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I. Heine in Deutschland

Nicht nur der Dichter und Schriftsteller – der Jude, der Kranke, der ganze Mensch, der in Heinrich Heine Gestalt gewann, zwingt uns auch heute noch, und heute vielleicht mehr als je, zur Stellungnahme. Seltsame Erscheinung: derselbe Dichter, dessen Lieder im Munde unseres Volkes erklingen, gilt in Frankreich als erster Vertreter des esprit Parisien, und er, dessen Name weltferne, traumhafte Romantik hervorzaubert, steht als Schriftsteller in den Reihen der revolutionären Vorkämpfer und ist einer der ersten, der die Bedeutung und Gefahr der sozialen Bewegung klar erkannte und kommendes Unheil ahnenden Geistes voraussah. Als Jude aber ist er den Rassetheoretikern Problem, wird von den Antisemiten ebenso leidenschaftlich abgelehnt wie gefeiert von seinen Anhängern. Und einer Zeit, die Blick hat für seelisches Gefüge und dessen Mischung aus Gesundem und Krankem, gibt er die Frage auf, welche Rolle in der geistigen Entwicklung des Einzelnen und der Menschheit das Pathologische spielt, und ob die sogenannte Dekadenz nur Entartung sei.

Heinrich Heine ist ein europäisches Ereignis. Dieses Wort Nietzsches muß Grundlage jeder unparteiischen Würdigung sein; gerade bei Heine führt Einseitigkeit zu ganz schiefen Urteilen. Weder er selbst mit seinen oft widerspruchsvollen und ebensooft durch die jeweilige Situation oder Absicht eingegebenen Äußerungen, noch die Familie mit ihrer nur zu deutlich hervortretenden Tendenz, das Bild ihres berühmten Angehörigen zu verhüllen oder zu verschönen, durch allerlei Geschichten oder Anekdoten die Wahrheit zu entstellen, weder der Fanatiker, der alles aus der Rassezugehörigkeit erklären will, noch der Historiker, der von streng nationalem Standpunkt aus Persönlichkeit und Werk wertet, kein Voreingenommener wird fähig sein, Heine aus seiner Zeit und aus seinem eigenen Wesen zu begreifen. Einen festen Halt bietet die wissenschaftliche Forschung: wir besitzen Heines Werke in vortrefflichen kritischen Ausgaben (besonders von Elster und Walzel), wir verfügen über ausgezeichnete Darstellungen seiner dichterischen und schriftstellerischen Tätigkeit (besonders von Legras und Lichtenberger), die Einzelergebnisse häufen sich mehr und mehr: aber auch die Forschung allein kann uns das letzte Wort nicht sagen. Mit Heine berühren wir das Problem der europäischen Kultur überhaupt, und erst, wenn uns deren Sinn offenbar wird, enthüllt sich auch das Problem Heine. Das aber ist Sache der lebendigen Entwicklung: wie sich uns deshalb heute jenes erste Problem darstellt, so müssen wir uns zu Heine einstellen. Die objektive Betrachtung schließt insofern immer einen subjektiven Faktor in sich ein.

 

Heinrich – sein ursprünglicher Vorname ist Harry – Heine wurde als Jude am deutschen Rhein in einem Lande geboren, das zur Zeit seiner Geburt von französischen Truppen besetzt war und von 1806-1813 unter französischer Herrschaft stand. Einwirkungen der verschiedensten Art warteten also in Düsseldorf des jungen Erdenbürgers, der zudem von seinen Eltern Anlagen erbte, die sich kaum zu harmonischer Betätigung vereinigen konnten. Es hätte einer ausnehmend starken Eigenkraft bedurft, um all dieser entgegengesetzten Mächte Herr zu werden, aber gerade diese zentrale Kraft, die Überkommenes und Vererbtes nach dem Gesetz der eigenen Natur zwingt, wurde dem ältesten Sohne des Kaufmanns Samson Heine nicht geschenkt. Seine Seele zeigt vielmehr von Anfang an eine Eindrucks- und Aufnahmefähigkeit, die der Bildung im passiven Sinne den weitesten Spielraum läßt, der aktiven, überwindenden Bildung aber die größten Schwierigkeiten macht. Heines ganze geistig-körperliche Konstitution ist von Haus aus nervös, er wurde, wie ein französischer Kritiker treffend sagt, écorché geboren, und zweifellos war hier das väterliche Blut bestimmend.

Samson Heine besaß nicht die typischen Eigenschaften seines Volkes. Er hatte sich seit der Zeit, wo er im Dienste des Herzogs von Cumberland als Proviantmeister den Soldaten gespielt hatte, vielmehr chevalereske Neigungen bewahrt, vor allem auch den Sinn für ein leichtes, sorgenloses Leben. »Eine grenzenlose Lebenslust war ein Hauptzug im Charakter meines Vaters, er war genußsüchtig, frohsinnig, rosenlaunig. In seinem Gemüt war beständig Kirmes.« (Memoiren.) Einer ernsten Auseinandersetzung mit den Wirklichkeiten des Lebens ging er aus dem Wege, letzter Grund ist offenbar eine gewisse Infantilität seines Wesens, die ihn auch unfähig machte, seinen Sohn in feste Bahnen zu lenken. Hier griff die Mutter ein. Rationalistisch eingestellt, versuchte sie von früh an den Sohn nach bestimmten Plänen zu leiten, wobei sie sich mehr von ihrem Ehrgeiz als von der Natur ihres Kindes führen ließ. »Sie hatte ... eine Angst vor Poesie, entriß mir jeden Roman, den sie in meinen Händen fand, erlaubte mir keinen Besuch des Schauspiels, versagte mir alle Teilnahme an Volksspielen, überwachte meinen Umgang, schalt die Mägde, welche in meiner Gegenwart Gespenstergeschichten erzählten, kurz, sie tat alles mögliche, um Aberglauben und Poesie von mir zu entfernen« (Memoiren). Dagegen förderte sie durchaus die Verstandesbildung und ließ ihn schon als Knaben philosophische Vorlesungen hören, »worin ... unumwunden die freigeistigsten griechischen Systeme« auseinandergesetzt wurden, eine »bedenkliche Begünstigung«, wie Heine selbst in den »Geständnissen« meint.

Aber Einflüsse entgegengesetzter Art waren stärker, und des Knaben angeborener »Sinn für das phantastische und die Romantik« fand reichliche Nahrung an Ammenmärchen, Sagen, Volksliedern und den kultischen Gebräuchen der katholischen Kirche. Besonders eindrucksvoll waren die »Hexenkünste« der alten Göchin, deren Mann Scharfrichter gewesen war.

Harry sollte nach dem Willen seiner Mutter »etwas werden«, und es war nur zu natürlich, daß sie ihre Hoffnungen dabei auf Napoleon und die französische Herrschaft gründete. Napoleon hatte den Juden, die bis dahin unter Ausnahmegesetzen lebten, volle Gleichberechtigung verliehen, die Bewunderung für ihn wurde dem aufwachsenden Kinde sozusagen eingeimpft, in seinem Dienste sollte es einst zu den höchsten Ehrenstellen emporsteigen. Aber Harry wurde von dem Ehrgeiz der Mutter nicht angesteckt, und ebensowenig war er begeistert, als er sich nach dem Sturz des großen Kaisers dem Kaufmannsstand widmen mußte, um im Dienst der »Dynastie Rothschild« eine Geldmacht zu werden – wie die Mutter meinte.

Die Schulzeit hatte tiefere Eindrücke nicht hinterlassen. Im Alter von etwa zwölf Jahren war Heine nach Vorbildung auf Privatschulen – vgl. »Citronia« in der »Nachlese« – in das Düsseldorfer Lyzeum eingetreten, das damals von Franziskanern geleitet wurde. An straffe Disziplin und gewissenhafte Pflichterfüllung wurde der Knabe nicht gewöhnt, er ließ den Unterricht über sich ergehen, doch verriet sich in seinem Verhalten gegen die Lehrer schon eine Reizbarkeit, die gelegentlich zu Konflikten führte. Bezeichnend ist vor allem, daß ihm die französische Poesie von früh an widerwärtig war, und noch im späten Alter dachte er mit Entsetzen an die ihm von seinem Lehrer gestellte Aufgabe, Verse aus Klopstocks »Messias« in französische Alexandriner zu übersetzen.

Nicht unerwähnt darf auch bleiben, daß er auf der Schule den ersten Angriffen und Verhöhnungen wegen seines Judentums ausgesetzt war: der empfindlichen Seele des Kindes mußten sich solche Anfeindungen tief einprägen und ein Ressentiment wecken, das ihm frühzeitig die Unbefangenheit nahm und den Boden für spätere allzu heftige Abwehr vorbereitete. Und als Harry in erster aufkeimender Liebe die Nichte der alten Göchin, das rote Sefchen, die Scharfrichterstochter, küßte, da mochte ein dunkles Gefühl seiner eigenen Pariastellung die zärtliche Regung begleiten. »Ich küßte sie nicht bloß aus zärtlicher Neigung, sondern auch aus Hohn gegen die alte Gesellschaft und alle ihre dunklen Vorurteile« (Memoiren).

Man kann nicht sagen, daß Harry Heine, als er 1815 in ein Frankfurter Bankhaus eintrat, für das Leben gut ausgerüstet war. Jeder feste Halt fehlte ihm. Dem Glauben seiner Väter war er nicht geradezu entfremdet, aber auch keineswegs darin bestärkt; Toleranz, Gleichgültigkeit, Skeptizismus, Unglaube war ihm nicht unbekannt, seine Phantasie gereizt durch seltsame und bizarre Eindrücke, ernstlich arbeiten hatte er nicht gelernt. Das väterliche Beispiel verlockte ihn zu sorglosem Lebensgenuß, während das mütterliche Streben ihn von einer Beschäftigung in die andere getrieben hatte. Keine seiner Natur angepaßte Leitung, keine Stetigkeit. Was wußte man damals von dem Eigenrecht des Kindes, was vollends von nervöser Anlage oder seelischer Schwäche? Ein verhängnisvolles Zufrüh steigert die Gefahren, denen das angeborene Naturell ausgesetzt ist: zu früh wird Heines Geist dem Widerspruch zwischen Glauben und Wissen geöffnet, zu früh entzündet sich seine Phantasie an Schaurigem und Groteskem, zu früh kommt ihm, namentlich durch das Lesen des »Don Quichotte«, der Gegensatz zwischen Ideal und Wirklichkeit zu Bewußtsein, zu früh erfährt er Spott durch Kameraden und Liebe von Mädchen.

In Frankfurt erwies sich Heine für den ihm zugewiesenen Beruf als ganz ungeeignet; weder bei dem Bankier Rindskopff noch bei einem Spezereihändler gewann er Interesse für Handel und Geldgeschäfte, dagegen nahmen ihn wieder frühe und diesmal weniger harmlose Liebeserfahrungen in Anspruch. Wichtig für ihn waren die Eindrücke im Ghetto, wo er die traurige Lage seiner Glaubensgenossen aus eigener Anschauung kennen lernte und sicher in seinem Protestgefühl gegen die Unterdrücker bestärkt wurde. Welches Ziel aber hatte der junge Heine selbst im Auge? Keines. Er ließ sich treiben, fühlte freilich damals schon die aufsteigenden Kräfte seines Talentes. Was sollte er für die Zukunft sorgen? Ein unklares, aber starkes Selbstbewußtsein ersetzte vorderhand die Leistung, für die äußere Existenz kamen die Eltern auf, und hatte er nicht in Hamburg seinen reichen, sehr reichen Oheim? In der Tat wurde Harry, nachdem er schon nach wenigen Monaten ins Elternhaus zurückgekehrt war, nach Hamburg geschickt, aber selbst Salomon Heine wußte aus dem »dummen Jungen« keinen brauchbaren Kaufmann zu bilden. Anfangs schien es gut zu gehen, der Onkel richtete seinem Neffen sogar ein eigenes Geschäft ein: Harry Heine und Co. hieß die Firma, die den einzigen Inhaber nach dem Beispiel des Geldgebers zum Millionär machen sollte. Leider mußte das Manufakturwarengeschäft schon nach kurzer Zeit seine Zahlungsunfähigkeit erklären (1819). Heines innerste Natur stand im Widerspruch zu Handel und Erwerb, aber ebensowenig lag ihm im Grunde das juristische Studium, zu dem er nun überging – auf Wunsch seiner Mutter und seines Oheims, der die Mittel dazu hergab.

Welche Rolle spielt Hamburg für die innere Entwicklung des Dichters? Heine selbst berichtet über seine ersten Jahre in der Fremde sehr wenig. In den »Memoiren« wird der Name Hamburg nicht einmal erwähnt, »Schnabelewopski« und »Deutschland« (Kap. XXI ff.) lassen Heines gründliche Abneigung gegen die Hansestadt und ihren Geist zur Genüge erkennen, auch über sein dem Geschäft gewiß nicht zuträgliches Leben erfahren wir manche Einzelheiten. Aber den meisten Aufschluß geben die Briefe aus der Hamburger Zeit – und die Gedichte, die damals in einer ersten Blüte emporsproßten.

Es mag dahingestellt bleiben, ob die kleine Geschichte tatsächlich wahr ist, Harry sei noch auf der Schule durch den Anblick eines von den Gymnasiasten angeschwärmten Mädchens so verwirrt worden, daß er bei einer Prüfung, als er deklamieren sollte, ohnmächtig zu Boden sank. Symbolisch hat dieser Vorgang den stärksten Wahrheitsgehalt: er zeigt Heines Sensibilität in seinem Verhältnis zum andern Geschlecht; er unterlag dem Eindruck, und diese Reaktion trieb dann sehr leicht zur Aktion, sie gilt weniger der oder jener, sondern dem Weibe überhaupt, sie erlaubt echte Leidenschaft so gut wie jede Art »niederer Minne«. Ein solcher Eros zwingt auch den Geist auf dieselbe Stufenleiter vom Höchsten bis zum Niedrigsten, und es ist die Schicksalsfrage, ob es dem Geist gelingt, sich der Knechtschaft des Eros zu entwinden und eine Dominante herzustellen, die sinnliche und geistige Kräfte zur Erreichung eines großen Zieles vereinigt. Andernfalls bleibt das Verhältnis zwischen Geistigem und Sinnlichem im tieferen Sinne pathologisch, und ob hier eine Krankheit im engeren Sinne zugrunde liegt, wird den Mediziner immer, den Biographen weniger interessieren.

Die Jugendgedichte Heines sind nur zum geringen Teil erhalten. Sie verraten aber noch genug, um sich ein Bild des jugendlichen Sängers zu machen, und mit Erstaunen sieht man, welche Gegensätze in seiner Seele Platz finden. Die Gedichte lassen sich nicht immer genau datieren, Heines Angaben darüber sind oft nachweislich falsch, aber unzweifelhaft zeigen gerade die frühesten – vor oder zu Beginn der Hamburger Zeit – als Einstellung einen teutonischen Idealismus, der für Mittelalter, Rittertum und »fromme Minne« schwärmt und von Deutschlands Art und Zukunft die erhabenste, um nicht zu sagen verstiegenste Vorstellung hat. Als typisches Beispiel kann hier »Deutschland« 1815 gelten:

Alte Sitte, alte Tugend,
Und der alte Heldenmut.
Schwerter schwinget Deutschlands Jugend;
Hermanns Enkel scheut kein Blut.

Freilich heißt es bald darauf, nach einem Lobgesang auf die deutschen Frauen:

Mutig sich ein Grab erwerben
In der Feldschlacht – das ist süß;
Doch in Frauenarmen sterben,
Das ist Gottes Paradies.

Und das Gedicht schließt mit der Strophe:

Deutschlands Töchter wie Luise,
Deutschlands Söhne Friedrich gleich.
Hör' im Grabe mich, Luise!
Herrlich blüh' das deutsche Reich!

Bedenkt man, daß Heine rein jüdischer Herkunft ist, so scheint zur Deutung dieser Strophen kein anderer Ausweg möglich zu sein, als daß es sich hier um dichterische Nachahmung handelt, um so mehr, da die hier angeschlagenen Töne sehr bald verklingen und sogar in ihr Gegenteil umschlagen – man vergleiche »Deutschland« 1819. Aber auch diesem Gedicht liegt, bei aller Ernüchterung, doch eine Sehnsucht nach dem »schönen Traum« zugrunde, also auch noch im Grunde der Seele, und – das sei besonders betont – Heine ist zeit seines Lebens, so scharf und heftig er Deutschland auch später angriff, zutiefst »eine deutsche Bestie« geblieben – worüber noch zu berichten sein wird. Er ahmt nicht nach, das Deutsche ist ihm, »was dem Fisch das Wasser ist«, ist ihm »Lebenselement«, aus dem er »nicht heraus kann«. Die Form, in der uns dieser seelische Inhalt in seinem Gedicht entgegentritt, ist unreif und nachgeahmt, er selbst hat sich, eben am deutschen Rhein aus deutschem Mund, der empfänglichen Seele schon des Kindes eingeprägt, ein Beweis ihrer außerordentlichen Empfänglichkeit. Spätere Eindrücke, ebenso bereitwillig aufgenommen, sind wohl imstande, das zuerst empfangene Bild zu verändern, ja bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen – entfernen können sie es nicht.

Die »fromme Minne« freilich hält vor der Wirklichkeit nicht stand, und gerade in Hamburg hat Heine Erlebnisse, die, schmerzlich und häßlich zugleich, seiner Seele jede Illusion nehmen und sie einem Zwiespalt aussetzen, der niemals wieder ganz überwunden wurde. Seine Kusine Amalie, deren Schönheit das empfängliche Herz des jungen Dichters am tiefsten bewegte, ließ sich seine Huldigungen anfangs gefallen, nahm aber, offenbar ganz im Sinne ihres reichen Vaters, den armen Vetter nicht ganz ernst; jedenfalls wurde dieser in seiner Hoffnung, Amalie für sich zu gewinnen, schnöde enttäuscht. Auch hier also erlitt Heine so etwas wie Bankrott. Was Andeutungen im »Schnabelewopski« schon ahnen lassen, gesteht er in den Briefen offen ein: »mein inneres Leben war brütendes Versinken in den düstern, nur von phantastischen Lichtern durchblitzten Schacht der Traumwelt, mein äußeres Leben war toll, wüst, zynisch, abstoßend«. Die »niedere Minne« gewinnt eine bedenkliche Macht über ihn, sie wirkt um so mehr niederziehend, als ihm der Weg nach oben durch seine unerwiderte Liebe verschlossen war. Schließlich war auch die Bekanntschaft mit Lord Byron, in dessen Dichtungen er sich damals vertiefte, nicht geeignet, ihn seiner Haltlosigkeit zu entreißen.

Aber merkwürdig, als Heine dann, wieder vom Oheim mit dem nötigen Gelde versehen, in Bonn seine juristischen Studien beginnt und hier mit den burschenschaftlichen Bestrebungen in Berührung kommt, da erhält seine Muse wieder das bieder-teutonische Antlitz wie 1815. Seinen Freund Rousseau ermahnt er, »mit deutschem Sinne« für wahre Freiheit und freie Wahrheit zu kämpfen, »treu und bieder«; Glaube, Freiheit, Minne soll sein Dreigestirn sein. Auf dem Drachenfels trinkt er, begeistert von Deutschlands heil'gen Siegen, auf Deutschlands Wohl. Lange freilich hält diese Stimmung nicht an, sie verbindet sich auch bezeichnenderweise schon mit einer gewissen Angriffslust gegen Thron und Altar und jener Vorliebe für den in der Schlußpointe zusammengefaßten Kontrast zwischen Idee und Wirklichkeit, der spätere Heine ist also doch schon erkennbar (vgl. »An J. B. Rousseau«, und »Die Nacht auf dem Drachenfels« in der »Nachlese«). Das 1819 entstandene Gedicht »Deutschland« wurde schon erwähnt, es bringt die Ernüchterung, zu der gewiß auch Heines erste Berührung mit Gericht und Polizei beitrug – er wurde wegen seiner Teilnahme an der studentischen Gedenkfeier der Schlacht bei Leipzig auf dem Kreuzberg einem peinlichen Verhör unterworfen –, am besten zum Ausdruck:

Sohn der Torheit! träume immer,
Wenn dirs Herz im Busen schwillt;
Doch im Leben suche nimmer
Deines Traumes Ebenbild!

Einst seien ihm süße Ahnungsschauer durchs Herz gegangen, als er dem Murmeln der Wogen des Rheins lauschte, aber

Schöner Traum ist längst verflogen,
Schöner Wahn brach längst entzwei.

