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Buchschmuck

»Wer weiss wie weit die Welt noch zurückstände, hätte es kein England gegeben«; dieser halb bewundernde, halb neidende Ausspruch Friedrich Lists, den er in erster Linie auf die oekonomischen Fortschritte des Inselreiches anwandte, gilt auch vollinhaltlich der politischen Gestaltung der Dinge gegenüber. Während das continentale Europa durch das ganze Mittelalter hindurch bis tief in die Neuzeit hinein jedweden repräsentativen Lebens baar war, entwickelte und gliederte sich in England schon im dreizehnten Jahrhundert eine vorerst ständische, dann aber repräsentative Volksvertretung, die in heftigen Kämpfen, in steter Gefahr vernichtet zu werden schwebend, zuerst nur eine steuer- und geldbewilligende, dann aber eine gesetzgeberische Thätigkeit ausübte und schliesslich durch das Cabinetssystem, durch die Uebertragung der Regierung an die jeweilige Unterhausmehrheit, Anfangs einen mehr oder minder directen, jetzt aber einen absoluten Einfluss auf die Executive errang.

Dieses glänzende Vorbild freiheitlicher Entwickelung fand in der Mitte des vorigen Jahrhunderts seinen glühendsten Lobredner in Montesquieu, dessen Esprit des lois die Kenntniss des englischen Verfassungslebens auf dem Continent verbreitete und dies in Verbindung mit den Lehren Rousseaus und dem erwachten Freiheitsdrang des französischen Volkes schufen die ersten Repräsentativ-Verfassungen von 1789 und 1791, die nimmer zu beseitigende Idee, dass das Volk einen Antheil an der Regierungsgewalt haben müsse, trat ihren Siegeslauf durch Europa an.

Nach Beendigung der napoleonischen Kriegszeit war die constitutionelle Bewegung in vollem Gange, wenngleich auch in Deutschland wenigstens der Bildung der Landtage noch ein ständisches Princip zu Grunde lag, Preussen es sogar nicht einmal über Errichtung von Provinzialständen hinausbrachte, bis endlich die Bewegung des Jahres 1848 als das Ferment wirkte, das in Europa und speciell in dem zögernden Norddeutschland auch die letzten Reste altständischer und absolutistischer Prärogative verzehrte.

In den Fünfziger Jahren wüthete zwar eine Reaction, die theilweise sogar die Volksgerechtsame ohne die verfassungsmässig nothwendige Mitwirkung der Volksvertretung auf blossem Verordnungsweg und unter Assistenz der Bundesversammlung abänderte und beschnitt, aber die Sechziger Jahre sprengten auch diese Fesseln und die am 1. Juli 1867 in Kraft getretene Norddeutsche Verfassung erhielt zum ersten Male und dem Mutterland der constitutionellen Freiheit England weit vorauseilend die grundlegende Bestimmung »every man a voice«.

Dieses Muster weitgehendster Wahlrechte lautet wie folgt:

§ 1. Wähler für den Reichstag des Norddeutschen Bundes ist jeder Norddeutsche, welcher das fünfundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hat, in dem Bundesstaate, wo er seinen Wohnsitz hat.

§ 2. Für Personen des Soldatenstandes, des Heeres und der Marine ruht die Berechtigung zum Wählen so lange, als dieselben sich bei der Fahne befinden.

§ 3. Von der Berechtigung zum Wählen sind ausgeschlossen:

  1. Personen, welche unter Vormundschaft oder Kuratel stehen;
  2. Personen, über deren Vermögen Konkurs- oder Fallitzustand gerichtlich eröffnet worden ist und zwar während der Dauer dieses Konkurs- oder Fallitverfahrens;
  3. Personen, welche eine Armenunterstützung aus öffentlichen oder Gemeindemitteln beziehen, oder im letzten der Wahl vorhergegangenen Jahre bezogen haben;
  4. Personen, denen in Folge rechtskräftigen Erkenntnisses der Vollgenuss der staatsbürgerlichen Rechte entzogen ist, für die Zeit der Entziehung, sofern sie nicht in diese Rechte wieder eingesetzt sind.

§ 4. Wählbar zum Abgeordneten ist im ganzen Bundesgebiete jeder Norddeutsche, welcher das fünfundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt und einem zum Bunde gehörigen Staate seit mindestens einem Jahre angehört hat, sofern er nicht durch die Bestimmungen in dem § 3 von der Berechtigung zum Wählen ausgeschlossen ist.

Abstrahieren wir vorerst von der Frage der Incompatibilität des ruhenden activen und des passiven Wahlrechts, von denen weiter unten die Rede sein wird, so finden wir ein gleiches Ausmass von activem Wahlrecht nur in Frankreich, Schweiz, Belgien, während die anderen Länder in ihren Wahlrechten einen mehr oder minder beschränkenden Census eingeführt haben, wie nachstehende Tabelle beweist:

Länder Alter Census
Schweden Grossjährigkeit geschätztes Vermögen von 800 Kronen
Norwegen 25 Grundbesitz oder 500 bis 800 Kronen Vermögen
Dänemark 30 ausgeschlossen sind Personen in privatem Dienstverhältniss
Italien 21 Schreiben und Lesen oder kleines Vermögen
Spanien 25 —  —  —
Portugal Grossjährigkeit 100 Milreis Vermögen oder Lesen und Schreiben oder Familienvater
Holland Grossjährigkeit 20-160 Gulden Steuer
Luxemburg 25 30 Frcs. Steuer
Belgien 25 kein Census und Pluralwahlsystem, Doppel- und Trippelsystem,
1. 35jähr. Verheiratheter oder Wittwer,
2. jeder 25jährige mit 3,30 Frcs. Steuer oder 100 Frcs. Rente,
3. jeder 25 jährige Academiker.
Maximalstimme 3.
Frankreich 21  —  —  —
Oesterreich 25 Wählerklassen; Census vier Gulden
Schweiz 21  —  —  —
Deutsches Reich 21  —  —  —
Grossbritannien 21 Wohnungswahlrecht
Nordamerikanische Union Grossjährigkeit massgebend die Einzelstaaten ohne Census,
ausgenommen Delaware,
das Zahlung einer Grafschaftstaxe und
Rhode Island, das Grundbesitz im Werthe
von 137 Dollars verlangt.

In den Wahlrechten aller Länder war bis auf jüngste Vorgänge wie in demjenigen des deutschen Reiches der Frauen nicht ausdrücklich gedacht, es musste daher zweifelhaft erscheinen, ob sie ausgeschlossen oder mitinbegriffen sind, ja die Wage neigte sich bei eingehender objectiver Betrachtung der Frage sogar zu Gunsten der Frau. Es erscheint daher durchaus nicht verwunderlich, dass in unserem Jahrhundert, dem Jahrhundert, das bis in die fernsten Zeiten hinein strahlen wird durch den Glanz der Thatsache, dass es die grössere Hälfte der Menschheit aus dunkler Träumerei zu tagfrohem thatkräftigem Handeln erhob, die Frauen von dem Recht, in dessen Besitz sie sich wähnten, Gebrauch machen und ihr vermeintliches Wahlrecht ausüben wollten.

Es geschah dies zum ersten Male in Grossbritannien im Jahre 1867. Frauen, die den Wahlcensus besassen, liessen sich in den verschiedensten Städten in die Wählerlisten eintragen. Die Wahlaufseher liessen es an einigen Orten geschehen, an anderen wieder nicht, sie waren sich selbst nicht einig, ob die Frauen in ihrem Rechte waren oder nicht, ebenso erging es den controllirenden Beamten und die widersprechendsten Entscheidungen wurden von ihnen gefällt. Immerhin gelang es über zweihundert Frauen, in die endgültigen Wahllisten eingetragen zu werden.

Da gelangte die ganze Frage zum Austrage durch die Klage von mehreren Tausenden von Frauen gegen die ihre Eintragung verweigernden Beamten. Ihre Argumente lauteten: In früheren Zeiten habe es keinen Unterschied des Geschlechtes bezüglich der Wahlfähigkeit gegeben – im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert betheiligten sich Frauen an den Parlamentswahlen – keine gesetzliche Verfügung habe es ihnen entzogen. Die Akte von 1867, nach der Lord Brougham'schen Akte ausgelegt, die das Wahlrecht erweiterte, habe es ausdrücklich auf die Frauen ausgedehnt, indem sie nicht mehr den Ausdruck »männliche Person«, sondern »jedermann« gebrauche, und Gesetz 13 und 14 Vict. c. 21, s. 4 verfüge, dass in allen Gesetzen die Worte, die das männliche Geschlecht bezeichnen, als das weibliche mit einschliessend verstanden werden sollten, wenn nicht das Gegentheil ausdrücklich vorgesehen wäre. Auch abgesehen von dem Lord Brougham'schen Gesetz habe das Wort »man« und das gleichbedeutende lateinische homo immer die Bedeutung der Gattungsbezeichnung gehabt und begreife sowohl Männer als auch Frauen.

Das Urtheil fiel für die Frauen ungünstig aus. Die Richter erklärten, dass die angeführten historischen Präcedenzfälle gegenüber der ununterbrochenen gegentheiligen Praxis nicht in's Gewicht fielen, die Akte von 1832 indem sie in Städten das Privileg auf männliche Personen beschränkt, im Gegentheil die Ausschliessung der Frauen sanktionirt habe, es anderen Gesetzen gegenüber lächerlich erscheinen würde anzunehmen, dass in der Akte von 1867 der Ausdruck »man« in einem anderen Sinne gebraucht sei, als um Personen des männlichen Geschlechts zu bezeichnen, wenn auch zweifelsohne in mehreren anderen Gesetzen das Wort »man« die Frauen mit einschliesse; auf Grund der Lord Brougham'schen Akte liesse sich auf das Gesetz von 1867 eine weitere Bedeutung des Wortes »man« nicht annehmen, da dasselbe bestimme, dass die durch dasselbe verliehenen Privilegien neben die schon bestehenden, nicht an Stelle derselben treten sollten und mit den früheren Wahlgesetzen als ein einheitliches Gesetz aufgefasst werden solle. Wenn der Gesetzgeber von 1867 beabsichtigt hätte, eine so wichtige Aenderung, wie die Ausdehnung des Wahlrechts auf die Frauen, einzuführen, so hätte er dies wohl nicht vermittelst des Wortes »man« gethan. Er habe aber mit dem Worte »man« nur männliche Personen bezeichnen wollen und dies bedeute, dass das Wahlrecht den Männern allein zukomme. Eine zweite Entscheidung vor dem Court of Common Pleas entschied in letzter Instanz ebenfalls abweisend und so war denn das Frauenstimmrecht als in Grossbritannien nicht existirend erklärt.

Nichtsdestoweniger kann man nicht umhin, die Begründung des Rechtsspruches als willkürlich und einseitig zu bezeichnen.

Wo es an täglicher Erfahrung und an Praxis gebricht und das Gesetz sich nicht deutlich ausspricht, pflegen die englischen Gerichte in der Regel als einziges Auskunftsmittel auf Präcedenzfälle zurückzugreifen, unbeschadet dessen, ob sie um Jahrhunderte zurückliegen, den Frauen jedoch wird gewöhnlich, wenn die logischen Beweisgründe ausgehen, die »constante Praxis, die gegen sie sei« entgegengehalten, wie es auch die englischen Richter in diesem Falle thaten. Wenn ferner die Reformakte von 1832 auch feststellte, dass das neue Privileg »Personen des männlichen Geschlechtes zustehe«, so bezog sich diese Einschränkung nur auf das durch jene Akte eingeführte Privileg und nicht auf die alten weiten bestehenden Wahlrechte. Ganz widersprechend und widersinnig ist jedoch die richterliche Annahme, dass die Lord Brougham'sche Akte eine weitere Bedeutung des Wortes »man« in unserem Sinne nicht enthalte, weil die durch dieses Gesetz verliehenen Privilegien neben die schon bestehenden, nicht an Stelle derselben treten sollen, während dieselben Richter die Reformakte von 1832, die sich nur auf bestimmte Privilegien beziehen, durchaus an Stelle und nicht neben die schon bestehenden Gesetze, die den Frauen das Wahlrecht nicht vorenthielten, setzen wollen, was durchaus falsch ist, da weder die Akte von 1832 noch die nachfolgenden Reformakte die früheren Wahlgesetze ganz ausser Kraft setzten, sondern mehrere Wahlrechtssysteme neben einander bestanden. Nicht minder unlogisch erscheint die Auslegung, dass zweifellos das Wort »man« die Frauen in mehreren Gesetzen mit einschliesse, dass anderen Gesetzen gegenüber jedoch eine solche Annahme lächerlich erscheinen würde. Man sollte meinen, dass in einer solch klaren Frage nur eine klare Antwort möglich sei. Ist man einmal zur Annahme gelangt, dass das Wort »man« die Frauen mit einschliesse, dann müssen alle Consequenzen aus ihr gezogen werden und alle Gesetze in diesem Sinne ausgelegt werden. Wollte man eine so wichtige Frage nur nach den Anschauungen der Richter entscheiden, ob ihnen eine solche Auslegung mitunter lächerlich erscheint oder nicht, zu welch schwankenden Rechtssprüchen müsste man da gelangen? »Lächerlich« ist doch kein feststehender Begriff! Was gestern noch lächerlich erschien, erachten wir heute vielleicht schon der Ueberlegung werth und erklären es möglicherweise morgen für das allein Richtige und Vernünftige.

