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Die Metaphysik der Sitten. Abgefasst von Immanuel Kant. Zweiter Teil. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre

Vorrede

Wenn es über irgend einen Gegenstand eine Philosophie (System der Vernunfterkenntnis aus Begriffen) gibt, so muß es für diese Philosophie auch ein System reiner, von aller Anschauungsbedingung unabhängiger Vernunftbegriffe, d. i. eine Metaphysik, geben. – Es frägt sich nur: ob es für jede praktische Philosophie als Pflichtenlehre, mithin auch für die Tugendlehre (Ethik) auch metaphysischer Anfangsgründe bedürfe, um sie als wahre Wissenschaft (systematisch), nicht bloß als Aggregat einzeln aufgesuchter Lehren (fragmentarisch) aufstellen zu können. – Von der reinen Rechtslehre wird niemand dies Bedürfnis bezweifeln; denn sie betrifft nur das Förmliche der nach Freiheitsgesetzen im äußeren Verhältnis einzuschränkenden Willkür; abgesehen von allem Zweck (als der Materie derselben). Die Pflichtenlehre ist also hier eine bloße Wissenslehre (doctrina scientiae). Ein der praktischen Philosophie Kundiger ist darum eben nicht ein praktischer Philosoph. Der letztere ist derjenige, welcher sich den Vernunftendzweck zum Grundsatz seiner Handlungen macht, indem er damit zugleich das dazu nötige Wissen verbindet: welches, da es aufs Tun abgezweckt ist, nicht eben bis zu den subtilsten Fäden der Metaphysik ausgesponnen werden darf, wenn es nicht etwan eine Rechtspflicht betrifft – als bei welcher auf der Wage der Gerechtigkeit das Mein und Dein nach dem Prinzip der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung genau bestimmt werden und darum der mathematischen Abgemessenheit analog sein muß; – sondern eine bloße Tugendpflicht angeht. Denn da kommt es nicht bloß darauf an, zu wissen, was zu tun Pflicht ist (welches wegen der Zwecke, die natürlicherweise alle Menschen haben, leicht angegeben werden kann): sondern vornehmlich auf dem inneren Prinzip des Willens, nämlich daß das Bewußtsein dieser Pflicht zugleich Triebfeder der Handlungen sei, um von dem, der mit seinem Wissen dieses Weisheitsprinzip verknüpft, zu sagen: daß er ein praktischer Philosoph sei.

In dieser Philosophie (der Tugendlehre) scheint es nun der Idee derselben gerade zuwider zu sein, bis zu metaphysischen Anfangsgründen zurückzugehen, um den Pflichtbegriff, von allem Empirischen (jedem Gefühl) gereinigt, doch zur Triebfeder zu machen. Denn was kann man sich für einen Begriff von einer Kraft und herkulischer Stärke machen, um die lastergebärende Neigungen zu überwältigen, wenn die Tugend ihre Waffen aus der Rüstkammer der Metaphysik entlehnen soll? welche eine Sache der Spekulation ist, die nur wenig Menschen zu handhaben wissen. Daher fallen auch alle Tugendlehren in Hörsälen, von Kanzeln und in Volksbüchern, wenn sie mit metaphysischen Brocken ausgeschmückt werden, ins Lächerliche. – Aber darum ist es doch nicht unnütz, viel weniger lächerlich, den ersten Gründen der Tugendlehre in einer Metaphysik nachzuspüren; denn irgend einer muß doch als Philosoph auf die ersten Gründe dieses Pflichtbegriffs hinausgehen: weil sonst weder Sicherheit noch Lauterkeit für die Tugendlehre überhaupt zu erwarten wäre. Sich desfalls auf ein gewisses Gefühl, welches man seiner davon erwarteten Wirkung halber moralisch nennt, zu verlassen, kann auch wohl dem Volkslehrer gnügen: indem dieser zum Probierstein einer Tugendpflicht, ob sie es sei oder nicht, die Aufgabe zu beherzigen verlangt: »wie, wenn nun ein jeder in jedem Fall deine Maxime zum allgemeinen Gesetz machte, würde eine solche wohl mit sich selbst zusammenstimmen können?« Aber wenn es bloß Gefühl wäre, was auch diesen Satz zum Probierstein zu nehmen uns zur Pflicht machte, so wäre diese doch alsdann nicht durch die Vernunft diktiert, sondern nur instinktmäßig, mithin blindlings dafür angenommen.

Allein kein moralisches Prinzip gründet sich in der Tat, wie man wohl wähnt, auf irgend einem Gefühl, sondern ist wirklich nichts anders, als dunkel gedachte Metaphysik, die jedem Menschen in seiner Vernunftanlage beiwohnt; wie der Lehrer es leicht gewahr wird, der seinen Lehrling über den Pflichtimperativ und dessen Anwendung auf moralische Beurteilung seiner Handlungen sokratisch zu katechisieren versucht. – Der Vortrag desselben (die Technik) darf eben nicht allemal metaphysisch und die Sprache scholastisch sein, wenn jener den Lehrling nicht etwa zum Philosophen bilden will. Aber der Gedanke muß bis auf die Elemente der Metaphysik zurück gehen, ohne die keine Sicherheit und Reinigkeit, ja selbst nicht einmal bewegende Kraft in der Tugendlehre zu erwarten ist.

Geht man von diesem Grundsatze ab und fängt vom pathologischen, oder dem rein-ästhetischen, oder auch dem moralischen Gefühl (dem subjektiv-praktischen statt des objektiven), d. i. von der Materie des Willens, dem Zweck, nicht von der Form desselben, d. i. dem Gesetz, an, um von da aus die Pflichten zu bestimmen: so finden freilich keine metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre statt – denn Gefühl, wodurch es auch immer erregt werden mag, ist jederzeit physisch. – Aber die Tugendlehre wird alsdann auch in ihrer Quelle, einerlei ob in Schulen, oder Hörsälen usw., verderbt. Denn es ist nicht gleichviel, durch welche Triebfedern als Mittel man zu einer guten Absicht (der Befolgung aller Pflicht) hingeleitet werde. – – Es mag also den orakel- oder auch geniemäßig über Pflichtenlehre absprechenden vermeinten Weisheitslehrern Metaphysik noch so sehr anekeln: so ist es doch für die, welche sich dazu aufwerfen, unerlaßliche Pflicht, selbst in der Tugendlehre zu jener ihren Grundsätzen zurückzugehen und auf ihren Bänken vorerst selbst die Schule zu machen.

*

Man muß sich hiebei billig wundern: wie es nach allen bisherigen Läuterungen des Pflichtprinzips, so fern es aus reiner Vernunft abgeleitet wird, noch möglich war, es wiederum auf Glückseligkeitslehre zurück zu führen: doch so, daß eine gewisse moralische Glückseligkeit, die nicht auf empirischen Ursachen beruhte, zu dem Ende angedacht worden, welche ein sich selbst widersprechendes Unding ist. – Der denkende Mensch nämlich, wenn er über die Anreize zum Laster gesiegt hat und seine oft sauere Pflicht getan zu haben sich bewußt ist, findet sich in einem Zustande der Seelenruhe und Zufriedenheit, den man gar wohl Glückseligkeit nennen kann, in welchem die Tugend ihr eigener Lohn ist. – Nun sagt der Eudämonist: diese Wonne, diese Glückseligkeit ist der eigentliche Bewegungsgrund, warum er tugendhaft handelt. Nicht der Begriff der Pflicht bestimme unmittelbar seinen Willen, sondern nur vermittelst der im Prospekt gesehnen Glückseligkeit werde er bewogen seine Pflicht zu tun. – Nun ist aber klar, daß, weil er sich diesen Tugendlohn nur von dem Bewußtsein seine Pflicht getan zu haben versprechen kann, das letztgenannte doch vorangehen müsse; d. i. er muß sich verbunden finden seine Pflicht zu tun, ehe er noch und ohne daß er daran denkt, daß Glückseligkeit die Folge der Pflichtbeobachtung sein werde. Er dreht sich mit seiner Ätiologie im Zirkel herum. Er kann nämlich nur hoffen glücklich (oder innerlich selig) zu sein, wenn er sich seiner Pflichtbeobachtung bewußt ist: er kann aber zur Beobachtung seiner Pflicht nur bewogen werden, wenn er voraussieht, daß er sich dadurch glücklich machen werde. – Aber es ist in dieser Vernünftelei auch ein Widerspruch. Denn einerseits soll er seine Pflicht beobachten, ohne erst zu fragen, welche Wirkung dieses auf seine Glückseligkeit haben werde, mithin aus einem moralischen Grunde: andrerseits aber kann er doch nur etwas für seine Pflicht anerkennen, wenn er auf Glückseligkeit rechnen kann, die ihm dadurch erwachsen wird, mithin nach pathologischem Prinzip, welches gerade das Gegenteil des vorigen ist.

Ich habe an einem anderen Orte (der Berlinischen Monatsschrift) den Unterschied der Lust, welche pathologisch ist, von der moralischen, wie ich glaube, auf die einfachste Ausdrücke zurück geführt. Die Lust nämlich, welche vor der Befolgung des Gesetzes hergehen muß, damit diesem gemäß gehandelt werde, ist pathologisch, und das Verhalten folgt der Naturordnung; diejenige aber, vor welcher das Gesetz hergehen muß, damit sie empfunden werde, ist in der sittlichen Ordnung. – Wenn dieser Unterschied nicht beobachtet wird: wenn Eudämonie (das Glückseligkeitsprinzip) statt der Eleutheronomie (des Freiheitsprinzips der inneren Gesetzgebung) zum Grundsatze aufgestellt wird, so ist die Folge davon Euthanasie (der sanfte Tod) aller Moral.

Die Ursache dieser Irrungen ist keine andere als folgende. Der kategorische Imperativ, aus dem diese Gesetze diktatorisch hervorgehen, will denen, die bloß an physiologische Erklärungen gewohnt sind, nicht in den Kopf; unerachtet sie sich doch durch ihn unwiderstehlich gedrungen fühlen. Sich aber das nicht erklären zu können, was über jenen Kreis gänzlich hinaus liegt (die Freiheit der Willkür), so seelenerhebend auch eben dieser Vorzug des Menschen ist, einer solchen Idee fähig zu sein, wird durch die stolzen Ansprüche der spekulativen Vernunft, die sonst ihr Vermögen in andern Feldern so stark fühlt, gleichsam zum allgemeinen Aufgebot der für die Allgewalt der theoretischen Vernunft Verbündeten gereizt, sich jener Idee zu widersetzen und so den moralischen Freiheitsbegriff jetzt und vielleicht noch lange, obzwar am Ende doch vergeblich, anzufechten und wo möglich verdächtig zu machen.

Einleitung zur Tugendlehre

Ethik bedeutete in den alten Zeiten die Sittenlehre ( philosophia moralis) überhaupt, welche man auch die Lehre von den Pflichten benannte. In der Folge hat man es ratsam gefunden, diesen Namen auf einen Teil der Sittenlehre, nämlich auf die Lehre von den Pflichten, die nicht unter äußeren Gesetzen stehen, allein zu übertragen (dem man im Deutschen den Namen Tugendlehre angemessen gefunden hat): so daß jetzt das System der allgemeinen Pflichtenlehre in das der Rechtslehre ( ius), welche äußerer Gesetze fähig ist, und der Tugendlehre ( Ethica) eingeteilt wird, die deren nicht fähig ist; wobei es denn auch sein Bewenden haben mag.

