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Nachdem der Juan Peres die Beete und Büsche in seinem Garten begossen hatte, lehnte er sich an den Stamm eines Eukalyptusbaumes und blickte sinnend in die Ferne.
Unter ihm dehnte sich das graue Häusermeer der Stadt, und am Horizont verschwammen Himmel und Erde in bläulichen Nebelschleiern.
Das Auge des Mannes ruhte nachdenklich auf vier schlanken, schwarzen Türmen, die am Ende der Stadt in die abendlichen Lüfte emporragten. Das waren die Schornsteine der Fabrik, in der er seit vielen Jahren eine kleine Stelle als Schreiber innehatte. Dort saß er vom Morgen bis zum Abend in einer unfreundlichen Stube an der Arbeit und verdiente dafür einen Hungerlohn. Sonntags ging er noch auf den Rennplatz und verkaufte Karten, und doch reichten die Einnahmen nie. Die Sorgen um seine Frau und die drei Knaben verdunkelten beständig seinen Lebensweg und ließen nur selten eine frohere Stimmung aufkommen.
An diesem Abend aber erschien ihm alles ganz besonders grau und hoffnungslos. Er fühlte 104 sich wie ein Läufer, dessen Kräfte erschöpft sind und der nicht mehr weiter kann. Verbittert dachte er an sein häusliches Leben.
Wie wurde da gespart und gedarbt! Jahraus, jahrein trug er denselben fadenscheinigen Anzug, und seine Frau, die als Mädchen so viel Freude an netten Kleidern gehabt hatte, ging in geflicktem, altem Zeug herum. Und diese jämmerliche Kost! Wie konnte einer dabei Kräfte für die tägliche Arbeit aufbringen! Und von Tag zu Tag wurde alles teurer und das Geld immer wertloser.
Aus Sparsamkeitsgründen waren sie auch auf diesen Berg gezogen, wo sonst kein Mensch mehr wohnte, aber die Miete klein und erschwinglich war.
Doch darüber wollte er sich nicht beklagen, denn mit seinem Häuschen war er zufrieden. Er mochte die Einsamkeit und den freien Blick in die Weite. Er liebte die Blumen und die Ruhe des Landes.
Besonders aber hing sein Herz an der stummen Kreatur, und es war darum nicht verwunderlich, daß mit ihm noch eine Menge Tiere lebten, obwohl er kaum wußte, womit dieselben ernähren.
Da war der Pardo, ein großer, zottiger Hund, den ein Auto überfahren und der mit einem gebrochenen Bein am Wegrand gelegen 105 hatte, als Peres vorbeikam. Er hatte das Tier aufgehoben, nach Hause gebracht, gesund gepflegt und behalten. Da war der Nini, ein kleiner Foxterrier, den ein Junge in der Lagune, nicht weit von seinem Hause entfernt, hatte ertränken wollen. Dann gab es in dem Garten auch noch ein paar Kaninchen und Vögel, sogar einen prachtvollen Papagei, der den ganzen Tag sang und schwatzte.
Dieses Heim auf der sonnigen Höhe mit allem, was darin grünte, blühte und lebte, liebte Peres, und es wäre für ihn ein Schmerz gewesen, es aufgeben zu müssen. Alles hätte er vermißt, nicht zum wenigsten die fünf Eukalyptusbäume, die wie riesige Wächter am Rande des Berges aufragten, und in deren Kronen der Wind oft gewaltige Lieder sang.
Peres war ein abgearbeiteter und verhärmter Mann, aber er hätte leicht wieder Mut zu fassen vermocht, wenn er vom Schicksal nur ein klein wenig aus dem Schatten in die Sonne gerückt worden wäre. Doch solche Möglichkeiten schienen nicht zu bestehen, und darum gab es für ihn keinen andern Weg als auszuhalten und nicht zu verzagen.
Während er in dieser Abendstunde in eine immer größere Trostlosigkeit versank, hörte er plötzlich, wie jemand die Gartentür zuschlug und auf dem Weg zum Hause daherkam. Er wandte 106 sich und erkannte mit freudigem Staunen seinen Bruder.
»Hallo! Carlos! Woher des Weges? Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?«
Sie schüttelten sich die Hände und begrüßten sich mit großer Herzlichkeit. Wie sie so nebeneinander standen, hätte keiner vermutet, daß sie zueinander gehörten, so grundverschieden waren sie: der eine hoch, breitschulterig, mit gebräuntem, breitem Gesicht, der andere klein, eingefallen, mit schmalen, blassen Zügen.
