Immanuel Kant
Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik
Immanuel Kant

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Der zweite Teil,
welcher historisch ist.

Erstes Hauptstück.

Eine Erzählung, deren Wahrheit der beliebigen Erkundigung des Lesers empfohlen wird.

Sit mihi fas audita loqui. – – –
                                                VIRG.

Die Philosophie, deren Eigendünkel macht, daß sie sich selbst allen eiteln Fragen bloß stellt, sieht sich oft bei dem Anlasse gewisser Erzählungen in schlimmer Verlegenheit, wenn sie entweder an einigem in denselben ungestraft nicht zweifeln oder manches davon unausgelacht nicht glauben darf. Beide Beschwerlichkeiten finden sich in gewisser Maße bei den herumgehenden Geistergeschichten zusammen, die erste bei Anhörung desjenigen, der sie betheuret, und die zweite in Betracht derer, auf die man sie weiter bringt. In der That ist auch kein Vorwurf dem Philosophen bitterer, als der der Leichtgläubigkeit und der Ergebenheit in den gemeinen Wahn, und da diejenigen, welche sich darauf verstehen, gutes Kaufs klug zu scheinen, ihr spöttisches Gelächter auf alles werfen, was die Unwissenden und die Weisen gewissermaßen gleich macht, indem es beiden unbegreiflich ist: so ist kein Wunder, daß die so häufig vorgegebene Erscheinungen großen Eingang finden, öffentlich aber entweder abgeleugnet oder doch verhehlt werden. Man kann sich daher darauf verlassen: daß niemals eine Akademie der Wissenschaften diese Materie zur Preisfrage machen werde; nicht als wenn die Glieder derselben gänzlich von aller Ergebenheit in die gedachte Meinung frei wären, sondern 356 weil die Regel der Klugheit den Fragen, welche der Vorwitz und die eitle Wißbegierde ohne Unterschied aufwirft, mit Recht Schranken setzt. Und so werden die Erzählungen von dieser Art wohl jederzeit nur heimliche Gläubige haben, öffentlich aber durch die herrschende Mode des Unglaubens verworfen werden.

Da mir indessen diese ganze Frage weder wichtig noch vorbereitet gnug scheint, um über dieselbe etwas zu entscheiden, so trage ich kein Bedenken hier eine Nachricht der erwähnten Art anzuführen und sie mit völliger Gleichgültigkeit dem geneigten oder ungeneigten Urtheile der Leser preis zu geben.

Es lebt zu Stockholm ein gewisser Herr Schwedenberg ohne Amt oder Bedienung von seinem ziemlich ansehnlichen Vermögen. Seine ganze Beschäftigung besteht darin, daß er, wie er selbst sagt, schon seit mehr als zwanzig Jahren mit Geistern und abgeschiedenen Seelen im genauesten Umgange steht, von ihnen Nachrichten aus der andern Welt einholt und ihnen dagegen welche aus der gegenwärtigen ertheilt, große Bände über seine Entdeckungen abfaßt und bisweilen nach London reiset, um die Ausgabe derselben zu besorgen. Er ist eben nicht zurückhaltend mit seinen Geheimnissen, spricht mit jedermann frei davon, scheint vollkommen von dem, was er vorgiebt, überredet zu sein ohne einigen Anschein eines angelegten Betruges oder Charltanerei. So wie er, wenn man ihm selbst glauben darf, der Erzgeisterseher unter allen Geistersehern ist, so ist er auch sicherlich der Erzphantast unter allen Phantasten, man mag ihn nun aus der Beschreibung derer, welche ihn kennen, oder aus seinen Schriften beurtheilen. Doch kann dieser Umstand diejenige, welche den Geistereinflüssen sonst günstig sind, nicht abhalten, hinter solcher Phantasterei noch etwas Wahres zu vermuthen. Weil indessen das Creditiv aller Bevollmächtigten aus der andern Welt in den Beweisthümern besteht, die sie durch gewisse Proben in der gegenwärtigen von ihrem außerordentlichen Beruf ablegen, so muß ich 357 von demjenigen, was zur Beglaubigung der außerordentlichen Eigenschaft des gedachten Mannes herumgetragen wird, wenigstens dasjenige anführen, was noch bei den meisten einigen Glauben findet.

