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1917

Nr. 36

[Prag, 1. Januar 1917]

Zuerst: Glückliches Neues Jahr allseits. Dann bitte Ottla kauf mir das Montagsblatt und die Karte zum Recitationsnachmittag Wüllner (Beamtensorge: Den Abonnenten bleibt das Bezugsrecht für ihre Plätze bis Dienstag gewahrt. Ist es also nicht vorteilhafter die Karte erst Mittwoch zu kaufen?) Wegen der Lebensmittel bemühe Dich nicht zu sehr. Ich habe jeden Abend mehr als ich aufessen kann. Nur der geistige Vorappetit ist so ungeheuer. – Sylvester habe ich gefeiert, indem ich aufgestanden bin und dem Neuen Jahr die Stehlampe entgegengehalten habe. Feurigeres kann niemand im Glase haben.

Franz

 

Nr. 37

[Prag,] 19. IV. [1917]

Liebe Ottla, vorläufig ist noch alles hier in beiläufiger Ordnung, aber wie lange es noch bleiben wird, weiß man nicht; gleich kann es ja nicht zusammenfallen, da Du es so ordentlich zurückgelassen hast, aber vielleicht oder wahrscheinlich lockert es sich schon im Geheimen und ich weiß es noch gar nicht. Rede ich von »allem« so meine ich natürlich mich. Nach Deinem Weggehn war ein großer Sturmwind im Hirschgraben, vielleicht zufällig, vielleicht absichtlich. Gestern habe ich im Palais verschlafen; als ich ins Haus hinaufkam, war das Feuer schon ausgelöscht und sehr kalt. Aha, dachte ich, der erste Abend ohne sie und schon verloren. Aber dann nahm ich alle Zeitungen und auch Manuskripte und es kam nach einiger Zeit noch ein sehr schönes Feuer zustande. Als ich es heute der Ruženka erzählte, sagte sie: mein Fehler wäre gewesen, daß ich keine Holzsplitter geschnitten habe, nur so bekomme man gleich Feuer. Darauf ich hinterlistig: »Aber es ist doch kein Messer dort.« Sie unschuldig: »Ich nehme immer das Messer vom Teller.« Darum also ist es immer so schmierig und schartig, aber daß man Splitter machen muß, habe ich zugelernt. Den Boden im Schloß hat sie schon sehr schön rein gemacht, Du hast also nicht vergessen es ihr zu sagen. Dafür werde ich morgen zu erfahren suchen, welches das beste Buch über Gemüsebau ist; wie man Gemüse aus Schnee zieht, wird allerdings nicht drin stehn.

Gestern hat sich übrigens wie man mir erzählt hat der Vater sehr meiner angenommen. Der Rudi Herrmann (laß den Brief nicht liegen) war Mittag bei uns sich freundschaftlich verabschieden, da er nach Bielitz fährt. Infolgedessen wurde bei uns unter allgemeiner Beteiligung eine Narrenvorstellung gegeben. Es gibt kaum einen Nah- und Nächstverwandten, den der Vater bei dieser Gelegenheit nicht niedergeschimpft hätte. Der eine ist ein Defraudant, vor dem andern muß man ausspuken (Pfui!) u.s.w. Da, sagte der Rudl, aus diesem Schimpfen mache er sich nichts, der Vater sage ja auch seinem eigenen Sohn: Hallunke. Da soll der Vater großartig geworden sein. Auf ihn los, beide Arme hoch, ganz rot. R. mußte hinaus, auf der Schwelle wollte er sich noch ein wenig halten, aber die Mutter hat ihn auch noch darüber hinaus geschoben. Damit war der freundschaftliche Abschied zuende. Da aber beide, der Vater und R. gute Leute sind, haben sie es schon heute wahrscheinlich vergessen, was sie aber allerdings nicht hindern würde, die Aufführung bei nächster Gelegenheit zu wiederholen. Als ich nachhause kam, war es schon still, der Vater sagte nur, um das Zuviel an Güte, das er für mich aufgewendet hatte, wieder auszugleichen: »To je žrádlo. Od 12 ti se to musí vařit.«

Ich will Dir nur noch sagen, schreib nicht zuviel. Wenn Du allgemeines über Deine Arbeit schreiben willst, dann schreib es entweder den Eltern oder Irma oder mir und das kann dann ganz gut für alle gelten.