Während im Jahre 581 auf dem Consilium zu Mâcon die Frage aufgeworfen wurde, ob die Frau überhaupt eine Seele besässe und ein Mensch wäre, bezweifelte der Chief Justice des King's Bench-Gerichts im Jahre 1739 nur noch das »tiefere Verständniss für die Wahl der Parlamentsmitglieder, das man bei Frauen nicht voraussetzen könne«; die Richter des oben wiedergegebenen Urtheiles im Jahre 1867 fühlten sich bereits gedrängt zu erklären, dass die Ausschliessung der Frauen vom Wahlrecht nicht geistiger Inferiorität wegen geschehe, – ein Gedanke, dem die heutige Civilisation in England widerspreche – sondern zur Wahrung des Decorums, so dass sie vielmehr ein Vorzug und eine Huldigung sei, die man dem Geschlechte erweise, ein honestatis Privilegium, wie schon der grosse Rechtsgelehrte Seiden im XVII. Jahrhundert gesagt habe und in unseren Tagen stellen die Gouverneure derjenigen Staaten, die den Frauen das Wahlrecht verliehen haben, wie wir weiter unten zeigen werden, fest, dass im Besonderen die Seele, die Güte der Frau sie geeignet zur Wählerin mache, dass ihr Verständniss sich als ein sehr tiefes gezeigt habe und, last not least, dass das Decorum, der öffentliche Anstand gerade durch die Theilnahme der Frauen an den Wahlen in einer Weise gewahrt werde, wie es ohne sie nie zu erreichen war.

Kann man da noch das Wort »lächerlich« als Beweisgrund in's Feld führen? Sprechen die Thatsachen nicht Bände, gegen die der Begriff lächerlich nur ein leeres, nichtssagendes Wörtchen ist?

Waren also auch die Gründe, die den Frauen in England entgegengehalten wurden, wohlfeil wie Brombeeren, so entbehrten sie deshalb doch der Beweiskraft, es gelang ihnen daher auch nicht, die Frauen zu überzeugen, sondern nur zu zwingen, sich statt an den Richter an den Gesetzgeber zu wenden.

Indessen brach sich das Bewusstsein der Ungerechtigkeit der Verweigerung des Frauenstimmrechtes auch in anderen Ländern Bahn. Auch die Frauen Nordamerikas konnten es nicht fassen, dass sie nicht als Bürger betrachtet wurden und ihnen, die ihr gerütteltes Maass an Pflichten hatten und ausübten, die vornehmsten Bürgerrechte verweigert werden sollten, auch sie wollten es auf einen Versuch ankommen lassen und das Wahlrecht ausüben. Energischer noch als die Engländerinnen verweigerten sie, als man sie zurückwies, die Zahlung der Steuern. »No taxation without representation« wurde zum Losungsworte der Verfechter der Frauen-Emancipation, eine der ältesten amerikanischen Vorkämpferinnen derselben, Lucy Stone, liess, kaum einige Jahre verheirathet, ihre ganzen Möbel pfänden und verkaufen und schrieb, ihr Baby auf dem Arm, einen leidenschaftlichen Protest gegen die Ungerechtigkeit der Steuerpflicht ohne das Repräsentationsrecht. Eine Pächterin aus Connecticut, Abby Smith, liess sich Jahr aus Jahr ein eine Kuh nach der anderen pfänden wegen Verweigerung der Steuern.

Bei den Präsidentenwahlen im Jahre 1872 stellten sich, gestützt auf das Amendement XIV, welches den Staaten verbiete, Gesetze zu geben, welche die Privilegien und Freiheiten der Bürger der Vereinigten Staaten beschränkten und in Anbetracht dessen, dass das Stimmrecht eines von diesen Privilegien sei, mehrere Frauen in New-York bei der Wahl ein und ihre Stimmenabgabe wurde angenommen. Die Folge davon aber war, dass alle vierzehn Frauen, die gestimmt hatten, und mit ihnen die Wahlinspectoren, die ihre Stimmzettel angenommen hatten, in's Gefängniss wandern mussten. Das Verfahren wurde allerdings gegen dreizehn von ihnen sofort eingestellt, Susan B. Anthony jedoch, die berühmte Vorkämpferin der Frauenbewegung, wurde wegen ihrer Agitation zu Gunsten des Frauenstimmrechts vor den »District Court of the United States of America in and for the northern district of New-York« geführt und mitsammt den Wahlinspectoren für schuldig befunden und zu Geldstrafen verurtheilt.

Drei Jahre später entschied der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten die Frage, ob die Frauen das Stimmrecht besässen, für die ganze Union in negativem Sinne. Nachdem der Oberste Gerichtshof des Columbiadistricts bereits vorher in seinem Urtheil erklärt hatte, dass er betreffs des XIV. Amendements wohl anerkenne, dass die Frauen Bürger sind, insoweit »Bürger« den Gegensatz zu Fremden bedeute, auch dass jeder Bürger fähig ist, das Wahlrecht zu erlangen, dass dies aber nur durch die Autorität der gesetzgebenden Gewalt geschehen könne und diese Gewalt den Frauen nicht das Wahlrecht verliehen habe, dieselben mithin nicht als in dessen Besitz befindlich erachtet werden können, entschied nunmehr auch der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, dass der Ausdruck Bürger der Vereinigten Staaten nur die Zugehörigkeit zur Nation bedeute, dass die Eigenschaft des Bürgers keineswegs den Genuss des Wahlrechts in sich schliesse, dass in den Staaten der Union das Wahlrecht nicht mit dem Bürgerrecht zusammenfalle und das Amendement XIV den Privilegien des Bürgers nichts hinzufüge, sondern nur die bestehenden Rechte garantire und die Begrenzung des Wahlrechtes auf männliche Bürger, daher keine Verletzung der Bundesverfassung sei und die Frauen in allen Staaten, wo diese Bestimmung bestehe, kein Stimmrecht hätten.

Trotz der Wortklauberei, die in diesem Urtheil mit dem Begriff »Bürger« getrieben wurde – thatsächlich unterliegt die Bürgerin genau denselben Verpflichtungen und Voraussetzungen wie der männliche Bürger und müssten ihr daher eo ipso dieselben Rechte zustehen – und der wenig überzeugenden Beweiskraft war für die Vereinigten Staaten die geltende rechtliche Seite erledigt.

Das wenig verlockende Resultat dieser Bemühungen in England und den Vereinigten Staaten von Nordamerika hinderte nicht die Frauen desjenigen Landes, das den Ausgangspunkt der Forderung des Frauenstimmrechts bildete, den gleichen Versuch zu wagen. Unter der dritten Republik wurden die Forderungen des Frauenstimmrechts in Frankreich wieder laut und die Frauen betrachteten das Stimmrecht als ein ihnen gehöriges Recht. Im Jahre 1880 verlangten mehrere Frauen in den Mairien in die Wahllisten eingetragen zu werden. Dasselbe Schauspiel, das England und Amerika gesehen hatte, spielte sich auch hier wieder ab, die Behörden verweigerten die Eintragung, die Frauen beantworteten diese Ungerechtigkeit mit Verweigerung der Steuern und als diese Vorgänge sich 1885 wiederholten, kam es auch hier zu einem richterlichen Entscheid. Die Beschwerdeführerinnen begründeten ihren Anspruch mit der umfassenden Natur des allgemeinen Wahlrechts, indem sie erklärten, dass Französinnen ebensogut wie Franzosen mit dem Worte »Francais« gemeint seien nach der ehrwürdigen lateinischen Formel: pronunciato sermonis in sexu masculino ad utrumque sexum plerumque porrigitur. Die Verfassung, das Wahlgesetz und der Regierungserlass vom Jahre 1848 (der Letztere vom 8. März) haben dem Worte »Allgemeines Wahlrecht« eine so weite Deutung gegeben, dass es vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen sein könne, das weibliche Geschlecht davon auszuschliessen, da es selbst befreiten Sklaven verliehen worden sei.

Das Urtheil des Cassationshofs lautete hierauf wie folgt: »In Erwägung, dass nach den Bestimmungen des Artikels 7 des code civil die Ausübung der bürgerlichen Rechte unabhängig von der Eigenschaft als Staatsbürger ist, welche allein die Ausübung der politischen Rechte verleiht und nur in Uebereinstimmung mit den verfassungsmässigen Gesetzen erworben wird, dass, während die Frauen bürgerliche Rechte in der gesetzlich geregelten Weise geniessen, je nachdem sie verheirathet oder ledig sind, keine Verfassungs- oder Gesetzesbestimmung ihnen den Genuss und folglich die Ausübung politischer Rechte überträgt, dass aber der Genuss dieser Rechte eine wesentliche Vorbedingung für die Eintragung in die Wahllisten ist und dass die Verfassung vom 4. November 1848, indem sie an Stelle des beschränkten Wahlrechts, von dem Frauen ausgeschlossen waren, das allgemeine einführte, dieses nur Bürgern des männlichen Geschlechts zu verleihen beabsichtigte, die bisher allein das Recht genossen hatten, Vertreter des Landes in die verschiedenen, durch die Gesetze geschaffenen wählbaren Körperschaften zu wählen, was deutlich erhellt nicht nur aus dem Text der Verfassung von 1848 und den Akten vom 11. März 1849, vom 2. Februar 1852, vom 7. Juli 1874 und vom 5. April 1884, sondern noch mehr aus dem Geist dieser Gesetze, wie er durch die Arbeiten und Diskussionen bezeugt wird, die ihrer Einführung vorhergingen und auch durch ihre ununterbrochene und unbestrittene Anwendung seit der Einführung des allgemeinen Stimmrechts und der ersten Aufstellung oder Prüfung der Wählerlisten nach der neuen Erweiterung des Wahlrechts, – woraus sich ergiebt, dass durch die Entscheidung, dass Frl. S. B. in die Wählerlisten eingetragen werden solle, das angefochtene Urtheil, weit entfernt, die von der Beschwerdeführerin angezogenen Bestimmungen zu verletzen, sie durchaus richtig angewendet hat – verwirft das Gericht u. s. w.«

Der scharfsinnige Jurist M. Ostrogorski äussert sich zu diesem Urtheil treffend: »Die Frau im öffentlichen Recht« von Ostrogorski, Verlag von Otto Wiegand, Leipzig 1897. »Obgleich die Entscheidung selbst vollkommen mit dem Gesetz übereinstimmt, kann ich doch die Gründe, auf die der Gerichtshof sein Urtheil stützt, nicht anerkennen. Das erste Argument des Gerichtshofes gegen die Forderungen der Appellantin besteht darin, dass keine Bestimmung der Verfassung oder der Gesetze den Frauen jemals politische Rechte verliehen habe. Aber die Frage geht eben dahin, ob ein Gesetz nothwendig ist oder nicht, um die Frauen zu verhindern, eine Stimme zu haben. Die Beschwerdeführerin hob hervor, dass, weil kein Gesetz sie formell vom Wählen ausschliesse, die Frauen berechtigt seien, zu wählen. Der Gerichtshof drehte diese Beweisführung einfach um, indem er sagte, dass, da kein Gesetz ihnen formell zu wählen erlaube, die Frauen von der Wahl ausgeschlossen seien – eine Behauptung gegen eine andere Behauptung. Der vom Gericht angestellte Vergleich zwischen der Ausübung der bürgerlichen Rechte durch Frauen und dem Genuss der politischen Rechte stützt in keiner Weise jene Ausführung des Gerichts, zeigt vielmehr deren Schwäche und das Gewicht der gegnerischen Behauptung. Während das Gericht auf Grund der Abwesenheit ausdrücklicher Bestimmungen über die politischen Rechte der Frauen diesen solche abspricht, beruft es sich andererseits auf das Vorhandensein ausdrücklicher Bestimmungen über die bürgerlichen Rechte der Frauen im Civilgesetzbuch. Aber in Wirklichkeit geniessen die Frauen bürgerliche Rechte nicht auf Grund besonderer gesetzlicher Bestimmung; das Gesetz verleiht ihnen ausdrücklich solche ebensowenig wie politische Rechte. Das bürgerliche Gesetz hebt nur die Fälle der Unfähigkeit der Frauen als Ausnahme von der Regel besonders hervor. Daher gilt überall, wo das Gesetz nicht das Gegentheil bestimmt, die Frau für fähig, selbst wenn sich Artikel 8, wonach »jeder Franzose« bürgerliche Rechte geniesst, sich auf sie erstreckte. Wenn man dieselbe Auslegungsregel auf den Genuss politischer Rechte anwenden könnte, wie der Vergleich des Gerichtshofs annehmen liesse, so würde folgen, dass mangels einschränkender Bestimmungen hinsichtlich ihrer politischen Rechte die Frauen für gesetzlich fähig gehalten werden müssten, diese in vollem Maasse zu gemessen.

