Jean Paul
Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana, Vorrede
Jean Paul

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Protektorium für den Herausgeber

Ich muß mir hier selber eines ausfertigen, um nicht von meinen Freunden so mißverstanden zu werden, als ob ich mich durch die Herausgabe des folgenden, der Wissenschaftslehre so günstigen Clavis Leibgeberiana nun auch zu den Fichtisten schlüge. Daher schick' ich dem Clavis einen Privatbrief vom Verfasser und einige Exercitationes über das Philosophieren insgemein gleichsam als einen Eisbock voraus, um den ersten Stoß seines Systems zu schwächen. Will mich einer dann noch unter die Wissenschaftslehrer werfen, so versuch' ers; aber mein Mann ist er nicht.

Der Übertritt meines guten, wohl jedem Deutschen aus meinen »Blumenstücken« bekannten Leibgebers zur Wissenschaftslehre ist eine ganz natürliche Entwickelung seiner seltenen Natur. Die Fichtisten Schlegel machen deswegen im Athenäum so viel aus seiner Denk- und Schreibart – aus jeder andern aber in meinen Werken, z. B. aus meiner, wenig –; wahrscheinlich war er schon damals verdorben und mein Renegat, und beide kannten ihn vielleicht persönlich. Nach einem alten Brief aus Blitzmühl – ich weiß nicht, wo das Nest liegt – hatt' er sich anfangs hingesetzt und Fichten studiert, aber bloß um nach seiner Art darüber zu spaßen. Allein ich seh', es erging ihm in der Folge wie dem Rotterdamer Bürgersmann BredenburgBayles Dictionnaire, Art. Spinoza, not. M., der den Spinoza, um ihn gründlich zu widerlegen, in eine demonstrative Schlachtordnung stellte, sich aber unter dem Stellen unversehends vom Juden festgehalten und überwältigt sah. Spuren seines ursprünglichen Vorsatzes, die Wissenschaftslehre lächerlich zu machen, schimmern noch überall im Clavis durch; und sooft er auch darin zu einem ihm schweren, ernsten, nüchternen Stil ausholt und ansetzt, so stellet er doch bald wieder (nach seinem kurzweiligen grotesken Naturell) alles in ein so komisches Licht, daß er einfältige Leser ordentlich dumm macht.

Hier ist sein Handschreiben; dann kommen meine Exercitationes.

*

Hamburg.

»Auf dem Dreckwalle No. 46 bei Herrn Samson Herz, dem ich zwei Punschgläser abgenommen, muß deine Antwort an mich, lieber Biograph, abgegeben werden unter der Adresse: an S. T. Herrn S. Ich komme eben aus der gefolterten hagern Schweiz, der man jetzo selber Bernhardshunde schicken sollte; denn die gallischen Schirmer und RetterIn der Jagd bekannte Hunde. – Die Bernhardshunde verdienen jenen Namen mehr, da sie von den guten Mönchen auf dem St. Bernhardsberg zur Erquickung und Leitung Verirrter ausgesandt werden. Anmerkung des Herausgebers. haben sie bis auf die Knochen abgezauset. Wenn man mit der Fünf-Herren-LeicheMan kennt die Nürnberger Achtherrn-, Dreiherrn-Leichen.   A. d. H. der Freiheit ein paar Gassen mitgezogen, so verflucht man am Ende alles. Das ganze Jahrhundert ist ein Wettrennen nach großen Zielen mit kleinen Menschen. Indes mag der allgemeine Wettlauf nach Wahrheit und Freiheit doch an einen ähnlichen reichen, den ich mehrmals in Greenwich gesehen, wo Matrosen Kämme, Pfeifenköpfe, Taschenmesser etc. aufs Spiel setzen und vorher zwei – Läuse auf den Tisch und dann ängstlich abwarten, welche Laus – ob die Rennerin des Gegners oder die eigne – zuerst den Tischrand erlaufe.

Ich wettrenne seit einigen Wochen auch mit; und habe in Bern (um nur den Jammer und Quetschwunden unter der herübergestürzten gallischen Lauwine nicht länger anzusehen) tief philosophiert und beiliegenden Clavis im Feuer gemacht.