I.
Erörterung des Begriffes einer Tugendlehre

Der Pflichtbegriff ist an sich schon der Begriff von einer Nötigung (Zwang) der freien Willkür durchs Gesetz; dieser Zwang mag nun ein äußerer oder ein Selbstzwang sein. Der moralische Imperativ verkündigt durch seinen kategorischen Ausspruch (das unbedingte Sollen) diesen Zwang, der also nicht auf vernünftige Wesen überhaupt (deren es etwa auch heilige geben könnte), sondern auf Menschen als vernünftige Naturwesen geht, die dazu unheilig genug sind, daß sie die Lust wohl anwandeln kann das moralische Gesetz, ob sie gleich dessen Ansehen selbst anerkennen, doch zu übertreten und, selbst wenn sie es befolgen, es dennoch ungern (mit Widerstand ihrer Neigung) zu tun, als worin der Zwang eigentlich besteht. Der Mensch aber findet sich doch als moralisches Wesen zugleich (wenn er sich objektiv, wozu er durch seine reine praktische Vernunft bestimmt ist (nach der Menschheit in seiner eigenen Person) betrachtet) heilig genug, um das innere Gesetz ungern zu übertreten; denn es gibt keinen so verruchten Menschen, der bei dieser Übertretung in sich nicht einen Widerstand fühlte und eine Verabscheuung seiner selbst, bei der er sich selbst Zwang antun muß. – Das Phänomen nun: daß der Mensch auf diesem Scheidewege (wo die schöne Fabel den Hercules zwischen Tugend und Wohllust hinstellt) mehr Hang zeigt der Neigung als dem Gesetz Gehör zu geben, zu erklären ist unmöglich: weil wir, was geschieht, nur erklären können, indem wir es von einer Ursache nach Gesetzen der Natur ableiten; wobei wir aber die Willkür nicht als frei denken würden. – Dieser wechselseitig entgegengesetzte Selbstzwang aber und die Unvermeidlichkeit desselben gibt doch die unbegreifliche Eigenschaft der Freiheit selbst zu erkennen. – Da aber der Mensch doch ein freies (moralisches) Wesen ist, so kann der Pflichtbegriff keinen anderen als den Selbstzwang (durch die Vorstellung des Gesetzes allein) enthalten, wenn es auf die innere Willensbestimmung (die Triebfeder) angesehen ist, denn dadurch allein wird es möglich jene Nötigung (selbst wenn sie eine äußere wäre) mit der Freiheit der Willkür zu vereinigen, wobei aber alsdann der Pflichtbegriff ein ethischer sein wird.

Die Antriebe der Natur enthalten also Hindernisse der Pflichtvollziehung im Gemüt des Menschen und (zum Teil mächtig) widerstrebende Kräfte, die also zu bekämpfen und durch die Vernunft nicht erst künftig, sondern gleich jetzt (zugleich mit dem Gedanken) zu besiegen er sich vermögend urteilen muß: nämlich das zu können, was das Gesetz unbedingt befiehlt, daß er tun soll.

Nun ist das Vermögen und der überlegte Vorsatz einem starken, aber ungerechten Gegner Widerstand zu tun die Tapferkeit ( fortitudo) und in Ansehung des Gegners der sittlichen Gesinnung in uns TUGEND ( virtus, fortitudo moralis). Also ist die allgemeine Pflichtenlehre in dem Teil, der nicht die äußere Freiheit, sondern die innere unter Gesetze bringt, eine Tugendlehre.

Die Rechtslehre hatte es bloß mit der formalen Bedingung der äußeren Freiheit (durch die Zusammenstimmung mit sich selbst, wenn ihre Maxime zum allgemeinen Gesetz gemacht wurde), d. i. mit dem RECHT, zu tun. Die Ethik dagegen gibt noch eine Materie (einen Gegenstand der freien Willkür), einen Zweck der reinen Vernunft, der zugleich als objektiv-notwendiger Zweck, d. i. für den Menschen als Pflicht, vorgestellt wird, an die Hand. – Denn da die sinnlichen Neigungen zu Zwecken (als der Materie der Willkür) verleiten, die der Pflicht zuwider sein können, so kann die gesetzgebende Vernunft ihrem Einfluß nicht anders wehren, als wiederum durch einen entgegengesetzten moralischen Zweck, der also von der Neigung unabhängig a priori gegeben sein muß.

Zweck ist ein Gegenstand der Willkür (eines vernünftigen Wesens), durch dessen Vorstellung diese zu einer Handlung diesen Gegenstand hervorzubringen bestimmt wird. – Nun kann ich zwar zu Handlungen, die als Mittel auf einen Zweck gerichtet sind, nie aber einen Zweck zu haben von anderen gezwungen werden, sondern ich kann nur selbst mir etwas zum Zweck machen. – Daß ich aber auch verbunden bin mir irgend etwas, was in den Begriffen der praktischen Vernunft liegt, zum Zwecke zu machen, mithin außer dem formalen Bestimmungsgrunde der Willkür (wie das Recht dergleichen enthält) noch einen materialen, einen Zweck zu haben, der dem Zweck aus sinnlichen Antrieben entgegengesetzt werden könne: dieses würde der Begriff von einem Zweck sein, der an sich selbst Pflicht ist; die Lehre desselben aber würde nicht zu der des Rechts, sondern zur Ethik gehören, als welche allein den Selbstzwang nach (moralischen) Gesetzen in ihrem Begriffe mit sich führt.

Aus diesem Grunde kann die Ethik auch als das System der Zwecke der reinen praktischen Vernunft definiert werden. – Zweck und Pflicht unterscheiden die zwei Abteilungen der allgemeinen Sittenlehre. Daß die Ethik Pflichten enthalte, zu deren Beobachtung man von andern nicht (physisch) gezwungen werden kann, ist bloß die Folge daraus, daß sie eine Lehre der Zwecke ist, weil dazu (sie zu haben) ein Zwang sich selbst widerspricht.

Daß aber die Ethik eine Tugendlehre ( doctrina officiorum virtutis) sei, folgt aus der obigen Erklärung der Tugend, verglichen mit der Verpflichtung, deren Eigentümlichkeit so eben gezeigt worden. – Es gibt nämlich keine andere Bestimmung der Willkür, die durch ihren Begriff schon dazu geeignet wäre, von der Willkür Anderer selbst physisch nicht gezwungen werden zu können, als nur die zu einem Zwecke. Ein Anderer kann mich zwar zwingen etwas zu tun, was nicht mein Zweck (sondern nur Mittel zum Zweck eines Anderen) ist, aber nicht dazu, daß ich es mir zum Zweck mache, und doch kann ich keinen Zweck haben, ohne ihn mir zu machen. Das letztere ist ein Widerspruch mit sich selbst: ein Akt der Freiheit, der doch zugleich nicht frei ist. – Aber sich selbst einen Zweck zu setzen, der zugleich Pflicht ist, ist kein Widerspruch: weil ich da mich selbst zwinge, welches mit der Freiheit gar wohl zusammen besteht. Je weniger der Mensch physisch, je mehr er dagegen moralisch (durch die bloße Vorstellung der Pflicht) kann gezwungen werden, desto freier ist er. – Der so z. B. von genugsam fester Entschließung und starker Seele ist eine Lustbarkeit, die er sich vorgenommen hat, nicht aufzugeben, man mag ihm noch so viel Schaden vorstellen, den er sich dadurch zuzieht, aber auf die Vorstellung, daß er hiebei eine Amtspflicht verabsäume, oder einen kranken Vater vernachlässige, von seinem Vorsatz unbedenklich, obzwar sehr ungern, absteht, beweist eben damit seine Freiheit im höchsten Grade, daß er der Stimme der Pflicht nicht widerstehen kann. – Wie ist aber ein solcher Zweck möglich? das ist jetzt die Frage. Denn die Möglichkeit des Begriffs von einer Sache (daß er sich nicht widerspricht) ist noch nicht hinreichend dazu, um die Möglichkeit der Sache selbst (die objektive Realität des Begriffs) anzunehmen.

II.
Erörterung des Begriffs von einem Zwecke, der zugleich Pflicht ist

Man kann sich das Verhältnis des Zwecks zur Pflicht auf zweierlei Art denken: entweder, von dem Zwecke ausgehend, die Maxime der pflichtmäßigen Handlungen, oder umgekehrt, von dieser anhebend, den Zweck ausfindig zu machen, der zugleich Pflicht ist. – Die Rechtslehre geht auf dem ersten Wege. Es wird jedermanns freier Willkür überlassen, welchen Zweck er sich für seine Handlung setzen wolle. Die Maxime derselben aber ist a priori bestimmt: daß nämlich die Freiheit des Handelnden mit Jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen könne.

Die Ethik aber nimmt einen entgegengesetzten Weg. Sie kann nicht von den Zwecken ausgehen, die der Mensch sich setzen mag, und darnach über seine zu nehmende Maximen, d. i. über seine Pflicht, verfügen; denn das wären empirische Gründe der Maximen, die keinen Pflichtbegriff abgeben, als welcher (das kategorische Sollen) in der reinen Vernunft allein seine Wurzel hat; wie denn auch, wenn die Maximen nach jenen Zwecken (welche alle selbstsüchtig sind) genommen werden sollten, vom Pflichtbegriff eigentlich gar nicht die Rede sein könnte. – Also wird in der Ethik der Pflichtbegriff auf Zwecke leiten und die Maximen in Ansehung der Zwecke, die wir uns setzen sollen, nach moralischen Grundsätzen begründen müssen.

Dahin gestellt: was denn das für ein Zweck sei, der an sich selbst Pflicht ist, und wie ein solcher möglich sei, ist hier nur noch zu zeigen nötig, daß und warum eine Pflicht dieser Art den Namen einer Tugendpflicht führe.

Aller Pflicht korrespondiert ein Recht, als Befugnis ( facultas moralis generatim) betrachtet, aber nicht aller Pflicht korrespondieren Rechte eines Anderen ( facultas iuridica) jemand zu zwingen; sondern diese heißen besonders Rechtspflichten. – Eben so korrespondiert aller ethischen Verbindlichkeit der Tugendbegriff, aber nicht alle ethische Pflichten sind darum Tugendpflichten. Diejenige nämlich sind es nicht, welche nicht sowohl einen gewissen Zweck (Materie, Objekt der Willkür), als bloß das Förmliche der sittlichen Willensbestimmung (z. B. daß die pflichtmäßige Handlung auch aus Pflicht geschehen müsse) betreffen. Nur ein Zweck, der zugleich Pflicht ist, kann TUGENDPFLICHT genannt werden. Daher gibt es mehrere der letztern (auch verschiedene Tugenden); dagegen von der ersteren nur eine, aber für alle Handlungen gültige (tugendhafte Gesinnung) gedacht wird.