Das zweite Argument des Cassationshofes kommt darauf hinaus, dass die Verfassung von 1848 das allgemeine Wahlrecht nur auf männliche Wähler habe ausdehnen wollen, was klar erhelle nicht nur aus dem Text des Gesetzes, sondern mehr noch aus seinem Geiste. In Wirklichkeit erhellt dies aus dem Gesetze keineswegs. Das Gesetz über das allgemeine Wahlrecht vom 5. März 1848 und die späteren Gesetze, welche deren Bestimmungen über den Gegenstand wiederholten, schliessen die Frauen nicht ausdrücklich aus, so wenig als sie die Männer ausdrücklich berufen. Wahlberechtigt sind, nach dem gewöhnlichen Ausdruck »tous les Français de l'âge de 21 ans«, was nach der appellirenden Dame »beide Geschlechter einschliesst«, nach Ansicht des Gerichtshofs aber nur Personen des männlichen Geschlechts umfasst. Diese Behauptung des Gerichts ist indessen eine petitio principii, um so mehr, als in dem bürgerlichen Gesetz, welches der Gerichtshof selbst zu seiner Unterstützung herangezogen hat, der Ausdruck »tout Français« sich auf beide Geschlechter bezieht.

Nun bleibt noch der Grund, dass der Geist der Wahlgesetze und ihre Anwendung in der Praxis mit der Zulassung der Frauen zum politischen Wahlrecht unvereinbar sei. Als Thatsache ist dies wahr genug, aber zur Begründung ist es nicht verwendbar. Man könnte dem das Stillschweigen der Gesetzestexte entgegenstellen, nach dem Rechtssprichwort: »expressa nocent, non expressa non nocent« (um ein ausdrückliches Verbot kommt man nicht herum; Stillschweigen des Gesetzes steht nicht im Wege). Und wenn diese Regel, die überall, wo es sich um die Rechte der Individuen in der Gesellschaft handelt, so sehr am Platze ist, einem höheren Princip weichen soll, welches ist dieses Princip, das das Urtheil des Gerichtshofs zu halten vermöchte?«

Die grelle Beleuchtung, die der Mangel an Logik des gerichtlichen Urtheils durch Ostrogorski erfährt, die scharfe Kritik, der er dasselbe unterzieht, sind um so objectiver, als der Verfasser des ausgezeichneten Buches über »die Frau im öffentlichen Recht« durch einen merkwürdigen Irrthum trotz alledem und alledem doch der Ansicht ist, dass die Forderungen der französischen Frauen, in die Wahllisten eingetragen zu werden, unzulässig seien. Ostrogorski hält nämlich fälschlicherweise die Beziehungen des Individuums zum Staate, der ihm einerseits den Genuss seiner persönlichen Rechte, seiner individuellen Freiheit sichert und ihn andererseits an seiner Regierung theilnehmen lässt, scharf auseinander, das erstere Recht erklärt er für ein absolutes und wenn die Frau nicht ausdrücklich beschränkend als ein ihr zukommendes Recht, das letztere nur für ein relatives und da ihr nicht ausdrücklich verliehenes Recht so für ein ihr eo ipso nicht zukommendes, während thatsächlich beide Rechte in einander fliessen; die persönlichen Rechte, die individuelle Freiheit sind ohne die Theilnahme an der Regierung einfach nicht zu erlangen und darum muss, wenn ihr das Eine gewährt wird, auch nothgedrungen das andere zugestanden werden.

Aus all diesen Irrthümern und willkürlichen Auslegungen der bestehenden Gesetze ist jedoch nur eines ersichtlich: auf dem Wege der Interpretation kommt man nicht vorwärts, hier bedarf es legislativer Massregeln. Wenn daher in neuester Zeit eine kleine Frauengruppe die Absicht hat, auch in Deutschland die »Entdeckung« zu machen, dass die Frauen das Wahlrecht schon besässen, so können wir dies schon heute als ein aussichtsloses Unterfangen bezeichnen und ihnen absolute Erfolglosigkeit prophezeien. Nein, auf diesem Wege ist nichts zu erreichen, dafür sprechen die Versuche in England, Amerika und Frankreich eine nur allzu beredte Sprache. Wollen wir den Sieg erringen, so dürfen wir auch einen frischen, fröhlichen Kampf nicht scheuen, dürfen wir uns nicht die Sache gar so leicht machen wollen und uns dem Wahne hingeben, es würde für uns eine Kleinigkeit sein, den Feind par surprise zu nehmen und zu besiegen. Dazu ist er viel zu zähe, hat er viel zu viele Anhänger, ist er in den Herzen viel zu tief eingewurzelt, das Vorurtheil ist es, das mit der Ehrwürdigkeit seiner Jahrtausende, mit der Bequemlichkeit seines Conservatismus, mit seiner von Generation zu Generation wachsenden Zähigkeit, den hartnäckigsten Feind jeden Fortschritts, jeder Reform darstellt. Paart es sich nun wie in der Frage der Frauen-Emanzipation mit dem Egoismus, der, wenn auch numerisch kleiner, so doch durch seine physische Stärke und seine Macht prädominirenden Hälfte der Menschheit, so bilden sie zusammen einen so gefährlichen Feind, dass es uns nicht Wunder nehmen kann, dass Jahrhunderte zu seiner endlichen und vollständigen Besiegung gehören.

Hat der Egoismus in jenen frühen Zeiten, in denen die physische Stärke allein mass- und ausschlaggebend war – der berühmte Nationalökonom und Philosoph John Stuart Mill sagt darüber: »Die Hörigkeit: der Frau« von John Stuart Mill, Verlag von F. Berggold, Berlin 1891. Pag. 10. »Die Menschen begreifen es gar nicht mehr, wie unumschränkt in früheren Jahrhunderten das Gesetz der überlegenen Kraft zugleich das Gesetz des Lebens war, und wie offen und unumwunden man sich dazu bekannte – hat also der männliche Egoismus durch das Recht des Stärkeren damals die Frau vollständig abhängig von sich gemacht und hat er in der bewussten oder unbewussten Furcht, sie könne diese Abhängigkeit trotz ihrer physischen Schwäche durch ihre intellectuelle Kraft abschütteln, systematisch jede Entwicklung dieser ihrer möglichen Macht niedergehalten, hat er, um einen Zusammenschluss unter den Frauen selbst unmöglich zu machen, das Weib zum Geschlechtswesen gestempelt, das nur dem Manne zu Gefallen lebe, das nur durch ihn jeden Genuss des Lebens erhalten könne und in jedem anderen Weibe die Rivalin zu sehen habe, hat er, um ihr jede Fühlung mit der Oeffentlichkeit, durch die sie dereinst vielleicht Schutz erhalten könnte, untersagt, indem er sie in ihre vier Wände festbannte, durch die kein Schall des Lebens hindurchdrang, durch die sie nichts von der Welt und die Welt nichts von ihr erfuhr, hat der männliche Egoismus es aber glücklich so weit gebracht, jede intellectuelle Kraft, die im Weibe schlummert, in einen todtenähnlichen Schlaf einzuwiegen, so gesellte sich in späteren Zeiten das Vorurtheil hinzu, das die Erfahrungen gegen die Fähigkeiten der Frau in's Treffen führen wollte, jene Erfahrungen, die nichts weiter als der Ausfluss einer systematischen Niederdrückung des geistigen und damit auch des menschlichen Niveaus der Frau waren und über das weibliche Geschlecht, das man absichtlich nicht erzogen hatte, dessen Eigenart man zu studieren sich nie die Mühe genommen hatte, von dem man mit einem Worte nichts wusste, ergoss sich eine Fluth von Schmähungen, die, in Ermangelung von Widerlegung Seitens der Angegriffenen denen zum Theil die Bildung, zum noch grösseren Theil die Freiheit dazu fehlte, nach und nach zu eben so feststehenden als falschen Urtheilen über die Frauen sich verdichteten. Der Sprüchwörterschatz eines jeden Volkes bietet eine Fülle von Beispielen für die Wahrheit dieser Behauptung. Doch wäre es ein Irrthum zu glauben, dass es nicht immer und zu allen Zeiten schon Männer gegeben habe, die die Ungerechtigkeit des Egoismus ihrer Zeit eingesehen hätten. Wie leuchtende Blitze zuckten sie aus dem dunkeln Gewölke barbarischer Anschauungen hervor und enthüllten in blendender Helle die niederen Motive niedriger Denk- und Fühlart.

Der genialste Philosoph des Alterthums, Plato, war es, der zum ersten Male die Superiorität des Mannes angriff, der der Idee der Gleichberechtigung der Geschlechter Worte verlieh. Und zwar waren es nicht kleine Concedirungen, wie sie noch heute von gewissen sich dabei sehr grossmüthig vorkommenden Reformlern in Deutschland den Frauen gemacht werden, die er vorschlug, sondern er ging gleich aufs Volle, griff das Uebel gleich an der Wurzel an, er war sich sofort bewusst, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter eine vollständige sein müsse, dass nicht vor der wichtigsten Frage, der politischen, still gestanden werden dürfe, sondern er legte gerade auf die Theilnahme der Frauen am öffentlichen Leben das Hauptgewicht. Sein Axiom »Es besteht ebenso wenig ein Unterschied zwischen Männern und Frauen in der Befähigung für das öffentliche Leben als dass entweder bloss Langhaarige oder bloss Kahlköpfige Lederarbeiter sein könnten«, ist so treffend, dass er heute nach Jahrtausenden nicht allein von seiner überzeugenden Kraft nichts eingebüsst, sondern im Gegentheil durch die inzwischen gemachten Erfahrungen vollinhaltlich bestätigt worden ist.

In seiner »Republik« sagt Plato: »Es giebt keine Kunst und kein Amt im Staate, für welche die Frau von der Natur nicht genau so befähigt wäre wie der Mann. Es giebt Männer, die den Frauen sehr überlegen sind, es giebt aber auch Frauen, die vielen Männern überlegen sind. Die Art und die Befähigung schwankt unter den Männern ebenso wie unter den Frauen. Frau und Mann sind gleichmässig berufen zur Antheilnahme am Staatsleben, es giebt keinen Unterschied zwischen ihnen in dieser Beziehung. Wenn zwischen den Geschlechtern der Unterschied besteht, dass das Männchen zeugt und das Weibchen gebiert, so besteht in ihren sonstigen Fähigkeiten kein Unterschied und wird mich das nicht hindern zu glauben, dass Frauen und Männer dieselben Functionen ausüben müssen. Es giebt mithin in keinem Staate Functionen, die nur dem Mann oder nur der Frau zukommen, sondern beide Geschlechter theilen dieselben Fähigkeiten. Die öffentlichen Aemter müssen auch beiden Geschlechtern zugänglich sein. Diese Institution ist nicht nur möglich, sondern auch sehr einträglich, denn es giebt für keinen Staat einen grösseren Vortheil als möglichst viele ausgezeichnete Bürger sowohl des einen als auch des anderen Geschlechts zu besitzen«. Vier Jahrhunderte später folgte den schönen Principien des griechischen Philosophen der römische Redner und Staatsmann Cicero. Er verurtheilt die nur im Interesse der Männer gemachten Gesetze und spricht sich gegen die Bevormundung der Frauen aus. Cicero, De Republica Buch IV, Kapitel VI.