Sie gingen ins Haus, und als sie bald darauf bei einem einfachen Mahle zusammensaßen, waren alle fröhlich und vergnügt. Dieser Onkel brachte immer einen kleinen Feiertag in das ärmliche Leben seiner Verwandten. Stets war er guter Laune und kam auch nie mit leeren Taschen.
Carlos Peres verlebte fast die ganze Zeit des Jahres auf dem Meere draußen. Er hatte sich vom einfachen Fischer bis zum Besitzer eines eigenen Segelschiffes aufgeschwungen. Mit diesem brachte er jeden Tag Ladungen frischer Fische nach den Städten und verdiente damit ein ordentliches Stück Geld, und da seine beiden erwachsenen Söhne tüchtig mithalfen, waren sie zu richtigem Wohlstande gelangt.
Lebhaft erzählte er von seinen Fahrten längs 107 der Küste, von Stürmen und von Walfischjagden.
»Und das behagt dir?« fragte der Juan. »Bist du dieses ewige Herumfahren nicht schon müde?«
»Dergleichen liegt einem im Blute«, behauptete der andere, »besonders wenn es einem dabei glückt, aber für diesen Sommer habe ich neue Pläne. Die Verschiffung der Fische überlasse ich meinen Söhnen. Ich will nach dem Norden.«
»Auch auf Fischfang?«
»Nein, wir rücken den Seehunden auf den Leib.«
»Den Seehunden? . . . Lohnt sich das?«
Carlos warf seinem Bruder einen mitleidigen Blick zu. »Der Seehundfang ist das einträglichste Geschäft, das man sich denken kann. Du solltest nur einmal die verarbeiteten Felle dieser Tiere sehen! Einfach wunderbar! Besonders die der Zweischichtigen. Es gibt nämlich verschiedene Arten, die einen haben lange und kurze Haare, die anderen nur kurze. Wenn man die sogenannten Zweischichtigen von den langen Haaren befreit, gewinnt man wirklich herrliche Pelze. Das Ausland kauft sie mit Freuden, hauptsächlich Nordamerika.«
»Gibt es so viele von diesen Tieren, daß es sich lohnt, einen ganzen Sommer damit zu vertun?« warf der Bruder dazwischen. 108
»Es gibt Zeiten, wo die Seehunde im Norden die Küsten zu Tausenden bevölkern. Sie sind ja dauernd hinter den Fischen her, aber wir suchen sie dort auf, wo sie im Sommer leben, auf den ›Loberos‹. Das sind einsame Klippen und Inseln im Meere draußen. Dort bekommen sie ihre Jungen und bleiben mit ihnen mehrere Wochen auf dem Lande. Diese Jungen liefern übrigens die feinsten Felle . . . Freilich, es ist harte und rauhe Arbeit. Wir schlagen Hütten auf. Lebensmittel nehmen wir mit, und Fische gibt uns das Meer. Die Tage sind drückend heiß, die Nächte bitter kalt. Immerhin, es schaut ein guter Verdienst dabei heraus. Das Schiff gehört mir, und ich bekomme dafür eine Entschädigung. Den Gewinn teilen wir brüderlich untereinander.«
Rasch und angeregt verging der Abend. Dann lagen die Kinder im Bett, und Frau Peres räumte auf. Die beiden Brüder aber setzten sich auf die Bank vor dem Hause.
Wie Sterne leuchteten in der Tiefe die Lampen der Stadt, und fern im Hafen blitzten überall die Lichter der Schiffe auf. Senkrecht über den Kronen der Eukalyptusbäume schwamm die silberne Scheibe des Mondes im milchigen Grau des nächtlichen Himmels.
Die Männer rauchten und blickten schweigend in die dunklen Weiten hinaus. Juan Peres fühlte sich ein wenig leichter und ruhiger, seit 109 der Bruder im Hause war. Dessen unbekümmerte Art und Lebenslust taten ihm unbewußt wohl.
Plötzlich fiel eine vertrauliche Frage in die Stille. »Wie geht es dir sonst, Juan?«
Es klang nicht als übliche Redensart, sondern wie die Einleitung zu einer Aussprache. Der Bruder faßte es auch so auf und erwiderte bedächtig: »Danke . . . Wie du siehst, sind wir gesund. Es könnte also schlimmer sein, aber ich sehe kein Vorwärtskommen, weder im Geschäft noch im Hause.«
»Das dachte ich mir«, sagte der andere, »und darum bin ich hier. Ich möchte dir nämlich einen Vorschlag machen.«
Er wartete, damit der Bruder sich äußere oder frage, aber der blieb stumm. Die ganze Hoffnungslosigkeit seines Herzens lag in diesem Schweigen.
