieder zu seinem leichtsinnigen Treiben zurückkehren. Ich habe von meinem Glücke Abschied genommen und – glaubt mir, es ist schwer, sehr schwer, einem Menschen zu vergeben, der einem das ganze Leben so vergiftet. Ihm geht's schlimm, Herr Gracyan, doch auch für mich gibt es kein Glück mehr auf dieser Welt. Ich habe ihn geliebt, ich kann keinen anderen mehr lieben. Auch ich bin so gut wie tot.«

»Gnädige Frau,« flüsterte Boroditsch, »auch Gott vergibt den Reuigen und Büßenden.«

»Weil er eben ein Gott ist,« entgegnete Elsbeth lebhaft, »ich aber bin ein sterbliches Weib.«

Darauf vermochte Boroditsch freilich nichts zu entgegnen. Allein er wollte seinen Angriff auf ihr Gemüt und ihre Vernunft nicht aufgeben.

»Ich werde ihn weder rechtfertigen noch entschuldigen,« ließ er sich nach einer Weile vernehmen, »nur sage ich Euch, werte Frau, daß sein Herz besser ist als sein Kopf: wer dort anklopft, dem schallt noch immer etwas zurück; Ihr könntet aus ihm einen Menschen machen. Er hat eine gute Lehre erhalten, nun ist er zu sich selbst gekommen und fühlt sich von seinen ehemaligen Tollheiten angewidert.«

»Ihr seid ein trefflicher und braver Mensch,« entgegnete Elsbeth, – »doch – laßt das endlich, Herr Gracyan. Vielleicht könnte ich mich seiner erbarmen, doch ihn lieben – niemals! Und wer weiß! er mag seine Fehler vielleicht bereuen, ohne die Kraft zur Besserung zu haben! Besser wir trennen uns und gehen jedes seinen eigenen Weg.«

»Wohin aber?« fragte Gracyan.

»Mir ist das heute schon gleichgültig,« sprach Elsbeth, »ich lebe und werde leben, weil ich es muß, es kümmert mich weiter nicht. Ich werde bei meinen Eltern sitzen, oder im Dörfchen, werde morgens schauen, ob es nicht bald Abend wird, im Frühling, wie bald der Winter kommt, und so fort, bis ich alt bin, bis das Herz verwelkt und verdorrt, die Erinnerung sich abstumpft, die Welt mir gleichgültig wird und das Leben erlischt.«

Wieder schwieg Boroditsch. Was sollte er auch sagen? Dringen wollte er nicht weiter in sie.

Am anderen Morgen war's bei Okon beschlossene Sache, das Dörfchen für Elsbeth zu kaufen: man schickte nach dem Notar, damit er die kontraktlich festgesetzten Punkte in die Transaktion eintrage. Wieder verging der Tag über verschiedenen Kleinigkeiten, denn der Alte war ein furchtbarer Umstandskrämer. Onkel Eligius kam verschlafen aus seiner Stube, beglückwünschte Elsbeth, wiederholte jedoch, sie von der Seite betrachtend, leise sein: »Ein Mannweib, ein Mannweib!«

Nachdem er sich redlich abgequält und noch einen Blick in sein Haus geworfen – denn das Getreide mußte wegen Mangel an nötigem Gelde verkauft werden – fuhr Boroditsch erst nach zwei Wochen nach Krakau ab. Zwar hatte er Dsiemba aufgetragen, wenn er Siegmunds Zustand sich verschlimmern sähe, es ihm, sei's auch per Expressen, bekannt zu geben, doch war weder ein Bote noch ein Brief gekommen. Nicht ohne »Apprehension«, wie er sich selbst ausdrückte, näherte sich Boroditsch der Hauptstadt und ließ, daselbst angelangt, seine Britschka leise bei Pientkas Wohnung anfahren. Auf den Fußspitzen durchschritt er den Flur, öffnete sachte die Thür und trat ein. – Tiefe Grabesstille. – Nirgends eine Seele! Er sah sich nach allen Seiten um und gewahrte schließlich im Dämmerlicht den in einen Mantel gehüllten Dsiemba, welcher auf einer mit spärlichem Heu bestreuten Pritsche schnarchte. Die Thür zum anderen Zimmer war verschlossen; er begann ihn also langsam aufzuwecken, um keinen unnützen Lärm zu schlagen. Dsiemba fuhr in die Höhe und rieb sich die Augen, da er jedoch einen entsetzlich schweren Schlaf hatte, so mußte er sich erst tüchtig ausschnaufen, bevor er völlig munter wurde und sich klar war, mit wem er zu thun hatte.

»Wo ist Pientka? Wie geht's ihm?« fragte Boroditsch.

»He? Herr Siegmund? – Nun, wie soll's ihn: denn gehen? Gut.«

»Wie so denn gut? Du meinst, besser, nicht? Wo ist er? Schläft er vielleicht?« fragte Gracyan.

»Bewahre!«

»Wo ist er also?«

»Er ist mit Herrn Schembeck auf die Jagd gefahren.«

»Auf die Jagd? Trotz Krankheit und Blutauswurf?«

»Das ist vorbei!« rief Dsiemba, sich noch immer die Augen reibend, »alles vorbei. Denkt Euch, gnädiger Herr! Er hat sich irgend einen Schafhirten aufgetrieben, der hat ihm eine Art Schmalz gegeben, das er trinken und mit dem er sich einschmieren sollte. Das Zeug roch wie eine alte Bockshaut. Das ist ein gar wunderbarer Schafhirt, Herr: er sagt Euch im Schlaf, was dem oder jenem zuträglich ist, und es muß einer schon mit einem Fuß in der anderen Welt sein, wenn er ihn nicht wieder ins Leben zurückrufen soll! Wie sie den Herrn zu schmieren und zu tränken anfingen, gleich begann er zu sich zu kommen, und alles hörte auf – er ist gesund wie ein Fisch – bei Gott! gnädiger Herr, daß man immer nur staunen und starren möchte.«

Boroditsch traute, als er diesen Bericht anhörte, beinahe seinen Ohren nicht, aber er sah, daß Siegmund nicht zu Hause war, und das konnte schon für ein gutes Zeichen gelten.

Er ließ die Pferde ausspannen und wartete auf Siegmunds Rückkehr, die nicht sehr bald erfolgte. Schon schlief Herr Gracyan, nachdem er sich's auf der Pritsche Dsiembas bequem gemacht, der sein Lager auf dem Fußboden aufgeschlagen hatte, als es an der Thür zu klopfen begann – und Pientka eintrat. Er hatte es schon an der im Hofraum stehenden Britschka erkannt, daß Boroditsch angekommen sei, und begrüßte ihn nun mit offenen Armen.

Bei Licht war sein Aussehen völlig gut. Es war dies zwar nicht der Siegmund früherer Zeiten, aus der jener tollen Zeit vorangegangenen Epoche, doch wäre jeder andere mit solchem Aussehen zufrieden gewesen. Auf dem Gesichte fand Boroditsch nicht die einstige Fröhlichkeit, noch jene frische Lebens- und Genußfreudigkeit: er schien ihm ernster, jedoch kräftig und wieder gesund.

»Wie glücklich bin ich, Euch so zu sehen!« sagte, ihn von allen Seiten betrachtend, Gracyan, der seine Burka Kurzer Filzmantel. Anm. d. Uebers. über die Achsel geworfen und sich erhoben hatte. »Offen gestanden, ich hätte es nicht geglaubt, daß Ihr Euch so rasch wieder erholen könntet.«

»Ja, Bester, 's ist eben ein Wunder geschehen. Irgend ein altes Weibsen, das mein Gesicht sah und meinen Husten hörte, empfahl mir einen Schafhirten aus der Gegend von Ojcow an. Man setzte mir ordentlich zu, so daß ich ihn kommen ließ. Kurz und gut, der fing an, mich mit irgend einem ekelhaften Zeug zu schmieren und zu tränken und mich warm zu halten, so daß ich beinahe gezwungen war, gesund zu werden. – Was habe ich übrigens davon?« sagte Pientka plötzlich mit einem Seufzer.

»Was schwätzt Ihr da!« entgegnete Boroditsch; »Ihr solltet lieber eine Messe lesen lassen und unserem Herrgott danken. Einen anderen hätte gewiß schon längst der Teufel geholt, wenn er so häßlich Blut ausgeworfen hätte. Jetzt aber schont Euch und fliegt nicht auf Jagden herum!«

Pientka machte eine Handbewegung und begann ein Liedchen zu pfeifen.

»Laßt mich mit Euren Predigten aus!« ließ er sich vernehmen. »Was geschehen soll, geschehe. Erzählt lieber, wie es mit meinem Dörfchen gegangen ist? Habt Ihr's verkauft?«

»Wenn Euer Wille unabänderlich ist – denn zurückziehen könnt Ihr Euch jederzeit – so ist es verkauft.«

»An wen?«

Boroditsch stotterte mühsam hervor: »Eure Frau hat's gekauft.«

»Ah, ah!« sagte Pientka, »um so besser. – Sprecht, mit wieviel habt Ihr Euch geeinigt? Was habt Ihr bekommen?«

»Darüber morgen. Wenn ich die Papiere aus meinem Felleisen hole, sollt Ihr alles hören. Der alte Okon zerrte an seinem Schnurrbart, zupfte herum, machte allerlei Schwierigkeiten, bis er schließlich kaufte und bezahlte.«

Pientka stand in der Mitte der Stube, ohne auch nur die Jagdtasche abgelegt zu haben, und starrte schweigend den Sprechenden an.

»Auch gut,« sagte er, »wahrhaftig, es konnte nicht besser kommen.« Und nach langer Pause fragte er: »Was ist mir denn übrig geblieben?«

»Morgen will ich Euch Rechnung ablegen, die soll Euch des näheren belehren. Alles wurde menschlich abgeschätzt. Ich hab' es schwarz auf weiß verzeichnet.«

»Doch, was ist mir übrig geblieben?« wiederholte Pientka.

»Ich bringe Euch zweitausend und einige Dukaten mit,« erwiderte Boroditsch, »'s ist nicht viel, doch war füglich nicht mehr herauszuschlagen.«

»'s ist genug für mich,« sagte Siegmund; »daß ich's Euch nur sage: ich habe kaum mehr eintausend erwartet. Vergelt's Euch Gott!«

»Was gedenkt Ihr anzufangen?« fragte Gracyan.

»Weiß ich's denn? Leben muß ich wohl, da mir's jener Schafhirt befohlen, obschon ich keine große Lust dazu habe.« Er ergriff Boroditschs Hand und führte ihn in die anstoßende Stube. »Habt Ihr sie gesehen? mit ihr gesprochen? Was sagt sie denn?«

»Sie?« entgegnete Gracyan bestürzt – »sie? je nun – sie – hm – sie – nun sie äußert sich nicht immer gleich.«

»Was glaubt Ihr? Kann man sich dort sehen lassen? ihre Verzeihung erhalten?«

Boroditsch zuckte mit den Achseln.

»Bei Gott, ich weiß es nicht,« versetzte er. »Wartet eine Zeitlang! Ich sprach ein paarmal mit ihr, allein sie fertigte mich stets kurz ab.«

Siegmund preßte die Lippen zusammen, ließ den Kopf sinken und umarmte Boroditsch, ohne ein Wort zu sprechen.

»Geht schlafen,« sagte er, »morgen das übrige.«

Mit diesen Worten entließ er ihn zur Pritsche, verschloß die Thüre und blieb allein. Herr Gracyan, der noch lange nicht einschlafen konnte, hörte ihn fast bis zum hellen Tag im Zimmer umhergehen. Endlich schlummerte er ein, und als er erwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Pientka wartete schon angekleidet auf ihn. Bei Tage kam er ihm nicht so wohl vor, wie gestern abend, und das Gesicht hatte einen Ausdruck, den es früher nie gezeigt – düster und nachdenklich, ernster, männlicher und sichtlich gealtert. Selten bringt eine verhältnismäßig so kurze Krankheit eine solche Veränderung im Menschen hervor. Sicher hatte innerer Kummer das Seinige dazu gethan. Sie setzten sich zum Frühstück und machten sich dann an das Prüfen der Papiere und an die geschäftlichen Verrechnungen. Wie Pientka früher von denselben nichts wissen wollte, so hörte er den Bericht auch jetzt zerstreut an, fand alles gut und gab sich mit allem zufrieden.

Ohne sich große Sorgen zu machen, unterschrieb er die Abtretungsurkunde und begann wieder seinen gewohnten Spaziergang in der Stube.

So verflossen mehrere Tage. Boroditsch konnte aber aus Pientka noch immer nicht herausbekommen, was er denn weiter mit sich anzufangen gedenke. Er erhielt nur immer die Antwort: »Weiß ich's denn? Wir wollen sehen.«

Einigemale fragte er nach seiner Frau, doch konnte er nicht viel erfahren und schwieg wieder. Schließlich mußte Boroditsch heimkehren. Zuvor gingen sie noch zusammen in den »Hecht« zu einem Frühstück, Pientka machte den Wirt, jedoch nicht nach alter Weise: er hatte weder die Lust, noch den früheren Humor; er schwätzte, lachte und scherzte wohl auch zuweilen, plötzlich aber, als hätte ihn jemand verhext, wurde er blaß und verstummte, seufzte tief auf und ließ verdüstert den Kopf hängen. Er mußte sich gewaltsam zur Fröhlichkeit zwingen und wenn er sich ja wieder kurze Zeit vergessen hatte, so verfiel er gleich wieder in finsteres Grübeln und schwarze Gedanken.