Die Tugendpflicht ist von der Rechtspflicht wesentlich darin unterschieden: daß zu dieser ein äußerer Zwang moralisch-möglich ist, jene aber auf dem freien Selbstzwange allein beruht. – Für endliche heilige Wesen (die zur Verletzung der Pflicht gar nicht einmal versucht werden können) gibt es keine Tugendlehre, sondern bloß Sittenlehre, welche letztere eine Autonomie der praktischen Vernunft ist, indessen daß die erstere zugleich eine Autokratie derselben, d. i. ein, wenn gleich nicht unmittelbar wahrgenommenes, doch aus dem sittlichen kategorischen Imperativ richtig geschlossenes Bewußtsein des Vermögens enthält, über seine dem Gesetz widerspenstige Neigungen Meister zu werden: so daß die menschliche Moralität in ihrer höchsten Stufe doch nichts mehr als Tugend sein kann; selbst wenn sie ganz rein (vom Einflusse aller fremdartigen Triebfeder als der der Pflicht völlig frei) wäre, da sie dann gemeiniglich als ein Ideal (dem man stets sich annähern müsse) unter dem Namen des Weisen dichterisch personifiziert wird.

Tugend ist aber auch nicht bloß als Fertigkeit und (wie die Preisschrift des Hofpred. Cochius sich ausdrückt) für eine lange, durch Übung erworbene Gewohnheit moralisch-guter Handlungen zu erklären und zu würdigen. Denn wenn diese nicht eine Wirkung überlegter, fester und immer mehr geläuterter Grundsätze ist, so ist sie wie ein jeder andere Mechanism aus technisch-praktischer Vernunft weder auf alle Fälle gerüstet, noch vor der Veränderung, die neue Anlockungen bewirken können, hinreichend gesichert.

Anmerkung

Der Tugend = + a ist die negative Untugend (moralische Schwäche) = 0 als logisches Gegenteil ( contradictorie oppositum), das Laster aber = – a als Widerspiel ( contrarie s. realiter oppositum) entgegen gesetzt, und es ist eine nicht bloß unnötige, sondern auch anstößige Frage: ob zu großen Verbrechen nicht etwa mehr Stärke der Seele als selbst zu großen Tugenden gehöre. Denn unter Stärke der Seele verstehen wir die Stärke des Vorsatzes eines Menschen, als mit Freiheit begabten Wesens, mithin so fern er seiner selbst mächtig (bei Sinnen) ist, also im gesunden Zustande des Menschen. Große Verbrechen aber sind Paroxysmen, deren Anblick den an Seele gesunden Menschen schaudern macht. Die Frage würde also etwa dahin auslaufen: ob ein Mensch im Anfall einer Raserei mehr physische Stärke haben könne, als wenn er bei Sinnen ist; welches man einräumen kann, ohne ihm darum mehr Seelenstärke beizulegen, wenn man unter Seele das Lebensprinzip des Menschen im freien Gebrauch seiner Kräfte versteht. Denn weil jene bloß in der Macht der die Vernunft schwächenden Neigungen ihren Grund haben, welches keine Seelenstärke beweiset, so würde diese Frage mit der ziemlich auf einerlei hinauslaufen: ob ein Mensch im Anfall einer Krankheit mehr Stärke als im gesunden Zustande beweisen könne, welche geradezu verneinend beantwortet werden kann, weil der Mangel der Gesundheit, die im Gleichgewicht aller körperlichen Kräfte des Menschen besteht, eine Schwächung im System dieser Kräfte ist, nach welchem man allein die absolute Gesundheit beurteilen kann.

III.
Von dem Grunde sich einen Zweck, der zugleich Pflicht ist, zu denken

Zweck ist ein Gegenstand der freien Willkür, dessen Vorstellung diese zu einer Handlung bestimmt (wodurch jener hervorgebracht wird). Eine jede Handlung hat also ihren Zweck, und da niemand einen Zweck haben kann, ohne sich den Gegenstand seiner Willkür selbst zum Zweck zu machen, so ist es ein Akt der Freiheit des handelnden Subjekts, nicht eine Wirkung der Natur irgend einen Zweck der Handlungen zu haben. Weil aber dieser Akt, der einen Zweck bestimmt, ein praktisches Prinzip ist, welches nicht die Mittel (mithin nicht bedingt), sondern den Zweck selbst (folglich unbedingt) gebietet, so ist es ein kategorischer Imperativ der reinen praktischen Vernunft, mithin ein solcher, der einen Pflichtbegriff mit dem eines Zwecks überhaupt verbindet.

Es muß nun einen solchen Zweck und einen ihm korrespondierenden kategorischen Imperativ geben. Denn da es freie Handlungen gibt, so muß es auch Zwecke geben, auf welche als Objekt jene gerichtet sind. Unter diesen Zwecken aber muß es auch einige geben, die zugleich (d. i. ihrem Begriffe nach) Pflichten sind. – Denn gäbe es keine dergleichen, so würden, weil doch keine Handlung zwecklos sein kann, alle Zwecke für die praktische Vernunft immer nur als Mittel zu andern Zwecken gelten, und ein kategorischer Imperativ wäre unmöglich; welches alle Sittenlehre aufhebt.

Hier ist also nicht von Zwecken, die der Mensch sich nach sinnlichen Antrieben seiner Natur macht, sondern von Gegenständen der freien Willkür unter ihren Gesetzen die Rede, welche er sich zum Zweck machen soll. Man kann jene die technische (subjektive), eigentlich pragmatische, die Regel der Klugheit in der Wahl seiner Zwecke enthaltende: diese aber muß man die moralische (objektive) Zwecklehre nennen; welche Unterscheidung hier doch überflüssig ist, weil die Sittenlehre sich schon durch ihren Begriff von der Naturlehre (hier der Anthropologie) deutlich absondert, als welche letztere auf empirischen Prinzipien beruht, dagegen die moralische Zwecklehre, die von Pflichten handelt, auf a priori in der reinen praktischen Vernunft gegebenen Prinzipien beruht.

IV.
Welche sind die Zwecke, die zugleich Pflichten sind?

Sie sind: Eigene Vollkommenheit – fremde Glückseligkeit.

Man kann diese nicht gegen einander umtauschen und eigene Glückseligkeit einerseits mit fremder Vollkommenheit andererseits zu Zwecken machen, die an sich selbst Pflichten derselben Person wären.

Denn eigene Glückseligkeit ist ein Zweck, den zwar alle Menschen (vermöge des Antriebes ihrer Natur) haben, nie aber kann dieser Zweck als Pflicht angesehen werden, ohne sich selbst zu widersprechen. Was ein jeder unvermeidlich schon von selbst will, das gehört nicht unter den Begriff von Pflicht; denn diese ist eine Nötigung zu einem ungern genommenen Zweck. Es widerspricht sich also zu sagen: man sei verpflichtet seine eigene Glückseligkeit mit allen Kräften zu befördern.

Eben so ist es ein Widerspruch: eines anderen Vollkommenheit mir zum Zweck zu machen und mich zu deren Beförderung für verpflichtet zu halten. Denn darin besteht eben die Vollkommenheit eines andern Menschen, als einer Person, daß er selbst vermögend ist sich seinen Zweck nach seinen eigenen Begriffen von Pflicht zu setzen, und es widerspricht sich, zu fordern (mir zur Pflicht zu machen), daß ich etwas tun soll, was kein anderer als er selbst tun kann.

V.
Erläuterung dieser zwei Begriffe

A.
Eigene Vollkommenheit

Das Wort Vollkommenheit ist mancher Mißdeutung ausgesetzt. Es wird bisweilen als ein zur Transszendentalphilosophie gehörender Begriff der Allheit des Mannigfaltigen, was zusammengenommen ein Ding ausmacht, – dann aber auch, als zur Teleologie gehörend, so verstanden, daß es die Zusammenstimmung der Beschaffenheiten eines Dinges zu einem Zwecke bedeutet. Man könnte die Vollkommenheit in der ersteren Bedeutung die quantitative (materiale), in der zweiten die qualitative (formale) Vollkommenheit nennen. Jene kann nur eine sein (denn das All des einem Dinge Zugehörigen ist Eins). Von dieser aber kann es in einem Dinge mehrere geben; und von der letzteren wird hier auch eigentlich gehandelt.

Wenn von der dem Menschen überhaupt (eigentlich der Menschheit) zugehörigen Vollkommenheit gesagt wird: daß, sie sich zum Zweck zu machen, an sich selbst Pflicht sei, so muß sie in demjenigen gesetzt werden, was Wirkung von seiner Tat sein kann, nicht was bloß Geschenk ist, das er der Natur verdanken muß; denn sonst wäre sie nicht Pflicht. Sie kann also nichts anders sein als Kultur seines Vermögens (oder der Naturanlage), in welchem der Verstand als Vermögen der Begriffe, mithin auch deren, die auf Pflicht gehen, das oberste ist, zugleich aber auch seines Willens (sittlicher Denkungsart) aller Pflicht überhaupt ein Gnüge zu tun. 1. Es ist ihm Pflicht: sich aus der Rohigkeit seiner Natur, aus der Tierheit ( quoad actum), immer mehr zur Menschheit, durch die er allein fähig ist sich Zwecke zu setzen, empor zu arbeiten: seine Unwissenheit durch Belehrung zu ergänzen und seine Irrtümer zu verbessern, und dieses ist ihm nicht bloß die technisch-praktische Vernunft zu seinen anderweitigen Absichten (der Kunst) anrätig, sondern die moralisch-praktische gebietet es ihm schlechthin und macht diesen Zweck ihm zur Pflicht, um der Menschheit, die in ihm wohnt, würdig zu sein. 2. Die Kultur seines Willens bis zur reinsten Tugendgesinnung, da nämlich das Gesetz zugleich die Triebfeder seiner pflichtmäßigen Handlungen wird, zu erheben und ihm aus Pflicht zu gehorchen, welches innere moralisch-praktische Vollkommenheit ist, die, weil es ein Gefühl der Wirkung ist, welche der in ihm selbst gesetzgebende Wille auf das Vermögen ausübt darnach zu handeln, das moralische Gefühl, gleichsam ein besonderer Sinn ( sensus moralis), ist, der zwar freilich oft schwärmerisch, als ob er (gleich dem Genius des Sokrates) vor der Vernunft vorhergehe, oder auch ihr Urteil gar entbehren könne, mißbraucht wird, doch aber eine sittliche Vollkommenheit ist, jeden besonderen Zweck, der zugleich Pflicht ist, sich zum Gegenstande zu machen.

B.
Fremde Glückseligkeit

Glückseligkeit, d. i. Zufriedenheit mit seinem Zustande, so fern man der Fortdauer derselben gewiß ist, sich zu wünschen und zu suchen ist der menschlichen Natur unvermeidlich; eben darum aber auch nicht ein Zweck, der zugleich Pflicht ist. – Da einige noch einen Unterschied zwischen einer moralischen und physischen Glückseligkeit machen (deren erstere in der Zufriedenheit mit seiner Person und ihrem eigenen sittlichen Verhalten, also mit dem, was man tut, die andere mit dem, was die Natur beschert, mithin was man als fremde Gabe genießt, bestehe): so muß man bemerken, daß, ohne den Mißbrauch des Worts hier zu rügen (das schon einen Widerspruch in sich enthält), die erstere Art zu empfinden allein zum vorigen Titel, nämlich dem der Vollkommenheit, gehöre, – Denn der, welcher sich im bloßen Bewußtsein seiner Rechtschaffenheit glücklich fühlen soll, besitzt schon diejenige Vollkommenheit, die im vorigen Titel für denjenigen Zweck erklärt war, der zugleich Pflicht ist.