Gegen das Ende des Jahres 1761 wurde Herr Schwedenberg zu einer Fürstin gerufen, deren großer Verstand und Einsicht es beinahe unmöglich machen sollte in dergleichen Fällen hintergangen zu werden. Die Veranlassung dazu gab das allgemeine Gerücht von den vorgegebenen Visionen dieses Mannes. Nach einigen Fragen, die mehr darauf abzielten sich mit seinen Einbildungen zu belustigen, als wirkliche Nachrichten aus der andern Welt zu vernehmen, verabschiedete ihn die Fürstin, indem sie ihm vorher einen geheimen Auftrag that, der in seine Geistergemeinschaft einschlug. Nach einigen Tagen erschien Herr Schwedenberg mit der Antwort, welche von der Art war, daß solche die Fürstin ihrem eigenen Geständnisse nach in das größte Erstaunen versetzte, indem sie solche wahr befand, und ihm gleichwohl solche von keinem lebendigen Menschen konnte ertheilt sein. Diese Erzählung ist aus dem Berichte eines Gesandten an dem dortigen Hofe, der damals zugegen war, an einen andern fremden Gesandten in Kopenhagen gezogen worden, stimmt auch genau mit dem, was die besondere Nachfrage darüber hat erkundigen können, zusammen.

Folgende Erzählungen haben keine andere Gewährleistung als die gemeine Sage, deren Beweis sehr mißlich ist. Madame Marteville, die Witwe eines holländischen Envoyé an dem schwedischen Hofe, wurde von den Angehörigen eines Goldschmiedes um die Bezahlung des Rückstandes für ein verfertigtes Silberservice gemahnt. Die Dame, welche die regelmäßige Wirtschaft ihres verstorbenen Gemahls kannte, war überzeugt, daß diese Schuld schon bei seinem Leben abgemacht sein müßte; allein sie fand in seinen hinterlassenen Papieren gar keinen Beweis. Das Frauenzimmer ist vorzüglich geneigt den Erzählungen der Wahrsagerei, der Traumdeutung und allerlei 358 anderer wunderbarer Dinge Glauben beizumessen. Sie entdeckte daher ihr Anliegen dem Herrn Schwedenberg mit dem Ersuchen, wenn es wahr wäre, was man von ihm sagte, daß er mit abgeschiedenen Seelen im Umgange stehe, ihr aus der andern Welt von ihrem verstorbenen Gemahl Nachricht zu verschaffen, wie es mit der gedachten Anforderung bewandt sei. Herr Schwedenberg versprach solches zu thun und stellte der Dame nach wenig Tagen in ihrem Hause den Bericht ab, daß er die verlangte Kundschaft eingezogen habe, daß in einem Schrank, den er anzeigte und der ihrer Meinung nach völlig ausgeräumt war, sich noch ein verborgenes Fach befinde, welches die erforderliche Quittungen enthielte. Man suchte sofort seiner Beschreibung zufolge und fand nebst der geheimen holländischen Correspondence die Quittungen, wodurch alle gemachten Ansprüche völlig getilgt wurden.

Die dritte Geschichte ist von der Art, daß sich sehr leicht ein vollständiger Beweis ihrer Richtigkeit oder Unrichtigkeit muß geben lassen. Es war, wo ich recht berichtet bin, gegen das Ende des 1759ten Jahres, als Herr Schwedenberg, aus England kommend, an einem Nachmittage zu Gothenburg ans Land trat. Er wurde denselben Abend zu einer Gesellschaft bei einem dortigen Kaufmann gezogen und gab ihr nach einigem Aufenthalt mit allen Zeichen der Bestürzung die Nachricht, daß eben jetzt in Stockholm im Südermalm eine erschreckliche Feuersbrunst wüthe. Nach Verlauf einiger Stunden, binnen welchen er sich dann und wann entfernte, berichtete er der Gesellschaft, daß das Feuer gehemmt sei, imgleichen wie weit es um sich gegriffen habe. Eben denselben Abend verbreitete sich schon diese wunderliche Nachricht und war den andern Morgen in der ganzen Stadt herumgetragen; allein nach zwei Tagen allererst kam der Bericht davon aus Stockholm in Gothenburg an, völlig einstimmig, wie man sagt, mit Schwedenbergs Visionen.