»Gracyan,« sagte er plötzlich, »Ihr kehrt nun in unsere Gegend zurück. Grüßt mir nicht allein die Menschen, sondern auch die alten Bäume dort. Ich werde sie wohl nimmermehr sehen – und bei Gott! es thut mir um sie mehr leid als um die Menschen.«

»Wo gedenkt Ihr Euch anzusiedeln? Oder wollt Ihr gar wandern?« fragte Gracyan. »Das solltet Ihr mich wenigstens wissen lassen, für den Fall, als irgend eine geschäftliche Angelegenheit Euch mitzuteilen wäre.«

Pientka zuckte die Achseln: »Weiß ich's denn selbst! Werde mich schon bei Euch melden, wenn's nötig ist – noch habe ich keinen bestimmten Plan.«

Und nach einer Pause fragte er: »Sagte Euch die Frau nicht, daß sie die Scheidung wünsche.«

»Davon war nicht die Rede.«

»Es wird demnach so verbleiben, bis es unserem Herrgott gefüllt, eins von uns von dem anderen zu befreien – da ja von Aussöhnung keine Rede mehr sein kann. Was wäre das auch für eine Aussöhnung? Ihr kennt ja das Sprichwort: Hund und Katze vertragen sich nicht. Eine solche Versöhnung ist keinen Pfifferling wert.«

Sie tranken eins darauf.

»Sagt mir doch wenigstens, was Ihr mit Euch anzufangen gedenkt, wenn Ihr schon nicht sagen wollt, wo Ihr Euch ansiedeln werdet,« sagte Gracyan.

»Ich kann Euch nicht sagen, was ich selbst nicht weiß,« wiederholte Pientka. »Wenn mir etwas einfällt, will ich sehen. Entweder gehe ich zum Militär oder ich suche mir ein Pachtgütchen – oder – ich werde Kapuziner.«

Er lachte laut auf.

»Kapuziner könnt Ihr nicht werden, da Ihr verheiratet seid.«

»Je nun, dann scheidet man uns eben; unser Herrgott ist älter als Herr Rymscha.« Ein noch heute in Litauen gebräuchliches Sprichwort. Rymscha war russischer Polizeibeamter und zwar ein so grausamer, daß er zuletzt aus Angst vor Verfolgung sich selbst erhenkte. Anm. d. Uebers.

»Auch gestehe ich Euch, ich erblicke selbst jetzt nicht die geringste Qualifikation zum Kapuziner in Euch.«

Obwohl es das Abschiedsfrühstück war, das letzte, welches Freunde durch einen tüchtigen Trunk zu feiern pflegen, tranken sie beide nicht viel, – sie hatten keine rechte Lust dazu. Boroditsch trank nur wenig, Siegmund vergaß sein Glas ganz. Sie blieben bis zum Abend beisammen und wollten sich nicht voneinander trennen. Pientka begleitete Gracyan zu Fuß bis hinter die Weichsel; dort drückte er ihn thränenden Auges an sich und auch Boroditsch konnte seine Ergriffenheit nicht bemeistern. Endlich nahmen sie Abschied, winkten sich aber noch lange mit Händen und Tüchern von weitem zu. Tags darauf befand sich Pientka nicht mehr in Krakau; er war abgereist, ohne selbst seinen Bekannten zu sagen, wohin?

Boroditsch war nach Hause zurückgekehrt und begab sich, nach einiger Umschau daheim, sofort zu Okon.

Frau Pientka befand sich noch nicht in dem neuerworbenen Dörfchen. Der Vater fragte Boroditsch bei der Begrüßung sogleich nach der Transaktion und betrachtete die Unterschrift, das Siegel des Dokuments, kurz alles, was auf die Gültigkeit des Dokuments Bezug hatte, und verschloß endlich die Papiere. Von Siegmund sprach er kein Wort.

Auch Elsbeth kam herein. Sie trat nach dem Mittagessen an den Gast heran, als wollte sie etwas fragen; sie schien sich's aber nicht recht zu getrauen – und auch er fürchtete eher jede Frage, als daß er sie erwartete, da er ihnen nichts zu sagen hatte.

»Wie ist es Euch ergangen?« fragte sie endlich.

»Ziemlich gut,« sagte Boroditsch. »Herrn Pientka habe ich über alle Erwartung wohl betroffen. Irgend ein Schafhirt hat ihn geheilt. Als ich mit ihm in Krakau angekommen war, war er so krank und elend, daß ich, aufrichtig gestanden, nicht mehr viel von seinem Leben hielt. Jetzt fand ich ihn vollständig hergestellt, wenn auch sehr verändert; er ist sehr traurig und niedergeschlagen.«

Boroditsch sah Elsbeth verstohlen in die Augen; er erblickte aber nur ein trauriges teilnahmloses Gesicht. Sie hörte zwar aufmerksam zu, jedoch so, als ob sie über einen gleichgültigen Fremden etwas erfahren wollte.

»Kehrt Ihr bald nach Hause zurück, liebwerte Frau?« fragte endlich Boroditsch weiter.

»Ich?« rief Elsbeth, wie erwachend, »ich! – o ja, wahrscheinlich dieser Tage – ich hab' es nicht so eilig – nicht so eilig. Ihr hörtet gewiß schon, daß meine Schwester Katharina vor einem Monate starb – sie ließ ein kleines Töchterchen als Waise zurück. Ich nahm diese zu mir, um nicht allein zu sein.«

Sie wandte sich zum Fenster, blickte eine Zeitlang in den Garten hinaus und entfernte sich dann aus dem Zimmer.

Einige Tage darauf begleiteten die beiden Okons Elsbeth zu ihrer einstigen, heute für sie ganz neuen Wirtschaft. Mioduschewskis Obsorge darüber war so wirksam, daß man dort alles in bestem Zustande vorfand. Bei ihm selbst faulten die Hocken auf den Feldern, während bei Elsbeth alles strohtrocken eingeheimst und zu rechter Zeit bepflügt und besäet wurde. Der alte Okon besichtigte die ganze Wirtschaft und kehrte dann, von der Wirtschaft, dem Dörfchen und, wie es schien, selbst davon befriedigt, daß der Schwiegersohn nicht mehr da war, zurück.

Von nun an begann das Witwenleben Frau Elsbeths – denn sie wurde in der Nachbarschaft allgemein die Strohwitwe genannt: ein merkwürdiges, arbeitsames, strenges, einförmiges, ungemein thätiges, jedoch trauriges Leben. Selten fand sich jetzt jemand bei ihr ein, da Frau Pientka außer von der Familie nur ungern Besuche empfing. Sie gab sich ganz ihrer verwaisten Nichte und deren Erziehung, ferner der Wirtschaft und der Pflege ihres Gartens hin. Von Siegmund durfte, als wäre er gestorben, kein Wort gesprochen werden. Selbst Vater und Mutter vermieden jede Erinnerung an ihn.

So verflossen drei Jahre.

Drei Jahre! Ein scheinbar kurzer Zeitraum, vielen aber eine Ewigkeit.

Drei Jahre waren verflossen. Von Siegmund Pientka war nichts mehr zu hören. Seine Geschichte lief, mit vielen interessanten Beigaben geschmückt, bereits von Mund zu Mund als warnende Lehre künftiger Generationen; Frauen schreckten ihre Männer damit, – man erzählte sich von ihm in der That so wunderliche Abenteuer, daß sie für das Leben von zwei Tollköpfen hingereicht hätten. Allerlei leichtsinnige Streiche, von denen man seit vielleicht hundert Jahren sprach, wurden auf seine Rechnung gehäuft. Boroditsch war vielleicht der einzige, der sich mit freundschaftlicher Teilnahme mit seinem Geschick beschäftigte und eifrig bestrebt war, seinen Aufenthalt zu erfahren, aber umsonst. Er reiste einigemale nach Krakau, um nachzufragen, ob man ihn dort gesehen oder etwas von ihm gehört hätte; allein es gelang ihm nicht, irgend welche Nachricht zu erhalten. Er befragte die von ferne Ankommenden, ob sie Pientka nicht irgendwo begegnet – er hörte von vielen anderen Pientkas, jedoch von dem seinigen nicht.

»Als ob er ins Wasser gefallen wäre!« sagte sich Boroditsch, »bei Gott! 's ist schade um den Menschen.«

So ging das dritte Jahr seinem Ende entgegen, als Herr Gracyan, eines Abends vom Felde zurückgekehrt, in der Veranda Platz nahm und sich eine Schüssel unabgeschöpfte saure Milch nebst einem tüchtigen Stück Schwarzbrot vorsetzen ließ. Der ganze Tag war heiter gewesen, auch der Sonnenuntergang war prächtig und die Abendstille zauberisch schön. Herrn Gracyans einfaches Gemüt fühlte es heraus, daß die ganze Natur vor dem nächtlichen Schlafe in Gebet versunken war. Er lauschte dem von vielen unverstandenen Liede, das jedoch für ihn von so klarer und ausdrucksvoller Bedeutung war, und seine Augen füllten sich mit Thränen.

Obwohl er im Leben nicht glücklich war – er hatte bereits den Sommer desselben überschritten, allein, ohne Gefährtin, ohne Familie, denn diese war zerstreut und in weiter Ferne – so dankte er Gott auch für das Stück friedlich, not- und sorgenlos verbrachten Daseins. Es war ihm so wohlig ums Herz, und in der Seele, wenn auch nicht fröhlich, so doch heiter und stille. Die Linde rauschte leise im Hofe, die Vögelchen zwitscherten und im Teiche quakten die Frösche ihr »Gute Nacht«. Vom Felde heimkehrende Leute sangen beim Thor des Herrenhofes. Manche davon grüßten Boroditsch: »Gelobt sei Jesus Christus!« Er dankte und gab den Gruß freundlich zurück.

Plötzlich, während er so mit getünchtem Schnurrbart die Milch schlürfte, erdröhnte Hufschlag von der Landstraße her. Boroditschs Ohr war so geschärft, daß er jeden der hier vorbeifahrenden Nachbarn am Klange des Wagens und am Pferdegetrapp erkannte. Diesmal legte er fast den Löffel beiseite – so eigentümlich klang es; auch war kein Zweifel, daß es jemand war, der nach dem Edelhof fuhr, da es von jener Seite keinen anderen Weg gab. Er stellte also seine Milch beiseite, blieb stehen, legte eine Hand, dann beide an die Stirne und spähte aus. Hinter dem Zaunbuschwerk zeigte sich eine Britschka, vier tüchtige Pferde, auf dem Bock der Kutscher mit einem Burschen, im Wagen irgend ein Mann mit langem Schnurrbart und schief aufs Ohr gesetzter Mütze. Pferde, Britschka, Gespann und Leute fremd und unbekannt. Schon dachte er, es sei jemand von jenen Verwandten aus der Ferne, die er in der ganzen Welt verstreut besaß, als die Britschka hereinschwankte und ein Mann aus derselben stieg, sich ihm um den Hals warf und herzlich zu lachen anfing, als er sah, daß ihn Gracyan nicht erkannte. Nun erst ward dieser inne, daß er den verschollenen Pientka vor sich habe.

»Siegmund! so wahr Gott lebt! Laßt Euch umarmen. Mein Gott! lebend und gesund! Wie? Woher? Wohin führt Euch der Weg? Das nenne ich mir einen Gast!« Sie sahen einander voll Staunen an.

Boroditsch war ziemlich grau geworden, Siegmund dagegen sah beinahe so aus, wie ihn Herr Gracyan in Krakau verlassen hatte, – nur schien er, stärker und von bleicherer Gesichtsfarbe. Erst, als der Gast den Mantel von sich geworfen, gewahrte der Wirt, daß er eine militärische Uniform trug.

»Ei der tausend!« rief er aus – »Ihr seid ja gar unter die Soldaten geraten!«

»Wie Ihr seht, habe ich mir die Hauptmannschaft erworben.«

»Und Ihr dient?«

»Was hätte ich thun sollen? Mir eine Kugel durch den Kopf schießen?« lachte Pientka traurig. »Nach reiflicher Ueberlegung konnte ich ja doch kein Kapuziner werden; ihr schreckliches Fasten wollte mir nicht gefallen, noch viel weniger ihr härenes Kleid ohne Hemd. Da war mir schon die Uniform lieber.«

Boroditsch stand da und konnte sich nicht satt an ihm sehen.

»Lieber Gott!« rief er aus, »wie glücklich bin ich, Euch wiederzusehen! Wie oft sehnte ich mich nach einer Nachricht von Euch – und Ihr Undankbarer habt kein Wort, keine Silbe hören lassen.«

»Mein Gott, ich wollte, daß Ihr mein völlig vergesset: ich glaubte, daß auch ich es dann vermöchte. Alle Menschen – Ihr ausgenommen – haben den Siegmund sicher begraben – während ich Euch und die hier verlebten Zeiten und mein einstiges Glück nicht verwinden konnte! Es zog mich und zog mich – ich widerstand, solange ich konnte – schließlich riß mich die Sehnsucht wie an einem Zauberband hierher.«

Sie setzten sich in der Veranda nieder und Boroditsch sorgte gastfreundlich für Speise und Trank.

»Sprecht, erzählt! Ich bitte Euch – wie erging es Euch? Wie verbrachtet Ihr diese drei Jahre? Und wie steht's mit Eurer Gesundheit?« sprach der Wirt.