Wenn es also auf Glückseligkeit ankommt, worauf als meinen Zweck hinzuwirken es Pflicht sein soll, so muß es die Glückseligkeit anderer Menschen sein, deren (erlaubten) Zweck ich hiemit auch zu dem meinigen mache. Was diese zu ihrer Glückseligkeit zählen mögen, bleibt ihnen selbst zu beurteilen überlassen; nur daß mir auch zusteht manches zu weigern, was sie dazu rechnen, was ich aber nicht dafür halte, wenn sie sonst kein Recht haben es als das Ihrige von mir zu fordern. Jenem Zweck aber eine vorgebliche Verbindlichkeit entgegen zu setzen, meine eigene (physische) Glückseligkeit auch besorgen zu müssen, und so diesen meinen natürlichen und bloß subjektiven Zweck zur Pflicht (objektiven Zweck) machen, ist ein scheinbarer, mehrmals gebrauchter Einwurf gegen die obige Einteilung der Pflichten (Nr. IV) und bedarf einer Zurechtweisung.

Widerwärtigkeiten, Schmerz und Mangel sind große Versuchungen zu Übertretung seiner Pflicht. Wohlhabenheit, Stärke, Gesundheit und Wohlfahrt überhaupt, die jenem Einflusse entgegen stehen, können also auch, wie es scheint, als Zwecke angesehen werden, die zugleich Pflicht sind; nämlich seine eigene Glückseligkeit zu befördern und sie nicht bloß auf fremde zu richten. – Aber alsdann ist diese nicht der Zweck, sondern die Sittlichkeit des Subjekts ist es, von welchem die Hindernisse wegzuräumen, es bloß das erlaubte Mittel ist; da niemand anders ein Recht hat von mir Aufopferung meiner nicht unmoralischen Zwecke zu fordern. Wohlhabenheit für sich selbst zu suchen ist direkt nicht Pflicht; aber indirekt kann es eine solche wohl sein: nämlich Armut, als eine große Versuchung zu Lastern, abzuwehren. Alsdann aber ist es nicht meine Glückseligkeit, sondern meine Sittlichkeit, deren Integrität zu erhalten mein Zweck und zugleich meine Pflicht ist.

VI.
Die Ethik gibt nicht Gesetze für die Handlungen (denn das tut das ius), sondern nur für die Maximen der Handlungen

Der Pflichtbegriff steht unmittelbar in Beziehung auf ein Gesetz (wenn ich gleich noch von allem Zweck als der Materie desselben abstrahiere); wie denn das formale Prinzip der Pflicht im kategorischen Imperativ: »Handle so, daß die Maxime deiner Handlung ein allgemeines Gesetz werden könne« es schon anzeigt; nur daß in der Ethik dieses als das Gesetz deines eigenen Willens gedacht wird, nicht des Willens überhaupt, der auch der Wille Anderer sein könnte: wo es alsdann eine Rechtspflicht abgeben würde, die nicht in das Feld der Ethik gehört. – Die Maximen werden hier als solche subjektive Grundsätze angesehen, die sich zu einer allgemeinen Gesetzgebung bloß qualifizieren; welches nur ein negatives Prinzip (einem Gesetz überhaupt nicht zu widerstreiten) ist. – Wie kann es aber dann noch ein Gesetz für die Maxime der Handlungen geben?

Der Begriff eines Zwecks, der zugleich Pflicht ist, welcher der Ethik eigentümlich zugehört, ist es allein, der ein Gesetz für die Maximen der Handlungen begründet, indem der subjektive Zweck (den jedermann hat) dem objektiven (den sich jedermann dazu machen soll) untergeordnet wird. Der Imperativ: »Du sollst dir Dieses oder Jenes (z. B. die Glückseligkeit Anderer) zum Zweck machen« geht auf die Materie der Willkür (ein Objekt). Da nun keine freie Handlung möglich ist, ohne daß der Handelnde hiebei zugleich einen Zweck (als Materie der Willkür) beabsichtigte, so muß, wenn es einen Zweck gibt, der zugleich Pflicht ist, die Maxime der Handlungen als Mittel zu Zwecken nur die Bedingung der Qualifikation zu einer möglichen allgemeinen Gesetzgebung enthalten; wogegen der Zweck, der zugleich Pflicht ist, es zu einem Gesetz machen kann eine solche Maxime zu haben, indessen daß für die Maxime selbst die bloße Möglichkeit zu einer allgemeinen Gesetzgebung zusammen zu stimmen schon genug ist.

Denn Maximen der Handlungen können willkürlich sein und stehen nur unter der einschränkenden Bedingung der Habilität zu einer allgemeinen Gesetzgebung, als formalem Prinzip der Handlungen. Ein Gesetz aber hebt das Willkürliche der Handlungen auf und ist darin von aller Anpreisung (da bloß die schicklichsten Mittel zu einem Zwecke zu wissen verlangt werden) unterschieden.

VII.
Die ethischen Pflichten sind von weiter, dagegen die Rechtspflichten von enger Verbindlichkeit

Dieser Satz ist eine Folge aus dem vorigen; denn wenn das Gesetz nur die Maxime der Handlungen, nicht die Handlungen selbst gebieten kann, so ists ein Zeichen, daß es der Befolgung (Observanz) einen Spielraum ( latitudo) für die freie Willkür überlasse, d. i. nicht bestimmt angeben könne, wie und wie viel durch die Handlung zu dem Zweck, der zugleich Pflicht ist, gewirkt werden solle. – Es wird aber unter einer weiten Pflicht nicht eine Erlaubnis zu Ausnahmen von der Maxime der Handlungen, sondern nur die der Einschränkung einer Pflichtmaxime durch die andere (z. B. die allgemeine Nächstenliebe durch die Elternliebe) verstanden, wodurch in der Tat das Feld für die Tugendpraxis erweitert wird. – Je weiter die Pflicht, je unvollkommener also die Verbindlichkeit des Menschen zur Handlung ist, je näher er gleichwohl die Maxime der Observanz derselben (in seiner Gesinnung) der engen Pflicht (des Rechts) bringt, desto vollkommener ist seine Tugendhandlung.

Die unvollkommenen Pflichten sind also allein Tugendpflichten. Die Erfüllung derselben ist Verdienst ( meritum) = + a: ihre Übertretung aber ist nicht sofort Verschuldung ( demeritum) = – a, sondern bloß moralischer Unwert = o, außer wenn es dem Subjekt Grundsatz wäre, sich jenen Pflichten nicht zu fügen. Die Stärke des Vorsatzes im ersteren heißt eigentlich allein Tugend ( virtus), die Schwäche in der zweiten nicht sowohl Laster ( vitium) als vielmehr bloß Untugend, Mangel an moralischer Stärke ( defectus moralis). (Wie das Wort Tugend von taugen, so stammt Untugend von zu nichts taugen.) Eine jede pflichtwidrige Handlung heißt Übertretung ( peccatum). Die vorsetzliche aber, die zum Grundsatz geworden ist, macht eigentlich das aus, was man Laster ( vitium) nennt.

Obzwar die Angemessenheit der Handlungen zum Rechte (ein rechtlicher Mensch zu sein) nichts Verdienstliches ist, so ist doch die der Maxime solcher Handlungen, als Pflichten, d. i. die Achtung fürs Recht, verdienstlich. Denn der Mensch macht sich dadurch das Recht der Menschheit, oder auch der Menschen zum Zweck und erweitert dadurch seinen Pflichtbegriff über den der Schuldigkeit ( officium debiti): weil ein Anderer aus seinem Rechte wohl Handlungen nach dem Gesetz, aber nicht daß dieses auch zugleich die Triebfeder zu denselben enthalte, von mir fordern kann. Eben dieselbe Bewandtnis hat es auch mit dem allgemeinen ethischen Gebote: »Handle pflichtmäßig aus Pflicht.« Diese Gesinnung in sich zu gründen und zu beleben ist so wie die vorige verdienstlich: weil sie über das Pflichtgesetz der Handlungen hinaus geht und das Gesetz an sich zugleich zur Triebfeder macht.

Aber eben darum müssen auch diese Pflichten zur weiten Verbindlichkeit gezählt werden, in Ansehung deren ein subjektives Prinzip ihrer ethischen Belohnung (und zwar um sie dem Begriffe einer engen Verbindlichkeit so nahe als möglich zu bringen), d. i. der Empfänglichkeit derselben nach dem Tugendgesetze, statt findet, nämlich einer moralischen Lust, die über die bloße Zufriedenheit mit sich selbst (die bloß negativ sein kann) hinaus geht und von der man rühmt, daß die Tugend in diesem Bewußtsein ihr eigner Lohn sei.

Wenn dieses Verdienst ein Verdienst des Menschen um andere Menschen ist, ihren natürlichen und von allen Menschen dafür anerkannten Zweck zu befördern (ihre Glückseligkeit zu der seinigen zu machen), so könnte man dies das süße Verdienst nennen, dessen Bewußtsein einen moralischen Genuß verschafft, in welchem Menschen durch Mitfreude zu schwelgen geneigt sind; indessen daß das sauere Verdienst, anderer Menschen wahres Wohl, auch wenn sie es für ein solches nicht erkennten, (an Unerkenntlichen, Undankbaren) doch zu befördern, eine solche Rückwirkung gemeiniglich nicht hat, sondern nur Zufriedenheit mit sich selbst bewirkt, obzwar es in letzterem Falle noch größer sein würde.

VIII.
Exposition der Tugendpflichten als weiter Pflichten

1. Eigene Vollkommenheit als Zweck, der zugleich Pflicht ist

a) Physische, d. i. Kultur aller Vermögen überhaupt zu Beförderung der durch die Vernunft vorgelegten Zwecke. Daß dieses Pflicht, mithin an sich selbst Zweck sei, und jener Bearbeitung auch ohne Rücksicht auf den Vorteil, den sie uns gewährt, nicht ein bedingter (pragmatischer), sondern unbedingter (moralischer) Imperativ zum Grunde liege, ist hieraus zu ersehen. Das Vermögen sich überhaupt irgend einen Zweck zu setzen ist das Charakteristische der Menschheit (zum Unterschiede von der Tierheit). Mit dem Zwecke der Menschheit in unserer eigenen Person ist also auch der Vernunftwille, mithin die Pflicht verbunden, sich um die Menschheit durch Kultur überhaupt verdient zu machen, sich das Vermögen zu Ausführung allerlei möglichen Zwecke, so fern dieses in dem Menschen selbst anzutreffen ist, zu verschaffen oder es zu fördern, d. i. eine Pflicht zur Kultur der rohen Anlagen seiner Natur, als wodurch das Tier sich allererst zum Menschen erhebt: mithin Pflicht an sich selbst.

