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Die drei Geizhälse

Die drei Geizhälse

In Altenroda lebten drei Geizhälse. Es mögen vielleicht noch mehr geizige Leute in der Stadt gewesen sein, werden doch vom sechzigsten Lebensjahre an die meisten Menschen geizig, was zu den Alterserscheinungen oder, gelehrter ausgedrückt, zu den vicia aetatis gehört; aber die drei, von denen hier die Rede sein soll, waren so auffallend gut geratene Exemplare von Geizkragen, daß sie in ganz Altenroda berühmt oder vielmehr berüchtigt waren. Der Religion nach war der erste evangelisch, der zweite katholisch, der dritte Jude. Geizhälse und Wucherer gibt es unter allen Gattungen der Menschheit, da soll nur die eine der andern nichts vorwerfen. Nun soll alles hübsch der Reihe nach erzählt werden.

Der evangelische Geizhals

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Der evangelische Geizhals wurde später Dissident, und sein Abfall von der ursprünglichen Religion hing mit seinem Geiz zusammen. Er hieß Leonhard Fahrig. Fahrig war Kolonialwarenhändler. Solange der Pastor der Gemeinde von seinem geringen Einkommen für seine Familie Kaffee, Zucker, Mehl und Reis, den bescheidenen Tabaksbedarf, sowie jedes Weihnachtsfest eine Flasche Zeltinger bei Leonhard Fahrig kaufte, saß der Kaufmann jeden Sonntag in der Predigt. »Leben und leben lassen!« sagte er manchmal. Kam ein offener Opferteller, so daß der Nachbar vom Nachbar sah, was der auflegte, so warf Fahrig klirrend einen geputzten Nickel auf den Teller, kam aber der verschwiegene Klingelbeutel, so steckte er einen Hosenknopf hinein. Der Glöckner Krause, der ein kluger Mann war, sagte einmal in der Sakristei, als der Ertrag des Klingelbeutels ausgezählt wurde:

»Vier Mark, dreizehn Pfennige und ein Knopf. Herr Pastor, der Hosenknopf ist vom Kaufmann Fahrig. Der Mann macht immer so fummelige Finger, wenn er über den Klingelbeutel greift, und steckt die Hand so tief rein, daß ich nie eine Münze sehen kann. Er ist von Fahrig, der Knopf, da verlasse sich der Herr Pastor darauf!«

»Ausgeschlossen!« sagte der Pastor. »Denken Sie doch, der wohlhabende Mann! Und dann, Hosenknöpfe sind auch etwas Brauchbares. Ich habe zu Hause hundertzwanzig Stück liegen. Wenn Sie einmal Bedarf haben, lieber Krause ...«

Krause schüttelte den Kopf. Er war wieder einmal unzufrieden mit seinem Pastor. Am nächsten Sonntag, als er mit dem Klingelbeutel ging, paßte er vor Fahrigs Kirchenstand auf wie ein Detektiv. Aber Fahrig machte »fummelige Finger«, steckte die Hand tief in den Klingelbeutel, und der Detektiv war geprellt.

Krause, der ein kleine Ackerwirtschaft besaß, dachte während dreier Tage, da er mit seinem Kuhgespann pflügte, an nichts anderes als an den Hosenknopf im Klingelbeutel. Mittwoch abends gegen halb sechs rief er sein »Heureka!« Das hieß diesmal in deutscher Sprache: »Warte, du Lump, ich hab' dich!« Krause erschrak über den erleuchteten Gedanken, der ihm gekommen war, so, daß er mitten in der Furche den leichten Schälpflug wegwarf und sich zitternd vor Aufregung auf den Feldrain setzte. Die Kühe guckten sich verwundert nach ihm um, steckten dann die nassen Schnauzen zusammen und kamen nach einigem Brummgetuschel überein, den Schälpflug hinter sich herzu schleifen und sich an des Nachbars Stoppelklee den Bauch vollzufressen. Krause merkte davon nichts. Er saß auf dem Feldraine, fuchtelte mit den Händen und strampelte mit den Beinen, so daß man solch lebhafte Bewegungen einem würdigen Glöckner nimmermehr hätte zutrauen sollen.

Am nächsten Sonntag saß Leonhard Fahrig auf seinem Stand in der Kirche. (Nebenbei gesagt, es ist nicht ganz richtig, etwas als »Stand« zu bezeichnen, wo man sitzt.) Also Fahrigs »Stand« war in der vierten Reihe der erste Platz, dicht unter der Kanzel. Der Pastor predigte, und als die Einleitung vorbei war, erschien Krause mit dem Klingelbeutel. Leise bimmelte das Glöcklein zu den belehrenden und ermahnenden Worten des Predigers. Als Krause drei Bänke abgesammelt hatte und Leonhard Fahrig als der Nächste sich nun für seine Opfergabe rüstete, hielt der Glöckner plötzlich inne, griff sich an den Kopf, als ob er in der Sakristei etwas vergessen habe, und verschwand. Er ging leise, auf Zehenspitzen, was aber den Pastor doch so störte, daß er einen Bibelvers als aus Galater stammend bezeichnete, während er in Wirklichkeit bei Korinther steht. Bald kam Krause mit dem Klingelbeutel zurück und heischte Leonhard Fahrigs Gabe. Fahrig machte seine »fummeligen Finger«, steckte die Hand tief in den Klingelbeutel und ließ seine Gabe in diese Höhle der Mildtätigkeit hineinsinken.

