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Der Sekretär lebte mit seinem Weibchen noch in den Frühlingstagen der Flitterzeit. Nicht Rücksichten, noch vorübergehende Neigung hatte sie vereinigt, nein glühende und durch lange Zeit geprüfte Liebe war das Siegel ihres Bundes gewesen. Früh schon hatten sie sich kennen gelernt; aber Sellners verschobne Anstellung zwang sie, die Vermählung immer weiter hinauszusetzen. – Endlich erhielt Sellner ein Patent, und den Sonntag darauf führte er sein treues Mädchen als Frau in die neue Wohnung ein. Nach den langen, zwangvollen Tagen der Begrüßungen und Familienfeste konnten sie endlich konnten sie endlich die schönen Abende, von keinem Dritten gestört, in traulicher Einsamkeit genießen. Plane zum künftigen Leben, Sellners Flöte und Josephens Harfe füllten diese Stunden aus, die nur zu kurz den Liebenden verschwanden, und der tiefe Einklang in ihren Tönen war ihnen eine freundliche Vorbedeutung künftiger Tage. Eines Abends hatten sie sich schon lange mit ihrer Musik erfreut, als Josephe anfing, über Kopfweh zu klagen. Sie hatte einen Anfall am Morgen dem besorgten Gatten verschwiegen, und ein erst wohl unbedeutendes Fieber war durch die Begeisterung der Musik und durch die Anstrengung der Sinne um so mehr gewachsen, da sie von Jugend auf an schwachen Nerven litt. Sie verbarg es ihrem Manne nicht länger, und ängstlich schickte Sellner nach einem Arzte. Er kam, behandelte aber die Sache als Kleinigkeit und versprach für morgen gänzliche Besserung. Aber nach einer äußerst unruhigen Nacht, wo sie unaufhörlich phantasierte, fand der Arzt die arme Josephe in einem Zustande, der alle Symptome eines bedeutenden Nervenfiebers hatte. Er wendete alle Mittel an, doch Josephe verschlimmerte sich täglich. Sellner war außer sich. Am neunten Tag fühlte Josephe selbst, dass ihr schwacher Nervenbau diese Krankheit nicht länger ertragen würde; der Arzt hatte es Sellnern schon früher gesagt. Sie ahnte, ihre letzte Stunde sei gekommen, und mit ruhiger Ergebung erwartete sie ihr Schicksal. »Lieber Eduard!« sprach sie zu ihrem Manne, indem sie ihn zum letzten Mal an ihre Brust zog, »mit tiefer Wehmut scheide ich von dieser schönen Erde, wo ich dich und hohe Seligkeit an deinem Herzen fand; aber ich darf auch nicht länger auf deinen Armen glücklich sein, so soll ich dich doch Josephens Liebe als treuer Genius umschweben, bis wir uns oben wieder sehn!« Als sie das gesprochen hatte, sank sie zurück und schlummerte sanft hinüber. Es war um die neunte Stunde des Abends. – Was Sellner litt, war unaussprechlich; er kämpfte lange mit dem Leben; der Schmerz hatte auch seine Gesundheit zerstört, und wenn er auch nach wochenlangem Krankenlager wieder aufstand, so war doch keine Jugendkraft mehr in seinen Gliedern: Er versank in ein dumpfes Hinbrüten und verwelkte augenscheinlich. Tiefer Schwermut war an die Stelle der Verzweiflung getreten, und ein stiller Schmerz heiligte alle Erinnerungen der Geliebten. Er hatte Josephens Zimmer in demselben Zustande gelassen, als es vor ihrem Tode war. Auf dem Nähtisch lag noch Arbeitszeug, und die Harfe stand ruhig und unangetastet in der Ecke. Alle Abende wallfahrtete Sellner in dieses Heiligtum seiner Liebe, nahm seine Flöte mit hinüber, lehnte sich, wie in den Zeiten seines Glückes, ans Fenster und hauchte in die traurigen Töne seine Sehnsucht nach dem geliebten Schatten. – Einst stand er so in seiner Fantasie verloren in Josephens Zimmer Eine helle Mondnacht wehte ihn aus den offnen Fenstern an, und vom nahen Schlossturm rief der Wächter die neunte Stunde ab; da klang auf einmal die Harfe zu seinen Tönen, wie von leisem Geisterhauch berührt. Wunderbar überrascht, ließ er seine Flöte schweigen, und mit ihr verstummte auch der Harfenklang. Er fing nun mit leisem Beben Josephens Lieblingslied an, und immer lauter und kräftiger tönten die Saiten seinen Melodien, und im höchsten Einklang verwebten sich die Töne. Da sank er in freudigem Schauer auf die Erde und breitete die Arme aus, den geliebten Schatten zu umfangen, und plötzlich fühlte er sich wie von warmer Frühlingsluft angehaucht, und ein blasses, schimmerndes Licht flog an ihm vorüber. Glühend begeistert rief er: »Ich kenne dich, heiliger Schatten meiner vollendeten Josephe! Du versprachst, mit deiner Liebe mich zu umschweben; du hast Wort gehalten; ich fühle den Hauch, die Küsse auf meinen Lippen, ich fühle mich von deiner Verklärung umarmt.« In tiefer Seligkeit ergriff er die Flöte von neuem, und die Harfe tönte wieder, aber immer leiser, immer leiser, bis sich ihr Flüstern in langen Akkorden ablöste. – Sellners ganze Lebenskraft war gewaltig aufgeregt durch die Geisterbegrüßung dieses Abends; unruhig warf er sich aufs Lager, und in allen seinen erhitzten Träumen rief ihn das Flüstern der Harfe. Spät und ermattet von den Fantasien der Nacht erwachte er, fühlte sein ganzes Wesen wunderbar ergriffen, und eine Stimmung ward lebendig in ihm, die ihm Ahnung einer baldigen Auflösung war und auf den Sieg der Seele über den Körper hindeutete. Mit unendlicher Sehnsucht erwartete er den Abend und brachte ihn mit gläubiger Hoffung in Josephens Zimmer zu. Es war ihm schon gelungen, sich durch seine Flöte in stille Träume zu wiegen, als die neunte Stunde schlug; und kaum hatte der letzte Glockenschlag ausgezittert, so begann die Harfe wieder leis' zu tönen, bis sie endlich in vollen Akkorden bebte. Wie seine Flöte schwieg, verstummten die Geistertöne, das blasse, schimmernde Licht flog auch heute an ihm vorüber, und in seiner Seligkeit konnte er nichts hervorbringen als die Worte: »Josephe! Josephe! Nimm mich an deine treue Brust!« – Auch diesmal nahm die Harfe mit leisen Tönen Abschied, bis sich ihr Flüstern wieder in langen, zitternden Akkorden verlor. – Von dem Ereignis des Abends noch gewaltiger angegriffen als das erste Mal, wankte Sellner in sein Zimmer zurück. Sein treuer Diener erschrak über das Aussehn seines Herrn und eilte trotz des Verbotes zu dem Arzte, der zugleich Sellners alter Freund war. Dieser fand ihn im heftigen Fieberanfall, mit den nämlichen Symptomen wie damals bei Josephen, aber um vieles stärker. Das Fieber vermehrte sich die Nacht hindurch bedeutend, während er unaufhörlich von Josephen und der Harfe fantasierte. Am Morgen ward er ruhiger, denn der Kampf war vorüber, und er fühlte seine nahe Auflösung immer deutlicher, obgleich der Arzt durchaus nichts davon wissen wollte. Der Kranke entdeckte dem Freunde, was die beiden Abende vorgefallen war, und keine Einrede des kaltverständigen Mannes konnte ihn von seiner Meinung abbringen. Wie der Abend herankam, ward er immer matter und bat zuletzt mit zitternder Stimme, man möge ihn in Josephens Zimmer bringen. Es geschah. Mit unendlicher Heiterkeit blickte er umher, begrüßte noch jede schöne Erinnerung mit stillen Tränen und sprach gefasst, aber fest überzeugt, von der neunten Stunde als die Zeit seines Todes. Der entscheidende Augenblick nahte heran; er ließ alle hinausgehen, nachdem er ihnen Lebewohl gesagt, bis auf den Arzt, der durchaus beim Bleiben verharrte. Da rief die neunte Stunde endlich dumpf vom Schlossturme nieder, und Sellners Gesicht verklärte sich, eine tiefe Bewegung glühte noch einmal auf dem blassen Antlitze. »Josephe!« rief er, wie von Gott ergriffen, »Josephe! begrüße mich noch einmal beim Scheiden, dass ich dich nahe weiß und den Tod mit deiner Liebe überwinde!« – Da klangen die Saiten der Harfe wunderbar in lauten, herrlichen Akkorden wie Siegeslieder, und um den Sterbenden wehte ein schimmerndes Licht. »Ich komme, ich komme!« rief er, sank zurück und kämpfte mit dem Leben. Immer leiser und leiser klangen die Harfentöne; da warf die letzte Körperkraft Sellnern noch einmal gewaltig auf, und als er vollendete, sprangen auf einmal die Saiten der Harfe, wie von Geisterhand zerrissen. – Der Arzt bebte heftig zusammen, drückte dem Verklärten, der nun trotz dem Krampfe wie im leisen Schlummer dalag, die Augen zu und verließ in tiefer Bewegung das Haus. – Lange konnte er das Andenken dieser Stunde nicht aus seinem Herzen bringen, und tiefes Stillschweigen ließ er über die letzten Augenblicke seines Freundes walten, bis er endlich in einer freieren Stimmung einigen Freunden die Begebenheiten jenes Abends mitteilte und zugleich die Harfe zeigte, die er sich als Vermächtnis des Verstorbenen zugeeignet hatte.


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