Allein diese Pflicht ist bloß ethisch, d. i. von weiter Verbindlichkeit. Wie weit man in Bearbeitung (Erweiterung oder Berichtigung seines Verstandesvermögens, d. i. in Kenntnissen oder in Kunstfähigkeit) gehen solle, schreibt kein Vernunftprinzip bestimmt vor; auch macht die Verschiedenheit der Lagen, worin Menschen kommen können, die Wahl der Art der Beschäftigung, dazu er sein Talent anbauen soll, sehr willkürlich. – Es ist also hier kein Gesetz der Vernunft für die Handlungen, sondern bloß für die Maxime der Handlungen, welche so lautet: »Baue deine Gemüts- und Leibeskräfte zur Tauglichkeit für alle Zwecke an, die dir aufstoßen können«, ungewiß welche davon einmal die deinigen werden könnten.

b) Kultur der Moralität in uns. Die größte moralische Vollkommenheit des Menschen ist: seine Pflicht zu tun und zwar aus Pflicht (daß das Gesetz nicht bloß die Regel, sondern auch die Triebfeder der Handlungen sei). – Nun scheint dieses zwar beim ersten Anblick eine enge Verbindlichkeit zu sein und das Pflichtprinzip zu jeder Handlung nicht bloß die Legalität, sondern auch die Moralität, d. i. Gesinnung, mit der Pünktlichkeit und Strenge eines Gesetzes zu gebieten; aber in der Tat gebietet das Gesetz auch hier nur die Maxime der Handlung, nämlich den Grund der Verpflichtung nicht in den sinnlichen Antrieben (Vorteil oder Nachteil), sondern ganz und gar im Gesetz zu suchen – mithin nicht die Handlung selbst. – Denn es ist dem Menschen nicht möglich so in die Tiefe seines eigenen Herzens einzuschauen, daß er jemals von der Reinigkeit seiner moralischen Absicht und der Lauterkeit seiner Gesinnung auch nur in einer Handlung völlig gewiß sein könnte; wenn er gleich über die Legalität derselben gar nicht zweifelhaft ist. Vielmals wird Schwäche, welche das Wagstück eines Verbrechens abrät, von demselben Menschen für Tugend (die den Begriff von Stärke gibt) gehalten, und wie viele mögen ein langes schuldloses Leben geführt haben, die nur Glückliche sind, so vielen Versuchungen entgangen zu sein; wie viel reiner moralischer Gehalt bei jeder Tat in der Gesinnung gelegen habe, das bleibt ihnen selbst verborgen.

Also ist auch diese Pflicht, den Wert seiner Handlungen nicht bloß nach der Legalität, sondern auch der Moralität (Gesinnung) zu schätzen, nur von weiter Verbindlichkeit, das Gesetz gebietet nicht diese innere Handlung im menschlichen Gemüt selbst, sondern bloß die Maxime der Handlung, darauf nach allem Vermögen auszugehen: daß zu allen pflichtmäßigen Handlungen der Gedanke der Pflicht für sich selbst hinreichende Triebfeder sei.

2. Fremde Glückseligkeit als Zweck, der zugleich Pflicht ist

a) Physische Wohlfahrt. Das Wohlwollen kann unbegränzt sein; denn es darf hiebei nichts getan werden. Aber mit dem Wohltun, vornehmlich wenn es nicht aus Zuneigung (Liebe) zu Anderen, sondern aus Pflicht, mit Aufopferung und Kränkung mancher Konkupiszenz geschehen soll, geht es schwieriger zu. – Daß diese Wohltätigkeit Pflicht sei, ergibt sich daraus: daß, weil unsere Selbstliebe von dem Bedürfnis von Anderen auch geliebt (in Notfällen geholfen) zu werden nicht getrennt werden kann, wir also uns zum Zweck für Andere machen und diese Maxime niemals anders als bloß durch ihre Qualifikation zu einem allgemeinen Gesetz, folglich durch einen Willen Andere auch für uns zu Zwecken zu machen verbinden kann, fremde Glückseligkeit ein Zweck sei, der zugleich Pflicht ist.

Allein ich soll mit einem Teil meiner Wohlfahrt ein Opfer an Andere ohne Hoffnung der Wiedervergeltung machen, weil es Pflicht ist, und nun ist unmöglich bestimmte Grenzen anzugeben: wie weit das gehen könne. Es kommt sehr darauf an, was für jeden nach seiner Empfindungsart wahres Bedürfnis sein werde, welches zu bestimmen jedem selbst überlassen bleiben muß. Denn mit Aufopferung seiner eigenen Glückseligkeit (seiner wahren Bedürfnisse) Anderer ihre zu befördern, würde eine an sich selbst widerstreitende Maxime sein, wenn man sie zum allgemeinen Gesetz machte. Also ist diese Pflicht nur eine weite; sie hat einen Spielraum, mehr oder weniger hierin zu tun, ohne daß sich die Grenzen davon bestimmt angeben lassen. – Das Gesetz gilt nur für die Maximen, nicht für bestimmte Handlungen.

b) Moralisches Wohlsein Anderer ( salubritas moralis) gehört auch zu der Glückseligkeit Anderer, die zu befördern für uns Pflicht, aber nur negative Pflicht ist. Der Schmerz, den ein Mensch von Gewissensbissen fühlt, obzwar sein Ursprung moralisch ist, ist doch der Wirkung nach physisch, wie der Gram, die Furcht und jeder andere krankhafte Zustand. Zu verhüten, daß jenen dieser innere Vorwurf nicht verdienterweise treffe, ist nun zwar eben nicht meine Pflicht, sondern seine Sache; wohl aber nichts zu tun, was nach der Natur des Menschen Verleitung sein könnte zu dem, worüber ihn sein Gewissen nachher peinigen kann, welches man Skandal nennt. – Aber es sind keine bestimmte Grenzen, innerhalb welchen sich diese Sorgfalt für die moralische Zufriedenheit Anderer halten ließe; daher ruht auf ihr nur eine weite Verbindlichkeit.

IX.
Was ist Tugendpflicht?

Tugend ist die Stärke der Maxime des Menschen in Befolgung seiner Pflicht. – Alle Stärke wird nur durch Hindernisse erkannt, die sie überwältigen kann; bei der Tugend aber sind diese die Naturneigungen, welche mit dem sittlichen Vorsatz in Streit kommen können, und da der Mensch es selbst ist, der seinen Maximen diese Hindernisse in den Weg legt, so ist die Tugend nicht bloß ein Selbstzwang (denn da könnte eine Naturneigung die andere zu bezwingen trachten), sondern auch ein Zwang nach einem Prinzip der innern Freiheit, mithin durch die bloße Vorstellung seiner Pflicht nach dem formalen Gesetz derselben.

Alle Pflichten enthalten einen Begriff der Nötigung durch das Gesetz; die ethische eine solche, wozu nur eine innere, die Rechtspflichten dagegen eine solche Nötigung, wozu auch eine äußere Gesetzgebung möglich ist; beide also eines Zwanges, er mag nun Selbstzwang oder Zwang durch einen Andern sein: da dann das moralische Vermögen des ersteren Tugend und die aus einer solchen Gesinnung (der Achtung fürs Gesetz) entspringende Handlung Tugendhandlung (ethisch) genannt werden kann, obgleich das Gesetz eine Rechtspflicht aussagt. Denn es ist die Tugendlehre, welche gebietet das Recht der Menschen heilig zu halten.

Aber was zu tun Tugend ist, das ist darum noch nicht sofort eigentliche Tugendpflicht. Jenes kann bloß das Formale der Maximen betreffen, diese aber geht auf die Materie derselben, nämlich auf einen Zweck, der zugleich als Pflicht gedacht wird. – Da aber die ethische Verbindlichkeit zu Zwecken, deren es mehrere geben kann, nur eine weite ist, weil sie da bloß ein Gesetz für die Maxime der Handlungen enthält und der Zweck die Materie (Objekt) der Willkür ist, so gibt es viele nach Verschiedenheit des gesetzlichen Zwecks verschiedene Pflichten, welche Tugendpflichten ( officia honestatis) genannt werden; eben darum weil sie bloß dem freien Selbstzwange, nicht dem anderer Menschen unterworfen sind und die den Zweck bestimmen, der zugleich Pflicht ist.

Die Tugend, als die in der festen Gesinnung gegründete Übereinstimmung des Willens mit jeder Pflicht, ist wie alles Formale bloß eine und dieselbe. Aber in Ansehung des Zwecks der Handlungen, der zugleich Pflicht ist, d. i. desjenigen (des Materiale), was man sich zum Zwecke, machen soll, kann es mehr Tugenden geben, und die Verbindlichkeit zu der Maxime desselben heißt Tugendpflicht, deren es also viele gibt.

Das oberste Prinzip der Tugendlehre ist: handle nach einer Maxime der Zwecke, die zu haben für jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann. – Nach diesem Prinzip ist der Mensch sowohl sich selbst als Andern Zweck, und es ist nicht genug, daß er weder sich selbst noch Andere bloß als Mittel zu brauchen befugt ist (dabei er doch gegen sie auch indifferent sein kann), sondern den Menschen überhaupt sich zum Zwecke zu machen ist an sich selbst des Menschen Pflicht.

Dieser Grundsatz der Tugendlehre verstattet, als ein kategorischer Imperativ, keinen Beweis, aber wohl eine Deduktion aus der reinen praktischen Vernunft. – Was im Verhältnis der Menschen zu sich selbst und Anderen Zweck sein kann, das ist Zweck vor der reinen praktischen Vernunft; denn sie ist ein Vermögen der Zwecke überhaupt, in Ansehung derselben indifferent sein, d. i. kein Interesse daran zu nehmen, ist also ein Widerspruch: weil sie alsdann auch nicht die Maximen zu Handlungen (als welche letztere jederzeit einen Zweck enthalten) bestimmen, mithin keine praktische Vernunft sein würde. Die reine Vernunft aber kann a priori keine Zwecke gebieten, als nur so fern sie solche zugleich als Pflicht ankündigt; welche Pflicht alsdann Tugendpflicht heißt.

X.
Das oberste Prinzip der Rechtslehre war analytisch; das der Tugendlehre ist synthetisch

Daß der äußere Zwang, so fern dieser ein dem Hindernisse der nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmenden äußeren Freiheit entgegengesetzter Widerstand (ein Hindernis des Hindernisses derselben) ist, mit Zwecken überhaupt zusammen bestehen könne, ist nach dem Satz des Widerspruchs klar, und ich darf nicht über den Begriff der Freiheit hinausgehen, um ihn einzusehen; der Zweck, den ein jeder hat, mag sein, welcher er wolle. – Also ist das oberste Rechtsprinzip ein analytischer Satz.

Dagegen geht das Prinzip der Tugendlehre über den Begriff der äußern Freiheit hinaus und verknüpft nach allgemeinen Gesetzen mit demselben noch einen Zweck, den es zur Pflicht macht. Dieses Prinzip ist also synthetisch. – Die Möglichkeit desselben ist in der Deduktion (Kap. IX) enthalten.