Da fuhr Carlos fort: »Die Fahrt nach den ›Loberos‹ wird uns einen außerordentlich großen Gewinn bringen, vorausgesetzt, daß alles klappt. Wir haben von Nordamerika eine Bestellung für dreitausend Seehundfelle zu einem Durchschnittspreis von siebzig Pesos das Stück. Unsere Mannschaft besteht dieses Mal nur aus acht Leuten . . . Möchtest du nicht mitmachen?«
Nach einer langen Stille erklärte der Juan mutlos: »Du weißt so gut wie ich, daß das unmöglich ist, weil ich angestellt bin.« 110
»Das wollte ich eben mit dir besprechen. Ich bin fest überzeugt, daß man dir Urlaub gibt, wenn du deine Lage richtig darlegst. Wenn du willst, rede ich persönlich mit deinem Vorgesetzten.«
»Nein, nein, danke! Das würde ich schon selber tun, aber . . .« er stockte . . . »ich glaube, ich tauge nicht dafür.«
»Aber warum denn nicht? Das ist doch kein Kunststück!«
Wieder zögerte der Juan mit der Antwort. In der Tiefe sauste ein Zug durch die Stadt. Der schrille Pfiff der Lokomotive durchschnitt jäh das nächtliche Schweigen, und vom Hafen her klang der langgezogene, klagende Ton einer Nebelboje.
»Es ist da etwas«, begann er ein wenig verlegen, »etwas, das du gewiß nicht verstehst, aber ich bin nun einmal so . . . Vielleicht gestaltet sich darum auch das ganze Leben für mich so schwer . . . Sag einmal, Carlos, wie tötet ihr diese Tiere?«
Da lachte der Carlos Peres laut auf. »Aber Juan! Du wirst doch nicht immer noch ein solcher Kindskopf sein wie in unseren Knabenjahren! Bah! Im übrigen ist das auch ganz gleichgültig.« Er legte ihm begütigend die Hand auf die Schulter. »Sieh, diese Tiere sind in Wirklichkeit ein großer Schaden für die Fischerei. Bedenke, daß 111 sie nicht Tausende, sondern Millionen nützlicher Fische vernichten! . . . Aber du fragtest, wie wir sie töten . . . Nun, ganz einfach mit Knüppeln.«
»Schrecklich«, meinte der Juan und schauerte zusammen.
»Aber wieso denn? Das Tier bekommt einen Schlag ins Genick und ist hin. Da ist doch keine Grausamkeit dabei! Im Gegenteil, das ist ein schmerzloses Ende ohne jede Quälerei.«
»Lach mich aus, wenn du willst, Carlos, aber ich werde so etwas nie fertigbringen. Du kennst mich doch! Ich war immer schon ein solcher Tierfreund, und nun, nein, ich glaube, ich tauge für jede andere Arbeit, nur nicht für diese, so nötig ich das Geld auch hätte.«
Nach einem kurzen Ueberlegen entschied der Bruder: »Du brauchst beim Fang ja nicht mitzumachen, Juan! Es gibt da draußen so viel andere Arbeit, daß wir nicht genug Hände dafür haben. Ich glaube, daß du es wirklich nicht bereutest mitzumachen. Ich an deiner Stelle zögerte nicht, denn es ist der einzige Weg, um aus dem Elend herauszukommen.«
So sprachen sie noch lange hin und her, aber ohne zu einem endgültigen Entschlusse zu gelangen. In der Nacht jedoch überdachte Juan Peres den Vorschlag des Bruders noch einmal gründlich nach allen Seiten. Die fernen »Loberos« in der Einsamkeit des Meeres tauchten vor 112 ihm auf. Das Hinmorden so vieler Tiere! Dreitausend Felle wollten sie liefern! Dreitausend Seehunde sollten dafür ihr Leben lassen, alles Tiere, welche der Pflege ihrer Jungen auf jenen Inseln oblagen. Ihm grauste bei dieser Vorstellung. Aber auch das Geld fiel ihm ein, das er verdienen konnte, und das ihm und seiner Familie so dringend fehlte. Er hielt sich auch vor, daß Millionen Menschen auf unserer Erde Dinge verrichten, die ihnen in der Seele zuwider sind, die sie aber tun müssen, weil es um das Leben der Familie geht.
