Adam Karrillon
Erlebnisse eines Erdenbummlers
Adam Karrillon

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Wieder unter den Studenten

Mein Weg führte mich zunächst nach Süden. Mit dem Gelde, das der Gemeindediener für mich zusammengespart hatte, gedachte ich meinen Einjährigen und gleichzeitig meinen Doktor zu machen. Auf keins von beiden freute ich mich sonderlich. Zum Soldatenhandwerk hatte ich kein Talent, und ich war deshalb froh, als ich die Freiburger Karlskaserne in den gleichen Hosen wieder verlassen durfte, in denen ich sie betreten hatte.

Das Doktorieren war für einen, der sein Staatsexamen schon hinter sich hatte, eine reine Farce. Ich schrieb eine sog. Dissertation, überstand ein Colloquium, bezahlte die Gebühren und durfte vor meinen Namen das Dr. schreiben.

Zwischendurch hatte ich mich umgesehen, ob sich nicht für mich Gelegenheit fände, eine Reiseexpedition mitzumachen. Ich wäre gern mit Riebeck gegangen. Der aber hatte schon einen Alexander Moork aus Bergzabern engagiert, der jetzt in der Nähe von Jericho am rechten Jordanufer begraben liegt. In meinem Buche ›Die Kreuzfahrt‹ (Verl. v. Ackermann, Weinheim) habe ich beschrieben, wie ich an dies Grab gekommen bin. War's mit Riebeck nichts, so hoffte ich auf eine andere Möglichkeit und nahm einstweilen beim alten Siedler Reitstunden, um auf alle Fälle gerüstet zu sein, und nebenbei machte ich mich bei den Alemannen nützlich, indem ich den Paukarzt mimte. Bei dieser Beschäftigung kam ich wider Erwarten abermals mit Venedeys Mutter in Berührung. Sie wohnte damals in Oberweyler in einem Hause, das auf Veranlassung der Gebrüder Keil mit Sammelgeldern der Gartenlaube für ihren Mann erbaut worden war, und das der unruhige Achtundvierziger sein »Rasthaus« nannte. Ruhe hat er ja da auch nicht gefunden. Er schrieb nach der Schlacht von Wörth den berühmten Artikel »Vae victis« in die Kölner Zeitung und kam dadurch wieder viel ins Gerede. Auch kandidierte er für den ersten deutschen Reichstag, dessen Zusammentritt er aber nicht mehr erlebte. Sein definitives Rasthaus hatte nämlich inzwischen der Totengräber fertiggestellt und seine Witwe blieb in dem zurück, was seine Freunde am Fuß des Belchen für ihn hingestellt hatten. Freilich auch sie ohne inneren Frieden. Immer brauchte die alte Dame irgendeine Gefahr, in die sie sich stürzen konnte. Ohne Händel mit der Polizei schien ihr das Dasein nicht lebenswert. So war sie auch jetzt wieder im Begriff, sich in Ungelegenheiten zu bringen, und sie hätte es getan, wenn ich nicht dazwischen getreten wäre.

Zwischen einem Alemannen, namens Wörner, und einem Franken, namens Wack, war es zu einer schweren Säbelforderung gekommen. Die Sache war auch ruchbar geworden, und die Polizei hatte die Saalbesitzer in Freiburg und Umgegend mit schweren Strafen bedroht, wenn sie zum Austrag des Handels ein Zimmer hergeben sollten. Wo die Burschenschaft auch anklopfen mochte, überall fand sie die Türen verschlossen und bedauernd ablehnende Gesichter der Schenkwirte. Als man schon gar nicht mehr woaus, woein wußte, tauchte plötzlich die Witwe Venedey in Freiburg auf und bot ihr friedlich Rasthaus zum Austrag des Duelles an. Als Paukarzt hörte ich natürlich von der Geschichte, und die gute Frau hätte mir leid getan, wenn sie in ihren alten Tagen noch einmal ins Gefängnis hätte wandern müssen. Ich suchte nun ihren Sohn Michel auf, dem man es zutrauen konnte, daß er den Plan seiner Mutter billige, wenn nicht dessen Urheber sei. »Michel,« sagte ich, »hast du dir überlegt, in welche Gefahren sich deine Mutter begeben will? Denkst du daran, daß sie eventuell ins Landesgefängnis spazieren kann?«

»O, was schadet ihr denn das?« rief er heiter aus. »Es ist nicht halb so schlimm, als wenn sie in deine oder Stengers Behandlung kommen sollte. Hoffentlich habt ihr Kerle euch im Lauf der Jahre etwas gebessert. Die Menschheit könnte mir leid tun, wenn das nicht der Fall sein sollte. Übrigens was bummelst du, altes Sumpfhuhn, immer noch auf den Universitäten herum?«

»Zu dieser Frage, Michel, hast du kein Recht. Ich habe Gott sei Dank alle meine Examinas hinter mir. Wie aber steht's mit dir, der du kaum jünger bist wie ich?«