»Mit der Gesundheit ist's nicht so gut bestellt, wie einst, doch auch nicht viel schlechter – von den Jahren läßt sich nicht viel sagen. Unser Regiment wurde bald hier-, bald dorthin versetzt. Musterungen, Paraden – Lager – Langeweile – hie und da eine Unterhaltung, die einen völlig kalt ließ – denn bei uns sah sie anders aus – das ist alles. Ihr hingegen werdet mir mehr erzählen können. Wie?«

Pientka seufzte auf und fuhr ohne Unterbrechung fort: »Hört, Gracyan, Ihr werdet es wohl selbst erraten, was mich hierhergeführt. Solltet Ihr's glauben? Ich konnte bis zu dieser Stunde das hartherzige Weib nicht vergessen. Ich habe sie geliebt und liebe sie noch; sehen werde ich sie nicht – so wollte ich wenigstens von ihr hören, etwas über sie erfahren, und indem ich Euch in Suchawa besuche, von weitem mein ehemaliges Haus sehen, und sollte das Herz darüber entzweispringen! Sagt mir doch etwas über sie! Was macht sie? Seid Ihr dort häufig zu Gast?«

»Ich?« lächelte Boroditsch, »da irrt Ihr: ich komme sehr selten hin, denn Frau Elsbeth empfängt außer den Eltern und Verwandten nur ungern jemand bei sich. Es verkehrt beinahe niemand dort. Sie sitzt allein, erzieht ihre kleine, von Katharinen angenommene Nichte und wirtschaftet abgeschlossen wie in einem Kloster.«

»Aber Ihr habt sie gesehen?«

»Vorigen Sonntag in der Kirche.«

»Ah!« rief Siegmund, »was ist heute? Freitag! So wahr mir Gott helfe, Sonntag fahre ich mit Euch. Von weitem wird es mir doch erlaubt sein, sie anzusehen. Wie sieht sie aus?«

»Sie hat sich nicht verändert – Ihr sollt sehen,« sagte Boroditsch, »sie ist schön, das weiß Gott, und vielleicht noch schöner als je, freilich trauriger als früher, aber auch das steht ihr zu Gesicht.«

»Wer pflegt zu ihr zu kommen? Wer? Es ist nicht möglich, daß sie gar niemand empfangen sollte?«

»'s ist ein Kloster, sage ich Euch,« schloß der Wirt, »außer der Familie kommt niemand hin, höchstens ein paarmal des Jahres ich, zeitweise auch der alte Mioduschewski. Onkel Eligius ist zu ihr gezogen; der sitzt im Vorwerk, murmelt seine Ave Marias, stöhnt und nennt sie wie ehemals – ein Mannweib!«

Siegmund lächelte, während ihm ein Seufzer entfuhr. »Merkwürdig,« sagte er, »ich möchte sie vergessen, sie gerne hassen, ich hätte Grund genug dazu und bin doch so in sie verliebt, wie in jenen besseren Zeiten, als ich mich um sie bemühte und von der schönen Hand eine Ohrfeige bekam.«

Und als wollte Pientka die Erinnerung von sich abschütteln, erhob er sich und begann umherzugehen.

»Wie steht's mit der Wirtschaft im Dorf?« fragte er, um dem Gespräche eine andere Wendung zu geben.

»Ganz gut, der Acker wird ordentlich bestellt und die Ernte beizeiten eingeheimst; auch das Vieh gedeiht.«

Das Gespräch der beiden Freunde zog sich noch bis in die späte Nacht hinein. Siegmund warf sich am frühen Morgen aufs Pferd und flog nach Suchawa, von wo aus man das ganze benachbarte Dörfchen und den Gutshof sehen konnte. Dort stand er fast eine Stunde lang; Gott weiß jedoch, woran er dachte, denn er kehrte verstimmt zurück. Darauf gingen sie wieder herum und plauderten über dieses und jenes, alte Erinnerungen hervorsuchend, sich daran erfreuend und verbitternd. Nach dem Essen gingen sie auf die Veranda. Gracyan sah nach dem durchs Feld führenden Fußsteig aus.

»Aber wer kommt denn da des Wegs daher?« fragte plötzlich Siegmund; »bei Gott, es ist Onkel Eligius.«

»Freilich ist er's. Wenn er sich sehr langweilt und ihn die Lust ankommt, meinen alten Met zu schlürfen, so schleppt er sich öfter zu mir her. Verratet Euch mit keinem Wort, sitzt ruhig im Winkel, wir wollen sehen, was für ein Gesicht er macht, wenn er Euch erblickt.«

Es war in der That der alte Onkel, der ohne Ahnung, was für eine Ueberraschung seiner harre, näher kam. Er trippelte auf die Veranda hinauf, stellte seinen Stock hin und wollte eben Boroditsch begrüßen, als sein Blick auf die andere Seite fiel. Als er dort jemand sitzen sah, verneigte er sich, ohne noch zu wissen, wer es sei. Allein die Neugier trieb ihn, sich den Gast genauer anzusehen: er hob den Kopf, kniff die Augendeckel zusammen, starrte eine Zeitlang auf den Unbekannten hin, fuhr verwirrt zurück und rief: »Das ist ja unmöglich!«

»Was ist unmöglich, Herr Eligius?« fragte Boroditsch.

»Hm! Wer ist denn das dort in der Uniform?«

»Siegmund Pientka.«

Onkel Eligius verlor nun gänzlich die Fassung.

»Nicht möglich! Nicht möglich!«

Nun ging Pientka auf ihn zu.

»Habt Ihr mich denn nicht erkannt, Herr Eligius?« sagte er.

»Wie kommt Ihr denn hierher?«

»Ich besuchte Herrn Gracyan.«

Mit den Achseln zuckend und etwas Undeutliches zwischen den Zähnen murmelnd, stand der Ohm da und wußte nicht, ob er die Flucht ergreifen, oder sich setzen, ob er sprechen oder beiseite treten sollte. Gracyan bat ihn, auf der Bank Platz zu nehmen, was er endlich auch that.

»Spielen wir eine Partie Mariage?« proponierte er.

»Eh! nein, nein! kann nicht, muß gleich zurück,« sagte der scheugewordene Onkel. »Bin nur ein bißchen hinaus, um der Verdauung wegen einen kleinen Spaziergang zu machen, muß sofort wieder heim, sofort.«

Man drang nicht weiter in ihn. Ein Gespenst hätte den Onkel nicht so erschrecken können. Die Worte erstarben ihm auf den Lippen, er starrte Pientka an wie einen Regenbogen, seine Uniform, seine Stiefel und seine Sporen; in seinem Gesicht spiegelten sich Verwirrung, Sorge – und eine große Sehnsucht nach Hause. Als er ein halbes Stündchen so dagesessen hatte, empfahl er sich plötzlich, griff nach dem Stock und stürmte so eiligen Schrittes davon, als ob ihn jemand verfolgte. Den ganzen Weg über wiederholte er bloß: »Reden oder nicht reden? Sprechen oder schweigen?«

Schließlich dachte er sich, daß am Ende ein anderer das Geheimnis ausplaudern könnte; warum sollte er dem nicht beizeiten vorbauen? Eiliger als gewöhnlich die Ackerfurchen und Felder überschreitend, kam Onkel Eligius so ermüdet zu Hause an, wie er es schon lange nicht gewesen. Er suchte nicht mehr seine Wohnung im Vorwerk auf, sondern begab sich stracks in den Edelhof. Der Abend war beinahe von derselben Schönheit, wie gestern. Elsbeth saß mit der Nichte auf der Veranda und erzählte dem plappernden Kinde gerade etwas, als Eligius so lebhaft hereingestürzt kam, daß man schon aus seinen Bewegungen erkennen konnte, daß er eine wichtige Nachricht bringe. Allein hier angelangt, stand er verwirrt da und wußte nicht, wie er die Sache angreifen sollte; sie schien ihm so schwierig, daß er zweifelte, ob es ihm gelingen würde, die Nachricht aus dem Halse zu pressen.

»Wo warst du denn, Onkel?« fragte die Frau das Hauses.

»Nun, bei Boroditsch!«

»Und kommst so schnell zurück; war er denn nicht zu Hause?«

»O ja, das schon, und noch ein Gast dazu.«

Er fing an, mit der Hand herumzufuchteln, ohne weiter sprechen zu können.

»Ein Gast! ein Gast!« wiederholte er.

»Wer denn?«

Eligius sprang fast von der Bank auf und rang seine Hände; »Ein Gast – ja – wer? Wer? Wie soll ich das sagen?«

»Ja, wer denn, ums Himmels willen!« rief Elsbeth lachend.

»Nun, Siegmund! Mundi Pientka! bei des Heilands Wunden! er selbst!«

Elsbeth erbleichte, das Lächeln schwand rasch von den Lippen, die Hand fuhr nach der Stirne; sie erwiderte nichts und fragte auch nicht weiter.

»Ja, ja, so ist's!« sprach Eligius schnell, »er selbst, so wie er gewesen – nur in der Militäruniform mit Sporen, ungeheurem Schnurrbart – und blasser als früher.«

Nach einer Weile erst ließ sich Elsbeth mit unsicherer Stimme vernehmen: »Was ist denn so Wunderbares dabei? Vielleicht führt ihn ein Geschäft zu Boroditsch oder auch nur die Lust, ihn wieder einmal zu sehen.«

»Und wenn er, Gott behüte – hierherkommt?« rief Onkel Eligius, »was dann? Was dann?«

»Er kann unmöglich hierherkommen,« erwiderte Elsbeth, wie um sich zu beruhigen, »du weißt wohl, Onkel, daß dies nicht sein kann.«

»Hm! Weiß ich's denn, was bei ihm sein kann, was nicht, nachdem es in seinem Kopfe, wie es scheint, wieder richtig geworden? Du weißt eben nicht, daß er immer und überall ein Recht auf seine Frau hat, da weder Scheidung noch Trennung stattgefunden.«

»Er wird es nicht wagen, hierher zu kommen!« wiederholte Elsbeth entschieden, während ihre schwarzen Brauen sich finster zusammenzogen; »deine Furcht ist unbegründet, Onkel!«

»Ich bin über Feld und Rain geflogen, um es dich so schnell als möglich wissen zu lassen, damit du auf deiner Hut seiest,« sagte Eligius, »denn wer weiß –?«

»Laß mich doch in Ruhe, Onkel«, begann Elsbeth unmutig, »du siehst, daß ich mich nicht fürchte.«

»Nun gut! nun gut!« erwiderte Eligius, »dennoch möchte ich auf alle Fälle einen Boten nach Wulka schicken – es wäre doch sicherer, wenn Bruder und Schwägerin mit der Dienerschaft, und überhaupt mehr Leute kämen.«

»Glaubst du denn, daß er mich entführen will?« lachte Elsbeth herzlich auf, »er weiß zu gut, daß ich nicht zu denen gehöre, die sich entführen lassen. Genug davon,« fügte sie hinzu – »genug!«

Und ärgerlich wandte sie ihr Gesicht ab und der arme Onkel verstummte. Er wagte es nicht einmal, beim Nachtessen von Siegmund zu sprechen, er schielte bloß furchtsam nach der Nichte und wiederholte sich im Geiste fortwährend: »Ein Mannweib! Ein Mannweib!«

Ungeachtet der größten Bemühung, ruhig und unbefangen zu erscheinen, war Elsbeth diesen Abend und den folgenden Tag ganz anders, schweigsamer, betrübter und gereizter als sonst. Onkel Eligius wollte sogar gerötete Augen an ihr bemerkt haben.

Der Tag verging ohne irgend einen Vorfall, ohne irgendwelche Nachricht. So kam der Sonntag heran, an dem Elsbeth mit ihrer kleinen Nichte in der Pfarrkirche dem Gottesdienste beizuwohnen pflegte. Der Morgen war etwas umwölkt, sie schien zu schwanken, ob sie fahren sollte oder nicht, dann dachte sie aber, man könnte sie der Feigheit zeihen, und rasch entschlossen ließ sie die Pferde vorfahren. Onkel Eligius fuhr mit ihr. Eine innere Stimme sagte ihr, daß sie Siegmund dort sehen würde. – Wer weiß, vielleicht war es ihr nicht gleichgültig? Vielleicht war es gar ihr Wunsch, ihn dort zu erblicken?

Als die Pferde vor dem Kirchlein anhielten, fand sie beim Aussteigen Boroditsch vor, der ihr die Hand reichte und sie in die Kirche hineinführte – Siegmund war nicht zu sehen. Boroditsch hütete sich wohl, seiner Erwähnung zu thun. Als aber sie ihre Hand in den alten granitenen Weihkessel tauchte die Augen nach rechts gewendet, fiel ihr eine Uniform und darin eine Gestalt auf. Ohne ein Gesicht zu sehen, ahnte sie doch, daß es Siegmund sei. Er lehnte just an jener Seitenbank, in der sie stets zu sitzen pflegte. Sie überlegte, ob sie nicht einen anderen Platz einnehmen solle, aber dies würde Furcht verraten und die allgemeine Aufmerksamkeit erregt haben. Sie mußte also, um sich an ihren gewohnten Platz zu begeben, an ihm vorübergehen. Unwillkürlich erhob sie das Auge und begegnete den Augen Siegmunds, die auf einen Blick von ihr lauerten. Siegmund wich, als ob er ihr fremd wäre, ohne irgend eine Erregung zu zeigen, artig einen Schritt zurück und verbeugte sich. Frau Elsbeth wußte selbst nicht mehr, ob sie den Gruß erwidert; zitternd schob sie sich und das kleine Käthchen in die Bank hinein, kniete nieder, faltete die Hände, senkte den Kopf und begann zu beten. Sie wagte weder die Augen zu erheben, noch den Kopf zu wenden, um nicht abermals seinem Blicke zu begegnen. Die ganze Messe hindurch kniete sie beinahe bewegungslos, ohne zu wissen, was um sie herum vorging: sie betete, ohne sich der Worte des Gebetes bewußt zu sein. Es faßte sie ein Schauder an. Umsonst war ihr Bemühen, sich zu beruhigen, und die Verlegenheit, die sie fühlte, zu dämpfen; trotz der Gewalt, die sie über sich hatte, war es für sie eine Unmöglichkeit.

Siegmund stand fast ebenso bewegt und seiner selbst nicht mächtig da; jeden Augenblick fürchtete er, sich zu verraten. Von Zeit zu Zeit blickte er verstohlen nach seiner Frau, sah sie aber stets wie eine Marmorstatue bewegungslos in einer und derselben Stellung. Er dachte, sie müßte schon aus Neugierde noch einmal nach ihm hinblicken – allein sie wandte sich nicht mehr um. Offenbar war diese Bewegungslosigkeit absichtlich. Da er sich nun dachte, sein trotziges Verharren bei der Bank könnte als Zudringlichkeit aufgefaßt werden, so zog er sich, als die Bittgebete begannen, von der Bank zurück und blieb an der Wand stehen, an die der Beichtstuhl lehnte. Hinter demselben verborgen, konnte er die Heraustretende sehen, ohne sie zu einem Blick auf ihn zu zwingen; – zwar kam es ihm in den Sinn, draußen vor der Kirche zu warten, bis sie in den Wagen steigen würde, doch entschlug er sich dieser Versuchung.

