Immanuel Kant
Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral
Immanuel Kant

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Vierte Betrachtung.

Von der Deutlichkeit und Gewißheit, deren die erste Gründe der natürlichen Gottesgelahrtheit und Moral fähig sind.

§1.

Die erste Gründe der natürlichen Gottesgelahrtheit sind der größten philosophischen Evidenz fähig.

Es ist erstlich die leichteste und deutlichste Unterscheidung eines Dinges von allen andern möglich, wenn dieses Ding ein einziges mögliche seiner Art ist. Das Object der natürlichen Religion ist die alleinige erste Ursache; seine Bestimmungen werden so bewandt sein, daß sie nicht leichtlich mit anderer Dinge ihren können verwechselt werden. Die größte Überzeugung aber ist möglich, wo es schlechterdings nothwendig ist, daß diese und keine andere Prädicate einem Dinge zukommen. Denn bei zufälligen Bestimmungen ist es mehrentheils schwer, die wandelbaren Bedingungen seiner Prädicate aufzufinden. Daher das schlechterdings nothwendige Wesen ein Object von der Art ist, daß, sobald man einmal auf die ächte Spur seines Begriffes gekommen ist, es noch mehr Sicherheit als die mehrste andere philosophische Kenntnisse zu versprechen scheint. Ich kann bei diesem Theil der Aufgabe nichts anders thun, als die mögliche philosophische Erkenntniß von Gott überhaupt in Erwägung ziehen; denn es würde viel zu weitläufig sein, die wirklich vorhandenen Lehren der Weltweisen über diesen 288 Gegenstand zu prüfen. Der Hauptbegriff, der sich hier dem Metaphysiker darbietet, ist die schlechterdings nothwendige Existenz eines Wesens. Um darauf zu kommen, könnte er zuerst fragen: ob es möglich sei, daß ganz und gar nichts existire. Wenn er nun inne wird, daß alsdann gar kein Dasein gegeben ist, auch nichts zu denken, und keine Möglichkeit statt finde, so darf er nur den Begriff von dem Dasein desjenigen, was aller Möglichkeit zum Grunde liegen muß, untersuchen. Dieser Gedanke wird sich erweitern und den bestimmten Begriff des schlechterdings nothwendigen Wesens festsetzen. Allein ohne mich in diesen Plan besonders einzulassen, so bald das Dasein des einigen vollkommensten und nothwendigen Wesens erkannt ist, so werden die Begriffe von dessen übrigen Bestimmungen viel abgemessener, weil sie immer die größten und vollkommensten sind, und viel gewisser, weil nur diejenige eingeräumt werden können, die da nothwendig sind. Ich soll z. E. den Begriff der göttlichen Allgegenwart bestimmen. Ich erkenne leicht, daß dasjenige Wesen, von welchem alles andre abhängt, indem es selbst unabhängig ist, durch seine Gegenwart zwar allen andern der Welt den Ort bestimmen werde, sich selber aber keinen andern Ort unter ihnen, indem es alsdann mit zur Welt gehören würde. Gott ist also eigentlich an keinem Orte, aber er ist allen Dingen gegenwärtig in allen Orten, wo die Dinge sind. Eben so sehe ich ein, daß, indem die auf einander folgende Dinge der Welt unter seiner Gewalt sind, er dadurch sich nicht selbst einen Zeitpunkt in dieser Reihe bestimme, mithin daß in Ansehung seiner nichts vergangen oder künftig ist. Wenn ich also sage: Gott sieht das Künftige vorher, so heißt dieses nicht so viel: Gott sieht dasjenige, was in Ansehung seiner künftig ist, sondern: was gewissen Dingen der Welt künftig ist, d. i. auf einen Zustand derselben folgt. Hieraus ist zu erkennen, daß die Erkenntniß des Künftigen, Vergangenen und Gegenwärtigen in Ansehung der Handlung des göttlichen Verstandes gar 289 nicht verschieden sei, sondern daß er sie alle als wirkliche Dinge des Universum erkenne: und man kann viel bestimmter und deutlicher dieses Vorhersehen sich an Gott vorstellen, als an einem Dinge, welches zu dem Ganzen der Welt mit gehörte.

In allen Stücken demnach, wo nicht ein Analogon der Zufälligkeit anzutreffen, kann die metaphysische Erkenntniß von Gott sehr gewiß sein. Allein das Urtheil über seine freie Handlungen, über die Vorsehung, über das Verfahren seiner Gerechtigkeit und Güte, da selbst in den Begriffen, die wir von diesen Bestimmungen an uns haben, noch viel Unentwickeltes ist, können in dieser Wissenschaft nur eine Gewißheit durch Annäherung haben, oder eine, die moralisch ist.

 


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