In Bonn studierte Heine also Jurisprudenz. Er hat diesem »gottverfluchten Studium« niemals wirkliches Interesse abgewonnen, das Korpus juris nennt er ein »fürchterliches Buch«, »die Bibel des Egoismus«, es sei ihm immer wie die Römer selbst, verhaßt geblieben. Mit mehr Eifer dagegen hörte er Kollegs über deutsche Literatur, Sprache und Altertumskunde, auch im Freundeskreis bestärkte er sich in seiner Neigung für deutsche Vorzeit und Romantik. Entscheidend für ihn wurde in Bonn A. W. Schlegel, der sich des jungen Dichters freundlich annahm: Heine beginnt sich unter dessen Leitung bewußt als Dichter zu bilden. Äußeres Kennzeichen dafür ist das Auftreten der strengen Form des Sonetts (vgl. letzte Abteilung der »Jungen Leiden«), ein glänzender Erfolg dieser Bemühungen eine Ballade wie die »Grenadiere«, die schon eine Meisterschaft zeigt, die Heine später kaum übertroffen hat. Zugleich werden hier Kindheitseindrücke wieder lebendig, die, ganz im Gegensatz zu der deutschen Richtung, in der sich Heine in Bonn bewegt, nach Frankreich und den revolutionären Idealen hinweisen. In diese Zeit fallen auch die ersten schriftstellerischen Versuche Heines; in einem kurzen Aufsatz über die » Romantik« stellt er die romantische Dichtung in Gegensatz zur heidnischen. Im Altertum »war die Sinnlichkeit vorherrschend«, die »Poesie hatte vorzugsweise das Äußere, das Objektive zum Zweck und zugleich zum Mittel der Verherrlichung«. Das Christentum aber brachte einen neuen seelischen Inhalt, es verlangte nach neuen Bildern und neuen Worten, um die neuen Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Dabei wird das Christentum eine »unüberschwenglich beseligende Idee« genannt, die Menschen begannen zu ahnen, daß es etwas Höheres gebe als »Sinnenrausch«. »So entstand die sogenannte romantische Poesie, die in ihrem schönsten Lichte im Mittelalter aufblühte«, aber heute nach langen Kriegs- und Glaubensstürmen wieder lieblich aus dem deutschen Boden aufsproßte und ihre herrlichsten Blüten entfaltete. Goethe und Schlegel sind ihre Hauptvertreter, sie beweisen zugleich, daß die romantische Dichtung sich durchaus mit der plastischen verträgt, verworrene und verschwimmende Bilder sind durchaus nicht ihre Kennzeichen, die wahre Romantik ist auch nicht »ein Gemengsel von spanischem Schmelz, schottischen Nebeln und italienischem Geklinge«. Das sind gesunde Anschauungen, und so unreif manches noch erscheint, namentlich die naive, den Lehrer und Schüler gewiß ehrende Nebeneinanderstellung von Goethe und Schlegel und die Bezeichnung des ersteren als Romantiker, der kleine Aufsatz zeigt doch schon eine gewisse Großzügigkeit. Sehr charakteristisch ist der Schluß: Romantik sei nun nicht etwa gleichbedeutend mit Christentum und Rittertum, diese waren nur das Mittel, um jener Eingang zu verschaffen, Priester und Ritter seien heute zu ihrem Dienst nicht mehr nötig. »Deutschland ist jetzt frei; kein Pfaffe vermag mehr die deutschen Geister einzukerkern; kein adeliger Herrscherling vermag mehr die deutschen Leiber zur Fron zu peitschen, und deshalb soll auch die deutsche Muse wieder ein freies, blühendes, unaffektiertes, ehrlich deutsches Mädchen sein und kein schmachtendes Nönnchen und kein ahnenstolzes Ritterfräulein.« Ganz wie aus den erwähnten Gedichten – sogar der Wortlaut, Pfaffe und Herrscherling, ist identisch – spricht aus diesem Schluß ein deutlicher Protest, wenn Heine auch im übrigen im Bannkreis der Romantik bleibt. Man muß auch zugeben, daß er selbst, namentlich in den Balladen, nach der von ihm verlangten Plastik strebt und sie erreicht, fraglicher bleibt, ob seine eigene Poesie sonst dem Bilde entspricht, das er von ihr wünscht.

In Göttingen, wohin sich Heine im Herbst 1820 wandte, setzte er seine altdeutschen Studien fort – er war empört, daß von tausend Studenten nur neun mit ihm das Kolleg über althochdeutsche Sprache hörten und Interesse hatten »für die Sprache, für das innere Leben und für die geistigen Reliquien ihrer Väter« (Brief vom 9. Nov. 1820) – auch seine Beziehungen zur Burschenschaft nimmt er hier wieder auf, steht ihr aber jetzt schon entschieden skeptischer gegenüber. Der Göttinger Ton gefällt ihm gar nicht, auch die Professoren langweilen ihn und reizen seine Spottlust. Daß er durchaus noch empfänglich war für Belehrung und Zuspruch, beweist das Sonett an den Hofrat Sartorius (»Nachlese«). Der Dank an ihn klingt nicht mehr so überschwenglich wie der an Schlegel (Sonette in den »Jungen Leiden«), begreiflicherweise, denn Sartorius war kein Dichter, aber das Gedicht zeugt doch von Dankbarkeit und Pietät:

Doch was du mir, recht väterlich und mild,
Zum Herzen sprachst in stiller, trauter Stunde,
Das trag' ich treu im tiefen Herzensgrunde.

Die »Harzreise« mit ihrer berühmten Schilderung Göttingens und des Göttinger Lebens zeigt aber doch, daß andere Eindrücke überwogen und Heines Oppositionsgeist dort sehr gestärkt wurde. Auch die Briefe aus jener Zeit ergehen sich oft in recht despektierlichen Ausdrücken. Die Mitglieder der Burschenschaft nennt er »patente Pomadehengste, Prachtausgaben wässrichter Prosaiker, plastisch ennuyante Gesichter« (Brief vom 9. Nov. 1820). »O Deutschland! Land der Eichen und des Stumpfsinnes!« ruft er in übereilter Verallgemeinerung seiner Erfahrungen unwillig aus. Mehr und mehr beginnt Heine den Widerstand der Welt zu fühlen und sich daran zu reiben. Hatte er in Hamburg mit seiner Liebe eine bittere Enttäuschung gekostet, so scheint er in Göttingen den ersten ernsteren Anfeindungen begegnet zu sein. Jedenfalls forderte er einen Studenten auf Pistolen und wurde deswegen im Januar 1821 relegiert.

Goedeke (Grundriß VIII2, S. 527) behauptet, Heine sei gleichzeitig aus der Burschenschaft ausgestoßen, und zwar wegen Krankheit, die ihn gezwungen habe, noch einige Wochen in Göttingen zu bleiben. Heine selbst behauptet, er habe Krankheit vorgeschützt, um nicht gleich nach der Relegation abreisen zu müssen. (Brief vom 4. Februar 1821.)

Er war angeblich nach Göttingen gegangen, um dort zu »ochsen«, aber auch hier hatte er hauptsächlich der Muse gedient. »Mit aller Kraftanstrengung« arbeitete er besonders an seiner Tragödie »Almansor«, er schonte »kein Herzblut und keinen Gehirnschweiß«, um auch in diesem Werke, seiner Theorie entsprechend, »romantischen Geist mit streng plastischer Form« zu verbinden. Auch an den Gedichten wird fleißig gefeilt, neue entstehen, und im November 1820 schickt Heine eine erste Sammlung, »Traum und Lied«, an Brockhaus in Leipzig und bietet sie zum Verlag an. Über die Ablehnung tröstet er sich: »Es ist dem großen Goethe ebenso gegangen mit seinem ersten Produkt.« (Brief vom 4. Febr. 1821.)

So endet Göttingen mit einem Mißerfolg in jeder Beziehung. Dazu kam dann noch, daß sich Kusine Amalie um diese Zeit mit einem Herrn Friedländer verlobte. Ein undatierter Brief aus dem Frühjahr 1821 eröffnet uns einen Blick in Heines Seele. Geht man von einem früheren Brief (9. Nov. 20) aus, in dem er von seinem tollen, zerrissenen und verwilderten Gemüt spricht, das so sehr der Besänftigung, Heilung und Veredelung bedürfe, so erschrickt man fast, jetzt einen Zustand zu erkennen, der offenbar weniger einen unheilbaren Riß als eine geradezu aufgepeitschte Erregung verrät, die sich trotzdem mit kaltem Hohn und geschmackloser Persiflage verträgt. Gerade dieser Brief scheint mir beweisend dafür zu sein, daß Heine seinen eigenen Empfindungen als Dichter gegenübersteht, so daß es sehr schwer zu entscheiden ist, ob Leidenschaft oder Phantasie den Vorrang haben.

Es geht aus dem erwähnten Briefe hervor, daß Heine nach der Abreise aus Göttingen auf dem Wege ins Elternhaus Hamburg besuchte. Dann aber setzte er, wenn man diesen Ausdruck gebrauchen darf, seine Studien in Berlin fort. In Wahrheit hatte er hier fast ausschließlich literarischen Umgang, von Bedeutung an der Universität wurde ihm nur Hegel. Heines empfängliche Seele öffnete sich auch in Berlin den mannigfachsten Eindrücken, er verkehrt im Salon der Rahel wie in der Weinstube von Lutter und Wegener, und kam er dort in Berührung mit feingeistigen Menschen, die bildend wirken mußten, so unterlag er hier dem Einfluß von Persönlichkeiten, die seiner Neigung zu ungezügelter Lebensführung nur zu sehr entgegenkamen. Tieferen Eindruck machte namentlich Rahel selbst auf den jungen Dichter, sie wußte ihn, der zwischen einer gewissen Scheu und einer schon damals stark ausgeprägten Eitelkeit unsicher schwankte, richtig zu nehmen und hatte auch Verständnis für seine Poesie. Sie habe ihn, schreibt Heine später (Brief vom 12. April 1823) mit einer Artigkeit und Güte behandelt, die er, ein kranker, bittrer, mürrischer, poetischer und unausstehlicher Mensch gewiß nicht verdient habe. Es war freilich ein eigentümlicher Dank, wenn er ihr dann, ohne sie gefragt zu haben, das »Buch der Lieder« widmete. In dem Salon der Rahel verkehrten alle Geistigen, und so lernte Heine hier Chamisso, Fouqué u. a. persönlich kennen. Bei Lutter und Wegener dagegen geriet er in den Kreis jener bizarren und verlottert-genialen Künstler, Dichter und Literaten, die, wie E. T. A. Hoffmann, Grabbe, Devrient, sich in tollen Einfällen und wüsten Zechereien überboten. An diesen nahm Heine nie teil, auch in Bonn und Göttingen hatte er an alkoholischen Exzessen nie Geschmack gewonnen, sein zarter Körper vertrug sie einfach nicht. Aber das sonstige Treiben und Gehaben seiner Kumpane entsprach ganz seiner von früh an auf das Seltsame und Nachtseitige gerichteten Natur. Über Grabbe berichtet Heine in seinen »Memoiren«, nachdem er schon früher die Absicht gehabt hatte, eine Biographie des »betrunkenen Shakespeare« zu schreiben. Es klingt durchaus glaubhaft, daß, wie Heine bei dieser Gelegenheit erzählt, Professor Gubitz, der Herausgeber des »Gesellschafter«, den Dichter des »Gothland« zu ihm geschickt habe, da er »ebenso tolle Grillen im Kopfe trüge« wie jener. Offenbar aber hatte Heine in dieser Gesellschaft auch mancherlei Anfeindungen zu erdulden, besonders als Jude mußte er sich mehr oder weniger grobe Neckereien gefallen lassen. Warm wurde er in dem 1819 gegründeten »Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden«, dessen Mitglieder sich, nach der Einschränkung des Toleranzediktes von 1812 im Jahre 1823, erst recht solidarisch fühlen mußten. Heine entfaltete in rasch aufgeflammter Begeisterung eine rege Tätigkeit für seine Glaubensgenossen, erkannte freilich bald, auf wie unsicherem Boden sich die Bestrebungen des Vereins nach der reformatorischen Seite hin bewegten. Ein orthodoxer Jude wurde er ebensowenig wie Gans und andere Mitglieder, der »Rabbi von Bacherach«, dessen Anfänge in diese Zeit fallen, zeigt deutlich, daß es nicht religiöse Motive waren, die Heine zur Mitwirkung bestimmten, vielmehr eine enthusiastische Entrüstung über die Zurücksetzung und Unterdrückung der Juden, wie es auch eine Briefstelle ausspricht: »Daß ich für die Rechte der Juden und ihre bürgerliche Gleichstellung enthusiastisch sein werde, das gestehe ich ...« (Brief an M. Moser vom 23. Aug. 1823). Im übrigen sei er Indifferentist (Brief an M. Embden vom 3. Mai 1823), er habe auch nicht die Kraft, einen Bart zu tragen und sich Judenmauschel nachrufen zu lassen, zu fasten oder Matzes zu essen (Brief an I. Wohlwill vom 1. April 1823). Für die jüdische Religion, »die zuerst jene Menschenmäkelei aufgebracht, die uns jetzt so viel Schmerzen verursacht«, werde er sich nie zum Champion aufwerfen (Brief an M. Moser vom 23. Aug. 1823), höchstens als Gegengift schätze er sie, denn die Wurzel seiner Anhänglichkeit an das Judenwesen sei eine tiefe Antipathie gegen das Christentum (Brief an M. Embden vom 3. Mai 1823). Noch schärfer, mit einer gereizten, geradezu Nietzscheschen Erbitterung nennt er in dem zitierten Brief an Wohlwill das Christentum, dessen endlicher Sturz ihm immer einleuchtender werde, »eine faule Idee«. Er fährt fort: »Es gibt schmutzige Ideenfamilien, die in den Ritzen dieser alten Welt, der verlassenen Bettstelle des göttlichen Geistes, sich eingenistet, wie sich Wanzenfamilien einnisten in der Bettstelle eines polnischen Juden. Zertritt man eine dieser Ideen-Wanzen, so läßt sie einen Gestank zurück, der jahrtausendelang riechbar ist.« Den »armen Juden« verpeste es noch immer die Luft. Diese Stelle ist in dem Brief durchgestrichen, ich zitiere sie, um die unter dem Eindruck der Aufhebung des Toleranzediktes entstandene Gereiztheit, die für Heinesche Äußerungen so oft verantwortlich ist, recht hervorzuheben, eine Gereiztheit, der seine höchst sensible Natur nur zu leicht unterliegt, und wenn Heines Äußerungen so häufig sich widersprechen, so liegt hier die Quelle: das hieraus geschöpfte Urteil hat nie, auch für Heine nicht, absoluten Wert. Wenn daher gerade der in diesem Sinne durchaus impressionistische Heine immer wieder mit den in diesem Fall viel zu plumpen Begriffen starrer Logik bekämpft wird, so leuchtet die Unzulänglichkeit und Ungerechtigkeit eines solchen Verfahrens ein. Der Biograph hat hier einfach eine seelische Schwäche festzustellen, im übrigen aber aus tieferen Zusammenhängen den Wert dieser Anlage und der daraus entstehenden Urteile zu ermessen.

Vom studentischen Leben schloß sich Heine nicht ganz aus, zur Burschenschaft hielt er nicht mehr, wie gegen das Christentum empfindet er jetzt gegen alles Deutsche eine tiefe Abneigung. »Alles was deutsch ist, ist mir zuwider; ... alles Deutsche wirkt auf mich wie ein Brechpulver. Die deutsche Sprache zerreißt meine Ohre. ( sic.!) Die eigenen Gedichte ekeln mich zuweilen an ...« In französischer Sprache fährt er dann fort: » Je n'aurais jamais cru que ces bêtes qu'on nomme allemands, soient une race si ennuyante et malicieuse en même temps.« Er wolle, sobald seine Gesundheit wieder hergestellt sei, nach Arabien auswandern und dort wirklich als Mensch leben, » parmis des chameaux qui ne sont pas étudiants«, und arabische Verse machen. (Brief an Sethe vom 14. April 1822.) Literarische Interessen und Beziehungen treten durchaus in den Vordergrund, der Briefwechsel mit Immermann beginnt, freilich bleibt Heine auch, wie in Hamburg, in Berührung mit der Halbwelt: Händel und Abenteuer sind dem Dichter und werdenden Schriftsteller nicht fremd. Eine Bindung seiner ganzen Persönlichkeit erfolgt nirgends, heimisch fühlt er sich weder hier noch dort, dazu muß er schon jetzt über körperliches Unbehagen, namentlich über dauernde Kopfschmerzen klagen. So schreibt er am 21. Januar 1823 an seinen alten Freund Sethe: »Krank, isoliert, angefeindet und unfähig, das Leben zu genießen, so leb' ich hier.« Zweifellos hat sich Heine in Berlin umfangreiche Kenntnisse auf den mannigfachsten Gebieten erworben – man vergleiche das Buch Le Grand –, zu einem systematischen Studium, am wenigsten der Jurisprudenz, ist er nie gekommen. In einem Brief an Sethe vom 14. April 1822 nennt er sich »den gelehrtesten der jetzt lebenden Menschen«, keiner in Deutschland wisse so viel wie er, nur prahle er nicht mit seinem Wissen. An anderer Stelle (Brief an Keller vom 1. Sept. 1822) äußert er sich bescheidener, Gans habe eine zu günstige Meinung von seiner Gelehrsamkeit, er – Heine – habe daher die ihm von jenem angebotene Mitarbeiterschaft an einer Zeitschrift für Rechts- und Staatswissenschaft abgelehnt. Greifbare Erfolge dagegen bringt ihm in Berlin die Dichtkunst: 1821, nachdem schon manche Gedichte besonders in dem von Gubitz herausgegebenen »Gesellschafter« veröffentlicht worden waren, erscheint die erste Sammlung unter dem schlichten Titel »Gedichte« (mit der Jahreszahl 1822), sie entsprechen in der Hauptsache den »Jungen Leiden« des Buches der Lieder, doch fehlen hier achtzehn Stücke, während drei in das »Lyrische Intermezzo« übernommen wurden. Ein getreues Bild der Jugendlyrik Heines geben auch die »Gedichte« nicht, gerade die für die Frühzeit bezeichnenden »politischen Gedichte« – diese Benennung gebraucht Heine schon in dem Brief an Brockhaus, dem er zuerst seine Gedichte angeboten hatte – sind nicht darin enthalten. Heines Begeisterung für deutsches Vaterland und Mittelalter tritt zwar noch hervor – vergleiche z. B. »Die Weihe« und »Die Nacht auf dem Drachenfels« in der »Nachlese« –, aber sie verblaßt neben dem übrigen Inhalt, dessen immer wiederkehrendes Thema die Liebe ist – sie erscheint anfangs, noch sehr unbestimmt, als »Minne«, ein »wunnevolles Magedein« wird angedichtet, der Sänger grüßt sein »süßes Lieb«, das »gar ferne und weit wohnt«, die Stimmung ist weich, ein wenig elegisch, ein »frommer, bleicher Knabe« betet vor der Madonna – hier haben wir Frühlyrik. Aber dann ändert sich der Ton: in den »Traumbildern«, in den »Liedern«, in den »Romanzen«, in den »Sonetten« – überall klagt, eifert, schilt, höhnt, phantasiert, deliriert die unglückliche Liebe. Es wurde schon erwähnt, daß Amalie Heine diese Gedichte inspiriert hat. Heine dichtet sich in seinen Schmerz förmlich hinein; neue Nahrung erhält dieser durch Amaliens Verlobung, doch haben gerade die späteren Verse weniger den Pulsschlag einer elementaren Leidenschaft als einer um ein gewiß echtes Gefühl kreisenden Phantastik, die sich immer wieder eines ersten Eindrucks erinnert und diesen allmählich durch immer neue Anhäufungen wirrer und krasser Bilder steigert. Das gilt besonders von den »Traumbildern« und den »Fresko-Sonetten«. Maximilian Heine behauptet, die Liebe seines Bruders zu Amalie sei ein Märchen, das durch alle Biographien des Dichters geschleppt würde. Maximilian ist ein sehr unzuverlässiger Zeuge, und angesichts der Gedichte und vor allem der Briefe läßt sich seine Behauptung nicht aufrechterhalten – sie ist ein kleiner Beweis dafür, wie die nächsten Angehörigen Heines dessen Leben nach ihren Familieninteressen umzustilisieren suchten. Berechtigt aber erscheint die Frage, ob Heine hier Dichter wurde durch eine die ganze Seele füllende Leidenschaft, oder ob die Leidenschaft durch den Dichter gesteigert wurde und sich im Dichten immer neu entfachte. Heines ganze Anlage bedingt, wie schon gesagt, eine von vornherein leidenschaftliche Einstellung zum Weibe überhaupt, das Objekt kann wechseln, es kann aber auch ideell festgehalten werden – Heine selbst nennt 1822 Amalie einen weiblichen Schatten, der nur noch in seinen Gedichten lebe – und so muß die Frage oben zugunsten der zweiten Möglichkeit beantwortet werden. Deshalb ist Heine kein Lügner, der, wie Goedeke (a. a. O.) meint, nur darauf bedacht gewesen sei, neben seinen liederlichen Verbindungen mit feilen Schönen eine reiche Heirat zu machen – aus solcher Absicht sprießen Lieder wie »Schöne Wiege meiner Leiden« nicht hervor – das Dichten, könnte man fast sagen, tritt an Stelle des Lebens, und nur insofern es angeblich dieses schildert, täuscht es. Das wirkliche Verhältnis zwischen Amalie und Heine ist deshalb auf Grund seiner Gedichte nicht zu erkennen, wenn auch einzelne Angaben, wie das Geschenk einer Locke oder der nächtliche Besuch vor dem Hause der Geliebten Tatsachen sein mögen. Gerade die Gedichte, in denen sich der Schmerz über den Verlust der Geliebten am grellsten ausspricht – die »Traumbilder« und die »Fresko-Sonette« – sind, recht bezeichnet, Phantasien, die zum Teil sogar noch Anklänge an frühere Erlebnisse haben – Josefa –, mit literarischen Reminiszenzen und weltschmerzlichen Anwandlungen verknüpft sind und so viel mehr einen seelischen Zustand verraten, der durch ein Liebeserlebnis aus dem Gleichgewicht gebracht wurde, als eine starke und tiefe Leidenschaft. Die Vorstellung Heines über seine Liebe ist offenbar größer als diese selbst, und statt des unmittelbaren Eindrucks erhalten wir die Versicherung:

Hier sind nun die Lieder, die einst so wild
Wie ein Lavastrom, der dem Ätna entquillt,
Hervorgestürzt aus dem tiefsten Gemüt.