Seneca erklärte, dass die Stellung der Frau die Ursache der Rettung oder des Unterganges eines Staates sei: Mulier reipublicae damnum est aut salus.

Eine ganze Anzahl berühmter Philosophen, Juristen, ja sogar einzelne Kirchenväter, bemühten sich, die Ungerechtigkeit der Gesetze den Frauen gegenüber und ihre Motive aufzudecken und zu bekämpfen, allein diese werthvollen und edlen Stimmen sanken wie funkelnde Tropfen in ein Meer des schmutzigsten, schlammigsten Egoismus.

Nicht allein war es die grosse Masse, die sich zu einer edlen, selbstlosen Auffassung noch nicht durchzuringen vermocht hatte, sondern auch Staatsmänner wie Cato scheuten sich nicht, mit folgenden Gründen die Männer zu warnen, den Frauen die geringsten Rechte zu gewähren: »Erinnert Euch an all die Gesetze, durch die Eure Väter die Freiheit der Frauen in Ketten gelegt und sie unter die Macht des Mannes gebeugt haben. Und trotzdem Eure Frauen Euch durch dieselben unterworfen sind, könnt Ihr sie kaum zähmen. Duldet nicht, dass sie sich Rechte von Euch erpressen und dass sie Eure Gleichberechtigten werden, denn wenn sie Euch gleichberechtigt sein werden, werden sie Euch überlegen sein«.

Ist es etwas anderes, als die blasse Furcht, die aus diesen Worten spricht und schimmert sie nicht durch all die Entstellungen, die die Frau erlitten hat, hindurch? Wozu wäre der ganze Aufwand an unwahren und unflätigen Schilderungen der Frau nöthig gewesen, wenn nicht um das Unrecht der Männer zu verdecken und zu entschuldigen?

Der Katholicismus benutzte den Mysticismus, der ihm innewohnt, um die Frau als das böse Princip hinzustellen, als die Ursache des Sündenfalls der Menschheit, als die gefährliche Species, vor der man sich in Acht nehmen müsse, mit der Geistliche nicht unter einem Dach wohnen dürften, die ohne zwei Zeugen nicht ihr Zimmer betreten dürfen. Das Mittelalter stand ganz unter diesem Einfluss, der die Frau immer tiefer und tiefer hinabzudrücken versuchte.

Inzwischen waren den Frauen allerdings auch wieder neue Vertheidiger entstanden, die grossen Verdienste, die sich Diejenigen errangen, die trotz ihrer Unterdrückung durch Zufall oder durch geniale Energie die Barrière, hinter die sie verbannt waren, niedergeworfen hatten, konnten nicht unbemerkt bleiben. Im Jahre 1588 schrieb Baldassare Castiglione Baldassare Castiglione, Il cortigiano, Venezia, Imberti 1588., dass, wenn man in den verschiedenen Epochen den Werth der Frauen mit demjenigen der Männer vergleichen wolle, man finden würde, dass sie den Männern durchaus nicht inferior sind. Er erinnert an all die Frauen, die ihre Königreiche mit weiser Vorsicht und grossem Gerechtigkeitssinn regiert haben, die Krieg erklärt und Siege errungen haben, die alles gethan haben, was Männer nur thun können; er erinnert an all die Frauen, die sich in der Philosophie, in der Poesie ausgezeichnet haben; an diejenigen, die in Prozessen plaidirten und mit Beredsamkeit und Gerechtigkeit das Amt des Klägers oder des Vertheidigers ausübten.

Im siebzehnten Jahrhundert waren es Frauen selbst, die die Vertheidigung ihrer Rechte übernahmen, die Venetianerin Lucretia Marinelli und die Französin Frl. von Gournay veröffentlichten fast gleichzeitig eine Vertheidigung der Frauenrechte, die Aufsehen hervorriefen.

Aber all dies waren mehr oder weniger vereinzelte Erscheinungen, die einen dauernden Einfluss nicht ausübten; der naturrechtlichen Doktrin, jener revolutionären Philosophie des vorigen Jahrhunderts war es vorbehalten, von Grund aus die politische Stellung der Frau von neu zu untersuchen und dies in Verbindung mit dem hehren Freiheitsdrang, der das Ende des achtzehnten Jahrhunderts characterisirt, der bis zur doktrinären Gleichmacherei jedwede intellectuelle und materielle Fessel zu sprengen versuchte, schuf den bahnbrechenden Vertheidiger in Condorcet. Der berühmte und edle Philosoph fand so treffende und wunderbare Argumente für die Sache, die er zu vertheidigen unternahm; er vertheidigte sie so mächtig, dass sie in den verschiedensten Ländern lauten Widerhall fanden. In seinen »Lettres d'un Bourgeois de New-Haven à un Citoyen de Virginie« (1787) schrieb er: »Wir wollen eine ausschliesslich auf die natürlichen Rechte des Menschen, die älter sind als irgend welche socialen Einrichtungen, gegründete Verfassung. Als eines von diesen Rechten betrachten wir das Recht, über allgemeine Interessen, sei es persönlich oder durch freigewählte Vertreter, abzustimmen ... Liegt es nicht in der Natur des Menschen als vernünftiges, mit Gefühl und sittlichen Ideen begabtes Wesen, Recht zu haben? Daher sollten Frauen ganz die gleichen Rechte haben. Entweder hat kein einzelnes Mitglied der menschlichen Gesellschaft irgend welche wahren Rechte, oder alle haben die gleichen, und wer gegen die Rechte eines anderen stimmt, gleichviel welcher Religion, welchem Fache oder welchen Geschlechts, hat hinfort seinen eigenen Rechten entsagt. Ernstlich werden Sie zweifellos dem Grundsatze der Engländer beipflichten, dass man rechtmässig nur den Steuern unterworfen ist, welche man, sei es persönlich oder durch Vertreter, bewilligt hat und aus diesem Grunde folgt, dass jede Frau berechtigt ist, die Zahlung parlamentarischer Steuern zu verweigern.«

Der grosse Denker findet die Beraubung der politischen Rechte der Frau als die Gerechtigkeit beleidigend. Der gesunde Menschenverstand und die republikanischen Principien schliessen jeden Unterschied zwischen Mann und Weib in politischer Hinsicht aus. Eine ernsthafte Beschäftigung würde die Frauen ihren häuslichen Functionen weniger entziehen, als die Vergnügungen und die Zeitverschwendung, zu der ihre Beschäftigungslosigkeit und ihre schlechte Erziehung sie verurtheilen. Sie würden durch dieselbe nur um so geeigneter zur Erziehung ihrer Kinder und zur Bildung der Männer werden. Was nun den Einwand anbelangt, dass ihre Wirthschaftssorgen den Frauen zu wenig Zeit lassen würden, um sich mit den öffentlichen Angelegenheiten zu befassen, so könnte das höchstens ein Grund sein, um ihnen bei einer Wahl nicht den Vorzug zu geben, aber nicht zu einer gesetzlichen Ausschliessung. Condorcet, Essai sur la constitution et les fonctions des assembleés provinciales Paris 1788.
Journal de la Société de 1789, Nummer vom 3. Juli 1790.

Condorcets hochherzige und vom Geiste der Gerechtigkeit durchtränkten Ausführungen zu Gunsten der Gleichberechtigung der Geschlechter schufen eine neue Aera für die Frau. Condorcet ist der Vater der heutigen Frauenbewegung, er war es, der edlen Männern aller Nationen den Anstoss gab, für die bedrängte und unterdrückteste Hälfte der Menschheit einzustehen, er war es, der den Unterdrückten selbst die Zunge löste. Eine der ersten Folgen war denn auch die berühmte Erklärung der Frauenrechte, die Olympia de Gonges der Erklärung der Menschenrechte entgegensetzte: »Die Frau ist freigeboren und gesetzlich dem Manne gleich ... Das Princip aller Souverainetät ruht wesentlich in der Nation, welche nur die Vereinigung von Frau und Mann ist. Freiheit und Gerechtigkeit bestehen darin, jedem alles zukommen zu lassen, was ihm gebührt. So hat die Ausübung der natürlichen Rechte der Frau keine andere Schranke, als die beständige Tyrannei des Mannes ... Das Gesetz muss für alle gleich sein. Da alle männlichen und weiblichen Bürger gleich sind in dem Auge des Gesetzes, müssen ihnen in gleicher Weise alle Würden, Aemter und öffentlichen Einrichtungen zugänglich sein nach ihrer Fähigkeit und ohne eine andere Unterscheidung als die ihrer Tugenden und Talente ... Die Frau hat das Recht, das Schaffot zu besteigen, sie sollte in gleicher Weise das Recht haben, die Tribüne zu betreten. Daniel Sterne »Histoire de la Revolution de 1848« Band II.

Es wurden Versammlungen abgehalten, in denen Männer wie der Abbé Foucher, die Holländerin Mme. Palm Aebler über die Gleichberechtigung der Geschlechter redeten, auch Siéyès sprach sich für die politische Befreiung der Frauen aus und bei der constituirenden Versammlung der Convention vom 15. Februar 1793 las Condorcet im Namen des von der Convention zum Zwecke der Verfassung eines Planes für die Constitution der französischen Republik ernannten Comités einen Bericht vor, der die Gleichberechtigung sämmtlicher Bürger ohne Unterschied des Geschlechts besiegelte. Choix de rapports, opinions et discours prononces à la Tribune Nationale depuis 1789 jusqu'à nos jours. Paris, Erymery, 1820 tome XII année 1793.

Aber die von der Convention im Juni 1793 diktirte und vom Volk acceptirte Constitution trat niemals in Kraft und die Thatsache, dass unter den Auswüchsen der Revolution sich auch der weibliche Abschaum der Gesellschaft befand, lieferte die erwünschte Ausrede, um die einfachsten vornehmsten Principien der Republik mit Füssen zu treten und nicht allein die Wünsche der politischen Befreiung der Frauen im Keime zu ersticken, sondern ihnen auch noch die armseligen Rechte, die sie besassen, wie z. B. Clubs und populäre Gesellschaften zu gründen, in politischen Versammlungen zu amtiren u. s. w., zu nehmen. Diejenigen Frauen, die sich durch edle Begeisterung in diesen Tagen ausgezeichnet hatten, wurden der Vergessenheit anheim gegeben, die schwungvollen Reden einer Olympia de Gonges, die muthige That einer Charlotte Corday wurden nicht erwähnt, aber die Greuelthaten einiger verkommener weiblicher Subjecte, die doch immerhin nur einen sehr geringen Bruchtheil der männlichen tobenden, raubenden, mordenden Subjecte darstellten, wurden dem ganzen Geschlechte zur Last gelegt und die Schreckensmänner glaubten sich allen Ernstes berufen, dasselbe abzuurtheilen. Seltsame Ironie des Schicksals das.