Die Supplikationen, die Gebete, alles war zu Ende, der Küster löschte die Lichter aus, die Pfarrkinder zerstreuten sich nach allen Richtungen und die Kirche stand schon halb leer da, als Elsbeth sich rasch vom Platze erhob, ihr Buch nahm, dem kleinen Käthchen ein Wort zuflüsterte und sich gemessenen Schrittes dem Ausgang zuwandte. Sie erblickte Siegmund nicht und schien darüber froh zu sein. Nun eilte sie, ohne sich auch nur einmal umzusehen, dem vor der Kirche stehenden Wagen zu. Boroditsch, der ihr und Käthchen immer beim Einsteigen behilflich war, versäumte es auch diesmal nicht, und nachdem er seine galante Pflicht erfüllt, verbeugte er sich stumm und trat beiseite. Onkel Eligius atmete erst auf der Landstraße freier auf. Erst als der Wagen schon hinter dem Friedhof war, wagte er zu sprechen.

»Er stand an der Bank,« fing er an. »Hast ihn nicht gesehen, Elsbeth? Bei Gott im Himmel, er stand knapp an der Bank!«

»Ich sah ihn schon, er grüßte mich sogar,« erwiderte die Nichte.

»Was! Er grüßte?« rief der Ohm. »Er wagte es, dich zu grüßen?«

Schweigend fuhren sie nach Hause.

Tags darauf bat sich Eligius ein Wägelchen und ein Pferd aus; es brannte ihn furchtbar, dem Bruder von dem Geschehenen zu berichten, da man in Wulka von gar nichts wußte.

Seit langem war dem ehrlichen Onkel nicht etwas so nahe gegangen wie die gegenwärtige Ankunft Pientkas – die merkwürdigsten und schrecklichsten Ahnungen von Verbrechen spukten in seinem Kopfe herum. Er bebte, schauderte. Zeitweise war er der Ansicht, es müßte eine bewaffnete Macht gegen den Verfolger aufgerufen werden; er schrieb ihm feindliche Absichten zu und wunderte sich, daß niemand dasselbe argwöhnte und besonders, daß Boroditsch einen so gefährlichen Menschen in seinem Hause beherberge.

Er flog also zu Okons hin und stürzte, kaum aus dem Wagen gestiegen, zu seinem Bruder ins Zimmer.

»Nun? Hab' ich's nicht gesagt?« rief er, sogar den Gruß vergessend. – »Er ist hier! sitzt bei Boroditsch, – war in der Kirche. Hab' ihn mit eigenen Augen gesehen – ist beim Militär.«

»Wer denn? Wer?« fragte der Bruder verwundert.

»Wer? Wer anders, als er? Er! In Uniform!«

»Zum Teufel, wer?«

»Der verrückte Pientka – Siegmund! Wie kann man nur so fragen?«

»Wer sollte denn an ihn denken? Wie kommt er aber so plötzlich hierher? Sprich!«

»Wie ein Blitz aus heiterem Himmel! Niemand weiß wie! Boroditsch beherbergt ihn. Offenbar ist er mit von der Verschwörung.«

»Und Elsbeth?«

»Eh! eh! Ein Mannweib! Nichts! Die fürchtet sich vor keinem Teufel! Was liegt der daran?«

»Wozu also sollen wir uns fürchten?« fragte der alte Okon.

Der Oheim zuckte mit den Achseln.

»Ich sag' euch, es gibt ein Unglück. Er ist, wie bekannt, ein Tollkopf. Seine Augen sagen es, daß er sie noch immer liebt. Er ist imstande, ich weiß nicht was noch anzustellen.«

»Bah! schwatz nicht, Eligius! Laß die Sache gehen! Erzähle mir lieber, was du über ihn weißt. Drei Jahre ist er von hier fort –«

»Ich weiß nur so viel, daß er in der Uniform steckt und folglich irgendwo beim Militär sein muß. Daß er jedoch nicht ohne Absicht hierher gekommen, das ist sicher.«

Frau Okon kam nun auch herbei; sie teilte vollständig Eligius' Befürchtungen. Man fing an zu beratschlagen und kam schließlich überein, Okon solle mit Herrn Eligius zum Schutze der Strohwitwe hinübereilen. Der Oheim drängte aber so, daß beide, nachdem sie in der Schnelligkeit ein kleines Gabelfrühstück zu sich genommen, ohne erst das Mittagessen abzuwarten, sich auf den Weg machten und weder sich noch die Pferde auf der holperigen Straße schonten.

Indessen schien in Wahrheit durchaus keine Gefahr vorhanden zu sein. Nach seiner Rückkehr von der Kirche erklärte sich der ruhiger und sogar fröhlicher gewordene Siegmund mit dem Vorschläge Boroditschs einverstanden, zu Mioduschewski hinüberzufahren.

Mioduschewski liebte unseren Siegmund früher nicht sonderlich; später grollte er ihm sogar wegen Elsbeth; schließlich aber – denn er war im Grunde eine gute Haut – dauerte ihn das Geschick des armen Teufels und er wünschte beim Anblick der traurigen Lage des verwitweten Weibes fortwährend eine Versöhnung und ein gottgefälliges Zusammenleben der Ehegatten herbei.

»Was ist das für ein Leben,« pflegte er öfters vor der Ankunft Siegmunds zu sprechen – »was ist das für ein Leben, welches dieses arme Weib führt! Soll eine so wunderschöne, junge, brave und rechtschaffene Frau so zwecklos hinwelken, fremde Kinder pflegend? Schade um sie und schade um ihn. Er muß sich doch endlich ausgetobt haben, auch ist der Buße schon genug! Eins von beiden: entweder sollen sie sich versöhnen oder scheiden, denn ein solches Leben, nicht warm und nicht kalt, das eine hü, das andere hot, ist ein wahrer Gottesfrevel! Und bei Gott! 's wäre schade, ein so schönes Weib verdorren zu lassen.«

Als er Siegmund in der Kirche erblickte, nahm er Boroditsch sofort beiseite.

»Um Christi Wunden,« raunte er ihm zu, »wenn er schon einmal da ist, so trachten wir wenigstens sie miteinander auszugleichen. Was war und nicht mehr ist, darf nicht ins Register. Setzen wir vereint unsere Bemühungen daran, um die Leute einander näherzubringen.«

In dieser Absicht führte Gracyan unseren Pientka zu seinem Nachbar hinüber, welcher nach alter Sitte einen Krug Wein für ihren Empfang herbeibrachte. Sie umarmten sich herzlich auf der Veranda. Mioduschewski hatte bald eine ganze Verschwörung im Kopfe zurechtgelegt. Eine entfernte Verwandte von ihm, ein Fräulein Cewka, sollte in kurzem einen gewissen Boschyschewski heiraten. Die Hochzeit sollte bei Cewkas gefeiert werden, gute drei Meilen von hier. Mioduschewski war zuerst zu Frau Siegmund gefahren, um sie zu beschwören, daß sie die Feier mit ihrer Gegenwart beehre und bei dem jungen Fräulein, das keine Mutter mehr hatte, Mutterstelle vertrete.

Elsbeth wollte anfangs nichts davon hören.

»Was fällt Euch da ein, Herr Mioduschewski?« sagte sie. »Ich pflege ja nie und nirgends zu Hochzeiten und Tanzvergnügungen hinzugehen! Nicht um alles nehme ich die Einladung an! Der Anblick eines Weibes, wie ich, das weder Gattin noch Witwe ist, würde sogar für viele Vorurteilsvolle ein böses Vorzeichen sein. Ich kann Eurer Einladung nicht Folge leisten.«

»Diesmal müßt Ihr aber bei meiner armen Waise Mutterstelle vertreten,« entgegnete Mioduschewski. »Es ziemt sich nicht, so etwas abzulehnen.«

»Ich trage mich schwarz und habe kein anderes Kleid. Hochzeitsmusik und fröhliches Menschengewühl sind mir unerträglich, darum laßt mich in Ruhe.«

»Gnädigste Frau! ich lasse Euch keine Ruhe, und sollte ich Euch auf meinen Knieen darum bitten, Ihr müßt zur Hochzeit hin! Aus Mitleid, aus Barmherzigkeit, aus Freundschaft für mich! schlagt mir's nicht ab.«

»Seid Ihr aber leichtsinnig!« rief Elsbeth.

»In der That, ich bin es und werde es sein, – nennt mich noch ärger, gnädigste Frau – ich fürchte mich nicht, Ihr müßt mir die Gnade erweisen.«

»Wenn ich Euch aber sage, ich kann es nicht!«

»Ihr könnt und werdet es thun.«

Elsbeth, anfangs fast böse über den Zudringlichen, begann schließlich über ihn zu lachen, blieb jedoch fest bei ihrem Nein. Mioduschewski gab nicht nach. Er fing an, sie so lange zu quälen, ihre Hände zu küssen, sie zu beschwören, die arme Waise zu bedauern, die Ehre, die sie damit erwiese, hervorzuheben, zu drängen und schließlich zu langweilen, daß Elsbeth zuletzt nachgab und erklärte, den Kirchgang und das Festmahl mitzumachen, jedoch gleich darauf wieder nach Hause zurückzukehren.

Der Alte gab sich damit zufrieden, in der Ueberzeugung, daß, wenn er Frau Siegmund erst an Ort und Stelle hätte, er sie nicht so bald wieder weglassen würde, und müßte er auch ein Rad von ihrem Wagen beiseite schaffen. Er dankte ihr in den herzlichsten Ausdrücken, küßte ihre Hände, schwur ewige Dankbarkeit und fuhr davon.

Sein Plan war, Elsbeth und Siegmund bei dieser Hochzeit unvermutet zusammentreffen zu lassen und eine Annäherung zwischen ihnen auf alle mögliche Weise zu betreiben.

»Den Rest wird Gott thun,« sagte er sich, »wenn's sein Wille ist, daß sich die Geschichte wieder verkitte.«

Als Pientka zu Mioduschewski kam, suchte dieser ihn zunächst mit Wein aufzuheitern.

»Liebster Herr Siegmund,« sprach er dann, »ich hoffe, daß Ihr nach so langer Abwesenheit von unserer Gegend längere Zeit bei uns verweilt?«

»Ich weiß es selbst nicht.«

»Gewiß, Ihr thut's,« warf Mioduschewski ein, »wir lassen Euch nicht fort. Zerstreuen müßt Ihr Euch, und Ihr gesteht doch wohl, daß man sich nirgends so gut und so gemütlich unterhält, wie just bei uns. Vor allem nehme ich Euch zur Hochzeit meiner Nati Cewka in Beschlag.«

»Laßt mich mit Hochzeiten in Frieden!« unterbrach Pientka, »die taugen nicht für mich.«

»Warum nicht? Es werden eine Menge Edelleute dort sein, für ein reines, gesundes Ungarweinchen werde ich sorgen, auch wird es nicht an guten Fideln und hübschen Gesichtchen fehlen. Wir verbringen ein paar lustige Stunden.«

»Lieber Mioduschewski,« sagte Pientka, »vor vier Jahren wäre ich nach einer solchen Gelegenheit stundenweit gelaufen, da fand ich noch Freude an derlei Belustigungen, – jetzt aber –!«

»Ihr müßt eben wieder Eure Lebenslust wachrufen.«

»Das wird nicht recht möglich sein!«

»Und ich lasse Euch doch nicht aus! Ihr fahrt mit mir oder mit Boroditsch – aber fahren müßt Ihr.«

»Ihr seid wirklich köstlich!« lachte Pientka.

»Einem alten Freunde, der einen bittet, seiner Verwandten, die obendrein noch eine Waise ist, diese Ehre zu erweisen und ein Schlachzizenhäuschen mit seiner Gegenwart zu schmücken, schlägt man so etwas nicht ab.«

»Was soll ich aber dort?« fragte Pientka, »ich bin nicht mehr der Zecher von ehedem, auch finde ich keinen Geschmack mehr an schönen Gesichtern, und fände ich ihn auch, so taugte ich für die weibliche Gesellschaft nicht, da ich weder Junggeselle noch Witwer bin. Als ein Gespenst, wie ich es jetzt bin, gehe ich nicht zum Tanz. Ueberdies kann ich nicht viel sprechen, auch haben mich die alten Bekannten vergessen und neue Beziehungen mag ich nicht anknüpfen.«

»Sprecht, was Ihr wollt, aber mitfahren müßt Ihr.« Dabei fing er an, ihn zu umarmen, zu bitten und auf alle erdenkliche Weise zu überreden.

»Und fährt Boroditsch hin?« fragte Pientka.

»Wenn Ihr fahrt, fahre ich auch!« ließ sich der Angeredete vernehmen.

Die Sache war so gut wie abgemacht – die Hochzeit sollte in einigen Tagen gefeiert werden, indessen vertrieb man sich die Zeit mit der Jagd. Pientka verweilte aber beinahe täglich ein paar Stunden an der Stelle, wo er seinen ganzen Gutshof von ferne sehen konnte. Unverdrossen starrte er dann nach jener Richtung hin.

Onkel Eligius, der stets Besorgte, pflegte sich häufig zu erkundigen, ob denn Siegmund noch immer nicht weggefahren sei – er wäre ihn gerne so rasch als möglich losgeworden. Die Knechte, die er unter allerlei Vorwänden nach dem Edelhofe schickte, brachten ihm aber immer die unglückselige Kunde zurück, daß von einer Abreise Pientkas noch gar nichts verlaute.

