Gottfried Kinkel
Otto der Schütz
Gottfried Kinkel

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Erstes Abenteuer.

Die Rheinfahrt.

        In klarer Frühlingsabendpracht,
Wenn schon der Sterne Heer erwacht,
Wenn kühl der Mond im Ost sich hebt,
Die Flur mit blauem Duft umwebt,
Indeß im West des Abends Stralen
Den Himmel heiß mit Purpur malen;
Wenn Nachtigallenschlag erschallt
Und drein im Nachthauch rauscht der Wald;
Wenn aus des Wassers dumpfer Schwüle
Der Fisch mit lust'gem Sprung sich schnellt,
Und in der weichen Schlummerkühle
So still und heimlich liegt die Welt;
Wenn in der Uferweiden Dunkel
Der Elfen Chor den Reigen schlingt,
Und aus dem Strom ein leis Gemunkel
Der Nixen auf zum Lichte klingt:
Das ist die zauberhafte Stunde,
Wo Tag und Nacht in gleichem Bunde
Dich kränzen mit dem schönsten Schein,
Du Fürst der Ströme, trauter Rhein! 2
Auf deinem Grund geschmolzen rollt
Der Nibelunge rothes Gold;
Das spielt wie Scharlachfeuerglut
Herauf an's Licht aus deiner Flut.
Dein Stromgott tief zum Schlaf sich neigt
Sein Odem leis nach oben steigt,
Das quillt wie weißen Silbers Schaum,
Und stickt des Goldgewandes Saum,
Indeß vom Ufer Bergesschatten
Das lichte Blau dem Purpur gatten.
Drum gibt sich Roth und Weiß und Blau
Als Rheinlands Farbe stolz zur Schau.

Zu solcher Stunde treibt hinunter
Im bunten Kahn ein Bursch, und munter
Beschaut er, leis das Steuer regend,
Ringsum sich Fluß und Berg und Gegend.
Wo ihm ein Thurm vom Ufer winkt,
Andächtig auf das Knie er sinkt
Und spricht ein flüchtiges Gebet;
Doch wo ein hübsches Mädchen geht,
Der wirft er einen raschen Kuß
Zum Strand hinüber von dem Fluß.
Und ob sie mit verschämtem Schrecken
Ihr Auge wendet von dem Kecken –
Er ist zu hübsch, sie muß sich wenden
Und einen Gegengruß ihm senden.
Den Fischer aber in dem Ried
Neckt er mit einem lust'gen Lied; 3
Laut platscht der Lose in die Flut
Und jagt ihm fort die stumme Brut,
Und lacht, wenn um den Fang betrogen
Das Netz er leer heraufgezogen.
Doch wo am Fahr in Bauernschenken
Des lahmen Geigers Fiedel schallt,
Dahin treibt's ihn den Kahn zu lenken,
Da kehrt er ein, da macht er Halt;
Und mit dem schmucksten Bauernkinde
Schwingt er sich einmal in die Runde,
Stürzt einen Becher Wein geschwinde
Und kehrt zum Kahn hinab zur Stunde:
Daß noch die ganze Nacht mit Staunen
Die Mädchen von dem Gaste raunen,
Wie ihm vom blauen Sammtbarette
So stolz die weiße Feder weht,
Wie zierlich ihm die goldne Kette
Auf knappem Kleid von Grauwerk steht,
Wie er im Tanz so wild sie schwang
Und wie sein Gruß so lockend klang,
Wie mächtig blonder Locken Wogen
Als Heil'genschein sein Haupt umflogen;
Und Alle kamen überein,
Es müsse halb ein Engel sein!

Er aber fragt dem wenig nach,
Was man von ihm da stritt und sprach.
Er fährt hinab der Nacht entgegen;
Still ward es auf den feuchten Wegen, 4
Kein Dreibord mehr, kein Fischerkahn
Durchfurcht die glatte Wasserbahn.
Er lauscht, wie von dem Strom getrieben
Am Grund sich fort die Steine schieben;
Er sieht die langen Silberstreifen
Von seinem Kiel geschnitten schweifen.
Und wie der Mond mit Zitterschein
Sich ausgießt in den dunkeln Rhein.
Die Nacht umspannt ihm seine Brust
Mit ihrer schaurigsüßen Lust.

So kam er in ein lieblich Land,
Zu beiden Seiten ebner Strand;
Weit ward und breit und tief der Strom,
Weit oben auch des Himmels Dom,
Denn rings auf den gestreckten Auen
War nirgend mehr ein Berg zu schauen.
Nur eines Lichtes ward er innen
Am Strand, als ständ's auf hohen Zinnen.
Da ward er müd; des Schlafes Macht
Befiel ihn um die Mitternacht
Und drückt' ihn mit so schweren Lasten,
Daß er beschloß am Land zu rasten.
Dran mögt ein Wunder ihr begreifen:
Ob wir auch selbst in's Weite schweifen,
Die edle Frau, geheißen Minne,
Lenkt doch die unbewußten Sinne.
Sie war's auch, die mit blei'rnem Schlaf
Des Knaben helles Auge traf, 5
Daß er nicht an des Glückes Thüre
Mit frevler Hast vorüberführe.
Hier war es, wo sein Lebensloos
Geworfen lag in Glückesschooß;
Denn jenes Licht, das er geschaut,
Vom Fenster kam's der künft'gen Braut,
Und Liebe kann des Ziels nicht fehlen,
Magst du auch eigne Pfade wählen.

Der Knabe lenkt den Kahn an's Land,
Daselbst er dürres Riedgras fand;
Er rüstete sich eine Streu,
Ein Feuer macht' er ohne Scheu;
Den Kahn band er an's Ufer fest,
Und holt vom Hirsche sich den Rest,
Den er gefällt mit Meisterschuß
Erst gestern mitten aus dem Fluß.
Durch's Uferdickicht brach das Thier,
Um aus dem Flusse sich zu tränken;
Schon will es der Geweihe Zier
Zum klaren Spiegel niedersenken,
Da zielt der Bursch – mit krauser Stirn
Will flink der Hirsch zur Flucht sich wenden
Da trifft ihn mitten durch das Hirn
Ein Bolz, geschnellt von sichern Händen;
Drei Ellen sprang er hoch und fiel
Dem Schützen, der nicht fehlt sein Ziel.
Der Knabe briet sich heut zum Mahl
Den Ziemer, und beim Mondenstral 6
Sucht bittre Kräuter er als Würze.
Ein Blatt ist Handtuch ihm und Schürze,
Als Bratspieß dient sein Jägerspeer,
Im Jagdhorn trägt das Kraut er her;
Der Dolch ist gut zum Vorlegmesser,
Wenn du nur bist ein guter Esser.
Drauf spricht er seinen Abendsegen,
Und ohne weiter Ueberlegen
Schließt er zu festem Schlaf in Ruh'
Die beiden hellen Augen zu.

Es knistert noch das Feuer lang,
Der Uhu ruft – er hört es nicht;
Es rauscht der Rhein den Wellensang,
Die Elfe klagt – ihn stört es nicht,
Denn in der Engel treuer Wacht
Verschläft er fest die ganze Nacht. 7


Zweites Abenteuer.

Mann und Jüngling.

        Früh aus den Wolken sprang der Tag;
Da kam durch thaugenäßten Hag
Ein kräftig Mannsbild hergegangen
Im knappen grünen Jagdhabit,
Das zottige Dachsfell umgehangen,
Den festen lässig sichern Schritt
Gestützt auf seines Speeres Schaft.
Es war ein Mann in voller Kraft,
Ein Antlitz wie aus Holz gehauen,
Vertraut mit düsterm Wäldergrauen,
Gebräunt vom nächt'gen Wetterschlage,
Lächelnd in jeder Müh' und Plage,
Das von dem Kampf mit Bär und Ur
In tiefen Narben trug die Spur;
Ein Aug', das mit dem glüh'nden Stern
Die grimme Bache scheuchte fern;
Waidmännisch keck in's Weite schauend,
In jeder Noth dem Arm vertrauend,
Der seinem Herrn mit Stoß und Hieb
Nie seine Dienste schuldig blieb. 8
Es zeugt das Roth des Wangenpaars
Noch nicht vom Mühsal manchen Jahrs,
Doch in des Bartes dunkle Locken
Warf schon das Alter weiße Flocken.
Ein Mann an Leib und an Gemüthe,
An innerm Sinn und äußerm Kleid,
Wie sie so recht mit Vatergüte
Der Forst erzieht in Einsamkeit.
Mit ihm sein Hund, gleich ihm gedrungen
An Brust und Gliedern, trotzig, kühn,
Die Nüstern weit, die Stirn geschwungen,
Mit Augen, die von Mordlust glühn;
Die breiten Ohren tief zerrissen,
Vom Wolfszahn grimmig aufgeschlissen,
Nur halb verdeckt sein weiß Gebiß –
Kein Feind, den er nicht niederriß!
Der stand jetzt still; der Jäger auch;
Das Thier nach guten Spürers Brauch
Packt eine Fährt' und wedelt lüstig.
Den Spieß ergreift der Jäger rüstig,
Rasch bricht er Bahn sich durch's Gezweig,
Das tauft mit Morgenthau ihn reich.
Nun steht der Hund mit lautem Knurren,
Als wollt' er dem Gebieter murren,
Vor dessen Zorn er nur sich scheute
Gleich anzuspringen seine Beute.
Der Jäger schreitet nach: da ruht
Auf offnem Platz in Waldes Hut,
Vom Frühhauch weich umspielt und mild,
Gechloss'nen Augs des Jünglings Bild; 9
Die eine Hand ihm unterm Haupt,
Drauf senkt ein Ast sich dichtbelaubt,
Der hatte mit besorgtem Walten
Den Morgenstral ihm abgehalten.
Der Jagdspeer liegt im andern Arm,
Doch hat der Schlaf ihm weich und warm
Des Fingers Sehnen abgespannt,
Und breit und lässig ruht die Hand.
Der Jäger steht – da knackt ein Ast,
Der Knabe fährt empor in Hast;
Er schüttelt ab des Schlummers Stocken
Und von dem Aug' den Schwall der Locken.
Wie von des jungen Weines Glut
Aufschäumt des Mannes rothes Blut,
So zückt die Kraft ihm heiß durch's Mark;
Auf springt er, faßt die Lanze stark,
Und so gestellt ihn abzufangen
Harrt er des Gegners ohne Bangen.
Gewaltig Bild! Du schautest hier
Des Mannes vielerprobte Stärke,
Dort in des Jugendtrotzes Zier
Den Knaben, reif zum Männerwerke;
Hier eine Eiche, markig, ständig,
Die Fichte dort, gelenk, lebendig –
Und hätten Beide sich bekriegt,
Wer möcht' uns künden, welcher siegt?

Doch nicht so feindlich war's gemeint!
Wie wenn die Sonne freundlich scheint
Auf zackigen Fels im Waldesthale, 10
So hellte sich mit einem Male
Vor solcher Jugendschönheit Licht
Des Försters düster Angesicht.
Er pfeift dem Hund, der Glut im Blick
Schon lauert auf des Feinds Genick;
Gehorchend, doch nicht allzu gern,
Verkriecht er stumm sich hinterm Herrn.

Der aber sprach: Nehmt's nicht unwirsch,
Lieber Gesell, daß auf der Birsch
Ich euch für ein Gewild genommen
Und ihr so schlimm zum Schrecken kommen!
Der Junge drauf: Es war der Schrecken
Just nicht so groß, und mich zu wecken
War's Zeit in solchen Sommertagen,
Deß muß ich billig Dank euch sagen.
Doch da ihr einmal im Gehege,
So ruht ein Weilchen von dem Wege;
Eur Wams besagt mir sicherlich,
Daß ihr ein Jäger seid wie ich.
Kommt, hier ist Wildbrät noch genug
Zu raschem Frühstück für uns Beide:
Nur fehlt uns Eines, mir zum Leide,
Von gutem Wein ein tiefer Zug.

Dafür laßt mich, spricht jener, sorgen!
Und zieht aus seiner Waidmannstasche,
Vor Sonnenglut in Stroh verborgen,
Die wohlgepfropfte volle Flasche.
Sie lagerten sich Beide schnell 11
Und ließen Flasch' und Messer wandern
Der eine Jagdgenoß zum andern.
Der Hund als dritter Tischgesell
An ihren Fuß sich wedelnd schmiegt
Und auf die Knochen lauernd liegt.
Ihm warf sein Herr mit mildem Sinn
Auch manches Stück vom Braten hin.
Denn wer da lebt in Waldesgrund,
Einsam von Weib und Ingesinde,
Dem ist auch lieb gleich einem Kinde
Sein einz'ger Freund, der gute Hund.
Und wie die Drei nun abgespeist,
Da gab's nicht eben viel zu räumen,
Weil Junggesellen ja zumeist
Nicht lang sich mit der Ordnung säumen.
Drauf spricht der Bursch: Im leichten Kahn
Fuhr ich heut Nacht zu euerm Strande.
Ein Fremdling bin ich hier; wolan,
Sagt mir vom Volke, von dem Lande!

Zur Antwort war der Mann bereit:
Man merkt's, daß ihr unkundig seid.
Schaut dort durch diese Waldesdichte
Den Thurm so blank im Morgenlichte,
Darauf der Schwan sich brüstend steht
Und flammendroth das Banner weht.
Ringsum ein auserwähltes Gau,
Mit Wäldern groß und weiter Au,
Vielarmig rauscht der Rhein hindurch.
Das Schloß dort ist die Schwanenburg, 12
Und Cleve wird das Land genannt.
Sein Herr ist weit mit Ruhm bekannt,
Das ist der Grafe Dieterich
– Und bei dem Namen neigt' er sich
Und lüftete die Mütze sacht,
Wie er des edeln Herrn gedacht –.
Schaut, ich bin einer seiner Leute,
Es rief sein Dienst hierher mich heute.
Das ist ein waidlich rüstiger Degen,
Am meisten heimisch in Gehegen,
Dem lieber ist der kühle Wald,
Von Thier- und Vogelruf durchklungen,
Als wenn im Dom die Orgel schallt
Und Pfaffen singen matt von Lungen.
Klaräugige Falken seine Lust,
Jagdhunde mit gewölbter Brust
Und flüchtige Zelter, die den Hirsch
Ermüden auf der muntern Birsch.
So ist er auch den Jägern hold,
Sie werben Ehr' und rothes Gold
In seinem Dienst, er hört sich gern
Beloben als den Schützenherrn.
Wer wohl versteht des Bogens Kunst,
Den lockt er her mit Sold und Gunst;
Drum sind aus allen deutschen Gauen
Die beßten Schützen hier zu schauen.
Auch probt er oft am Schützenfeste,
Weß Blick und Arm und Bolz der beßte
Als Ehrenkönig wird ernannt,
Wer recht in's Schwarze hat gebrannt. 13

Tiefathmend saß der Jüngling da,
Als so der Waidgesell gesprochen;
Die Lust ihm aus den Augen sah
Und wagend tönt des Busens Pochen..
Wolan, spricht er, so bleib' ich hier,
Und biete meinen Dienst dem Grafen;
Solch einen Herrn erwünscht' ich mir,
Wohl mir, daß hier ich eingeschlafen,
Und daß just ihr mich mußtet wecken,
Mir solche Hoffnung aufzudecken!
Gern werd' ich euer Dienstgenoß
Und messe mit euch mein Geschoß.