Aber trotz alledem und alledem, trotzdem die nachherige Herrschaft des grossen Frauenverächters Napoleon die schönen von Gleichberechtigung erfüllten Ideen, die im ersten Entwurf zu einem Bürgerlichen Gesetzbuch, den Cambacérès der Convention überreichte, enthalten waren, in einem den Frauen höchst ungünstigen Sinne umzugestalten verstanden hatte, war die endlich in Fluss gebrachte Bewegung nicht aufzuhalten und fand einen lauten Widerhall auch im Auslande. In Deutschland war es Hippel, Hippel, Ueber die bürgerliche Verbesserung der Frauen. Berlin 1792. der in seinem Buche »Ueber die bürgerliche Verbesserung der Frauen« zuerst seiner Enttäuschung darüber, dass die Revolution bei der Erklärung der Menschenrechte die Hälfte der Menschheit vergessen habe, Worte verlieh. Er widerlegte alle Behauptungen über die Inferiorität der Frauen aufs Glänzendste, er deckte rücksichtslos den vollständigen Mangel jeder wissenschaftlichen Basis derselben auf und preist die Frauen als das Licht, das die ganze Welt erleuchtet, als das einzig Schöne auf Erden. Durch ihre vortrefflichen Eigenschaften, durch ihre Einfachheit, ihre Güte, ihr Gottvertrauen, ihre Gerechtigkeitsliebe könnten sie dem Staate neues Leben einflössen. Es müsse ihnen daher ihre Freiheit wiedergegeben werden. So lange sie nur Privilegien und keine Rechte besitzen, so lange sie nur als Parasitinnen auf Kosten der Männer leben werden, werden sie ihre wahre Mission als Gefährtinnen des Mannes, als Mutter ihrer Kinder, als Bürgerinnen statt als Mündel des Staats nie erfüllen können. Der philosophische Denker verlangt daher volle Freiheit für die Frau auf allen Gebieten, er verlangt aber hauptsächlich ihre Theilnahme am politischen Leben, er hält sie für hervorragend befähigt dazu, weil sie sich nicht so wie die Männer vom Parteigeist leiten lassen und besser als diese das Richtige zu treffen wissen würden; sie lieben die Freiheit, sind, wie sie es in England und Frankreich bewiesen haben, von patriotischem Geiste erfüllt und würden die Politik reinigen.

Zu gleicher Zeit erregte in England eine glühende »Vertheidigung der Frauenrechte« London 1792 »Vindication of the Rights of Women«, mit einer Einleitung von Mrs. Fawcett neu herausgegeben London 1890. kolossales Aufsehen. Verfasserin derselben war Mary Wollstonerscraft, deren »Vertheidigung der Menschenrechte in einem Briefe an den Sehr Ehrenwerthen Edmund Burke«, der die neuen französischen Machthaber angeklagt hatte, schon zwei Jahre vorher sehr bemerkt worden war und bei den Liberalen Englands viel Beifall gefunden hatte. Sie beklagt die künstlich erhaltene Inferiorität der Mutter des menschlichen Geschlechts, unter der der Fortschritt der Gesammtheit leide. Die männliche Ritterlichkeit und Galanterie erscheint ihr wie eine Verhüllung der Sklaverei, wie ein Binden mit seidenen Fesseln. Dies könne nur anders werden, wenn die Frau zur gleichberechtigten Genossin des Mannes erzogen werde.

Seit dem Erscheinen dieses Buches, das viel Anfeindungen erfuhr, verschwand die Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter in England nicht mehr vom Tapet, trotzdem sie zu voller Entwicklung in Folge der Reaktion gegen die neuen Ideen erst mehr als ein halbes Jahrhundert später gelangte.

Wieder war es an der Wiege der Frauenbewegung, dass dieselbe neue Nahrung erhielt und zwar durch den Vorläufer des Socialismus, durch den Fourierismus. Der Begründer des nach ihm benannten Systems, Fourier, stellt in seiner Theorie des quatre mouvements Lyon 1808. als fundamentales Princip die vollständige Gleichberechtigung der Geschlechter auf, die Zulassung Aller zu allen Rechten und zu allen socialen Functionen.

Den Fourieristen folgten die Saint-Simonisten, die die Forderung der Frauen-Emancipation noch lauter begehrten und ein Manifest darüber der Deputirtenkammer am 1. October 1830 überreichten.

Es ist ganz selbstverständlich, dass der Socialismus mit seinen weitgehenden radikalen Gleichheitsansprüchen auch die Gleichberechtigung der Geschlechter in sein Programm aufnehmen musste und einer der ersten socialistischen Deputirten, die im französischen Parlament erschienen, Pierre Leroux, verlangte bereits im Jahre 1851 das politische Wahlrecht für die Frauen.

Trotzdem aber Frankreich sozusagen das Geburtsland der Bewegung für die Gleichberechtigung der Frau war, trotzdem in keinem anderen Lande so früh wiederholt die Hauptwurzel des Uebels, die Ursache der Unterdrückung der Frau, ihre politische Hörigkeit angegriffen wurde, so hat es die Führung in dieser Frage längst verloren, ist es thatsächlich erst in dritte und vierte Reihe gerückt. Nicht den Frauen der romanischen Völker war es vorbehalten, die ersten Erfolge zu erringen, trotz wiederholter Anläufe – wie auch die der Italienerinnen im Jahre 1877/78 –, dazu waren die Frauen der arbeitenden Klasse zu unterdrückt, die der oberen zu sehr von den oberflächlichsten und schädlichsten Interessen beherrscht.

Die Frauen der Neuen Welt waren es, die durch ihre ungeheure Energie und Thatkraft die Theorien, die aus der Alten Welt kamen, in der Neuen in die That umsetzten. Bei der jungen Geschichte ihres Landes waren ihre grossen Verdienste um dasselbe nicht so leicht zu vergessen, wie es die auf ihre Traditionen so stolzen Völker zu thun pflegen. Das Vertrauen, das sie sich im Unabhängigkeitskrieg errungen hatten durch ihren Heroismus und Muth, durch ihre glühende Vaterlandsliebe und ihre Uneigennützigkeit, hat sie zu weiterer ernster Arbeit angespornt, hat sie zu energischen, handelnden Persönlichkeiten umgewandelt. An allen Fragen der Politik und des socialen Lebens nahmen sie lebhaften thätigen Antheil und in dem jungen, gährenden, reformbedürftigen Lande ward ihre Hülfe gern entgegengenommen. Als sie nun ihrerseits Rechte begehrten und auf taube Ohren stiessen, liessen sie sich dadurch nicht abhalten, ihre Kräfte weiter dem allgemeinen Wohle zu widmen, gleichzeitig jedoch begannen sie den grossen bis auf die Gegenwart an Dimension sowohl als auch an imponirender Grösse zunehmenden Kampf um ihre Rechte. Die Schottin Frances Wright, die Polin Ernestine Rose, sie alle und viele andere fanden in den Amerikanerinnen ein dankbares Publikum für ihre zündenden Reden über die Emancipation der Frauen. Was ihnen aber in ihrem Kampfe hauptsächlich zu Hülfe kam, das war die abolitionistische Bewegung. Mit dem den Frauen innewohnenden Drang, den Unterdrückten beizustehen, hatten sie sich gleich zu Beginn dieser Bewegung derselben in uneigennützigster Weise gewidmet, hatten sie ihre ganze Kraft zu Gunsten der Befreiung der Sklaven eingesetzt. Aber während dieses Kampfes selbst lernten sie immer mehr die Aehnlichkeit ihrer eigenen Lage mit der der Sklaven erkennen, wurde ihnen das Abnorme, dass sie für die Freiheit einer Menschenrasse kämpften, während sie selbst unfrei waren, immer bewusster, und als im Jahre 1840 bei der Conferenz zur Abschaffung der Sklaverei in London die weiblichen amerikanischen Delegirten nicht zugelassen wurden, da entfesselte dieses Vorgehen einen solchen Sturm der Entrüstung, dass die eigentliche amerikanische Frauenbewegung von diesem Jahre an datirt. Im selben Jahre erschien das treffliche Buch Margaret Fullers »Women in the nineteenth Century«, in welchem sie die politische und bürgerliche Gleichheit der Frauen fordert, Männer wie Lloyd Garrison, Wendell Phillips, O'Connell u. A. betheiligten sich an den Forderungen der Frauen, so dass aus den Kämpfern für die Befreiung der Sklaven allgemach die Kämpfer für die Befreiung der Frauen hervorgingen. Lucy Stone, eine der ältesten und verdientesten Vorkämpferinnen, erzählt ein sehr hübsches darauf bezügliches Vorkommniss aus ihrem Leben. Im Auftrage der Antisklaverei-Gesellschaft hielt sie eine Reihe von Vorträgen gegen die Sklaverei ab. In diese Vorträge mischte sie ausserordentlich viel über Frauenrechte. Als ihr an einem Vortragsabend das Herz so voll über die Frauenfrage war, dass sie in ihrem Vortrage sehr viel über die Frauenrechte und sehr wenig über die Abschaffung der Sklaverei gesprochen hatte, da sagte ihr Freund, der Prediger May und Agent der Antisklaverei-Gesellschaft, der ihre Meetings arrangirte, zu ihr: »Das geht nicht so weiter.« »Ich weiss wohl,« erwiderte sie, »aber ich kann mir nicht helfen, ich war Frau, ehe ich Abolitionistin war und ich muss für die Frauen sprechen.« Sie legte auch ihr Amt bei der Antisklaverei-Gesellschaft nieder und wollte sich hinfort nur der Vertheidigung der Frauenrechte widmen, aber die Gesellschaft wollte eine so vorzügliche Rednerin nicht verlieren und so kämpfte sie weiter für Beide, für die schwarzen männlichen und für die schwarzen und weissen weiblichen Sklaven.

Gleich ihr thaten es eine ganze Anzahl anderer Vorkämpferinnen und ihr Bestreben ging nun dahin, die Frauenbewegung zu organisiren, so wie sie vorher die Antisklavereibewegung organisirt hatten. Dieses Streben gelang und am 19. Juli 1848 hielten die Frauen zu Seneca Falls im Staate New-York unter der Führung von Lucretia Mott, Elisabeth Cady Stanton, Martha C. Wright, Mrs. Jane Hunt, Elisabeth und Mary Mc Clintock ihren ersten Congress ab, auf welchem eine Erklärung der Gesinnungen »History of Woman Suffrage«, herausgegeben von E. C. Stanton, S. B. Anthony und M. J. Gage, New-York 1881. verfasst wurde, in welchen in ebenso massvoller als energischer und geistvoller Weise die politische Gleichheit der Frauen gefordert wurde.

Diesem ersten Congress folgte zwei Jahre später ein zweiter in Worcester im Staate Massachusetts und diese zwei »Women's Right Conventions« wirkten bahnbrechend. In sämmtlichen Staaten der Union bildeten sich Frauenvereine, die für die Gleichberechtigung der Geschlechter auf allen Gebieten eine rührige Thätigkeit entfalteten, glühende Reden wurden allerorts gehalten, die in ein und derselben Forderung gipfelten, kurz, die ganze Frauenbewegung gerieth nun erst in das richtige Fahrwasser.

Und nicht allein in Amerika selbst war die Wirkung der Congresse eine so gewaltige, sondern sie sprang auch auf das Mutterland zurück. Der bekannteste Vorkämpfer der Bewegung zu Gunsten einer radikalen Aenderung der Stellung der Frau, der als Nationalökonom und Philosoph gleich geschätzte John Stuart Mill war es, der den Ruhm Englands, das Vorbild aller liberalen Institutionen zu sein, zu wahren unternahm, indem er rechtzeitig das Augenmerk auf die so nothwendige Aenderung der Gesetzgebung zu Gunsten der Frau hinlenkte.

Der Congress zu Worcester, die Forderungen, die die Amerikanerinnen auf demselben aufstellten und ihr Verhalten daselbst hatten einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht, dass er durch denselben zu seinem ersten Aufsatz über die Zulassung der Frauen zum Wahlrecht inspirirt wurde. Er entwickelte später seine darin geäusserten Ideen immer weiter, bis er in seinem weltbekannten Buche »Die Hörigkeit der Frau« London 1855, in's Deutsche übersetzt von Jenny Hirsch, Berlin, 3. Aufl., 1891. ein Werk schuf, das ihn unsterblich machte, das seiner grossen und selbstlosen Denkweise ein unvergängliches Denkmal setzte, das ihm die ewige Dankbarkeit der Frauen aller Zeiten sicherte. Seit Plato gab es zu allen Epochen vereinzelte Denker, die selbstlos genug waren, dem allgemeinen männlichen Egoismus ihrer Zeit entgegenzutreten, edlere, wahrere Worte als John Stuart Mill hat jedoch kein Mann für die Frauen gefunden.