(Lieder, 9)

Verraten also die Liebesgedichte dieser ersten Sammlung weder Kraft noch Reife, so stehen daneben doch – und das ist wiederum sehr bezeichnend für den seelischen Boden, aus dem die Heinesche Kunst emporwächst – Balladen, von einer Meisterschaft, wie Heine sie auch später nur gelegentlich wieder erreicht. Hierher gehören vor allem »Die Grenadiere« und »Belsazar«, beide sind zugleich Beweisstücke für die eigentümliche Art seiner dichterischen Produktion: das eine übernimmt wirkungsvolle Einzelheiten aus der von Herder in seinen »Stimmen der Völker in Liedern« mitgeteilten Ballade »Edward«, das andere lehnt sich stofflich an Byrons » Vision of Belshazzar« an, in beiden Fällen aber bewahrt Heine doch auch seine Selbständigkeit und übertrifft die Vorlagen.

Die zweite, 1823 in Berlin erscheinende Sammlung, das »Lyrische Intermezzo«, zeigt gegenüber der ersten inhaltlich und formell eine Verengung, dafür aber eine Steigerung, die über den Heine der »Gedichte« weit hinausführt, ohne den Zusammenhang mit diesen zu verlieren. Ausschließliches Thema des Intermezzos ist die Liebe – aber auch die Form ist von einer »Einsaitigkeit«, die eintönig wirken würde, wenn das Thema nicht wieder in mannigfachster Weise variiert würde. Zugrunde liegt das Amalienerlebnis, aber dazwischen finden sich Lieder der »niederen Minne«, die in ihrem weltmännisch-frivolen Ton seltsam abstehen von den zarten und verzweifelnden Versen des Liebesglückes und Liebesschmerzes. Das Entscheidende: im »Intermezzo« findet Heine seinen Ton, das kurzstrophige Lied, dessen Schluß mit Vorliebe epigrammatisch zugespitzt ist. Er nennt diese Form geradezu eine »Behandlungsweise des Volksliedes« und gesteht, daß die von Schottky gesammelten österreichischen Tanzreime ihm dabei vorgeschwebt hätten (An Schottky, 4. Mai 1823). Und an anderer Stelle (an Wilhelm Müller, 7. Juni 1826) spricht er von der frühen Einwirkung des Volksliedes auf seine eigene Poesie, nach dessen Einfachheit habe er immer gestrebt, und die Müllerschen Lieder hätten ihm gezeigt, daß man aus den alten vorhandenen Volksliedformen neue Formen bilden könne, ohne die alten Sprachholprigkeiten und Unbeholfenheiten nachahmen zu müssen. Vom Volkslied übernimmt Heine aber auch die durchgehend angewandte Naturbeseelung, ohne indes seine »Kultur« zu verleugnen, deren Raffinement und Banalität gelegentlich absichtlich hervorgekehrt wird. So sind die Lieder des »Intermezzo« im ganzen mehr originell als original, Heinesch aber vor allem in jener Gebrochenheit zwischen gefühlsmäßiger Hingabe und verstandesmäßiger Überlegenheit, die mit wachsender Sicherheit sich einer erkaltenden Ironie bedient – von jugendlicher Überschwenglichkeit oder Schwärmerei findet sich keine Spur mehr.

Konnte Heine mit dem Erfolg seiner dichterischen Bemühungen zufrieden sein, so war seine bürgerliche Zukunft immer noch in Frage gestellt. Er selbst hatte zwar allerlei unklare Pläne – schon jetzt taucht der Gedanke auf, nach Paris überzusiedeln (Brief an Immermann vom 10. April 1823) –, aber die Wirklichkeit war stärker, und so blieb ihm nichts übrig, als sein Studium wenigstens zum äußeren Abschluß zu bringen. Berlin schien dazu nicht der geeignete Boden zu sein, Heine war hier schon zu tief in literarische Kreise und Interessen – wie er sich ausdrückt (an Immermann l. c.) in »Kröten- und Ungezieferkoterien« – geraten, und so entschloß er sich nach Rücksprache mit seinem Onkel Salomon, der ihm die Mittel zu weiterem Studium bewilligte, dieses in Göttingen zu Ende zu führen. Am 30. Januar 1824 wurde er hier zum zweitenmal immatrikuliert. Die Zwischenzeit – im Mai 1823 hatte er Berlin verlassen – verbrachte er in Hamburg, in Cuxhaven, wo ihm der Onkel einen Badeaufenthalt ermöglicht hatte, und in Lüneburg, wohin die verarmten Eltern von Düsseldorf gezogen waren. Die Briefe aus dieser Zeit, von denen die an Moses Moser in Berlin die bemerkenswertesten sind, verraten eine entschiedene Depression, die Klagen über Kranksein und Kopfweh hören nicht auf, Lüneburg empfindet er als »Residenz der Langeweile« (an Moser, 27. Sept. 1823), auf dem Rathause scheine ein »Kulturableiter« zu stehen (an Schwester Charlotte, Nov. 1823) und das juristische Studium, mit dem er sich wohl oder übel beschäftigen muß, macht ihm wenig Vergnügen.

Er ist »verdrießlich, mürrisch, enfin unausstehlich« (an Moser, 18. Juni 1823), er lebt »ganz isoliert, mit keinem einzigen menschlichen Menschen komme ich zusammen« (ebd.). Die Verbreitung seines Ruhmes durch den von seinen Gedichten begeisterten Dr. Christiani läßt er sich gefallen, Neues schreibt er »fast gar nichts«, sein Kopf sei zu poetischen Arbeiten zu dumpf (an Moser, 28. Nov. 1823). Das für den seelischen Zustand Heines bezeichnendste Wort fällt in einem Brief an J. Lehmann (vom 26. Juni 1823): »Es liegt in meinem Charakter, oder besser gesagt in meiner Krankheit, daß ich in Momenten des Mißmuts meine besten Freunde nicht schone und sie sogar auf die verletzendste Weise persifliere und malträtiere«. Sehr charakteristisch ist auch das Geständnis in dem Brief an Moser (vom 27.-30. Sept. 23): »Die meinige ( sc. Seele) ist Gummielastik, zieht sich oft ins Unendliche und verschrumpft oft ins Winzige. Aber eine Seele habe ich doch ... Liebe mich um der wunderlichen Sorte Gefühls willen, die sich bei mir ausspricht in Torheit und Weisheit, in Güte und Schlechtigkeit. Liebe mich, weil es Dir nun mal so einfällt, nicht weil Du mich der Liebe wert hältst. Auch ich liebe Dich nicht, weil Du ein Tugendmagazin bist und Adelungisch, Spanisch, Syrisch, Hegelianisch, Englisch, Arabisch und Calcuttisch verstehst und mir Deinen Mantel geliehen hast und Geld geliehen hast und für mich den Kopf zergrübelt hast und dergleichen – ich liebe Dich vielleicht nur wegen einiger närrischen Mienen, die ich Dir mal abgelauscht und wegen einiger pudelnärrischen Redensarten, die Dir mal entfallen und die mir im Gedächtnis klebengeblieben sind und mich freundlich umgaukeln, wenn ich gutgelaunt oder bei Cassa oder sentimental bin.« Heine fügt dann hinzu, er habe einmal einen Polen zum Freund gehabt, für den er sich hätte totschlagen lassen, nur weil er auf so wunderliche Weise das Wort »Was« sprechen konnte – »der Kerl taugte für keinen Pfennig und war venerisch und hatte die schlechtesten Grundsätze«. Der jedem Eindruck geöffnete, sensitive Stimmungsmensch, der dem Eros verfallene – Blühers Definition des Eros als Bejahung unabhängig vom Wert wird praktisch von Heine vorweggenommen – tritt hier klar hervor, und wenn Lamprecht recht hat mit seiner Charakterisierung des modernen Menschen als des reizsamen, muß Heine als Frühform dieses Typus anerkannt werden. Auch der nicht wegzuleugnende Zusammenhang der Moderne mit Krankheit wird hier deutlich, ohne daß damit ein Vorwurf oder eine Herabsetzung ausgedrückt werden soll: das Leben weiß sich auch der Krankheit als Fortschrittsfaktors zu bedienen, wenn auch der einzelne dabei als Opfer erscheint.

In Göttingen arbeitete Heine nun wirklich auf ein Ziel hin. »Ich treibe immer Jus, aber verflucht, ich kann nichts loskriegen. Noch immer kenne ich die Titel der Skottschen Romane und die Novellen des Boccaz oder Tiecks viel besser als die Titel und Novellen im Korpus juris. O heiliger Justinian, erbarme dich meiner!« (An Christiani, 7. März l824.) »Ich lebe sehr obskur, solide und sogar tugendhaft«, schreibt er an seinen Lüneburger Freund Christiani (29. Febr. 1824). Eine ununterbrochene Beharrlichkeit konnte er sich aber auch jetzt nicht aufzwingen. »Ich bin der alte Tannhäuser noch, und mit geheimnisvoller Melodie lockt es mich wieder nach dem wohlbekannten Venusberge; und es ist sehr wahrscheinlich, daß ich in neun Wochen die Ferien dazu benutze, einen Sprung nach Berlin zu machen.« (An Christiani, 29. Febr. 1824.) Tatsächlich reiste er in den Osterferien nach Berlin (Moser mußte ihm ein Zimmer besorgen, in dessen Nähe »ein Schlosser oder überhaupt ein klopfender Handwerker« nicht wohnen durfte und das an kein andres grenze, worin laut gesprochen werde), wo er die früheren Beziehungen wieder auffrischte und zugleich für seine »künftige Stellung« sorgen wollte. Als Dichter hatte er sich durch Übersendung von dreiunddreißig Liedern an Gubitz schon vorher in Erinnerung gebracht. Unterwegs hatte er in Magdeburg Aufenthalt genommen, um Immermann persönlich kennenzulernen. Er bewunderte den »Koloß an Kraft und Ruhe«, neben dem er sich als zarter Schwächling Vorkommen mußte, auch dessen dichterische Pläne imponierten ihm: »Von dem bloßen Gedanken einer solchen Riesennatur könnte ich schon den Tod aufladen« (Brief an Christiani vom 24. Mai 1824). Stellte aber mit Vergnügen fest, daß Immermann vor seiner – Heines – Muse sehr tief den Hut zog. Nach Schluß des Sommer-Semesters unternahm Heine dann im Herbst jene Reise, die er durch sein erstes Prosawerk berühmt gemacht hat. Von seinem Besuch bei Goethe erwähnt er darin nichts, dagegen spricht er davon in der »Romantischen Schule« (vgl. Bd. III, S. 519 ff.), und was er hier darüber erzählt, ist vielleicht wahrer als die wirkungsvolle Anekdote, die gewöhnlich über diese Audienz berichtet wird. Die Bewunderung für Goethe hatte Heine in dem Rahelschen Kreise sozusagen eingesogen, in Lüneburg hatte er sich mit dessen Werken vertraut gemacht, hatte ihm schon vorher die »Gedichte« und das »Lyrische Intermezzo« in »tiefster Verehrung« zugeschickt, scheint dann aber doch durch Goethes kühles Verhalten verletzt worden zu sein. Es klingt zu absichtlich vorbeigehend, wenn Heine bald nach dem Besuch an Moser schreibt (29. Okt. 1824): »Ich war in Weimar; es gibt dort sehr gutes Bier«, einige Zeilen später wiederholt: »Ich war in Weimar; es gibt dort auch guten Gänsebraten«, und am Schluß des Briefes nochmals versichert: »Das Bier in Weimar ist wirklich gut.« Erst im Mai 1825, in einem Brief an Christiani, erwähnt er den Besuch bei Goethe und ebenso am 1. Juli in einem Brief an Moser. Auch hier berichtet Heine nicht über den tatsächlichen Verlauf der Zusammenkunft, dagegen schildert er das Äußere Goethes und knüpft daran höchst charakteristische Bemerkungen über den Gegensatz zwischen seiner eigenen Natur und der Goethes. Dieser sei »von Haus aus ein leichter Lebemensch, dem der Lebensgenuß das Höchste, und der das Leben für und in der Idee wohl zuweilen fühlt und ahnt ... aber nie tief begriffen und noch weniger gelebt hat«. Er selbst dagegen sei »von Haus ein Schwärmer, d. h. bis zur Aufopferung begeistert für die Idee« – noch deutlicher heißt es in dem Brief an Christiani, er schätze das Leben im Grunde gering und würde es trotzig hingeben für die Idee – aber er habe den Lebensgenuß begriffen und Gefallen daran gefunden, »und nun ist in mir der große Kampf zwischen meiner klaren Vernünftigkeit, die den Lebensgenuß billigt und alle aufopfernde Begeisterung als etwas Törichtes ablehnt, und zwischen meiner schwärmerischen Neigung, die oft unversehens aufschießt und mich gewaltsam ergreift ...« Und es sei eine große Frage, ob der Schwärmer, der sein Leben für die Idee hingebe, im Moment nicht glücklicher lebe, »als Herr von Goethe während seines ganzen sechsundsiebzigjährigen egoistisch behaglichen Lebens«.

Wie weit dieser Vorwurf Goethe trifft, braucht hier nicht erörtert zu werden. Unverkennbar spricht aus Heines Worten eine gewisse Feindseligkeit, aber sie richtet sich im tiefsten Grunde gegen ihn selbst: gerade weil Heine selbst nicht imstande ist, für seine Idee selbstlos zu leben und zu sterben, sieht er diesen Mangel so scharf und projiziert ihn gleichsam auf Goethe, verschweigt aber, daß dieser, mochte er sein wie er wollte, jedenfalls eine selbstsichere, in sich geschlossene Natur war, während er selbst seine Zerrissenheit oder vielmehr die Unfähigkeit zu großartigem Aufschwung schmerzlich in sich erkennen mußte. Die Kritik an Goethe ist eine Kritik an sich selbst und zwar eine so scharfsichtige und unerbittliche, wie Heine sie sich von einem andern niemals hätte gefallen lassen. In der Tat: Heine ist durchaus nicht nur Verneiner. Erinnern wir uns an seine jugendliche Schwärmerei für den Teutonismus, an seine rasch aufflammende Begeisterung für die jüdische Reformbewegung, so sehen wir schon hieran, daß Heine ein lebendiges Gefühl für die Hingabe an eine Sache hatte, ihrer auch momentan fähig aber nicht stark genug war, ihr zuliebe auf seine egoistischen Lebensgewohnheiten zu verzichten. Dazu kam dann sein scharfer Intellekt, der ihm grausam und zugleich lähmend die Schwächen oder Unzulänglichkeiten der enthusiastisch ergriffenen Sache erkennen ließ und ihn auf sein Ich zurückwarf. Es wäre Pedanterie, hier gelehrte Untersuchungen darüber anzustellen, was Heine denn überhaupt unter einer »Idee« versteht. Gewiß übernimmt er den Namen von der Hegelschen Philosophie, der Sinn des Wortes aber ist restlos aus Heineschem Zusammenhang zu erklären und bedeutet einfach Forderung oder Lebensaufgabe, die Dienst verlangt, Zusammenfassung aller Kräfte auf ein großes Ziel hin. Heine nennt die Idee auch gelegentlich das Uneigennützige, sie ist, nach späterer Auffassung, worauf hier schon hingewiesen sein mag, der große, tatzeugende Gedanke, der die Geschichte der Menschheit in den entscheidenden Epochen gestaltet und verändert.

Nach Göttingen, dem »verfluchten Nest«, zurückgekehrt, begann Heine die »Harzreise« niederzuschreiben und quälte sich mit dem Jus weiter ab, um seinen schon früher geäußerten Vorsatz, sein Brot aus der Wagschale der Themis und nicht mehr aus der Gnadenschüssel des Oheims zu essen (Brief an Moser vom 2. Febr. 1824), nunmehr auszuführen, obgleich er Bedenken hatte, in Göttingen sein Examen zu machen, da er bei den Professoren nicht beliebt sei (an Moser, 11. Jan. 1825). Krankheit und Schmerzen wirkten verzögernd, erst am 16. April 1825 bat er in einem lateinischen Schreiben an den Dekan der juristischen Fakultät um Zulassung zur Promotion. Der kurze Lebensabriß in diesem Gesuch spricht von einer vita satis plena turbationibus et eventis adversis magis quam prosperibus«, am Schluß bittet der Schreiber um Nachsicht, da er neben dem niemals als Brotstudium betriebenen Jus, » nimio amore«, mit allzugroßer Liebe, Philosophie, die Literatur des Ostens, des deutschen Mittelalters und heutiger Völker studiert habe, und die beiden letzten Jahre, wo er sich ausschließlich der Jurisprudenz zugewandt habe, durch unaufhörlichen Kopfschmerz sehr behindert worden sei. Am 3. Mai 1825 bestand Heine das Examen, wie er an seinen Schwager Embden (11. Mai 1825) schreibt, »ganz vortrefflich«, tatsächlich mit dem niedrigsten Grad. Nicht lange danach tat Heine einen weiteren Schritt zur Sicherung seiner Zukunft: am 20. Juni ließ er sich in Heiligenstadt, wo später Theodor Storm acht Jahre verbringen mußte, taufen und vertauschte seinen bisherigen Vornamen Harry mit Heinrich. Schon früher war dieser Schritt erwogen worden, die Familie billigte ihn, aber damals lehnte Heine ab: die Taufe würde zwar bei seiner Denkungsart »ein gleichgültiger Akt« sein und weder für ihn noch für andere Bedeutung haben. »Aber dennoch halte ich es unter meiner Würde und meine Ehre befleckend, wenn ich, um ein Amt in Preußen anzunehmen, mich taufen ließe.« (An Moser, 27. Sept. 1823.) Sehr entschieden klingt diese pathetische Ablehnung mit der vorausgehenden kühlen Erwägung nicht, und jetzt, wo die Frage wirklich akut wurde, gab er nach. Erleichtert wurde ihm die Taufe offenbar durch die Auflösung des jüdischen Reformvereins und den Übertritt auch anderer, die ihm angehört hatten. Immerhin empfand Heine das Peinliche seines Übertritts und seinem charakterfesten Freunde Moser wagte er nichts davon mitzuteilen, erst im Oktober deutet er ihm die »nicht sehr noble Handlung« an und begründet sie später (14. Dez. 1825): »Ich versichere Dich, wenn die Gesetze das Stehlen silberner Löffel erlaubt hätten, so würde ich mich nicht getauft haben.«

Die nach seiner Meinung nötigen Voraussetzungen für eine gesicherte bürgerliche Laufbahn hatte Heine nun geschaffen, aber ein festes Ziel faßte er nicht ins Auge. Das erste war, daß er sich von seinem Oheim »Gelder für eine Badereise« erbat (an Moser, 1. Juli 1825), und dieser schenkte ihm, offenbar erfreut über seinen Dr.-Neffen, fünfzig Louisdor, mit deren Hilfe Heine sich einen zweimonatigen Aufenthalt auf Norderney verschaffte. In dieser und der nächstfolgenden Zeit erreicht sein Leben einen ersten Höhepunkt. Die See kräftigte seine Gesundheit, der Druck eines widerwillig betriebenen Studiums weicht, der Kopfschmerz legt sich, Heine spürt Befreiung, sein Selbstbewußtsein hebt sich im Verkehr mit der »großen Welt« und im Umgang mit schönen Frauen, ein stolzes Gefühl von Kraft und die Ahnung künftiger Größe spannt seine Nerven, und so entstehen die Dichtungen der »Nordsee«, die uns zugleich von einer neuen Liebe des Dichters erzählen, zu Therese Heine, der Schwester Amaliens. Ernst Elster hat das Verdienst, hierauf zum erstenmal aufmerksam gemacht zu haben. Die Briefe verraten wenig oder nichts davon, doch scheint Heine schon 1825 sich dieser Liebe, und der Hoffnung, die Hand Theresens zu erhalten, hingegeben zu haben. Um so mehr mußte er darauf bedacht sein, seinem Oheim in einer Stellung gegenüberzutreten, die ihm eine Heirat erlaubte. Anfang Oktober fragt er von Lüneburg aus bei Moser an, »ob ein Dr. juris, wenn er in Berlin pro facultate legendi disputiert hat, dort philosophische Kollegien lesen darf?« Am 12. Oktober schreibt er an Friederike Robert: »Ich werde diesen Onkel nächste Woche wiedersehen, indem ich nach Hamburg gehe, um mich dort als Advokat zu etablieren«, dieselbe Absicht spricht ein Brief an Sethe vom 12. Nov. aus, mit dem Hinzufügen, daß er – »vielleicht« – dort auch »heirate, viel schreibe usw.« In der Tat finden wir Heine bald darauf in Hamburg, im Dezember taucht aber wieder der Plan auf, nach Berlin zurückzukehren, er fühlt sich in Hamburg nicht wohl: »Schlechtes Leben hier. Regen, Schnee und zu viel Essen. Und ich sehr verdrießlich. Hamburg ist am Tage eine große Rechenstube und in der Nacht ein großes Bordell ... Und ich selbst bin voller Ironie und Sentimentalität.« Er wisse selbst am allerwenigsten, was er tun werde. Was ihn dann bis zum Sommer 1826 in der Stadt festhielt, war die Drucklegung des ersten Bandes der »Reisebilder«, für die er in dem unternehmungslustigen Lampe einen Verleger gefunden hatte. Ernstliche Schritte zur Verwirklichung seiner andern Pläne wird Heine kaum getan haben, er klagt über Anfeindungen und Verleumdungen, überwirft sich mit seinem Schwager – »Ich hab' diese Tage meine Schwester verloren«, schreibt er sogar am 24. Februar an Moser – und kommt etwa zu dem Endurteil: »Ich bin jetzt bei Christ und Jude verhaßt. Ich bereue sehr, daß ich mich getauft hab'; ich seh' noch gar nicht ein, daß es mir seitdem besser gegangen sei, im Gegenteil, ich habe seitdem nichts als Unglück.« (An Moser, 9. Jan. 1826.) Gewiß hatten die Verwandten wenig Verständnis für Heinrich, auch sonst mochte er »durch ein zu offenes und kindisches Hingeben an Freunde oder Freunde der Freunde« Anstoß erregen, und seine Hamburger Leiden sind gewiß ein Beitrag zur sattsam bekannten Geschichte vom weißen Maulwurf. Aber man gewinnt doch aus den Briefen dieser Zeit den Eindruck, daß Heine zu sehr in sich befangen war, in Dinge und Menschen, statt sie objektiv zu beurteilen, mehr hineinsah und hineindachte, als daß er sich von ihnen etwas sagen oder belehren ließ. Sein Verhältnis zur Hamburger Umwelt ist im Grunde Opposition, er reibt und verletzt sich an der Wirklichkeit, statt sie nach seinem Willen zu formen, es fehlt, ganz im Gegensatz zu einem Goethe, die rechte Wechselwirkung zwischen Ich und Welt, Heine verschließt sich ihr nicht, man darf sogar sagen, er verfällt ihr, sie raubt ihm in der Verkörperung der Dirne, zum Schaden seines geistigen Selbst, Kräfte, statt diese zu erhöhen, letzten Endes sieht sich der Dichter immer auf sich allein angewiesen – das Vorrecht des Starken, aber auch die Schwäche des reizbaren, schlecht angepaßten Vereinzelten. So wäre Heines Leben damals Bummelei gewesen, wenn er nicht eben seine literarischen Absichten verfolgt hätte, und sie bestimmten dann schließlich, ob er wollte oder nicht, sein Schicksal.

Im Mai 1826 erschien der erste Band der »Reisebilder«: er enthielt die Gedichte der »Heimkehr«, die erste Abteilung der »Nordsee« und »Die Harzreise«. Mit diesem Nebeneinander von Gedichten und Prosaschriften findet Heine eine endgültige Form seiner Veröffentlichungen, mit dem Doppelgesicht des Dichters und Schriftstellers prägt er sich seinen Zeitgenossen ein – den »Reisebildern« folgen später mit demselben Nebeneinander »Der Salon« und die »Vermischten Schriften«. Die Lieder der »Heimkehr« – nämlich nach Hamburg – klingen im Thema durchaus an das »Lyrische Intermezzo« an, bei näherer Betrachtung ergeben sich aber doch nicht geringe Unterschiede. Nr. 16-27, denen die Sammlung den Namen verdankt, erneuern den Schmerz um die verlorene Geliebte, doch die Klage ist gedämpfter, elegischer, der Dichter hat sich mit dem Verlust abgefunden, wenn auch Spott und Verzweiflung gelegentlich noch hervorbrechen. Das Gegenstück hierzu bilden Nr. 46-63, die von Nr. 30-33 sozusagen eingeleitet werden. Diese Lieder sind eingegeben von des Dichters neuer Liebe zu Amaliens Schwester Therese.

Sie hat dieselben Augen,
Die mich so elend gemacht

heißt es schon in Nr. 6. Das Theresenerlebnis ist ganz und gar, nach Motiv, Verlauf und Ende, eine Wiederholung des Amalienerlebnisses und verrät, wie die Rückkehr nach Hamburg überhaupt, ein seelisches Verhalten, das doch schließlich nur als Schwäche gedeutet werden kann. Heine hatte sich daran gewöhnt – bezeichnend ist schon der Name »Heimkehr« – Hamburg als seinen Hafen zu betrachten: wie der Onkel ihm sein Fortkommen sicherte, so erwartete er von dessen Töchtern sein Glück, glaubte vielleicht sogar einen gewissen Anspruch darauf zu haben. Damit soll nicht geleugnet werden, daß auch im zweiten Fall ein echtes Gefühl mit im Spiele war – aber eben der leichte Übergang vom ersten zum zweiten Gegenstand der Liebe läßt diese selbst als nicht so elementar erscheinen: sie bewegt sich im gewohnten Gleis. Ironie und Hohn, die auch, ebensowenig wie die zartesten Töne, in den Theresenliedern nicht fehlen, sind dann die Waffen, mit denen Heine sich selbst gegen das Peinliche seines Erlebnisses schützt.

Glaub' nicht, daß ich mich erschieße,
Wie schlimm auch die Sachen stehn!
Das alles, meine Süße,
Ist mir schon einmal geschehn.

(Nr. 55)

Und ganz ähnlich in Nr. 65:

Aber wer zum zweiten Male
Glücklos liebt, der ist ein Narr.

Lieder der »niederen Minne« finden sich ebenso wie im »Intermezzo«, im übrigen aber ist der Inhalt der »Heimkehr« doch mannigfaltiger: Seebilder (7-12), als Gegenstück Landschafts- und Städtebilder (82-87), Jugenderinnerungen (Nr. 58), eigentümliche, meist sehr düster gehaltene Situations- und Stimmungsbilder (Nr. 5, 28, 29, 37) lenken vom Hauptthema ab, die ganze Person des Dichters in ihrem sonstigen Verhältnis zur Welt tritt deutlicher hervor, hier wird der Ton polemischer, einzelne Strophen beleuchten blitzartig Heines ganze damalige Lage, so vor allem Nr. 78:

Selten habt ihr mich verstanden,
Selten auch verstand ich euch,
Nur wenn wir im Kot uns fanden,
So verstanden wir uns gleich.

Diese Verse zeigen deutlich die Isoliertheit des Dichters, lassen aber ebenso deutlich erkennen, in welcher Gesellschaft er sich schadlos zu halten suchte. Schärfer als im »Intermezzo« macht sich auch die Ironie geltend, eine spöttische Überlegenheit, deren letzter Grund eine ungemein starke Labilität der Seele ist, wie Heine selbst sie an einer Briefstelle charakterisiert: »Doch zu unserm Trost sei es gesagt, statt jener Verse war ich im Begriff, etwas innigst freundschaftlich Seelenvolles zu sagen, und der ironische Teufel hat mir wieder, wie gewöhnlich, entgegengesetzte Worte untergeschoben« (an Merckel, 25. Juli 1826). Es liegt auf der Hand, daß dadurch der Anschein erweckt wird, als sei es Heine mit dem Gefühl, dem »Seelenvollen«, nicht recht ernst, aber dieses ist gerade Voraussetzung für die dann folgende ironische Verneinung, wie etwa der Teufel ohne Gott undenkbar ist. In dem berühmten kleinen Gedicht (Nr. 25) mit dem Schlußvers:

Madame, ich liebe Sie!

kann man den seelischen Hergang sehr gut verfolgen. In der ersten Strophe Ausdruck eines starken Gefühls, das noch in der zweiten anhält und gesteigert wird, um dann in der letzten Zeile gebrochen zu werden. Nichts berechtigt dazu, die Verneinung am Schluß auf das ganze Gedicht zu übertragen, dieses ist also kein Beweis für ein erheucheltes Gefühl, wie die landläufige Meinung annimmt; eine moralisierende Voreiligkeit kann nicht an die Stelle der Psychologie treten. Sind etwa auch die Gedichte, die sich innerhalb einer reinen Gefühlssphäre halten, erheuchelt? Man darf auch nicht vergessen, daß Ironie Selbstschutz sein kann, ebensogut freilich auch Selbstgefälligkeit – beides findet sich bei Heine – er ist aber nicht der Geist, der stets verneint.

Das beweisen am besten die freien Rhythmen der »Nordsee« Ich vereinige hier beide Abteilungen, wie es übrigens Heine selbst schon in der 2. Auflage der »Reisebilder« tat.. Sie zeigen im ganzen eine andere seelische Haltung, ihr Akzent ruht nicht auf Ironie, noch weniger auf weltschmerzlicher Stimmung, wie sie in der »Heimkehr« zur Geltung kommt, sondern auf einer starken, fast dionysischen Lebensbejahung, ohne daß frühere seelische Inhalte ganz weggeschwemmt würden. Die »junge Königin« oder Agnes, wie sie an andrer Stelle genannt wird, ist Therese, aber offenbar hat das Meer den größeren Einfluß auf diese Wandlung gehabt. Schon in der »Heimkehr« heißt es:

Mein Herz gleicht ganz dem Meere,
Hat Sturm und Ebb' und Flut,
Und manche schöne Perle
In seiner Tiefe ruht.

(Nr. 8)

Aber diesem Vergleich fehlt Blut und Anschauung. Wohl aber spürt man den Atem des Meeres, das Freie und Befreiende der unendlichen Wasserweite in Gedichten wie »Reinigung« (I, ll) und »Meergruß« (II, l), nie wieder ist Heine zu einer solchen inneren Vereinigung mit der Natur gekommen, wie hier, auch der Rhythmus erscheint nie so notwendig, so eins mit dem Inhalt, wie in den Hymnen der »Nordsee«, der sprachliche Reichtum, Beiwörter und vor allem Wortverbindungen, Biegsamkeit des Ausdrucks, Wechsel der Bilder und Stimmungen sind nirgends so groß und stark, so ungesucht und schwungvoll, so getragen von einer Kraft, die man nachhaltig und gesund zu nennen fast gezwungen wird. Und obgleich dem Dichter, wie er II, 6 gesteht, die Griechen widerwärtig und die Römer verhaßt sind, spürt man doch, und nur hier, eine Befruchtung durch die Antike, die sich nicht nur auf Anwendung der griechischen Mythologie beschränkt: ein ferner Abglanz heidnischer Sinnenfreude, homerischer Klarheit macht sich irgendwie bemerkbar, wenn auch die Schatten moderner Unrast und Heineschen Zwiespalts durchaus nicht ganz verschwunden sind. Im stärksten Gegensatz zu den antiken Göttern und Heroen, die angerufen, gepriesen, bemitleidet und travestiert werden, taucht dann in großartiger Vision die Gestalt Christi auf (I, 12), und wiederum im Gegensatz dazu nimmt II, 6 Partei für die »besiegten Götter« gegen die »neuen, tristen Götter«, die im »Schafpelz der Demut« die Welt beherrschen. Die »Reinigung« (I, 6) ist das helle Jauchzen einer von aller Schwermut, allem Zweifel und aller Krankheit befreiten Seele, im »Meergruß« (II, 1) rauscht und wogt dieselbe zuversichtliche Stimmung:

Und frei aufatmend begrüß' ich das Meer,
Das liebe, rettende Meer –

aber II, 3 liegt »ein öder, schiffbrüchiger Mann« am Boden und II, 7 steht »voll Wehmut, das Haupt voll Zweifel« der Dichter am »wüsten, nächtlichen Meere« und fragt »mit düstern Lippen«, doch –

Es murmeln die Wogen ihr ew'ges Gemurmel,
Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken,
Es blinken die Sterne gleichgültig und kalt,
Und ein Narr wartet auf Antwort.

Ebenso stark zeigt sich die Labilität der Heineschen Seele auch hier in dem spielend leichten Übergang vom Erhabenen zum Grotesken oder Banalen, von ruhiger Schönheit zu greller Geschmacklosigkeit, wodurch die Stimmung jäh zerrissen oder das Gedicht mehr abgebrochen als beendet wird (I, 4, I, 10, II, 7). Den gröbsten Fall dieser Art, wo sich der momentane Gegensatz zu einem fast durchgeführten Parallelismus auswächst, hat Heine später beseitigt (vgl. die Anmerkungen zur »Nordsee« I, 12). Der Subjektivismus feiert also auch in diesen Rhythmen seine Triumphe, und so gewiß das Meer darin eindringlich in all seinen wechselnden Erscheinungen zum dichterischen Ausdruck kommt, so gewiß spiegeln sie auch die wechselnde, unruhig hin und her geworfene Seele des Dichters selbst: die Überschrift könnte auch »Heinrich Heine« heißen.

Sie würde schließlich auch für die »Harzreise« passen, in dem Sinne, daß auch sie die Person des Dichters stark in den Vordergrund treten läßt. Heine hatte schon 1822 im »Rheinisch-westfälischen Anzeiger« »Briefe aus Berlin« veröffentlicht und 1823 im »Gesellschafter« ein Memoire »Über Polen«, dessen preußischen Teil er mit seinem Freunde Eugen von Breza »die Kreuz und die Quer durchstreift« hatte, im Herbst 1822. »Die Harzreise« hat nach Stil und Inhalt mit diesen beiden Schriften wenig gemein, sie gehört nur insofern mit ihnen in eine Reihe, als sie alle drei die Anfänge des politischen Schriftstellers erkennen lassen. Freilich muß man dazu auch die in »Die Harzreise« eingestreuten Lieder berücksichtigen. »Die Verse in meiner ›Harzreise‹ sind eine ganz neue Sorte und wunderschön«, schreibt Heine an Friederike Robert. (15. Mai 1825.) Was sich als neu – an einigen – tatsächlich erweist, das ist das Pathos der Idee, das hier zum erstenmal erklingt. »Kampf dem verjährten Unrecht, der herrschenden Torheit und dem Schlechten« heißt es schon in einem Brief an Immermann (24. Dez. 1822). Jetzt nennt sich Heine stolz einen »Ritter von dem heil'gen Geist«:

Dieser tat die größten Wunder,
Und viel größre tut er noch;
Er zerbrach die Zwingherrnburgen,
Und zerbrach des Knechtes Joch.

Alte Todeswunden heilt er,
Und erneut das alte Recht:
Alle Menschen, gleichgeboren,
Sind ein adliges Geschlecht.

Diese Verse enthalten – im Reim – Heines politisches Programm, wobei wohl zu beachten ist, daß Politik für Heine den Zusammenhang mit der Idee noch nicht verloren hat. Die Idee erscheint hier freilich mehr als ein unbestimmtes, wenn auch durchaus gehobenes Gefühl, aber man hört doch schon den Ton eines für allgemeine Menschenrechte Begeisterten, und die Prognose auf eine Betätigung innerhalb der revolutionären oder demokratischen Bewegung des 19. Jahrhunderts läßt sich unschwer stellen. Heine hatte doch in Berlin nicht ganz umsonst zu Füßen Hegels gesessen, der Gedanke, »daß die Geschichte (Natur, Gott, Vorsehung usw.) wie mit einzelnen Menschen, auch mit ganzen Völkern eigene große Zwecke beabsichtigt«, dünkt ihn erhaben (»Über Polen«, 2) und nährt offenbar jenes Gefühl, daß auch die eigene Zeit große Ausgaben zu erfüllen habe; und daß er selbst dafür zu wirken berufen sei, erfüllt ihn mit dem Stolz des Kämpfers. Seltsamer Gegensatz: derselbe Heine, der ichbefangen sich seinen Träumereien hingibt, mögen sie Liebe, Weltschmerz oder Verneinung heißen, beginnt jetzt einzutreten für die großen Fragen der Menschheit.

Nun ist »Die Harzreise« in ihrer Gesamtheit nichts weniger als eine politisch eingestellte Schrift. Wir begegnen in ihr dem ersten Vertreter eines Typs, der bei Heine oft wiederkehrt: er hat als Anlaß eine Reise, als Inhalt deren Ziel, indessen so, daß dieses sozusagen nur als Schnur dient, an der die mannigfachsten Gegenstände, wie Natur, Landschaft, Religion, Philosophie, Kunst, Politik u. a. aneinandergereiht werden. Dabei erscheinen diese aber nicht als sachlich oder fachlich getrennte Gebiete, sondern sie werden – und darin liegt der eigentümliche Reiz Heinescher Prosa – zusammengehalten durch ein Persönlichkeitszentrum, das zu diesen Gebieten lebendige Beziehung hat, so daß sie gleichsam als persönlich regierte Provinzen anmuten, als Teile der eigenen Seele, die von dieser ihr Leben erhalten. Ein solcher Inhalt nähert sich dem Feuilleton, es besteht aber doch ein wesentlicher Unterschied zwischen ihm und dem Heineschen Typ: dieser hat mit jenem gemeinsam den Mangel eines sachlichen Kernes, von der Sache wird mehr oder weniger gelegentlich, flüchtig, vielleicht auch oberflächlich gesprochen, sie wird in keiner Weise erschöpft. Über – was dem landläufigen Feuilleton fehlt – Heines Typ hat einen Persönlichkeitskern, und diese Persönlichkeit strahlt ihr Leben so unmittelbar in alle von ihr berührten Gegenstände, daß diese, obgleich wir sie heute anders sehen oder auffassen, auch heute noch in ihrer Gesamtheit als Heinesche Schrift, lebendig sind und lebendig wirken. Jeder unbefangene Leser spürt diese Wirkung sofort, und ob der Fachmann sachlich, der Moralist moralisch oder der Gegner polemisch urteilen mag, zugeben müssen auch sie, daß hier ein Unzerstörbares, Unvergängliches, eben Leben, mitschwingt; und nur dieses bleibt eben lebendig!

»Die Harzreise« zeigt auch zum erstenmal in größerem Umfang Heines Begabung für Satire und Witz. Seine Satire schöpft letzten Endes aus dem Gegensatz zwischen Ideal und Wirklichkeit, er hat für jenes ein lebendiges Gefühl, für diese das schärfste Auge. Aber da ihm – auch hier stoßen wir auf eine Schwäche – die synthetische Kraft fehlt, die Fähigkeit, Ideal und Wirklichkeit zusammen zu schauen oder gar diese nach jenem zu formen, bleibt ihm nur, als Notwehr gleichsam, die Satire, denn diese mißt am Idealen und erkennt an diesem Maßstab die Unzulänglichkeit des Wirklichen. Es will beachtet sein, daß Heines frühestes Gedicht, die »Wünnebergiade« (in der »Nachlese«, Bd. I, S. 567) satirischen Charakter hat. Der Inhalt ist zwar recht harmlos, aber er zeigt doch Ansätze der in besonderem Sinne Heineschen Art, d. h. eine gewisse Schonungslosigkeit und den ungemein leichten Übergang vom Heiligen zum Banalen oder Gemeinen. Natürlich wirkt die so erreichte Zusammenkoppelung frivol; Heine habe keine Ehrfurcht, ist dann die übliche Kritik. Als das Primäre muß aber jene schon erwähnte Labilität der Seele gelten, und deren Grund ist die angeborene Sensibilität, mit der sich eine dementsprechende Kraft des Festhaltens einmal empfangener Eindrücke verbindet. »Alle Gefühle, die mal in meiner Brust aufgestiegen sind, bleiben ungeschwächt und unzerstört, solange die Brust selbst und alles, was darin sich bewegt, unzerstört bleibt« (an Moser, 25. Februar 1824). Nun sind Kindheitseindrücke schon für eine normal veranlagte Seele von nachhaltigster Wirkung, die sich bei gesteigerter Empfänglichkeit um so mehr vertiefen und verstärken muß. Das erste Buch, das Heine, wie er selbst erzählt, gelesen hat, in einer Zeit, wo er »noch ungeübt im Lesen war, ist der »von Quichotte«: ein ganzes Kapitel widmet er der Schilderung des Eindrucks, den diese Lektüre auf ihn machte (»Die Stadt Lucca«, Kap. XVI), und offenbar hat sie ihm jenen Gegensatz zwischen Ideal und Wirklichkeit unverlierbar eingeprägt; und obgleich er damals »die Ironie, die Gott in die Welt hineingeschaffen«, nicht erkannte, so wurde doch jedenfalls seine Seele dafür zum mindesten prädestiniert.

Auch Heines Witz hat zur Voraussetzung die Labilität der Seele, wozu hier noch eine außerordentlich rasche Beweglichkeit seines Geistes hinzukommt, eine Fähigkeit, die fernsten Dinge miteinander zu verbinden, mit schärfster Absicht Begriffe weit auseinanderliegender Sphären zu verkoppeln, oder sogar zu neuen Worten zusammenzufügen. Dabei hat Heines Witz fast etwas Zwangsartiges – man verwechsle es nicht mit Gezwungenheit! – er muß, ehe Rücksichten oder tiefer liegende Gefühle sich auch nur geltend machen können – verführt durch die blitzschnell arbeitende Beweglichkeit seiner Assoziationen, er muß einen Witz machen, »wenn es eine Krone gälte,« meinte Ludwig Börne, »er kann keinen Witz unterdrücken.« Später beobachtete Laube ähnliches: Heine hätte über seine Frau, seine Brüder, seine Freunde die grausamsten Witze machen können, »aber er konnte ihnen keine Gefälligkeit, keinen Wunsch abschlagen«. Daher das massenhafte Auftreten des Witzes, daher auch der Mangel an Tiefe, daher auch durchläuft er die ganze Skala von der wirklich komischen oder geistreichen Pointe bis zum flachen Wortwitz, vom feinsten Scherz bis zur gemeinsten Zote. Man darf etwa auch sagen: dem Heineschen Witz fehlt die seelische Korrektur, er ist scharf, gnadenlos, er übertreibt und erreicht deshalb selten oder nie wahrhafte Größe. Zweifellos hat aber dieser so geartete Witz nicht seinen einzigen Erklärungsgrund in der inneren Struktur Heines selbst, schon der Umstand, daß er mit dem Börnes am meisten verwandt ist, läßt vermuten, daß hier doch auch eine Stammeseigentümlichkeit mit im Spiel ist.

So hat »Die Harzreise« schon ein echt Heinesches Gesicht. Freilich sind die Züge noch jugendlich weich, der ungehemmten Auswirkung von Witz und Satire treten Natur- und Landschaftsschilderungen entgegen, von einer Schönheit und Frische, deren poetische Kraft nicht geleugnet werden kann, wenn auch, wie in den Gedichten, die reichlich angewandte Personifikation öfters ins Spielerische ausartet. »Die Harzreise« verfolgt noch keinerlei ernstlich-polemische Absichten, sie ist, bei aller schon erkennbaren Schärfe satirisch-witziger Betrachtungen und Einfälle und trotz Sentimentalität, Spuk und schmerzlicher Schatten, ein nicht gerade harmloses, aber amüsantes Büchlein, das zu den späteren Schriften etwa in demselben Verhältnis steht, wie, mutatis mutandis, ein Student zum Professor.

Als Heine den ersten Band der »Reisebilder« an Varnhagen schickte, schrieb er dazu, er habe »in Hinsicht des Buches kein gutes Gewissen«, aber er hätte eben etwas herausgeben müssen. (14. Mai 1826.) Offenbar hatte der Dichter das Bedürfnis, weil ihm sonst nichts glückte, sich als solcher wenigstens geltend zu machen und dadurch seine Stellung bei Verwandten und Freunden zu verbessern. Weniger geeignet dazu war die Reise, die Heine dann bald darauf nach Norderney antrat, um sich dort zu erholen; vor allem aber lag ihm sicher daran, die angenehmen Eindrücke und Erfolge des ersten Aufenthalts auf der Insel noch einmal zu erfahren – dem Bedürfnis nach Wechsel entspricht das nach Wiederholung, beides charakteristisch für den heimatlosen und doch heimatverlangenden Heine. Er traf in Norderney zum Teil dieselben Bekannten wie damals, aber im ganzen lebte er »nicht so vergnügt wie vorig' Jahr« (an Merckel, 4. August 1826), überließ sich Träumereien und Liebeleien, spielte auch wieder und kam wieder in Geldverlegenheiten, bekannte indessen: »Es liegt eine Süßigkeit eigener Art in dieser unbestimmten Lebensart, wo alles von der Laune des äußeren Glückes abhängt.« (An Merckel, 28. Juli 1826.) »Die See war mein einziger Umgang – und ich habe nie einen besseren gehabt«, schreibt er dann wieder von Lüneburg aus an seinen getreuen Moser. (14. Okt. 1826.) – Objektiv berichtet Heine nie, er wird bestimmt durch Laune oder Stimmung und durch die Rücksicht auf den Empfänger des Briefes, besser ausgedrückt: er paßt sich unwillkürlich den Eigenschaften des Empfängers an, namentlich wenn er sie im Grunde vielleicht sich selbst wünscht. Daß es ihm weniger auf Beschönigung ankommt, beweist die große Offenheit, mit der er auch über seine Schwächen, Mängel und Torheiten spricht. Gerade in Norderney, wie schon das erstemal, bewegte sich Heine mit Vorliebe in aristokratischer Gesellschaft, es schmeichelte seiner Eitelkeit, in diesen Kreisen als gleichberechtigt anerkannt zu werden. Seine Empfindlichkeit und seine scharfe Zunge erschwerten ihm freilich den Umgang sehr. »Schon in gewöhnlicher Unterhaltung«, berichtet später Wienbarg in seinen »Erinnerungen«, »lähmte ihm ein etwas barscher Widerspruch oder nun gar ein satirischer Ausfall die Schwingen, denn seltsam genug erlag er am ersten der Waffe, deren Meister er war, sobald sie gegen ihn selbst gerichtet wurde.« Diese Empfindlichkeit konnte sich zeitweise zu einer krankhaften Reizbarkeit steigern, er überwarf sich dann mit seinen besten Freunden. Zu der inneren Ursache solcher Verstimmungen kam nun noch, je länger, je mehr, die Unsicherheit seiner äußeren Lage. »Ich lauf so wild in der Welt herum«, heißt es in einem Brief vom 29. Juli 1826 an Varnhagen, und an Moser schreibt er in einem vom 8. Juli 1826 datierten, aber erst am 14. Oktober abgeschickten Brief: »Es ist aber ganz bestimmt, daß es mich sehnlichst drängt, dem deutschen Vaterland Valet zu sagen. Minder die Lust des Wanderns als die Qual persönlicher Verhältnisse (z. B. der nie abzuwaschende Jude) treibt mich von hinnen.« Aber Heine unternimmt nichts Entscheidendes. Nach mehrmonatigem Aufenthalt bei seinen Eltern in Lüneburg treffen wir ihn Anfang Januar 1827 wieder – in Hamburg, beschäftigt mit dem Druck des zweiten Bandes der »Reisebilder«, der im April erschien.

Der erste Band hatte Aufsehen erregt, dem Verfasser aber auch manche Feindschaft eingebracht. Den zweiten Band kündigte Heine den Freunden mit starken Worten an – er soll »das wunderbarste und interessanteste Buch« werden (an Merckel, 6. Okt. 1826), »ein außerordentliches Buch«, das großen Lärm machen wird (an Moser, 14. Okt. 1826). »Ich muß etwas Gewaltiges geben« (ebd.). »Der zweite Band wird pompöse und soll Dich überraschen« (an Merckel, 16. Dez. 1826). »In betreff des zweiten Bandes dürfen Sie die kühnsten Erwartungen hegen« (an Lehmann, 16. Dez. 1826). So richtig Heine oft sich selbst beurteilt, so vorsichtig muß man bei den eigenen Äußerungen über seine Schriften sein. Sie sind ein eigentümliches Gemisch von Renommage und Reklame, nur selten ohne Absicht und Berechnung. Auffallend ist auch die Betonung des Effektes, den Heine zu erreichen hofft – er befriedigt seine Eitelkeit. Der Literat beginnt sich zu entwickeln, dem das Verhältnis zum Publikum erste Sorge wird. »Ich darf jetzt alles sagen, und es kümmert mich wenig, ob ich mir ein Dutzend Feinde mehr oder weniger aufsacke«, schreibt er an Varnhagen. (24. Okt. 1826.) Dieser Literat fühlt sich also als Kämpfer, und in der Tat treten die Züge eines solchen und damit auch die Angriffsobjekte im zweiten Band viel deutlicher hervor. Das zeigt in bemerkenswerter Weise der erste Prosabeitrag, »Die Nordsee«. Im Inhalt noch willkürlicher und bunter als »Die Harzreise«, verliert sie sich vollkommen in Polemik – in der ersten Auflage noch mehr als in den späteren, die einen längeren Passus über das deutsche Lustspiel und Trauerspiel unmittelbar vor den Xenien weglassen –, als Angriffsobjekte aber erscheinen besonders Kirche und Adel. »Aber der Geist hat seine ewigen Rechte, er läßt sich nicht eindämmen durch Satzungen und nicht einlullen durch Glockengeläute; er zerbrach seinen Kerker und zerriß das eiserne Gängelband, woran ihn die Mutterkirche leitete, und er jagte im Befreiungstaumel über die ganze Erde, erstieg die höchsten Gipfel der Berge, jauchzte vor Übermut, gedachte wieder uralter Zweifel, grübelte über die Wunder des Tages und zählte die Sterne der Nacht.« Das ist ganz der Ton des »Ritters von dem heil'gen Geist«, aber die Kirche wird jetzt als solche scharf angegriffen: die Zeiten »eines dumpfen Köhlerglaubens« seien vorüber, die Kirchenherrschaft sei »eine Unterjochung der schlimmsten Art« gewesen. »Wie eine Riesenspinne saß Rom im Mittelpunkte der lateinischen Welt und überzog sie mit seinem unendlichen Gewebe. Generationen der Völker lebten darunter ein beruhigtes Leben, indem sie das für einen nahen Himmel hielten, was bloß römisches Gewebe war; nur der höherstrebende Geist, der dieses Gewebe durchschaute, fühlte sich beengt und elend, und wenn er hindurchbrechen wollte, erhaschte ihn leicht die schlaue Weberin und sog ihm das kühne Blut aus dem Herzen ... Die Tage der Geistesknechtschaft sind vorüber; altersschwach, zwischen den gebrochenen Pfeilern ihres Kollisäums sitzt die alte Kreuzspinne und spinnt noch immer das alte Gewebe, aber es ist matt und morsch ...« Und ebenso respektlos spricht Heine über den Adel. »Schlägt ein Herz für Freiheit, so ist ein solcher Schlag des Herzens ebensogut wie ein Ritterschlag.« Es sei Wahn, wenn der Adel sich einbilde, die Blume der Welt zu sein, während die andern bloß das Gras wären, Torheit, »mit dem Verdienste der Ahnen den eigenen Unwert bedecken zu wollen.« Diese Verdienste seien sehr problematischer Art. Heine schließt den Abschnitt mit der für ihn ganz charakteristischen, antithetisch zugespitzten Bemerkung: »Von der Reinheit des Blutes will ich gar nicht einmal sprechen: Philosophen und Stallknechte haben darüber seltsame Gedanken.«

Daß solche Sätze böses Blut machen mußten, liegt auf der Hand, dieser »freche Jude« war höchst unbequem. Heine äußert sich in der »Nordsee« aber auch über Goethe und Napoleon, und hier erkennt man: schlechthin respektlos ist er nicht, er beugt sich bewundernd und ehrfurchtsvoll vor dem Genie, obgleich er in richtiger Selbsterkenntnis die Gegensätzlichkeit seines eigenen Wesens zu Goethe deutlich und schmerzlich fühlt: »... denn wir, die wir meist krank sind, stecken viel zu sehr in unsern kranken, zerrissenen, romantischen Gefühlen, die wir aus allen Ländern und Zeitaltern zusammengelesen, als daß wir unmittelbar sehen könnten, wie gesund, einheitlich und plastisch sich Goethe in seinen Werken zeigt.« Das mochte Heine schon empfunden haben, als er dem Großen persönlich gegenüberstand, und wenn er damals, wie er brieflich aussprach, an Goethe den Kampf für die »Idee« vermißte, so fühlte er doch, wie die zitierte Stelle beweist, im tiefsten auch hier den eigenen Mangel.

»Der Mann der Idee, der ideegewordene Mensch« (an Varnhagen, 1. Mai 1827) ist ihm dagegen Napoleon. Unter Bezugnahme auf Kant sucht Heine den Kaiser als einen synthetischen, intuitiven Geist zu begreifen, der »durch den Zusammenfluß beider Ansichten, der revolutionären und der konterrevolutionären, gebildet worden«: deshalb habe Napoleon »nie ganz revolutionär und nie ganz konterrevolutionär« gehandelt, »sondern immer im Sinne beider Ansichten ... und dennoch handelte er beständig naturgemäß, einfach, groß ...« Das Wesen eines großen Mannes ist hiermit tatsächlich sicher erfaßt. Dokument der schwärmerischen Verehrung für Napoleon aber ist viel mehr noch als die »Nordsee« der zweite Prosabeitrag zum zweiten Band der »Reisebilder« mit dem schon auf den Kaiser hinweisenden Titel: »Ideen. Das Buch Le Grand.« Gibt »Die Nordsee« gleichsam eine Theorie über Napoleon, so vermittelt uns Kapitel VIII der »Ideen« die lebendige Anschauung, wir sehen den Kaiser durch die Allee des Hofgartens zu Düsseldorf reiten, und diese Schilderung ist so eindringlich, daß sie viel bekannter sein sollte. Mit welcher gesteigerten Begeisterung sie sich verbindet, deuten schon die beiden ersten Zeilen des Kapitels an: »Aber wie ward mir erst, als ich ihn selber sah, mit hochbegnadigten, eignen Augen ihn selber, hosianna! den Kaiser.« Nur darf man den ganzen Zusammenhang nicht übersehen, in dem das Kapitel steht. Heine erzählt von einem Jugendeindruck, er sieht hier Napoleon im rosigen Licht der Erinnerung, die, schon einmal aufgefrischt, zur Entstehung der Ballade »Die Grenadiere« geführt hatte. Für die Geschichte des Heineschen Napoleonkultes, die im ganzen einen Abkühlungsprozeß bedeutet, ist das Kapitel der »Ideen« also zeitlich voranzustellen.

Diese Schrift im ganzen stellt einen zweiten Typ dar, den des autobiographischen Fragments, der, so oder so variiert, bis zuletzt beibehalten wird. Wenn schon der erste Typ dem Subjektivismus den weitesten Spielraum läßt, so erreicht Heine mit dem zweiten eine Form, die seinem Wesen vollkommen entspricht und ihm Gelegenheit gibt, seinen Geist in tausendfachen, immer wechselnden, blitzenden, funkelnden, buntfarbigsten Strahlen emporschießen und glänzen zu lassen – gerade, wie nie wieder, in den »Ideen«. Dabei der Titel! Als ob man einen Tempel bauen wollte, um darin den buntesten Flitter unterzubringen. Was hier unter Ideen zu verstehen sei, darüber klärt uns Heine selbst in Kapitel XIV auf, an den Inhalt des Wortes Idee, wie es sonst gebraucht wird, darf man hier also nicht denken. Eher handelt es sich um eine Parodie der Hegelschen Systematik, die Einteilung der Ideen am Ende des XIII. Kapitels sieht ganz danach aus. Echt Heinesch, von Ideen zu sprechen, »die mit grünem Leder überzogen sind«. Sollte der ganze Inhalt dieser zweifellos reizvollsten und bedeutendsten Schrift des jungen Heine durch eine Überschrift gekennzeichnet werden, so müßte diese fast ebenso umfangreich sein wie der Inhalt selbst – anders läßt sich dessen verwirrende Mannigfaltigkeit nicht charakterisieren. Ebenso wechselnd aber sind auch die seelischen Stimmungen, oder vielmehr sie sind die Springfedern, die jenen Wechsel emporschleudern. Wenn man sich dessen recht bewußt werden will, vergleiche man »Das Buch Le Grand« etwa – der Vergleich als solcher erscheint schon unmöglich – mit einer Stormschen Novelle – man ist zu dieser Gegenüberstellung einigermaßen berechtigt, weil Storm Beziehungen zu Heine hat und einmal, in der »Halligfahrt«, den Namen Eveline aufgreift. Hier wird eine Stimmung festgehalten, immer wieder, wie der gleiche Wellenschlag, schlägt sie an unser Ohr – während man bei Heine nur an eine Wasserkunst denken kann, die in immer neuen, fast betäubenden Kaskaden in die Höhe wirbelt. Zu dem Kämpfer Heine scheint die Schrift kein Verhältnis zu haben – hier redet nur ein Ich, beschäftigt mit sich, seinen Nöten und vielleicht Absichten. Natürlich gibt es einige politische Spritzer, z. B. Kapitel XII, das auf die unverfänglichste Weise die deutschen Zensoren für Dummköpfe erklärt; aber das Buch ist doch nicht gleichgültig für die Entwicklung Heines zum politischen Schriftsteller – politisch immer in jenem Sinne gebraucht, der den Zusammenhang mit der Idee wahrt. »Das Buch Le Grand« bezeugt nämlich jenes starke, durchaus positive Lebensgefühl, das auch in den Hymnen der »Nordsee« seinen Ausdruck findet und entschieden als Voraussetzung späterer Anschauungen, für die Heine sich einsetzt, betrachtet werden muß.

Der Erfolg des zweiten Bandes der »Reisebilder« war groß. Voll Genugtuung konnte Heine am 9. Juni 1827 an Moser schreiben: »Ich habe durch dieses Buch einen ungeheuren Anhang und Popularität in Deutschland gewonnen; wenn ich gesund werde, kann ich jetzt viel tun; ich habe jetzt eine weitschallende Stimme. Du sollst sie noch oft hören, donnernd gegen Gedankenschergen und Unterdrücker heiligster Rechte.« Der Brief ist datiert aus London. Heine war nämlich am Tag der Ausgabe des Bandes nach England abgereist. »Es war nicht die Angst, die mich wegtrieb, sondern mehr das Klugheitsgesetz, das jedem ratet, nichts zu riskieren, wo gar nichts zu gewinnen ist.« (An Varnhagen, 1. Mai 1827.) Wort und Tat vertragen sich nicht recht miteinander, diese nimmt sich aus wie ein Widerruf: Heine entzieht sich den Folgen der von ihm geschaffenen Situation. Schon der erste Band hatte manche Unannehmlichkeiten gebracht, Heine war in Hamburg deshalb sogar tätlich angegriffen worden. Daß der zweite gefährlicher war, sagte sich Heine selbst, er fürchtete, die Freunde würden sich dafür nicht einsetzen können. »Ich weiß sehr gut, man muß staatsfrei gestellt sein, wenn man über meinen ›Le Grand‹ sich äußern will.« (An Varnhagen, 1. Mai 1827.) Es fällt auf, daß Heine auch als Publizist unter einem gewissen Zwang zu handeln scheint, Rücksichten während des Schreibens kennt er offenbar nicht, erst nachträglich überlegt er, da er dann aber die Folgen nicht rückgängig machen kann, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich so oder so damit abzufinden, d. h. mit seiner ganzen Person tritt er für seine Schrift nicht ein, da diese sich eben nur mit einem Teil seiner selbst deckt: »Wie wird es mir noch gehen in dieser Welt! Ich werde es, trotz meiner besseren Einsicht, nimmermehr lassen können, dumme Streiche zu machen, d. h. freisinnig zu sprechen. Ich bin begierig, von Dir zu erfahren, ob keine Regierung mir mein Buch übelgenommen. Am Ende will man doch ruhig am Herde in der Heimat sitzen und ruhig den ›Deutschen Anzeiger‹ oder die ›Hallische Literatur-Zeitung‹ lesen und ein deutsches Butterbrot essen« (an Merckel, 23. April 1827). Aber Heine beginnt jetzt sich selbst den Boden unter den Füßen wegzuziehen – ganz gegen seine Absicht, die doch darauf hinausging, sich eine sichere Existenz wenn möglich in Deutschland zu schaffen.