Plötzlich griff sich der Glöckner Krause abermals an den Kopf und verschwand wieder nach der Sakristei. Den Pastor auf der Kanzel störte das so, daß er in der Predigt stecken blieb, was ihm noch nie passiert war. Auch die Gemeinde machte lange Hälse, zumal als Krause zurückkam, sich zu Leonhard Fahrig beugte und ihm etwas in die Hand drückte. Dann aber ging der Glöckner weiter und sammelte die Gaben der Gemeinde ein. Eine richtige Andacht kam während dieser Predigt weder bei dem Pastor noch bei der Gemeinde mehr auf, zumal alle sahen, daß der sonst so sanfte Glöckner ein feuerrotes Gesicht und wild rollende Augen, sowie einen zappeligen Gang hatte, auch aus Versehen des öfteren die Andächtigen mit dem Klingelbeutel ans Ohr oder an die Nase stieß.

In der Sakristei fragte der Pastor streng:

»Krause, was war das heute während der Predigt für allerhand Störung?«

»Bitte um Verzeihung, Herr Pastor, ich mußte es tun; ich mußte ihn entlarven.«

»Entlarven? Wen?«

»Den Geizkragen – den Fahrig. Er ist der Knopfgeier. Ich hab's rausgekriegt. Erst habe ich die drei ersten Bänke abgesammelt, dann bin ich in die Sakristei gegangen und habe den Klingelbeutel ausgeschüttet, dann bin ich zu Fahrig zurück und habe ihn ganz allein was in den leeren Klingelbeutel stecken lassen, dann wieder nach der Sakristei, und da war der Knopf. Ich habe dem Fahrig den Knopf zurückgegeben und ihm gesagt: Solche Münze nehmen wir nicht an!«

»Ja, Sie haben das ziemlich laut gesprochen. Die Umsitzenden werden es verstanden haben.«

»Ich hatte leiser sprechen wollen, Herr Pastor; aber ich war zu aufgeregt.«

»Hm,« sagte der Pastor nachdenklich, »eigentlich soll man wegen eines Hosenknopfes die Verkündigung des Wortes nicht stören. Aber einen argen Geizhals haben Sie entlarvt, das stimmt. Ich werde Herrn Fahrig heute noch hundertzwanzig Hosenknöpfe zurückschicken.«

Das geschah und wurde zum Anlaß, daß Leonhard Fahrig aus der evangelischen Landeskirche Preußens austrat und Dissident wurde. Sein Auge strahlte, als er bedachte, daß er dadurch ja die Kirchensteuer spare, die für ihn immerhin drei Mark und fünfundzwanzig Pfennig für das Jahr betrug. Außerdem kamen die Nickel für den Opferteller in Wegfall; die Hosenknöpfe waren auch nicht ganz umsonst gewesen. Mochte der Pastor sein bißchen Kram immerhin bei dem jungen Konkurrenten kaufen, diesen Verlust würde die Firma Fahrig verschmerzen.

Es kauften von nun an aber sehr viele bei dem jungen Konkurrenten und zwar nicht nur die Ungehörigen jener Gemeinde, sondern auch viele Leute anderer Konfession, denen der Filz zuwider geworden war.

Umsonst beteuerte Fahrig, daß ihm zufällig ein Hosenknopf losgegangen sei, er diesen in sein Portemonnaie gesteckt und aus Versehen für den Klingelbeutel ergriffen habe. Niemand glaubte ihm; niemand hörte ihm gern zu, wenn er wetterte, die gläubigen Christen würden durch die Habgier der Pfaffen aus der Kirche hinausgedrängt. Als aber der Zorn über den argen Rückgang seines Geschäftes ihn zu solcher Torheit hinriß, daß er eines Tages einen Zettel an sein Schaufenster klebte: »Ausverkauf von hundertundzwanzig hochehrwürdigen Hosenknöpfen«, da hatte er in Altenroda vollständig verspielt.

Wutschnaubend verkaufte Leonhard Fahrig sein Geschäft und zog in die Fremde. Die Altenrodaer Bürger lachten und ließen ihn ziehen. Sie waren einen ihrer drei Geizhälse los.

Nutzanwendung: Geiz ist die Wurzel alles Übels! Das wahre Sprichwort, das durch diese und die zwei folgenden Geschichten beleuchtet werden soll, sei aufs neue allen denen eingeschärft, die geizig sind oder es zu werden beabsichtigen.


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