Es gab keine Seite der Frauenfrage, die er vergessen, keinen thatsächlich erfolgten oder möglichen Einwand, den er nicht glänzend widerlegt hätte. »In den gebildeten Staaten ist mit einer Ausnahme die Ausschliessung der Frauen von den meisten Aemtern und Berufszweigen noch der einzige Fall, in dem Gesetze und Einrichtungen Personen von der Geburt an unter einen gewissen Bann stellen und nicht gestatten, dass sie während ihres ganzen Lebens nach gewissen Dingen streben.« »Die untergeordnete Stellung, zu welcher die Frauen lediglich durch ihre Geburt verurtheilt sind, ist ohne Beispiel in der neueren Gesetzgebung.« Ueber das Stimmrecht zum Parlament sowohl wie für Gemeindeämter sagt Mill: »Es giebt nicht den Schatten eines gerechten Grundes dafür, dass man die Frauen nicht unter denselben Bedingungen und innerhalb derselben Grenzen, wie man sie für die Männer aufgestellt, zur Wahl zulässt. Die Mehrheit der Frauen aus einer Klasse würde in ihrer politischen Ansicht höchst wahrscheinlich nicht viel von der politischen Ansicht der Männer derselben Klasse abweichen, es sei denn, die Frage beträfe Dinge, in welchen die Wohlfahrt der Frauen als solche verflochten wäre. Giebt es aber solche Fälle, so bedürfen Frauen um so mehr des Stimmrechts, als der besten Gewähr für eine gerechte und unparteiische Vertretung. Dies, dächte ich, müsste sogar denen einleuchten, welche sonst in keinem andern der von mir vertheidigten Punkte übereinstimmen ... Was nun die Fähigkeit der Frauen anbetrifft, nicht allein das Wahlrecht auszuüben, sondern selbst Aemter zu verwalten, mit denen eine wichtige Verantwortung der Oeffentlichkeit gegenüber verbunden ist, so habe ich bereits bemerkt, dass diese Erwägung für die praktische Behandlung der vorliegenden Frage nicht wesentlich ist, da jede Frau, die in einem freien Gewerbe etwas leistet, dadurch den besten Beweis liefert, dass sie dafür geeignet ist. Hinsichtlich der öffentlichen Aemter aber sind zwei Fälle möglich: entweder die Verfassung des Landes schliesst unfähige Männer von ihnen aus, dann wird sie mit unfähigen Frauen dasselbe thun, oder sie lässt ohne Prüfung jeden Mann zu, dann wird der Umstand, dass die unbefähigte Person eine Frau statt eines Mannes ist, das Uebel nicht ärger machen.«

Der Apostel der Frauen-Emancipation begnügte sich jedoch nicht mit der theoretischen Anerkennung der Frauenrechte, er wollte sie auch praktisch durchführen. Im Mai 1867 reichte er im Parlament sein berühmtes Amendement ein, an Stelle des Wortes »man« das Wort »person« überall im Gesetz zu setzen, nachdem er sich bereits ein Jahr vorher zum Träger einer Petition gemacht hatte, die von 1499 Frauen unterzeichnet war. »Es ist wahr,« sagte Mill, »dass die Frauen grosse Macht haben und gerade darauf lege ich grosses Gewicht, dass sie so viel Macht haben. Aber sie haben sie unter den schlechtesten Bedingungen, weil sie eine indirekte und daher eine unverantwortliche Macht ist. Ich wünsche, dass diese grosse Macht eine verantwortliche Macht werde. Ich wünsche, dass die Frauen an der rechtschaffenen Ausübung dieser Macht ihr Gewissen betheiligen. Ich wünsche, dass die Frau es nicht bloss als Mittel zu persönlicher Macht betrachte, ich wünsche, dass ihr Einfluss sich durch einen offenen Gedankenaustausch bemerkbar mache, und nicht durch Schmeichelei. Ich wünsche in ihr das politische Ehrgefühl zu erwecken.«

Aber die Frauen selbst begannen nunmehr sich zu regen. Sie begannen sich in die Wählerlisten eintragen zu lassen und unter der Aegide ihrer klugen Führerin, Lydia Becker, erzwangen sie sich, wie bereits oben gezeigt, einen richterlichen Entscheid. Als dieser ungünstig ausfiel, ergriffen sie sofort Massregeln, um eine Reform herbeizuführen, eine Schaar edler Männer gesellte sich ihnen zu und arbeitete innerhalb und ausserhalb des Parlaments für sie und mit ihnen. Versammlungen über Versammlungen wurden abgehalten, Petitionen über Petitionen abgesandt, Amendements über Amendements eingebracht und wenn auch die Stunde der politischen Befreiung der Frau noch nicht geschlagen hatte, so doch wenigstens die der intellectuellen. Im Wintersemester 1867/68 wurden zum ersten Male in Edinburgh 265 Frauen zum Universitätsstudium zugelassen, eine ganze Reihe anderer folgten diesem ersten Beispiel, wenn auch die ersten Grade Frauen erst zehn Jahre später in England verliehen wurden. Im Jahre 1869 gelang es Jacob Bright, einen Antrag durchzubringen, demzufolge die Frauen das Municipalwahlrecht erhielten, 1870 folgte diesem das active und passive Schulwahlrecht, 1888 das Recht, sich an den Grafschaftswahlen zu betheiligen, 1893 das active und passive Kirchenspielwahlrecht.

Auch ihre gemeinrechtliche Stellung erfuhr grosse Verbesserungen, die »Married Women's Property Acts« sicherten der Ehefrau die Verfügung über ihr Verdienst und verschiedene andere Gesetzesänderungen gestalteten ihren einst so schlechten gesetzlichen Status zu einem sehr günstigen um.

Das Endziel allein zu der ganzen grossen Bewegung, die Aufhebung ihrer politischen Hörigkeit, fehlt den Frauen Englands noch. Aber sie arbeiteten wacker an der Erlangung desselben, in den dreissig Jahren, die seit dem ersten Antrag Mills verflossen sind, wurden im Unterhause Frauenwahlrechtsgesetzentwürfe nicht weniger als fünfzehn Mal behandelt, mehrere von ihnen unter ganz merkwürdigen Verhältnissen. Als im Jahre 1884 das den Einwohnern der Städte verliehene Wahlrecht auch auf die ländliche Bevölkerung ausgedehnt werden sollte, da glaubten alle Anhänger des Frauenwahlrechts, die Stunde für dasselbe sei gekommen. Thatsächlich war eine Majorität der Anhänger desselben im Parlament vorhanden. Da gab Gladstone trotz früherer wiederholter Erklärungen der Zustimmung plötzlich die Parole aus, die Frage des Frauenstimmrechts diesmal nicht aufzuwerfen, angeblich, weil er durch dieselbe die Gefährdung der Bill befürchtete und so mussten die Frauen sich wieder einmal bescheiden.

Aehnlich erging es ihnen noch andere Male, aber trotzdem ist es ganz unzweifelhaft, dass ihre Anhänger von Jahr zu Jahr ganz ungeheuer zunehmen. Sie sind ein mächtiger Factor in der Politik geworden. Durch die freiwilligen Arbeitsleistungen in politischen Organisationen, die sie auf sich genommen haben, so bei der Primrose League und bei den verschiedenen Frauenvereinigungen, durch ihre gewaltige Arbeit bei den Parlamentswahlen hatten sie es so gut verstanden, sich die Anerkennung und Dankbarkeit beider Parteien zu erringen, dass nicht allein die Sympathien der Liberalen ihnen gehören, sondern nunmehr auch der grösste Theil der Conservativen geneigt ist, den Frauen das Wahlrecht zu geben.

Allein trotz dieser principiellen Geneigtheit und trotz der immer zahlreichere Unterschriften aufweisenden Frauenpetitionen – die erste im Jahre 1867 enthielt 1499, die von 1873 11 000 und die von 1896 enthielt nicht weniger als 257 000 Unterschriften – wurde der entscheidende Schritt noch immer verschoben, und die Besprechung der Bill von Jahr zu Jahr hinausgeschoben. Da begannen die Wahlrechtsvereine eine fieberhafte Thätigkeit zu entwickeln, am 16. October 1896 fand in Birmingham ein Congress derselben statt, als dessen Resultat »Central Committee National Society for Women's Suffrage«, »Central National Society for Women's Suffrage«, »Manchester National Society for Women's Suffrage«, »Edinburgh National Society for Women's Suffrage« und »Bristol and West of England Branch of the National Society for Women's Suffrage« zu einer Special-Commission zusammentraten, um concentrirt zu wirken. Dem Abgeordneten Faithful Begg gelang es nun, den 3. Februar 1897 für die Besprechung der Bill zu fixiren. Wie erwartet, wurde die Bill in zweiter Lesung angenommen, und zwar mit einer Majorität von 71 Stimmen. Eine Ohrenzeugin der Parlamentsverhandlungen, Mrs. Ashworth Hallett schrieb im »Bath Chronicle«: »Ich sass in der Gallerie und sah Disraeli von der Ministerbank aufstehen, von den erleuchtetsten seiner Anhänger gefolgt, um – damals nur ein kleines Häuflein – zu Gunsten des Frauenstimmrechts zu stimmen. Wieder sah ich von dieser selben Gallerie aus Lord Stafford Northcote sich von diesem selben Sitz erheben, um als Leader des Hauses zu sprechen, das Wahlrecht für die Frauen zu fordern und dann im Verein mit einer grossen Gefolgschaft seiner Partei für das Frauenwahlrecht zu stimmen. Und nun, nachdem ich sechsundzwanzig Jahre für diese Sache gearbeitet habe, war es mir vergönnt, den gegenwärtigen Leiter der conservativen Partei, gefolgt von einer Majorität aller drei Parteien, der Conservativen, der Liberal Unionisten und der Liberalen, zu Gunsten dieser lang verschobenen gerechten Massregel stimmen zu sehen. Dass eine Majorität von Liberalen trotz ihres Führers diese Stimme abgegeben haben, ist eine der bedeutsamsten Thatsachen der Situation«.

Diese Worte spiegelten die allgemeine Stimmung und Ansichten wieder und allgemein erwartete man, dass die Annahme der Bill in dritter Lesung erfolgen würde. Diese wurde zuerst auf den 23. Juni, dann in Folge der Jubiläumsfeierlichkeiten auf den 7. Juli festgesetzt und zwar nahm sie an jenem Tage die vierte Reihe der Tagesordnung ein. Obgleich wenigstens zwei der vorausgehenden Tagesordnungen unter gewöhnlichen Umständen in kürzester Frist ihre Erledigung gefunden hätten, verstand es die der Massregel feindliche Partei, die Debatte derartig auszudehnen, dass die ganze Sitzungsdauer mit zwei ziemlich nebensächlichen Gesetzentwürfen ausgefüllt wurde und die Frauenstimmrechtsbill an diesem Tage nicht mehr zur Discussion gelangte, somit ihr Erfolg für diese Session vereitelt war. Dieses an sich bedauerliche Vorkommnis entmuthigte jedoch die tapferen englischen Vorkämpferinnen nicht. Am 15. Juli desselben Jahres, acht Tage nach dem denkwürdigen Ereigniss, hielt die National Society for Women's Suffrage in Westminster Townhall ihre jährliche Generalversammlung ab, an der die Vorsitzende, Lady Frances Balfour, ihre Rede also begann: »Wir sind hier wieder, wenn auch in spärlicher Zahl, so doch ungebeugt versammelt. Die Ereignisse dieses Jahres sind uns Allen bekannt. Wir hatten zu Anfang des Jahres einen grossen Erfolg und die Majorität, mit der unsere Bill in zweiter Lesung angenommen wurde, war so gross, dass das Unterhaus selbst darüber erstaunt war. Dieses Parlament hat durch diese Annahme das Princip des Frauenwahlrechts anerkannt. Viele meinen, dass wir arg enttäuscht sind über die Ereignisse der letzten Tage, aber ich fühlte mich niemals so wohlgemuth wie jetzt. Ich glaube, dass die Taktik des Unterhauses nicht so beleidigend für die Massregel wie für das Haus selbst war, durch die falsche Methode, die es einem Gesetz gegenüber anwandte, dessen Princip es wenige Monate vorher selbst anerkannt hatte. Ich hörte von einem Gegner, dass er sich so angeekelt fühlte über das, was in jenen wenigen Stunden am Donnerstag vorging, dass er sich entschloss, das nächste Mal, wenn es wieder vor das Haus kommt, dafür zu stimmen. Und es wird wieder vor das Haus kommen. Unsere besten Rathgeber sagen uns, dass wir eine Bill nur ständig einzubringen brauchen und wenn sie mit solcher Majorität angenommen wird wie in diesem Jahr, kann keine Regierung sie übersehen. Es erfordert nur Zeit.«

Das ist es, es erfordert nur Zeit, aber es kommt gewiss und zwar binnen kurzem, das Frauenstimmrecht in England. Sie haben bereits eine gewaltige Majorität erreicht, in der die Misserfolge sie nun zu weiterer Arbeit anspornen – an der eben erwähnten Generalversammlung wurde ein noch engerer Zusammenschluss der einzelnen Frauenwahlrechtsvereine, eine noch intensivere Arbeit, eine noch schärfere Campagne beschlossen – so werden wohl bald die letzten Misserfolge sich in einen schönen grossen Erfolg verwandeln.