Nun wollt' ich hättet ihr gesehn
Des Försters Blick bei solcher Rede!
Er maß vom Wirbel zu den Zehn
Den Jüngling, der ihm bot die Fehde:
Ihm, der auch noch im halben Schlaf
Ein aufgespanntes Härchen traf,
Der nun schon längst von Jahr zu Jahr
Der Schützenkrone sicher war,
Der Beste weit von Dietrich's Mannen,
Wenn's galt die Armbrust stark zu spannen
Und aus den hochgeschwungnen Händen
Den raschen Jagdspeer zu entsenden.
Nun sah er hier den zarten Gegner,
Der um so jünger, so verwegner;
Sah an den schmiegsam schlanken Leib,
Die Arme weiß, als wär's ein Weib, 14
Sah diesen weichgelockten Knaben
Erstrebend Preis und Fürstengaben.
Es blickte stolz der starke Mann
Halb abgewandt den Burschen an;
Doch wie er ihm in's Auge schaut,
Das trug den Blick so selbstvertraut,
Das blieb so fröhlich, kühnlebendig,
Und doch so ruhig, stillverständig –
Da starb ihm, auf der Lippe schon,
Das rasche Wort, der stolze Hohn.
Gut denn, so sprach er, junges Blut!
Heut mögt ihr zeigen euern Muth.
Hört ihr, wie schon zum Schützenfeste
Die Pauke ladet muntre Gäste?
Fürwahr das Schicksal beut euch Gunst,
Dafern nur euch nicht fehlt die Kunst!

Der Jüngling rafft sich aus der Rast,
Er geht hinab zum Rhein in Hast,
Wo er des Nachens Kette löst
Und starken Tritts vom Land ihn stößt.
Dich brauch' ich nicht! so ruft er munter,
Treib du mit Glück in's Meer hinunter!
Der Förster staunend ihn beschaut,
Und Beide wandten sich zu wandern.
Hinfort sprach keiner zu dem andern,
Doch ihre Herzen klopften laut;
Denn Beide fühlten's wohl sich an:
Es fand hier jeder seinen Mann! 15


Drittes Abenteuer.

Der Meisterschuß.

        O fröhlich Leben an dem Rhein,
Gespeist von Kraft, getränkt von Wein,
Wie grüßest du in Sommerlust
Unsterblich jung des Dichters Brust!
So lang noch stehn die Felsenhallen,
Wird rheinischer Gesang erschallen;
So lang der Strom mit stillem Gang
Die Wimpel führt das Thal entlang,
Wird Liebe jubelnd ihn befahren
Und ew'gen Jugendmuth bewahren.
So lang noch rauschen diese Wälder
Und grün noch stehn die satten Felder,
So lang sich Trauben röthlich färben,
Wird nicht ein froh Geschlecht ersterben.
Dir gab, o Rheinland, Gottes Huld
Des Nachbarn wilde Ungeduld.
Der Franke neidet deine Schöne
Und seiner Gier bist du ein Ziel;
Drum üben deine schmucken Söhne
Die Kraft im ernsten Waffenspiel; 16
Drum rufen deine Schützenfeste
Von nah und fern heran die Gäste,
Und steten Sieges klar bewußt
Vereint dem Ernst sich stolze Lust!

Auf weitgedehntem grünem Rasen,
Wo sonst behaglich Herden grasen,
Ist heut ein männlich Fest bestellt.
Immitten ragt ein buntes Zelt;
Auf Balken zierlich aufgeschichtet
Ist ein Altan emporgerichtet,
Drauf weht das Banner mit dem Schwane.
Ihr habt die Sage viel vernommen,
Wie einst des Hauses großer Ahne
Vom Schwan gelenkt an's Land geschwommen.
Von Montsalvatsch war's Lohengrin,
Beatrix warb er zum Gemahle;
Wol trieb ein kläglich Schicksal ihn
Hinweg von ihr zum Dienst dem Grale,
Doch blieb dem Stamm von ihr geboren
Des Vaters Banner unverloren.
Solch hohen Stammes rühmte sich
Der Graf von Cleve, Dieterich;
Auch war von altem Blut geboren,
Die er zum Ehgemahl erkoren.
Doch sicher noch ein junges Blut
War ihr holdselig Töchterlein,
Das zeigte wohl ihr froher Muth
Und ihrer Wangen Purpurschein. 17
Recht zwischen Jungfrau noch und Kind,
Stand sie auf jener blumigen Grenze,
Wo noch die Unschuld keckgesinnt
Um's Haupt sich windet bunte Kränze,
Und doch ein tief wehmüthig Ahnen
Schon mag an künft'ge Liebe mahnen.
Sie saß im blauen Sammtgewand,
Umflattert von dem Purpurbanner,
Und hielt den Kranz in ihrer Hand
Zum Preis dem stärksten Bogenspanner.
Mit lichten Blumen war durchwoben
Der schöngewundnen Flechten Pracht,
So wie ihr Kleid am Himmel droben
Mit bunten Sternen stickt die Nacht.
Wie zart der Jungfrau Lippen glühen,
Zwei Knöspchen, die im Blätterschleier
Nur auf den Lenzhauch harr'n als Freier,
Im Kusse feurig aufzublühen!
Doch ungetrübt von Liebesthränen
Und unberührt von Schmerzgefühl,
Noch nicht verzehrt von Angst und Sehnen
Sah klar dies Aug auf's Volksgewühl.
Denn rings aus ihres Vaters Ländern
War fröhlich Volk herbeigekommen;
Mit Wimpeln reich verziert und Bändern
Kommt Kahn und Schalde hergeschwommen.
Der Köhlerbursch aus Wäldern weit
Führt her des Försters zages Mädchen,
Das nur sein Stübchen kennt und Rädchen
Und stumm bestaunt die Herrlichkeit. 18
Dort aus dem engen Stadtthor rückt
Der Bürger Schaar mit ihren Frauen,
In schwarzen Kleidern, goldgeschmückt,
Gar ernst und würdig anzuschauen.
Es wogt des Volkes dunkler Hauf;
Da glänzt und dort ein Jäger auf,
Wie aus der Tannen schwarzer Nacht
Die Birk' in grüner Blätterpracht.
Die schauen nicht nach Mädchen heute
Wie sonst wol muntre Jägersleute;
Heut gilt's nicht einer Dirne Kuß,
Heut gilt's mit Ernst den Meisterschuß,
Und lockend winkt dem Waldessohne
Aus Jungfrau'nhand die Ehrenkrone.

Horch, ein Trompetenstoß! Am Ziel
Erscheinen blanker Schützen viel,
Auf guten Rossen, wohlbewehrt,
Des Grafen Mannen hochgeehrt.
Sie reiten langsam durch die Bahn
Und säubern sie vom Gaffervolke,
Dann im Galopp zum Ziel heran,
Daß ihnen folgt des Staubes Wolke.
Sie springen ab, und Jeder nimmt
Den Platz, den ihm sein Rang bestimmt.

Jetzt tritt der Graf aus seinem Zelt,
Ein Lebehoch durchbraust das Feld.
Der Edelknappe schenkt ihm ein
In neuen goldnen Becher Wein. 19
Den hebt er hoch und schauet mild
Die Schützen an und ruft: es gilt
Jedwedem Mann der Trunk, der brav
Heut oder je in's Schwarze traf.
Den Becher aber setz' ich dran
Als Preis dem Schützenfürsten heute,
Er sei nun Einer meiner Leute,
Er sei ein fremd und freier Mann!

Zum zweitenmal Trompetenstoß.
Die Schützen werfen rasch das Loos,
Das ihrer Schüsse Ordnung mißt
Und abwehrt Zank und Hinterlist.

Nun schweigt das Feld, die Schützen auch,
Und stumm nach Sitten und Gebrauch
Tritt zu dem Scheibenstand heran
Mit seiner Armbrust jeder Mann.
Du hörst nur noch mit Armeskräften
Die Sehnen in die Kerben heften,
Und drauf der Bolze schneidend Pfeifen,
Die wie ein Blitz die Luft durchstreifen
Und neckisch bald in's Blaue irren,
Bald krachend in die Scheibe schwirren.
Dann nennt am Ziel des Herolds Stimme
Der Ringe Zahl mit lautem Schrei;
Doch blieb das schwarze Rund noch frei,
Und nur mit schlecht verhohlnem Grimme
Leis murrend bösgelauntem Glück,
Kehrt jeder Schütz vom Stand zurück. 20

Zuletzt nun tritt der Förster vor.
Da raunt das Volk sich rings in's Ohr:
Der hat so oft den Sieg gewonnen!
Aus tiefem Waldgrund ist's der Starke,
Erwachsen fern vom Blick der Sonnen
Und aufgenährt mit Bärenmarke!
Vor trat er fest und keck und wild,
Ein erzgegossen Mannesbild,
Auch hier in der Entscheidungsstunde
Verlassen nicht von seinem Hunde.
Als wär' es gleich ihm, ob's ihm glückt,
Faßt er sein Schießzeug, zielt und drückt
Laut klappt's! mit Klang und Eselsohr
Hüpft munter der Hanswurst empor,
Der künstlich hinter'm Ziel versteckt
Vom Bolze ward heraufgeschreckt.
Sieg! ruft der Herold. Sieg! erschallt
Der laute Ruf von Jung und Alt.
Der Schütz mit lässig stillem Schritt
Vor seines Fürsten Auge tritt;
Ihm winkt der Kranz, Trompetenton
Begrüßt den Schützenkönig schon.

Doch Halt! so ruft's vom Scheibenstand,
Es steht ein schlanker Jüngling dort:
Euch ist der Jüngling wohlbekannt,
Er kommt zu lösen nun sein Wort.
Er spricht: Gestrenger Herr und Graf,
Ihr botet Jedem euern Becher: 21
Wol hielt sich euer Schütze brav,
Doch mir ist Arm und Blick nicht schwächer.
Gestattet mir den Schuß zu proben:
Ihr sollt den bessern Schützen loben.

Es winkt der Herr: die Bahn wird leer;
Rings steht das Volk, ein brausend Meer;
Durch Alle schwirrt ein leiser Ton,
Mitleid bei Frau'n, bei Männern Hohn,
Und nur dem Förster bange pochte
Das Herz, wie er's auch hehlen mochte.

Der fremde Jüngling neigt sich hold,
Daß ihm der Locken sonnig Gold
Als Schleier vor den Augen weht;
Dann steht er aufrecht fest und stät,
Wirft Haupt und Haar sich in's Genick
Und mißt die Bahn mit freiem Blick.
Die Armbrust faßt er nun mit Kraft:
Es war von Ebenholz ihr Schaft,
Darin von Elfenbeine weiß
Viel Blumen eingelegt mit Fleiß.
Am Kolben reich mit Silberglanz
Von Jägerspiel ein bunter Kranz:
Ein Hirsch vom Hörnerton gehetzt,
Ein Hund vom Eberzahn zerfetzt
Ein Fräulein mit dem Federspiel,
Auch Auerstier' und Bären viel.
Des Waidwerks Pracht mit Lust und Grauen
Gab schmuckes Bildniß hier zu schauen. 22
Der Bügel, blau von Stahl und blank,
Wie eine Glocke hell erklang.
Mit Sorgfalt prüft der Schütz die Sehne,
Ob sie sich leicht und fügsam dehne;
Selbst hatt' er sie in Winterstunden
Aus wilden Marders Darm gewunden.
Immitten, wo die Sehne faßt
Des Bolzes tödlich schwere Last,
Da schürzt, daß nicht im Schuß sie springe
Zum Knoten er die Doppelschlinge.
Und als die Spannung wohl vollbracht,
Die Sehne schnellt er nun mit Macht;
Laut, wie der Harfe höchste Saite,
Erklang der schneid'ge Ton in's Weite.
Nun aus dem Köcher nimmt er Bolze,
Geschnitzt aus festem Eichenholze;
Er wählt den glättesten, der scharf
Gekantet blanke Lichter warf.
Und wie er Alles wohl erprobt,
Mit Lächeln er das Schießzeug lobt.
Er setzt den Bogen vor die Brust,
Er spannt ihn leicht mit stolzer Lust,
Und staunend sahn die Schützen an
Den starken Arm bei zartem Mann.
Wild blitzt sein Aug auf's Ziel gewandt,
Als wollt' er's sengen mit dem Brand;
Doch bändigt er des Herzens Wellen,
Die hoch in Siegeshoffnung schwellen,
Er kühlt sich den entflammten Sinn,
Klar, fest und stille schaut er hin; 23
Er drückt – der Bügel mächtig klingt,
Lautschwirrend sich die Sehne schwingt,
Es saust der Bolz – er hat getroffen!
Da stand mit weiter Spalte offen
Des Försters Bolz, ihn schnitt in's Mark
Des Jünglings Schuß gerecht und stark.

Der Herold tritt zum Scheibenhaus,
Er zieht die Bolze beid' heraus
Und legt sie in des Grafen Hand,
Der staunend ob dem Wunder stand.
Des Försters Bolz war ganz zerschmettert,
Gleich einer Rose aufgeblättert,
Es saß darin der zweite Bolz
Fest eingekeilt in's harte Holz,
Und war hinfort kein Zweifel dran,
Wer hier den Meisterschuß gethan. 24


Viertes Abenteuer.

Die Werbung.