»Wie's mit mir steht? Gerippe, wenn du meinen Ranzen schleppen müßtest, könntest du auch noch nicht so weit sein wie du bist. Übrigens, damit du mit dem Fragen aufhörst, will ich dir den Gefallen tun und meine Alte auf andere Gedanken bringen.«

Die Mensur stieg und sie stieg auch in Oberweyler, wenn auch nicht im Rasthause Venedeys. Die Witwe des Achtundvierzigers kam um den Triumph, ihre Hände in ein gewagtes Spiel gemengt zu haben. Aber sie wäre todunglücklich gewesen, wenn sie nicht in irgend etwas an dem Handel teilgenommen und sich strafbar gemacht hätte. Sie nahm also den schwer verwundeten Wack in ihr Haus auf, pflegte ihn nach besten Kräften und verleugnete ihn kühnlich, als die Polizei kam, um nach ihm zu fahnden.

»Die Erinnerung an die Affäre hat ihr bis zu ihrem letzten Stündlein noch Spaß gemacht,« hat ihr jüngerer Sohn Martin mir erzählt, als ich ihn vierzig Jahre später einmal am Hafen zu Konstanz getroffen habe.

Dieser Martin, des alten Venedeys zweiter Sohn, besaß die gleiche Kraft und das gleiche innere Feuer wie sein Bruder, aber er blieb Herr seiner Triebe und er ist deshalb eben größer geworden wie der Michel oder auch – wer vermag den Menschen abzuschätzen – er ist kleiner geblieben als jener.

Der Winter des Jahres 1879 auf 80 war ein unfreundlicher Geselle. Er fesselte die Bäche, ließ die Teiche erstarren und vergrub Feld und Wiese unter einer Schneedecke. Er ermordete die Nachtigall und lehrte die Wagenachsen das Singen. Mir persönlich konnte er nichts anhaben. Ich wohnte in der Rheinstraße und hatte im Zimmer einen guten Kachelofen. Mein Hausherr war ein Champagnerreisender, namens Friedle, von dem ich einzig wußte, daß er klein war und an der rechten Hand nur vier Finger hatte. Da ich ihn immer nur nachts und niemals nüchtern gesehen habe, so weiß ich nicht, was weiter Gutes oder Böses in ihm steckte. Ich nehme an, daß er nicht ohne Vorzüge war, denn wie hätte er sonst zu einer so braven und begabten Frau kommen sollen, wie er sie hatte. Ihr zu Liebe bin ich an manchem Abend zu Hause geblieben, um hören zu können, wie sie im Zimmer nebenan Klavier spielte oder mit gut geschulter Stimme allerliebste Lieder sang.

Über Tags weilte ich in den Kliniken oder auch auf der Reitbahn, wo ich es im »Gaulbändigen« bereits so weit gebracht hatte, daß ich dem Stallmeister die Schindluder zustutzen durfte, die sich vor der Front im Kommiß nicht verwenden ließen.

Als ich einmal hoch zu Roß über die Kaiserstraße trabte, gab mir der Michel Venedey, die grüne Frankonenmütze schwenkend, vom Bürgersteig aus ein Zeichen, daß ich halten und auf ihn hören solle. Ich brachte das Pferd zum Stehen und erfuhr nun von ihm, dem Unwiderstehlichen, daß ihm seine Mutter den Rat gegeben habe, er solle sich mit einem anständigen Mädchen verloben, damit die verfluchte Geschichte mit den Dienstmädchen einmal ein Ende nähme.

»Du bist in der Welt herumgekommen,« fuhr er fort, »weißt du mir keine? Sie darf Lene heißen, wenn sie eine halbe Million in die Ehe bringt und so viel Kleeäcker, daß sie mir ein Reitpferd ernähren kann, aber so keine Schindmähre, wie die ist, auf der du herumsegelst.«

»Michel,« gab ich ihm zur Antwort, »wenn du einmal reiten oder heiraten willst, geh' nach den Niederlanden. Weißt du warum?«

»Schlaumeier, ich versteh, was du sagen willst. Du denkst: ›Nicht jedes Tier trägt den und seinen dicken Bauch.‹ Da magst du eher recht haben als dazumal, wo du mir weiß machen wolltest, daß ich einen Bruch hätte. Gottes Segen mit dir, aber füttere dich besser, sonst kann deine Frau dich wie ein Heringsskelett im Brillenfutteral mit auf die Hochzeitsreise nehmen. Und dann, hörst du, bleib bei windigem Wetter mit der Rosinante zwischen den Häuserreihen. Man kann nie wissen. Leeres Stroh und leichte Ware sind schnell verweht. Vom Sturm nämlich, mein ich.« Und er pfiff seinem Hund und stelzte hinter einer Konfektionöse her die Kaiserstraße hinunter.

Damit sollte ich ihn für längere Zeit gesehen haben, den Michel, den deutschen Michel, denn ich mußte an meine Abreise von Freiburg denken. Mein erspartes Geld ging zu Ende, und eine Gelegenheit, ins Ausland zu kommen, hatte sich nicht gefunden. Ade nun für immer, Studentenherrlichkeit!


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