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Eingang: Fritze Viktoria Mollwitz

In festgefügter Schlachtordnung, wie die Mauern, standen die Preußen. Noch war nichts zu sehen vom Feinde, der das Dorf besetzt hielt. Aber jetzt! Da quoll es in endlosen Massen zwischen den Häusern vor. Die preußischen Kanonen spieen Tod und Verderben.

Nun wuchtete es über das Schneefeld daher, die weiße Decke dämpfte den Schall, aber erstickte ihn nicht. Die Erde dröhnte und bebte, österreichische Kavallerie brauste heran, fuhr wie ein Wettersturm gegen die preußischen Reiterscharen des rechten Flügels.

So ungestüm war der Anprall, der Stoß so gewaltig, die Preußen vermochten nicht standzuhalten.

Die Preußen wichen – sie wichen zurück, die Preußen – zurück in die Reihen der eignen Fußvölker. Ein grausiger, zappelnder, dampfender, ringender Knäuel von Menschen- und Tierleibern; Kampfgeschrei, Wutschnauben, ein Ächzen und Stöhnen. Ströme von Blut im zerstampften Schnee, Wunde, Sterbende, Tote. Pulverdampf, der gnädig verhüllte.

So wogte die Schlacht weiter. Die Wage des Geschickes wollte sich senken zugunsten der Österreicher, hochauf schnellte die der Preußen. Bellona, die Launische, ließ ihre Entscheidung nicht ahnen. –

Es war um die Zeit des ersten Schlesischen Feldzugs. Der junge Aar auf Preußens Königsthron wollte Lorbeeren sammeln. Doch war er im Recht, wenn er das Erbe, das schon seinen Ahnen in Schlesien zugefallen war, das Ränke, Neid und Habsucht andrer, trotz aller diplomatischen Künste und Verhandlungen, ihm vorenthalten hatten, wenn er dies Erbe sich sichern kam mit dem Schwerte in der Faust.

Die Sprache schafft sich Gehör.

Und es war der Tag der ersten Schlacht in diesem ersten Feldzug des jungen Heldenkönigs, der Tag der Schlacht bei Mollwitz, der 10. April 1741.

Und Friedrich, den sie nachmals den Großen, den Einzigen nannten, sah dies Wanken und Weichen der Seinen. Er sprengte herzu, war mittendrunter, das Getümmel riß ihn mit sich fort. Preußens Schicksal hing an einem Faden.

»Brüder, Preußens Ehre! Eures Königs Leben!« So rief Friedrich, seine leuchtenden Wunderaugen blitzten – die Augen, die jedem bis ins Tiefinnerste zu dringen schienen – er reckte sich im Sattel und schwang den Degen über dem Haupt.

Nicht vergebens war sein Anruf. Es sammelten sich ein paar Schwadronen, gewillt das Leben für ihren König zu lassen.

Die führte er denn aufs neue gegen den Feind. Umsonst! Zu gewaltig war dessen Macht. Wie Spreu im Winde zerstob das Häuflein der Getreuen vor dem daherfegenden Orkan.

Friedrich, der junge Held, mußte weichen – weichen der junge Aar, der den Himmel stürmen zu können vermeinte.

Mit verhängtem Zügel sprengte er über das Feld, dorthin zum linken Flügel, wo Schwerin, der Vielerprobte, mit seinem Stabe hielt.

»Alles verloren, Feldmarschall!«

»Wenn Majestät Ihr kostbares Leben weiter so gefährden, dann allerdings.«

»Denkt Er, ich sehe zu, wie sie mir die Meinen in die Pfanne hauen?«

»Verloren ist die Batallje noch lange nicht. Wenn Majestät aber wirklich helfen wollen, wäre es von Wert, die Unsern jenseits der Oder aufzuspüren und Verstärkung zu schaffen. Reiten Euer Majestät nur getrost, der alte Schwerin tut hier das Seine.«

Friedrich durchbohrte den alten Kämpen mit den Feueraugen. Er drohte ihm mit der Faust und es war fast ein Lachen um seinen Mund. »Er will seinen König beiseiteschaffen, Er alter Fuchs?«

Der alte Schwerin zwinkerte listig. »Auf Hunderttausende kommt ein König, Majestät.«

Friedrich sann eine Weile unentschlossen vor sich hin. »Und die Bataille, Feldmarschall?«

»Wenn erst meine Kerle Luft kriegen, Majestät, sollen die Österreicher uns kennen lernen. Der alte Schwerin gibt sein Wort.«

Noch sann Friedrich und zauderte. Dann warf er mit einem raschen Entschluß den Kopf zurück. » Eh bien, ich reite, Feldmarschall, weil Er es rät und weil Er die Erfahrung für sich hat. Die Entscheidung des Tags liegt in Seiner Hand.«

»Majestät können sich auf den Alten verlassen.«

Und zugleich kam ein erneuter wütender Vorstoß des Feindes. Neue und immer neue Massen wälzten sich heran. Der greise Feldherr brauchte Blick und Sinn für den Fortgang der Schlacht, er konnte sich um nichts andres kümmern und wenn's sein König war. Befehle und Adjutanten flogen, Kanonen und Gewehrsalven krachten, hierhin und dorthin wälzte sich der Knäuel der Kämpfenden. Unentschieden wogte die Schlacht.

Sinnenden Auges sah Preußens junger König über das weite weiße Feld. Die Aprilsonne hatte Schlesiens Schnee noch nicht zu tauen vermocht. Des Krieges Wut malte rote Rosen hinein. Unschlüssig war der König.

Dem jungen Feuersinn widerstrebte dies ihm geratene Weichensollen. Aber ein greiser Kopf an Vernunft saß auf den jungen Schultern, ein aus herben Jugendtagen in Selbstzucht geschulter Sinn war in der jungen Brust – Friedrich wandte sein Pferd und ritt gesenkten Hauptes davon.