Das Ende seiner stundenlangen Ueberlegungen war, daß acht Tage später in seinem Hause wirklich alles für diese abenteuerliche Fahrt vorbereitet wurde.
In der ersten Woche des Monats Januar schiffte er sich dann mit zehn Männern und einem Hunde auf dem Segelschiffe seines Bruders ein, und vierzehn Tage später steuerten sie bereits auf die ersten »Loberos« zu.
Juan Peres staunte nicht wenig, als ihnen Scharen riesiger Seehunde zutraulich entgegenkamen. Es waren die Männchen, die die Inseln umlagerten und ihre Familien, die sich in den Höhlen der Felsen aufhielten, bewachten und noch nie einen Menschen gesehen hatten.
Bevor die Jagd auf die Tiere begann, 113 schlugen die Männer ihre Zelte und Hütten auf. Die Insel lieferte Holz und Bambus in Fülle.
Bald aber begann der Seehundfang. Zu Hunderten wurden die Tiere getötet, und nicht ohne Gefahr. Als die gewaltigen Wächter die feindlichen Absichten der Männer erkannt hatten, stellten sie sich mit ihren Zähnen und mit ihren gewaltigen Kräften wild zur Wehr.
Juan Peres aber war nicht imstande, auch nur ein einziges Mal die Keule gegen eines dieser Tiere zu erheben, aber es war auch nicht erforderlich, daß er es tat, denn er hatte dutzendweise andere Beschäftigungen. Er weidete die Tiere aus, hing die Felle zum Trocknen auf, schaffte das Fleisch der toten Seehunde aufs Meer hinaus, kochte für die andern und wurde sich tagsüber seines neuen Lebens kaum recht bewußt.
Nachts aber lag er stundenlang wach. Zwischen den Ritzen der Decke sah er von seinem Lager aus den nächtlichen Sternenhimmel. Dann sehnte er sich wohl in sein ruhiges und stilles Alltagsleben auf dem Berge im Schatten der hohen Eukalypten zurück. Doch langsam rückte auch das Ende dieser für ihn absonderlichen Zeit heran. Reiche Beute lag hoch aufgestapelt da, schöne, zweischichtige Felle von alten und jungen Tieren.
Ein paar Tage vor der Rückkehr fuhren sie 114 auf eine benachbarte Insel, wo sie unerwartet noch einen kostbaren Fang machten: gegen hundert ganz junge Seehunde, lauter kleine, nur wochenalte Tiere, aber mit seidenweichem Fell.
Und an diesem Orte war es, daß der Juan Peres etwas erlebte, das er nie mehr vergessen konnte, und das er immer wieder erzählte, wenn die Rede auf den Seehundfang kam. In Wirklichkeit war es ja nur eine Kleinigkeit, aber auf ihn mit seiner großen Liebe für alles Wehrlose und Gequälte in der Natur hatte es einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck zu machen vermocht.
Die toten Seehunde lagen in Haufen geworfen auf einem freien Platze zwischen den Felsen und dem Strande. Die Männer saßen ringsum und waren im Begriffe, die Tiere auszuweiden. Plötzlich hielten sie damit inne, denn aus einem nahen »Lobero« kam ein großer Seehund, ein Muttertier, über den Sand gerutscht, direkt auf die Männer zu, kümmerte sich nicht im geringsten um deren Gegenwart, sondern mühte sich eilig zwischen ihnen hindurch und ging auf den Haufen der erschlagenen Tiere zu.
Dort begann es zu wühlen und zu suchen, warf Tote hierhin und dorthin, bis es schließlich zwei herausgefunden hatte, unverkennbar seine eigenen Jungen. Nacheinander nahm es dieselben in sein Maul und legte sie auf die Seite. Dann barg es eines hinter den Felsen, kam nach 115 Minuten mit derselben Hast wieder und holte sich das andere.
Es war etwas so Rührendes, daß selbst die rauhen Männer darüber verstummten, und einer meinte: »Genau wie ein Mensch!« Daß ein Tier unter so vielen Toten, die alle mehr oder weniger gleich aussahen, seine Jungen herausfand und sich diese holte, war doch etwas beinah Unfaßbares.
Juan Peres wurde das kleine Geschehen den ganzen Tag nicht los, und noch in der Nacht mußte er andauernd daran denken. Mit einem Male aber fuhr er von seinem Lager auf.