Vorausgegangen in dieser grossen Gerechtigkeitsfrage sind dem Britischen Reiche seine Colonien und die parlamentarisch autonome zwischen Schottland und Irland gelegene Insel Man. Als die Gesetzgebung der Letzteren im Jahre 1880 im Begriffe war, seine Wahlgesetzgebung dahin abzuändern, dass das Wahlrecht auf alle männlichen Haushaltungsvorstände ausgedehnt werde, da reichte der Abgeordnete Sherwood ein Amendement ein, im neuen Gesetz das Wort »männlich« auszulassen und das Wahlrecht auf alle Frauen, die den vom Gesetz vorgeschriebenen Bedingungen entsprechen, auszudehnen. Die Kammer nahm diesen Vorschlag mit grosser Majorität an, der Senat weigerte sich, das Wahlrecht auf die Frauen, die nur Miether sind, auszudehnen, sondern wollte es nur den Besitzerinnen gewähren. Es entstand ein Conflict, schliesslich gab die Kammer nach, die Bill wurde in dieser Beschränkung von beiden Kammern und vom Gouverneur angenommen, im Januar 1881 erhielt sie die königliche Bestätigung. Die geringe Anzahl von Frauen, die das Wahlrecht erhalten hatte, machte sehr eifrigen Gebrauch davon und verstand es, durch die Art und Weise, wie sie Gebrauch davon machten, den Senat so gut zu bekehren, dass das Frauenwahlrecht im Jahre 1892 eine Ausdehnung erfuhr und ein Gesetz am 22. März angenommen und am 5. Juli in Kraft trat, dessen massgebender Artikel wie folgt lautet:

»Vom Tage der Verkündigung dieses Gesetzes wird jede volljährige Person, die keiner gerichtlichen Incapacität unterliegt, als Wähler eingeschrieben, und ist alsdann berechtigt, das active Wahlrecht auszuüben, vorausgesetzt, dass sie folgende Qualifikation hat:

Männliche Personen, unverheirathete weibliche Personen oder Wittwen, die Grundeigenthümer oder Miether, Pächter (Occupiers) innerhalb des Wahldistrikts sind, im Werth von mindestens 4 Pfund pro Anno.«

Von einschneidenderer Wirkung als die politischen Errungenschaften auf der nur 60 000 Einwohner zählenden Insel Man, sind diejenigen der nicht nur allein parlamentarisch autonomen, sondern überhaupt nur äusserst lose mit dem Mutterland verknüpften Colonien Australiens. Dort hat die Doppelinsel Neuseeland, diese mächtig aufblühende, siebenhunderttausend Seelen zählende Colonie, in der Parlamentssitzung vom 5. August 1890 zuerst die Frage des Frauenwahlrechts angeschnitten. Der Antrag von Sir Hall, auf alle Frauen das Wahlrecht auszudehnen, erregte eine lebhafte Discussion, als deren Resultat das Unterhaus den Hall'schen Vorschlag mit 37 gegen 11 Stimmen annahm. Das Oberhaus jedoch verwarf den Antrag, und dieses Ergebniss wiederholte sich mehrere Male, bis endlich am 19. September 1893 ein Wahlgesetz zu Stande kam, das mit den Amendirungen vom 6. Octbr. des gleichen Jahres unter dem Titel »the Electoral Act 1893« bahnbrechend für die Frauenwahlrechtsfrage innerhalb der englischen Besitzungen wurde. Englischer juristischer Gepflogenheit entsprechend, bringt das Gesetz in seiner Einleitung eine sogenannte authentische Interpretation sogenannter Stichwörter, es bestimmt nun ausdrücklich, dass, wo immer in diesem Gesetz das Wort »Person« gebraucht wird, dieser Begriff weibliche Personen einschliesse. Im Artikel 6 Theil I ist nun die Qualification zur Ausübung des Stimmrechts wie folgt bestimmt, indem wiederum die authentische Interpretation des Artikels VI lautet: »Qualificationsbestimmungen für Männer oder Frauen.«

Die Mitglieder des Unterhauses werden in jedem Wahldistrict gewählt durch die Stimmen der Einwohner von Neuseeland, die innerhalb ihres Wahldistricts die folgende Qualification besitzen:

1. Jede »Person« im Alter von 21 Jahren und mehr, die innerhalb ihres Wahlkreises innerhalb der letzten sechs Monate Grundbesitz im Werthe von 25 Pfund eignet.

2. Jede »Person« im Alter von 21 Jahren und mehr, die mindestens ein Jahr in der Colonie ihren Wohnsitz hat und in dem Wahldistrict mindestens drei Monate vor Beginn der Wahleinschreibung sich aufgehalten hat.

3. Keine Person darf mehr als in einem Wahlkreis das Wahlrecht ausüben.

Der fundamentale Unterschied in dem Genuss bürgerlicher Rechte der Frauen zwischen der Insel Man und Neuseeland liegt darin, dass abgesehen davon, dass das Wahlrecht in Neuseeland auf breitester demokratischer Grundlage aufgebaut ist, woran wie selbstverständlich auch die Männer participiren, eben diese weitgehende Qualifikation, nicht nur der Wittwe und unverheiratheten Frau sondern jeder weiblichen Person über 21 Jahre, also auch den viel zahlreicheren Ehefrauen, eingeräumt ist, womit vom Standpunkt des activen Wahlrechts jeder Unterschied zwischen Mann und Weib eliminirt ist. Characteristisch sogar für die streng logische Auffassung der neuseeländischen Gesetzgebung nach dieser Richtung hin ist die völlige Gleichstellung des weiblichen Maori mit dem männlichen Ureingeborenen, hinsichtlich der Ausübung des allerdings hier etwas beschränkten Wahlrechts (dieselben können ingesammt nur vier Maoris in das Unterhaus schicken) und ebenso wird auch zwischen Halbbürtigen (Mischlingen von Weissen und Maoris) weiblichen und männlichen Geschlechts kein Unterschied gemacht.

Noch weiter als Neuseeland ging Süd-Australien. Hier besass nach dem Wahlgesetz vom 25. October 1879 jeder Bürger oder Naturalisirte im Alter von 21 Jahren, das active Wahlrecht für das Unterhaus und jeder Grundbesitzer (bei 50 Pfund Grundbesitz) oder Pächter (bei 20 Pfund) oder Hausmiether (25 Pfund) das active Wahlrecht für das südaustralische Oberhaus.

Die Verfassungsänderung vom 21. December 1894 bestimmt nun wie folgt:

1. Das Recht zum Wählen der Personen, die im Parlament als Mitglieder des Oberhauses und des Unterhauses fungiren sollen, wird hiermit auf weibliche Personen ausgedehnt.

2. Weibliche Personen besitzen und üben die ihnen hierin zugesprochenen Rechte unter denselben Qualificationen und in der gleichen Weise wie männliche Personen.

3. Alle Verfassungs- und Wahlakte und alle anderen Gesetze seien hiermit amendirt, um diesem Gesetz Kraft zu geben.

Die Frage des passiven Frauenwahlrechts ist merkwürdigerweise unentschieden geblieben und zwar aus folgendem Grunde: Bei der dritten Lesung stimmten von vierundzwanzig Stimmen dreizehn für das Frauenwahlrecht, nun hiess es vorsichtig sein, um keine Stimme zu verlieren. Die Gegner ihrerseits legten der Bill alle möglichen Hindernisse in den Weg, eines dieser Hindernisse nun bildete der Passus, dass es den Frauen verboten sei, im Parlament zu sitzen, den sie einzufügen wünschten. Da die Vertheidiger des Frauenwahlrechts befürchteten, der Erfolg der Bill könne durch die Aufwerfung der Frage des passiven Frauenwahlrechts gefährdet werden, so begnügten sie sich mit dem Zugeständniss der Gegner, den obenerwähnten Passus hinauszuwerfen; das geschah, und nunmehr ist die Frage, ob die Frauen das passive Wahlrecht in Süd-Australien besitzen, eigentlich unentschieden. Bejaht ist sie in diesem Jahre worden durch die Thatsache, dass eine Frau Miss C. H. Spencer bei den Wahlen für die zur Föderationsconvention zu entsendenden Delegirten, als Delegirte für Süd-Australien gewählt wurde. Ist dieser eine Fall aber zu vereinzelt, um eine so wichtige Frage als entschieden zu betrachten, und lässt sich aus ihm auch kein Schluss ziehen, ob die Frauen sich für das passive Wahlrecht eignen – wollte man es thun, so würde man zu einem sehr günstigen Schluss gelangen, da Miss Spencer eine ganz hervorragende Politikerin ist, doch liegt es mir fern, nach einem einzigen Fall zu generalisiren – so sind die Erfahrungen über das active Frauenwahlrecht in den beiden eben behandelten Colonien um so zahlreicher und nicht minder günstig.

Bei der ersten Wahl im Jahre 1893 machten von 109 461 eingeschriebenen Frauen 90 290 = 82 Procent von ihrem neuen Recht Gebrauch, während von 177 701 eingeschriebenen Männern nur 124 439 = 70 Procent. Die Wahlen waren in Neuseeland noch nie vorher so ruhig und anständig verlaufen, der allgemeine Ton war bedeutend besser geworden und wer erwartet hatte, dass die Frauen conservativ wählen würden, sah sich gründlich getäuscht, die conservative Partei erlitt eine grosse Schlappe, die Frauen standen in der Mehrzahl auf Seiten der kleinen Farmer und der Arbeiterklasse, sie hatten liberal gewählt und ausserdem die Candidaten auf ihren moralischen Werth hin geprüft. Aehnlich waren die Resultate in Süd-Australien. Der »South Australien Argus« sagt über die Allgemeinen Wahlen vom 25. April 1896: »Die Frauen waren überall und ihre Anwesenheit in den Strassen, an den Urnen übte zweifellos einen verfeinernden Einfluss aus – niemals hatten wir noch ein so anständiges Benehmen der Menge gesehen als dasjenige, das die erste Ausübung des Frauenwahlrechts hier auszeichnete. Sogar die Nonnen übten ihr Wahlrecht aus und es war ein malerisches Bild, als durch die bunte Menge in North Adelaide die Schwestern des Dominikanerklosters in ihren düsteren Gewändern einherzogen unter der Führung ihrer Oberin, ruhig, ernst und gütig.«

Die Regierungen der beiden Colonien haben sich wiederholt wohlwollend und befriedigt über die Resultate der politischen Freiheit der Frau ausgedrückt, zuletzt gelegentlich der obenerwähnten Generalversammlung der »National Society for Women's Suffrage« in Westminster Townhall und zwar sowohl der Premierminister von Neuseeland Hon. M. Saddon, als auch der Premierminister von Süd-Australien, Mr. Kingston; der letztere schrieb: »Ihre Gesellschaft hat meine lebhafteste Sympathie und ich beziehe mich mit verzeihlichem Stolz auf die Thatsache, dass die gegenwärtige südaustralische Regierung durch den guten Willen des Parlaments in der Lage war, allen Grossjährigen Süd-Australiens das Wahlrecht zu gewähren. Unsere Frauen schätzen dieses Privilegium ebenfalls und üben es intelligent und fleissig aus.«