Der Aufenthalt in England befriedigte den Dichter nicht. Er empfand einen zu starken Gegensatz seiner Art zur englischen, die Klagen über Kopfschmerzen und Krankheit werden wieder häufiger, das Klima greift ihn »fürchterlich« an. »Ich sehe hier viel und lerne viel,« schreibt er zwar (an Moser, 9. Juni 1827), Parlament, Westminsterabtei, englische Tragödie, schöne Weiber haben besondere Anziehungskraft für ihn, die englische Literatur dagegen sei »erbärmlich, erbärmlicher noch als die unsrige – das will viel sagen.« (Ebd.) Am meisten interessierte ihn der liberale Ministerpräsident Canning, und nur nach der politischen Seite hatte Heine Gewinn von seiner Reise, und eben die politischen Verhältnisse in England hatten ihn gerade dorthin geführt. Nach gewohnter Weise aber ließ er sich dann wieder gehen, verbrachte einige Zeit zur Erholung in dem eleganten Bad Ramsgate, sah sich ohne ersichtbaren Zweck in Holland um, – er hätte dort viel Spaß gehabt, schreibt er, kehrte – zum drittenmal – nach Norderney zurück, vertauschte es, da er sich dort nicht sicher fühlte (an Merckel, 20. Aug. 1827), mit Wangeroog und war im September wieder – in Hamburg. »Ich hoffe die Kraft zu haben, nicht zurückzukehren«, hatte er am 7. Juni an Moser geschrieben, am 1. Juni an Merckel: »Wir sehen uns nächsten Winter in Hamburg, das ist das Bestimmteste und Sicherste, was ich Dir sagen kann. Alles andre meiner Zukunft liegt in trüben Nebeln.« Inzwischen war auch der Plan, nach Paris zu gehen, wieder aufgetaucht, auch Berlin hatte er im Auge behalten. Man sieht, wie unsicher und unbestimmt Heine der Frage seiner äußeren Existenz gegenüberstand. Am 26. September schreibt er plötzlich und ganz kurz an Varnhagen: »Kann ich nach Berlin kommen? Ihr in diesem Fall bald anlangender H. Heine.« Wenn er am 19. Oktober dann ergänzt: »Meine Frage wegen Berlin kann daher nicht aus Ängstlichkeit«, so darf man sicher annehmen, daß es, ebenso wie die Reise nach England und der Wechsel Norderneys mit Wangeroog, doch deswegen geschah – wie es übrigens Heine für den letzten Fall selbst zugibt (an Christiani, 20. Sept. 1827), obgleich er vorher an Merckel (11. Sept.) geschrieben hatte: »In Norderney habe ich mich wie ein Held gezeigt.« Als Fortschritt seiner Bemühungen, festen Fuß zu fassen, kann nur die von England aus erfolgte, durch Varnhagen vermittelte Anknüpfung mit Cotta verzeichnet werden. Im übrigen besorgte er in dieser Zeit den Druck des »Buches der Lieder«, das im Oktober 1827 erschien. Außerdem aber hielt ihn in Hamburg noch immer Therese fest, die Hoffnung auf ihren Besitz hatte er offenbar noch nicht aufgegeben. Die Gunst des reichen Oheims, sowieso immer schwankend, war durch das Verhalten seines Neffen stark erschüttert worden. Onkel Salomon hatte diesem für seine englische Reise einen Kreditbrief auf Rothschild in London ausgestellt, Heinrich sollte die Summe – es waren nicht weniger als 400 Pfund Sterling – aber nur im Notfall gebrauchen. Heine hob indessen den ganzen Betrag sofort ab und bestritt damit die Kosten seines verschwenderischen Lebens in London und Ramsgate. »Ich hatte mich bis an den Hals in Abenteuer versenkt, hatte durch Malheur und Dummheit über 300 Guineen eingebüßt.« (An Varnhagen, 19. Okt. 1827), 800 Taler sicherte er sich als Rückhalt und vertraute sie seinem Freunde Varnhagen an. Man kann sich denken, wie empört der Onkel war über die Eigenmächtigkeit und den Leichtsinn seines Neffen. Dieser soll – die Anekdote ist zu niedlich, als daß ich sie übergehen könnte – ruhig und überlegen auf die Strafpredigt geantwortet haben: »Weißt du, Onkel, das beste an dir ist, daß du meinen Namen trägst.« In der Tat – Heine hatte einen Namen, als Schriftsteller und als Dichter. Von seiner Ankunft in London hatten die Zeitungen Notiz genommen – Heine sorgte dafür, daß auch der »Hamburger Korrespondent« seine Reise unter den politischen Artikeln erwähnte. Die »Reisebilder« wurden überall gelesen, vor allem, nachdem die Zensur den zweiten Band verboten hatte, und das »Buch der Lieder« machte den Dichter gar bald berühmt. Wie stark sein Selbstbewußtsein geworden war, beweisen zwei Briefstellen, wo er sich über Goethes angeblich ungünstiges Urteil tröstet: »Daß ich dem Aristokratenknecht Goethe mißfalle, ist natürlich. Sein Tadel ist ehrend, seitdem er alles Schwächliche lobt. Er fürchtet die heranwachsenden Titanen« (an Moser, 30. Okt. 1827). Und an Varnhagen (30. Okt. 1827): »Wolfgang Goethe mag immerhin das Völkerrecht der Geister verletzen; er kann doch nicht verhindern, daß sein großer Name einst gar oft zusammen genannt wird mit dem Namen H. Heine.«

Aber weder der Oheim noch die Tochter ließen sich gewinnen. Die Lage in Hamburg drohte wieder unhaltbar zu werden, da traf die Aufforderung Cottas ein, in München die Redaktion der »politischen Annalen« zu übernehmen. Heine griff sofort zu, reiste aber erst über Lüneburg nach Kassel, wo er die Brüder Grimm aufsuchte, von da nach Frankfurt, wo er drei Tage mit Börne zusammenlebte, und dann nach Stuttgart – hier lernte er den Herausgeber der »Literaturzeitung«, Wolfgang Menzel, kennen. »Die edlen Sänger dort hab' ich nicht gesehen«, berichtet er an Varnhagen und äußert sich anschließend hieran über die Angriffe Menzels gegen Goethe: »Die Stellen über Goethe habe ich nicht ohne Schmerzen lesen können. Ich möchte sie für keinen Preis geschrieben haben. Wo denken Sie hin, lieber Varnhagen, Ich, Ich gegen Goethe schreiben! Wenn die Sterne am Himmel mir feindlich werden, darf ich sie deshalb schon für bloße Irrlichter erklären? Überhaupt ist es Dummheit, gegen Männer zu sprechen, die wirklich groß sind, selbst wenn man Wahres sagen könnte. Der jetzige Gegensatz der Goethischen Denkweise, nämlich die deutsche Nationalbeschränktheit und der seichte Pietismus, sind mir ja am fatalsten. Deshalb muß ich bei dem großen Heiden aushalten ... Gehöre ich auch zu den Unzufriedenen, so werde ich doch nie zu den Rebellen übergehen.« (28. November 1827.) Solche Grundmeinungen – sie geben sich dadurch zu erkennen, daß sie immer wiederkehren und sich in die ganze Struktur des Dichters einfügen lassen – sind wohl zu unterscheiden von Stimmungsurteilen, die scheinbar jenen widersprechen, aber nie damit gleichgewertet und als »die Meinung« ausgegeben werden können. Gerade im Fall Goethe bemerkt Heine einmal: »Denn wenn ich mich schlecht befinde, bin ich immer antigoethianisch gesinnt.« (Reise von München nach Genua, Kap. XXVI, Handschrift.) Das verrät natürlich ein gewisses Gegensatzgefühl gegen Goethe – wir wissen, worauf es beruht (vgl. S. 28 f.) – das auch solche Äußerungen wie »Aristokratenknecht« erklärt. –

In München fand Heine in dem Baron Cotta einen verständnisvollen Verleger und »noblen Menschen«, dessen Generosität er im Gegensatz zu Campe besonders betont. »Ich bin ganz zufrieden mit ihm« (an Menzel, 12. Januar 1828), auch mit seinen Mitarbeitern – seinen »Mitbrillanten« – wußte er sich gut zu stellen. Nur das Klima behagte ihm von Anfang an nicht. Schon am 1. Dezember bezeichnet er sich als »bis auf den Tod krank« (an Merckel) und will nach Italien fahren. »Was mich betrifft, so ruiniert mich das hiesige schlechte Klima, ich habe noch keine gesunde Stunde gehabt« (an Veit v. Döring, 12. Dez. 1827). Solche Klagen kehren in den Münchener Briefen immer wieder, von Cotta ließ er sich nicht so fesseln, wie dieser vielleicht beabsichtigt hatte, Heine lehnte die Übernahme der Hauptredaktion des »Auslandes«, einer Zeitschrift, die Cotta auf Wunsch des Königs gründete, ab, obgleich er »dabei sehr, sehr viel Geld« verdient hätte – schreibt er seinem Hamburger Verleger, offenbar nicht ohne Absicht (1. Dez. 1827). Eine Nachprüfung dieser Angaben ist mir im Augenblick nicht möglich.

Wie vertrug sich Heine nun mit der Wirklichkeit, die ihn in München umschloß, und mit der Wirksamkeit, die ihm zum erstenmal als Pflicht auferlegt wurde? Der bayrische König Ludwig I. war ein liberal gesinnter Fürst, ein eifriger Förderer von Kunst und Wissenschaft. Er las auch die »Annalen«, die in demselben Sinne redigiert wurden. Sein Minister v. Schenk verfaßte in seinen Mußestunden Dramen – »der größte Dichter der Welt ist Eduard Schenk«, urteilte Heine unbedenklich in einem Brief an Varnhagen (ungefähr den 28. November 1827) – beide waren bald miteinander befreundet. Für die »Annalen« bemühte Heine sich um die Mitarbeit seiner Freunde, und soweit diese, wie z. B. Menzel, selbst literarisch tätig waren, suchte er ein Verhältnis auf Gegenseitigkeit herzustellen. Er kargte dabei nicht mit Lob und Anerkennung. »Ach, Menzel! wie ennuyant ist – unsere Aufsätze abgerechnet – der ganze Inhalt der ›Annalen‹!« (An Menzel, 16. April 1828.) Er selbst lieferte dafür einige Abschnitte der »Englischen Fragmente« und kleinere Beiträge, beteiligte sich auch an Cottas »Morgenblatt« und am »Ausland«. Aber Heine schrieb nicht mehr so unbedacht wie bisher. Er war entschlossen, sich in München – was ihm in Hamburg nicht geglückt war – »einzunisteln«, und wenn er damals (an Varnhagen, l4. Mai 1826) gemeint hatte, das Talent dafür fehlte ihm ganz und gar, so zeigte er jetzt eine Gewandtheit, der auch bedenkliche Mittel recht waren, um zum Ziel zu kommen. Als solches faßte er bald – kühn genug – eine Professur an der Münchener Universität ins Auge. Unvorsichtig blieb er trotzdem. Eine seiner ersten Bekanntschaften in München war der Abenteurer Wit v. Dörring. »Wit ist ein mauvais sujet, und wenn ich Macht hätte, ich ließe ihn hängen« (an Varnhagen, 1. April 1828). Aber Heine war eingenommen von dessen »Privatliebenswürdigkeit«, die ihm »ungemein viel Spaß« machte – wir kennen diese sensible Neigung für Menschen, unabhängig von deren Charakter, bereits – und benutzte ihn nun für seine Zwecke: er stellte ihm die »Annalen« zur Verfügung, um darin die Interessen des Herzogs von Braunschweig – des sogenannten Diamantenherzogs – zu verfechten. Eigentümlich wirkt die Begründung dieses Anerbietens: »Ein deutscher Fürst gehört auch zum deutschen Volke, und gar einer aus dem ältesten Heldenhause Deutschlands darf nicht von einem fremden Knechte verhöhnt werden, und wäre ich gesund und in besseren Umständen, so würde ich selbst mich für Braunschweig schlagen.« (An Dörring, 23. Jan. 1828.) Als Entgelt fordert er – einen Orden! Ein Orden konnte sein Ansehen natürlich nur heben, und der König, der ja die »Annalen« las, auf deren Titelblatt Heine jetzt als Herausgeber figurierte, mußte mit Befriedigung von dem Eintreten für seinen »Vetter« Kenntnis nehmen. In seinen eigenen Aufsätzen zog Heine jetzt sozusagen Handschuhe an. »Ich bestrebe mich auch einer löblichen Mäßigung des Ausdrucks«, versichert er dem Baron Cotta (14. März 1828). Man kann nicht sagen, daß er seinen Überzeugungen untreu wurde, die Sache der »Freiheit« vertrat er noch immer, der König war ja auch liberal, aber Heine lavierte und brachte seine monarchische Gesinnung möglichst stark zur Geltung. Typisch ist die Kritik des Beerschen Dramas »Struensee«, er beleuchtet darin nur die politische Seite, und ohne daß Heine servil würde – er spricht sogar von einem Totengericht über die Könige und Großen der Erde – oder »die Idee der Menschengleichheit« verleugnete, hat doch die ganze Haltung etwas merkwürdig Schillerndes. Dem König Ludwig werden handgreifliche Schmeicheleien gesagt, eine lange Stelle aus dem Drama wird zitiert, sie schließt, gewiß nicht zufällig, mit den Worten:

Und hellre Tage kommen, und die Völker
Und Kön'ge schließen einen ew'gen Bund.
Notwendig ist die Zeit, sie muß erscheinen,
Sie ist gewiß, wie die allmächt'ge Weisheit.
Nur durch die Kön'ge sind die Völker mächtig,
Nur durch die Völker sind die Kön'ge groß.

Heine selbst nennt den Aufsatz eine »Lumpigkeit« – »ich mußte ihn schreiben« (an Merckel, 4. April l828), wohl auch, um dem Minister Schenk einen Gefallen zu tun. Höchst charakteristisch nun, wie er sich zu rechtfertigen sucht. »In Deutschland ist man noch nicht so weit, zu begreifen, daß ein Mann, der das Edelste durch Wort und Tat befördern will, sich oft einige kleine Lumpigkeiten, sei es aus Spaß oder aus Vorteil, zu schulden kommen lassen darf, wenn er nur durch diese Lumpigkeiten (d. h. Handlungen, die im Grunde ignobel sind) der großen Idee seines Lebens nichts schadet, ja daß diese Lumpigkeiten oft sogar lobenswert sind, wenn sie uns in den Stand setzen, der großen Idee unseres Lebens desto würdiger zu dienen. Zur Zeit des Macchiavells und jetzt noch in Paris hat man diese Wahrheit am tiefsten begriffen.« (An Varnhagen, 1. April 1828.) Gewiß ist das eine Wahrheit, es fragt sich nur, ob Heine hier nicht Dienst für die Idee und persönlichen Vorteil verwechselt, d. h. die Idee nur vorschützt, denn es ist nicht einzusehen, wie Heine ihr »würdiger« dienen will, wenn er seine Brust mit einem Orden schmückt. Heines Worte sind Theorie, freilich tritt darin überraschend deutlich eine Anschauung zutage, die viel später von Nietzsche und Wedekind vertreten und literarisch dargestellt wurde. Für die Idee oder gar die Idee leben, verlangt einen Heros – Heine war kein Heros, wollte keiner sein. Gerade in der Münchener Zeit erzählt er einmal – an Varnhagen, 6. Juni 1828 –, er könne den Tod aufladen durch eine Vergleichung mit Napoleon, er sei ein Mensch, der zu seinem Vergnügen lebe, und könne nicht mehr so gut schlafen, seit er wisse, daß ein Maler ihn in eine fürchterliche Schlacht hineingemalt habe. »Nun stehe ich auf dem Bilde in Lebensgefahr – und wer steht mir dafür, daß nicht mal so eine gemalte Flinte losgehen kann, und mein wirklicher Leib sympathetisch mitfühlt, wenn der gemalte durchlöchert wird?« Hinter dem Scherz verbirgt sich eine ganz richtige Selbsteinschätzung.

Die Gunst des Ministers Schenk war leicht zu gewinnen: Heine faßte ihn bei seiner Dichtereitelkeit, nennt seine Tragödien »großartige Erscheinungen«, rezensiert Michael Beer, der Schenk rezensiert, der dafür Beers Dramen »laust« (an Menzel, 2. Mai 1828), und verspricht ihm die Dedikation seines nächsten Werkes, wie er ausdrücklich hervorhebt, auf Kosten Immermanns (an Schenk, 1. Okt. 1828). Man müßte aus dem Archiv feststellen, wieweit sich Schenk tatsächlich für Heine verwandt hat, jedenfalls hoffte dieser vor allem durch ihn seine Absichten beim König zu erreichen. Auch den Baron Cotta wußte er dafür einzuspannen: Heine bat ihn brieflich (18. Juni), dem König die »Reisebilder« und das »Buch der Lieder« zu übergeben und ihm anzudeuten, der Verfasser sei »viel milder, besser und vielleicht jetzt auch ganz anders als seine früheren Werke«. Der König werde weise genug sein, die Klinge nur nach ihrer Schärfe, und nicht nach dem etwa guten oder schlimmen Gebrauch zu schätzen, der schon davon gemacht worden. Der Gedanke, daß die genannten Bücher kaum geeignet waren, ihren Verfasser für eine Professur zu empfehlen, scheint diesem gar nicht gekommen zu sein, sie wären aber jedenfalls kein Hinderungsgrund gewesen. Der Dichter Geibel wurde später in München auch Professor.

Ob Heine, abgesehen von seiner auf ein äußeres Ziel eingestellten Tätigkeit, einer irgendwie gearteten inneren Umwandlung damals erlag, muß bezweifelt werden. »Ich werde hier sehr ernsthaft, fast deutsch; ich glaube, das tut das Bier ... Ich bin in Bayern ein Preuße geworden«, verrät er zwar seinem Freunde Varnhagen, aber auch diese Äußerung scheint nicht ganz ohne Hintergedanken gewesen zu sein: er wollte sich die Tür nach Berlin offen halten, (An Varnhagen, 1. April 1828.) Melancholische Anwandlungen – manche Briefstellen deuten darauf hin – sind offenbar durch das Klima verursacht, im übrigen lebte Heine ganz nach seinem gewohnten Stil: Umgang mit Vorliebe in aristokratischen Kreisen, aber auch mit jungen Malern, »die besser aussehen als ihre Bilder«. Dazu rühmt er »wunderschöne Weiberverhältnisse«. (An Varnhagen, 1. April 1828). Genannt werden zwei Gräfinnen Bodmer, von denen die jüngere ihn besonders fesselte. »Ich weiß überall in der großen Lebenswüste irgendeine schöne Oase zu entdecken« (ebd.). Therese hatte sich inzwischen verlobt. »Nach Hamburg werde ich nie in diesem Leben zurückkehren ... Es sind mir Dinge von der äußersten Bitterkeit dort passiert« (an Varnhagen, 12. Febr. 1828).

Die »politischen Annalen« wurden am 1. Juli 1828 suspendiert, Heine, der nur bis dahin verpflichtet war, benutzte die Gelegenheit, um seinen schon früher geäußerten Vorsatz auszuführen: er begann seine Reise nach Italien. Was ihn dorthin trieb, läßt sich schwer genauer sagen. Weder Venedig noch Rom, weder antike Kunst noch Romantik lockte ihn, seiner sensiblen Natur war die Reise zunächst klimatisches Bedürfnis; man kann nur nach dem, was Heine in Italien erlebte, etwa urteilen, daß er dort eben nur »leben« wollte, und leben heißt für ihn, obgleich er es selbst einmal so bezeichnet, nicht »sich amüsieren«, sondern getragen werden von einem starken Lebensgefühl, das für ihn, den Kranken, so selten zu erreichen und aufrechtzuerhalten war. Gerade an diesem periodisch auftretenden Gehobensein erkennt man Heines durchaus nervöse Natur. Anfangs bewegt er sich in Italien als »Ruine, die unter Ruinen wandelt« (an Schenk, 27. August 1828), dann, während und nach dem Gebrauch der Bäder in Lucca, überkommt ihn der Enthusiasmus (an Schenk, 1. Oktober 1828), und zurückblickend spricht er von der »glänzendsten Zeit« seines Lebens, einer Zeit, »wo ich berauscht von Übermut und Liebesglück, auf den Höhen der Apenninen umherjauchzte und große, wilde Taten träumte, wodurch mein Ruhm sich über die ganze Erde verbreite bis zur fernsten Insel.« (An Friederike Robert, 30. Mai 1829.) Beunruhigt wurde er nur durch das Ausbleiben seiner Ernennung zum Professor. Vergeblich wartete er in Florenz auf Nachricht aus München, vergeblich wandte er sich an den Baron Tutschew, den Schwager der Gräfin Bodmer, um Auskunft, er mußte Italien verlassen, ohne Gewißheit über sein Schicksal erhalten zu haben. In München erfuhr er dann, daß der König die Ernennung verweigert habe, gleich darauf traf ihn ein zweiter harter Schlag: sein Vater war am 2. Dezember gestorben. Heine eilte nach Hamburg, um die Mutter, die dorthin gezogen war, zu trösten. Die geistige Gemeinschaft mit dem Vater hatte er schon lange vorher verloren: in den Briefen ist nie von ihm die Rede, Samson Heine war seit seinem Bankerott gemütskrank gewesen, aus der liebevollen Schilderung, die der Sohn später von ihm in den »Memoiren« gab, muß man aber doch schließen, daß er ihn aufrichtig geliebt hat, wenn ihm auch die Mutter innerlich näher stand (vgl. die an sie gerichteten Sonette im »Buch der Lieder«).

Für Heine beginnt nun die schlimmste Zeit seines Lebens in Deutschland: in Berlin, in Potsdam, in Hamburg, in Wandsbeck hält er sich auf, nirgends findet er dauernde Rast, neue Bemühungen, ein sicheres Unterkommen zu finden, schlagen fehl, Varnhagen soll in Berlin, sogar in Wien sich für ihn verwenden, in Hamburg wird die Stelle eines Ratssyndikus frei, Heine glaubt selbst nicht, daß er gewählt wird, trotzdem soll Varnhagen durch eine Zeitungsnotiz auf seine Kandidatur aufmerksam machen (an Varnhagen, 4. Januar 1831) – nichts glückt. Dabei fühlt er sich krank, im Februar 1830 wird er durch Bluthusten gequält, Tage tiefster Niedergeschlagenheit wechseln mit solchen voll unerträglicher Reizbarkeit, heute möchte er ein Kätzchen sein, morgen schreibt er Rahel Varnhagen einen bitterbösen Brief, der von Eitelkeit strotzt. »Der Kopf dumpf, die Brust voll widerwärtigen Schmerz, von tausend Verdrießlichkeiten umringt« (an Varnhagen, 3. Januar 1830), so beginnt er ein neues Jahr, und Anfang des nächsten Jahres steht es nicht viel besser. Zeitweise arbeitet er, dann gibt er sich wieder, oft aus Trotz gegen seinen schwachen Körper, leichtfertigen und aufreibenden Vergnügungen hin – zur Erholung reist er zweimal nach Helgoland. »Ich bin, jetzt fühl' ich es erst, unsäglich elend gewesen, als ich mich in Berlin befand«, gesteht er dem getreuen Moser (6. August 1829), das Meer, sein »wahlverwandtes Element«, tut 1829 seine Wirkung, aber im nächsten Jahr kann er sich selbst auf dem »roten Felsen« seiner »trüben Stimmung« nicht erwehren, er sucht mehr Betäubung im gesellschaftlichen Leben als Beruhigung durch das Meer – beide Male blieb der Aufenthalt poetisch unfruchtbar. Summarisch charakterisiert Heine diese Zeit: »Meine Not ist teils literarisch, teils für meine persönliche Sicherheit, teils für meine Zukunft, indem ich sehe, wie man mir überall das Wasser abgräbt« (an Varnhagen, 3. Januar 1830). Er glaubt sich »verfolgt«, Campe, »ein wahrer Schuft«, prellt ihn, Cotta wird unredlich; selbst den Freunden traut er nicht mehr – nur eins kommt ihm nicht zu Bewußtsein, daß er selbst sein schlimmster Feind ist – der Schriftsteller Heine arbeitete allen Bestrebungen des Bürgers und Dr. jur. Heine, sich festzusetzen, am wirksamsten entgegen.

Der Münchener Mißerfolg ist sicher auf Einspruch oder Umtriebe der klerikalen Partei zurückzuführen, der Heine als Feind der Kirche natürlich ein Dorn im Auge sein mußte. Auch die »Muttergotteswitze« (vgl. »Die Bäder von Lucca«, S. 529 und. S. 636) hatte man ihm gewiß noch nicht vergessen. Die Angriffe auf den Adel waren auch nicht geeignet, ihn bei Hofe zu empfehlen. Am meisten aber schadete sich Heine durch den dritten Band der »Reisebilder«, der am Schluß der »Bäder von Lucca« die »Auspeitschung« des Grafen Platen brachte, die unerfreulichste Fehde, von der die deutsche Literaturgeschichte zu erzählen hat. Heines Verhalten hierbei ist nur aus seinem Gesamtcharakter und aus der Situation heraus zu verstehen, in der er die Exekution – um eine solche handelt es sich – vornahm. Auch hier muß zunächst wieder an die Labilität der Heineschen Seele erinnert werden: sie erscheint auch in der Form der Hemmungslosigkeit, die um so stärker ist, je mehr Heine sich gereizt fühlt – solche Hemmungslosigkeiten hat er sich seinen besten Freunden gegenüber zuschulden kommen lassen; der Absagebrief – an Rousseau, an Sethe, an Frau v. Varnhagen und bald darauf sogar an Moser – ist typisch. Reizbar war Heine immer – wie ihm nach der Enttäuschung in München und dem Tode seines Vaters zumute war, haben wir gesehen. Platen war Aristokrat, er stand – für Heine wenigstens – in Verbindung mit den Klerikalen – Heines Abneigung gegen Adel und Kirche wirkte also mächtig mit. Und endlich: Heine wurde an der empfindlichsten Stelle getroffen: der »Romantische Ödipus« übte seinen Witz an Heines Judentum und verletzte dessen Dichtereitelkeit. Also handelte Heine unüberlegt, blind gemacht durch Leidenschaft und Rachebedürfnis? Im Gegenteil. Es paßt ganz in Heines Charakterbild, wenn die Abfertigung des Gegners Wochen und Monate in Anspruch nimmt, das psychische Gefälle verstärkt sich, je mehr Heine sich im Vorbereiten und im Schreiben in seine feindselige Stimmung hineinredet und hineinsteigert – und dafür besaß er ein ganz besonderes Talent, das zeigen die Briefe, in denen er später sein Tun zu rechtfertigen versuchte. »Als mich die Pfaffen in München zuerst angriffen und mir den Juden zuerst aufs Tapet brachten, lachte ich – ich hielt's für bloße Dummheit. Als ich aber System roch, als ich sah, wie das lächerliche Spukbild allmählich ein bedrohliches ( sic!) Vampir wurde, als ich die Absicht der Platenschen Satire durchschaute, als ich durch Buchhändler von der Existenz ähnlicher Produkte hörte, die mit demselben Gift getränkt, manuskriptlich herumkrochen – da gürtete ich meine Lende und schlug so scharf als möglich, so schnell als möglich« (an Varnhagen, 4. Februar 1830) – solche Stellen gewähren Einblick in die Entstehungsgeschichte der Platenkapitel. Zu ihrer richtigen Einschätzung bedarf es einer einzigen Frage: werden die immer erneuten Angriffe, die erbarmungslos witzigen und gemeinen Anspielungen auf Platens abnorme Veranlagung, wird das Hervorzerren auch sonst intimster Angelegenheiten, die Verletzung der dichterischen, persönlichen und familiären Ehre des Angegriffenen, mit einem Wort, wird die Mißhandlung Platens aufgewogen – und nur dies könnte sie erträglich machen – durch die Liebe zu einer größeren Sache, deren erhabener Hintergrund die Vorgänge auf der Vorderbühne dämpft und eben damit in anderem Lichte erscheinen läßt? Die Frage muß verneint werden, und so hinterläßt die »Auspeitschung« – Heine selbst charakterisiert damit seine Schrift ausgezeichnet – mehr den Eindruck einer an der Person befriedigten Rache als den eines um einer Sache wegen vollzogenen Strafgerichts. Und darum kann der Witz, so unermüdlich, schlagend, blendend, man möchte fast sagen, hinreißend er ist, letzten Sinnes aristophanisch nicht genannt werden. Wieder ist es Heine selbst, der diesen tiefsten Mangel scharfsichtig erkennt: die Art, wie er nachträglich sein Vorgehen zu rechtfertigen sucht, ist dessen beste Kritik: er verschanzt sich hinter der Sache, die in der Tat, anstatt der Person, seine Angelegenheit hätte sein sollen, vielleicht letzten Endes sogar war, nur daß sie in diesem Fall nicht zu ihrem Rechte kam. »Der Schiller-Goethesche Xenienkampf war doch nur ein Kartoffelkrieg, es war die Kunstperiode, es galt den Schein des Lebens, die Kunst, nicht das Leben selbst – jetzt gilt es die höchsten Interessen des Lebens selbst, die Revolution tritt in die Literatur, und der Krieg wird ernster« (an Varnhagen, 4. Februar 1830). Wenn von solchen Dingen in den Platenkapiteln nur die Rede wäre!

Die Wirkung der Schrift war vernichtend – für Heine. Selbst die Freunde wurden stutzig; Immermann, dem »Die Bäder von Lucca« gewidmet waren, schrieb an Michael Beer (2. April 1830): »Seine Replik ist idealiter zwar schwer zu vertreten, doch verdient er, als eine wahrhaft produktive Natur, daß man seinerseits tue, was man kann, um ihn zu halten. Und zweitens ist zu erwägen, daß Platen ihn persönlich auf die gemeinste Weise zuerst angefaßt hat.« Als Heine ihm dann, offenbar in der Absicht, ihn günstig zu stimmen, vier enggeschriebene Bogen mit Änderungsvorschlägen zum »Tulifäntchen« schickte, fühlte Immermann sich verpflichtet, ihm »aus Pietät die Stange zu halten« (an Beer, 3. Mai 1830). Auch andere Freunde suchte Heine, um den scharfen, übrigens auch oft ganz ungerechten Kritiken entgegenzutreten, für sich zu gewinnen, aber der einzige, der für ihn eintrat, war Varnhagen: dieser bestätigte (in den »Blättern für literarische Unterhaltung« vom 13. Februar 1830, mitgeteilt bei Elster, Bd. III, S. 207), daß der Scharfrichter sein Amt als Meister ausgeübt habe, der Kopf sei herunter. Das Buch sei frech, aber die Roheit des Stoffes werde gemildert durch die graziöseste Behandlung. In Witz und Satire zeige Heine eine Überlegenheit, an die der Gegner mit seinen gekünstelten Versen nicht heranreiche. Varnhagen bewies mit dieser Kritik das lebhafteste Verständnis für die ästhetischen Vorzüge der Schrift. Moser dagegen, um von andern zu schweigen, hielt mit seinem Tadel nicht zurück. Heine antwortete darauf nicht, und als dann Moser das Stillschweigen als verletzte »Poeteneitelkeit« deutete, schrieb Heine einen schnöden Absagebrief. »Ich klage nur über die Götter, die mich so lange Zeit im Irrtum ließen über die Art, wie Du mein Leben und Streben begriffest. Du hast letzteres nicht verstanden, und das ist es, was mir Kummer macht. Du verstehst es noch nicht, hast nie mein Leben und Streben verstanden, und unsere Freundschaft hat daher nicht aufgehört, sondern vielmehr nie existiert.« (27. Juni 1831.) Moser war der treueste, selbstloseste Freund, den Heine gehabt hat, der Briefwechsel mit ihm zeigt, in wie mannigfacher Art Heine ihn in Anspruch nahm, literarisch und pekuniär, Heine nennt ihn wiederholt besser als sich selbst – trotzdem dieser plötzliche Bruch. Wie mußte ein Mann, der so mit seinem besten Freunde umging, gegen seine Feinde verfahren! Welche Feindschaft aber auch sich erwerben! Nicht nur mit der Platensache in literarischen Kreisen, in jüdischen zog er sich viele Gegner zu mit den Gestalten des Gumpelino und Hyacinth, die in den »Bädern von Lucca« eine große Rolle spielen. Man glaubte darin eine Verhöhnung des Judentums zu sehen, einige Hamburger Juden – Gumpelino und Hyacinth sind tatsächlich nach Modell geschaffen – fühlten sich betroffen und verletzt, man hetzte und zeterte, die Besorgnis Heines, auf offener Straße, wie schon früher einmal, angerempelt zu werden, war nicht unbegründet, ebenso wie er zu seinen Platenkapiteln ein gerichtliches Nachspiel befürchtete. Heine tat sich auf Gumpelino und vor allem auf Hyacinth sehr viel zugute, in der Tat haben diese beiden Gestalten Umrisse, die sie, trotz der Karikatur, zu wahrhaft komischen Figuren machen, wenn sie auch, wegen der Karikatur, letzte Größe nicht erreichen. Beide sind, ihrer literarischen Herkunft nach, Nachkommen jenes berühmten Paares Don Quichotte – Sancho Pansa, obgleich hier umgekehrt wie bei Cervantes, der Diener den menschlich wertvolleren Gehalt verkörpert. Wenn sich aber in dem Werke des großen Spaniers die beiden »Helden« auswachsen zu großartigen Weltanschauungsgegensätzen, die doch durch die umfassende und wahrhaft hochgeartete Menschlichkeit des Dichters zusammengehalten und insofern nicht zur Versöhnung, aber zur Verträglichkeit miteinander gebracht werden, so vermißt man bei Heine sowohl den vertieften Gegensatz wie die zwingende Vereinigung, und der nachhaltigen Kraft des großen Dichters, die sich wie ein mächtiger Baum entfaltet, entspricht auf der andern Seite ein hastig und blendend emporschießendes Feuerwerk von Witz und Satire, das plötzlich in sich zusammenfällt, abgebrochen wird; ein neuer Strahl, womöglich noch sprühender, schießt empor – Heines Formkraft erweist sich gerade in den »Bädern von Lucca« am glänzendsten und versagt doch gerade auch hier – man erkennt einen Ansatz von unleugbar großer Menschenschilderung, dann aber die Unfähigkeit, sie großzügig durchzuführen. Man darf aber auch von einem Mangel an Verantwortungsgefühl gegenüber dem eigenen Werk sprechen. Wie könnte Heine sonst die Platenkapitel an die, sagen wir kurz, Gumpelino-Handlung anschließen, die doch beide, so überaus witzig der Übergang gefunden wird, nichts miteinander zu tun haben! Wieder sehen wir: vereinigendes Moment ist lediglich die Person des Dichters, aber diese ist so impressionistisch lebendig, gehorcht fast zwangsartig jedem Eindruck, wechselt ohne jedes Bedenken und verficht auch im Kunstwerk persönliche Interessen, und wenn das Kunstwerk dadurch aufgehoben wird!

Was stellen nun »Die Bäder von Lucca« als Ganzes dar? Heine erwähnt in einem Brief an Friederike Robert (30. Mai 1829) ein »großes humoristisches Werk«, er habe es beiseitegelegt, um die italienische Reise für den dritten Teil der »Reisebilder« zu verwerten und darin mit allen seinen Feinden Abrechnung zu halten. Bei der großen Unbedenklichkeit, mit der Heine ein Buch zusammenzustellen pflegte, darf man annehmen, daß der erwähnte Roman, der noch Bruchstück war, doch zu den »Bädern von Lucca« benutzt wurde. Von hier aus gesehen, müssen wir in diesen einen dritten Typ Heinescher Prosa erkennen, den des novellistischen Fragments. Rein ausgeprägt erscheint dieser nur im »Rabbi von Bacherach«, der schon im ersten Teil der »Reisebilder« veröffentlicht werden sollte, aber dann liegen blieb. In den »Bädern von Lucca« – wie schon der Titel und der Obertitel »Italien« andeutet – vermischt er sich mit dem ersten Typ, es gehen auch Elemente des zweiten mit hinein. Als autobiographisches Denkmal haben »Die Bäder von Lucca« sogar besondere Bedeutung, wenn man die Gestalt der Signora Franscheska ins Auge faßt. Die Schilderung des Liebesverhältnisses zwischen ihr und dem Erzähler wirft ein helles Licht auf Heines erotische Verfallenheit, die durchaus nicht nur als Leichtfertigkeit oder gar Frivolität bezeichnet werden darf, die vielmehr auf einem dionysischen Lebensgefühl beruht, wie es Heine in Zeiten, wo er sich frei und gesund fühlt, immer überkommt. »Und ich habe es weit gebracht in dieser Welt! Des seid mir Zeugen, toskanische Nächte, du hellblauer Himmel mit großen silbernen Sternen, ihr wilden Lorbeerbüsche und heimlichen Myrten, und ihr, o Nymphen des Apennins, die ihr mit bräutlichen Tänzen uns umschwebtet und euch zurückträumtet in jene besseren Götterzeiten, wo es noch keine gotische Lüge gab, die nur blinde, tappende Genüsse im Verborgenen erlaubt und jedem freien Gefühl ihr heuchlerisches Feigenblättchen vorklebt.« (Kap. VI.) Gewiß, Heine hält sich nicht immer auf dieser Höhe, er verfängt sich nur zu oft, als seelischer Schwächling, in Situationen und Dinge, die man, soll einmal moralisiert werden, frivol nennen kann. Man trifft damit aber nicht das Primäre oder das Ganze: dieses ist eine Seele, die auch des Höchsten fähig ist, wenn sie auch ebensoleicht zur Tiefe sinkt. Man empfindet das immer noch als Widerspruch und zeiht Heine der Heuchelei oder der Pose, ohne zu begreifen, daß dieser Widerspruch nur erste und letzte Stufe einer Skala ist, deren Wechsel der Labilität der Heineschen Seele keine Schwierigkeiten macht. Beides, Hohes und Niederes, sind rechte seelische Inhalte, die Pose beginnt erst da, wo dies Niedere durch das Höhere gedeckt werden soll: daß Heine darin sogar eine gewisse Virtuosität besitzt, soll durchaus nicht geleugnet werden.

Diese Zweideutigkeit – im unbefangenen Sinne des Wortes – tritt noch stärker hervor in der »Reise von München nach Genua«, dem ersten Teil der Schrift über »Italien«. Als Typ gehört er ganz zur »Harzreise«, d. h., er ist eine Reisebeschreibung, die tatsächlich über den Gegenstand mancherlei berichtet, auch über Land und Leute, wobei freilich das Historische mehr in den Vordergrund tritt als das Poetische. Dieses kommt zu seinem Recht namentlich in einzelnen mit sicherer Kunst gezeichneten Situationsbildern – man vergleiche etwa Kapitel XIII, XVIII, XXII. Weniger nach unserm Geschmack ist die romantisch-sentimentale Geschichte von der toten Maria, die immer wieder wie ein Gespenst auftaucht und der »Reise« zu einem romanhaften Ende verhilft, das zum übrigen Inhalt in keinem rechten Verhältnis steht. Dieser Schluß ist, literarisch betrachtet, eine romantische Unart, übrigens nach bekanntem Vorbild, zeigt aber auch die der straffen Komposition durchaus widerstrebende, impressionistisch unruhige Schaffensart Heines. Als Einzelheit sei noch Kapitel XV erwähnt, jene wunderschöne Stelle, wo Heine von der Hand einer im übrigen für ihn unsichtbaren Dame spricht: »Ich konnte nicht aufhören, diese Hand zu betrachten; das bläuliche Geäder und der vornehme Glanz der weißen Finger war mir so befremdlich wohlbekannt, und alle Traumgewalt meiner Seele kam in Bewegung, um ein Gesicht zu bilden, das zu dieser Hand gehören konnte. Es war eine schöne Hand und nicht, wie man sie bei jungen Mädchen findet, die, halb Lamm, halb Rose, nur gedankenlose, vegetabil animalische Hände haben, sie hatte vielmehr so etwas Geistiges, so etwas geschichtlich Reizendes wie die Hände von schönen Menschen, die sehr gebildet sind oder viel gelitten haben. Diese Hand hatte dabei auch so etwas rührend Unschuldiges, daß es schien, als ob sie nicht mitzubeichten brauche und auch nicht hören wolle, was ihre Eigentümerin beichtete, und gleichsam draußen warte, bis diese fertig sei.« Die Psychologie der Hand spielt hier wohl ihre Ouvertüre. Theodor Storm, der nach eigenem Bekenntnis von Heine aufs tiefste beeindruckt wurde, schrieb jene berühmte Stelle aus »Immensee«, wo er auch eine Frauenhand zeichnet: »... und diese blasse Hand verriet ihm, was ihr Antlitz ihm verschwiegen hatte. Er sah auf ihr jenen feinen Zug geheimen Schmerzes, der sich so gern schöner Frauenhände bemächtigt, die nachts auf krankem Herzen liegen« – Storm schrieb hier gewiß unter dem Einfluß Heines.

Die eigentliche Bedeutung der »Reise von München nach Genua« liegt indes auf weltanschaulich-politischem Gebiet, und damit rückt Kapitel XXIX, dem dann noch Kapitel XXXI anzuschließen wäre, in vorderste Linie. Was im ersten Band der »Reisebilder« schon anklang, im zweiten vernehmlicher wurde, das rauscht volltönig in diesen Kapiteln, und die Frage: Wer ist Heine? kann jetzt klar beantwortet werden: Heine ist Künder einer neuen Kultur. Diese neue Kultur, die in ihm als neues Lebensgefühl sich durchringt, ist in Heine lebendig, so oder so, und die Behauptung, es sei ihm nicht ernst damit, ist nicht weniger als eine totale Verkennung seines innersten Wesens. Heine ist nicht selbstloser Diener oder Kämpfer dieser neuen Kultur. Darin haben die Gegner recht. Aber entsprechend seiner ganzen psychischen Konstitution, er wird von ihr erregt, das Neue wirkt in ihm, seine Seele ist Vorbereitungsboden dafür, zerrissen wie Ackerland, in das der Same geworfen wird. So wird hier schon klar: Heine ist, nicht in persönlicher Absicht – das posiert er tatsächlich –, aber gemessen an der seelisch-geistigen Entwicklung der Menschheit, Opfer dieses Neuen, der »Idee«, um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen. Und die Ehrfurcht vor der Idee, vor der Größe jener geistigen Entwicklung, sollte einen Strahl auch auf Heine fallen lassen, mag er als Einzelmensch, als Heinrich Heine, noch so sehr gefehlt haben. Gefehlt nicht nur im Sinne seines Lebens, sondern auch seiner Lehre, wenn man von Lehre überhaupt bei einem Manne sprechen kann, der nach augenblicklicher Eingebung, nach Bedürfnis oder nach eigenen Interessen seine Anschauungen propagiert.

Freiheit heißt das Ziel – Heine spricht geradezu von einer Freiheitsreligion, »die vielleicht mehr den Namen Religion verdient als das hohle, ausgestorbene Seelengespenst, das wir noch so zu benennen pflegen.« (Kap. XXIX.) »Ja, es wird ein schöner Tag werden, die Freiheitssonne wird die Erde glücklicher wärmen als die Aristokratie sämtlicher Sterne; emporblühen wird ein neues Geschlecht ... mit der freien Geburt werden auch in den Menschen freie Gedanken und Gefühle zur Welt kommen.« (Kap. XXXI.) Als politische Aufgabe der Zeit, als »die große Aufgabe unserer Zeit« nennt Heine die Freiheit Emanzipation, »die Emanzipation der ganzen Welt, absonderlich Europas.« Dieses sei mündig geworden und müsse sich losreißen »von dem eisernen Gängelbande der Bevorrechteten, der Aristokratie«. Als Feind der Freiheit erscheint im Kap. XXIX auch – Napoleon. Er – Heine – sei kein unbedingter Bonapartist, seine Huldigung gelte nur dem Genius des Mannes, nicht den Handlungen. Denn Napoleon verriet die Freiheit. Heines ganzer Enthusiasmus gilt jetzt der bürgerlichen Gleichheit, die ihm freilich mehr bedeutet als nur Demokratie – dieses Wort gebraucht Heine überhaupt nicht. Adel und Krieg gehörten zusammen. Jetzt aber habe es den Anschein, »als ob die Welthistorie nicht mehr eine Räubergeschichte, sondern eine Geistergeschichte sein solle« – Heine offenbart sich als Pazifist in dem Sinne, daß die Kriege »eine edlere Bedeutung« bekämen. Und schließlich bekennt sich Heine zu der Ansicht, daß »die Nationalität mit ihrer Eitelkeit und ihrem Haß ... jetzt morsch und abgenützt« sei. »Es gibt jetzt in Europa keine Nationen mehr, sondern nur Parteien« – damit vertritt Heine den Internationalismus, der freilich mehr utopische als etwa sozialistische Züge hat: an Stelle der materiellen Staatenpolitik tritt die Parteipolitik, die auch Geisterpolitik genannt werden kann, »weil ihre Interessen geistiger und ihre ultimae rationes nicht von Metall sind.« Einst aber – es wird noch einige Zeit dauern – werden wir alle, »als gleiche Gäste«, das große Versöhnungsmahl halten. »Wir sind dann vereinigt und kämpfen vereinigt gegen andere Weltübel, vielleicht am Ende gar gegen den Tod ...«

Das Volk aber, das gegen die Ungleichheit am erbittertsten gekämpft hat, sind die Franzosen. Sie haben mit ihrer Revolution das »Signal für den Befreiungskrieg der Menschheit« gegeben. Noch in den »Memoiren« nennt Heine die Liebe für die französische Revolution eine »jener zwei Passionen, welchen mein ... Leben gewidmet blieb«. Dieser Kampf um Gleichheit und Freiheit ist ein »heiliger Kampf«, er ist »der wichtigste, wofür jemals auf dieser Erde gekämpft worden, obgleich historische Ahnung uns sagt, daß einst unsere Enkel auf diesen Kampf herabsehen werden, vielleicht mit demselben Gleichgültigkeitsgefühl, womit wir herabsehen auf den Kampf der ersten Menschen, die gegen ebenso gierige Ungetüme, Lindwürmer und Raubriesen zu kämpfen hatten.«

Wesentliche Ergänzungen und Erweiterungen dieser An- und Aussichten bringt der vierte Band der »Reisebilder«, dessen weitaus wichtigster Teil »Die Stadt Lucca« ist. Er schließt sich unmittelbar an »Die Bäder von Lucca« an, ist wie diese ein Mischtypus, doch überwiegt das Autobiographische im Sinne des Bekenntnisses. Das Bestreben, aus den Niederungen der Platenkapitel auf geistige Höhenlage zu kommen, ist unverkennbar, und zweifellos erhalten jene dadurch den Hintergrund, den man in ihnen selbst vermißt. Denkt man sich aus dem ganzen »Italien« die Platenkapitel ausgeschaltet, so erhält man zwar nicht den Eindruck der Einheitlichkeit des Werkes, wohl aber den einer Persönlichkeit, die von den Wandlungen der damals gegenwärtigen Zeit nicht nur aufs stärkste ergriffen ist, sondern sie auch zu deuten weiß als Vorboten einer großen, besseren Zukunft. Stärker als in der »Reise von München nach Genua« tritt als Hemmnis dieses Neuen jetzt die Kirche mit ihren Priestern hervor. Heine versucht sogar eine Art historischer Ableitung: die Juden, »dieses Urübelvolk«, haben »aus Ägypten, dem Vaterland der Krokodile und des Priestertums ... außer den Hautkrankheiten und den gestohlenen Gold- und Silbergeschirren ... auch eine sogenannte positive Religion ... eine sogenannte Kirche, ein Gerüste von Dogmen«, mitgebracht – das »Vorbild der späteren Staatsreligionen.« (Kap. XIII.) Die Staatsreligion aber ist eine »Mißgeburt«, oder ein »Spottgeschöpf, das aus der Buhlschaft der weltlichen und der geistlichen Macht entstanden, jenes Maultier, das der Schimmel des Antichrists mit der Eselin Christi erzeugt hat.« Als besonders gefährlich hat sich diese Staatsreligion für Deutschland erwiesen: es ist zerrissen durch Glaubenszwiespalt, »überall Verketzerung, Gesinnungsspionage, Pietismus, Mystizismus, Kirchenzeitungsschnüffeleien, Sektenhaß, Bekehrungssucht.« Und »während wir über den Himmel streiten, gehen wir auf Erden zugrunde.« Indifferentismus in religiösen Dingen könnte uns vielleicht retten, »durch Schwächerwerden im Glauben könnte Deutschland politisch erstarken. (Kap. XIV.) Die Priester sind die schlimmsten Feinde der echten Religion, es taugt nichts, wenn eine Religion als Kirche »mit Privilegien bekleidet ist, wenn ihre Diener vorzugsweise vom Staate dotiert werden und zur Erhaltung dieser Dotationen ihrerseits verpflichtet sind, den Staat zu vertreten, und solchermaßen eine Hand die andre wäscht«. Heine scheut auch hier vor sehr drastischen Vergleichen nicht zurück. Die Pfaffen respektieren den Gott, »den sie zu ihrem eigenen Nutzen, nach Willkür aus Brot und Wort zu kneten wissen«, weniger als die Laien, sie gleichen Leuten, die dem gaffenden Publikum einen »leidigen Popanz« als Gott anpreisen, wie in einer Marktbude. Es werde so weit kommen, daß der liebe Gott im »Hamburger Unparteiischen Korrespondenten« jedermann warnen werde, »keinem Menschen, es sei wer es wolle, nicht einmal seinem Sohne, auf seinen Namen Glauben zu schenken.« (Kap. XIV.) Das ist der »flipprige Ton«, in dem Heine auch über das Heiligste zu sprechen wagt. Und doch ist er weit davon entfernt, damit die Religion zu verspotten. Heine wehrt sich gerade an dieser Stelle ausdrücklich gegen die »fromme Dialektik«, die beweisen möchte, »daß ein Gegner des Kirchtums einer solchen Staatsreligion auch ein Feind der Religion und des Staates sei«. »Ich aber sage dir, das ist eine Lüge, ich ehre die innere Heiligkeit jeder Religion und unterwerfe mich den Interessen des Staates. Wenn ich auch dem Anthropomorphismus nicht sonderlich huldige, so glaube ich doch an die Herrlichkeit Gottes.« Solche Sätze sollten beachtet und unterstrichen werden. Heine ist in Sachen der Religion den bösesten Anfeindungen und Verleumdungen ausgesetzt gewesen, sein Ton verführt dazu, man sieht aber schon hier, daß es ihm mit der Sache durchaus ernst ist. »Wie schön, wie heilig lieblich, wie heimlich süß war das Christentum der ersten Jahrhunderte, als es selbst noch seinem göttlichen Stifter glich im Heldentum des Leidens. Da war's noch die schöne Legende von einem heimlichen Gotte, der in sanfter Jünglingsgestalt unter den Palmen Palästinas wandelte und Menschenliebe predigte und jene Freiheits- und Gleichheitslehre offenbarte, die auch später die Vernunft der größten Denker als wahr erkannt hat, und die, als französisches Evangelium, unsere Zeit begeistert.« Und am Schluß des Kap. VII nennt Heine Christus einen »Bürgergott, un bon dieu citoyen«, der demokratisch gesinnt gewesen sei, obgleich er ein geborener Dauphin des Himmels war. Christentum ist für Heine kein einheitlicher Begriff: ob er seiner Abneigung oder seiner Verehrung Ausdruck gibt: er hat jedesmal eine andre Seite dieses Komplexes im Auge, so daß man nicht ohne weiteres von Widersprüchen reden darf. Auch hier will Heines reizbare Seele beachtet sein, die, von diesem oder jenem Einzelmoment berührt, dementsprechend reagiert. Es ist sehr oberflächlich, ihn schlechthin irreligiös oder einen Feind des Christentums zu nennen. Heines wahre Meinung wird auch ersichtlich aus einer sozusagen beiläufigen und doch sehr richtigen und feinsinnigen Bemerkung: »Ich liebe keine Religionsverächterinnen. Schöne Frauen, die keine Religion haben, sind wie Blumen ohne Duft.« (Kap. XI.) Und wenn er selbst auf die Frage, welche von den vorhandenen Religionen er denn habe, antwortet: »... ich habe sie alle, der Duft meiner Seele steigt in den Himmel und betäubt selbst die ewigen Götter«! (a. a. O.), so wäre es ganz verkehrt, hier nur von einer lächerlichen Übertreibung zu sprechen.

Heines politische Anschauungen erfahren in der »Stadt Lucca« insofern eine Erweiterung, als er sich hier entschieden zur Monarchie bekennt. Doch auch die Könige müssen sich erst frei machen von der Bevormundung durch den Adel: sie sind Eigentum des Volkes und sollen »ein ehrliches und sicheres Regiment führen durch den Willen des Volkes, der alleinigen Quelle aller Macht.« Sie müssen »die Etiketten brechen, ihrem marmornen Boden entspringen« und allen glänzenden Plunder von sich werfen. »Die befreiten Könige werden frei sein wie andere Menschen und frei unter ihnen wandeln und frei fühlen und frei heiraten und frei ihre Meinung bekennen.« (Kap. XV.)

Also: Heine ist nicht »Feind des Throns und des Altars«. Er will – was wir heute erreicht haben – Trennung von Staat und Kirche, er will – hier gilt derselbe Zwischensatz – Aufhebung aller Privilegien des Adels; er will – was wir noch nicht erreicht haben – die weltliche Religion, wenn man diese kurze Formel gebrauchen darf. Damals waren Adel und Kirche noch stark, sie konnten »gegen die neue Weltordnung« kabalieren und intrigieren. »Vergebliches Bemühen! Eine flammende Riesin, schreitet die Zeit ruhig weiter, unbekümmert um das Gekläffe bissiger Pfäffchen und Junkerlein da unten.« (Kap. XV.)

Letzte Wurzel dieser politisch-religiösen Anschauungen ist, wie schon angedeutet, ein neues Lebensgefühl, die Ahnung einer langsam aufsteigenden neuen Kultur. Dieses Gefühl erfüllt Heine mit stärkstem Selbstbewußtsein. Er nennt sich »einen der ewigsten Menschen« (Kap. IX), und als er sich inmitten der Berge sieht, die, vom Abendrot wie mit Purpurmänteln umhüllt, wie Könige mit goldenen Kronen auf den Häuptern erscheinen, da überkommt ihn der Stolz: »Ich aber stand wie ein Kaiser der Welt in der Mitte dieser gekrönten Vasallen, die schweigend mir huldigten.« (Kap. III.) Aber Heine hatte daneben auch viel Selbstkritik: es berührt fast tragisch, wenn er sich an anderer Stelle (Kap. XV) dann wieder als einen »verrückten Poeten« bezeichnet und ergänzend etwas später hinzufügt: »Vielleicht habt ihr doch recht, und ich bin nur ein Don Quichotte, und das Lesen von allerlei wunderbaren Büchern hat mir den Kopf verwirrt.« (Kap. XVII.)

Die »neue Weltordnung« aber, die in der »Reise von München nach Genua« wie Umrisse einer fernen, fernen Insel auftauchte, erhält in der »Stadt Lucca« noch keine deutlichere Gestalt, nur daß die ganze Haltung dieser Schrift sie eindringlicher zu Bewußtsein kommen läßt. Nicht wenig trägt dazu bei das Kapitel VI, Christus im Olymp. Dieses großartige Bild veranschaulicht den fast instinktiv empfundenen Gegensatz zwischen Heiden- und Christentum, dieses gilt hier als »eine trübselige, blutrünstige Delinquentenreligion«, während jenes mit seinen »heiteren Göttern« nur Freude kannte: »der Olymp wurde ein Lazarett«. Diese hier aufs schärfste formulierte Antithese drängt in Heine zur Synthese, seine Verneinung des Christentums, d. h. hier der lebensfeindlichen Tendenz desselben, hat durchaus ebenso wie bei Nietzsche, positive Absichten, sie gelten einer auf Bejahung und Freude beruhenden Diesseitsreligion, deren Sittlichkeit nicht bestimmt wird durch Aussicht auf Lohn oder Strafe. In Kap. IX erwähnt Heine die Erzählung »von dem Weibe, das durch die Straßen Alexandriens schritt, in der einen Hand einen Wasserschlauch, in der andern eine brennende Fackel tragend, und den Menschen zurief, daß sie mit dem Wasser die Hölle auslöschen und mit der Fackel den Himmel in Brand stecken wolle, damit das Schlechte nicht mehr aus Furcht vor Strafe unterlassen und das Gute nicht mehr aus Begierde nach Belohnung ausgeübt werde«. Und er fügt hinzu, alle unsere Handlungen sollten aus dem Quell einer uneigennützigen Liebe hervorsprudeln. »Ich strebe nach dem Guten, weil es schön ist und mich unwiderstehlich anzieht, und ich verabscheue das Schlechte, weil es häßlich und mir zuwider ist.« Ob die Ichform hier berechtigt ist, braucht in diesem Zusammenhang nicht erörtert zu werden. Wir stellen fest: Heine erscheint im Licht der Weiterentwicklung seiner Ideen als Künder des dritten Reiches: Ibsen und Nietzsche, um nur den Dichter und dichterischen Philosophen zu nennen, sind seine Nachfahren.

Neben der »Stadt Lucca« haben die »Englischen Fragmente«, die mit ihr im vierten Band der »Reisebilder« vereinigt sind, nur geringe Bedeutung. Sie sind zum größten Teil auch früher geschrieben worden. Nur Abschnitt IX und XI wollen beachtet sein, schon die Überschriften: »Die Emanzipation« und »Die Befreiung« deuten auf den Zusammenhang mit den eben entwickelten Anschauungen hin. Wenn Heine sich als Monarchist bekennt, so darf man doch nicht vergessen, daß er den König nur als »Eigentum des Volks« gelten läßt. Deutlich sagt er am Ende des IX. Abschnittes: »Nicht mehr die gekrönten Häuptlinge, sondern die Völker selbst sind die Helden der neueren Zeit« und, in Vorahnung des Völkerbundes, fügt er hinzu, daß auch die Völker sich zusammenschließen »für das gemeinsame Recht, für das Völkerrecht der religiösen und politischen Freiheit, sie sind verbunden durch die Idee ... ja, sie sind selbst zur Idee geworden.« Der XI. Abschnitt stellt wieder die ursprüngliche Lehre Christi zusammen mit der Ideologie der französischen Revolution. Die Revolutionsgeschichte ist die Kriegsgeschichte des Kampfes gegen Privilegienherrschaft und bevorrechtetes Kastenwesen, sie stützt sich auf die Vernunft, »die demokratischer Natur« ist, im Gegensatz zur Offenbarung, die, da sie sich nur in wenigen Auserlesenen bekundet und von der großen Menge nur geglaubt werden kann, »aristokratischer Natur« ist. Die Franzosen sind also nicht nur die Helden ihrer Revolution, sondern Vorkämpfer eben der neuen Weltordnung, sie sind – man begreift jetzt das Pathos, mit dem Heine von ihnen spricht – »das auserlesene Volk der neuen Religion« – »die Freiheit ist eine neue Religion« – »in ihrer Sprache sind die ersten Evangelien und Dogmen verzeichnet, Paris ist das neue Jerusalem, und der Rhein ist der Jordan, der das geweihte Land der Freiheit trennt von dem Lande der Philister.«

Man sieht, wie Heines ganzes Denken nach Frankreich gerichtet ist. Vergegenwärtigt man sich nun seine äußere Lage in Deutschland, so wird es verständlich, daß der schon lange und immer wieder geäußerte Wunsch, nach Paris zu gehen, schließlich zur Tat reift. Dazu kam, daß er durch die Verhältnisse, wie er sie selbst zum Teil erst durch seine Schriften geschaffen hatte, aus seiner Heimat geradezu weggedrängt wurde. »Ich habe viel zu schwache Nerven, um in Deutschland bleiben zu können,« hatte er schon 1826 an Immermann geschrieben (l4. Oktober). Aber doch bedurfte es noch eines Anstoßes. Das war zunächst der Ausbruch der Julirevolution in Frankreich. Heine hatte sie, feinfühlig und reizbar wie er war, vorausgeahnt, gleich einem Vogel, der »irgendeine physische Revolution« wittert (an Varnhagen, 19. November 1830). Wie mächtig Heine davon ergriffen wurde, das zeigen die »Spätere Nachschrift« zur »Stadt Lucca«, das »Schlußwort« zu den »Englischen Fragmenten« und das zweite Buch der Schrift gegen Ludwig Börne, das 1830 entstand. Er ist wie berauscht, »eine gewaltige Lust« ergreift ihn, »ich bin ganz Freude und Gesang, ganz Schwert und Flamme«, die Marseillaise, »jener Kuhreigen der Freiheit«, durchschauert ihn und entzündet in ihm »die glühenden Sterne der Begeisterung und die Raketen des Spottes«, seine »Gedanken brennen lichterloh«. Heines Sprache ist hier von einer hinreißenden Kraft und Wucht. Und wenn er die »Spätere Nachschrift« schließt mit dem in höchstem Enthusiasmus herausgestoßenen Ruf: Aux armes citoyens!, gerade jetzt fühlt er sich doch als Deutscher und gedenkt deutschen Schicksals und deutscher Zukunft. Im »Schlußwort« erzählt er von Kunz von der Rosen, dem Hofnarren Karls V., der seinen Herrn in der Gefangenschaft besuchte, während alle andern ihn verlassen hatten. »O deutsches Vaterland! Teures deutsches Volk! Ich bin dein Kunz von der Rosen!« Befreien könne er es nicht, nur trösten und schwatzen mit ihm, aber der Tag der Befreiung werde kommen. Und in »Ludwig Börne« heißt es: »Werden wir endlich von unseren Eichenwäldern den rechten Gebrauch machen, nämlich zu Barrikaden für die Befreiung der Welt? Werden wir, denen die Natur so viel Tiefsinn, so viel Kraft, so viel Mut erteilt hat, endlich unsere Gottesgaben benutzen und das Wort des großen Meisters, die Lehre von den Rechten der Menschheit, begreifen, proklamieren und in Erfüllung bringen?«

Die Brücke aber, die den Dichter dann nach Paris brachte, war der Saint-Simonismus. Das Leben in Deutschland wurde ihm unerträglich, »in trübster Bedrängnis« muß er zur Einsicht kommen, daß er bei den Regierungen, in Hamburg, in München, in Berlin keine Förderung finden kann, er fühlt sich nicht sicher, »und da mir eine Reise nach Paris schon längst im Gemüte dämmerte, so war ich leicht beredet, als mir eine große Hand gar besorglich winkte.« (An Varnhagen, 27. Juni 1831.) Diese große Hand war das »neue Evangelium«, und als dessen Priester will Heine in Paris »die letzten Weihen« empfangen. Gewiß war auch die Sorge um persönliche Sicherheit ein wirksames Motiv – gerade jetzt mußte er einen neuen Angriffssturm befürchten wegen seiner Einleitung zu »Kahldorf über den Adel«, in der er in schärfster Tonart gegen den Adel Stellung nahm – im ganzen aber erscheint die Reise nach Paris als innere Notwendigkeit.

Im Mai 1831 trat er die Reise an.


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