        Wenn Mädchen in des Abends Glanz
Beim Dorfesbrunnen stehn im Kranz,
Und plötzlich dann mit leichtem Fuß
Ein fremder hübscher Bursche naht
Und grüßt die Schaar mit keckem Gruß
Und weiter wandert seinen Pfad:
Das gibt ein Summen und ein Fragen
Wer mag er sein? wo kam er her?
Wohin mag's ihn so eilig jagen,
Daß er mit uns nicht kos'te mehr?
So ging durchs Volk ein laut Getöse,
Die Jäger waren neidisch böse,
Die Mädchen aber laut mit Gunst
Priesen des Jünglings sichre Kunst.
Neugier und Haß, Huld und Verdruß
Besprachen sich zum Ueberfluß.

Den Schützen grämte das nicht viel,
Er schritt die Bahn hindurch an's Ziel, 25
Besah sich wohl des Schusses Kern
Und stieg die Stufen auf zum Herrn.
Da staunten Alle, daß er nicht
Das Knie zum Gruß dem Grafen bog;
Fest blieb und klar sein Augenlicht,
Sein wallend Haar im Winde flog.
Die Armbrust gab ihm das Geleite,
So schaut' ein König er in's Weite,
Als ob im Stolz auf seine Kunst
Ihm eins sei Ungunst oder Gunst.
Hoch saß im blitzenden Geschmeide
Die Gräfin auf dem Thron von Seide,
Der küßt' in Ehrfurcht er die Hand,
Dann aber ging er leichtgewandt
Zur jungen Gräfin, die als Preis
Des Kampfes hielt ein Eichenreis.
O Schütz, wie ist dein Stolz entflohen,
Da du in's Auge Der geblickt,
Wie schwand vom Antlitz Trotz und Drohen,
Seit Sie dir holden Gruß genickt,
Wie bogst du willig da das Knie,
Das doch sich beugen lernte nie;
Wie sahn sich staunend Beide an,
Die schönste Maid den schönsten Mann!
Sie wollten Beide Worte sprechen
Und konnten nicht den Zauber brechen.
O schweiget, schweigt! Die große Stunde
Versiegelt euch das Wort im Munde,
Euch ahnt die Seele, daß Verlangen
Auf ewig nun euch hält gefangen; 26
Sie weiß, daß nur in Thränenbächen
Ihr süßer Schmerz hervor mag brechen,
Daß nur das Blut aus Herzensgrunde,
Das in die Wangen siedend quillt,
Mit lautem Zeugniß gibt die Kunde
Der Flut, die innen überschwillt;
Daß nur der Blitz aus hellem Auge
Zu gült'gem Liebeszeugen tauge.
Nicht kam die Minne dort, die kluge,
Die langsam reift in träger Zeit,
Sie kam gestürzt in jähem Fluge
Als mächtige Nothwendigkeit.
Sie trat als Priesterin herzu
Und fügte Herz und Hand im Nu:
Er hebt den Arm, den Kranz zu fassen.
Sie will, verwirrt, nicht los ihn lassen,
Bis Beider Hände sich berühren:
Er will den Kranz zum Haupte führen
Und ahnt es nicht, daß er entzückt
Die Hand an seine Lippen drückt.
Da lodern seines Mundes Flammen
Ihr tief in's Herz mit süßem Brand,
Er aber schauert scheu zusammen
Vom Kuß der marmorkühlen Hand.
So ruhn sie zitternd, stockend Beide,
In banger Lust, in sel'gem Leide –
Ein Augenblick, ach kaum so viel,
Daß sich entschied ein Würfelspiel,
Und doch genug, um für ein Leben
Zu ew'gem Schmerz sich hinzugeben! 27

Er rafft sich auf, und drückt den Kranz,
Den dunkeln, auf der Locken Glanz.
Ein Blick nur noch, Ein flücht'ger Gruß,
Dann schwankt er hin mit irrem Fuß –
Wohin? er weiß nicht Weg noch Ort!
Da weckt ihn auf des Grafen Wort,
Der ruft: Nimm deinen Becher mit!
So wendet er den schwanken Schritt,
Und wie verwandelt kniet er hin
Vor ihn mit mildgeschmolznem Sinn.
Er beugt mit süßem Wonnebeben
Sich Dem, der ihr verlieh das Leben.

Da sprach der Graf mit mildem Ton:
Du hast den Preis erkämpft, mein Sohn!
Ich biete mehr der Ehren dir:
Doch wer du bist, das künde mir!

Der fremde Jüngling schweigt, doch bald
Stählt ihn des Augenblicks Gewalt:
Otto heiß' ich und bin ein Schütz –
Zu was ist mehr zu sagen nütz?
Ich hab' euch einen Schuß gethan,
Es sei genug, steht er euch an.
Zu was wollt ihr mich besser kennen?
Wol möcht' ich guten Namen nennen,
Doch machte das nicht fest mein Mark
Noch meines Bogens Bügel stark.
Ihr mögt den Stamm doch wol vergessen,
Den Apfel nach dem Safte messen. 28

Du redest wohl! so sprach der Graf.
Du bist in Schuß und Rede brav;
Man braucht in's Aug dir nur zu schauen
Und wird auch ohne Wort dir trauen.
Wolan, mein namenloser Held,
Wenn's dir in Cleve wohlgefällt,
Sprich, willst du sein in meinem Solde?
Ich lohn' es reichlich dir mit Golde;
Zwei starke Rosse stell' ich dir
Sammt Zeug und Sattel, Zaum und Zier;
Ich gebe dir auch gut Gewand
Und frei zur Jagd mein weites Land.

Und Otto drauf: ich bin's bereit!
Bin zwar von Alters nicht gewohnt
An hartes Brod der Dienstbarkeit,
Doch will ich sehn, ob sich's verlohnt.
Noch gestern hätt' ich mich bedacht,
Doch guter Rath kommt über Nacht;
Die Freiheit ist mir nicht zu theuer:
Hier meinen Handschlag! ich bin euer,

So recht, mein Sohn! nun kniee nieder
Und steh mir auf als Dienstmann wieder!
Noch wallt im Wind dein langes Haar,
Das ist nur freien Mannes Sitte:
Du trittst nun zu der Diener Schaar,
Es falle denn vor scharfem Schnitte!

Da springt der Jüngling auf, entsetzt,
Vom strengen Spruche schwer verletzt. 29

Schon flammt ein rauhes Wort herauf,
Schon hebt er sich zum flücht'gen Lauf –
Da schaut die Jungfrau scheu herüber,
Das Blut tritt stockend ihr zurück,
Die Lippe zuckt, ihr Blick wird trüber,
Als sagte sie Lebwohl dem Glück.
Es scheint der stumme Mund zu fragen:
Ist's denn so schwer, dem Stolz entsagen?
Ich gäb' um dich mein junges Leben –
Du willst mir keine Locke geben? –

Und er verstand den Blick! den Sieg
Gewann die Lieb' in diesem Krieg.
Er wendet's rasch zum Scherz und spricht:
Ich seh', es geht nun anders nicht.
Sie hätten gerne mir geschoren
Mein Haupt bis über beide Ohren;
Dem bin ich eben erst entlaufen,
Und muß mein Haar nun doch verkaufen.
Frisch denn herunter mit den Fachsen,
Sie werden um so länger wachsen!

Nun winkt der Graf den Förster her:
Der zieht den Dolch von Stahle schwer,
Wie er zu manchem Jagdbedarf
Im Gurt ihn blinkend trug und scharf.
Er faßt die langen goldnen Locken
Zusammen in gewalt'gen Flocken,
Und nun mit kurzem raschem Zug 30
Nimmt er sie vorn hinweg im Flug,
Daß auf der Stirn der reiche Schwall
Hinsank in unbarmherzigem Fall,
Doch an den Schläfen beiderseiten
Sich lange Locken zierlich breiten.
Und leise sprach der ernste Mann
Den neugeworbnen Schützen an:

Mein junger Herr, ich seh' es gut,
Ihr seid nicht aus gemeinem Blut.
Dies Haar litt nie von Knechtesschnitte;
Die goldne Kette zeugt es klar
Sammt eurer edeln Rittersitte,
Daß euer Ahn von Adel war.
Ihr tretet nun in schwere Pflicht:
Verschmäht des Försters Freundschaft nicht.
Ich hab' euch lieb um diesen Schuß,
Bei Andern wirbt er euch Verdruß.
Braucht ihr einmal getreuen Muth,
Verschwiegnen Mund, verständ'gen Rath,
So kommt zu mir, ihr junges Blut,
Ihr findet Hülf' und kühne That.
Und wenn euch Einer widerstrebt,
Denkt, daß der alte Hugo lebt!

Er trat zurück. Des Jünglings Herz
Erbebte gleich in Lust und Schmerz.
Sah er geschändet seine Locken,
Wol mochte dann sein Herzblut stocken: 31
Doch dacht' er auch mit Stolz daran,
Daß er den schönsten Schmuck im Leben,
Den nur der Freie bringen kann,
Für Ihre Nähe hingegeben.
Die stolze Freiheit wich der Minne,
Er ging hinweg mit hohem Sinne.
In Forst und Hofesdienst fortan
War er des Grafen Dietrich Mann. 32


Fünftes Abenteuer.

Liebesnacht.

                  Kennt ihr der Nacht geheimes Beben,
Das flüsternd durch die Blätter rauscht,
Wenn still der Schöpfung innig Leben
In Lust sich senkt und Liebe tauscht?
Um Liebe fleht aus kalten Mauern
Der Unke glockenheller Laut,
Der Nachtigallen Klagen schauern
Vom Busch herauf so heiß und traut;
Es stößt das Wasserhuhn im Schilfe
Den Sehnsuchtslaut aus heller Brust,
Des Abends leichtbeschwingter Silfe
Sucht die Genossin seiner Lust.
Es eint der lichtdurchstralte Käfer
Dem glühnden Würmchen seinen Glanz,
Und selbst den Schlaf durchwebt dem Schläfer
Der Traum mit buntem Liebeskranz.
Denn auch des Menschen tief Gemüthe
Wird von der schwülen Nacht geweckt
Und duftet auf gleich dunkler Blüte,
Wenn keusch die Nacht sein Sehnen deckt. 33
Dann klingen aus des Sängers Munde
Die höchste Lust, der stillste Schmerz,
Und offen schließt der nächt'gen Stunde
Das Weib sein tiefgeheimstes Herz.
Was streng der wache Tag geschieden,
Was scharfe Satzung herb getrennt,
Die Nacht vereint's im süßen Frieden,
Die nur das Recht der Minne kennt.

Dicht unter hohen Schlosses Warten
Liegt mondbestralt des Grafen Garten.
Viel Blumen drin von fremder Art
Verspenden Düfte stark und zart.
Tief unten liegen kühle Lauben
Durchgirrt von sanften Turteltauben;
Es senken Stufen sich zum Rhein,
Der rauscht mit leisem Plätschern drein.
Dort bei der Harfe sitzt und wacht
Schön Elsbeth um die Mitternacht.
Es schweben mild die weichen Töne
Durchs Mondenlicht den Strom entlang,
Bald wie der Geister bang Gestöhne,
Bald wie verlorner Sfärenklang.
Herr Walther von der Vogelweide,
Und Wolfram du von Eschenbach,
Von euerm Jubel, euerm Leide
Klingt in die Gruft das Lied euch nach.
Wie Lurlei auf der Felsenbrüstung
In ihrer Schönheit grauser Rüstung 34
Die Schiffer zu den Klippen lenkt
Und kühl in nasse Gruft versenkt:
So scholl in Elsbeths lichten Klängen
Mit wildem Gram die eigne Qual,
Als lüde sie mit Zanbersängen
Den Liebsten mit in's Todesthal.
Zuletzt in tiefsten Tönen leise
Sang sie ein Lied, das sie erfand,
In das nach alter Klageweise
Sie all die grausen Schmerzen wand.

    Grünt der Wald und röthet sich die Heide,
    Winter floh mit seinem Flimmerkleide,
    An der Halde schmolz der Schnee.
    Wo die wilden Vöglein lockend schlagen
    Geht des Königs Kind mit leisen Klagen:
    Blaue Blumen, rother Klee,
    Blüht nicht mehr, mein Herz ist allzu weh!

    Laß mich weinen, traute Waldesstille!
    Hold ist mir des lock'gen Knappen Wille,
    Und ich weiß nicht, wie's ergeh':
    Zu dem Armen neigt sich mir die Seele,
    Weh was frommt, daß ich mir's selber hehle.
    Blaue Blumen, rother Klee,
    Blüht nicht mehr, mein Herz ist allzu weh!

Da scholl's vom Rhein zu ihrem Ohr,
Der Zither Klang kam hell empor; 35
Es wiegte sich im leichten Kahn
Dort Otto auf der Spiegelbahn.
Schnell faßt' er künstlich Wort und Weise
Und sang in gleichen Zeilen leise:

    Kam der Knabe durch den Tann gezogen,
    Jagte schweifend mit dem Pfeil und Bogen
    Nach des Waldes schlankem Reh.
    Sieht die Maid er, naht sich bang und schweigend,
    Und er seufzt, das Knie zur Erde neigend:
    Blaue Blumen, rother Klee,
    Blüht nicht mehr, mein Herz ist allzu weh!

    Rings von Minne schlagen Nachtigallen,
    Minne löscht in kühlen Schattenhallen
    Aller Sehnsucht brennend Weh.
    Locken dich in deiner stolzen Strenge
    Nicht des Glückes jauchzende Gesänge?
    Blaue Blumen, rother Klee,
    Blüht nicht mehr, mein Herz ist allzu weh!

    Eine Hütte weiß ich tief im Walde,
    Rehe grasen dort an grüner Halde,
    Fischlein schwimmen tief im See.
    Heimlich wird die Quelle dort uns tränken,
    Und der Wald ein dichtes Dach uns schenken –
    Blaue Blumen, rother Klee,
    Blüht nicht mehr, mein Herz ist allzu weh! 36

Und Otto schwieg, der Ton verklang,
Doch zürnend scholl der Maid Gesang:

    Stolzer Knabe! frevelnd will dein Minnen
    Raub an deines Königs Kind beginnen!
    Fleuch, daß ich dich nimmer seh'!
    Trug ich still dich im verzagten Herzen,
    Trag' ich ewig nun der Trennung Schmerzen.
    Blaue Blumen, rother Klee,
    Blüht nicht mehr, mein Herz ist allzu weh!