Bei solch vorzüglichen und einwandsfreien Zeugnissen über die Resultate des Frauenstimmrechts in Neuseeland und Südaustralien muthet es sonderbar an, wenn deutsche Zeitungen, wie jüngst die Münchener Allgemeine Zeitung, aus der Thatsache, dass bei den Verhandlungen der Föderationsconvention die Anträge mehrerer Mitglieder zu Gunsten der Einführung des Frauen-Stimmrechts für die Wahlen zum künftigen australischen Bundesparlament abgelehnt worden sind, den Schluss ziehen wollen, dass dies ein Zeichen sei, dass man nach den bisher in Australien gemachten Erfahrungen sich keine besonderen Vortheile von der Zulassung der Frauen zur Wahlurne verspreche. Diese Schlussfolgerung ist ebenso unlogisch als leichtsinnig, unlogisch, weil, da nur zwei von den sieben australischen Colonien das Frauenwahlrecht besitzen, die Vertreter derselben in der Minorität waren; da aber nur diese von Erfahrungen sprechen konnten und gerade sie es waren, die die betreffenden Anträge einbrachten, so spricht dies im Gegentheil für gute Erfahrungen; leichtsinnig, weil, wenn der Referent kein anderes Material über diese Frage besass, er sich hätte hüten müssen, sein Urtheil auf einen Trugschluss aufzubauen. Wenn er dann aber noch boshaft hinzufügt, in Süd-Australien haben die Frauen das politische Wahlrecht, sie können zu allen Aemtern erwählt werden, es denkt aber kein Mensch daran, es zu thun, so schlägt das den Thatsachen in's Gesicht. Wie ich oben gezeigt habe, besitzen die Frauen in Süd-Australien nicht das passive Wahlrecht, resp. ist diese Frage unentschieden, und trotzdem hat nicht nur ein, sondern über siebentausend Menschen haben daran gedacht und es auch ausgeführt, Miss Spencer als Delegirte zur Föderationsconvention zu wählen. Die weiteren Bemerkungen der M. A. Z. stimmen mit den von mir berichteten Thatsachen überein, nämlich dass die vielfach gehegte Vermuthung, die weiblichen Wähler würden die conservative Partei verstärken, sich nicht bestätigt habe, dass der Klerus in seinen Erwartungen getäuscht war und dass die Frauen den als Don Juans bekannten Politikern scharf zu Leibe gingen. Ich denke, dass all das dem oben citirten Urtheil der M. A. Z. vollständig widerspricht; denn das allgemeine Niveau heben, besonders den moralischen Standard der Candidirenden, liberal wählen, den Bedrängten und Arbeitenden beistehen, das sind alles so vorzügliche Resultate, dass sie alle Erwartungen weit übertroffen haben, sind doch alle Frauen sozusagen politische Autodidakten.

Dass die Mehrzahl der Mitglieder der Föderationsconvention sich nicht entschliessen konnte, den Frauen das Stimmrecht für die Wahlen zum künftigen australischen Bundesparlament zu gewähren, ist nicht verwunderlich, da sie es, wie bereits bemerkt, in den anderen fünf Colonien noch nicht besitzen, doch ist es zweifellos, dass es daselbst nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. In Victoria ist ein bezügliches Amendement bereits 1873 vom Unterhaus angenommen worden, ein Telegramm vom 23. September ds. macht bekannt, dass der Premier, Sir George Turner, in der Ansprache an seine Wähler denselben ankündigte, dass er eine Wahlreform einbringen wolle, derzufolge jeder Erwachsene wahlberechtigt sein solle. In Westaustralien ist das Frauenwahlrecht im Jahre 1893 nur mit einer Stimme verworfen worden. In Tasmanien wurde es vom Unterhaus wiederholt angenommen; zuletzt am 22. September 1896. In Neu-Süd-Wales wurde es vom Unterhaus mit einer Majorität von fünfunddreissig Stimmen am 12. August 1897 angenommen.

Ist auch das Oberhaus in all diesen Colonien stets das Hinderniss, an dem die Durchführung der politischen Gleichberechtigung von Mann und Weib scheitert, so ist sie, wie das Beispiel von Neuseeland und Süd-Australien gezeigt hat, doch nur eine Festung, zu der zwar verschiedene wiederholte Anläufe nöthig sind, die alsdann aber um so sicherer genommen wird.

So wie die australische Föderationsconvention sich nicht entschliessen konnte, das Frauenwahlrecht der künftigen Verfassung einzuverleiben, weil es in der Majorität der staatenbildenden Colonien noch nicht Fuss gefasst hatte, also war der Gang der Dinge in Nordamerika. Dort traten dem Anstürmen der Frauenrechtlerinnen, im Bundesstaat Sitz und Stimme zu erhalten, zwei wichtige Factoren entgegen. Die blosse authentische Interpretation des berühmten 14. Amendements, mit denen die Frauen operiren wollten, wurde vom obersten Bundesgericht mittelst Entscheidung vom Jahre 1874 als unrichtig zurückgewiesen und an eine Verfassungsänderung, derzufolge weibliche Personen den männlichen gleichgestellt werden sollten, wagte man sich nicht, da eine Verfassungsänderung – die letzte geschah nach dem Secessionskrieg – in Nordamerika nur unter den denkbar grössten Schwierigkeiten möglich ist; die Agitation verlegte sich deshalb von selbst in die Einzelstaaten.

Und sie wurde in denselben, wie bereits oben gezeigt, in rührigster Weise entfaltet. Sonderbarer Weise waren jedoch die ersten politischen Erfolge im ersten amerikanischen Staate, oder vielmehr damals noch Territorium, nicht dem directen Einfluss der frauenrechtlerischen Bestrebungen zuzuschreiben. Es existiren mehrere Versionen über die Ursachen dieses weltgeschichtlichen Ereignisses, das dem damals gänzlich unbekannten, eben erst der Wildniss abgerungenen Territorium Wyoming einen dauernden ehrenvollen Platz in der Geschichte zuweist. Daran ändert auch die Thatsache nichts, dass die überwiegende Mehrzahl der Wyominger Gesetzgeber sich der weittragenden Bedeutung ihres Entschlusses anscheinend durchaus nicht bewusst waren. Nach der Darstellung von Dr. Louis Frank Essai sur la Condition Politique de la Femme, Paris 1892. war es einerseits nichts als Reklame-Interesse, das die ersten Gesetzgeber von Wyoming veranlasste, den Frauen die politische Mündigkeit zu gewähren, der Wunsch, durch die originelle Gesetzesneuerung die Blicke der Welt auf den verlorenen Erdenwinkel Wyoming hinzulenken, andererseits die Hoffnung, dadurch mehr Frauen heranzuziehen, die damals dort noch in grosser Minderheit waren. Noch im Jahre 1880 wurden auf hundert Männer nur 47 Frauen gezählt.

Bryce The American Commonwealth, London and New-York 1891. hingegen giebt einer anderen, vom späteren Wyominger Gouverneur Hoyt vertretenen Ansicht Raum. Derselbe berichtet: »Ein grossherziger Gesetzgeber von Wyoming ging und sprach mit anderen Mitgliedern der Legislatur. Sie lächelten. Aber er fand einen Juristen, der ihm half, einen kurzen Gesetzentwurf zu formuliren, den er einbrachte. Derselbe wurde in Erwägung gezogen und diskutirt. Die Leute lächelten alle. Man erwartete nicht, dass dergleichen angenommen werden würde, aber der Urheber des Gesetzentwurfes war schlau und er verlegte sich auf folgendes Mittel, um die Majorität zu erreichen. Er wandte sich an die Demokraten und sagte: Wir haben einen republikanischen Gouverneur und eine demokratische Versammlung. Wenn wir uns zusammenthäten, damit die Versammlung das Gesetz annähme und, wenn der Gouverneur sein Veto einlegte, so würden wir, Sie verstehen mich, uns eine gute Position verschafft haben; wir würden unseren Liberalismus bewiesen und doch nichts dabei verloren haben. Aber verrathen Sie nichts davon. Die Demokraten versprachen es. Er ging darauf zu den Republikanern und sagte ihnen, dass die Demokraten bereit seien, für seinen Vorschlag zu stimmen, und dass sie, wenn sie nicht ihren politischen Einfluss verlieren wollten, besser thäten, auch dafür zu stimmen; zwar glaube er auch dann nicht, dass das Gesetz durchgehen werde, aber ihr Votum würde bemerkt werden und das Spiel der anderen Partei durchkreuzen. So liessen sich die Republikaner gleichfalls überreden. Als die Bill zur Abstimmung kam, wurde sie richtig angenommen. Die Mitglieder sahen sich erstaunt an, denn sie hatten keineswegs beabsichtigt, das Gesetz wirklich durchzubringen. Dann lachte man und dachte, es wäre ein Streich, den man dem Gouverneur spielen wollte. Die Bill wurde ihm vorgelegt und er zögerte nicht, sie zu unterzeichnen. Sein Herz war gerecht.«

Die auf diese Weise Gesetzeskraft erlangenden, auf das Frauenwahlrecht Bezug habenden Paragraphen der Constitution von Wyoming lauten wie folgt:

Artikel VI.

Wahlrecht.

Abtheilung I. Das Recht der Bürger von Wyoming, zu wählen oder Staatsstellungen einzunehmen, soll ihnen nicht aus Geschlechtsrücksichten entzogen oder gekürzt werden. Sowohl die männlichen als auch die weiblichen Bürger dieses Staates sollen gleichmässig alle bürgerlichen, politischen und religiösen Rechte und Privilegien geniessen.

Abtheilung II. Jeder Bürger in den Vereinigten Staaten im Alter von 21 Jahren und mehr, der im Staate oder Territorium ein Jahr wohnte und in seiner Grafschaft sich sechzig Tage vor dem Tag der Wahl aufgehalten hat, ist berechtigt zu wählen ...

Abtheilung V. Niemand soll in seinem Staat als wahlberechtigt erscheinen, ohne Bürger der Vereinigten Staaten zu sein.

Abtheilung VI. Geisteskranke, Schwachsinnige, oder durch Aberkennung bürgerlicher Rechte Bestrafte, sind von der Befähigung zum Wählen ausgeschlossen ...

Abtheilung IX. Niemand hat das Recht zu wählen, der nicht fähig ist, die Constitution dieses Staates zu lesen.«

Gleichviel welchen Umständen nun die Frauen Wyomings ihre politische Freiheit verdanken, der indirecte Einfluss, den die Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten auf die Männer, denen dieselbe zu verdanken ist, ausübte, ist nicht zu verkennen; Thatsache ist, dass sie sie erhalten haben, und zwar in weitgehendster Weise, indem ihnen nicht allein das active, sondern auch das passive Wahlrecht ohne jede Einschränkung gewährt wurde.

Für die Vertheidiger der Frauenrechte aber war es von höchstem Interesse, dass es endlich ein Fleckchen Erde gab, das sich bereit erklärte, die Probe auf das Exempel zu machen. Und sie gelang ausgezeichnet. Nach achtjähriger Erfahrung gab der General Thayer, früherer Senator der Vereinigten Staaten, Gouverneur von Wyoming, folgende Erklärung ab: »Das Frauenwahlrecht ist seit acht Jahren auf unserem Territorium in Function und hat nicht verfehlt, sich in steigendem Maasse Vertrauen und Popularität zu sichern. Meiner Ansicht nach sind die Resultate sehr wohlthuend und sein Einfluss ist ein günstiger für die werthvollsten Interessen der Allgemeinheit.«

Der bereits citirte Gouverneur John W. Hoyt schildert in seiner Botschaft vom 12. Januar 1882, fünf Jahre später, den Einfluss des Frauenrechts in Wyoming, als einen höchst dankenswerthen. »Unter dem Scepter dieser gleichberechtigenden Legislatur haben wir bessere Gesetze, bessere Magistrate, bessere Institutionen und das Niveau unseres socialen Lebens ist ein höheres als irgendwo anders. Keines der Uebel, die man uns prophezeite, als da sind Verlust der Weiblichkeit, Gefährdung des häuslichen Friedens, sind eingetroffen. Die grosse Mehrzahl der Frauen, und die besten, haben das Wahlrecht als Wohlthat angenommen und üben es wie eine patriotische Pflicht aus.« In ähnlichem Sinne haben sich alle anderen Gouverneure Wyomings ausgesprochen und die Beobachtungen von Reisenden bestätigten diese Bekundungen. Ein englischer Reisender und Publicist, Horace Plunkett The working of woman suffrage in Wyoming »The Fortnigthly Review« