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Anhang.

 

I.

Woldemar 1779. S. 149-153. Zu Seite 285.

 

Biderthal an Woldemar.

den 3ten September.

Es fehlte wenig, mein trauter Lieber, so hättest Du auf Deinen herrlichen, langen Brief keine Zeile Antwort bekommen. Es läßt sich auf einen solchen Brief hier nicht antworten; nur ihn hier zu lesen ist beynah Sünde. Gott bewahre Dich, daß Du je unter diese schalen, verzerrten, aufgeblasenen, flitterköpfigen Menschen gerathest! Ich habe mir manchmal vorgestellt, wie Dir seyn würde, wenn Du hier wärest, und mirs in Deinem Namen recht grimmig werden lassen. Die alberne Hoffart und die dumme Aufführung des hiesigen Adels ist weltkundig. Da ich eine gewisse Reputation habe, und verschiedene Fremde vom ersten Rang uns aufsuchten, so wollten die läppischen Gesichter wohl ein bischen freundlich mit uns thun; sie holten uns an, und luden uns an ihre vornehme Tafel; aber ich habe sie Dir hekmgeschickt, einmal über das andere! – Daß die Affenart sich einbilden darf, einem rechtlichen Menschen eine Ehre erzeigen zu können mit ihrer Compagnie! Sieh, das kann mich erst grimmig auf sie machen. Anders! – ich bin ja nicht vom Geschlecht, und habe unter ihnen nichts zu suchen; möchten sie also meinetwegen ruhig sich begaffen und ihre Purzelbäume schlagen! Und sie sollten sehen, es käme mir auf ein Paar Nüsse für sie nicht an, wenn ich gerade versehen wäre.

Mit * und *** habe ich mich so gut als brouillirt, weil sie nicht widerstehen konnten, und sich von den Fratzen schön thun ließen. Männer von verdientem Ruhm sollten sich so nicht wegwerfen, und von dergleichen Leuten eine Distinction annehmen; es sieht sonst so aus, als hätt' es wirklich mit diesen armen Tropfen etwas zu bedeuten, und sie dürften wohl so gut seyn und sich zu einem großen Mann herablassen – ihm gnädigst einmal gestatten, zu seyn, für die Zeit, wie hoch ihres Gleichen. Ich kanns nicht ausstehen, die Schellenkappe über dem Lorbeer!

Unsere zwey distinguirte Herren schämen sich jetzt vor uns, und schämen sich vor einander, und wären so gern der Ehre wieder los; zumal da es allmälig bey tausend Gelegenheiten an den Tag kommt, wie Ihro Gnaden es im Herzen mit ihnen meynen. Es sieht scandalös aus, wie sie nun da stehen, und umher schleichen, und, um sich nicht gar zu prostituiren, bon gré mal gré die inférieurs spielen müssen; sie sinds dermalen auch in der That, und es geschieht ihnen recht. Darum lassen wir sie stecken, und laden sie nie zu unserer Gesellschaft, die noch artig genug componirt ist, wenigstens aus den besten Leuten, die hier sind; wir haben einige sehr vergnügte Parthieen zusammen gemacht. – Aber gewiß komme ich nie wieder hieher. Sollte ich noch einmal den Brunnen trinken müssen, so erneuere ich meine Bekanntschaft mit Spa. – Da möcht' ich einmal von dem allerley vornehmen Volk (denn die Collection ist hier sehr vollständig!) – da möcht' ich einmal dieß oder das davon hinkommen sehen. – Himmel! was sie da für eine Figur machen würden! Denn eigentliche Welt, ächten guten Ton, Lebensart, auch das haben sie Dir nicht einmal; sie sind ungeschliffen, ungelenk, und im höchsten Grade fad und langweilig. – – Aber womit ich die Zeit verderbe? – Steht es denn nicht schon geschrieben, daß die Erde hervorbringen mußte Vieh, Gewürm und Thier auf Erden, ein jegliches nach seiner Art; und daß Gott machte die Thiere auf Erden, ein jegliches nach seiner Art, und das Vieh nach seiner Art, und allerley Gewürm auf Erden nach seiner Art – und daß Gott sah, daß es gut war? – Haben wir also weiter nichts dagegen! hüten uns, und halten uns nur fein reinlich!

Am künftigen Montag geht es, dem Himmel sey Dank, von hier weg. –

 

II.