Und wie die Maid den Ton geendet,
Erhebt sie stolz sich aus der Ruh',
Und ungebrochnen Muthes wendet
Den Schritt sie rasch dem Schlosse zu.
Doch Otto mit verzagtem Schmerz
Riß wild die Zither an sein Herz,
Daß ihren scharfgespannten Saiten
Der Klage Töne bang entgleiten.
Er wirft sie grimmig in den Nachen
Und faßt das Ruder zorngemuth,
Und reißt es, daß die Balken krachen
Und kochend schäumt die dunkle Flut.
Dort in des Nachtwinds Schmeichelweben
Hoch auf dem düstern Mauerrand
Sieht er hinweg die Holde schweben
Im mondenhellen Lichtgewand.
So lang er noch ihr Bildniß schaute,
Quoll Lust ihm tief aus bangem Gram;
Doch als verschwunden war die Traute,
Verzagen bald ihn überkam. 37
Wie wenn des Stromes Flut sich hebt,
Und rauschend auf zum Felsen strebt,
Doch bald mit lautem Donnerhalle
Zur Tiefe bricht in jähem Falle:
So tobt auch er. Er weiß es, ach,
Daß sie auch brennt in gleichen Gluten;
Das sprudelt wild in ihm, doch jach
Versprühen auch die raschen Fluten:
Denn scheuchte sie mit scharfem Wort
Nicht mitleidslos den Armen fort?
Er schaute nicht des Mondes Glanz,
Der jede aufgehüpfte Welle
Bekrönte mild mit goldnem Kranz
Und Netze spann aus Stralenhelle;
Verloren war ihm alle Pracht
Der zaubermächt'gen Sommernacht.
Der Kahn treibt langsam am Gelände,
Ihn kümmert nicht mehr Fahrt noch Strich,
Er legt sein Haupt in beide Hände
Und schluchzt und weinet bitterlich. 38


Sechstes Abenteuer.

Der Verrath.

        O Welt, wie bist du ungerecht,
Du kalt und liebeleer Geschlecht!
Selbst zahlt die Lieb' ihr Glühn mit Leiden,
Den süßen Kuß mit herberm Scheiden,
Und in dem höchsten Lustumfangen
Preßt sie noch Thränen auf die Wangen.
Doch du, o Welt, erbarmst dich nicht,
Ziehst scheue Minne rauh an's Licht,
Umlauerst die vertrauten Lauben,
Wo sich so hold die Küsse rauben.
Du reißest fort den zarten Schleier,
Der mild verhüllt der Liebe Feier;
Verleumdung schilt mit gift'gem Mund
Der Herzen heiligtreusten Bund.
Es reift die neid'sche Eifersucht
Aus Lebensblüten Todesfrucht;
Und tückisch schleicht zu Nacht Verrath
Und sät mit Lust des Argwohns Saat.

Es war ein Jäger an dem Hofe,
Deß arges Weib war Elsbeths Zofe. 39
Ein kecker Bursch aus niederm Blut;
Doch wilder Leichtsinn trieb ihn frühe
Aus seines Vaters strenger Hut,
Denn Arbeit war ihm Plag' und Mühe.
Er streifte weit durch manches Land,
Und schlief an fremden Herdes Feuer,
Es warb ihm Brod die eigne Hand
Mit Wildesraub und Abenteuer.
Doch scharf war seines Auges Kraft,
Stark ward die Hand am Speeresschaft,
Gewalt und List in argem Bund
Umspielten ihm den kecken Mund,
Und auf verstohlnen Liebeswegen
Kam leichten Dirnen er gelegen.
Aus manchem Lande schon vertrieben,
War er zuletzt noch hängen blieben
Nach langer Fahrt im Clevergau;
Er warb die Dienerin zur Frau,
Des Bogens vielgeübte Kunst
Verdient' ihm bald des Grafen Gunst;
Doch wandt' er seinen niedern Sinn
Noch stets auf Tück' und Schaden hin.
Denn nie gewinnt ein Sklavenblut
Des Freigebornen kühnen Muth,
Der hingeht stolz auf eignen Pfaden
Und nimmer sinnt auf Andrer Schaden.
Lang lebte Ebbo so, und oft
Hatt' er auf Schützenpreis gehofft;
Auch diesmal bei dem Schützenfeste
Nächst Hugo's war sein Schuß der beste 40
Und mocht' ihm wol beim Grafen frommen,
Wär' ihm nicht Otto vorgekommen.
Nun aber sah er Otto's Ehren
In Wald und Burg sich täglich mehren.
Er traf zuerst des Wildes Spur,
Eins war ihm Reiher oder Ur,
Sein Bolz war sicher nah und fern;
Drum ritt er stets zunächst dem Herrn.
Ihm war der Graf vor Allen hold,
Er stand in Gunst und hohem Sold,
Er war's auch, den die schönsten Damen
Am liebsten sich zum Marschalk nahmen,
Denn wie er stark war in der Fehde,
So hold und traut war seine Rede.
Und stand er Abends am Balkone
So recht in frohem Selbstvertrauen,
Dann lockten oft zu süßem Lohne
Ihn glühnde Blicke holder Frauen:
Doch kam von ihm kein Minneglück,
Nur strenger stolzer Gruß zurück.
Oft rief ihn auch der Graf zum Kreise
Der edeln Gäste in den Saal,
Dann sang er holde Minneweise,
Die mild ihm Aller Herzen stahl.
Denn wer zu Schwert und starkem Arme
Des Liedes zarte Künste fügt,
Hoch hebt sich der aus niederm Schwarme,
Den rohes Wort um Gunst betrügt.
In solchen Stunden wob sich leise
Ein Band von Ton und Liedesweise 41
Um ihn und Elsbeth, wenn sie Beide
Die Stimmen in einander schlangen,
Und in des Dichters Lust und Leide
Die Herzen traut zusammenklangen.
Und schritt dann Otto siegsbewußt
Zum Saal hinaus mit stiller Lust,
Und war der Geist ihm aufgeschlossen
Und klang von sel'gen Tönen nach:
Dann kam's wol, daß zu den Genossen
Er scharfe stolze Worte sprach.
Ha wie dann oft in Ebbo kochte
Der Groll, den er nicht bannen mochte!
Wie er in tiefempörtem Blut
Nach Hause trug verbißne Wuth,
Mit argem Weib der arge Mann
Verzweifelt gift'ge Ränke spann!

Nun bei des Morgens goldnem Licht
Glänzt auch sein grimmig Angesicht.
Ein Zeugniß hat sein Weib entdeckt,
Das seinen Gegner niederstreckt.
Zum Grafen geht sein hastiger Lauf:
Der hub sich kaum vom Lager auf
Und saß mit seinem Ehgemahl
Beim Imbiß aus dem Rittersaal.
Herein tritt Ebbo, und nach Pflicht
Ehrfürchtig neigt er sich und spricht:

Gestrenger Herr, vieledle Frau!
Ihr kennt mein eifrig fromm Gemüthe 42
Stets dient' ich treu euch und genau,
Drum tragt ihr längst mir hohe Güte.
Eu'r Gut ist mir als wär's mein Eigen,
Und eure Würde hoch und hehr:
Und doch wie gerne möcht' ich schweigen,
Wie drückt des Redens Pflicht mich schwer!
Gehässig ist des Klägers Amt,
Auch wenn's aus frommem Busen stammt.

Und zornig fährt der Graf ihn an:
Ei, mach' es kurz! so ziemt's dem Mann.
Laß mir die Katzenschwänze fort
Und sprich's heraus mit knappem Wort!

Ihr wollt es, Herr – so sag' ich's euch:
Mein Weib ersah's beim Monde klar,
Es barg des Gartens dicht Gesträuch
Heut Nacht ein kosend Liebespaar.
Das Mädchen sang von Minne Lieder,
Der Jüngling gab sie schmelzend wieder.
Das Mädchen war eu'r einzig Kind –
Der Bursch war Otto, der sie minnt.

Da hebt der Graf sich stolz vom Sitz,
Mit weitem Schritt, der mächtig dröhnt,
Zu Ebbo tritt er, und der Blitz
Aus seinem Aug den Späher höhnt;
Er faßt ihn vornen am Gewand
Mit seiner schweren Eisenhand
Und spricht: Vor jedem bösen Gast
Sind mir die Merker arg verhaßt. 43
Dich, Ebbo, dingt' ich mir als Schütz,
Zu solchem Dienst halt' ich dich nütz;
Doch zu der Tochter Ehrenwächter
Dient mir kein Mann wie du, ein Schlechter!
Denn schlecht fürwahr ist der Gefährte,
Der den Genossen gern entehrte!
Der Otto ist ein treuer Mann,
Wie ich noch bessern nie gewann.
Mein Kind ist mein, mein hohes Blut,
Sie selber ihrer Ehren Hut:
Du aber als ein schnöder Knecht
Hast sie zu lästern dich erfrecht,
Weil sie mit kindlich froher Brust
Sich gerne senkt in Liedeslust.
Drum merke dir's: dein arger Sinn
Bringt diesmal noch nicht Ungewinn;
Doch wagst du je noch solch ein Wort,
So rüst' ich dir wol stillern Ort!
Für heute magst du dich bereiten,
Du sollst in's Reich mir Botschaft reiten,
Daß Otto, frei von deinen Tücken,
Mein Kind nach Laune mag berücken.

Er sprach's, und zähneknirschend schlich
Ebbo zu seinem Weibe sich,
Und Otto wuchs in hoher Gnade
Und ging noch kühner seine Pfade.

Doch anders als des Vaters Wille
Lenkt eine Mutter die Gedanken. 44
Die Gräfin überlegt's in Stille,
Wie leicht des Weibes Sinne schwanken.
Denn sie empfand im eignen Herzen,
Daß, ob auch stets die Ehre siegt,
Die Liebe doch mit grausen Schmerzen
Oft ihre feste Burg bekriegt.
Sie fühlte Otto's Zaubermacht
Und ahnte leise die Gefahren,
Die eine Mutter klugbedacht
Der Tochter gerne mag ersparen.
Auch hegt der zarte Sinn der Frauen
Nicht wie der Mann ein fest Vertrauen.
Sie messen nach der eignen Kraft
Der andern Frauen Leidenschaft.
Die Gräfin war besorgt und klug:
Umsonst war's ganz die Gunst zu wenden
Die ihr Gemahl zu Otto trug;
Nicht hastig ließ sich Alles enden.
Drum fügte sie's mit stiller List,
Daß ihre Tochter nicht allein
Zu keiner Nacht- und Tagesfrist
Mit Otto mochte ferner sein.
Mit manchem Dienst und Jagdgeheiß
Hielt sie ihn stets vom Hofe ferne;
Zwar blieb beim Grafen er im Preis,
Der ritt mit ihm auf's Jagen gerne;
Nur nicht mehr in des Hofes Kreise
Sang Otto nach gewohnter Weise,
Und selten im Vorübergehn
Mocht' er die Heißgeliebte sehn. 45

Doch nimmer brennt die Lava schwächer,
Die eingekeilt im Felsen schwillt!
Sie kocht, bis des Vulkanes Becher
Im Flammenstrom sie überquillt.
So wuchs zu mächt'gem Sehnsuchtstriebe
In Beiden die verschloßne Liebe –
Arm Mutterherz, nun wahre dich:
Es rächt sich Liebe fürchterlich! 46


Siebentes Abenteuer.

Die Jagd.

        O edles Waidwerk, hoch im Preise!
Durch Flur und Eichenforst und Tann
Lockst du aus täglichem Geleise
Zur kühnen That hinaus den Mann.
Es prangt der Wald in bunter Schöne,
Wie eine neue reiche Welt,
Es gibt das Horn die muntern Töne,
Und froh die wilde Meute bellt.
Da blitzt des Greisen Aug' im Feuer,
Sein Arm wird Stahl am schweren Schaft,
Und in Gefahr und Abenteuer
Erneut sich ihm die Jugendkraft.
Es richtet sich des Jünglings Seele
Gesammelt auf das Eine Ziel:
Sei's Leid, sei's Freude, was sie quäle,
Vergessen wird's im kühnen Spiel.
Der Wildniß Thier mit Mordgelüste
Und die Gefahr ist nimmer weit:
Drum ziemt ihm, daß er stets sich rüste
Mit männlicher Besonnenheit. 47
Doch aus den windbewegten Zweigen
Rauscht mild ihm zu des Waldes Geist,
Der ihn im tiefen grünen Schweigen
Von Mannestugend unterweist.
Was er gelitten und genossen,
Es zeigt sich dämmernd nur von fern;
Die bunte Welt ist zugeschlossen,
Er fühlt sich seines Schicksals Herrn.
Er spürt, wie neu der Becher mundet,
Wie drinnen ihm das Herz gesundet,
Wie klein die Welt, die ihn versehrt,
Wie groß Natur, die ihn ernährt.