Franz

 

Nr. 38

[Stempel: Prag – 22. IV. 17]

Liebste Ottla mußt Dir gar keine Vorwürfe machen, wenn Du mir gar nicht oder wenig schreibst. Es würde mir leid tun, wenn es anders wäre. Dagegen wäre es mir lieb, wenn Du z. B. an Karl nicht direkt berichtest, sondern den Brief, wie auch diesmal, zuerst nach Prag schickst, damit man einen Überblick über Deine Arbeit bekommt. Alles was Du schreibst, scheint mir vernünftig, soweit es mein landwirtschaftliches Ahnungsvermögen beurteilen kann. Der Einfall, einen Teil des Gartens einzuzäunen, ist von mir oder vielleicht von der Elli und von mir oder wahrscheinlich jedes Menschen Einfall, auch der Deine. Muß es übrigens ein Pferd sein? Kühe oder Ochsen genügen nicht? Eine Zeitlang bekam man, glaube ich, für den Militärdienst unbrauchbare Pferde z. B. russische Beutepferde billiger; weiß man dort davon nichts? Von Ruzenka viele Ratschläge, aber nächstens. Und Kopf hoch, wie man in unserer Gasse sagt.

Dein Franz

 

Nr. 43

[Postkarte]

[Stempel: Prag – 28. VII. 17]

Liebste Ottla, ich hätte schon längst schreiben sollen (die Karte aus Budapest hast Du bekommen?) habe viel gesehn, gehört. Auf der Reise ist es mir durchschnittlich erträglich gegangen, aber eine Erholungs- und Verständigungsreise war es natürlich nicht. Vor allem habe ich genug gut geschlafen, wie immer auf Reisen, auch noch paar Tage in Prag, aber jetzt ist es wieder knapp am Unmöglichen. Wäre schon wieder Herbst und Winter (das betrifft Dich ja nicht, Du gehst nach Wien) und wäre es halbwegs ähnlich dem vorigen Jahr! Morgen komme ich nicht, aber anfangs September für 10 Tage, wenn Du es für richtig hältst. Oder soll ich ins Salzkammergut? Je weiter, desto besser, aber es wird schon ein wenig spät sein, ich kann erst am 8. Sept. wegfahren. – Die letzte Kündigung (wenigstens die letzte, von der ich gehört habe) war wirklich bewunderungswürdig. Wie kannst Du bestehn? Grüße für Dich und Irma

Franz

 

Nr. 45

[Stempel: Prag, 29. VIII. 17]

Liebe Ottla ich habe vier Möglichkeiten: Wolfgang am See (schönes und fremdes Land, aber weit und schlechtes Essen) Radesowitz (schöner Wald, erträgliches Essen, aber doch zu bekannt, zu wenig Fremde, zu bequem) Landskron (gänzlich unbekannt, angeblich schön, angeblich gutes Essen, aber auf Protektion meines Chefs angewiesen und auch sonst mit einer amtlichen Unannehmlichkeit verbunden) schließlich Zürau (nicht fremd, nicht eigentlich schön, aber mit Dir und vielleicht Milch.) Nun habe ich allerdings noch keinen Urlaub, will auch mit dem Direktor, der mir schon bei der Budapester Reise Schwierigkeiten gemacht hat, nicht mehr sprechen, habe aber für ein Urlaubsgesuch eine schlagende Begründung. Vor etwa 3 Wochen habe ich in der Nacht einen Blutsturz aus der Lunge gehabt. Es war etwa 4 Uhr früh, ich wache auf, wundere mich über merkwürdig viel Speichel im Mund, spucke es aus, zünde dann doch an, merkwürdig, es ist ein Patzen Blut. Und nun beginnts. Chrlení, ich weiß nicht, ob es richtig geschrieben ist, aber ein guter Ausdruck ist es für dieses Quellen in der Kehle. Ich dachte es werde gar nicht aufhören. Wie sollte ich es zustopfen, da ich es nicht geöffnet hatte. Ich stand auf, gieng im Zimmer herum, zum Fenster, sah hinaus, gieng zurück – immerfort Blut, schließlich hörte es auf und ich schlief ein, besser, als seit langem. Am nächsten Tag (im Bureau war ich) beim Dr. Mühlstein. Bronchialkattarrh, verschreibt eine Medicin; 3 Flaschen soll ich trinken; in einem Monat wiederkommen; wenn wieder Blut kommt, gleich. Nächste Nacht wieder Blut, aber weniger. Wieder beim Doktor, der mir übrigens damals nicht gefallen hat. Die Einzelnheiten übergehe ich, es wäre zuviel. Das Ergebnis für mich: 3 Möglichkeiten, erstens akute Verkühlung, wie der Doktor behauptet das leugne ich; im August mich verkühlen?, da ich doch unverkühlbar bin; hier könnte höchstens die Wohnung beteiligt sein, die kalte, dumpfe, schlecht riechende, zweitens Schwindsucht. Leugnet der Dr. vorläufig. Übrigens werde man ja sehn, alle Großstädter sind tuberkulös, ein Lungenspitzenkattarrh (das ist das Wort, so wie man jemandem Ferkelchen sagt, wenn man Sau meint) sei auch nichts so Schlimmes, man injiziert Tuberkulin und es ist gut, drittens: diese Möglichkeit habe ich ihm kaum angedeutet, er hat sie natürlich gleich abgewehrt. Und doch ist sie die einzig richtige und verträgt sich auch gut mit der zweiten. Ich habe in der letzten Zeit wieder fürchterlich an dem alten Wahn gelitten, übrigens war ja nur der letzte Winter die bisher größte Unterbrechung dieses 5 jährigen Leidens. Es ist der größte Kampf, der mir auferlegt oder besser anvertraut worden ist und ein Sieg (der sich z. B. in einer Heirat darstellen könnte, F. ist vielleicht nur Representantin des wahrscheinlich guten Princips in diesem Kampf) ich meine, ein Sieg mit halbweg erträglichem Blutverlust hätte in meiner privaten Weltgeschichte etwas Napoleonisches gehabt. Nun scheint es daß ich den Kampf auf diese Weise verlieren soll. Und tatsächlich, so als wäre abgeblasen worden, schlafe ich seit damals 4 Uhr nachts besser, wenn auch nicht viel besser, vor allem aber hat der Kopfschmerz, vor dem ich mir damals nicht mehr zu helfen wußte, gänzlich aufgehört. Die Beteiligung an dem Blutsturz denke ich mir so, daß die unaufhörlichen Schlaflosigkeiten, Kopfschmerzen, fiebrigen Zustände, Spannungen mich so geschwächt haben, daß ich für etwas Schwindsüchtiges empfänglich geworden bin. Zufällig mußte ich seit damals an F. auch nicht schreiben, zwei lange Briefe von mir in deren einem eine nicht sehr hübsche, fast häßliche Stelle war, sind bis heute nicht beantwortet.

Das also ist der Stand dieser geistigen Krankheit, Tuberkulose. Übrigens war ich gestern wieder beim Dr. Er hat die Lungengeräusche (ich huste seit der Zeit) besser gefunden, leugnet noch entschiedener Schwindsucht, ich wäre auch zu alt dazu, wird mich aber, da ich Sicherheit haben will, (vollständige Sicherheit gibt allerdings auch das nicht) in dieser Woche röntgenisieren und den Auswurf untersuchen. Die Wohnung im Palais habe ich gekündigt, die Michlová hat uns gekündigt, so habe ich gar nichts. Aber besser so, vielleicht hätte ich in dem feuchten Häuschen gar nicht sein können. Nur um Irma, die mich sehr bedauert hat, zu trösten, habe ich ihr von dem Blutsturz erzählt. Sonst weiß niemand zu hause etwas davon. Der Dr. behauptet, es bestehe vorläufig nicht die geringste Ansteckungsgefahr. – Soll ich also kommen? Vielleicht von morgen Donnerstag in einer Woche? Für 8-10 Tage?