F. H. Jacobi's verm. Schr. 1781 S. 32-41.Zu Seite 135.

Zwey Reisende, Graf R. und Graf G. waren an Dorenburg, Biderthal, und auch an Woldemar von bester Hand empfohlen. Diese Grafen waren Leute von ausnehmenden Eigenschaften. R. mochte an die fünfzig Jahre alt seyn; G. etliche dreyßig. Sie besaßen gründliche Kenntnisse und hatten sich auf mancherley Art in der Welt versucht. An auserlesener Sitte, feinem Anstande, und geselliger Gewandheit konnte sie niemand übertreffen.

Es fiel Biderthal anheim, ihnen die erste Mahlzeit zu geben. Er verschob es ein Paar Tage, bis von einer Spazierfahrt auf das Jagdhaus die Rede kam; da bot er ihnen an, vorab Mittag bey ihm zu halten. Er sagte: »Ich bin nicht darauf eingerichtet, Feste anzustellen; ich kann Ihnen nur auf gut bürgerlich aufwarten: wenn Ihnen das ansteht, so machen Sie mir Freude, und ich denke, wir wollen vergnügt zusammen seyn.« – Die Herren kamen. Das Essen bestand aus einer sehr mäßigen Anzahl von Schüsseln, und es wurden ihrer nur wenige auf einmal aufgesetzt. Man ließ alles gehen so gut es mochte, ohne die kleinste Ungeduld oder die mindeste Verlegenheit an sich kommen zu lassen. – Beym zweyten Auftrage war von Cyperwein die Rede. Der Bediente sollte eine Flasche holen und brachte zweymal eine unrechte. »Wollen Sie nicht hingehen, sagte Biderthal zu Henrietten, und den Burschen zu recht weisen?« – Graf G., für welchen der Cyperwein eigentlich war, wollte aufspringen und es durchaus nicht leiden; aber Henriette war schon vor der Thür. – Biderthal selbst stand ein paarmal während der Mahlzeit auf, da gerade kein Bedienter in Bereitschaft war, um vom Schenktisch eine Flasche Wein, Brodt, Löffel oder Messer zu langen. Woldemar, wie man sich vorstellen kann, war nicht minder bey der Hand. Alles ging leicht und schön von statten; das Gespräch, immer verschlungener und lebhafter, lief ununterbrochen fort; über jedweden kam seine beste Laune; und wie das zusammenfloß – war's Entzücken. – – Zuletzt aber begab sich ein kleiner Aufstand. Es kam beym Nachtisch eine eingemachte Ananas auf die Tafel, und war im Huy verzehrt. Graf R. schien ein großer Liebhaber von diesem Eingemachten zu seyn. Er beschuldigte seinen Reisegefährten, er habe sich das größte Stück ausgesucht. Dieser gab ihm die Beschuldigung zurück, und sie geriethen in einen scherzhaften Wortwechsel, wobey G. seinem Gegner vorwarf, er habe einst zu Mayland die Hälfte einer eingemachten Ananas, so groß wie die Melone da, allein verzehrt ... – »Du hast ja noch?« sagte Biderthal zu seiner Frau, »laß noch eine geben!« – O gerne, sagte Luise; aber ich muß selber gehen! denn du weißt, die Haushälterinn ... Indem hatte sie ihren Stuhl gerückt. R., welcher neben ihr saß, hielt sie an, und flehte, sie möchte bleiben. – Wenn Sie es als eine Unhöflichkeit ansehen wollen, sagte Luise zu ihm, daß ich die Gesellschaft auf einen Augenblick verlasse, so will ich bleiben. Aber lieber befriedigte ich meinen Mann und mich selbst. – Ich bitte, fiel Biderthal ein, lassen Sie sie gehen! Die Weiber dürfen bey uns nicht so vornehm und nicht so gezwungen seyn. Meine Herren, wenn Sie unter uns leben wollen, so müssen Sie sich zu unseren Gebräuchen herablassen, wir gerathen sonst gegenseitig in Verlegenheit und kommen nicht zusammen über Weg. – »Geh, Luise, geh!« – Sie verschwand wie ein Blitz. Die Grafen schienen etwas verlegen. Woldemar wendete sich zu ihnen: »damit Sie uns nicht für wunderlich halten,« hub er an, »muß ich Ihnen erzählen, daß wir es ehmals versucht haben, ohne Haushofmeister, Kellermeister, Tafeldecker und eine hinlängliche Anzahl von Bedienten, das Phänomen aller ihrer Wirkungen hervorzubringen, und dabey gar nicht so zu thun als sey das etwas außerordentliches: aber ohngeachtet aller unsrer Mühe sah man dennoch, daß wir außer unserm Gleise waren; wir schwebten am Rande her voll Angst oft eine ziemliche Strecke, und plumsten zuletzt auf einmal hinunter, wie sehr auch war zugepeitscht worden; hernach, wenn wir geschwind von neuem übersetzen wollten, warfen wir nicht selten gar um und gaben ein sehr lächerliches Schauspiel. So haben wir denn beschlossen, hinfüro standhaft in unserm Gleise zu verbleiben, und nur überzusetzen wo wir jemanden aus dem Wege zu fahren genöthiget sind.« – Indem kam die niedliche Luise, halb außer Athem, wieder herbey geflogen; in der einen Hand noch ihre Schüssel und in der andern den Teller mit der Ananas, den sie vor den Grafen hinsetzte, und so lieblich lächelnd aussah, daß alle hätten aufspringen und sich ihr zu Füßen stürzen mögen. Es wurde auf einen Augenblick ganz still. Alle – ich weiß nicht wie es kam – schienen von einer gewissen zärtlichen Bewegung ergriffen, als wollten sie sich einander die Hände drücken.

Die Fahrt nach dem Jagdhause gelang über alle Maaßen. Nach der Zurückkunft fragte Biderthal die Grafen, ob sie zum Nachtessen bleiben wollten? Luise fuhr ein wenig zurück; faßte sich aber gleich wieder, und sagte mit Lebhaftigkeit: »nehmen Sie sich in Acht, meine Herren! Sie werden in April geschickt.« – Unsre Reisende wollten durchaus nicht glauben, daß sie dabey angeführt seyn könnten wenn sie blieben. Sie erboten sich, mit ein Paar frischen Eyern, allenfalls mit Butter und Brodt vorlieb zu nehmen. Biderthal fragte: »wer aber die Schüsseln zu sich genommen hätte, die den Mittag unversehrt wären abgetragen worden?« – Gut, gut! rief Luise mit lachendem Munde: – aber so magst du denn nur hingehen und die Glaser spülen und den Tisch zurecht machen, denn ich bin gewiß, daß nichts in Bereitschaft ist, und die Bedienten haben jetzo noch anderes zu thun. – Wir helfen! sagte R. Alles, wenn wir nur nicht fort müssen! – Recht so! rief Woldemar; ein Wort ein Mann! Kommen Sie! – Beyde liefen zum Saal hinaus; die ganze Gesellschaft ihnen nach. Man schleppte den Tisch ins Speisezimmer, holte Gedecke, Messer und Gabeln, Teller, Glaser, was man brauchte und nicht brauchte. – Die Bedienten wollten sich todt lachen, indem sie mit den Herren und Damen durcheinander liefen, und alle Augenblicke eine Ungeschicklichkeit gut zu machen hatten.

Da alles fertig war, gings mit fröhlichem Geräusch wieder hinauf in den Saal. Und nun mußte Graf G. herhalten, weil er sich bey der Expedition sehr links bewiesen und manchmal ausgesehen hatte, als wär' er bang etwas unanständiges zu thun. Woldemar konnte das nicht begreifen – von einem Kämmerer, der doch, meynte er, gegen viel andre Dinge abgehärtet seyn müßte. – Ja, fügte R. hinzu, und der zwey Jahre bey dem dicken Könige August von Sachsen Edelknabe gewesen ist.

Es wurde heimlich Mitternacht, und sie hätten es gern heimlich Morgen werden lassen, so Jammer schien es ihnen miteinander, daß sie schon sich trennen müßten.

Diesem Tage folgten ähnliche, und Woldemar hatte gewonnen Spiel. Es bedurfte weiter keiner Predigt; seine Freunde fühlten mit Herz, Sinnen und Verstand den unendlichen Unterschied zwischen eigenthümlichem Glanz und jenem fremden Schimmer, der mit jedem Augenblicke von einem weicht, dem man beständig nachlaufen muß, den jeder ins Mittel kommende Gegenstand uns entzieht. Sie begriffen, daß wenn sie nur in ihrem eigenen Hause zu Hause seyn, und Herrschaft behaupten wollten wo ihnen Herrschaft gebührte, sie alsdenn Ansehen und Ehre in vollem Maaße genießen würden. Nie wollten sie wieder die Thorheit begehen, eigenen Grund und Boden auszupachten, um als Knechte darauf zu dienen; nie wieder ihre Glückseligkeit und ihre Sitten verläugnen; nie mit all ihrem Golde – nur übergolden; – aus einem vollständigen Wamms einen armseligen Rock, aus einem Rock einen Talar erkünsteln, sondern das Wamms tragen oder verschenken als Wamms, und den Rock als Rock. ...

Die Grafen hatten sich nur wenige Tage zu B. aufhalten wollen, und konnten nunmehr nach sechs Wochen noch nicht aus der Stelle. Alles was sie ehmals angezogen hatte, vermochte jetzo nicht den Reiz aufzulösen, der sie fest hielt. Ihr Wohlgefallen an den Hornichs, ihre Hochachtung gegen sie, war Bewunderung und Ehrfurcht geworden. Sie hatten eine neue Verschiedenheit der Stände kennen gelernt, nach welcher sie lange nicht vom ersten Rang waren. G. konnte sich zuweilen des Lachens nicht enthalten, wenn ihm der goldne Stern auf der Brust seines Freundes in die Augen fiel, und zugleich desselben betroffene beynah demüthige Miene, die ihm noch kein König aufgedrückt hatte. Beyde verglichen was Könige besitzen und zu geben haben, mit dem was derjenige genießt und mittheilen kann, der dem Glücke selbst im Schooße sitzt, der Günstling der unerschöpflichen Natur, der nächste an ihrem Thron. – Ihren Abstand davon erblickten sie mit Beschämung; – wie sie die Gaben der Allgenugsamen erst aus der dritten, vierten Hand empfingen, so kümmerlich, und sie selber kaum von Angesicht kennten ...

Nichts kann rührender seyn, als diese Männer, wie sie also in diesem Kreise standen; als dieser Kreis, wie er diese Männer also umschloß. Von beyden Seiten gingen die wichtigsten Offenbarungen gegen einander aus, die lebendigsten Erkenntnisse, die wärmsten Beherzigungen ... Wer kann eine reiche Saat, Halm vor Halm beschreiben, Korn vor Korn, – und wer möchte sie nur so betrachten? – Ueberschaue von der nächsten Höhe das Feld, und horche dem Lispel der wallenden Aehren!

Trennung mußte endlich doch erfolgen; aber sie fühlten sich verbunden auf ewig, und schieden getrost.

Dieß geschah den letzten Herbst vor Woldemars Verlobung. Mancherley Umstände kamen damals zusammen, die Geschwister noch enger mit einander zu verbrüdern; ihrer gegenseitigen Liebe – Freude und Wohlgefallen aneinander, einen ausnehmenden Grad der Höhe zu geben. Der größte Theil ihres weitern Umgangs wurde ihnen nun vollends schal, vieles in ihrer bisherigen Lebensart ganz und gar unerträglich; sie fingen an über die Bedenklichkeiten zu spotten, welche ihre Befreyung aufgehalten hatten, und räumten sie nach einander aus dem Wege.

 

III.

F. H. Jacobi's verm. Schr. 1731. S. 45-52.Zu Seite 139.

Bey der Verwandlung die in dem Innern seiner Familie gegenwärtig vorging etwas ähnliches zu besorgen, war ihm nicht in den Sinn gekommen; er dachte nur an Rückfall, etwa an Ausschweifung auf Nebenwege; nicht an Uebertreibung. – Vielleicht möchte Dorenburg nunmehr die Bedienung annehmen, die ihm mehrmals war angetragen worden; sie war ansehnlich, und er konnte sie, nach der Verfassung zu B–, neben seinem Gewerbe bekleiden; nur legte sie mancherley Zwang auf, welcher mit seiner vorhergehenden Lebensart sich nicht vertrug, bey der gegenwärtigen aber sehr leidlich scheinen konnte: – Vielleicht würde Biderthal aus seinen Erfahrungen in der Chemie, aus seinen Beobachtungen in der Naturgeschichte, aus seinen erworbenen Kunstkenntnissen, irgend ein Buch hervortreiben wollen; er hatte mehrmals die Lust dazu geäußert: – Vielleicht ergäben sich die Weiber ernstlicher dem Lesen, wollten ihr bekanntes feines Urtheil mehr sichern, ihre Kenntnisse vervollkommnen, – den Thurm zu Babel vollenden. Gegen alles dieses setzte er sich demnach kräftig zur Wehr. Bey Dorenburg schien ihm die Gefahr am dringendsten, und die ärgste zugleich. Der Angstschweiß brach ihm aus, wenn er von dem Unglück zu reden kam, womit derselbe bedroht sey: – »Lieber!« sagte Woldemar zu ihm, »Du weißt nicht was das heißt, mit zwölf, funfzehn Menschen, einer schlechter als der andre, ein Ganzes auszumachen; mit ihnen zu rathschlagen und zu handeln; in einem beständigen Wechsel von Unterricht, Oberhand und Unterwerfung zu stehen: man muß von Jugend auf dazu gewöhnt, dazu angelernt – oder mit einem ausnehmenden Pflegma begabt seyn, um es auszuhalten. Sich in der Absicht dazu verstehen, daß mehr Gutes geschehe, oder weniger Böses, ist Thorheit; gerade das Gegentheil kommt dabey heraus. In einer Gesellschaft von Dummköpfen und Schurken wird noch oft das Gute zugelassen, weil ihm nichts entgegen steht, manchmal sogar gefördert, wenn es durch angemessene Mittel sich annehmlich macht: aber nicht sobald ist ein rechtschaffener geistvoller Mann in ihre Mitte getreten, als jeder Dummkopf ein zwiefacher Dummkopf, und jeder Schurke ein doppelter Schurke wird; alle nur Ein Herz und Eine Seele wider den Bessern; alle mit einander vereiniget zu einem wahren vollkommenen Reich der Finsterniß und des Argen. Das Gute wird nun ohne Unterschied verhindert, weil es der angefeindete Mann unablässig will, weil man es als seine eigene Sache ansieht; alle Rechtschaffene werden verfolgt, weil sie mit ihm entweder in wirklicher Verbindung stehen, oder – in möglicher, – weil man sie als heimlich von seiner Parthey betrachtet; alle schlechte Leute beschützt und hervorgezogen, weil sie entweder schon desselben Feinde sind, oder man sie doch alle Tage dazu machen kann. – Allemal – wenn Gutes nur hinzugethan wird zu Bösem, und nicht in gehörigem Maaße um das Böse zu überwältigen, so kann es nichts als Uebel ärger machen. – – In deinem Fall, lieber Dorenburg, ist noch etwas besonders zu erwägen, das du vielleicht als nichtsbedeutend ansiehst, und es wahrhaftig keinesweges ist. – Lieber, du wirst viel mit Rechtsgelehrten zu schaffen haben, und du bist keiner. – Da ich zu der Innung gehöre, da meine wohl erworbene Meisterschaft von niemand bestritten wird, so darf ich von der Sache reden. Sieh, ehrlicher Freund, es giebt nichts was dem Menschen alles Menschliche so auszieht; Gefühl und Verstand so ganz in ihm ertödtet, – als die isolierte Rechtswissenschaft: und, ich schwöre dir, mehr als elende sinnlose juristische Schulfüchserey ist hier Einige haben dieses offenbar Locale, Hypothetische, individuelle Urtheil, als gegen einen der ehrwürdigsten Stände der Gesellschaft überhaupt gerichtet ansehen wollen. Ich weiß hierauf nichts anders zu sagen, als daß ich nicht begreife, wie man das konnte. nicht in den Leuten; – sie haben dir, Gott weiß! doch nicht die mindeste Einsicht in Staatsverwaltung; nicht einen Funken wahre Philosophie; nicht ein Schärflein ächten Witzes; – Kenntniß der Welt, der Geschichte – Literatur? – kein Auge voll! – Nichts, nichts! – die bloße, platte, leere Juristerey. – Und was sich die Schöpse von Pedanten darauf einbilden daß sie keinen Menschenverstand mehr haben, das ist entsetzlich! – Satzungen, und Formalitäten – da allein das, nicht gesunde Vernunft in foro zur Sache thut, so sind Satzungen und Formalitäten ihnen allein ehrwürdig, und sie lernen gesunde Vernunft für nichts achten. Mit dem Wesentlich-Gerechten, mit dem Billigen, geht es ihnen eben so; sie lachen darüber; lachen dich aus, daß du so albern und unwissend bist, und meynst damit wär' etwas gethan. – Kömmst du ihnen mit höheren Grundsätzen, als: Wohlfahrt des Staats; Glückseligkeit der Bürger; Interesse der Menschheit: so würdigen sie nicht dich anzuhören; das ist ihnen Wischiwaschi für müssige Leute; armselige Kinderey; es wird ihnen übel davon; sie scharren und zischen ... Kurz, ehrlicher Freund, lieber Bruder Dorenburg, du ertrügst es nicht; gingest vor Aerger, Ekel und Abscheu zu Grunde.«

Seines Bruders Grille griff er, insbesondre, nicht mit dieser Heftigkeit an; aber bey jeder Gelegenheit suchte er den Satz ins Licht zu stellen: daß alle wahre Freude jedes Studiums dahin sey, sobald man Sinn darin bekomme, sein Wissen auszukramen.

Gemeiniglich wendete er sich dann an alle zugleich, Männer und Weiber, um ihnen Naivetät des Herzens überhaupt anzupreisen. Sie sollten prüfen was ihnen wohl thue, und, soviel möglich, es unmittelbar von der Natur nehmen; nicht bey Vorkäufern, nicht in Trödelbuden, sondern neu, frisch und unverfälscht. Der Mißbrauch den verschiedne Leute von Dichtern und andern Künstlern im Schönen machen, daß sie von unmittelbarem Selbstgenuß sich entwöhnen, in der wirklichen Natur bloß ihren Schatten wieder suchen, bloß ihre Schilderung betrachten, die große Welt – zerstückt in einem Guckkasten, und sogar ihren unendlichen Urheber auch – dieser Mißbrauch war ihm ein Gräuel. – Ein noch ärgerer Gräuel verschiedene dieser Schriftsteller selbst, Dichter und Schöngeister, die Erd und Himmel nur als Materialien ansehen, Rahmen um ihr werthes Bildniß daraus zu schnitzeln; die nur herumgehen und aussuchen in der Natur, was sich davon zu Papier bringen läßt; anders nichts ihrer Mühe werth achten, und wär' es schön und herrlich über alles; denen vielleicht der rührendste Auftritt in der Schöpfung verhaßt wurde, weil ein anderer sie in desselben Darstellung übertraf. ...

»Wie im Einen, so im Andern!« sagte Woldemar; »man soll werden lassen die Dinge – aus ihren Ursachen, und in der Reihe wie sie Gott aneinander gekettet hat. Wem in Umständen die es erheischen, sein Muth Heldenthaten gebeut – der ist zum höchsten Genuß der Menschheit berufen – zu Heldenlust und Heldenehre; wen aber, nur berauscht von heroischen Dingen, aus bloßer Lust ein Held zu seyn, nach – Heldenthaten lüstet, – der ist auf dem Wege, wahrscheinlich – ein Narr – oder ein Ungeheuer zu werden. – – Jedes Bestreben, eine Wirkung hervorzubringen wovon die Ursache nicht vorhanden, – ist Abfall vom höchsten Wesen, Beschwörung höllischer Mächte, eigentliche Zauberey. – Dann lernen wir, ohne Gefühl des Schönen, ohne Lust daran, es begehren und verfolgen; – Genuß suchen und Genuß erhaschen, ohne Bedürfniß; – Lob erjagen, ohne Verdienst; Ruhm, ohne Tugend; – lernen Menschenliebe hegen, Gutes thun und an Gutem uns erfreuen, ohne Güte, ohne Rechtschaffenheit; – zu vereinigen mit den niedrigsten Lüsten die edelsten Gefühle, – Wonne der Himmel mit Verbrechen und Selbstverachtung, – innerliche Ruhe, Heiterkeit, Triumph, mit den tiefsten Schlangenstichen des Gewissens, – – zu seyn hie und da das erhabenste Wesen, – und das verworfenste dennoch immer, – ein Teufel und ein Gott!«

So wehte täglich aus Woldemars innersten Gefühlen die Liebe Flammen hervor, die, was sie ergriffen, verzehrten, oder – wenigstens anloderten und überbrannten.

 

IV.

F. H. Jacobi's verm. Schr. 1781. S. 134-142.Zu Seite 215.

Henriette sprang auf, faßte Woldemars Hand, drückte sie an ihr Herz, und küßte sie. Nach einem kurzen Stillschweigen, brachte Dorenburg die Frage vor, die ihm und Biderthalen schon so lange auf der Zunge geschwebt hatte: warum, wenn ein Pythagoras, ein Socrates, ein Zeno so viel gewirkt hätte, alle diese Philosophen zusammen mit ihren Schülern und Nachfolgern jetzt so wenig wirkten?

Sie wirken noch immer, sagte Woldemar, aber freylich auf eine ziemlich unsichtbare Weise. Jene Alten selber hören und verstehen wir nur wenig, und ihre Nachfolger in unsern Tagen sind mehrentheils falsche Propheten, deren Weisheit je länger je mehr zu einem Handwerk, und zugleich zu einer brodtlosen Kunst geworden, ohngefähr wie Seiltanzen und Luftspringen, wo es den Schauspielern hauptsächlich um den Einlaß, und hernach um das Geklatsche zu thun ist. Daß wir fast durchgängig nur deswegen etwas lernen, damit wir bey Gelegenheit zu zeigen im Stande sind daß wir etwas wissen, dieses sieht man sehr deutlich selbst aus unseren Methoden, die ganz darauf berechnet sind. Studium ist kahle Lernerey geworden, unsere Seele ein bloßer Paradeplatz oder eine feile Krambude. Allein, Ursache ist dieß alles nicht sowohl als Folge. Die eigentliche Ursache ist, daß wir verstockt, dumm und taub sind; daß sich Herz und Verstand bey uns auf die entsetzlichste Weise verfinstert haben. Wie und welcher Gestalt? habt ihr selbst vorhin sehr gut entwickelt, und indem ich von der Entstehung des modernen Epikureismus sprach, habe ich auch das meinige hinzuzufügen nicht unterlassen. Wiederholt euch das, aber erinnert euch zugleich, was ich von meiner Hoffnung hinzu fügte, daß neues Licht und neues Leben im Anbruche sey. Dann erst, aber dann auch gewiß, wird alles was zur Veredlung des Menschen jemals gewirkt hat, wieder hervorkommen, sich vereinigen, und in eine Form zusammen fließen, die alle gewesene an Würde, Schönheit und Dauer – o, wie weit übertreffen wird!

Wie, um Gotteswillen, sollte das zugehen? rief Biderthal aus; so ganz zuwider dem jetzigen Lauf der Dinge, da der Fortgang unserer Verfeinerung ...

Du verwechselst wieder, sagte Woldemar. Verfeinerung unserer Sinnlichkeit soll und wird es freylich nicht bewirken, sondern Aufklärung des Verstandes, allgemeine Erleuchtung. Von jener habe ich ja selbst behauptet, daß sie den Menschen immer thierischer mache, ihn um seinen gesunden Verstand, seine gesunden Gefühle, sein gesundes Herz – um Gott und um Tugend bringe. Das Elend, die Verzweiflung die hierauf folge, hab ich gesagt, sey ein Tod durch den wir in ein neues Leben auferstehen werden. Besinnt euch, und laßt mich endigen.

Das hauptsächlichste, so wir eingebüßt, sind Empfindungen und Neigungen, die gewiß nicht ausbleiben, wenn nur ihre Gegenstände wiederkommen. Hingegen haben wir gewonnen, wozu Jahrtausende von Erfahrung und Uebung nöthig waren. Verdunkelte Wahrheiten, Erkenntniße, Grundsätze, werden um so heller wieder hervorgehen, da eine Menge von Irrthümern und unglücksschwangern Grillen, womit sie ehedem vermischet waren, vertilgt sind. Von den Tugenden läßt sich das nehmliche behaupten. Verschiedene Laster sind verschwunden, vermuthlich auf immer, und es sind edle, milde, billige, wohlthätige Gesinnungen gäng und gebe geworden, welche ehemals nicht im Schwange waren; wir sind der Rechtschaffenheit im Grunde näher. Auch unsre allgemeine Menschenliebe, die man so lächerlich zu machen sucht, ist kein ganz leeres Ding. So wie Familien sich in verwandte Haufen, verwandte Haufen in Dörfer, Dörfer in Städte, Städte in Völkerschaften, Völkerschaften in große Nationen, Nationen – in die ganze Welt ausgebreitet haben: so haben sich auch die Gefühle, Neigungen und Ideen ausgebreitet, und unser Interesse hat wirklich und wahrhaftig eine Richtung auf das Ganze bekommen. Ein Mensch ist als Mensch dem andern jetzt unendlich mehr als er ihm ehemals war. – Wenn man den geringen Antrieb erwägt, den die Tugend in unserm Jahrhundert hat, so muß man über die Anzahl würdiger Menschen die noch angetroffen werden, und über die Menge von schönen und guten Handlungen die man erfährt, in der That erstaunen. Ich kann einzelne Beyspiele in diesem Fall nicht leiden, aber an das Verhalten der Französischen Parlamente vor einigen Jahren, muß ich doch erinnern. Man vergleiche die Aufführung dieser Gesellschaften mit der Aufführung des Römischen Senats unter den Kaisern. Kurz, ich bin meines Theils überzeugt, daß keine Tugend jemals auf der Welt gewesen ist, die nicht noch hier und da, auch in unsern Tagen lebendig vorhanden wäre. Jedes ächte menschliche Gefühl liegt dem Menschen so nah, jeder guter Geist ist so willig sich eine Stätte in ihm zu bereiten, und ihm ein treuer Gast zu werden! Also noch einmal, meine Freunde, uns laßt getrost seyn und voran wandeln. Ob ich lieber in Zeiten gelebt haben möchte, wo ich vielleicht – ein Abraham hätte seyn können, oder ein Herkules, oder ein Achilles, Cleomenes, Scipio, Herrmann, Götz oder Sickingen, davon ist nicht die Frage; das will ich, und das kann ich nicht untersuchen. Aber das weiß ich, daß ich allein auf dem Platz, wo ich mich befinde, meines Daseyns in der That und in der Wahrheit froh werden kann, und daß ich kein Traumwandler seyn mag. Voran also! Wenn es schon hundertmal wahr ist, daß physisches Interesse die Seele unsers Jahrhunderts ist, wir sind dennoch auf gutem Wege. Aus dem wohlerkannten und wohlbesorgten physischen Interesse ergiebt sich das moralische von selbst; Erde scheint gen Himmel, wie Himmel auf Erde, beyde fließen in einander. Was die höchste physische Wohlfahrt gebiert, laßt sich unwiderleglich darthun, und ihre Grundsätze sind wirklich zu einer Klarheit gediehen, die nicht lange ohne Folgen bleiben kann. Der Türgots werden mehr kommen und man wird sie nicht alle stürzen ...

Stimme der Wahrheit – nicht mehr einsam an den Enden der Erde nur; die am goldenen Throne wiederhallt, daß es hinab dröhnt zu seinen Füßen und die Stelle bebt – Du vermagst auch die Herzen der Könige zu durchdringen!

Sie wird immer näher und gewaltiger kommen, und mit jenem nothwendigen Gesetze unwandelbarer Gerechtigkeit, welches alle willkührliche Gesetze aufhebt und vertilgt, allgemeinen freyen Gehorsam zu Wege bringen Leute von richtigem Urtheil, sagt ein berühmter Schriftsteller, laßen sich am willigsten regieren; aber niemand haßt auch mehr als sie Gewaltthätigkeit und Knechtschaft. Schaffet aufgeklärte Völker dem Monarchen; laßet ewig Dumme dem Despoten..

So müße, was von Sparta gesagt worden ist: das Laster sey daselbst unmöglich und die Tugend nothwendig gewesen, in einem höheren Sinne bey uns eintreffen.

Und davor brauchen wir uns nicht zu fürchten, daß wir vor lauter Gerechtigkeit und Ordnung werden dumm, feig und seellos werden, vor lauter Glückseligkeit unglücklich. Die Endlichkeit unserer Natur, die Unvollkommenheiten der Welt, lassen sich nicht überwinden, ihre wesentlichen Mängel nicht ersetzen; wir werden immer genug zu wachen und zu wirken haben. Ueberhaupt muß man Gott hiefür sorgen lassen, und es ist Raserey für den Teufel sorgen zu wollen.

Es will mir das Herz zerreißen, wenn ich Menschen so unachtsam auf das Elend sehe das sie umgiebt, wenn ich sie über Hunger, Blöße, Krankheit, Pestilenz und Krieg wegräsonniren höre, als ob es Kleinigkeiten wären; Kleinigkeiten das, wovon dem gegenwärtigen Gefühl irgend einen geringen Theil nur eine Viertelstunde lang zu ertragen, oft unmöglich scheint. – Lasset das fern von uns seyn, meine Freunde! Den wirklichen Drangsalen unserer Zeit, denen die jeder fühlt, die jeder von sich abwerfen möchte, und die Millionen unserer Mitbrüder so unerträglich ängstigen, daß sie sich krümmen und verzweifeln – denen laßt uns entgegen arbeiten! Laßt uns denen Tugenden, die wir empfinden, die wir erfahren und kennen, die sich heute, zu dieser Stunde anwenden lassen, aus allen Kräften nachjagen. – Gewiß und wahrhaftig, meine Freunde, was, so weit hergeholt, von Tugend und Glückseligkeit geschwärmt und ersonnen wird – es ist schwankend, träumerisch! Die Leute, weiß Gott! glauben sich selber nicht, zweifeln und zagen wenigstens alle Augenblicke; fahren auf, und wissen nicht wo sie sind, bey jedem etwas starken Anstoß. – – Aber Segen und Dank dem Edeln, den dieses nicht trifft, und der – (träf' es ihn denn auch zum Theil) irgend ein ächtes, menschliches Gefühl das schlummerte, wieder aufweckt, oder, wills entschlüpfen, zurück ruft; – Preis und Ehre der ahndungsvollen Seele, welche des Sichtbaren vergessen kann, um zu leben im Unsichtbaren; die sich hingiebt und wegwirft für diese Zeit, aus so hoher göttlicher Liebe – Unsterblichkeit ihr zum Lohn und Palmen der Ewigkeit!

 


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