»Dennoch hat er sich nicht umsonst hier in unserer Nähe festgenistet,« sagte Eligius, »dahinter steckt etwas, und die besten Freunde und Nachbarn, Mioduschewski und Boroditsch leben, trinken, verbrüdern und – verschwören sich mit ihm, denn daß sie sich verschwören, dafür lasse ich mir den Kopf abhauen.«

Es empörte ihn, daß Elsbeth seine Warnungen in dieser Sache nicht hören und seine Befürchtungen durchaus nicht teilen wollte. Die Okons waren herzlich froh, daß die Töchter wenigstens einmal aus dem Hause kommen und sich auf der Hochzeit Fräulein Cewkas zerstreuen werde.

Herrn Cewkas Haus war ein alter Schlachzizenbau, fast so, wie er aus dem siebzehnten Jahrhundert herübergekommen war: es hatte sich hier seit langem kein ausländischer Brauch, noch irgend etwas Modernes eingedrängt. Es war ein ungeheurer, alter, hölzerner Edelhof, der von weitem wie ein Schuppen aussah, im Inneren jedoch sehr bequem war. Die geräumige Vorhalle allein konnte über hundert Personen fassen. Die Stuben waren ohne besonderen Schmuck, weiß, rein und frisch und mit häuslichen Arbeitsgeräten angefüllt. Ebenso einfach war das Hochzeitsmahl; der reine, gesunde doch nicht teure Ungarwein wurde faßweise hereingebracht und faßweise ausgetrunken. Nirgends zeigte sich übertriebener Luxus, nirgends ein hohler Prunk; hier hieß es: Herz auf der Zunge, und: Ein Schelm gibt mehr, als er hat.

Es war ein wunderschöner Tag, der da dem Glücke der jungen Brautleute leuchtete. Seit frühem Morgen strömte die Schlachta Landadel. Anm. d. Uebers. ohne Unterlaß heran. Da Elsbeth einmal ihr Wort gegeben, mußte sie dahin, mochte sie nun wollen oder nicht. Onkel Eligius war ihr Begleiter. Diesmal kamen seine Korduanstiefel prächtig zur Geltung. In dem Hochzeitshause war ein solches Lärmen und Drängen, daß ein Gast von dem anderen nichts wußte und eine Begegnung ein schwieriges Ding war. Ein Teil der Gäste verzog sich auf die Veranda, andere nahmen an den im Hofe aufgestellten Tischen, der Rest im Garten Platz. Die Trauung mußte wegen der allzugroßen Entfernung der Kirche in der eigens zu dieser Zeremonie geschmückten Hauskapelle abgehalten werden. Der Weg vom Edelhofe dahin war zu Ehren des Brautpaares mit rotem Tuch ausgelegt. Es ging natürlich nicht ohne feierliche Reden und Antworten ab, welche die Zeremonie außerordentlich verlängerten.

Kurz vor derselben kam Frau Pientka mit Onkel Eligius an. Obgleich sie eine einfache Toilette gewählt hatte, sah sie doch so schön aus, daß sich die Leute scharenweise herandrängten, um sie zu sehen. Zum Teil war es freilich auch ihr Schicksal, was das große Interesse für sie erregte. Alles ging programmmäßig und in glücklich bestimmter Reihenfolge von statten und eben schritt Elsbeth im Gefolge Fräulein Natalias aus der Kapelle gegen den Edelhof, als sie auf dem Wege, wo die Männer, um den Anblick der Frauen zu genießen, Spalier bildeten, in nicht zu weiter Entfernung Siegmund erblickte, der in einer schmucken Kavallerieuniform, auf seinen Säbel gestützt, unter den Bäumen stand und seine Blicke auf sie geheftet hielt. Unwillkürlich errötete die schöne Frau; sie hatte nicht erwartet, ihn hier zu finden. Im ersten Augenblick schlug sie die Augen zu Boden, sie erhob sie aber sofort wieder, um ihre Betretenheit nicht merken zu lassen und schritt weiter. Siegmund blieb mit einigen Bekannten auf seinem Platze.

»Was schadet es mir denn, wenn er hier ist!« sprach Elsbeth zu sich selber. »Zur Annäherung hat er ja doch keine Gelegenheit, denn sogleich nach dem Mahle fahre ich nach Hause.«

Die gute Frau wußte eben nicht, daß ihr Kutscher bereits so betrunken war, daß er weder Hand noch Fuß bewegen konnte, und an der Wiege ein Rad fehlte, welches ins Lehmhaus Ein mit Lehm bedeckter, feuerfester Raum, wo die polnischen Bauern ihre Sachen bei Feuersnot in Sicherheit bringen. Anm. d. Uebers. hinter Schloß und Riegel gebracht worden war.

Mioduschewski, der als Verwandter und halber Wirt eine Annäherung der beiden Ehegatten herbeizuführen wünschte, erwirkte es in aller Stille bei denen, welche bei der Tafel die Plätze anwiesen, daß Pientka seiner Frau gegenüber zu sitzen kam. Man hatte es so trefflich eingerichtet, daß es Frau Siegmund erst dann gewahr wurde, als sie bereits ihren Sitz eingenommen hatte. Siegmund selbst war an der Ueberraschung, die für ihn ungemein angenehm war, ganz unschuldig. Er konnte von seinem Platze aus Elsbeth ungestört betrachten; und wie lange hatte er sie nicht mehr in solcher Nähe gesehen! Neben Frau Siegmund saß von einer Seite Onkel Eligius, von der anderen die mitverschworene Frau Bartochowska, eine Verwandte Mioduschewskis. Dieser selbst setzte sich neben Siegmund, nicht ohne Boroditsch ein Zeichen gegeben zu haben, daß er von der anderen Seite Platz nehme. Das Komplott zielte dahin, daß Elsbeth, wenn sie mit ihrer Umgebung sprechen würde, es nicht werde vermeiden können, Pientka anzusehen. Frau Bartochowska fiel die Aufgabe zu, mit Siegmund zu plaudern und ihn ins Gespräch zu ziehen.

Zu Anfang der Tafel machte die Musik einen solchen Lärm, daß, trotzdem der Tisch ziemlich schmal war, an ein Gespräch nicht gedacht werden konnte. Als Elsbeth ihren Mann erblickte, umgeben von Boroditsch und Mioduschewski, erriet sie sogleich, daß es nicht der Zufall sei, der dies so gefügt. Sie wandte daher ihre Augen weg und beschloß mir ihnen so zu manövrieren, daß sie, den Verschwörern zum Trotz, weder Pientkas Blicken begegnen, noch ihn während des ganzen Festmahls anzusehen brauchte. Doch war dies eine Sache, die sich leichter vornehmen als ausführen ließ. Elsbeth ärgerte sich nicht wenig, wurde purpurrot, hob die Augen zur Decke und nahm eine stolze, ablehnende Miene an. Sofort erkannte Mioduschewski, daß es nicht zum besten stehe. Onkel Eligius erstarrte vor Schreck, fing wie geistesabwesend an, aus seinem Brote Kügelchen zu drehen, und schielte nach der Nichte, als wollte er sie zum Rückzug bewegen. Erst nachdem die Gäste alle Platz genommen hatten und die Musik ein wenig verstummte, wurde es möglich, ein Gespräch in Gang zu bringen, und ein stilles Gemurmel erfüllte den Speisesaal. Frau Bartochowska war die erste, die Pientka anredete: »Ob er denn viele Bekannte getroffen hätte und wie ihm ihre einfache Schlachzizenhochzeit gefalle?«

»Ich bin ja an das einfache Leben gewöhnt,« sagte Siegmund. »Ich wollte, ich könnte meine frühere, noch einfachere Lebensweise wieder führen.«

»Ihr müßt eben zu derselben zurückkehren!« sagte Bartochowska lachend.

»O! Wenn man's nur könnte!« rief Siegmund aus, »mit tausend Freuden, aber ich habe ja niemanden.«

Frau Siegmund, die nicht hinhorchte, obschon sie es gewiß hörte, erhob plötzlich ihren bis dahin gesenkten Blick und sah, o Wunder! zum größten Schrecken des Onkels Siegmund geradeaus in die Augen.

Was sie dazu bewogen, ihren vorigen Entschluß so rasch aufzugeben, weiß Gott allein. Pientka erbebte. In diesem Augenblicke erst gewährte er am Halse seiner Frau jene Kette aus Granaten – wie ein Zeichen der Vergebung. Es war gewiß ein Zufall, daß sie dieselbe an dem Tage angelegt, für ihn jedoch hatte sie eine gewaltige Bedeutung; sein Herz schwoll von Hoffnungsmut, sein Auge erhellte sich freudig.

»Das Soldatenleben ist ein schweres, besonders in Friedenszeit,« fuhr er fort. »Anders, wenn's Krieg gibt, dann vergißt der Mensch alles. Der Krieg bietet ihm Abwechslung. Er verfolgt den Feind, flieht wohl auch und stellt ihm Fallen, jeder Tag bringt etwas Neues; er hat keine Zeit zur Sehnsucht und Langeweile. In Friedenszeiten aber liegt er in Quartieren, Lagern und Städten herum, und wenn die Musterungen zu Ende, die Losung ausgegeben, die Wache bestellt ist, was thut er dann?«

Frau Pientka schien von den Worten gefesselt und lächelte fast; ja noch mehr, sie vergaß sich zum Entsetzen des Onkel Eligius so weit, daß sie – auf Siegmunds Rede eine Antwort gab.

»In solchen Städtchen, wo Kavallerie liegt,« sagte sie, »findet man doch stets lustige Gesellschaft; wer Vergnügungen sucht, dem fällt es leicht, welche zu finden.«

Pientka, der auf eine Antwort von Elsbeth keineswegs gefaßt war, verstummte zuerst, allein er war von so großer Freude erfüllt, daß er rasch seine Geistesgegenwart wiedergewann.

»Nicht jedermann sucht Vergnügungen,« sagte er leise. »Die Jugend jagt danach, aber gesetzteren Personen munden sie nicht mehr.«

»Wer sie jedoch gewohnt ist –« meinte Elsbeth.

»Der fühlt sich mit der Zeit übersättigt und entwöhnt sich ihrer wieder, wenn er auf das schale Vergnügen allein angewiesen ist,« sagte Pientka. »Es ist gut als Leckerbissen, allein es kann uns nicht als tägliche Nahrung dienen.«

Die Anwesenden waren von diesem Anfang einer Annäherung ebenso entzückt, wie Pientka, dessen in der Regel ernste Mienen sich im Nu veränderten und aufhellten. Mioduschewski sah bedeutungsvoll auf Boroditsch, dieser auf ihn, Eligius löffelte noch immer an seiner Suppe, obwohl schon längst nichts mehr im Teller war. Frau Bartochowska, welche zu ihrer Freude sah, daß die Annäherung so über alle Erwartung gelang, bemühte sich, das Gespräch im Zuge zu erhalten.

»Liegt Euer Regiment weit von hier?« ließ sie sich vernehmen, indem sie sich an Pientka wandte.

»In Großpolen,« erwiderte dieser, »aber mich hat selbst aus so weiter Ferne die Sehnsucht nach der heimatlichen Gegend hergetrieben. Drei Jahre kämpfte ich mit ihr, bis ich mich schließlich, ungeachtet meines Soldatentums, von ihr überwinden ließ. Ich nahm einen Urlaub, um wenigstens einige Tage hier zu verbringen und mit einem Vorrat frischer Erinnerungen wieder zum früheren Leben zurückzukehren.«

»Ich sage aber,« bemerkte Frau Bartochowska, »wozu überhaupt zurückkehren?«

Elsbeth erhob ihre Augen nach ihm. Pientka vertiefte sich im Anblicke derselben so, daß er Frau Bartochowska die Antwort schuldig blieb und erst, nachdem Elsbeth die Augen gesenkt, entschuldigend fragte, was sie zu ihm gesagt habe.

Frau Bartochowska fing an zu lachen, Elsbeth schlug errötend die Augen nieder. Der Anfang war überaus glücklich und der biedere Mioduschewski hätte vor Vergnügen beinahe die vor ihm stehende Schüssel umgeworfen. Darob entstand ein allgemeines Gelächter und – Frau Pientka lachte mit, was schon seit langem nicht mehr der Fall war.

»Das Mahl wird sich in die Länge ziehen,« sagte später Mioduschewski, »und wer die unwürdige Absicht hatte, nach dessen Beendigung nach Hause zu entfliehen, wird seine Strafe finden. Die Nacht ist dunkel und die Leute sicherlich sternhagelvoll – man müßte also höchstens zu Fuß gehen.«

»Ihr führt sicherlich etwas gegen mich im Schilde,« entgegnete Elsbeth, »aber wir sind mit diesen Wegen – wäre es auch in der Nacht – vertraut, das schreckt uns nicht.«

»Die Pferde müßten höchstens allein gehen!« lachte der Alte, »denn ich glaube kaum, daß der Fuhrmann heute jemand anderen fahren könnte, als Gott Morpheus.«

»Was hätten denn die Herrschaften davon, wenn man als unnützer Zuschauer dabliebe?« versetzte Frau Pientka; »es geht auch ohne mich. Was sollten auch die fröhlichen Tänzer mit meinem traurigen Gesichte anfangen?«

»Heute darf niemand ein traurig Gesicht machen,« unterbrach Mioduschewski.

»Einen heiteren Ausdruck kann ich ihm nicht geben,« versetzte Elsbeth.

Onkel Eligius geriet über die Redseligkeit seiner Nichte völlig aus Rand und Band. Er starrte nachdenklich vor sich hin, vernachlässigte die vor ihm stehenden Speisen und schien vollständig geistesabwesend. Elsbeth bemerkte dies und fragte ihn, warum er denn nicht esse?

»Es ist mir die Lust dazu vergangen,« antwortete er verdrießlich.

Boroditsch, an den gerade die Schüssel kam, nahm den Teller des Unglücklichen und füllte denselben reichlich; der Alte machte sich nun zwar mit dem Essen zu schaffen, vergaß es aber doch jeden Augenblick und schielte bald nach Siegmund, bald nach dessen Frau.

»Sie sehen einander an, als hätte es niemals etwas gegeben!« brummte er vor sich hin. »Elsbeth lacht! ihm funkeln die Augen! Hm, hm, was da noch daraus werden soll!«

Thatsächlich war noch keine Gefahr vorhanden; Frau Siegmund fand es eben nur unartig zu schweigen und eine sauertöpfische Miene zu machen, selbst einem Menschen gegenüber, von dem sie sich getrennt hatte, und Siegmund, ohne sich etwa mit schönen Hoffnungen zu schmeicheln, benutzte nur den glücklichen Moment. Das Gespräch wurde allgemeiner; Rede und Gegenrede wechselten in bunter Reihe.

»'s ist wahrhaftig ein glücklicher Zufall, daß man uns alle hier so schön zu einander setzte,« bemerkte Mioduschewski.

»Aufrichtig, Herr Nachbar!« antwortete ihm Elsbeth mit ernster Miene, »war das Zusammentreffen auch wirklich nur Zufall und nicht vielmehr ein Werk der Berechnung, die sich aber als sehr trügerisch erweisen könnte?«

»Wer wird sich denn heute in Berechnungen einlassen!« entgegnete achselzuckend der Alte. »Unser Herr Gott allein thut und schafft nach seinem Willen, die Menschen irren sich zumeist und darum taugen ihre Rechenkünste nichts! Wer wird da rechnen wollen!« Elsbeth drohte ihm mit dem Finger – Mioduschewski legte die Hand aufs Herz, als wollte er sagen: »Ich schwör's Euch zu, daß ich unschuldig bin.«

Trotz der Drohung glaubte Mioduschewski dennoch zu bemerken, daß sie nicht allzusehr zürnte. Von Zeit zu Zeit blickte sie nach Siegmund, der weder übertriebene Fröhlichkeit, noch erzwungene Betrübnis an den Tag legte. Er saß ernst da und sprach frei und ungezwungen.

Der Verräter Mioduschewski fing nun so geschickt an, ihn nach verschiedenen Dingen zu fragen, daß seine Antworten zu den Ohren Frau Pientkas dringen mußten.

»Und was gedenkt Ihr weiter anzufangen, Herr Siegmund? Wollt Ihr etwa ewig bei dem Regimente bleiben?«

»Ich? ich gedenke gar nichts,« sagte Pientka. »Ich habe mich in die Uniform gesteckt, ins Register eingeschrieben und lasse mich im übrigen von meinem Schicksal lenken. Es schiebt mich und ich gehe, so komme ich eben weiter. Beim Militär ist's wie in einem Kloster, der Eintretende verliert den Willen und bisweilen fühlt sich der Lebensmüde ohne einen solchen wohler. Geh dorthin, komm her – mach dies oder jenes! Der Mensch wird zur Maschine, aber er befindet sich dabei ganz gut.«

»Doch sagtet Ihr selbst, daß die Sehnsucht in Euch erwacht sei?« fragte der Alte.

»'s ist wahr, trotzdem sie in meinem gegenwärtigen Stande sündhaft ist,« sprach Siegmund. »Der Soldat darf sich weder nach etwas sehnen, noch etwas wollen. Das Leben schleicht einförmig und langsam dahin und doch rollen die Jahre mit dieser Eintönigkeit davon, daß man's kaum merkt.«

Obwohl Elsbeth so that, als unterhielte sie sich mit Frau Bartochowska, horchte sie doch mit halbem Ohre hin.

»Es ist doch unmöglich, bis zum letzten Atemzug in diesem Geschirre zu dienen,« sprach Mioduschewski unermüdlich weiter, »man wird einmal auch an etwas anderes denken müssen.«

»Wozu?« sagte Siegmund, »vielleicht gibt unser Herrgott einen Krieg, dann endigt diese Langeweile um so rascher.«

»Ich wünschte etwas anderes,« unterbrach der Nachbar. »Sobald Ihr Euch einmal hierhersehnt, so ist's schon ein Beweis, daß Ihr die Uniform satt habt und an eine Veränderung denken müßt. Nehmt hier in unserer Nähe irgend eine Pacht.«

Bartochowska mischte sich ins Gespräch: »Gewiß! Wir haben einige Dörfchen in der Nachbarschaft.«

»Ich bin in der Landwirtschaft kein Held,« sprach Siegmund, »auch gestehe ich Euch, Ihr Herrschaften, ich habe niemand und nichts, wofür ich arbeiten sollte – wozu also?«

»Dennoch,« warf Elsbeth leise ein, »ist die Arbeit ein Ding, welches durch sich allein schon das Leben versüßt; sie ist die beste Arznei.«

»Das ist wahr,« entgegnete Siegmund; »aber auch dafür bedarf es der Kraft, und der Mensch ist bisweilen wie eine Taschenuhr mit gesprungener Feder, die keine Triebkraft mehr hat.«

Dabei seufzte er tief auf. Diese Wendung des Gespräches hätte sich vielleicht gut ausnutzen lassen, wenn nicht in demselben Augenblick einer von den Honoratioren sich erhoben und mit weitläufiger Rede die Gesundheit des jungen Paares ausgebracht hätte. Dabei ging vor den Fenstern ein Mörser mit solch furchtbarem Knall los, daß eine Scheibe in Stücke sprang und ein paar Frauen laut aufschrieen, während die übrige Gesellschaft in ein donnerndes Vivat ausbrach. Ich glaube, man hätte selbst die Posaune des jüngsten Gerichts nicht gehört, wenn sie zufällig in diesem Momente ertönt wäre.

Alles erhob sich von seinen Sitzen und rief: »Das junge Paar lebe hoch! hoch!«

Nach diesem Toast kamen andere an die Reihe, denn gleich darauf wurde auf die Gesundheit Herrn Cewkas getrunken, dann auf die des Herrn Unterkämmerers, welcher den ersten Toast ausgebracht, dann der Reihe nach bis ins Unendliche auf die der tafelnden Damen und Herren. Und zu all diesen »Vivats« gesellten sich stets Ansprachen, Geschrei, Gelächter und ein solches Durcheinander, daß an ein ruhiges Gespräch nicht zu denken war. Hatte jemand seinem Nachbar etwas Wichtiges zu sagen, so schrie er es ihm ins Ohr. Trotzdem blieb diese Zeit nicht verloren, denn Siegmund sah Elsbeth einigemal an, die ihrerseits wieder seinen Blicken durchaus nicht auswich, ja, es ereignete sich sogar, daß sie ihn öfter mit einer gewissen Teilnahme betrachtete. Noch dauerten die Toaste bei den kleineren Gruppen fort, als die jungen Damen und Herren sich von der Tafel zu erheben anfingen. Elsbeth blieb, winkte aber, ohne ihren Sitz zu verlassen, Mioduschewski, neigte sich zu ihm über den Tisch und fragte: »Meine Pferde?«

»Gnädigste Frau!« antwortete der Gefragte, »es ist rein unmöglich, daß Ihr nach Hause fahrt, es müßte Euch denn einer von uns fahren, doch zweifle ich, daß es gelänge, da ich's selbst mit meinen eigenen Augen sah, wie man von jeder Wiege ein Rad herunternahm und nach der Lehmhütte brachte.«

Elsbeth schlug die Hände zusammen.

»Habt doch Erbarmen mit mir,« fuhr Mioduschewski fort, »es wird weder eine Sünde sein, noch werdet Ihr Euch allzusehr langweilen, wenn Ihr sitzen bleibt und Euch die Tanzenden anseht: auch könnt Ihr Euch keinesfalls weigern, mit Cewka eine Mazurka zu tanzen.«

Frau Siegmund zuckte unwillig die Achseln und ging beiseite – es war nichts zu thun.

Im Nu begann man die Tische aufzuräumen, Platz zu machen, den Fußboden zu fegen, um für die Tänzer das Feld instandzusetzen, denn auf der mit grünem Fichtenreis geschmückten Estrade wurden bereits die Geigen gestimmt. Die Dienerschaft, an flinke Ausführung gewöhnt, war im Augenblick fertig. Besonders zu dem ersten wichtigen polnischen Nationaltanz mußten sämtliche Zimmer ringsherum von jeglichem störenden Geräte befreit werden, denn es war Brauch, beinahe das ganze Haus im wirbelnden Tanze zu durchfliegen, so daß sich bisweilen das letzte Paar mit dem ersten in entgegengesetzter Richtung treffen und trennen mußte.

Auf ein gegebenes Zeichen begann die Musik. Die jungen Eheleute bildeten das erste Paar; man setzte sich in Bewegung. Siegmund bekam irgend eine ihm nur wenig bekannte Dame zur Tänzerin, er wußte weder wo, noch wohin er sich mit ihr drehen sollte. Mit der jungen Frau tanzte beinahe jeder der vornehmeren Gäste; so ging's mit dröhnendem Aufschlag unter großem, nach den unzähligen Weintoasten begreiflichem Jauchzen fort. Kaum versah sich's Pientka, wie ihm jemand seine Partnerin abnahm und er zur folgenden überging. Heute hatte er in der That Glück und vielleicht halfen auch die guten Freunde ein wenig zu dem Glücke mit. Kaum hatte Siegmund mit jener Dame ein paar Worte gewechselt, so wurde er schon wieder von ihr getrennt und der nachfolgenden zugeschoben; diesmal war es die gut gelaunte und merkwürdig fröhliche Frau Bartochowska.

»Seht nur, Herr Pientka, zwei Paare hinter uns tanzt Eure Frau; wenn das Ablösen fortgeht, werdet Ihr sie nehmen müssen. Ich hoffe, daß sie Euch nicht abtrumpft, und habt Ihr einmal ihre Hand, so wollen wir schon dafür sorgen, daß Ihr so lange als möglich beisammen bleibt. Ihr habt hier gute Freunde.«

Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, so wurde Siegmund schon wieder eine andere Dame zugeschoben; zugleich bemerkte er, daß knapp hinter ihm seine Frau mit Mioduschewski tanzte. Sein Herz schlug mächtig empor in banger Ungewißheit, wie es ihm jetzt ergehen werde.

Aller Augen richteten sich nun neugierig nach der Stelle, wo Elsbeth und Siegmund standen. Elsbeth schien durch diese Blicke nicht im mindesten verwirrt. Sie tanzte mit der ganzen Majestät ihrer Schönheit, unbewegt, ernst, voll Liebreiz, so daß sie ringsumher alle jungen und durchaus nicht häßlichen Damen verdunkelte.

Als der Vormann Siegmunds herantrat, um ihm seine Tänzerin zu nehmen und er zurückwich, um seinen Hintermann von Frau Siegmund zu trennen, wurde ihm beinahe ein wenig schwarz vor den Augen. Der mutige Soldat verlor die Fassung. – Wenn nun die Frau aus der Reihe träte und ihm die Hand verweigerte? Das Blut schoß ihm ins Gesicht. – Er streckte zitternd die Hand aus – Elsbeths Hand legte sich gleichfalls zitternd darein – er fühlte an ihr das Hämmern ihres Herzens. Dadurch kühner gemacht, wagte er es, sein Auge zu ihr aufzuschlagen.

»Ah! gnädige Frau,« sagte er schüchtern, »wie lange ist es her, seit diese Hand nicht mehr in der meinigen ruhte! Kaum wage ich es, an mein Glück zu glauben, aus Furcht, es könnte mir zu rasch entschwinden, und ein zweites Mal in meinem Leben dürfte mir ein solcher Tanz nicht leicht wieder zu teil werden.«

Elsbeth sah ihn ernst an.

»Diese Hände, Herr Siegmund hatte einst der Priester am Altar verbunden, und Euer Wille hat das Band zerrissen. Ihr habt es gewollt.«

»Es war thöricht, ja sündhaft,« entgegnete Siegmund, der den Schritt einhielt, ohne mehr zu wissen, was um ihn herum geschehe und wo er sich befinde; »aber Gott hat mich hart genug dafür bestraft. Ich leide – und doch sage ich nicht, daß ich unverdient leide.«

»Nicht Ihr allein leidet,« versetzte Elsbeth und ließ den Kopf sinken; »denkt Ihr etwa, mein Geschick sei ein glücklicheres?«

»Werdet Ihr mir denn niemals vergeben?« fragte Pientka, kühner werdend. »Mein Gott! mein Gott! verzeiht man doch auch Räubern ihre Schuld, löscht doch die Reue selbst die schrecklichsten Verbrechen aus.«

Elsbeth wandte ihm ihr ruhiges Antlitz zu und sah ihn lange an: es schien ihm, als ob in ihren Augen etwas erzitterte, als ob ihre Lippen von einer Antwort erbebten, aber diese Antwort kam nicht – Elsbeth verneinte nicht und sagte auch nicht zu; sie tanzte weiter und schwieg beharrlich.

»Da mich nun ein glücklicher Zufall Euch näher brachte,« ließ sich Siegmund nach langem vergeblichen Warten vernehmen, »und ich sehe, daß ich mir durch ein längeres Verweilen in der Heimat nur hoffnungslose Schmerzen bereiten würde – so erlaubt mir, daß ich mich heute von Euch verabschiede und zwar auf ewig. Ich reise morgen ab. Als ich in diese Gegend kam, hatte ich noch einige Hoffnung, – ich habe sie verloren: wozu meine qualvolle Lage noch verlängern? Ich muß fort. Gestattet mir also –!«

»Ich gestatte und verwehre Euch nichts, mein Herr!« sagte Elsbeth lebhaft. »Es sehen so viele Augen nach uns!« fügte sie hinzu, laßt uns das Gespräch abbrechen, welches für uns beide doch nur peinlich ist: der Tanz endet.«

»Aber nach dem Tanz – ist es erlaubt, mich Euch wieder zu nähern?«

»Ich sagte Euch bereits, daß ich nichts erlaube – und nichts verwehre: ich besitze gar kein Recht dazu.«

»Ihr besitzt es, gnädige Frau, denn seit drei Jahren liegt das Recht, das mir eine Annäherung gestattet, nur in Euren Händen.«

Elsbeth schüttelte schweigend den Kopf.