 

Nr. 46

[Postkarte]

[Stempel: Prag – 2. IX. 17]

Liebe Ottla also übersiedelt. Die Fenster im Palais zum letzten Mal geschlossen, die Tür abgesperrt, wie ähnlich das dem Sterben sein muß. Und heute in dem neuen Leben habe ich seit jenem blutigen Morgen die ersten Ansätze zu Kopfschmerzen. Ein Schlafzimmer ist Dein Schlafzimmer nicht. Ich sage nichts gegen die Küche nichts gegen den Hof, um ½ 7 ist dort Lärm, das ist selbstverständlich, wenn auch heute Sonntag ist. Übrigens war die Katze nicht einmal zu hören, nur die Uhr in der Küche. Aber vor allem das Badezimmer. Dreimal meiner Rechnung nach wurde dort Licht gemacht und Wasser zu unverständlichen Zwecken losgelassen, dann auch noch die Tür zum Schlafzimmer offengelassen so daß ich den Vater husten hörte. Armer Vater, arme Mutter, armer Franz. Eine Stunde vor jedem Lichtmachen wachte ich aus Angst auf und zwei Stunden nachher konnte ich vor Schrecken nicht einschlafen, das waren die 9 Nachtstunden. Aber für die Lunge war es besser. Eine leichte Decke bei offenem Fenster genügt, dort bei halb offenem entfernten Fenster waren 2 Decken und ein Federbett nötig. Ich huste vielleicht auch weniger. Du müßtest kommen.

Franz

 

Nr. 47

[Postkarte]

[Stempel: Prag – 3. IX. 17]

Liebe Ottla heute war es schon ein wenig besser, das Badezimmer still. Allerdings, um 6 Uhr ist alles zuende; wenn sie nebenan die Augen aufschlägt, weckt mich der Lärm. (Den Ausdruck »Augenaufschlagen« muß auch ein empfindlicher alter Deutscher erfunden haben) Das Haus oben auf dem Belvedere habe ich mir vorläufig von außen angesehn, recht gut, nur eben erster Stock und gegenüber die Miederfabrik Federer & Piesen, auch soll wie mir heute einer sagt, der Fuhrwerksverkehr zum Marktplatz zum Teil dort durchgehn. Da wäre ich dann von einem Marktplatz zum andern übersiedelt. Wie schwer das ist. Dein Zimmer ist aber wirklich hübsch. Ich habe es schon so ausgefüllt, nicht mit Sachen, sondern mit mir, daß Du, wenn Du zurückkommst, Dich kaum wirst durchdrängen können. Tut Dir das nicht leid? Heute spreche ich noch mit dem Dr., dann schreibe ich Dir wann ich komme. Ende der Woche wohl, ich werde Dir dann telegraphieren.

Franz

Ottla soll es in der Adresse heißen, nicht F.

 

Nr. 48

[Zwei Postkarten, fortlaufend beschrieben]

[Prag, 4. und 5. September 1917]

Liebe Ottla, gestern war ich wieder bei ihm, er war klarer als sonst, aber es bleibt seine oder aller Ärzte Eigentümlichkeit, daß sie aus notwendiger Unwissenheit und weil die Frager ebenso notwendig alles wissen wollen, entweder Wesenloses wiederholen oder in Wichtigem sich widersprechen und weder das eine noch das andere eingestehen wollen. Also: beide Spitzen angegriffen, aber auch hier nicht die Lunge die angeblich frei ist, sondern die Luftröhrchen. Vorsicht notwendig, geradezu Gefahr besteht (wegen des Alters) nicht, wird aller Voraussicht auch nicht kommen. Rat: viel Essen, viel Luft, von Medicin wird abgesehn wegen meiner Magenempfindlichkeit; zwei Umschläge nachts über die Achseln, monatliche Vorstellung; sollte es nicht in einigen Monaten besser Werden, wird er vielleicht (Blödsinn) Tuberkulin injicieren »damit ich alles getan habe.« Wegfahren nach dem Süden (auf meine Frage hin) wäre natürlich sehr gut, aber nicht notwendig; ebenso aufs Land fahren. – Vielleicht reiche ich ein Gesuch um Pensionierung ein, es ließe sich ganz hübsch begründen; ich werde übermorgen mit meinem Chef (morgen hat er eine wichtige Sitzung und nur Gedanken für sie) darüber reden. Übrigens fällt mir jetzt so oft der Vers aus den Meistersingern ein: »ich hätt' ihn für feiner gehalten« oder so ähnlich. Ich meine damit: in dieser Krankheit liegt zweifellos Gerechtigkeit, es ist ein gerechter Schlag, den ich nebenbei gar nicht als Schlag fühle sondern als etwas im Vergleich zum Durchschnitt der letzten Jahre durchaus Süßes, es ist also gerecht, aber so grob, so irdisch, so einfach, so in die bequemste Kerbe geschlagen. Ich glaube eigentlich: es muß noch einen andern Ausweg nehmen.

Die Karte blieb zurück. Inzwischen ist es ja wieder anders geworden. Auf Drängen des Max beim Professor. Sagte im ganzen das Gleiche, verlangte aber bestimmter Landaufenthalt. Bitte morgen um Pensionierung oder 3 Monate Urlaub. Willst Du mich aufnehmen und kannst Du es? Leicht ist es nicht.

Franz

 

Nr. 49

[Postkarte]

[Stempel: Prag – 6. IX. 17]

Liebe Ottla ich habe also heute davon zu sprechen angefangen, natürlich nicht, ohne wieder eine sentimentale Komödie vorzuspielen, die mir bei jedem Abschied unentbehrlich ist. Statt einfach (auch dies wäre lügnerisch, aber wenigstens bis zu einer gewissen Tiefe anständig) auf Pensionierung zu drängen, fange ich davon zu reden an, daß ich die Anstalt nicht ausnutzen will u.s.w. Natürlich ist die Wirkung die, daß man mir die Pensionierung (die man mir vielleicht auch sonst nicht zugestanden hätte) jetzt gewiß nicht bewilligen wird. Den Urlaub bekomme ich allerdings bestimmt, wenn ich auch die Meinung des Direktors, mit dem ich erst Montag reden kann, noch nicht kenne. Das Gutachten des Professors sieht ja auch (ohne wesentlich von seinen Worten abzuweichen, aber das Geschriebene hat eben ein anderes Ansehn) wie ein Reisepaß für die Ewigkeit aus. – Der Mutter also auch dem Vater habe ich das Urlaubsersuchen mit Nervosität begründet. Da sie für ihren Teil so grenzenlos bereit ist mir Urlaub zu geben hat sie keinen Verdacht.

 

Nr. 51

[Postkarte]

[Stempel: Prag – 8. IX. 17]

Liebe Ottla habe keine andere Karte. Also Mittwoch früh fahre ich aller Voraussicht nach. Max fängt zwar jetzt gegen Zürau zu arbeiten an, wird auch noch mit dem Professor sprechen. Seine Einwände sind etwa: Man soll gleich das Beste machen, also Schweiz, Meran oder dgl. – Professor habe nur weil er mich für ganz arm hält, zu Zürau zugestimmt – es ist dort kein Arzt, was tue ich wenn es plötzlich schlimmer wird, ich Blutsturz bekomme u.s.w. – die Zustimmung des Prof. sei davon abhängig gewesen, daß ich die von ihm vorgeschriebene Arsenkur mache und die mache ich nicht – was tue ich im Regen ohne Wandelhallen u.dgl. Meine Antworten auf diese Einwände werde ich Dir mündlich sagen. Übrigens widerlich diese vielleicht notwendigen Gesundheitsrücksichten, sie werden mir die lange freie Zeit tief verderben.

Franz

 

Nr. 53

[Prag,] – 28. XII. [1917]

Liebe Ottla, heute also bringt die Post nur diesen Brief:

Eigentlich habe ich (unter dem Lärm des Felix und dem stillen Zuschauen der Gerti) weder Lust noch Ruhe zum Schreiben, vor allem deshalb aber nicht, weil sich über eine beschränkte Zeit – und so soll es doch für mich hier werden – mitten drin nichts Bestimmtes sagen läßt. Es gab z.B. in diesen letzten 5 Tagen verschiedene Zeiten, wo ich einen groben Fehler gemacht zu haben glaubte und ziemlich tief unten war, später aber zeigte es sich, daß es doch im besten Sinn richtig war und ich nichts zu bedauern hatte. Über Einzelnheiten werden wir sprechen. Die Tage mit F. waren schlimm, (abgesehen vom ersten Tag, an dem wir von der Hauptsache noch nicht gesprochen hatten) und am letzten Vormittag habe ich mehr geweint als in allen Nach-Kinderjahren. Natürlich wäre es aber viel schlimmer oder unmöglich gewesen, wenn ich irgendeinen Rest irgendeines Zweifels an der Richtigkeit dessen gehabt hätte was ich tat. Derartiges gab es nicht, nur widerspricht es leider der Richtigkeit eines Handelns nicht, daß dieses Handeln ein Unrecht ist und es umsomehr wurde durch die Ruhe und besonders durch die Güte mit der sie es aufnahm.

Den Nachmittag nach ihrer Abreise war ich beim Professor, er ist verreist und kommt erst Montag oder Mittwoch; solange werde ich wohl hier bleiben müssen, schon aus diesem Grunde. Jedenfalls ging ich gleich zu Dr. Mühlstein, er erhorchte augenblicklich gar nichts, trotzdem ich hier mehr huste und schnaufe als sonst. Trotz dieses günstig-ungünstigen Befundes (das Röntgenbild würde natürlich doch die Krankheit zeigen) sprach er mir, zum Teil vielleicht aus besonderer Freundlichkeit gegen mich, die moralische Berechtigung zu, eine Pensionierung zu verlangen und als ich ihm auf seine Frage sagte, daß ich ans Heiraten nicht mehr denke, lobte er das besonders, ich weiß nicht ob als zeitweiligen oder endgültigen Entschluß, ich fragte nicht danach. (Als Auflösungsgrund der Verlobung gilt nach außen hin nur die Krankheit, so habe ich es auch dem Vater gesagt.)

Heute war ich im Bureau, die Verhandlungen beginnen; wie es ausgehn wird, weiß ich noch nicht. Zweifel gibt es auch hier für mich keine.

Dagegen habe ich Zweifel wegen Oskar. Es wird mir jetzt schwer ihn mitzunehmen schwer mit jemandem außer Dir und Max zu sprechen. Das ist natürlich nur Übergang und ich weiß das mit vollständiger Bestimmtheit, aber auf dem Land will ich sein und allein. Außerdem hast Du ja einen Gast und Oskar kann nicht tschechisch, auch das gibt eine Schwierigkeit. Übrigens fühle ich mich auch ein wenig ausgemietet oder richtiger: ich fühle es als einen zarten Übergang. Ganz falsch wäre es für Dich – mir muß ich es nicht erst sagen – in der weiteren Folge dessen etwas zu sehn, was für mich eindeutig trüb oder traurig wäre. Das Gegenteil wäre es viel eher; so wie es ist und zu werden scheint, ist es das beste und steht auf meinem Weg am richtigen Platz. Darüber mußt Du gar nicht nachdenken. (Übrigens bin ich gar nicht allein, denn ich habe hier einen Liebesbrief bekommen, bin aber doch allein, denn ich habe ihn nicht mit Liebe beantwortet.)

Bleibt also der Zweifel wegen Oskar. Er selbst sieht schlecht aus, braucht es dringend, demütigt sich auf alle Weise und hat es so eingerichtet, daß er, wann ich ihm meine Abreise anzeige, eine Stunde später, und zwar in der Zeit bis nächsten Freitag, reisebereit ist. Bitte, schreib mir darüber. Und sonst: Was soll ich für Hr. Hermann, Frau Feigl, das Mädchen von Frau Hermann mitbringen? Und wem noch etwas?

Heute ist übrigens der erste Tag, an dem ich die Stadt fühle. Unter diesen Menschen kann nichts Gutes geschehn, aber viel Gutes für sie.

Franz.

Grüße von mir das Gast-Fräulein, unser Fräulein, Toni und Hr. Hermann.

 

Nr. 54

[Stempel: Prag – 30. XII. 17]

Liebe Ottla, jetzt am Sonntag-Nachmittag in der Küche noch paar Worte wegen Baum:

Nicht etwa zur Verhinderung seiner Reise; die wäre jetzt ohne Kränkung nicht mehr möglich und das kleine Opfer, das ich damit bringe und das ja natürlich durchaus nicht nur Opfer ist, ist ja, selbst wenn ich rechnen wollte, so geringfügig gegenüber dem Guten das mir die letzte Zeit gebracht hat. Also nicht um die Reise zu verhindern will ich noch etwas sagen, sondern um, brüderlich, ein Unbehagen mit Dir zu teilen:

Gestern war wieder einmal großer wenn auch kurz dauernder Lärm am Abend. Die alten Dinge: (in Übergang von der rodelnden Martha, der Mandolinenspielerin Trude und dem mit 2 elenden Beinen seit Wochen krankliegenden Onkel) Zürau; die Verrückte, Verlassen der armen Eltern; was für eine Arbeit ist dort jetzt?; leicht auf dem Land sein, wenn man alles in Hülle und Fülle bekommt; hungern aber sollte sie einmal und wirkliche Sorgen haben u.s.w. Es wurde, um es nicht zu vergessen, auch Gutes (gegen mich Eifersüchtiges) über Dich gesagt: ein Mädel von Eisen udgl. Das alles zielte natürlich indirekt auf mich, stellenweise wurde es geradezu zugestanden, ich hätte ja dieses Abnormale unterstützt oder verschuldet u.s.w. (worauf ich nicht schlecht oder wenigstens verblüffend damit geantwortet habe, das Abnormale sei nicht das schlechteste, denn normal sei z.B. der Weltkrieg) – Heute morgen kam dann die Mutter zu mir (die irgendeine Grundsorge zu haben scheint, die, soweit ich es aus ihrem Verhalten beurteilen kann, nicht mich betrifft; sie ißt, wie das Fräulein sagt, seit 14 Tagen wenig; ich finde sie aber nicht besonders schlecht aussehend) fragte mich, was es noch für Arbeit draußen gibt, warum Du nicht kommst, (die Schwiegervaterfamilie Roberts kommt jetzt für 1/4 Jahr nach Prag) und wenn Du nicht kommst, warum 2 Mädchen dort nötig sind, ob das nicht zuviel kostet u.s.f. Ich antwortete so gut ich konnte.

Als Ergebnis dieser Gespräche zeigt sich jetzt meinen etwas reiner gewaschenen Augen, daß Du oder ich gegenüber diesen Sorgen und Vorwürfen fast völlig im Recht sind, im Recht, soweit wir unsere Eltern »verlassen« haben, soweit wir »verrückt« sind. Denn wir haben sie weder verlassen noch sind wir undankbar oder verrückt, sondern haben nur mit genügend anständigen Absichten das getan, was wir für notwendig hielten und was niemand (etwa um uns zu entlasten) für uns herausfinden könnte. Nur eine wirkliche Berechtigung zum Vorwurf hat der Vater, nämlich darin, daß wir es (gleichgültig ob durch sein Verdienst oder seine Schuld) zu leicht haben; er kennt keine andere Erprobung, als die des Hungers, der Geldsorgen und vielleicht noch der Krankheit, erkennt, daß wir die ersteren, die zweifellos stark sind, noch nicht bestanden haben und leitet daraus das Recht ab, jedes freie Wort uns zu verbieten. Darin liegt Wahres und, weil es wahr ist, auch Gutes. Solange wir nicht auf seine Hilfe bei Vertreibung des Hungers und der Geldsorgen verzichten können, bleibt in unserem Verhalten ihm gegenüber Befangenheit und wir müssen uns ihm irgendwie fügen selbst wenn wir es äußerlich nicht tun. Hier spricht aus ihm mehr als nur der Vater, mehr als der bloß nichtliebende Vater.

Auf Oskars Besuch angewendet, heißt das:

Wir laden Oskar in eine fremde Wirtschaft, wo ich selbst nur geduldeter Gast bin. Der Vater würde natürlich damit nie übereinstimmen. Nun füge ich mich äußerlich nicht, bleibe draußen, nehme auch Oskar mit, zahle für mich, zahle mit Freude auch für Oskar die Geringfügigkeit, bleibe aber unter der Drohung des Vaters, der das Am-Dorfleben, die Dorf-Winterarbeit u.s.w. nicht versteht, doch so befangen, daß ich z.B. vor Karl, der Anfang Jänner kommen dürfte, sehr verlegen mit Oskar am Arm stehen werde.

Das muß ich überwinden, da ich vorläufig das Größere nicht überwinden kann. Das wollte ich Dir also sagen.

Ich werde wegen der Anstalt noch paar Tage länger hier bleiben müssen, da ich mit dem Direktor zum erstenmal Dienstag werde sprechen können. Ein Wort zu diesem Brief hätte ich noch gern, es dürfte mich noch in Prag erreichen.

Grüße das Fräulein, Toni, Hermann.

Franz

Der Brief war schon im Kouvert, da habe ich die Mutter nach ihren Sorgen gefragt. Ich bin also doch die Sorge, der Vater war so rücksichtslos ihr alles zu sagen.


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