Man wird vermuthlich fragen, was mich doch immer habe 359 bewegen können ein so verachtetes Geschäfte zu übernehmen, als dieses ist, Märchen weiter zu bringen, die ein Vernünftiger Bedenken trägt mit Geduld anzuhören, ja solche gar zum Text philosophischer Untersuchungen zu machen. Allein da die Philosophie, welche wir voranschickten, eben so wohl ein Märchen war aus dem Schlaraffenlande der Metaphysik, so sehe ich nichts Unschickliches darin, beide in Verbindung auftreten zu lassen; und warum sollte es auch eben rühmlicher sein, sich durch das blinde Vertrauen in die Scheingründe der Vernunft, als durch unbehutsamen Glauben an betrügliche Erzählungen hintergehen zu lassen?

Thorheit und Verstand haben so unkenntlich bezeichnete Grenzen, daß man schwerlich in dem einen Gebiete lange fortgeht, ohne bisweilen einen kleinen Streif in das andre zu thun; aber was die Treuherzigkeit anlangt, die sich bereden läßt, vielen festen Betheuerungen selbst wider die Gegenwehr des Verstandes bisweilen etwas einzuräumen, so scheint sie ein Rest der alten Stammehrlichkeit zu sein, die freilich auf den jetzigen Zustand nicht recht paßt und daher oft zur Thorheit wird, aber darum doch eben nicht als ein natürliches Erbstück der Dummheit angesehen werden muß. Daher überlasse ich es dem Belieben des Lesers bei der wunderlichen Erzählung, mit welcher ich mich bemenge, jene zweideutige Mischung von Vernunft und Leichtgläubigkeit in ihre Elemente aufzulösen und die Proportion beider Ingredientien für meine Denkungsart auszurechnen. Denn da es bei einer solchen Kritik doch nur um die Anständigkeit zu thun ist, so halte ich mich gnugsam vor dem Spott gesichert, dadurch daß ich mit dieser Thorheit, wenn man sie so nennen will, mich gleichwohl in recht guter und zahlreicher Gesellschaft befinde, welches schon gnug ist, wie Fontenelle glaubt, um wenigstens nicht für unklug gehalten zu werden. Denn es ist zu allen Zeiten so gewesen und wird auch wohl künftighin so bleiben, daß gewisse widersinnige Dinge selbst bei Vernünftigen Eingang finden, bloß darum 360 weil allgemein davon gesprochen wird. Dahin gehören die Sympathie, die Wünschelruthe, die Ahndungen, die Wirkungen der Einbildungskraft schwangerer Frauen, die Einflüsse der Mondwechsel auf Thiere und Pflanzen u. d. g. Ja hat nicht vor kurzem das gemeine Landvolk den Gelehrten die Spötterei gut vergolten, welche sie gemeiniglich auf dasselbe der Leichtgläubigkeit wegen zu werfen pflegen? Denn durch vieles Hörensagen brachten Kinder und Weiber endlich einen großen Theil kluger Männer dahin, daß sie einen gemeinen Wolf für eine Hyäne hielten, obgleich jetzt ein jeder Vernünftige leicht einsieht, daß in den Wäldern von Frankreich wohl kein afrikanisches Raubthier herumlaufen werde. Die Schwäche des menschlichen Verstandes in Verbindung mit seiner Wißbegierde macht, daß man anfänglich Wahrheit und Betrug ohne Unterschied aufrafft. Aber nach und nach läutern sich die Begriffe, ein kleiner Theil bleibt, das übrige wird als Auskehricht weggeworfen.

Wem also jene Geistererzählungen eine Sache von Wichtigkeit zu sein scheinen, der kann immerhin, im Fall er Geld gnug und nichts Besseres zu thun hat, eine Reise auf eine nähere Erkundigung derselben wagen, so wie Artemidor zum Besten der Traumdeutung in Kleinasien herumzog. Es wird ihm auch die Nachkommenschaft von ähnlicher Denkungsart dafür höchlich verbunden sein, daß er verhütete, damit nicht dereinst ein anderer Philostrat aufstände, der nach Verlauf vieler Jahre aus unserm Schwedenberg einen neuen Apollonius von Tyane machte, wenn das Hörensagen zu einem förmlichen Beweise wird gereift sein, und das ungelegene, obzwar höchstnöthige Verhör der Augenzeugen dereinst unmöglich geworden sein wird. 361

 


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