Er winkte seinen Pagen heran. Ein blutjunges Bürschlein, dem kaum der Flaum ums Kinn sprossen wollte. »Meld' Er einem Obersten von den Gendarmen, mein Sohn, daß der König reitet, Verstärkung zu schaffen. Ein Detachement soll mir folgen. Eil' Er sich, daß Er mir nachkommt.«

Nur eine ganz geringe Bedeckung folgte dem König. »Nach Oppeln, Messieurs!« so rief der kurz seinem Gefolge zu, »dort sind wohl von den Unsern. Auch können wir vorher nicht die Oder passieren. En avant!«

Den Hut tief in die Stirne gezogen, nicht rechts, nicht links schauend, so sprengte er dahin, kaum daß die Seinen ihm folgen konnten.

Leiser und leiser wurde der Schlachtenlärm, verhallte zuletzt ganz. Auf einem fernen Hügel, der das Gelände noch überragte, hatte Friedrich angehalten, hatte sich gewandt. Pulverdampf verhüllte die Bewegungen der Truppen, nur daraus, wie er sich dichter ballte und wieder verzog, konnte man auf den Ort des heißesten Ringens schließen. Übermächtig hatte es den Schauenden zurückreißen wollen, all seiner Willenskraft hatte es bedurft, den Ritt fortzusetzen.

Aber dann war er fest und klar. Weiter stob sein Roß.

»Das befohlene Detachement ist noch nicht in Sicht, Majestät,« so meldete einer aus dem Gefolge. »Wollen Majestät nicht lieber – –«

»Laß Er mich in Frieden. En avant!«

Wenn der König so kurz angebunden war, tat man am besten nach seinem Wort – ließ ihn in Frieden.

Und so taten sie, die ihm folgten. Schweigend dauerte der wilde Ritt. Die Pferde griffen aus, als beseele sie alle der Drang des jungen Königs, vorwärts zu kommen, um – wieder zurückfliegen zu können.

Friedrichs ganzes Sinnen und Denken war dort hinten bei der unentschiedenen Schlacht, jener ersten Schlacht, die der staunenden Welt seinen jungen Ruhm hatte künden sollen und deren Gewinn nun so in Frage gestellt war.

Es sank die Nacht. Eine bleiche dämmernde Sternennacht, wie sie über weiten Schneeflächen lagert.

Unaufhaltsam stob der Ritt weiter, immer weiter, der König voran in gestrecktem Trabe. Kaum daß er seinem Tier einmal gönnte, sich zu verschnaufen. Immer funkelnder blitzten die Sterne, immer fahler leuchtete der Schnee. Friedrich hatte nicht Sinn für das funkelnde Wunder zu Häupten, für die weiße Pracht zu Füßen, sein Auge durchbohrte die Fernen, eilte den windschnellen Hufen seines Tieres voraus.

Endlos schien sich der Weg zu dehnen. Wo alles fiebert und vorwärtsdrängt, werden Minuten zu Stunden und die zu Ewigkeiten.

Einmal wandte sich Friedrich zweifelnd. »Ob wir auf dem rechten Wege sind, Messieurs? Karte und Kompaß weisen in dieser Richtung. Aber sie belieben Wege zu nennen in diesem Lande, was nur Andeutungen solcher sind.«

»Oppeln liegt in dieser Richtung, Majestät.« So einer der Offiziere.

»Er muß es ja wissen, da Er hierzuland daheim ist. Also en avant!«

Hochauf flogen die Schneebrocken, von den flüchtigen Hufen der Pferde geschleudert, hell wieherten diese. Dazwischen leiser Metallklang, wo die Degen gegen die Sporen klirrten, ein tieferer Atemzug aus Menschenbrust, ein leiser anfeuernder Mahnruf des Reiters an sein Tier – sonst kein Laut über dem weiten weißen Gefilde.

Doch, ja! Jetzt klingt ein befremdlicher Ton durch die weiße Öde.

Sie alle hören ihn, halten zugleich die Rosse an und lauschen.

Stille rings. Es funkeln die Sterne, es dämmert der Schnee, aber kein Ton, kein Laut. Nur Nachtgevögel flattert um den nächsten Baum, ihre Fittiche streifen die Äste, und das kahle Holz klappt gegeneinander mit scharf abgehacktem Laut. Und wieder Stille.

» En avant, Mess– –!«

Da – der Ton von vorher, der sie alle gebannt hatte.

Jetzt ganz deutlich – eine klägliche, weinende Kinderstimme, das dünne, quiekende Stimmchen eines Säuglings.

Der Reitertrupp hält, alle lauschen stumm.

Der junge König spricht zuerst. Er hat sich im Sattel aufgerichtet, hat den Kopf gehoben und seine Augen bohren sich dorthin, von wo das schrille, dünne Stimmchen tönt.

»Hör' ich recht, Messieurs, oder äfft mich mein Ohr? Nom du ciel, kann dies ein kleines Menschenkind sein? Wie käme es daher in diese Schneenacht?«

»Dort weint ein Kind, Majestät.« Einer von den Herrn des Gefolges sagt das. Er ist der Älteste drunter, ein dichter Bart wächst ihm ums Kinn.

Hätte ein anderes Licht die Szene erhellt, als nur der Sternenschein, man hätte das neckende Lachen sehen müssen, das durch des Königs Augen huscht.

»Er ist kompetent darin, Reckow, Er muß es ja wissen.«

Ein Schmunzeln fährt über alle Gesichter. Jeder denkt an das halbe Dutzend von Buben und Mägdlein, das dem glücklichen Vater daheim das Haus lebendig macht. Und der König spricht weiter. Er wendet sich zu den paar Grenadieren, die zuhinterst reiten. »Geh einer von euch sehen, was das Weinen zu bedeuten hat.« Die bärtigen Männer zaudern, einer stottert: »Halten zu Gnaden, Majestät, wenn's nun – wie soll ein Kind daher kommen – wenn's nun nicht geheuer – –.«

»Kerl, ist Er einer von meinen Grenadiers oder ein altes Weib?«

Dies donnert der König und seine Augen sprühen.

Der Grenadier fliegt allbereits über das Feld. Auf einen Wink des Königs setzen sich alle in Trab, der König voran, hinter dem Grenadier her.

Dort kauert der am Boden, hat den Zügel seines Pferdes um den Arm geschlungen. Ein schwarzes Häuflein liegt vor ihm, mit dem er sich zu schaffen macht. Und nun steht er und hält was im Arm.

Da ist auch schon der König dicht bei ihm. »Geb Er her, was hat Er da?«

Der Grenadier reckt dem König etwas entgegen, das ihn zugleich der Antwort enthebt. Das Bündelein, das er dem König entgegenhält, läßt ein klägliches, mißbilligendes Quieken ertönen.

Der König fährt erschreckt zurück und hebt in komischem Abwehren die Hand. »Laß Er nur, laß Er.« Der Grenadier nimmt das Bündelein fester an sich und dies schrillt kläglich weiter.

»Was haben wir hier, Messieurs?« Der König weist auf eine größere dunkle Masse vor ihm am Boden.

Einer der Herren ist abgesessen und beugt sich drüber. »Es ist eine Frau, Majestät, und so viel ich erkennen kann, ist sie tot.«

»Jawohl, die Hände waren schon ganz steif, aus denen ich das Kind genommen habe.« bestätigt der Grenadier, der das quiekende Bündelein hält und es vergeblich durch allerhand wilde Schwenkungen zum Schweigen zu bringen sucht.

Bild: H. Grobet

»Ja, was tun wir nun, Messieurs?« In des jungen Heldenkönigs Stimme klingt was sehr Verzagtes, Ratloses an.

Ein andrer der Herren ist inzwischen abgestiegen und untersucht seinerseits. »Nichts mehr zu machen, Majestät, die Frau ist tot, ist schon ganz steif.« Er hat zugleich Feuer geschlagen und ein Schein fährt der Frau über das Gesicht – ein Totengesicht.

»Und der arme Wurm, Messieurs?« Immer noch das Ratlose in des jungen Heldenkönigs Stimme.

Da antwortet der Vater der sechs Buben und Mägdlein daheim. Er sagt:

»Wenn ich raten darf, Majestät, nehmen wir das Würmchen mit. Es wird sich ja irgendwo ein Unterkommen finden.«

» Ainsi soit-il!« sagt Friedrich, wendet sein Roß und will davonreiten. Seine Gedanken fliegen voraus, sind schon vor den Toren von Oppeln.

Aber da entsinnt er sich, daß hier noch nicht alles erledigt ist. »Die Tote müssen wir liegen lassen, Messieurs. Wo so viel brave Soldaten dort hinter uns auf dem Schlachtfeld herumliegen, braucht es einem alten Frauenzimmer nicht besser gemacht zu werden. Wer weiß, wie sie zu dem Wurm gekommen ist. Sieht aus wie eine alte Hexe. Übrigens untersuch' Er mal, mein Sohn, ob sie was in den Taschen hat. Müssen dem Wurm doch sein etwaiges Erbteil sichern.« Der Betreffende tat, wie ihm geheißen war, es fand sich aber nichts als ein winziges Bündelein, das die Tote noch krampfhaft im Arm hielt. Sie lösten es los und der quiekende Findling samt seinem Erbteil reiste weiter mit dem Reitertrupp in das weite Leben hinein.

Heidi! ging's nun wieder, daß der Schnee stob. Des Königs Roß sauste dahin, daß es war, als berührten seine Hufe kaum den Boden.

Nach einer Weile hielt er noch einmal an. Das schrille Stimmchen wollte nicht zur Ruhe kommen.

»Was fehlt dem Wurm, Grenadier?«

»Es wird Hunger haben, Majestät.«

»So geb Er ihm in drei Teufels Namen was.«

»Branntwein, Majestät? Solche Würmer wollen andre Kost.«

»Da hat Er recht, mein Sohn. Denn mal los, was die Gäule herhalten, daß der Wurm zu seinem Recht kommt. Allons, en avant!«

Und durch die stille Sternennacht sauste des Königs Zug, wie es die Sage von der wilden Jagd erzählt, dort oben in den Lüften.

Weit dahinten blieb die Tote, die den Zusammenhang bildete zwischen der Welt, dem es entnommen war, und dem kleinen Menschenwesen, das sein Schicksal mit sich fortriß, wie es der Wirbelsturm dem losen Laube tut, von dem man nicht weiß, von wannen es kam, noch wohin es verweht werde.

Vor den Reitern stieg es nun dunkel im weißen Felde auf – die Mauern und Türme von Oppeln.

Der König hielt sein Pferd an und alle standen. » Ecoutez, Messieurs!« Er hob den Finger und lauschte. Da hörte man deutlich über das Feld durch die weiße stille Sternennacht Glockenschläge hallen.

Sie lauschten, zählten. Zählten bis auf zwölf.

» Minuit,« sagte der König. »Mitternacht, meine Herren. Wir haben einen guten Ritt getan, Zeit, daß wir in Quartier kommen. Heda! die Tore scheinen geschlossen. Was das zu bedeu– –«

»Werda? Werda – a – a – a?« Dröhnend hallte der Ruf vom Wachtturm her.

»Preußischer Courier!« So antwortete einer der Herren nach Verständigung mit dem König.

Aber die Tore öffneten sich nicht. Eine ganze Weile harrten Friedrich und die Seinen geduldig. Dann befahl der König: »Es sollen einige absteigen und nachsehen, weshalb man uns nicht öffnet.«

Es geschah nach seinem Befehl. Ein Offizier und ein paar Grenadiere stiegen von ihren Tieren und näherten sich dem Tor.

Gespannt folgte der König ihren Bewegungen. »Ich möchte doch wissen – –.«

Da knatterte es vom Tore her, kurz und scharf in rascher Folge. Man schoß auf die Nahenden.

Diese hatten eilends kehrt gemacht. Der ausgesandte Offizier stand vor dem König. »Österreichische Husaren, Majestät! Ich habe sie deutlich erkannt durch das Gittertor im Lichtschein, der aus der Wachtstube fiel. Wir müssen fliehen, Majestät, ehe sie merken, wer hier hält. Wenn sie uns folgen, sind wir verloren.« »Ein Friedrich von Preußen flieht nicht, merk' Er sich das, Monsieur. Er weicht aus Klugheit der Notwendigkeit. So, und nun lassen Sie uns wenden, meine Herren, da hier für uns nichts weiter zu machen ist. En avant!«

Wie er gekommen war, sauste des Königs Zug über das stille weiße Feld zurück, über ihm die Sterne, unter ihm der leuchtende Schnee. Vereinzelte Schüsse fielen hinterher, die Kugeln pfiffen scharf, aber sie trafen nicht. Unweit des Königs schlug eine in das Baumgeäste. Ein paar schlafende Raben flogen krächzend auf, der Schnee stäubte und überdeckte des Königs Rock. Der König achtete dessen nicht, sein Auge schien die Nacht durchdringen zu wollen, sein Roß griff in weiten Sätzen aus.

Kein Menschenlaut war eine Weile hörbar, außer dem Atem, der aus keuchender Brust stieß. Da setzte es wieder ein, schrill und kläglich, das dünne Stimmchen des kleinwinzigen Menschleins, das sein Geschick zu diesen rauhen Reitern verschlagen hatte, ein losgelöstes Blättlein vom Menschheitsbaum.

Der König verhielt sein Tier. Ein Lachen war in seinen Augen, klang in der Stimme an. » Nom du ciel! Hab' das Würmlein ganz vergessen gehabt, Messieurs. Kleine Ursachen, große Wirkungen, ha, ha! Zwingt uns ja wohl, die nächste Unterkunft zu suchen, wenn wir nicht fühllose Barbaren sein wollen. Grenadiers, wer von euch weiß, was der nächste Ort ist?«

»Befehl, Majestät, Löwen.«

»Kann Er uns dahinbringen, mein Sohn?«

»Befehl, Majestät.«

»Und wie weit ist's noch, mein Sohn?«

»Für den König drei Stunden, für 'nen lahmen Gaul das Doppelte.«

»Er ist ja wohl ein Witzbold, Grenadier? Sorg' Er, daß sein Gaul nicht der lahme ist, rat' ich Ihm. Glaubt Er, daß der Wurm so lange aushält, Mann?«

Das galt dem Bärtigen, der noch immer notgedrungen Kindermuhme spielte. Doch stellte er sich geschickt dazu an und die Gutmütigkeit leuchtete ihm aus den Augen, trotz der Kameraden Stichelreden und Spott.

»Wo sollt' er nicht, Majestät, wo er die Ehre hat, in des Königs Gefolge zu reiten. Kann 'nen Puff vertragen, sonst wär' ihm die Puste schon lange ausgegangen bei dem Lebenslauf, den ihn unser Herrgott geführt hat, wo nicht gerade ein gewöhnlicher ist für Wickelkinder.«

»Das hat er klug gesagt, mein Sohn. Also vorwärts, meine Herren!«

Und wieder flog der Trupp dahin. Der König führte immer an, ritt sogar eine ganze Strecke voraus. Sein Gefolge hielt sich mit Willen zurück. Der König wollte sichtlich allein sein und da tat man am besten, seinem Wunsche zu folgen. Die ihn näher kannten, wußten dies.

Stunde verrann um Stunde. Leise lichtete es sich im Osten, der junge Tag machte sich bereit, heraufzusteigen. Die Sterne verblaßten, erloschen allmählich ganz, lichtgelb färbte es sich, wo die Königin des Tags auftauchen wollte. Ein Lufthauch hatte sich aufgemacht und bließ die Schleier der Nacht beiseite. Herb war sein Odem, wie er über das weiße Feld daherbließ. Die Reiter zogen ihre Mäntel dichter und die kleine klägliche Stimme setzte aufs neue klagend ein. Schrillte höher auf im Protest gegen solches Handhaben der Lebensführung. Gegen den lichtgelben Streifen zu hoben sich jetzt dunkle Linien ab.

Der König zügelte sein Tier, wandte sich zurück und wies daraufhin. »Wäre dies das Ziel unsrer Fahrt? Löwen?«

»Zu Befehl, Majestät.«

»Hab' nichts dagegen, mein Sohn. Noch weniger wird der arme Wurm einzuwenden haben, sollt' ich denken. Hoffentlich finden wir dort nicht auch die Österreicher; wäre eine üble Bescherung.

Nein, es waren keine Feinde da. Der Reitertrupp, der den Ankommenden entgegensprengte, war das Korps Gendarmen, die dem König als Bedeckung bei seinem Nachtritt hatten dienen sollen. Der Anführer zeigte eine etwas schuldbewußte Miene. Lachend winkte ihm Friedrich zu.

»Sein König kann's doch noch besser, was?«

»Majestät breschten wie der Teufel davon. Wir verloren die Spur.«

»Laß Er gut sein. Hab' euch nicht nötig gehabt, Kinder. Weiß man, wie's um die Battalje steht, he?«

»Wir sind ohne Kunde, Majestät.«

»Wird wohl schief gegangen sein, sonst hätt' mir der Schwerin einen Boten hinterhergejagt. Die Fortuna ist ein launisches Frauenzimmer, Messieurs, müssen uns trösten. Ein andermal lacht sie uns dann zu, ha, ha! Allons! wo gibt's hier ein Wirtshaus, daß wir unsre Menschenpflicht an dem gefundenen Wurm tun können. Mich verlangt dringend danach, dies Gezeter nicht mehr zu hören.«

Da waren sie an den ersten Häusern des kleinen Städtchens angelangt und dort streckte sich auch schon ein Fangarm mit grell bemaltem Schild über die Straße. Der König hielt gerade daraufzu, parierte sein Tier so plötzlich, daß es stieg und dann stand es wie aus Erz gegossen.

Eine behäbige Frau war unter die Tür des Wirtshauses getreten. Über der breiten weißen Schürze hatte sie werkgewohnte rote Arme behaglich verschlungen, unter der großen weißen Haube sah ein freundliches Vollmondsgesicht aus klaren Augen in die Welt, zur Seite baumelte ein gewichtiger Schlüsselbund. Sie knixte ehrerbietig. Preußens junger König war bereits eine allbekannte Persönlichkeit in Schlesiens Tälern, Bergen und Ortschaften. Die Bevölkerung sah in ihm einen Erretter aus Not und Zwang.

»Heda! Frau Wirtin, gibt's einen Männertrunk bei Ihr? Und zugleich Nahrung für ein Menschenpflänzlein, das am Verdorren ist?«

»Ersteres gewißlich, Majestät. Letzteres – –«

Da hielt sie besagtes Menschenpflänzlein schon in den roten mütterlichen Armen, wohin es der Bärtige sich beeilt hatte, zu versetzen. Sie wiegte es erbarmend und kunstgerecht, und es war, als ob das kleine Menschenwesen spüre, daß es nun endlich wieder am rechten Ort sei, das schrille Stimmchen verstummte alsbald.

»Herr, du Gerechter im hohen Himmel, wie kommt dies Würmlein unter das wilde Kriegsvolk?« Ganz entrüstet klang die Stimme der Frau.

Der König lachte belustigt und gutmütig. »Da hat Sie sich sofort an die rechte Adresse gewandt, Frau Wirtin. Nur Ihr Herrgott wird wissen, wenn's einer weiß, wie und warum der Wurm in die Schneenacht geraten ist. Die Frau, der wir ihn abgenommen haben, war tot, ihr Mund verrät nichts mehr. Was ist's, will Sie sich des Würmleins erbarmen? Mir scheint, Sie versteht mit dergleichen umzugehen.«

Die Frau lachte. »Ein Wunder, Majestät, hab' ein Dutzend davon, Buben und Mädchen.«

»Und dies da, Frau Wirtin? Erbarmt Sie sich nicht des Würmleins?«

Sie zuckte bedauernd die Schultern. »Unmöglich, Majestät. Das Haus läuft mir ohnedies bereits über von derlei. Und die Zeiten sind nicht zum besten in diesen Kriegsläuften, das wissen Majestät selber.«

»Ist Sie Witwe, Frau Wirtin?«

»Wär' mir bess– – will sagen, Majestät, unsereiner hat ja wohl seine liebe Not mit dem Mannsvolk.«

Der König drohte ihr lachend. »Hüt' Sie Ihre Zunge, Frau Wirtin. Oder estimiert Sie mich als nicht dazu gehörig, he?«

»Es soll Ausnahmen geben, Majestät.«

»Ihr ist wohl noch keine über den Weg gelaufen, was? Ha, ha, ha! Woran läßt's denn der Eheliebste fehlen, he?«

»Fehlen, Majestät? I behüte, zu viel tut er.« Dabei führte sie die Hand zum Mund und tat, als kippe sie einen Becher über.

Zugleich erschien hinter der Frau ihr dickes behagliches Gegenspiel, nur ins Männliche übertragen. Dieselbe sanfte Wölbung unter der umfangreichen Schürze, dasselbe leuchtende Vollmondsantlitz, nur von einer weißen Zipfelmütze gekrönt. Aber mitten in diesem Gesicht strahlte es rötlichkupfern, und wo dort die blauen Augen klar und scharf blickten, verschwammen sie hier in ungewissem Blinzeln. »Aha, da hätten wir also den Malefikanten!« Des Königs Adleraugen bohrten sich in das feiste Vollmondsantlitz mit der Kupfernase. »Kerl, daß Er mir das Saufen läßt und der Frau pariert, hört Er?« Seine Stimme donnerte.

Durch die feiste Gestalt ging es wie ein Erdbeben, kreidige Weiße überzog das Gesicht bis in die Kupfernase hinein, die Augen starrten und ein entsetztes Stottern rang sich vom Munde. »I–i–i–ch – – – –«

Der König verbiß ein Lachen und winkte ab. »Laß Er gut sein, Mann, tu Er aber, was ich Ihm sage. Es kommt Ihm selber zugut. Und nun zum Trunk, Frau Wirtin, zuvörderst für das Würmlein. Schließ' Sie ihm das Zetermaul, man hört ja sein eigen Wort nicht mehr. Achtung vor einem Königswort, kann man ja wohl von solcher Kreatur nicht prätendieren. En avant, Frau Wirtin, geh Sie nur getrost ab und laß Sie den Malefikanten dort für das Männerwohl sorgen. Es schlägt in sein Fach.«

Schon schleppte der Wirt die vollen Krüge heran. Er hatte zu springen, daß sein Schmerbauch schlotterte und schwankte. Dabei traf manch ein Angstblick den König. Der aber war mit seinen Gedanken schon weit ab von dem Gemaßregelten, sein Auge sah über ihn weg in Fernen. Und der Dicke atmete auf, in gewohntem kupfrigem Glanze erstrahlte die Nase und die Äuglein verschwammen im angestammten pfiffigen Schmunzeln.

Noch hatte der König nicht den Befehl zum Absitzen gegeben. Wortlos hatte er den ihm gereichten Becher feurigen Weines geschlürft. Mit Behagen spürte er es, wie neues warmes Leben durch den vereisten Körper ziehen – spürte jetzt erst die lähmende Kälte der im Sattel verbrachten Schneenacht, da sie vorüber war. Dehnte sich wohlig und klopfte liebkosend des Pferdes Hals. »Sollten absitzen, Messieurs! Geht ja wohl gegen alle Menschlichkeit, die Kreatur so zu mißbrauchen. Die Tiere müssen ihre Fourage – – hé là, was ist das?« Er hatte sich im Sattel gereckt, machte eben Miene abzusteigen, saß aber nun wie versteinert und lauschte in die Ferne.

So taten die von seinem Gefolge. Deutlich hörte man heransprengende Pferdehufe. Ein einzelner Reiter mußte sich nähern mit aller Kraft, die sein Tier hergeben konnte.

Sie lauschten atemlos, eine Minute, zwei. Dort bog der Reiter um die Ecke. Er lag fast vornüber auf dem Hals seines Tieres und dieses selbst griff in schier unmöglichen Sätzen aus. Es war, als wisse es, worum es sich handle, denn jetzt wieherte es hellauf, da es die Kameraden dort vor dem Gasthaus sah.

Und sein Reiter saß stramm im Sattel. Ein Leuchten war in seinem Gesicht, als er die Gruppe der Haltenden gewahrte. Er salutierte schon auf Straßenlänge entfernt. Und ein Jauchzen war in seiner Stimme, da er nun klingend meldete: »Sieg, Majestät! Feldmarschall Schwerin läßt melden, daß er die Österreicher geworfen hat. Der Tag von Mollwitz ist Euer Majestät!«

In dem jungen Heldenantlitz des Königs war ein unbeschreiblicher Schein aufgegangen. Seine großen Augen leuchteten schier versengend. In seiner Stimme schwang es an wie Glockenton, da er sagte: »Ich danke Ihm, mein Sohn, für die Kunde, die Er mir bringt. Er hat mir eine helle Stunde gemacht. Und nun wend' Er stracks sein Tier und meld' Er dem Feldmarschall, daß sein dankbarer König ihm auf dem Fuße folgt. Sput' Er sich, Monsieur.«

Glühend begeisterte Augen leuchteten dem König aus des jungen Offiziers Gesicht entgegen. »Ich fliege, Majestät.« Und er war schon um die Straßenbiegung verschwunden.

Preußens junger König schaute hinter ihm her. Dann atmete er tief aus, sah mit leuchtenden Augen in die Runde. » Eh bien, Messieurs, der Weg zur Gloire steht offen. Gehen wir ihn allesamt ohne Zögern. En avant, Messieurs!«

Eben wollte sich der Zug in Bewegung setzen, der König war schon eine kleine Strecke weit vorausgeflogen, da zeterte es hell hinter ihm her:

»Halt! Stillgestanden! So haben wir nicht gewettet! Hier ist der Wurm. Getränkt hab' ich ihn und gesäubert, aber behalten tu' ich ihn nicht, so wahr ich Anne-Kathrin Mevius heiße. Und keiner kann mich dazu zwingen, und wenn's des Königs von Preußen Majestät wär'. He holla! nichts für ungut, Majestät, aber hier ist der Wurm. Nehmen Majestät das Dirnlein nur selber mit, die Anne-Kathrin Mevius hat genug und übergenug von der Sorte. Hat ja ein Herz im Leib, aber auch Vernunft im Schädel, jawohl.«

Keuchend, hochrot, mit blitzenden Augen stand die Frau vor dem König, versuchte ihm das Bündel mit dem Kinde aufzudrängen. Statt des Zeterns von zuvor wurde nun ein vergnügliches Krähen und Kollern laut, dem klimperkleinen Menschenkind war es offenbar sehr behaglich zumute. Die Frau preßte es plötzlich noch einmal an den umfangreichen Busen: »Armes Tierchen. Arme kleine Maid.« Dann aber hob sie es entschieden von sich, drängte es energischer dem König auf, der sich entsetzt wehrte. Und da war auch schon der Grenadier von zuvor zur Stelle, erlöste des jungen Königs Majestät von der Bedrängerin, der er unwirsch das Bündel entriß. »Ist Sie des Teufels, Frau? Laß Sie den König ungeschoren. Her mit dem Wurm!« So wetterte der Getreue.

Aber die Anne-Kathrin Mevius war so leicht nicht eingeschüchtert. Sie stemmte beide Arme ein und ihre Stimme zeterte wie Posaunenton. »Alter Knurrhahn Er! So ist denn das Mannsvolk, jawohl. Kinder müssen sein, aber zart mit umgehen, mit einem zerbrechlichen Wurm, behüte! Er denkt wohl, das Mägdlein ist von Eisen wie sein alter Zahnstocher da, he?« Sie wies auf den Pallasch des Reiters. Ihre Augen flammten. Flammten stärker, als sie nun dicht an des Königs Pferd herantrat, der dieses bei dem unerwarteten Überfall gezügelt hatte, und nun geduldig hielt und wartete.

»Majestät, mit Verlaub zu vermelden, hätt' noch was zu bemerken, aber nichts für ungut, weil denn das Mannsvolk – – bitt' um Verzeihung, Majestät, aber die Anne-Kathrin Mevius hält es für ihre Pflicht ganz untertänigst zu vermahnen: Majestät müssen das Dirnlein taufen lassen und schleunig. Keiner weiß, Majestät, wie's der Deubel holen kommt und dann hat er's feste ohne das heiligste Sakrament und weil man denn doch gewissermaßen eine Verantwortung – –.«

Der König hob die Hand. »Recht hat Sie, Frau Wirtin, und ich will nach Ihrem Geheiß tun, sobald ich in das Lager komme, verlaß Sie sich darauf! Also ein Mägdlein ist's he?«

Die Frau knixte, es flog dabei was wie ein neckisches Lachen um Augen und Mund. »Zu dienen, Majestät, gehört leider zu den Minderwertigen, wie mein Kasper sagt, wenn ich ihm mal den Trunk beschneiden will. Ja, ja, das Mannsvolk! Bitt' um Verzeihung, Majestät.« Sie knixte noch tiefer, aber das Lachen blieb um Mund und Augen.

Der König drohte ihr ebenfalls lachend, war aber mit allen Sinnen schon weit weg bei den siegreichen Seinen dort auf dem Blachfeld vor Mollwitz. »Leb' Sie wohl, Frau Wirtin, halt' Sie die Zügel stramm! Adieu!«

Dahin stob des Königs Zug, daß die Schneebrocken wieder flogen. Einer traf die Nachschauende mitten ins Gesicht. Sie wischte und prustete. »Mannsvolk, verdeubeltes!« brummte sie. Wischte sich umständlich das Gesicht, hielt sich besonders lange in der Augengegend auf und flüsterte dann. »Arme kleine Dirn, wohin wirst du verschlagen werden? Armer kleiner Wurm!«

Weitab war schon der Königszug und Anne-Kathrin Mevius stapfte heim durch den Schnee, blieb zuweilen in Gedanken stehen, schüttelte die umfangreiche Haube, nickte zur Abwechslung und schüttelte wieder. Etwas in der Weltenordnung schien ihr entschieden nicht zu behagen.

Daheim angelangt, faßte sie den ersten besten ihres Dutzends, der ihr in den Weg lief, beim Ohr. Es war der Zweitjüngste, ein strammer Bursche von 8 Jahren. »Weißt auch, was es wert ist, Jung', daß du daheim bei den Eltern sein darfst? Dankst du auch deinem Herrgott täglich dafür, he?«

»Bäh – äh – äh – –« machte der Bengel, »– – bäh – äh – äh, loslassen, tut weh, Frau Mutter!« Da bekam er einen Schubbs, daß er in den Schnee fuhr. Frau Anne-Kathrin Mevius aber trat ins Haus wie der Engel des Gerichts. Wenn der Mutter Augen so blitzten, hielt sich das Dutzend gern abseits, auch Vater Mevius lief ihr nicht unnötig über den Weg.

*

Sie waren nun schon über eine Stunde wieder im Lager. Preußens junger König hatte sich ausführlichen Bericht erstatten lassen von diesem ersten glänzenden Siege seiner Tapferen. Er hatte seinem getreusten alten Feldmarschall Schwerin seinen Königsdank gesagt für dieses erste Lorbeerreis, das er sich um die junge Heldenstirn schlingen durfte. Nun gedachte er ein wenig zu rasten nach dem anstrengenden Nachtritt. War er doch vierzehn Meilen weit geritten hin und zurück, ohne aus dem Sattel zu kommen. Das wollte sich nun geltend machen.

Aber das Schicksal hatte es anders beschlossen.

Der Page meldete: »Ein Grenadier will sich nicht abweisen lassen, Majestät. Er – ha, ha – – er hat ein – ha, ha – Kind im Arm.« Der Page stotterte, über das bartlose junge Gesicht zuckte eine nicht zu dämpfende Heiterkeit.

»Aha, der Anne-Kathrin Mevius ihr Schützling.« Der König lachte. »Wollen unser Königswort halten, sonst hätte sie in Wahrheit Ursache, sich über das Mannsvolk zu erregen. Lauf' Er und hol' Er mir den Feldprobst, mein Sohn. Mein Grenadier, die Kindermuhme, soll draußen warten, bis der Probst kommt. Sput' Er sich, mon fils!«

Der kleine Page kicherte wieder, war rot bis an die Ohren und stolperte so eilig zur Türe, daß er wie blind dagegen stieß und mit viel Lärm verschwand. Der König hatte sich gesetzt und gegähnt, die Augen wollten ihm zufallen, nur mit Willenskraft hielt er sich wach.

Er trat zur Tür und winkte dem Grenadier, der dort mit steifem Arm die ungewohnte Bürde trug. Des Braven Gesicht war finster und ein vorwurfsvoller Blick traf den König. Der verstand den Blick.

»Ist schon nach dem Probst gesandt, Grenadier, bald wird Er erlöst sein.«

»Wollt' gehorsamst drum gebeten haben, Majestät, steh' lieber in der Schlacht, wo die Kugeln am dicksten fliegen, als so'n Wurm zu bemuttern. Meines Königs Grenadiere haben Besseres zu tun. Holla! Kroppzeug, was soll das heißen?«

Dies galt nicht etwan des Königs von Preußen junger Majestät, als vielmehr einer kleinwinzigen Menschenhand, die sich aus dem Bündel hervorstahl und dem also abfällig Redenden dreist in den Bart fuhr, sich da festkrallte und nicht eben sänftiglich zauste.

Über des alten Kriegers Gesicht lohte eine Flamme, ungewiß sah er zu seinem König hin, war aber zu ungeschickt, eine Hand zu befreien und sich des winzigen Angreifers zu erwehren. Er hielt das Bündel nur so weit ab, als es die Länge seiner Arme erlaubte, aber der Bart war lang, die kleine Hand ließ nicht locker und ein dünnes Stimmlein krähte hämisch dazu.

Der König hatte Mühe, sein Lachen zu verbeißen, den alten Braven nicht zu kränken. Er griff nach der kleinen Hand und entzog ihr das, was sie umklammerte. Dafür schlossen sich die winzigen Fingerlein fest um den seinen. Daß es einer geheiligten Majestät rechter Zeigefinger war, focht die winzige Sünderin wenig an. Sie krähte um so lauter.

Dem Grenadier war alles Blut ins Gesicht geschossen. Er zerrte an dem Bündel, was er konnte und es gelang ihm, des Königs erhabene Person zu befreien, ehe Zeugen dieser unerhörten Majestätsbeleidigung erscheinen konnten.

Allerhöchste Zeit!

Eben öffnete sich die Tür und unter Vorantritt des ausgesandten Pagen erschien der Feldprobst im rasch übergeworfenen Talar. Die Bäffchen saßen nicht ganz regelrecht und das Barett war etwas zur Seite geschoben. Man sah dem Herrn die Eile an, wozu der Bericht des Boten ihn angefeuert hatte.

Diese Eile schien denn auch vonnöten gewesen, denn der König rief alsbald: »Tauf Er mir den Wurm, Probst, hab's der Wirtin in Löwen versprochen und ein König hält sein Wort. Allons! Herr Probst.«

»So rasch, Majestät – –,« begann der Probst bedächtig.

»Hör' Er zu, wie ich zu dem Kind gekommen bin, und tu Er dann, was seines Amtes ist. Ich bin nicht für Fackeln, so wenig wie die Frau Wirtin in Löwen!« Und der König berichtete in raschen Worten.

Der Feldprobst hatte sich derweilen die kleine Maid beschaut mit mitleidigen Augen. Er nickte eifrig, als der König in seinem Bericht bis zu der Anne-Kathrin Mevius und deren Forderung gelangt war.

»Recht hat die Frau, es ist eine Christenpflicht, den kleinen Findling schleunigst in den Bund der Christenheit einzureihen. Ich eile, die Vorbereitungen zu treffen, Majestät.«

»Bedarf es da großer Vorbereitungen, Mann Gottes? Ich bin müde!« Und der König gähnte herzhaft und lange.

Der Probst hatte dem Pagen leisen Befehl gegeben, der enteilte geschäftig, immer das Lachen im jungen Gesicht.

Unbekümmert krähte die winzige Erdenbürgerin, um derentwillen ein Friedrich von Preußen sich den erwünschten Schlaf für eine Weile noch versagen mußte. Es focht sie wenig an, daß ein König sich nach ihr richtete.

Da war der Page wieder, und hinter ihm erschien der Küster, dem Probste zur Hand zu gehen bei der heiligen Handlung.

Und dann war alles bereit.

»Und die Paten, Majestät?«

»Mein Grenadier dort und ich, das wird genügen?«

Der Probst neigte das Haupt. »Den oder die Namen, bitte?«

Da stand des Königs von Preußen junge Majestät vor einer Frage, die im Augenblick ihn schwieriger zu lösen dünkte als die Schlesisch-österreichische in allen ihren Verwicklungen. Er stand und sann. Ernsthaft, lange. Dem alten Grenadier, der das nun zappelnde Bündel hielt, wollte die Ungeduld ankommen. Er trat von einem Fuß auf den andern und führte im Innern eine Sprache, die wenig zu der heiligen Handlung paßte, in die er so wider Willen verwickelt war. Er keuchte laut und der Schweiß rann ihm in den Bart, ohne daß er ihn wischen konnte. Ganz stier wurde sein Blick.

Aber da war der König mit sich und der schwierigen Frage ins reine gekommen. Ein Lachen war in seinen Augen, die er auf den Probst heftete. »Nenn' Er das Mägdlein Fritze Viktoria Mollwitz, Probst. Nehm' Er nur das alte heidnische Frauenzimmer als Patin, Mann, es wird der kleinen Person Glück bringen, daß sie aus den Namen und aus die erste siegreiche Bataille getauft ist. Hat Er was dagegen einzuwenden etwan?«

»Bloß daß ein Kalendername – –.«

»Papperlapapp!«

»– – – der kleinen Maid ersprießlicher wäre, dächte ich.« Der Probst ließ sich durch des Königs Dazwischenruf nicht einschüchtern. Er stand und wartete.

Und der König entschied. »Tauf' Er sie in Gottes Namen, wie ich gesagt habe, ich will's bei unserm Herrgott verantworten, Probst.«

Wenn des Königs Majestät so redete, und so aus den Augen schaute, gab's keinen Widerspruch. Das wußten alle um ihn, und das wußte auch der Probst.

So wurde die kleine im Schnee Gefundene also Fritze Viktoria Mollwitz getauft und des Königs von Preußen junge erlauchte Majestät war ihr Taufpate. Als das Wasser ihr die kleine Stirn netzte, fuhr sie erschreckt zusammen, aber es kam ihr kein Laut über die Lippen. Ihre Augen sahen groß und dunkel in die blauen Wundersterne ihres hohen Paten, der sich neugierig über sie gebeugt hatte, und nun beifällig sagte: »Bravo! Fritze Viktoria, bleib' so tapfer, dann kann dir's nicht fehlen.« Seine Hand strich dabei über das kleine Gesicht. »Und nun wohin mit ihr, Mann Gottes? Streng' Er sich ein bißchen den Schädel an. Meine Weisheit hört hier auf.« Ganz hilflos sah der König drein.

»Wohin? Ja, wenn ich das wüßte, Majestät.«

»Ich bin ein rauher Kriegsmann. Er soll ein Tröster sein der Witwen und Waisen, allons! denk Er nach!«

Und der Probst dachte nach.

Die kleine Fritze Viktoria Mollwitz krähte und kollerte derweil und bedrängte ihren bärtigen Wärter hart zum Gaudium des jungen Pagen, der alle Selbstzucht nötig hatte, der eingelernten Etikette nicht verlustig zu gehen.

Da hatte der Probst einen Ausweg gefunden. »Meine Schwester ist in Lissa an einen Schloßbeamten verheiratet. Sie hat einen braven Mann und ist selber eine gute mütterliche Frau. Sie hat zwei Kinder, einen Jungen und ein Mägdlein, vier und acht Jahre dächt' ich, sollten sie jetzt alt sein. Der Junge ist der Ältere. Ich denke, dort sollte sich Raum für dies kleine Menschenkind finden und Herzen, die es liebhaben können. Gefällt es Euer Majestät, so frage ich an.«

»Sein Gott hat ihn erleuchtet, Probst. Hält Er die Anfrage für nötig?«

»Dürft' ich so ohne weiteres über meines Schwagers Haus verfügen? Selbst wenn ich der Zustimmung meiner Schwester sicher wäre?«

»Ist begreiflich. Schick' Er Estafette, Probst. Die Lache muß rasch erledigt werden. Und sag' Er, der König zahlt für sein Patenkind jährlich eine Summe. Könnt' auch mitunter ein Sümmlein werden, wer will der Zeiten Lauf bestimmen, aber der gute Wille ist da.«

»Ich werde treulich berichten, Majestät.«

Sie gingen nun alle, und der König konnte endlich zu seiner Ruhe kommen. – –

Eine Woche danach reiste die kleine Fritze Viktoria Mollwitz in Begleitung ihres bärtigen Grenadiers in die neue Heimat. Des Probstes Schwester hatte sich bereit erklärt, die Sorge für den kleinen Findling im Schnee zu übernehmen.

Dessen hoher Pate war schon längst weitergezogen auf des Krieges Fährte. Er stand mit seinen Tapferen vor Brieg, die kleine Feste zur Übergabe zu zwingen.

*


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