Diese Erweiterung des Pflichtbegriffs über den der äußeren Freiheit und der Einschränkung derselben durch das bloße Förmliche ihrer durchgängigen Zusammenstimmung, wo die innere Freiheit statt des Zwanges von außen, das Vermögen des Selbstzwanges und zwar nicht vermittelst anderer Neigungen, sondern durch reine praktische Vernunft (welche alle diese Vermittelung verschmäht), aufgestellt wird, besteht darin und erhebt sich dadurch über die Rechtspflicht: daß durch sie Zwecke aufgestellt werden, von denen überhaupt das Recht abstrahiert. – Im moralischen Imperativ und der notwendigen Voraussetzung der Freiheit zum Behuf desselben machen das Gesetz, das Vermögen (es zu erfüllen) und der die Maxime bestimmende Wille alle Elemente aus, welche den Begriff der Rechtspflicht bilden. Aber in demjenigen, welcher die Tugendpflicht gebietet, kommt noch über den Begriff eines Selbstzwanges der eines Zwecks dazu, nicht den wir haben, sondern haben sollen, den also die reine praktische Vernunft in sich hat, deren höchster, unbedingter Zweck (der aber doch immer noch Pflicht ist) darin gesetzt wird: daß die Tugend ihr eigener Zweck und bei dem Verdienst, das sie um den Menschen bat, auch ihr eigener Lohn sei [wobei sie als Ideal so glänzt, daß sie nach menschlichem Augenmaß die Heiligkeit selbst, die zur Übertretung nie versucht wird, zu verdunkeln scheint Der Mensch mit seinen Mängeln
Ist besser als das Heer von willenlosen Engeln.
Haller.
; welches gleichwohl eine Täuschung ist, da, weil wir kein Maß für den Grad einer Stärke, als die Größe der Hindernisse haben, die da haben überwunden werden können (welche in uns die Neigungen sind), wir die subjektive Bedingungen der Schätzung einer Größe für die objektive der Größe an sich selbst zu halten verleitet werden]. Aber mit menschlichen Zwecken, die insgesamt ihre zu bekämpfende Hindernisse haben, verglichen, hat es seine Richtigkeit, daß der Wert der Tugend selbst, als ihres eigenen Zwecks, den Wert alles Nutzens und aller empirischen Zwecke und Vorteile weit überwiege, die sie zu ihrer Folge immerhin haben mag.

Man kann auch gar wohl sagen: der Mensch sei zur Tugend (als einer moralischen Stärke) verbunden. Denn obgleich das Vermögen ( facultas) der Überwindung aller sinnlich entgegenwirkenden Antriebe seiner Freiheit halber schlechthin vorausgesetzt werden kann und muß: so ist doch dieses Vermögen als Stärke ( robur) etwas, was erworben werden muß, dadurch daß die moralische Triebfeder (die Vorstellung des Gesetzes) durch Betrachtung ( contemplatione) der Würde des reinen Vernunftgesetzes in uns, zugleich aber auch durch Übung ( exercitio) erhoben wird.

XI.
Das Schema der Tugendpflichten kann obigen Grundsätzen gemäß auf folgende Art verzeichnet werden:

Anfangsgründe der Tugendlehre

XI

Das Schema der Tugendpflichten kann obigen Grundsätzen gemäß auf folgende Art verzeichnet werden:

Das Materiale der Tugendpflicht
Innere Tugendpflicht
1.
Eigener Zweck,
der mir zugleich Pflicht ist.
2.
Zweck Anderer,
dessen Beförderung mir zugleich Pflicht ist.
   
(Meine eigene Vollkommenheit.) (Die Glückseligkeit Anderer.)
   
3.
Das Gesetz,
welches zugleich Triebfeder ist.
4.
Der Zweck,
der zugleich Triebfeder ist.
Worauf die Moralität    –    Worauf die Legalität
aller freien Willensbestimmung beruht.
Äußere Tugendpflicht
Das formale der Tugendpflicht

XII.
Ästhetische Vorbegriffe der Empfänglichkeit des Gemüts für Pflichtbegriffe überhaupt

Es sind solche moralische Beschaffenheiten, die, wenn man sie nicht besitzt, es auch keine Pflicht geben kann sich in ihren Besitz zu setzen. – Sie sind das moralische Gefühl, das Gewissen, die Liebe des Nächsten und die Achtung für sich selbst ( Selbstschätzung), welche zu haben es keine Verbindlichkeit gibt: weil sie als subjektive Bedingungen der Empfänglichkeit für den Pflichtbegriff, nicht als objektive Bedingungen der Moralität zum Grunde liegen. Sie sind insgesamt ästhetisch und vorhergehende, aber natürliche Gemütsanlagen ( praedispositio) durch Pflichtbegriffe affiziert zu werden; welche Anlagen zu haben nicht als Pflicht angesehen werden kann, sondern die jeder Mensch hat und kraft deren er verpflichtet werden kann. – Das Bewußtsein derselben ist nicht empirischen Ursprungs, sondern kann nur auf das eines moralischen Gesetzes, als Wirkung desselben aufs Gemüt, folgen.

a.
Das moralische Gefühl

Dieses ist die Empfänglichkeit für Lust oder Unlust bloß aus dem Bewußtsein der Übereinstimmung oder des Widerstreits unserer Handlung mit dem Pflichtgesetze. Alle Bestimmung der Willkür aber geht von der Vorstellung der möglichen Handlung durch das Gefühl der Lust oder Unlust, an ihr oder ihrer Wirkung ein Interesse zu nehmen, zur Tat; wo der ästhetische Zustand (der Affizierung des inneren Sinnes) nun entweder ein pathologisches oder moralisches Gefühl ist. – Das erstere ist dasjenige Gefühl, welches vor der Vorstellung des Gesetzes vorhergeht, das letztere das, was nur auf diese folgen kann.

Nun kann es keine Pflicht geben ein moralisches Gefühl zu haben, oder sich ein solches zu erwerben; denn alles

c.
Von der Menschenliebe

Liebe ist eine Sache der Empfindung, nicht des Wollens, und ich kann nicht lieben, weil ich will, noch weniger aber weil ich soll (zur Liebe genötigt werden); mithin ist eine Pflicht zu lieben ein Unding. Wohlwollen ( amor benevolentiae) aber kann als ein Tun einem Pflichtgesetz unterworfen sein. Man nennt aber oftmals ein uneigennütziges Wohlwollen gegen Menschen auch (obzwar sehr uneigentlich) Liebe; ja, wo es nicht um des Andern Glückseligkeit, sondern die gänzliche und freie Ergebung aller seiner Zwecke in die Zwecke eines anderen (selbst eines übermenschlichen) Wesens zu tun ist, spricht man von Liebe, die zugleich für uns Pflicht sei. Aber alle Pflicht ist Nötigung, ein Zwang, wenn er auch ein Selbstzwang nach einem Gesetz sein sollte. Was man aber aus Zwang tut, das geschieht nicht aus Liebe.

Anderen Menschen nach unserem Vermögen wohlzutun ist Pflicht, man mag sie lieben oder nicht, und diese Pflicht verliert nichts an ihrem Gewicht, wenn man gleich die traurige Bemerkung machen müßte, daß unsere Gattung, leider! dazu nicht geeignet ist, daß, wenn man sie näher kennt, sie sonderlich liebenswürdig befunden werden dürfte. – Menschenhaß aber ist jederzeit häßlich, wenn er auch ohne tätige Anfeindung bloß in der gänzlichen Abkehrung von Menschen (der separatistischen Misanthropie) bestände. Denn das Wohlwollen bleibt immer Pflicht, selbst gegen den Menschenhasser, den man freilich nicht lieben, aber ihm doch Gutes erweisen kann.

Das Laster aber am Menschen zu hassen ist weder Pflicht noch pflichtwidrig, sondern ein bloßes Gefühl des Abscheues vor demselben, ohne daß der Wille darauf, oder umgekehrt dieses Gefühl auf den Willen einigen Einfluß hätte. Wohltun ist Pflicht. Wer diese oft ausübt, und es gelingt ihm mit seiner wohltätigen Absicht, kommt endlich wohl gar dahin, den, welchem er wohl getan hat, wirklich zu lieben. Wenn es also heißt: du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst, so heißt das nicht: du sollst unmittelbar (zuerst) lieben und vermittelst dieser Liebe (nachher) wohltun, sondern: tue deinem Nebenmenschen wohl, und dieses Wohltun wird Menschenliebe (als Fertigkeit der Neigung zum Wohltun überhaupt) in dir bewirken!

Die Liebe des Wohlgefallens ( amor complacentiae) würde also allein direkt sein. Zu dieser aber (als einer unmittelbar mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbundenen Lust) eine Pflicht zu haben, d. i. zur Lust woran genötigt werden zu müssen, ist ein Widerspruch.

d.
Von der Achtung

Achtung ( reverentia) ist eben so wohl etwas bloß Subjektives; ein Gefühl eigener Art, nicht ein Urteil über einen Gegenstand, den zu bewirken oder zu befördern es eine Pflicht gäbe. Denn sie könnte, als Pflicht betrachtet, nur durch die Achtung, die wir vor ihr haben, vorgestellt werden. Zu dieser also eine Pflicht zu haben würde so viel sagen, als zur Pflicht verpflichtet werden. – Wenn es demnach heißt: Der Mensch hat eine Pflicht der Selbstschätzung, so ist das unrichtig gesagt, und es müßte vielmehr heißen: das Gesetz in ihm zwingt ihm unvermeidlich Achtung für sein eigenes Wesen ab, und dieses Gefühl (welches von eigner Art ist) ist ein Grund gewisser Pflichten, d. i. gewisser Handlungen, die mit der Pflicht gegen sich selbst zusammen bestehen können; nicht: er habe eine Pflicht der Achtung gegen sich; denn er muß Achtung vor dem Gesetz in sich selbst haben, um sich nur eine Pflicht überhaupt denken zu können.

XIII.
Allgemeine Grundsätze der Metaphysik der Sitten in Behandlung einer reinen Tugendlehre

Erstlich: Für Eine Pflicht kann auch nur ein einziger Grund der Verpflichtung gefunden werden, und werden zwei oder mehrere Beweise darüber geführt, so ist es ein sicheres Kennzeichen, daß man entweder noch gar keinen gültigen Beweis habe, oder es auch mehrere und verschiedne Pflichten sind, die man für Eine gehalten hat.

Denn alle moralische Beweise können, als philosophische, nur vermittelst einer Vernunfterkenntnis aus Begriffen, nicht, wie die Mathematik sie gibt, durch die Konstruktion der Begriffe geführt werden; die letztern verstatten Mehrheit der Beweise eines und desselben Satzes: weil in der Anschauung a priori es mehrere Bestimmungen der Beschaffenheit eines Objekts geben kann, die alle auf eben denselben Grund zurück führen. –- Wenn z. B. für die Pflicht der Wahrhaftigkeit ein Beweis erstlich aus dem Schaden, den die Lüge andern Menschen verursacht, dann aber auch aus der Nichtswürdigkeit eines Lügners und der Verletzung der Achtung gegen sich selbst geführt werden will, so ist im ersteren eine Pflicht des Wohlwollens, nicht eine der Wahrhaftigkeit, mithin nicht diese, von der man den Beweis verlangte, sondern eine andere Pflicht bewiesen worden. – Was aber die Mehrheit der Beweise für einen und denselben Satz betrifft, womit man sich tröstet, daß die Menge der Gründe den Mangel am Gewicht eines jeden einzeln genommen ergänzen werde, so ist dieses ein sehr unphilosophischer Behelf: weil er Hinterlist und Unredlichkeit verrät – denn verschiedene unzureichende Gründe, neben einander gestellt, ergänzen nicht der eine den Mangel des anderen zur Gewißheit, ja nicht einmal zur Wahrscheinlichkeit. Sie müssen als Grund und Folge in einer Reihe bis zum zureichenden Grunde fortschreiten und können auch nur auf solche Art beweisend sein. – Und gleichwohl ist dies der gewöhnliche Handgriff der Überredungskunst.