Ein gewisser Professor Schad soll, wie ich höre, die Goldbarren meiner Wissenschaftslehre für das Volk ausmünzen. Sag ihm, er verbinde mich. Ich, Fichte, die Schlegel, Schelling, Hülsen, Schad und Studenten können das kritisch-fichtische Dintenfaß – wie Luther seines gegen den Teufel – gar nicht oft genug an der Wand ausleeren, wenn das Scheibenschwarz so wenig daraus wegzukratzen sein soll als das noch haftende Luthersche. Noch haben wir nicht einmal 30 000 Zuhörer; und doch liegt der große Johann Duns, der gerade so viele in Oxford hatte, mit seiner Philosophie unter und im Staub und ist Staub. Ich gedenke aber noch die Zeit zu erleben, daß meine Fichtische Wissenschaftslehre von Nachtwächtern (statt der historischen Epochen, die man ihnen abzusingen angeraten) vorgetragen wird – und in Kalendern für den gemeinen Mann – in Spaßpredigten am Ostersonntag, die noch in Spanien existieren – in Speisepredigten in Refektorien – in gut dazu eingerichteten KomödienComenius flößte die Geschichte der Philosophie in Komödien ein (wie Jesuiten die Grammatik); meines Bedenkens das beste Mittel, die Geschichte der Philosophie sowohl als der Philosophen rein zu geben.   A. d. H. – und sogar von Kempeles hölzernen Schach-Türken, der mit seinem Stäbchen geschickt auf die dazu erfoderlichen Lettern weisen mag. – Eine schwache und wohlverdiente Belohnung für den Philosophen, der den ganzen Tag sich lebendig anatomiert und – wie man besondere Hunde für die Experimente in der Hundsgrotte hält – zugleich die Grotte und sein eigner Hund ist, den er stündlich in der Todesluft des Idealismus erstickt und in der gemeinen Lebensluft des Realismus erweckt.

Die Vernunft als solche kann wie der Träumer, wie sie auch sich plage und kneife und vom Träumen träume, nicht aus sich heraus; sie kann wie die Luftröhre in sich nichts Fremdes leiden, Luft (Wort, Geist) ausgenommen. Es mußte also nach dem zermalmenden Kant, der noch große Stücke, wie die Dinge an sich, übrig ließ, der vernichtende Leibgeber aufstehen (denn ob ich Fichten moralisch postuliere, das wird sich im Clavis zeigen), der auch jene verkalkte und nichts stehen ließ als das weiße Nichts (nihilum album, wie die Chemiker den feuerbeständigen Zinnkalk nennen), nämlich die ideale Endlichkeit der Unendlichkeit. Brächte man auch jene gar weg (und Fichte gibt einen Wink dazuFichte sagt popular (und eben darum unverständlich): »mit einem Hauch« kann unser Geist das Universum ins Nichts zurückwerfen. Im Sinne seines Systems heißet das: unser absolutes unendliches Ich kann seine Einschränkung, d. h. sein Setzen des Nicht-Ichs (des Universums) aufheben, folglich mit dem Ob- auch das Subjekt oder das bewußte Ich, mithin alles Sein; denn es selber ist nicht, wiewohl es stets wird oder handelt.   A. d. H.): so bliebe nur das schwarze Nichts übrig, die Unendlichkeit, und die Vernunft brauchte nichts mehr zu erklären, weil sie selber nicht einmal mehr da wäre; – das erst, dünkt mich, würde der echte philosophische Fohismus sein, nach welchem sämtliche Schulen und wir alle so ringen.

Nimm hier den Anfang, den Bart meines Clavis, Biograph, und gib der Welt den Schlüssel. Ich bin darin nicht sowohl darauf ausgelaufen, die Beweise als die Resultate meines Leibgeberianismus solchen Lesern, die in meiner »Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre«, Leipzig 1794 bei Gabler, und in dem schwürigern »Grundriß des Eigentümlichen der Wissenschaftslehre«, eben daselbst 1795, weder aus noch ein wissen – und vielleicht vom halben weiblichen Geschlecht kann man annehmen, daß es mich nicht kapiert –, in der leichten wechselnden Form eines WörterbuchsIch habe aber die alphabetische Ordnung des Clavis in eine systematische umgesetzt und Paragraphen über die Artikel geschrieben, um es manchem faßlich zu machen, auch bündiger.   A. d. H. wie die kantianischen sind, darzureichen und aufzuhellen.

Nur einen wichtigen Beweis führ' ich, obwohl implicite. Indem ich nämlich die Resultate konsequenter und so stelle, daß sie dem sogenannten Menschenverstand eigentlicher echter Wahnsinn sind: so zeig' ich wahren gebornen Philosophen, was sie aus dem leider so allgemeinen Menschenverstand, der sie ewig vexiert und pfetzt, zu machen haben, sobald er imstande ist, ein so fest gewölbtes Lehrgebäude zu einem Irrenhause zu verrücken. Er fällt nun in ihren und meinen Augen gänzlich zu einem negativen Probierstein der Systeme herab, so daß, was er nicht für toll erklärt, uns nicht rein philosophisch ist – nur umgekehrt gilts nicht, und ein Gedanke kann sehr toll sein, ohne darum vernünftig zu sein; – wir akzeptieren daher recht gern Ciceros Lob: es sei nichts so närrisch, was nicht einmal ein Philosoph verfochten hätte; nur muß er erlauben, daß es bloß von unsern Tagen der philosophischen Vollendung gelte. Ebenso bemerkt Wendeborn, in England wäre zugleich die meiste Vernunft und die meisten Tollhäuser; und so sind Falken nur so lange zur Beize zu gebrauchen, als sie die Verrückung behalten, in die man sie durch Schlaflosigkeit gezwungen hat.

Und damit gut! Wenn mein Schlüssel sich nicht ab-, sondern das Uhrwerk aufdreht, will ich ihn lebenslang tragen als Kammerherrnschlüssel, Löseschlüssel, Dieterich u. dergl. –

Gehab dich wohl, Biograph! Mein fichtischer papierner Drache, den du nun in die anti-fichtische Wetterwolke auffahren lässest, kann dir, weil du darunterstehst mit der Schnur, ein paar Donnerschläge auf den Scheitel zuwenden; stecke sie ein! – Apropos! Entsinnest du dich keines stämmigen Menschen mit einem Hinkfuß und einer seitwärts-geschneuzten Nase, der dich in Weimar besuchte und gleich beim Eintritt sagte, er sei begierig, den Mann von Person kennen zu lernen, den man immer so falsch in Kupfer gestochen? Sinn nach! Die Noblesse schiffte gerade unten vor deinem Eckhause in einer langen Schlitten-Linie vorbei, und du sahest der Kälte wegen durchs Fensterglas mit dem Augenglas. Fällt dir nicht ein, daß ein Hinkfuß auf deinem wie das Jahrhundert fast 6 Oktaven langen, aber doch erbärmlichen Klaviere trommelte, und daß er das Gleichnis machte? Sagt' er nicht, er komme direkte aus Jena und habe da nicht bloß die alten septem miracula Jenae, den Fuchsturm, das Weigelsche Haus etc., sondern auch die neuen ebenso großen besehen? Und lenktest du nachher nicht das Gespräch auf die Charaktere in deinen Werken und hobest aus ihnen gerade Leibgebers seinen preisend heraus und schwurest dem Hinkfuß bescheiden (freilich sollte dadurch, hofftest du, ein besonderes Licht auf dich als Maler fallen), du würdest dich ordentlich scheuen und bücken vor dem prächtigen, freien, kecken Charakter, wenn er vor dir stände? –

Ich war der Fuß.

Leibgeber.«

*

Über dieses alles verlässet mein Gedächtnis mich ganz, und es gehöret auch nicht hieher. Ich gebe daher ungesäumt

die Exercitationes über das Philosophieren insgemein.

Gerade die Stelle in Leibgebers Briefe, wo er die Hoffnung verrät, uns durch einen strengern Beweis, daß seine Lehre Wahnsinn sei, für diese zu bestehen und zu werben, macht meine Entschuldigung der Herausgabe aus; denn eben dieser Beweis verjagt uns aus seinem Lehrgebäude. Sobald eine doppelte Evidenz in uns richtet und leuchtet, die Evidenz des Sinnes und die der Vernunft; – und sobald mans durchaus wie ein Zwitter machen muß, der bei befundenem Gleichgewichte seiner Geschlechter eines davon nach den Rechten abzuschwören hat: so schwör' ich hier das schwächere ab, das nichts zeugt.

Aber beim Himmel! es ist gar nicht nötig. Hätte nur irgendein Mann ein dünnes, aber herzliches Buch darüber geschrieben, wie mißlich und leer das metaphysische Differenzieren und Integrieren bloß darum sei, weil es durchaus polnisch oder deutsch oder in irgendeiner Sprache geschehen müsse: so wären wir Philosophen insgesamt aufs Trockne gebracht und sähen Land.

Denn ich meine so:

Unsere Sprache ist ursprünglich bloß eine Zeichenmeisterin der äußern Wahrnehmungen; die spätern innern empfingen von ihr nur das Zeichen des frühern Zeichens; daher machen die Quantitäten – diese einzigen physiognomischen Fragmente der Sinnenwelt – fast den ganzen Sprachschatz aus; die Qualitäten – mit andern Worten die Kräfte, die Monaden der Erscheinung, uns nur im Bewußtsein, nicht im Begriff gegeben – diese Seelen werden immer nur in jene Leiber der Quantitäten, d. h. in die Kleider der Kleider gehüllt. Wäre nur die Sprache z. B. mehr von der hörbaren als von der sichtbaren Welt entlehnt: so hätten wir eine ganz andere Philosophie und wahrscheinlich eine mehr dynamische als atomistische. Endlich muß jedes Bild und Zeichen zugleich auch noch etwas anderes sein als dieses, nämlich selber ein Urbild und Ding, das man wieder abbilden und bezeichnen kann u. s. f. Wenn nun der Philosoph seine Rechenhaut aufspannt und darauf die transzendente Kettenrechnung treiben will: so weiset ihm die bloße Sprache drei gewisse Wege an, sich zu – verrechnen.

Der älteste ist, die Qualitäten zu Quantitäten zu machen, um diese Leiber und Substrate der Kräfte summieren und differenzieren zu können, wie die atomistische Schule und die Enzyklopädisten taten. Der Rechner erpresset durch diese Verwandlung der Seelenlehre in Größenlehre – ähnlich der Hallerschen Verwandlung der Physiologie in Anatomie – ein mathematisches Fazit, welches dem ästhetischen gleicht, das herauskäme, wenn man ein Gedicht wöge und mäße, statt es durchzulesen. Z. B. die einzige optische Metapher Ein-, Vorbilden, Anschauen, Idee, Bild hat um die geistige Tätigkeit einen atomistischen Nebel und Dunst gezogen, den uns eine akustische ersparet hätte.

Der zweite Weg, sich zu verrechnen, ist der, daß der Rechner die Quantität zur Qualität, den Körper zum Geiste zu destillieren und hinaufzutreiben sucht; da er aber dazu nie gelangen, nicht einmal approximierenMan nehme z. B. das Fichtische Wort Begrenzung oder Einschränkung des absoluten Ichs. Es bezeichnet eine Quantität und kann nach der höchsten Abstraktion und Ausbälgung nur gerade so auf eine Qualität angewandt werden wie die Wörter: Einengung, Einzäunung, Eindämmen, Fesseln, Zusammenpressen, Verdichten etc. Will ich durch diese lebendigern Wörter das Verhältnis des Unendlichen zum Endlichen bezeichnen: so merk' ich, daß ich etwas Falsches denke; tu' ichs mit jenem Wort: so merk' ichs weniger, weil ich bei dem Worte selber weniger denke. Die wolffianische und die kritische Schule sind im Besitz der reichsten Kabinetter leerer Konchylien. – So ist das Fichtische Zurückgehen der Tätigkeit in sich selber eine Quantitätsmetapher, die, auf Kräfte angewandt, rein nichts bedeuten, noch weniger erklären kann. kann; und da die philosophische Dynamik nicht, wie die mathematische, Quantitäten – z. B. die Kraft den durchlaufnen Raum – zu Exponenten haben kann: so schleicht der Rechner entweder auf den ersten Irrweg zurück, oder er weiset bald eine ausgeblasene hohle Quantität hervor, um weiter zu rechnen, zu schließen und zu binden, bald eine Qualität, um zu setzen, eine wahre Bilderschrift wie auf alten Mundtassen, halb Buchstaben, halb Malereien, eine taschenspielerische Nachahmung der generatio aequivoca, halb atomistisch, halb dynamisch. –


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