Es war im Frühherbst, kühl der Morgen,
Da regt' es sich im Hofesraum
Der Herrschaft und des Alters Sorgen
Warf ab der Graf gleich bösem Traum.
Ein großes Jagen war bestellt,
Rings regt' es sich im weiten Feld;
Den raschen Boten war befohlen,
Die Schützen rings herbeizuholen.
Es war ein wunderklarer Tag,
Wie nur ein Waidmann wünschen mag:
Drum schimmerte mit voller Pracht
Des Grafenhofes stolze Macht.
Gleich einem Bergstrom laut ergoß
Durch's Thor der Burg sich bunter Troß.
Das junge Volk, die Nimmermüden,
Voran mit enggeschloßnen Rüden, 48
Die gieren Augs mit bloßen Fängen
Die Führer rastlos vorwärts drängen.
Dann folgt berittner Schützen Schaar
In knappem Jagdkleid, Paar bei Paar.
Die bliesen muntre Melodei'n
In kühle Morgenluft hinein,
Daß ihre Ross' in gleichem Gang
Wie tanzend flogen thalentlang.
Auch Köche fehlten nicht im Zug,
Die trugen Brod und Wein genug.
Zuletzt noch Drei den Schwarm beschlossen,
Beritten auf den schmucksten Rossen.
Herr Dietrich saß auf schwarzem Hengst,
Den er zum Dienst gebändigt längst;
Ein mächtig Thier voll Muth und Feuer
Mit weiten Nüstern, Mähnen wild,
Ein Blick, als wär' es nicht geheuer,
Wol gar ein schwarzes Koboldbild.
Er selbst im braunen Elennskoller,
Der willig sich den Gliedern schmiegt;
Sein Haupt war hoch, sein Wuchs war voller
Wie er so stolz sein Roß besiegt;
Denn fügsam seiner Meisterschaft
Bog sich des Thieres wilde Kraft.
Zaum hielt und Armbrust er in Händen;
Der kurze Dolch zu seinen Lenden,
Am Sattel in gestickter Litze
Der Spieß mit scharfgestählter Spitze.
Es war der alte Herr ein Grauen
Wie Dieterich von Bern zu schauen, 49
Der Nachts auf schwarzem Geisterroß
Anführt des wilden Heeres Troß.
Daneben ritt sein Töchterlein
Auf einem Zelter rasch und fein,
Der weit ausschritt in schlanker Hast,
Als wär' er stolz der schönen Last.
Weiß war er ganz, ein leichter Traber
Vom edeln Blute der Araber:
Sein Ahn ward einst aus Morgenland
Von einem Kreuzesmann gesandt.
Leicht hub sein Haupt er, drauf mit Nicken
Die Reiherbüsche Grüße schicken.
Das Fräulein trug ein lang Gewand
Von blauer Seide, golddurchwirkt;
Auf ihrer Stirn ein köstlich Band
Hielt ihrer Locken Schwall umzirkt,
Daß wie auf Marmor die Rubinen
Gleich hellen Blutestropfen schienen.
Darüber schmuck der kleine Hut,
Drauf in des Demants klare Glut
Gefaßt sich weiße Federn wiegen
Und leicht im Morgenwinde fliegen.
Sie hielt den Speer in ihrer Rechten
Gleich einer Kriegerin zum Fechten;
Doch auf der zarten linken Hand
Verhüllten Haupts der Falke stand,
Der hatte seine scharfen Klauen
Im Lederhandschuh eingehauen,
Und in der Schellen hell Geläute
Schrie laut er nach der nahen Beute. 50
Zur Seiten ihr im gleichen Schritt
Der schöne junge Otto ritt;
Der bot den Speer und hielt den Bügel
Und führt' ihr Roß am langen Zügel.
O könnt' ich euch im Bilde zeigen
Die wunderholden süßen Zwei,
Ihr würdet euch in Staunen neigen
Vor reinster Schönheit Konterfei.
Denn nie erscheint so hold das Weib,
Als an des schönen Mannes Seite,
Und auch des Jünglings reiner Leib
Verklärt sich in der Frau'n Geleite;
Drum schafft die Lieb' – ich sag' es frei –
Daß Beides gern beisammen sei.
Er ritt im kurzen Schützenkleid;
Ihm war die Dienertracht nicht leid,
Denn durch die knappgeschloßne Hülle
Brach spielend vor der Glieder Fülle.
Zwei Federn schlicht auf grünem Hut,
Das steht dem wilden Waidmann gut,
Und wissen's wohl die hübschen Frauen,
Warum so gern sie Jäger schauen.
Auch ihm saß auf der linken Hand
Ein schwarzer Falk am kurzen Band.
Er ritt auf lichtem braunem Roß,
Dem weiß und glatt die Mähne floß;
Das hatt' er heute mit Bedacht,
Weil er mit Elsbeth ritt zur Jagd,
Vor allen andern ausgesucht,
Um sie mit Aengsten nicht zu kränken; 51
Es war von guter spanischer Zucht,
Doch fromm und zahm, und leicht zu lenken.
So ritten nun in sanftem Trab
Die Drei in's ebne Thal hinab.

Dort unten eilt der Förster her,
Der aus dem stillen Waldesgrunde
Sich aufgerafft in Waffen schwer,
Sammt seinem wohlerprobten Hunde.
Der meldet gute Botschaft bald:
Herr Graf, es liegt im Birkenwald
Drei Tage schon ein Auerstier,
Zwölfjährig, ein gewaltig Thier,
Der von den fernen Höh'n gekommen
Und die Moräste überschwommen.
Schon gestern kam er mir zum Schuß,
Sein Lager hatt' ich ausgespürt;
Ich ließ ihn ziehn, zwar mit Verdruß,
Weil solch ein Fang für euch gebührt.
Laßt ab von Sauen nun und Hirschen,
Befehlt das seltne Wild zu birschen.

Laut jauchzend hören Alle zu,
Es winkt der Graf, und schon im Nu
Vertheilen sich auf flücht'gen Rossen
Nach Hugo's Ordnung die Genossen.
Die großen Doggen sind befreit
Und suchen Fährte weit und breit.
Der Graf springt ab von seinem Roß,
Besieht die Sehne am Geschoß, 52
Befühlt des Speeres kantige Spitze
Und prüft, ob fest der Stegreif sitze;
Dann schnallt er neu des Sattels Riemen –
Denn Vorsicht will dem Jäger ziemen
Dem Feind genüber, der ihm Tod
Mit ungefüger Stärke droht.
Nun schwingt er leicht sich wieder auf,
Versucht sein Roß in Schritt und Lauf,
Und wie er Alles gut erfand,
Spricht er, zu Elsbeth hingewandt:

Mein Kind, die Jagd des Urs ist, traun,
Kurzweile nicht für zarte Frau'n.
Such' dir für heut ein zahmer Wild;
Dort reit' hinab in's Blachgefild,
Wo sich im Holz zu beiden Seiten
Fischreich die tiefen Teiche breiten;
Deß hast du besseren Gewinn,
Den Falken trägst du ohnehin:
Viel Reiher triffst du sicher dort;
Nimm Otto mit, der weiß den Ort.
Dem geb' ich dich in treue Hut,
Er ist vor Andern klug und gut.

Schon riß ihn fort sein schnaubend Roß.
Doch Elsbeths Wangen übergoß
Die bange Scham, als sie nun gar
Mit dem Geliebten einsam war.
Doch baut des edeln Weibes Güte
Fest auf des Mannes rein Gemüthe, 53
Und sieht's dem klaren Auge an,
Ob Einer sei ein rechter Mann.
Drum, wie er seinen Dienst ihr bot,
Bald dämpfte sie das flücht'ge Roth.
Auch er, vom Glücke übervoll,
Zwang doch sein Herz, so hoch es schwoll;
Denn das Vertrauen seines Herrn
Hielt jede kühne Rede fern.
Wie oft hat er in Sehnsuchtsschmerzen
Sich solche Einsamkeit erfleht!
Nun, da der Wunsch erfüllt dem Herzen,
Sein Wollen plötzlich stille steht,
Und zwischen seine Glutgedanken
Zog heil'ge Sitte scharfe Schranken.
Er ritt so fern von ihrem Saum,
Als ihm der Weg nur gönnte Raum:
Der er sich ganz in Minne weihte,
Als Knecht nur gab er ihr Geleite. 54


Achtes Abenteuer.

Die Reiherbeize.

        Den stillen Fluten bin ich hold,
Die mitten in des Waldes Düster
Licht glänzen von des Mittags Gold,
Umrauscht vom leisen Schilfgeflüster.
Am Grund, wohin die Sonne klar
Die grüngebrochnen Stralen spendet,
Sproßt eine volle Pflanzenschaar,
Die Blatt und Blumen aufwärts sendet.
Am dünnen schlangengleichen Stiel
Schwankt bleich die milde Wasserrose,
Sie ist der Fluten lieblich Spiel,
Die schaukeln sie im Windgekose.
Tief bei der Pflanzenwurzeln Nacht,
Da ist der Fische kühle Wohnung;
Doch taucht der Reiher mit Bedacht
Hinab und würgt sie ohne Schonung,
Bis ihn des Falken Schlachtruf schreckt
Und aufjagt von der leckern Speise,
Der drohend seine Fänge reckt
Und ihn umschwebt in scharfem Kreise. 55
Solch Bild der Wildniß schaut' ich viel,
Der Reiher lebt und sein Verderber;
Doch nicht mehr steigt das Federspiel,
Vorbei die Jagd mit Falk und Sperber,
Und traurig rauscht der Wald die Frage:
Wo blieben sie, die frohen Tage?

Schön Elsbeth mit dem Schützen ritt
In's Thal hinab in sachtem Schritt.
Schon witterten den Wasserduft
Die Falken, gierig nach dem Raube,
Und schrien wild nach Licht und Luft,
Laut schüttelnd die verhaßte Haube.
Schon zeigte sich des Waidwerks Ziel;
Der kleinen Wasservögel viel
Verkrochen sich im Schilf am Weiher.
Doch stehen blieb ein starker Reiher,
Der schaute trotzig und verwegen
Des Feindes Angriffsstoß entgegen.
Schön Elsbeth löst des Falken Band,
Er reckte sich auf ihrer Hand,
Und sträubte zornig sein Gefieder;
Doch duckt' er sich gehorsam wieder.
Nun aber hub sie seinen Hut,
Da schwang der Vogel keck die Schellen
Und stürmte hoch mit wildem Muth
Und ließ den Jubelruf ergellen.
Schnell faßt sein scharfes Aug den Feind
Der seinem Groll zu trotzen scheint; 56
Fast naht er ihm in jähem Lauf,
Da schwingt der Reiher rasch sich auf
Und beut mit starken Flügelschlägen
Dem Gegner seine Brust entgegen.
Nun strebt ein Jeder obzusiegen
Und will den Andern überfliegen,
Und Beide wild mit Pfeilesschnelle
Erheben sich zur Sonnenhelle.
Der Reiher stellt sich unbehut,
Da stößt behend auf ihn der Falk –
Drauf harrte längst mit tück'schem Muth
Der wohlerfahrne arge Schalk.
Schnell reckt er vor den spitzen Schnabel
Und spießt den Falken auf die Gabel.
Recht mitten brach die Brust entzwei,
Er endete mit kurzem Schrei
Und fiel mit schwirrendem Gefieder
Zu seiner Herrin Füßen nieder.
Der Reiher aber im Triumf
Sah nieder auf des Feindes Rumpf,
Und schwang in blinder Siegeslust
Die weiten Kreise stolzbewußt.
Da ward vom Tod er doch ereilt;
Denn Otto hat schon unverweilt
Auch seinen Falken losgebunden,
Den besten, den man je gefunden.
Den hatt' er nach der Kunst gelehrt,
Wie man des Reihers Waffen wehrt,
Und nun im rechten Augenblick
Zog er die Haub' ihm vom Genick. 57
Jach rauscht' er auf: in weitem Kreis
Umzog den Sieger er mit Fleiß,
Mit manchem trügerischen Stoß
Macht' er ihn kühn und sorgenlos,
Als wär' zu bang er, bei dem Nacken
Den starken Gegner anzupacken.
Zuletzt, da schon der Reiher träg,
Hub er sich über ihn, und schräg
Schoß er zum Halse links hernieder.
Weit stob des Vogels weiß Gefieder,
Und nun im wilden Todeskampfe
Mit gellem Schrei und grimmem Krampfe
Strebt fort des Wunden matter Flug,
Der oft im Flattern überschlug.
Doch mit des Schnabels spitzem Zahn
Hielt sich der Falke grimmig an,
Indeß die Schenkel stark von Fängen
Sich in des Gegners Seiten drängen.
So ließ er sich entlang dem Weiher
Fortschleppen von dem matten Reiher.

Rasch ritt schon Otto Beiden nach
Und spähte nach des Vogels Falle,
Da – rechts von ihm ein jäher Krach!
Die junge Fichte sprang mit Knalle,
Durch dicht Geheg in schneller Flucht
Brach eines Ungeheuers Wucht:
Es war der Auerstier! Mit Macht
War er vorbei gestürmt der Jagd 58
Und wollte durch das tiefe Moor
Zum hohen Bergeskamm empor,
Von wo er sich zu seinem Schaden
Beim niedern Wald zu Gast geladen.
Nun schoß er mit gewalt'gem Satz
Hervor auf offnen Wiesenplatz,
Ein Sohn der Hölle schwarz und wild,
Unbänd'ger Kraft ein schaurig Bild.
Dumpf drang aus seiner Brust die Stimme,
Er schnaubte wild im Rachegrimme,
Denn aus den Seiten grausig floß
Ihm Schweiß von Speeren und Geschoß;
Die Klauen troffen ihm vom Blute
Der Hunde, die er niederwarf,
Wenn sie mit allzu keckem Muthe
Begegneten dem Horne scharf.
Und als die Beiden er erschaut,
Die neuen Feinde, auf dem Plan,
Rollt' er den Schweif und brüllte laut
Und stierte glasigen Augs sie an.
Doch Elsbeths bunter Federhut
Und ihres Zelters weiße Pracht
Empörten zu Vernichtungswuth
Den düstern Sohn der Waldesnacht.
Still stand er einen Augenblick –
Dann sträubt' er borstig sein Genick
Und senkte schon zum Stoß im Zorn
Toddrohend das gewaltige Horn.
Umsonst, daß Otto's lauter Schrei
Ihn lockte zu erneutem Streite – 59
Er sauste wild an ihm vorbei
Und schoß voran nach Elsbeths Seite.

Doch wo der Mensch des Lebens Zier
Verloren gibt dem Ungeheuern,
Da bleiben Listen noch dem Thier,
Die es zur Rettung kühn befeuern.
Denn Elsbeths Pferd, gewandt und klug,
Zog rasch den straffen Zügel freier
Und brauste langgestreckt im Flug
Vorüber zwischen Wald und Weiher.
Auch Otto, männlich rasch gefaßt,
Legt ein den kurzen Jägerspeer,
Und spornt sein Roß zu wilder Hast.
So sausten sie am Ufer her:
Elsbeth zuerst, der Ur sodann,
Und hinter ihm der kühne Mann.
Bald hätte nun des Zelters Kraft
Die Maid dem trägen Feind entrafft;
Schon that sich auf des Waldes Wilde,
Dort siegte wol der Renner leicht,
Wenn erst das ebne Blachgefilde
Sein angstbeschwingter Lauf erreicht.
Doch weh, es zwingt das Todesgrauen
Die Maid, im Ritt zurückzuschauen –
Umsonst, daß Otto's lautes Wort
Sie drängt zur linken Seite fort;
Den Zügel zieht sie an im Krampf
Was frommte nun des Thieres Kampf! 60
Zur Rechten wird es abgelenkt,
Wo vorn der Wald den Weg verengt,
Und rechts des Weihers düstre Flut
Wie lauernd auf ein Opfer ruht.
Jetzt jagen sie auf hohem Damm –
Da springt hervor ein Eichenstamm,
Der tief in harten Fels gezwängt
Plötzlich den Pfad zusammendrängt.
Ringsum die jähen Klippen düstern:
Das Pferd hält an mit weitern Nüstern,
Und schnaubend, zitternd starrt es an
Des Feindes todverkündend Nah'n.
Auch Otto im Verzweiflungsgraus
Sah schon den sichern Stoß voraus –
Da hub sich Elsbeth hoch im Bügel,
Fest packte sie die straffen Zügel,
Und riß das Thier mit klarem Muth
Herüber zu des Weihers Flut.
Mit aller Kraft ein Gertenhieb
Das Pferd zum kühnen Sprunge trieb,
Der von dem steilen Damm im Flug
Hinunter in den Abgrund trug.
Das Thier setzt an – allein es kürzt
Verzagt den Satz im halben Sprunge,
Und über seinen Nacken stürzt
Elsbeth hinab in jähem Schwunge.
Das Pferd, sich selber überlassen,
Weiß bald den besten Rath zu fassen.
Und rennt an dem gewalt'gen Ur
Vorbei auf kaum verlaßner Spur, 61
Vorbei an Otto dann, und leicht
Hat's bald den freien Raum erreicht.
Still steht der Ur mit stieren Blicken
Und will zum Sprung hinab sich schicken,
Wo Elsbeth aus den Fluten winkt
Und tiefer, tiefer schon versinkt.
Da trifft ihn Otto's Meisterstoß
Recht wo das Ohr am Nacken schließt,
Wo aus des Lebens tiefem Schooß
Das dunkle Blut zum Haupte fließt.
Ab brach der Speer im mächt'gen Pralle,
Und Otto selber kam zu Falle,
Weil ihm sein toderschöpftes Roß
Im Gegenstoß zu Boden schoß.

Da war er hin dem Feind gegeben,
Und sie versank im kalten Grab,
Wenn nicht ein neuversiegelt Leben
Den Beiden die Frau Minne gab.
Denn eh' noch Otto auf sich schwingt,
Ertönt ein Horn, und grimmgemuthet
Hervor ein mächt'ger Rüde springt,
Der packt den Ur, der matt verblutet.
Der Förster Hugo eilt ihm nach,
Der schnell des Ures Spur erjagte;
Kaum schaut er die Gefahr, und jach
Beginnt den Kampf der Unverzagte.
Geschützt von dem gewalt'gen Hunde
Gibt er dem Grausen Wund' auf Wunde. 62
Doch Otto stürzt sich in die Flut –
Ach längst ist Elsbeth schon gesunken!
Doch schwimmt noch hoch ihr Federhut
Und zeigt, wo sie den Tod getrunken.
Er taucht hinab – o Glück! er faßt
Mit starkem Arm die süße Last:
Er taucht hinauf mit kräftigem Stoß,
Ein starker Schwimmer, sammt der Bleichen,
Er zwingt das dunkle Todesloos
Und hebt sie zu des Lichtes Reichen.
Ihr Haar, vom Naß des Hafts beraubt,
Umfließt sein kühngehobnes Haupt –
Das Leben spürt er neu sich regen,
Sie neigt sich seiner Brust entgegen,
Sie fühlt mit innigem Erwarmen
Sich in des Vielgeliebten Armen.
Er schwimmt mit ihr zum Ufersaum;
Da stand ein junger Weidenbaum,
Den faßt er bei den schwanken Zweigen,
Die sich zum Wasserspiegel neigen,
Und hebt mit seiner nervigen Hand
Sie auf des Ufers trocknen Sand.
Sie schlägt die Augen auf zum Licht,
Sie schaut ihm still in's Angesicht,
Sie preßt die Lippen bleich und kalt
Auf seinen Mund in sel'gen Schmerzen
Und hält mit liebender Gewalt
Ihn fest und fester an dem Herzen.
Da faßt auch ihn ein Wonneschauer,
Vergessen Sorg' und Angst und Trauer! 63
Er schmiegt in stolzer süßer Lust
An ihren Busen seine Brust.

O Priester Tod, du treuer, ächter!
Du schmiedest fest der Liebe Band;
Du mehr als Welt und Glück gerechter,
Rasch einst du Busen, Mund und Hand.
Du sprengst im ungeheuern Schwanken
Des Lebens scharfgezogne Schranken;
In deinem grausen Donnerlaut
Ergibt dem Mann sich kühn die Braut.
Denn vor der aufgesprengten Pforte,
Die eine Ewigkeit erschließt,
Da gilt das Herz nur statt der Worte,
Das dann sein tiefst Gefühl ergießt.
So eintest du in dieser Stunde
Ein scheues Paar zu ew'gem Bunde.
Sie haben tiefste Qual erfahren
Und dann genossen höchstes Glück –
Es nimmt ein Leben lang von Jahren
Des Todes Gaben nie zurück! 64


Neuntes Abenteuer.

Otto der Landgraf.

        Sie ruhten in des Försters Hause,
Der ihnen Hülfe kühn geliehn,
Und sie geführt in seine Klause
Zum mild erwärmenden Kamin.
Bald war von seines Speeres Stichen
Des Ures letzte Kraft entwichen;
Der lag nun todt mit Blut beronnen
Tief in dem Wald am Felsenbronnen.
Sie hatten's weislich ausgedacht,
Um nicht die Mutter zu erschrecken,
Zu warten bis zur stillen Nacht,
Und nie ihr Schicksal zu entdecken.
Denn ihr Geheimniß wahrt die Minne
In siebenfach verschloss'nem Sinne;
Und doch, ob sorglich schweigt der Mund,
Ein einz'ger Blick gibt's eilig kund.
Die Beiden sitzen Hand in Hand,
Süß plaudernd von dem Abenteuer;
Es hängt der Jungfrau naß Gewand
Zum Trocknen an dem muntern Feuer. 65
Ihr gab der Förster von dem Pflock
Des jüngern Bruders Jägerrock,
Dem eines Bären Tatze frühe
Gekürzt des Lebens Lust und Mühe.
Leicht schlüpfte sie in's grüne Kleid,
Das ihr mit Lächeln Otto bot:
Wie herrlich prangt darin die Maid,
Und wird von holder Scham doch roth;
Es liegt ihr wie ein Frauenmieder
Gefällig um die schlanken Glieder;
Nur daß wol keines Burschen Zöpfe
So lang und licht vom Haupte fließen,
Auch wollen vor der Brust die Knöpfe
Nicht recht in ihre Litzen schließen,
Und um die Hüften sitzt gespannt
Das knappgeschnittne Jagdgewand.

Nun war's ein schöner Nachmittag;
Im Walde klang der Amsel Schlag,
Es hämmerte der Specht die Birken,
Die rings das Försterhaus umzirken.
Leis murmelte der Felsenquell,
Die Sonne schien durch Blätter hell,
Und warf auf's Estrich blanke Funken;
Der Forst war still in sich versunken,
Das Leben träumte weit und breit
In tröstlicher Waldeinsamkeit.
Auch Elsbeth, von Gefahr ermattet,
Wird sanft vom Schlummer überschattet 66
Und neigt ihr Haupt in süße Rast.
Da winkt der Förster seinem Gast,
Und Beide schreiten leis hinaus
Zum Vorplatz vor dem Försterhaus,
Wo unter Blättern herbstlich roth
Behaglich sich ein Ruhsitz bot.
Der Förster, ein erprobter Zecher,
Bringt einen alten Sorgenbrecher,
Den er als Knabe selbst geschnitzt.
Den spült er an dem Quellchen itzt;
Aus hohlem Felsen folgt ein Krug:
Er bringt's dem Gast mit tücht'gem Zug.
Dort ist der Gast noch hochgeehrt,
Wo selten Fremde grüßt der Herd:
Drum schenkt so ächten Ehrenwein
Dem jungen Freund der alte ein.

Nun aber ist des Weines Kraft,
Daß er ein lustig Reden schafft,
Daß er des Herzens Schloß entriegelt
Und kühn Vertrauen rasch besiegelt.
Drum bei dem zweiten Becher schon
Spricht ernst der Alte: Wohl, mein Sohn!
Du bist ein junger tapfrer Held,
Der mir von Herzen wohlgefällt.
Mich dünkt, ein Wolf ist dir ein Quark,
Kein Keuler wäre dir zu stark;
Auch stiegt so hoch kein stolzer Aar,
Dein Bolz zerspällt sein Schwingenpaar. 67
Doch Eines dünkt mich allzu kühn
Und allzu schwer für dein Bemühn.
Willst wissen, was ich meine? Schau,
Du minnest drinn die hohe Frau!
Was wendest ab du dein Gesicht?
Meinst du, ich sah die Küsse nicht,
Nicht jeden leisen Druck der Hand?
Ein alter Schütz hat auch Verstand!

Da sah ihn Otto freundlich an:
Ich weiß, du bist ein treuer Mann;
Drum sei dir's eingestanden ehrlich,
Was nur dies junge Herz noch weiß,
Doch halt' es nicht für zu gefährlich;
Wohl ziemt mir solcher Minne Preis.
Du selber hast es einst geahnt,
Nun sei an's eigne Wort gemahnt:
Ich bin ein Bess'rer als ich scheine,
Mein Lieben ist nicht Frevelmuth;
Es quillt mein Blut in gleicher Reine,
Wie Elsbeths rothes Fürstenblut.
Heut ist mein Herz so schwer von Glück,
Nicht länger halt' ich's mehr zurück;
Denn mein Geheimniß preßt schon lang
Den Busen mir mit hartem Zwang.
Gib deine Hand und schenk mir ein –
Sei treu wie dieser edle Wein!

Wenn du vom Rhein gen Morgen gehst
Und Weg und Stege wohl verstehst, 68
Wird dich nach vielen Wandertagen
Dein Fuß in wilde Wälder tragen:
Thüringen wird das Reich genannt,
Das ist mein trautes Heimatland..
Dort wohnt ein kräftig, treu Geschlecht,
An Schwert und Worten schlecht und recht;
Doch in der Waldgebirge Mitten
Blieb's rauh und starr in seinen Sitten.
Nicht wie am Rheine fein und zart
Blüht Minnesang und Hofesart,
Nicht Wort und Sitten hold, bescheiden;
Sie leben halb noch wie die Heiden.
Drum setzt dem kühnen Waldgeschlechte
Das scharfe Schwert Gesetz und Rechte,
Und seine Fürsten allzumal
Sind hart und fest, wie blanker Stahl.
Doch eisern vor den Ahnen allen
Wird Landgraf Heinrich zubenannt,
Der jetzt in hochgeschwungnen Hallen
Der Wartburg waltet ob dem Land.
Zwei Söhne wurden ihm geboren;
Den ältern hat er auserkoren,
Daß er nach ihm das Lehn gewinne;
Der ist von mildem schwachem Sinne,
Er freut sich mehr am Rosenkranz
Als an der Panzerringe Glanz;
Zart ist er, zaghaft wie ein Weib,
Das Lesen ist sein Zeitvertreib,
Und sein bescheidner Muth begehrt
Nur eine Kutte für das Schwert. 69
Doch fügt's des Vaters harter Schluß,
Daß er den Panzer tragen muß –
Er weint, gehorcht und peinigt sich.
– Der jüng're Bruder – das bin ich!

Da fuhr der Förster auf in Hast
Und fiel zu Fuß dem hohen Gast:
Ja, Fürst, ich hatt' es längst errathen
An eures starken Armes Thaten!
Euch neig' ich mich; mein Wort von eben
Mag eure Huld mir leicht vergeben.
Mich ehrt ja, sollt' es möglich sein!
Des Reiches Fürst bei meinem Wein.

Doch Otto schaut besorgt sich um
Und drückt die treue Hand ihm stumm;
Er zieht ihn sich zur Seite nieder,
Und so beginnt sein Wort er wieder:
Ich bin nicht Fürst – ich bin verbannt,
Mein Rang drum bleibe ungenannt.
Vernimm: ich war ein kecker Bube,
In Stall und Wald schon früh daheim;
Früh drückte mich die enge Stube,
Früh lockte Tanz mich, Ton und Reim
Zumeist der Schützen edle Kunst
Erwarb des Knaben frühe Gunst:
Am Kinderspielzeug ward's begonnen,
Der Sperling fiel dem sichern Schuß,
Bis dann die Armbrust ward gewonnen
Und kühnern Waidwerks Hochgenuß. 70
Ich schweifte durch die Saatenfelder
Mit lautem Sang und Zitherton,
Ich senkte mich in's Grün der Wälder
Und war der Wildniß treuster Sohn.
Mir war vertraut des Wilds Gebrülle,
Mein Lieb das Roß, mein Freund der Hund.
Es küßte mir in Jugendfülle
Das Leben den erglühten Mund.
Da schlich ein mächtig Schicksal lauernd
In meine reine Bahn sich ein –
Des Vaters Spruch vernahm ich schauernd:
Du, Otto, sollst ein Mönch nun sein.
Mir war das Leben recht immitten
Mit allen Sehnen durchgeschnitten.
Ich saß zu Nacht auf Marpurgs Schloß,
Wo unter mir der Waldstrom floß –
Er ging hinab in's Meer so frei!
Vom Walde kam des Wildes Schrei,
Tief rauscht' es in den starken Eichen,
Die keiner Priesterregel weichen,
Und über mir in lautem Flug
Strebt' in die Fern' ein Kranichzug.
Ha, wie der Freiheit stolzer Klang
So höhnend mir zum Herzen drang!
Ach, mir allein, so frei geboren,
Ging Jugend, Leben so verloren!
Ich rang nach Kraft, ich sank auf's Knie.
Da klang in mir ein lautes: Nie!
Des Vaters trotzig Heldenblut
Durchglühte mich mit klarem Muth; 71
Leis ging's zum Stall; mit Wiehern froh
Begrüßte mich mein Roß – ich floh!

Weh, junger Herr, welch arges Thun!
Fällt ihm in's Wort der Alte nun.
Vergaßt ihr, was die Schriften lehren:
Du sollst des Vaters Willen ehren?
Ihr habt, zur bösen Zeit beherzt,
Des Vaters Segen schlimm verscherzt!

O schweige! ruft ihm Otto zu,
Du störst nicht meines Herzens Ruh'!
Wol spricht die Welt, daß ich gefehlt,
Ich selbst bekenn' es unverhehlt.
Doch, Mann, des Klosters Todesnacht,
Sprich, hast du's jemals überdacht?
Ha, dieses blondgelockte Haupt
Vom Knechteszeichen schmuckberaubt!
Der Arm, am Schwertesgriff gestählt,
Der eisern ruht auf den Vasallen,
Zum Meßbuchhalter dort erwählt
Und spielend mit den Betkorallen!
Der Mund, der Liebesklänge froh,
Der kühn des Himmels Donner höhnend
Durch Felsen jauchzt sein laut Halloh,
In schwachen Psalmen nun verstöhnend!
Dies Herz, das wild die Welt umspannt
Und weit sich öffnet meinem Volke,
Verglommen nun im eignen Brand,
Verkohlt in dumpfer Weihrauchwolke! 72
O fühltest du, der Greis, dies Lodern,
Nicht würdest du Ergebung fodern,
Die einen Ritter treu und werth
In einen schlechten Mönch verkehrt!
Du und die Andern mögt mich schelten,
Der droben läßt mich's nicht entgelten,
Daß ich in kühnem Selbstvertrauen
Die schnöden Ketten durchgehauen!
Noch blaut der Himmel über mir,
Noch mundet auch der Becher hier,
Noch schweben stolz mir die Gedanken:
Einst wird mein Volk die That mir danken!

Da sprang er auf. Der Abendschein
Brach roth und mächtig durch den Hain;
Klar fiel er auf des Jünglings Haupt
Und schenkt' ihm eine güldne Krone,
Ein Baldachin wob dichtbelaubt
Purpurn der Wald dem Fürstensohne;
Sein Schwert gleich einem Zepter fest
Hielt seine Eisenhand gepreßt.
Hoch stand er da im ernsten Schweigen,
Als müßt' ihm Alles treu sich neigen.
Und wie der Förster so ihn sah
Im Vollgefühl der Fürstenwürde,
Da wußt' er nicht wie ihm geschah –
Hin sank auch ihm der Zweifel Bürde,
Und vor dem Haupte blond und jung
Bog sich der Greis in Huldigung. 73

Da schritt aus der bemoosten Thür
Elsbeth im Frauenkleid herfür;
Sie trat, vom Schlummer frisch und mild,
Hin zu dem stolzen Heldenbild.
Er nicht mehr Knecht und Unterthan,
Nein, hoch und hehr, ein reifer Mann;
Auch sie erschien wie ganz vertauscht,
Nicht mehr das hohe Kind des Fürsten,
Ein Weib nur, innig, lustberauscht,
Schien sie nach seiner Huld zu dürsten –
Ein einz'ger Liebesaugenblick
Hat Sinn gewandelt und Geschick!

Der Förster war hinweggegangen,
Die Rosse zäumt' er sorglich auf,
Die er mit Mühen eingefangen
Auf ihrem angstverwirrten Lauf.
Da warf die Jungfrau ihrem Retter
Mit freier Lust sich in den Arm;
Nicht der Gefühle Sturmeswetter,
Nein, Liebe klar und still und warm
Vereinte da auf baldig Scheiden
Die glücklich unglücksel'gen Beiden.

Der Förster kam – es war vorbei.
Vorbei die Eine große Stunde,
Wo sich von allen Schranken frei
Hingab in Liebe Mund dem Munde. 74

Die Welt trat wieder in ihr Recht,
Sobald sie von dem Förster schieden;
Er bot den Stegreif ihr als Knecht,
Und Blick und Gruß ward streng vermieden.
Sie ritten ab die braune Halde,
Sie sprengten aus dem trauten Walde –
Und hinter ihnen sprang im Nu
Des stillen Glückes Pforte zu. 75


Zehntes Abenteuer.

Die Entdeckung.

          Dies Lied erzählt von hellen Tagen,
Es klingt von Frühling, Sommer, Herbst.
Dich, Winter, muß ich nun verklagen,
Daß rauh du bunte Flur entfärbst.
Du bannst das Wild in seine Baue,
Im Schnee verdumpft des Hornes Klang;
Es senkt der Himmel sich, der graue,
Erdrückend auf der Vöglein Sang.
Es steht so schweigend Eich' und Rüster,
Die Linde weiß nichts mehr von Duft;
Es grünt nur noch die Tanne düster
Durch nebelhafte scharfe Luft.
Da ist von Blumen und von Frauen
In Hof und Garten, Hain und Feld
Kein lächelnd Antlitz mehr zu schauen,
Und ohne Freude starrt die Welt.
Nicht klingt am niedern Fenster leise
Des Liebespaars vertraut Gekos,
Nicht legt die süße Minneweise
Der Nacht sich in den stillen Schooß. 76
Doch auch den Winter soll man ehren;
Er sammelt uns um's Feuer traut,
Er spendet Kunden uns und Lehren,
Womit die Vorzeit uns erbaut.

Hat uns der Lenz hinausbeflügelt,
Ruft Winter uns zum stillen Platz,
Wo sich der Thatkraft Stürmen zügelt
Und traut erschließt der Liebe Schatz.
Zumeist doch bringt er frohe Feste
Um Mitternacht beim heißen Wein,
Und lädt uns vielgeliebte Gäste
Zum Zwiesprach hold in's Haus herein.

So war's in Clev'. Am Fenster stand
Der Graf und schaute weit durch's Land.
Er sah den Strom die weißen Schollen
Auf lichten grünen Fluten rollen.
Er sah, wie sie in Flusses Mitten
Im Gegenstoß sich wild bestritten.
Einförmig war die Schau, und lang
Zog sich der trüben Stunden Gang.
Er war umwogt von düstern Bildern,
Auf sah er zu der Ahnen Schildern,
Die bald, wenn er dahingegangen,
In eines Andern Wappen prangen.
Denn ihm erwuchs auf seinem Thron
In starkem Schuß kein gleicher Sohn.
Die Tochter nur war ihm entsprossen,
Er sucht' ihr würd'gen Ehgenossen; 77
Doch mochte von den Freiern allen
Noch keiner ihm und ihr gefallen.
Sie war so still seit manchem Mond;
Der Stirne, drauf der Scherz gethront,
War längst der holde Gast entwichen,
Der Wange Glut war matt erblichen.
Nicht blieb es länger ihm verhohlen,
Daß Ebbo dennoch wahr gesagt,
Daß Otto sich ihr Herz gestohlen
Und kühn zu ihr den Blick gewagt.
Gern möcht' er zürnen dem Verwegnen,
Doch trieb sein Herz den Bund zu segnen;
Ihn riß ein milder Vatersinn
Mit dunkelm Zug zum Schützen hin.
Mit Grame sah er im Voraus
Erlöschen sein erlauchtes Haus.
Da scholl des Hornes Ruf vom Thor,
Froh fuhr er aus dem Traum empor
Und Lächeln zog um seinen Mund –
Das Horn gab einen Gast ihm kund.

Herr Homberg war's aus Hessenland,
Vorzeit in Cleve wohlbekannt:
Denn in der ersten Jugendblüte
Ward er an Cleve's Hof gebracht,
Wo Dietrich's Vater ihm mit Güte
Anzog die ritterliche Tracht.
Es hatten gut' und böse Stunden
Mit Dietrich treulich ihn verbunden. 78
Bei manchem Liebesabenteuer
Half er durch Wasser ihm und Feuer,
Und einmal einen Keuler wehrte
Er von ihm ab als Jagdgefährte.
Dann trennte streng mit Pflichtgebot
Der Lehndienst ihrer Freundschaft Bande;
Den Homberg rief des Vaters Tod
Zur eignen Burg im Hessenlande,
Wo er nun manches lange Jahr
Des Eisenheinrichs Diener war.
Die er in Clev' erlernt, die Kunst
Des Hofes und der Ritterweise,
Erwarb ihm bald die höchste Gunst
Bei seinem Herrn, dem strengen Greise.
Es war sein Wort, es war sein Schwert
An Heinrichs Hof zumeist geehrt.
So schied der Dienst des ernsten Lebens
Von seinem Dietrich ihn schon lang;
Sehnsucht und Wunsch blieb stets vergebens,
Das Alter kam mit trägem Gang.
Die einst so keck in Jugendmuth,
Ach, Beiden fließt schon kühl das Blut;
Die lustgeschwellten Pulse stocken,
Es lichten sich die braunen Locken.
Nun aber in des Alters Leiden
Blüht noch ein Wiedersehen Beiden.
Herr Homberg kam vom weiten Zug,
Betrübt war er und müd' genug;
Da bot sich Clev' ihm nah zu Raste,
Bei Dietrich lud er sich zu Gaste. 79

Nun spielt ein grausam Schicksal oft,
Wie man's am wenigsten verhofft;
Auch hüllt sich wol in trübe Nacht,
Was uns am Ende glücklich macht.
War doch von allen Dietrichsrecken
Herr Homberg Einem nur ein Schrecken,
Und dieser Eine mußt' es sein,
Der ihn zur Hofburg ließ herein.

Herr Otto hielt die Wacht am Thor;
Kaum klang das Horn zu seinem Ohr,
So that er offen weit die Pforten
Und lud den Greis mit höfischen Worten.
Da starren sie sich an erschreckt,
Wie wenn uns mit Erinnrungsplagen
In bangen Morgenträumen neckt
Ein Geist aus längstversunknen Tagen.
Wie sollte Homberg den verkennen,
Dem so die blauen Augen brennen?
Der Vater gab ihm dieses Erbe,
Den sanften Mund die Mutter mit;
Die Narbe hier, die eine Scherbe
Dem Knaben auf die Stirne schnitt;
Ganz war er's, wie in Kindestagen
Herr Homberg ihn im Arm getragen,
Ja mit dem Gruß ward er beehrt,
Den er Herrn Otto selbst gelehrt.
Umsonst, daß Otto rasch sich faßt
Und fremd und kalt begrüßt den Gast; 80
Schon lag der Greis zu seinen Füßen,
Die lang entbehrte Lust zu büßen,
Und küßte seines Junkers Hand
Von väterlicher Lust entbrannt.
Doch Otto riß sie eilends fort:
Zurück! so scholl sein zürnend Wort.

Zu spät! denn ach! das Thor der Burg
Schritt droben Dietrich schon hindurch;
Er kam herab in rascher Eile,
Zu seh'n, wo doch sein Gast sich weile.
Noch hat's sein Adlerblick erfaßt,
Wie Homberg aufstand voller Hast,
Und Otto mit erhobner Hand
Gebietrisch vor dem Ritter stand.
Zwar schwieg er klug, doch täuscht' er nicht
Des Schützen scharfes Augenlicht.
Wol wußt' es Otto, daß die Alten
Schwer ein Geheimniß an sich halten;
Wol sah er sich verrathen jetzt
Und all sein Glück auf's Spiel gesetzt.
Auf's Neue stand vor seinem Blicke
Des Vaters schwergereizter Groll,
Des Mönches klägliche Geschicke,
Das Kloster, ew'ger Qualen voll.
Doch sei gleich Untergang beschworen,
Noch hemmt ihn rasche Mannesthat;
Auch Otto gab sich nicht verloren,
Und ging behend mit sich zu Rath. 81

Wenn aufgepeitscht von wilden Föhnen
Der Bergsee brausend überschwillt,
Wie möcht' er sich zurückgewöhnen
In's Thal, dem er als Born entquillt?
Wem einmal Liebe sich ergeben,
Wen eines Weibes Arm umspannt,
Unmöglich, daß ihn je das Leben
Zurück in früh're Kühle bannt!
Doch galt es, rasch von Minne scheiden:
Er trug ein Mann der Trennung Leiden.
Schon sank der Wintertag zum Abend,
Der Schnee erhellte matt den Weg,
Da ritt, auf gutem Rosse trabend,
Zum Wald er den bekannten Steg.

Fern schon verklang des Hufes Schlag
Und Nacht vertrieb den Nebeltag.
Da trat der Graf mit heftigem Schritte
In seines Hofgesindes Mitte,
Und rief nach Otto. Der war fort.
Wohin? so scholl sein Herrscherwort;
Ich sandt' ihn nicht von meiner Seiten,
Wer hieß ihn ohne Urlaub reiten?

Und bei dem Wort in Ebbo quoll
Aufschäumend der verhohlne Groll.
Er war zurück aus weiter Ferne
Und sah des Grafen Zürnen gerne.
Er sprach: Ich hab's euch längst gesagt:
Das ist ein Bursch, der Alles wagt! 82
Doch wollt ihr, mag's uns leicht gelingen,
Ihn bald in Ketten herzubringen:
Wohl kund ist mir sein heimlich Nest –
Gebt mir Befehl, ich fass' ihn fest!

Wohl, ruft der Graf, frisch drauf und dran!
Nimm von den Schützen sieben Mann.
Eins aber sei euch ernst gesagt:
Daß Keiner ihn zu schädigen wagt!
Dir, Ebbo, sei er preisgegeben,
Doch haftet mir für ihn dein Leben!
Weil er den Dienst so kühnlich ließ,
Legt wohlverwahrt ihn in's Verließ.

Ha, wie des Buben Brust nun schwillt,
Die längst von Bosheit überquillt!
Rasch wählt er ähnliche Genossen,
Rasch geht's hinunter zu den Rossen –
Gezäumt, gesattelt – und im Flug
Saust durch das Thor dahin der Zug.
Fort geht's zum Wald durch nächt'gen Graus –
Wol scholl des Wolfs Geheul heraus,
Wol krächzte Unheil links der Rabe
Mit seiner sichern Sehergabe,
Wol schrie der Uhu durch den Tann;
Doch Keiner zitternd sich besann.
Hell schien im Schnee dem argen Trosse
Die Spur von Otto's flüchtigem Rosse;
Ihr jagte nach ohn' Unterlaß
Von Rachedurst gespornt der Haß. 83

Doch lächelnd zu Herrn Homberg hin
Kehrt sich der Graf mit leiser Rede:
Merkst, Freund, du meinen klugen Sinn?
Der Bursch bot Otto längst die Fehde,
Er spann um ihn des Spähers Netze,
Drum brauch' ich ihn zu dieser Hetze.
Viel sichrer bringt mir ihn der Feind,
Als wer's mit ihm am treusten meint
Komm, heitre dein verzagtes Herz,
Wir schaffen's um zu lustigem Scherz.
Trat Otto so den Mönch mit Füßen,
Mag er's nun auch ein wenig büßen. 84


Elftes Abenteuer.

Der Überfall.

        Mein junger Fürst! man soll nicht zagen
Will uns das Schicksal Gunst versagen:
Oft ist ein Unglück uns bestimmt,
Das gar ein fröhlich Ende nimmt.
Es kennt der Wald so viel Geschichten,
Laßt mich ein lehrsam Stück berichten,
– Mir selbst geschah's vor manchem Jahr, –
Das zeigt euch solch Exempel klar.
Mein Bruder ward mit mir erzogen;
Das war ein Bursch euch! ungebogen
Von jeder Noth, ein starker Bub,
Dem stets Gefahr den Muth erhub
Nun kam an einem Abend Kunde,
Es lieg' ein Bär im Eichengrunde.
Wir Beide faßten schnell den Rath
Zur ersten kühnen Waffenthat.
Auf engem Pfad war's, wo wir ritten;
Da lag ein Würzlein in der Mitten,
Das scheu mein Pferd, weiß nicht wie's kam,
Vielleicht für eine Schlange nahm.
Wild bäumt es: ich, der Kerngesunde,
Im Fall schlag' ich mir eine Wunde; 85
Die rechte Hand war ausgerenkt –
Da hieß es still nach Haus gelenkt!
Nun weiß ich noch, wie ich gewettert,
Daß so mein grüner Ruhm entblättert;
Ich hieb in meinem blinden Zorn
Das arme Roß mit Gert' und Sporn.
Doch wie der Tag zu Ende eilte
Und mählich schon der Arm mir heilte,
Da brachten sie in blutigem Graus
Den todten Bruder mir in's Haus.
Der ist seitdem mir oft erschienen
Zu Nacht im Wald mit lieben Mienen,
Und wo mich schon Gefahr umgarnt,
Hat er mich brüderlich gewarnt.
Da seht ihr's nun: was ich gescholten,
Wie hat sich's mir als Glück vergolten!
Was jenem schnellen Ruhm verhieß,
Das war's, was in das Grab ihn stieß.
So fürcht' ich schier, des Hombergs Kommen
War ehender zu euerm Frommen;
Ihr habt mit eignem Willen jetzt
Dem Glück den Pfad zu euch versetzt.
Doch grämt euch nicht; denn als ein Blinder
Ist aller Witz der Menschenkinder;
Der Mensch wirft Zeichen in den Schooß,
Und doch wie Gott will fällt das Loos.
Eins aber dünkt mich: Trunk und Essen
Soll man in keiner Noth vergessen:
Je düstrer euch das Morgen winkt,
So kecker nehmt das Heut' und trinkt! 86

So sprach der greise Förstersmann
Den jungen Gast, Herrn Otto, an.
Doch macht' er ihm den Muth nicht frisch;
Sein lockig Haupt lag auf dem Tisch,
Es war die eisenstarke Hand
Gleich seiner Armbrust abgespannt.
Zu wirr und trüb war's ihm im Herzen,
Den Abschied konnt' er nicht verschmerzen.
Er mochte nicht die Qualen tragen,
Und wollt' auch nicht als Weichling klagen.
Drum sprang er auf von Tisch und Wein,
Einsam mit seinem Gram zu sein.

So sprach er: Fest ist der Beschluß:
Ich reite morgen, weil ich muß.
Sei Lieb' und Jugend mir verloren,
Frei bleib' ich, wie ich frei geboren!
Dieß, Treuer, ist die letzte Mühe:
Halt du für heute sorglich Wacht
Und sattle dann mein Roß mir frühe –
Wohin? Gott weiß es! Gute Nacht!

Herr Otto ging mit seinem Jammer
Belastet nach der Ruhekammer.
Er ließ im Vorgelaß den Alten;
Der füllte sich mit Wein ein Horn,
Schlug fest um sich des Mantels Falten
Und schob in's Feuer Block und Dorn.
Da plötzlich heulten auf die Hunde,
Als macht' ein Wolf die nächtige Runde, 87
Und unterm Tisch der Lieblingsrüde
Hub wachsam sich, der nimmermüde,
Der mächtige, dessen Löwenkraft
Am Weiher Rettung einst geschafft.
Doch auf des Herren leises Wort
Kehrt lauernd er an seinen Ort.
Auf stand vom Stuhl der greise Mann –
Da klopft' es an der Pforte an,
Und schaurig klang wie Todesahnung
In tiefer Nacht die Lebensmahnung.
Des todten Bruders denkt der Alte
Und kreuzt sich still und tritt zur Spalte.
Wer ist da? – Ebbo. – Dein Begehr? –
Thu auf! Graf Dietrich schickt mich her. –
Da sah der Greis des Gasts Gefahr,
Doch ruhig blieb er, wie er war:
Bist, Ebbo, du allein? – Ich bin's! –
Da ward der Alte muntern Sinns
Und wollt' es wenden noch zum Glücke;
Er ahnte nicht des Argen Tücke;
Ihm selbst war jede Lüge fern,
Drum glaubt' er auch dem Lügner gern.
Das Schloß sprang auf – Ebbo drang ein,
Mit seinen Schützen er zu drei'n;
Die Andern wie die Nachtgespenster
Erkletterten das hohe Fenster.
Wie das ersah der wackre Greis,
Da ward's vor Zorn ihm drinnen heiß.
Er riß ein Schlachtschwert von der Wand,
Das faßt' er kräftig beiderhand, 88
Und trat zurück mit rascher Kür
Vor seines Gastes Kammerthür.
Er war mit dunkeldroh'nden Brauen,
Vom rothen Kienspan hell verklärt,
Gleich jenem Cherub anzuschauen,
Der Edens Thor den Frevlern wehrt.
Ihm standen Jene schwarz entgegen,
Im Blick des Uebermächtigen Hohn,
Dämonen gleich, die raubverwegen
Des Lebens goldne Frucht bedroh'n;
Und so vor der bestritt'nen Pforte
Flog, Bolzen gleich, das Gift der Worte:

Ebbo zuerst: Was ficht dich an,
Ergrauter Narr, ohnmächtiger Mann,
Daß du Gesandten deines Herren
In Waffen willst den Weg versperren?
Otto der Schütz ist hier im Haus:
In Dietrich's Namen, liefr' ihn aus!

Drauf Hugo: Neidhart, Lügner du,
Erst brich im offnen Streit herzu!
So lang den Otto schützt der Arm,
Schläft er, so dünkt mich, ohne Harm.
Als Lügner hast du mich umstrickt –
Wer bürgt mir, daß der Herr dich schickt?
Drum sollt vor dieses Schwertes Streichen
Ihr Mörder allzumal entweichen!

Nun kehrt sich Ebbo zu der Schaar:
Hier ist Gewalt, ihr seht es klar! 89
Der Mann will nicht dem Wort sich beugen:
So mögt ihr mir's beim Herrn bezeugen!

Er spannt den Bogen, weil das Schwert
Des Försters Riesenkraft verwehrt;
Er zielt; schon dräut des Bolzes Spitze
Recht nach des Lebens warmem Sitze –
Nur noch ein Nu, die Bosheit siegt,
Die goldne Treue unterliegt.
Doch wo des Menschen schwache Kraft
Nicht dem Gerechten Rettung schafft,
Da nahet sich auf stiller Spur
Die blinde Rächerin Natur.
Denn wie der Rüde dieß erschaut,
Da springt er auf, da heult er laut;
Ein Rachegeist mit mächt'gem Satze
Packt er den Ebbo mit der Tatze,
Und reißt des Feindes blutige Glieder
Mit grausem Biß zur Erde nieder.
Verröchelnd lag im Blut der Schlimme,
Der Rüde tobt mit neuem Grimme;
Kaum daß des Försters lauter Ruf
Den andern Mördern Rettung schuf.
Auf sprang nun auch der Pforte Klammer,
Herr Otto trat aus dunkler Kammer,
Die Armbrust wohl nach Kunst gespannt,
Den Kolben in der andern Hand.
Ei, spricht er, seid ihr's, Jagdgesellen,
Und dachtet mich so leicht zu fällen? 90
Nun überlegt's, ich bitt' euch, fein:
Wer will von euch der Erste sein?
Meint ihr, es sollte schwer mir fallen,
Mich frei zu machen trotz euch allen?
Doch wißt, wie hoch ihr euch erfrecht,
Ihr bleibt für meinen Arm zu schlecht;
Auch ist zu werth mir Hugo's Leben,
Es blindem Zufall hinzugeben.
Daß dieser Wurm am Boden liegt,
Das, dünkt mich, ist genug gesiegt.
Spannt ab die Bogen denn beizeiten;
Frei will ich nun zu Hofe reiten.
Hinweg mit euch! Ihr habt mein Wort:
Zu morgen Mittag bin ich dort.
Den Todten nehmt in eure Hut,
Es schändet diesen Herd sein Blut.

Er sprach das Wort so königlich;
Die zagen Knechte neigten sich;
Der Leichnam ward auf's Roß gebracht,
Und fort ging's durch die kalte Nacht.

Die Beiden aber wohlgemuth
Empfanden neuerwärmt ihr Blut;
Denn immer frischt den kräftigen Mann
Gefahr mit Jugendfeuer an.
Herr Otto war nicht mehr verzagt –
Sie tranken, bis im Ost es tagt.
Nicht ließ der treue Wirth den Gast;
Sie ritten rheinwärts stillgefaßt. 91


Zwölftes Abenteuer.

Die Minneprobe.

        Steh auf, mein Sohn! so sprach der Graf:
Du warst in meinem Dienste brav;
Auch heute nahm dein offen Wort
Mir jeden Groll vom Herzen fort.
Doch bist du mir ein fremd Geschlecht;
Ich wahre deines Vaters Recht.
Gefangen bist du mir zu Händen,
Gefangen muß ich dich ihm senden.
Doch vor dem Kloster rettet dich
Ein rascher Ehbund sicherlich;
So heilig ist des Priesters Wort,
Das nimmt dir kein Gelübde fort.
Ich will dir wohl, Herzog in Hessen:
Als Schütze hast du dich vermessen
Und kühn nach Elsbeth ausgeschaut;
Der Herzog nehme sie zur Braut.
Doch stell' ich zu der Frauen Lobe
Vorher noch eine Minneprobe.

Und Elsbeth in der Thür erscheint,
Die süße Rose, bleich, verweint, 92
Sie kniet zu ihres Vaters Füßen.
Der spricht: Bist du bereit zu büßen?
Der Schütz bekennt, daß er dich minnt,
Auch du seist ihm gar hold gesinnt.
Er hat mir lang gedient in Treuen,
Ich will ihn ehren und erfreuen.
So hab' ich's denn bei mir beschlossen:
Willst du, nimm ihn zum Ehgenossen!

Da ward ihr Blick von Thränen voll,
Das Herz begehrte seinen Zoll.
Doch über allen schwachen Muth
Hub sie empor ihr stolzes Blut:
Herr Vater, daß ihr mich entehrt,
Beim höchsten Gott, nicht bin ich's werth!
Vor allen Männern in der Welt
Dünkt Otto mich der erste Held,
Und wär' er hoch wie ich geboren,
Ihn hätt' ich zum Gemahl erkoren.
Doch rein blieb mir der keusche Muth,
Es quillt in mir des Grales Blut.
Die Maid von Lohengrin entstammt
Ward nie zum Schützenweib verdammt.
Ihr müßt ein Arges von mir denken,
Daß ihr mich wollt an Ehren kränken!

Wolan, so ist das Loos gefallen,
Sprach Dietrich, und in Klosterhallen
Ist Otto fürder festgebannt,
Nie kos't ihn guten Weibes Hand 93
Dein Jawort einzig konnt' ihn retten –
Nun sind vernietet seine Ketten!

Da sah die Maid entsetzt ihn an,
Der doch ihr ganzes Herz gewann.
Es war, wie einst beim Schützenkrieg,
Wo Lieb' am Schluß gewann den Sieg.
Fest stand er, doch des Auges Glut
Bestrafte schwer den Uebermuth,
Es schien der stumme Mund zu fragen:
Ist's denn so schwer, dem Stolz entsagen?
Ich gab um dich mein junges Leben –
Du willst mir nicht die Ahnen geben?

O Herz, du hast den Sieg! Sie tritt
Zum Jüngling hin mit schwankem Schritt,
Und birgt in süßverschämter Lust
Ihr fürstlich Haupt an seiner Brust.

Da trat aus weiter Doppelthür
Herr Homberg schlauen Blicks herfür:
Er führte zierlich in den Saal
Herrn Dietrich's stolzes Ehgemahl.
Dann kniet' er hin mit bloßem Schwert
Und bloßem Haupt zu Otto's Füßen,
Und sprach: Mich hält der Himmel werth,
Zuerst den Lehnsherrn zu begrüßen.
Thüringens Landgraf, Herr zu Hessen,
An Blute alt, an Muthe jung,
Empfangt, des frühern Drucks vergessen,
Der beiden Lande Huldigung. 94
Denn euer Bruder, mild von Art,
Für's Ritterthum war er zu zart –
Er starb. Ihr seid der nächste Erbe,
Folgt mir, daß nicht das Land verderbe!
Herr Heinrich hat mich ausgesendet,
Nach euch zu späh'n durch Land und Meer;
Der Völkerhirte hat's gewendet,
Daß ich im Irrsal kam hierher.
Nach Achen zu den Heiligthume
Zog ich, um Glück mir zu erflehn;
Nun muß ich hier mit Lieb' und Ruhme
Gekrönt euch leuchtend wiedersehn.
Gebt Urlaub mir, nach Haus zu reiten,
Mein hoher Herr; der Vater zagt.
Mögt ihr die Hochzeit hier bereiten,
Ihr habt das höchste Glück erjagt!

Da hub sich Otto stolz empor
Und sprach: Es gönnt die hohe Stunde
Der Klage nur ein halbes Ohr,
Ob schmerzlich auch die Todeskunde.
Ihr habt's vernommen: zwischen mir
Und meinem Vater ist gerichtet,
Es hat der Tod mit rascher Gier
Den langen Hader uns geschlichtet.
Ich steh' im Glanz der Fürstenehren;
Herr Graf und ihr, vieledle Fraue,
Ich darf die Holde nun begehren,
Nach der ich lang in Liebe schaue. 95
Auch hier den Hugo gebt mir mit,
Der viel um mich in Treuen litt;
Er sei in seinem edeln Alter
In Hessen's Forsten mein Verwalter,
Und an des Schützlings reichem Gut
Erlabe sich sein greiser Muth.
Du, wackrer Homberg, auf zu Rosse,
Und sühne Vater du und Sohn!
Bring' ihn hierher sammt reichem Trosse,
Bevor ein Monat noch entfloh'n!
Dann winde sich im höchsten Glanz
Um Elsbeth's Stirn der Myrtenkranz,
Der von dem Elbstein bis zum Rheine
Die deutschen Lande fest vereine! 96


Der Dichter beschließt:

        Es sang ein Mann des Rheins dies Lied,
Dem Minne Lust und Leid beschied.
Ihm war das Lied ein Leidvertreib:
Er minnet selbst ein hohes Weib;
Des eignen Herzens süße Sorgen
Hat er im schmucken Reim verborgen.
Die Hehre, die dies Lied nicht nennt,
Er weiß, daß sie den Klang erkennt,
Den voll und klar aus Mannesbrust
Heraufrief ihrer Küsse Lust.
So spiegle denn in Otto's Glück
Die eigne Zukunft sich zurück,
Und lehr' uns diese Mähr fortan:
Sein Schicksal schafft sich selbst der Mann!

 


 


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