Zweitens: Der Unterschied der Tugend vom Laster kann nie in Graden der Befolgung gewisser Maximen, sondern muß allein in der spezifischen Qualität derselben (dem Verhältnis zum Gesetz) gesucht werden; mit andern Worten, der belobte Grundsatz (des Aristoteles), die Tugend in dem Mittleren zwischen zwei Lastern zu setzen, ist falsch. Die gewöhnlichen, der Sprache nach ethisch-klassische Formeln: medio tutissimus ibis; omne nimium vertitur in vitium; est modus in rebus, etc.; medium tenuere beati; insani sapiens nomen habeat etc. enthalten eine schale Weisheit, die gar keine bestimmte Prinzipien hat: denn dieses Mittlere zwischen zwei äußeren Enden, wer will mir es angeben? Der Geiz (als Laster) ist von der Sparsamkeit (als Tugend) nicht darin unterschieden, daß diese zu weit getrieben wird, sondern hat ein ganz anderes Prinzip (Maxime), nämlich den Zweck der Haushaltung nicht im Genuß seines Vermögens, sondern mit Entsagung auf denselben bloß im Besitz desselben zu setzen: so wie das Laster der Verschwendung nicht im Übermaße des Genusses seines Vermögens, sondern in der schlechten Maxime zu suchen ist, die den Gebrauch, ohne auf die Erhaltung desselben zu sehen, zum alleinigen Zweck macht. Es sei z. B. gute Wirtschaft, als das Mittlere zwischen zwei Lastern, Verschwendung und Geiz, gegeben: so kann sie als Tugend nicht durch die allmählige Verminderung des ersten beider genannten Laster (Ersparung), noch durch die Vermehrung der Ausgaben des dem letzteren Ergebenen als entspringend vorgestellt werden: indem sie sich gleichsam nach entgegengesetzten Richtungen in der guten Wirtschaft begegneten; sondern eine jede derselben hat ihre eigene Maxime, die der andern notwendig widerspricht.

Eben so wenig und aus demselben Grunde kann kein Laster überhaupt durch eine größere Ausübung gewisser Absichten, als es zweckmäßig ist ( e. g. Prodigalitas est excessus in consumendis opibus), oder durch die kleinere Bewirkung derselben, als sich schickt ( e. g. Avaritia est defectus etc.), erklärt werden. Denn da hiedurch der Grad gar nicht bestimmt wird, auf diesen aber, ob das Betragen pflichtmäßig sei oder nicht, Alles ankommt: so kann es nicht zur Erklärung dienen.

Drittens: Die ethischen Pflichten müssen nicht nach den dem Menschen beigelegten Vermögen dem Gesetz Genüge zu leisten, sondern umgekehrt: das sittliche Vermögen muß nach dem Gesetz geschätzt werden, welches kategorisch gebietet: also nicht nach der empirischen Kenntnis, die wir vom Menschen haben, wie sie sind, sondern nach der rationalen, wie sie der Idee der Menschheit gemäß sein sollen. Diese drei Maximen der wissenschaftlichen Behandlung einer Tugendlehre sind den älteren Apophthegmen entgegengesetzt:

1. Es ist nur eine Tugend und nur ein Laster.

2. Tugend ist die Beobachtung der Mittelstraße zwischen entgegengesetzten Meinungen.

3. Tugend muß (gleich der Klugheit) der Erfahrung abgelernt werden.

Von der Tugend überhaupt

Tugend bedeutet eine moralische Stärke des Willens. Aber dies erschöpft noch nicht den Begriff; denn eine solche Stärke könnte auch einem heiligen (übermenschlichen) Wesen zukommen, in welchem kein hindernder Antrieb dem Gesetze seines Willens entgegen wirkt; das also alles dem Gesetz gemäß gerne tut. Tugend ist also die moralische Stärke des Willens eines Menschen in Befolgung seiner Pflicht: welche eine moralische Nötigung durch seine eigene gesetzgebende Vernunft ist, in so fern diese sich zu einer das Gesetz ausführenden Gewalt selbst konstituiert. – Sie ist nicht selbst, oder sie zu besitzen ist nicht Pflicht (denn sonst würde es eine Verpflichtung zur Pflicht geben müssen), sondern sie gebietet und begleitet ihr Gebot durch einen sittlichen (nach Gesetzen der inneren Freiheit möglichen) Zwang; wozu aber, weil er unwiderstehlich sein soll, Stärke erforderlich ist, deren Grad wir nur durch die Größe der Hindernisse, die der Mensch durch seine Neigungen sich selber schafft, schätzen können. Die Laster, als die Brut gesetzwidriger Gesinnungen, sind die Ungeheuer, die er nun zu bekämpfen hat: weshalb diese sittliche Stärke auch, als Tapferkeit ( fortitudo moralis), die größte und einzige wahre Kriegsehre des Menschen ausmacht; auch wird sie die eigentliche, nämlich praktische, Weisheit genannt: weil sie den Endzweck des Daseins der Menschen auf Erden zu dem ihrigen macht. – In ihrem Besitz ist der Mensch allein frei, gesund, reich, ein König usw. und kann weder durch Zufall noch Schicksal einbüßen: weil er sich selbst besitzt und der Tugendhafte seine Tugend nicht verlieren kann.

Alle Hochpreisungen, die das Ideal der Menschheit in ihrer moralischen Vollkommenheit betreffen, können durch die Beispiele des Widerspiels dessen, was die Menschen jetzt sind, gewesen sind, oder vermutlich künftig sein werden, an ihrer praktischen Realität nichts verlieren, und die Anthropologie, welche aus bloßen Erfahrungserkenntnissen hervorgeht, kann der Anthroponomie, welche von der unbedingt gesetzgebenden Vernunft aufgestellt wird, keinen Abbruch tun, und wiewohl Tugend (in Beziehung auf Menschen, nicht aufs Gesetz) auch hin und wieder verdienstlich heißen und einer Belohnung würdig sein kann, so muß sie doch für sich selbst, so wie sie ihr eigener Zweck ist, auch als ihr eigener Lohn betrachtet werden.

Die Tugend, in ihrer ganzen Vollkommenheit betrachtet, wird also vorgestellt, nicht wie der Mensch die Tugend, sondern als ob die Tugend den Menschen besitze: weil es im ersteren Falle so aussehen würde, als ob er noch die Wahl gehabt hätte (wozu er alsdann noch einer andern Tugend bedürfen würde, um die Tugend vor jeder anderen angebotenen Ware zu erlesen). – Eine Mehrheit der Tugenden sich zu denken (wie es denn unvermeidlich ist) ist nichts anderes, als sich verschiedne moralische Gegenstände denken, auf die der Wille aus dem einigen Prinzip der Tugend geleitet wird; eben so ist es mit den entgegenstehenden Lastern bewandt. Der Ausdruck, der beide verpersönlicht, ist eine ästhetische Maschinerie, die aber doch auf einen moralischen Sinn hinweiset. – Daher ist eine Ästhetik der Sitten zwar nicht ein Teil, aber doch eine subjektive Darstellung der Metaphysik derselben: wo die Gefühle, welche die nötigende Kraft des moralischen Gesetzes begleiten, jener ihre Wirksamkeit empfindbar machen (z. B. Ekel, Grauen usw., welche den moralischen Widerwillen versinnlichen), um der bloß-sinnlichen Anreizung den Vorrang abzugewinnen.

XIV.
Vom Prinzip der Absonderung der Tugendlehre von der Rechtslehre

Diese Absonderung, auf welcher auch die Obereinteilung der Sittenlehre überhaupt beruht, gründet sich darauf: daß der Begriff der FREIHEIT, der jenen beiden gemein ist, die Einteilung in die Pflichten der äußeren und inneren Freiheit notwendig macht; von denen die letztern allein ethisch sind. – Daher muß diese und zwar als Bedingung aller Tugendpflicht (so wie oben die Lehre vom Gewissen als Bedingung aller Pflicht überhaupt) als vorbereitender Teil ( discursus praeliminaris) vorangeschickt werden.

Anmerkung.
Von der Tugendlehre nach dem Prinzip der inneren Freiheit

Fertigkeit ( habitus) ist eine Leichtigkeit zu handeln und eine subjektive Vollkommenheit der Willkür. – Nicht jede solche Leichtigkeit aber ist eine freie Fertigkeit ( habitus libertatis); denn wenn sie Angewohnheit ( assuetudo), d. i. durch öfters wiederholte Handlung zur Notwendigkeit gewordene Gleichförmigkeit, derselben ist, so ist sie keine aus der Freiheit hervorgehende, mithin auch nicht moralische Fertigkeit. Die Tugend kann man also nicht durch die Fertigkeit in freien gesetzmäßigen Handlungen definieren; wohl aber, wenn hinzugesetzt würde, »sich durch die Vorstellung des Gesetzes im Handeln zu bestimmen«, und da ist diese Fertigkeit eine Beschaffenheit nicht der Willkür, sondern des Willens, der ein mit der Regel, die er annimmt, zugleich allgemein-gesetzgebendes Begehrungsvermögen ist, und eine solche allein kann zur Tugend gezählt werden.

Zur inneren Freiheit aber werden zwei Stücke erfordert: seiner selbst in einem gegebenen Fall Meister ( animus sui compos) und über sich selbst Herr zu sein ( imperium in semetipsum), d. i. seine Affekten zu zähmen und seine Leidenschaften zu beherrschen. – Die Gemütsart ( indoles) in diesen beiden Zuständen ist edel ( erecta), im entgegengesetzten Fall aber unedel ( indoles abiecta, serva).

XV.
Zur Tugend wird zuerst erfordert die Herrschaft über sich selbst

Affekten und Leidenschaften sind wesentlich von einander unterschieden; die erstern gehören zum Gefühl, so fern es, vor der Überlegung vorhergehend, diese selbst unmöglich oder schwerer macht. Daher heißt der Affekt jäh oder jach ( animus praeceps), und die Vernunft sagt durch den Tugendbegriff, man solle sich fassen; doch ist diese Schwäche im Gebrauch seines Verstandes, verbunden mit der Stärke der Gemütsbewegung, nur eine Untugend und gleichsam etwas Kindisches und Schwaches, was mit dem besten Willen gar wohl zusammen bestehen kann und das einzige Gute noch an sich hat, daß dieser Sturm bald aufhört. Ein Hang zum Affekt (z. B. Zorn) verschwistert sich daher nicht so sehr mit dem Laster, als die Leidenschaft. Leidenschaft dagegen ist die zur bleibenden Neigung gewordene sinnliche Begierde (z. B. der Haß im Gegensatz des Zorns). Die Ruhe, mit der ihr nachgehangen wird, läßt Überlegung zu und verstattet dem Gemüt sich darüber Grundsätze zu machen und so, wenn die Neigung auf das Gesetzwidrige fällt, über sie zu brüten, sie tief zu wurzeln und das Böse dadurch (als vorsetzlich) in seine Maxime aufzunehmen; welches alsdann ein qualifiziertes Böse, d. i. ein wahres Laster, ist.