Was war denn das? . . . Von irgendwoher drang ein herzzerreißendes, jammerndes Heulen durch die Nacht . . . Da . . . schon wieder! . . . Klang es nicht, wie wenn ein Mensch in Todesqualen aufschrie?
Juan Peres zog sich an und trat vor das Zelt. Augenblicklich erhob sich auch der Hund und stellte sich neben ihn . . . Liebkosend legte er ihm die Hand auf den Kopf und verharrte sekundenlang regungslos . . . Da . . . ganz deutlich kam dieser seltsame Schmerzenslaut wieder durch die unbewegte Nachtluft daher.
Langsam schritt Peres am Strande dahin. Gewaltig rauschte das Meer, und weit lief die Brandung über den Strand . . . Da schrie es wieder . . . ganz in der Nähe . . . Groß und voll stand 116 der Mond über dem Wasser, und sein silbernes Licht erhellte fahl die dunklen Felsen.
Juan Peres machte noch ein paar Schritte vorwärts . . . Da sah er etwas Dunkles auf dem Sande . . . Das war lebendig, und das schrie genau wie vorhin.
Ergriffen verstand er im Augenblick alles. Es war das Muttertier, das hier einsam und allein mit seinen beiden toten Jungen hockte. Das Tier fürchtete sich nicht vor der dunklen Menschengestalt, die sich ihm bis auf zehn Schritte näherte, sondern verharrte ruhig, vor sich die Kleinen, und nur von Zeit zu Zeit sein Schmerzensgeheul in die weite Leere der Nacht hinausstoßend.
In schwere Gedanken versunken, kehrte Peres in sein Zelt zurück, aber schlafen konnte er nicht, denn das Brüllen des Tieres wiederholte sich in regelmäßigen Zwischenräumen bis zum Morgengrauen.
Alle Männer auf der Insel hatten es gehört, aber als sie in der Helle des Morgens nach dem Tiere suchten, war es verschwunden. Nur die Leichen der Kleinen lagen nebeneinander hinter den Steinen.
Noch während zweier Nächte kam das Tier aus dem Wasser an dieselbe Stelle und schrie in gleicher Weise, bis der Tag dämmerte. Dann verschwand es für immer. 117
Kurz nach diesem Erlebnis fuhren die Seehundjäger heim. Vierzehn Tage später schritt Juan Peres wieder den Berg zu den Eukalyptusbäumen empor.
Die Freude in der kleinen Familie war groß, als der Vater nach achtwöchiger Abwesenheit gesund und froh heimkam.
Nun mußte er aber viel erzählen, denn seine Jungen konnten gar nicht genug von den fernen »Loberos« und von den Seehunden hören. Besonders interessiert war der Aelteste, und mit glänzenden Augen fragte er: »Vater, fährst du nächsten Sommer wieder nach dem Norden?«
Juan Peres erwiderte ausweichend: »Bis nächsten Sommer ist es noch lange hin.«
Aber der Junge spann an einem bestimmten Gedanken weiter. »Wenn du nächstes Jahr wieder auf den Seehundfang gehst«, beharrte er, »fahre ich mit.«
Da sagte Juan Peres: »Mein lieber Junge, niemand weiß, was bis dahin geschieht, und vorläufig wollen wir uns freuen, daß wir in diesem Jahre ein wenig besser leben können als bisher.«
Als aber die Kinder schliefen und er das verdiente Geld vor seiner Frau ausbreitete, erklärte er: »Wir haben zwar noch nie so viel Geld beisammen gesehen, und ich freue mich, daß wir uns nun allerlei Notwendiges anschaffen 118 können, aber auf den Seehundfang gehe ich trotzdem nicht mehr.«
Der Schimmer eines flüchtigen Lächelns huschte über ihr Gesicht, und sie sagte: »Ich habe es überhaupt nicht verstanden, daß du mit deiner großen Liebe zu den Tieren dieses Abenteuer mitmachtest.«
Er sah an ihr vorbei wie in eine weite Ferne. Das ergreifende Erlebnis mit dem Tiere, dem man seine Jungen erschlagen hatte und das wie eine arme Menschenseele drei Nächte lang dieselben beweinte und seinen Schmerz in die Einsamkeit der Natur hinausschrie, stand vor seinem geistigen Auge, und dann antwortete er leise auf ihre Worte: »Ich auch nicht . . . aber das Geld . . . du weißt es ja . . . das leidige Geld . . . und unsere große Not.«