Der Tanz zog sich noch weiter fort: fast aller Augen waren auf sie gerichtet. Elsbeths Gesicht glühte. Der in der Ferne stehende Onkel Eligius trank bereits die dritte »Gesundheit«, während Mioduschewski unruhig herumsah. Indessen stürmte die Tänzerreihe, in der sich Siegmund mit Elsbeth befand, ins Zimmer, wo sich eben die älteren Herren beim Faß mit den Gläsern herumtummelten. Hier herrschte ein solcher Lärm, daß sich kaum die ganz nahe bei einander Stehenden verstehen konnten. Das Gespräch mußte demnach abgebrochen werden, und da die Jugend einen stürmischen Tanz verlangte, wurde eine Polonaise angestimmt, nach deren Ende jeder von den Herren seine Dame an ihren Platz geleitete. Auch Siegmund reichte Elsbeth den Arm, und da ihr Platz ziemlich entfernt war, so mußte er den ganzen Saal mit ihr durchschreiten. Alles drängte heran, um es zu sehen. Ringsherum ließ sich Gemurmel des Erstaunens, auch leises Gekicher vernehmen.

In dem Augenblick, als Siegmund Elsbeth an ihren Platz führte, und zaudernd überlegte, ob er bei ihr stehen bleiben sollte, ließ sich Elsbeth lebhaft vernehmen: »Ich bitte, mich wenigstens einen Moment mir selbst zu überlassen, bitte, bitte!«

Pientka zog sich augenblicklich zurück, nicht ohne sich's fest ins Gedächtnis zu prägen, daß Elsbeth, »wenigstens einen Moment«, gesagt hatte. Er deutete sich dies in einfachster Weise so, daß es ihm nach diesem »Moment« nicht verwehrt sein würde, wieder zurückzukehren.

So viel Glück hatte er an diesem Tage nicht erwartet; als er in die zweite Stube trat und Mioduschewski auf der Schwelle begegnete, ergriff er denn auch seine Arme und erdrückte ihn beinahe vor Dankbarkeit und Freude.

»'s ist alles gut,« rief Mioduschewski, »allein es wird noch nichts daraus, wenn wir das Eisen nicht schmieden, solange es heiß ist. Beichtet mir! Wie war's?«

Siegmund war niemals im Leben so willfährig, wie jetzt, dem alten Freunde gegenüber: er erzählte ihm also, zwar nicht sehr zusammenhängend, den ganzen Verlauf des Gespräches und endlich auch den Schluß.

Auf Andrängen Cewkas mußte jeder ein Kelchglas leeren auf gutes Gelingen!

»Haltet Euch dazu, Herr, und sobald der »Moment« verflossen ist, stellt Euch hinter ihren Stuhl und setzt ihr tüchtig zu. Ich sage Euch, das Eisen muß geschmiedet werden, solange es warm ist. Wenn sie sich heute hier nicht zur Versöhnung entschließt, so fangen morgen die Okons an, ihr abzuraten und Onkel Eligius zu weinen, es tauchen Erinnerungen, Befürchtungen und Skrupel in ihr auf, kurz, es werden alle unsere Pläne zu Wasser, und das schöne Weib vertrauert noch drei Jahre, wie Ihr sie kummervoll vertrauert habt! Hier gilt kein Erwägen, hier muß attaquiert werden! Erspäht den günstigen Augenblick und weicht keinen Fuß breit von ihr.«

Als der so angefeuerte Siegmund in den Saal zurückkehrte, wo er die Frau gelassen hatte und wo er sie zu finden hoffte, war sie bereits verschwunden. Vergebens suchten seine Augen nach ihr, vergebens ging und spähte er in allen Winkeln herum, von Elsbeth war keine Spur zu finden. Das war ein furchtbarer Schlag für ihn. Er stellte sich nachdenklich zum Weinkrug hin.

»Was beginnen?«

Während er so vor sich hinstarrte, erblickte er, wie Frau Bartochowska ihm vom anderen Ende des Saales winkte.

»Gnädigste Frau, sie ist nirgends zu finden!« rief Siegmund.

»Macht Euch keine Sorge, sie wird gleich wieder da sein,« antwortete ihm die treffliche Frau. »Sie mußte ein wenig zu sich selbst kommen, denn sie war ungemein ergriffen. Sie sitzt im Zimmer der jungen Braut; wir gaben ihr Wasser zu trinken und rieben ihr die Schläfe mit Lawendelgeist ein. O, sie war sehr erschüttert, aber seid guten Mutes, es wird sich alles geben, wenn sie sich erst ausgeweint hat; der Widerstand in ihr ist gebrochen.«

Nach diesem kurzen Gespräch blieb Pientka beruhigt stehen und wartete.

Im anstoßenden Zimmer unterhielten sich Mioduschewski und Boroditsch.

»Man muß nur die Frau kennen,« sprach dieser leise, »sie liebt ihn, sie wäre vielleicht herzlich froh, wenn alles schon vorbei und vergessen wäre, aber sie vermag den Stolz und das bißchen Eigensinn in sich nicht niederzukämpfen.«

»Ich denke –«

»Was denkt Ihr?« fragte Boroditsch.

»Vielleicht ist's eine Dummheit,« setzte der erste hinzu, »aber sie kommt, weiß Gott, aus bester Absicht für beide.«

Nun?«

»Bah! 's ist spät in der Nacht, sie will durchaus nach Hause fahren; gebt ihr die Pferde, Siegmund soll sich als Kutscher auf den Bock setzen, Ihr fahrt sie als Bedienter nach Hause. Ist er einmal dort und fällt ihr zu Füßen, so müßte es mit dem Teufel zugehen, wenn sie ihm schließlich nicht vergäbe und zu bleiben erlaubte. Er entführe seine eigene Frau; es gibt kein anderes Mittel.«

Boroditsch lächelte.

»Ihr scheint bereits ein Gläschen zu viel zu haben,« sagte er zu Mioduschewski. »Euer Plan taugt nichts.«

»Meiner Ansicht nach ist's der einzige Ausweg,« versetzte der Alte standhaft. »Hilft der nicht, dann hilft nichts mehr in der Welt.«

»Doch, was wollt Ihr mit Onkel Eligius anfangen?«

»An den habe ich allerdings nicht gedacht,« sagte Mioduschewski. »Na! wir machen den Alten so betrunken, daß er hier bleiben muß.«

»Allein wird Frau Pientka jedoch nicht fahren wollen.«

»Warum nicht?« unterbrach der Alte, »glaubt Ihr, sie fürchtet sich vor irgend einem in der Welt? Sie? Ha! ha! ha! Die Sache muß nur gut eingefädelt werden.«

»Auch weiß ich nicht, ob Siegmund einwilligen wird.«

»O, den wollen wir schon bearbeiten. Vor allem heißt es nun, mag die Sache gehen, wie sie will, Onkel Eligius einen Rausch beibringen. Dieser Jungwein, den sie uns hier durch die Kehle schütten, ist zwar gut und rein, aber viel zu schwach. Ich hoffe, Cewka wird mir in einer so großen und wichtigen Angelegenheit ein paar Bouteillen alten Mets nicht abschlagen.«

Onkel Eligius stand just ganz bescheiden in einem Winkel bei seinem Gläschen besagten Jungweins, als Mioduschewski an ihn herantrat, ihn beim Arm nahm und ihm ins Ohr flüsterte: »Ihr werdet doch den Tresterwein nicht trinken? Schüttet ihn zum Fenster hinaus; ich will Euch was geben, wonach Ihr Euch alle fünf Finger ablecken sollt! Es wird davon bloß an die Bevorzugten abgegeben. Kommt!«

Boroditsch hatte sich bereits zur Unterstützung eingefunden, so gingen sie denn zusammen in eine Ecke – Eligius lächelnd, wiewohl etwas bekümmert.

»Herr Mioduschewski,« raunte er diesem in bereits angeheitertem Zustande zu, »was soll daraus werden? Er sprach ja schon mit Elsbeth und sie antwortete ihm! Auch tanzten sie beide miteinander!«

»Nun, was weiter?« entgegnete der Alte, »was weiter? Die würdige Frau will eben vor so viel Augen keine Scenen machen! Darum, weil sie sich getrennt, sollen sie kein Wort mehr miteinander sprechen? He?«

»'s ist wahr!« sagte Eligius, den eingeschenkten Met mit schmatzender Zunge nachkostend, »er ist herrlich!«

Mioduschewski ließ den Oheim nicht mehr aus; plaudernd kam er vom Hundertsten ins Tausendste, erzählte allerhand Schnurren und lustige Geschichtchen und versetzte ihn in die heiterste Laune, die er überdies mit fleißigem Nachgießen noch zu nähren verstand. So tranken sie eine Bouteille aus, dann die zweite. Auch bei dieser lächelte Eligius noch, begann aber schon langsam einzunicken. Der alte Schlaumeier weckte ihn aber immer wieder auf, sprach in ihn hinein, daß er mehr trinke, beschwor und nötigte ihn unermüdlich, und hatte es bei der Hälfte der dritten Bouteille richtig dahin gebracht, daß sich der Ohm gar nicht mehr aufwecken ließ. Man setzte ihn alsdann in eine Ecke, wo er sich ungestört ausschnarchen konnte, während sich der rastlose Mioduschewski nach Pferden umsah, überzeugt, daß Pientka mit dieser Entführung einverstanden sein würde. Boroditsch widersetzte sich dem Plane nicht mehr, obschon er ihm nicht recht gefallen wollte.

Pferde waren nicht so leicht zu bekommen, und wegen der Herausgabe des Rades aus dem Lehmhaus mußte er sich an Cewka selbst wenden und ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertrauen, daß es sich um eine so hochwichtige Angelegenheit handle, wie die Versöhnung zweier Ehegatten. Man zündete eine Laterne an, holte die Schlüssel und wälzte mit Mühe das Rad hervor; die Leute Frau Pientkas waren in der That derart berauscht, daß an ein Fahren mit ihnen nicht zu denken war. Nachdem er alles in Bereitschaft gesetzt, kehrte der Alte ins Haus zurück und suchte Siegmund auf. Dieser stand noch Wache, da Elsbeth bisher noch nicht aus dem Zimmer der jungen Braut herausgetreten war, obschon Frau Bartochowska in sie drang, sich wieder im Saale zu zeigen.

»Hört mich an, Herr Siegmund,« sagte Mioduschewski. »Nun heißt's handeln. Entweder – oder: es gibt keinen anderen Ausweg! Sie wird sich und Euch noch ein Jahr lang so unnütz herumziehen, ohne zu einem festen Entschluß zu kommen. Wollt Ihr eure kühne That wagen?«

»Welche denn?« fragte Pientka.

Mioduschewski fing an, ihm seinen Plan zu entrollen. In Siegmund rührte sich der alte Tollkopf – er lächelte – doch besann er sich rasch wieder.

»Und wenn sie den Streich übel aufnimmt? Wenn sie mir dann ein für allemal den Laufpaß gibt? Soll ich nicht lieber noch ein Jahr lang warten, als sie wieder erzürnen und es für immer mit ihr verderben?«

»Je nun – macht, was Ihr wollt,« versetzte Mioduschewski, sich die Glatze reibend, »Euer Wille geschehe – doch scheint es mir, als ob sie den Gewaltakt nicht übel aufnehmen würde! Ueberlegt's – ich will mein Gewissen nicht beladen – die Pferde stehen bereit.«

Siegmund wollte schon einschlagen und zögerte doch. »Und Onkel Eligius?«

»Der braucht Euch nicht bange zu machen, der liegt wie ein Klotz da, wir haben ihm alten Met zu trinken gegeben, daß er keinen Finger mehr rühren kann.«

»Na, denn auf gut Glück!« sagte Pientka mit einem Seufzer. »So will ich mich denn im Bauernkittel auf den Bock setzen. Vielleicht ist mir der Himmel günstig.«

Kaum hatte der Alte die Einwilligung, so lief er gleich weg, um Frau Bartochowska aufzusuchen.

»Führt mich zu Frau Pientka,« bat er, »es thut mir weh, wenn ich sie so leiden sehe; vielleicht vermag ich Abhilfe zu schaffen.«

Von Frau Bartochowska geleitet, trat Mioduschewski ins Zimmer, in dem Frau Pientka mit in die Hand gestütztem Kopfe saß.

»Meine Gnädige, was habt Ihr denn?« fragte er in teilnehmendem Tone.

»Ich bin ein wenig ermüdet,« antwortete Frau Pientka errötend: »ich bin an so rauschende Gesellschaften nicht mehr gewöhnt und –«

»Seid Ihr noch böse auf ihn? Ach wüßtet Ihr nur, wie sehr er sich in Reue verzehrt!«

Elsbeth blickte nicht so zornig, als traurig auf.

»Was soll das alles?« sagte sie, »er wird sich niemals bessern, ich kann kein Herz mehr zu ihm fassen, 's ist umsonst.«

»Bei Gott, es ist nicht so! Er hat sich bis zur Unkenntlichkeit geändert, hat sich gebessert und – daß Ihr ihn noch liebt, werdet Ihr doch nicht leugnen wollen.«

Elsbeth sprang von ihrem Sitz empor, sah dem Alten ins Auge – und fing an, bitterlich zu weinen. Diese Antwort ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, denn zeigte sich sonst auch hie und da aus weiblicher Schwachheit eine Thräne in ihrem Auge, so pflegte sie doch nur äußerst selten zu weinen.

»Ihr seid aufgeregt,« begann nun Mioduschewski, »und ich fürchte, Ihr werdet noch krank. – Nein, bleibt nicht mehr da, fahrt lieber schleunigst nach Hause. Eure Leute sind zwar betrunken, aber ich habe einen vortrefflichen Kutscher bekommen, auch wird sich wohl ein Diener finden lassen. Wenn Ihr wollt, so soll im Augenblicke angespannt sein.«

Als ahnte sie seinen Verrat, so sah Frau Pientka den Alten an, allein Mioduschewski machte ein so ehrliches, unschuldiges Gesicht, daß ihr Verdacht hätte schwinden müssen, dennoch konnte sie den Gedanken nicht loswerden, daß etwas hier nicht mit rechten Dingen zugehe.

Offenbar schämte sich Elsbeth zu sagen, daß sie nun doch lieber dabliebe, aber sie wollte den alten Mann, der es vielleicht doch ehrlich mit ihr meinte, nicht kränken.

»Die Pferde sind bereit,« sagte nun Mioduschewski, »für die Leute stehe ich ein – wenn es Euch also gefällig ist –«

»Und Onkel Eligius?«

»Ja, auf dessen Gesellschaft müßt Ihr für heute schon verzichten, der schläft den Schlaf des Gerechten.«

»Was ist denn mit ihm?«

»O, nichts, es ist ihm nur was Menschliches passiert, er hat ein bißchen zu viel alten Met getrunken, 's wird ihm aber weiter nichts machen. In dem Zustande jedoch, in dem er sich gegenwärtig befindet, brauchte man vier Menschen, um ihn in den Wagen zu heben, und wenigstens zwei, die ihn dann auf dem Wege halten müßten.«

»Also soll ich allein fahren?«

»Mit zwei verläßlichen Menschen, für die ich mit meinem Kopfe einstehe.«

Sie sah ihm ungläubig in die Augen.

»Hab ich Euch jemals verraten?« sagte er vorwurfsvoll.

»Weshalb schickt Ihr mich jetzt fort, nachdem Ihr mich doch früher selbst zum Bleiben bereden wolltet?«

»Daß ich's gestehe – ich dachte, es würde sich alles anders gestalten und Ihr würdet Euch der Versöhnung mit Eurem Manne nicht länger widersetzen. Aber so? Ihr sitzt da und weint, statt Euch zu unterhalten. Da ist es doch wahrlich besser für Euch, Ihr fahrt nach Hause.«

Elsbeth erwog, zögerte, ging ein paarmal im Zimmer hin und her und rief endlich: »Gut, – ich fahre.«

»Dann wartet, meine Gnädige, bis die Pferde eingespannt sind. Ich bin im Augenblicke wieder zurück!« Mit diesen Worten ging der Alte rasch aus dem Zimmer.

In dem stillen Zimmerchen, das noch von den Garderobestücken angefüllt war, welche Natalia bei der Trauung benutzt hatte, hörte man die Musik aus dem Saale herübertönen, das fröhliche Gelächter der älteren Herren, die fleißig dem Weine zusprachen, und das Jauchzen der Tanzenden. Elsbeth ging, wie mit sich kämpfend, thränenden Auges herum. Bald ließ sie den Kopf auf die Brust sinken, bald hob sie ihn gewaltsam in die Höhe, indem sie immer wieder ausrief: »Nein! Niemals!« Niemand sah sie; sie rang die Hände und blieb von Zeit zu Zeit stehen. Offenbar hatte sie einen furchtbaren Kampf in ihrem Innern durchzumachen, allein ihr Stolz oder ihr Eigensinn trug schließlich doch den Sieg über ihr Herz davon. Als Mioduschewski auf der Schwelle erschien, stürzte sie ihm entgegen und eilte schweigend zur Wiege. Als ihr Boroditsch die Hand zum Einsteigen bot, erkannte sie ihn nicht, und so bestieg sie, ohne Verdacht zu schöpfen, den Wagen.

Die Pferde jagten wie rasend davon, der glänzend beleuchtete Edelhof, in dem noch alles eitel Fröhlichkeit war, blieb bald weit zurück, da die Pferde von einer kräftigen und geübten Hand geleitet, einen immer rascheren Galopp anschlugen. Es mochte ungefähr ein Uhr nachts sein. Das Dörfchen der Pientka war von Cewkas Besitzungen drei Meilen entfernt. Gewöhnlich brauchte man, um diesen Weg zurückzulegen, an die dritthalb Stunden; diesmal genügten, trotz der nur schwach erhellten Nacht, trotz der nicht besonders guten Wege zwei Stunden dazu. Schon begann der Tag zu dämmern, als sich das Dörfchen, dem sie entgegeneilten, von weitem im Zwielicht zeigte. Die jeden Augenblick unruhig herausschauende Elsbeth konnte bereits den Hof unterscheiden, in dem nirgends ein Licht zu sehen war. Alles schlief noch im Dorfe, Im Osten breitete sich's langsam aus, wie der Wiederschein eines grünlichen, von grauen Wolken durchbrochenen Lichtes, die Sterne fingen an zu erbleichen und allmählich ganz zu verschwinden. Sie fuhren ins Dorf hinein, in welchem noch Ruhe und Schlaf herrschte. Nur hie und da krähte ein Hahn aus einer Hütte und wieherten in irgend einem Stalle die aus dem Schlaf geweckten Pferde, Es war niemand da, der ihnen das Thor geöffnet hätte, Boroditsch, der den Bedienten spielte, stieg vom Bocke herab. – Elsbeth neigte sich heraus und fragte: »Wie? Sind wir denn schon zu Hause?«

»Ja, gnädigste Herrin.«

Nun erkannte sie ihn an der Stimme.

»Was? Ihr seid's, Herr Boroditsch!«

»Ja wohl, ich wollte mich vergewissern, ob Euch der Kutscher auch wirklich gefahrlos nach Hause führt.«

»O mein Gott! Ihr seid's?« wiederholte Elsbeth,

Indessen öffnete Boroditsch das Thor und beeilte sich, wieder auf den Bock zu kommen, und nun sollte die Rolle des unglücklichen Kutschers – eine gefährliche und schwere Rolle – beginnen.

Kaum hielten die Pferde vor dem Portale, da stieg Siegmund bebend vom Bocke herab, dem Freunde die Zügel überlassend; er kam bis zur Thüre. Trotz des schwachen Morgengrauens erkannte ihn Elsbeth beim ersten Blicke, den sie auf ihn warf.

Siegmund warf sich vor ihr aufs Knie und ergriff, als sie eben über die Stufe hinwegschreiten wollte, ihre Hand.

»Elsbeth! Entweder du vergibst mir und nimmst mich wieder in Gnaden auf, oder ich gehe und thue mir ein Leides an. Ich kann nicht länger ohne dich leben.«

Mit diesen Worten schloß er die nicht mehr Widerstrebende in seine Arme und betrat mit der teuren Last den Vorplatz. Boroditsch hörte bloß ein leises Geflüster, dann ein Klopfen an die Thüre, dann das Oeffnen derselben und das Hüsteln der verschlafenen Magd – nichts weiter. Denn er selbst mußte nach dem Stall fahren.

Des anderen Tages gegen zehn Uhr erwachte Onkel Eligius; er rieb sich die Augen, sah sich nach allen Seiten um und konnte sich lange nicht zurechtfinden, wo er eigentlich sei, noch begreifen, wie er sich just hier befinde. Langsam erst kehrten ihm die Erinnerungen an den gestrigen Tag wieder, und klar und deutlich sah er seine Vergangenheit bis zur schwarzen Metbouteille. Diese verschleierte ihm den weiteren Verlauf der Dinge. So quälte er sich mit Gedanken und Erinnerungen herum, bis man ihn endlich zu einem sehr bescheidenen sauren Barschtsch Nationalsuppe. Anm. d. Uebers. einlud, der in ähnlichen Fällen genossen zu werden pflegte. Die ganze Gesellschaft erquickte sich nach der durchtanzten Nacht an dem stärkenden Frühstück.

Der besorgte Eligius begann seine Nichte zu suchen, fand aber bloß Mioduschewski, der gleichfalls einen Teller Barschtsch vor sich hatte.

»Guten Morgen, Onkel Eligius,« sagte dieser; »nun, ist der Barschtsch nicht vorzüglich?«

»Wo ist sie?«

»Wer? Elsbeth? Ho! ho! ho! Schon längst zu Hause!«

»Wieso? Fort? Ohne mich?«

»Schon gestern abend.«

»Ohne mich?« wiederholte der besorgte Eligius.

»Wie hätte sie Euch denn mitnehmen sollen, wenn unser vier nicht imstande waren, Euch zu wecken, trotzdem wir Euch in die Ohren donnerten, an der Nase herumkitzelten und mit Wasser begossen! Ihr lagt da wie ein Stein.«

»Ah, da muß ich bitten! Da muß ich bitten!« sagte Eligius verzweifelt, »oder hat man mir vielleicht einen Schlaftrunk eingegeben, oder sonst was?«

»Weiß ich's? Genug, Ihr schlieft wie eine Ratte.«

»Mit wem ist sie denn fort? Mit wem?«

»Seid nur unbesorgt, einen besseren Beschützer hätte sie sich gar nicht wählen können, als den, der sie heimgefahren.«

»Ja, wer war's denn?«

»Wer sonst als ihr Mann?«

»Welcher Mann?« rief Eligius, »was schwätzt Ihr denn da?«

»Ich wiederhol's Euch, ihr Mann hat sie heimgefahren – ich stehe Euch gut dafür. Euer Kutscher liegt noch sternhagelvoll im Wagenschuppen. Es gab keinen Ausweg, da erbot sich Siegmund als Kutscher, – Ihr wißt ja, wie ausgezeichnet er fährt – und so sind sie auf und davon.«

»Dann ist alles aus!« rief Onkel Eligius händeringend, »dann bleibt er auch dort.«

»Meint Ihr?« sagte Mioduschewski.

»Ohne Zweifel! Wenn er sie heimgefahren hat, dann ist alles aus.«

»Eßt Euren Barschtsch, ich nehme Euch auf meine Britschka, dann fahren wir hin und sehen, wie's Eurer Nichte geht.«

»Ich hab's bis zum gestrigen Tage stets gesagt,« ließ sich Eligius traurig vernehmen, »sie ist ein Mannweib! – je nun, man darf den Weibern niemals trauen, schließlich läßt sich jede erweichen. Auch sie hat sich drei Jahre lang gequält, hat sich eingeschlossen und gegrollt – und nun?«

Er fuhr mit der Hand durch die Luft und setzte sich wieder zum Barschtsch nieder, denn der Kopf schmerzte ihn sehr. Sein Kummer verhinderte ihn nicht, den tiefen Teller bis auf den Grund auszulöffeln, eine saure Gurke, die in solchen Fällen besonders anempfohlen wird, zu verkosten, einen Danziger Kümmel hinunterzugießen und dann noch einen Pfefferkuchen aufzuessen.

Darauf gingen sie in den Stall, holten die Pferde und die Britschka und fuhren davon. Doch eilten sie nicht zu sehr, da der Kutscher nach den Mühen der stürmischen Nacht auf dem Kutschbocke schlummerte, und erblickten erst gegen Mittag, als beide bereits einen tüchtigen Appetit verspürten, den Hof der Pientkas.

»Nun, was glaubt Ihr?« begann unterwegs Mioduschewski, »werden wir Siegmund dort antreffen oder nicht? Ist er wieder aufgenommen worden oder wurde er abgewiesen?«

Eligius zuckte die Achseln. »Wer kann's wissen? Weiber sind unberechenbar.«

Als sie schon beim Thore angelangt waren, war jede Sorge um Siegmunds Schicksal überflüssig, denn Arm in Arm standen beide Ehegatten auf der Veranda und begrüßten die Ankommenden schon von weitem.

Mioduschewski flimmerte es schier vor den Augen. »Gott sei gelobt und gepriesen!« rief er aus, »so recht, das lasse ich mir gefallen! Vivat die jungen Eheleute!« Nach diesem Ausrufe eilte er die Stufen der Veranda hinauf. »Aber ohne Hochzeit wird es hier nicht hingehen,« rief er. »Hochzeit muß sein, darauf bestehe ich. Einer Trauung bedarf's nicht, aber wir müssen zu Ehren der Rückkehr des verlorenen Sohnes tanzen und jubilieren! Meine Gnädige,« fuhr er, Elsbeths Hand küssend, fort, »hätte ich mich nicht ins Mittel gelegt, Siegmund nicht Mut eingeblasen und die Verschwörung nicht angestiftet, Ihr würdet Euch, ich weiß nicht wieviel Jahre noch, abgemartert haben.«

Siegmund warf sich an seine Brust.

»Aber Freundchen,« flüsterte ihm Mioduschewski ins Ohr, »wenn Ihr mir jetzt noch einmal einen dummen Streich spielt, dann, ich schwöre es Euch bei allen Heiligen, dann nehme ich selbst für diese Frau Rache.«

»Habt keine Furcht, ich habe meine Tollheit bitter gebüßt!« entgegnete Siegmund.

Eine Woche darauf fand in der That ein fröhliches Festmahl statt; die ganze Nachbarschaft, alle, die auf der Hochzeit bei Cewka gewesen, mußten zur zweiten Hochzeit kommen, und alles war über die Maßen fröhlich.

*

Die Bekannten und Nachbarn der Pientkas können es bezeugen, daß das wiedervereinte Paar von nun an miteinander in Liebe und musterhafter Eintracht lebte, man hielt sogar dafür, daß Siegmund unter dem Pantoffel stehe, so hingebend und folgsam zeigte er sich gegen seine Gattin. Onkel Eligius gab sich allmählich mit der Aussöhnung des Ehepaares zufrieden, wenn er aber Elsbeth vom Glück strahlen sah, dann murmelte er nach wie vor: »Ein Mannweib! Ein Mannweib!«

(Ende)

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