Die Tugend also, so fern sie auf innerer Freiheit gegründet ist, enthält für die Menschen auch ein bejahendes Gebot, nämlich alle seine Vermögen und Neigungen unter seine (der Vernunft) Gewalt zu bringen, mithin der Herrschaft über sich selbst, welche über das Verbot, nämlich von seinen Gefühlen und Neigungen sich nicht beherrschen zu lassen, (der Pflicht der Apathie) hinzu kommt: weil, ohne daß die Vernunft die Zügel der Regierung in ihre Hände nimmt, jene über den Menschen den Meister spielen.

XVI.
Zur Tugend wird Apathie (als Stärke betrachtet) notwendig vorausgesetzt

Dieses Wort ist, gleich als ob es Fühllosigkeit, mithin subjektive Gleichgültigkeit in Ansehung der Gegenstände der Willkür bedeutete, in übelen Ruf gekommen; man nahm es für Schwäche. Dieser Mißdeutung kann dadurch vorgebeugt werden, daß man diejenige Affektlosigkeit, welche von der Indifferenz zu unterscheiden ist, die moralische Apathie nennt: da die Gefühle aus sinnlichen Eindrücken ihren Einfluß auf das moralische nur dadurch verlieren, daß die Achtung fürs Gesetz über sie insgesamt mächtiger wird. – Es ist nur die scheinbare Stärke eines Fieberkranken, die den lebhaften Anteil selbst am Guten bis zum Affekt steigen, oder vielmehr darin ausarten läßt. Man nennt den Affekt dieser Art Enthusiasm, und dahin ist auch die Mäßigung zu deuten, die man selbst für Tugendausübungen zu empfehlen pflegt ( insani sapiens nomen habeat aequus iniqui – ultra quam satis est virtutem si petat ipsam. Horat.). Denn sonst ist es ungereimt zu wähnen, man könne auch wohl allzuweise, allzutugendhaft sein. Der Affekt gehört immer zur Sinnlichkeit; er mag durch einen Gegenstand erregt werden, welcher es wolle. Die wahre Stärke der Tugend ist das Gemüt in Ruhe mit einer überlegten und festen Entschließung ihr Gesetz in Ausübung zu bringen. Das ist der Zustand der Gesundheit im moralischen Leben; dagegen der Affekt, selbst wenn er durch die Vorstellung des Guten aufgeregt wird, eine augenblicklich glänzende Erscheinung ist, welche Mattigkeit hinterläßt. – Phantastisch-tugendhaft aber kann doch der genannt werden, der keine in Ansehung der Moralität gleichgültige Dinge ( adiaphora) einräumt und sich alle seine Schritte und Tritte mit Pflichten als mit Fußangeln bestreut und es nicht gleichgültig findet, ob ich mich mit Fleisch oder Fisch, mit Bier oder Wein, wenn mir beides bekommt, nähre; eine Mikrologie, welche, wenn man sie in die Lehre der Tugend aufnähme, die Herrschaft derselben zur Tyrannei machen würde.

Anmerkung

Die Tugend ist immer im Fortschreiten und hebt doch auch immer von vorne an. – Das erste folgt daraus, weil sie, objektiv betrachtet, ein Ideal und unerreichbar, gleichwohl aber sich ihm beständig zu nähern dennoch Pflicht ist. Das zweite gründet sich, subjektiv, auf der mit Neigungen affizierten Natur des Menschen, unter deren Einfluß die Tugend mit ihren einmal für allemal genommenen Maximen niemals sich in Ruhe und Stillstand setzen kann, sondern, wenn sie nicht im Steigen ist, unvermeidlich sinkt: weil sittliche Maximen nicht so wie technische auf Gewohnheit gegründet werden können (denn dieses gehört zur physischen Beschaffenheit seiner Willensbestimmung), sondern, selbst wenn ihre Ausübung zur Gewohnheit würde, das Subjekt damit die Freiheit in Nehmung seiner Maximen einbüßen würde, welche doch der Charakter einer Handlung aus Pflicht ist.

XVII.
Vorbegriffe zur Einleitung der Tugendlehre

Dieses Prinzip der Einteilung muß ERSTLICH, was das Formale betrifft, alle Bedingungen enthalten, welche dazu dienen, einen Teil der allgemeinen Sittenlehre von der Rechtslehre und zwar der spezifischen Form nach zu unterscheiden, und das geschieht dadurch: daß 1. Tugendpflichten solche sind, für welche keine äußere Gesetzgebung statt findet; 2. daß, da doch aller Pflicht ein Gesetz zum Grunde liegen muß, dieses in der Ethik ein Pflichtgesetz, nicht für die Handlungen, sondern bloß für die Maximen der Handlungen gegeben, sein kann; 3. daß (was wiederum aus diesem folgt) die ethische Pflicht als weite, nicht als enge Pflicht gedacht werden müsse.

ZWEITENS: was das Materiale anlangt, muß sie nicht bloß als Pflichtlehre überhaupt, sondern auch als Zwecklehre aufgestellt werden: so daß der Mensch sowohl sich selbst, als auch jeden anderen Menschen sich als seinen Zweck zu denken verbunden ist, (die man Pflichten der Selbstliebe und Nächstenliebe zu nennen pflegt) welche Ausdrücke hier in uneigentlicher Bedeutung genommen werden, weil es zum Lieben direkt keine Pflicht geben kann, wohl aber zu Handlungen, durch die der Mensch sich und andere zum Zweck macht.

DRITTENS: was die Unterscheidung des Materialen vom Formalen (der Gesetzmäßigkeit von der Zweckmäßigkeit) im Prinzip der Pflicht betrifft, so ist zu merken: daß nicht jede Tugendverpflichtung ( obligatio ethica) eine Tugendpflicht ( officium ethicum s. virtutis) sei; mit anderen Worten: daß die Achtung vor dem Gesetze überhaupt noch nicht einen Zweck als Pflicht begründe; denn der letztere allein ist Tugendpflicht. – Daher gibt es nur Eine Tugendverpflichtung, aber viel Tugendpflichten: weil es zwar viel Objekte gibt, die für uns Zwecke sind, welche zu haben zugleich Pflicht ist, aber nur eine tugendhafte Gesinnung als subjektiver Bestimmungsgrund seine Pflicht zu erfüllen, welche sich auch über Rechtspflichten erstreckt, die aber darum nicht den Namen der Tugendpflichten führen können. – Daher wird alle Einteilung der Ethik nur auf Tugendpflichten gehen. Die Wissenschaft von der Art, auch ohne Rücksicht auf mögliche äußere Gesetzgebung verbindlich zu sein, ist die Ethik selbst, ihrem formalen Prinzip nach betrachtet.

Anmerkung

Wie komme ich aber dazu, wird man fragen, die Einteilung der Ethik in Elementarlehre und Methodenlehre einzuführen: da ich ihrer doch in der Rechtslehre überhoben sein konnte? – Die Ursache ist: weil jene es mit weiten, diese aber mit lauter engen Pflichten zu tun hat; weshalb die letztere, welche ihrer Natur nach strenge (präzis) bestimmend sein muß, eben so wenig wie die reine Mathematik einer allgemeinen Vorschrift (Methode), wie im Urteilen verfahren werden soll, bedarf, sondern sie durch die Tat wahr macht. – Die Ethik hingegen führt wegen des Spielraums, den sie ihren unvollkommenen Pflichten verstattet, unvermeidlich dahin, zu Fragen, welche die Urteilskraft auffordern auszumachen, wie eine Maxime in besonderen Fällen anzuwenden sei und zwar so: daß diese wiederum eine (untergeordnete) Maxime an die Hand gebe (wo immer wiederum nach einem Prinzip der Anwendung dieser auf vorkommende Fälle gefragt werden kann): und so gerät sie in eine Kasuistik, von welcher die Rechtslehre nichts weiß.

Die Kasuistik ist also weder eine Wissenschaft, noch ein Teil derselben; denn das wäre Dogmatik und ist nicht sowohl Lehre, wie etwas gefunden, sondern Übung, wie die Wahrheit solle gesucht werden; fragmentarisch also, nicht systematisch (wie die erstere sein mußte) in sie verwebt, nur gleich den Scholien zum System hinzu getan.

Dagegen: nicht sowohl die Urteilskraft, als vielmehr die Vernunft und zwar in der Theorie seiner Pflichten sowohl als in der Praxis zu üben, das gehört besonders zur Ethik, als Methodenlehre der moralisch-praktischen Vernunft; wovon die erstere Übung darin besteht, dem Lehrling dasjenige von Pflichtbegriffen abzufragen, was er schon weiß, und die erotematische Methode genannt werden kann, und dies zwar entweder weil man es ihm schon gesagt hat, bloß aus seinem Gedächtnis, welche die eigentliche katechetische, oder, weil man voraus setzt, daß es schon in seiner Vernunft natürlicherweise enthalten sei und es nur daraus entwickelt zu werden brauche, die dialogische (Sokratische) Methode heißt.

Der Katechetik als theoretischer Übung entspricht als Gegenstück im Praktischen die Aszetik, welche derjenige Teil der Methodenlehre ist, in welchem nicht bloß der Tugendbegriff, sondern auch, wie das Tugendvermögen sowohl als der Wille dazu in Ausübung gesetzt und kultiviert werden könne, gelehrt wird.

Nach diesen Grundsätzen werden wir also das System in zwei Teilen: der ethischen Elementarlehre und der ethischen Methodenlehre aufstellen. Jeder Teil wird in seine Hauptstücke, welche im ersten Teile nach Verschiedenheit der Subjekte, wogegen dem Menschen eine Verbindlichkeit obliegt, im zweiten nach Verschiedenheit der Zwecke, welche zu haben ihm die Vernunft auferlegt, und der Empfänglichkeit für dieselbe in verschiedene Kapitel zerfällt werden.

XVIII

Die Einteilung, welche die praktische Vernunft zu Gründung eines Systems ihrer Begriffe in einer Ethik entwirft (die architektonische), kann nun nach zweierlei Prinzipien, einzeln oder zusammen verbunden, gemacht werden: das eine, welches das subjektive Verhältnis der Verpflichteten zu dem Verpflichtenden der Materie nach, das andere, welches das objektive Verhältnis der ethischen Gesetze zu den Pflichten überhaupt in einem System der Form nach vorstellt. – Die erste Einteilung ist die der Wesen, in Beziehung auf welche eine ethische Verbindlichkeit gedacht werden kann; die zweite wäre die der Begriffe der reinen ethisch-praktischen Vernunft, welche zu jener ihren Pflichten gehören, die also zur Ethik, nur so fern sie Wissenschaft sein soll, also zu der methodischen Zusammensetzung aller Sätze, welche nach der ersteren aufgefunden worden, erforderlich sind.


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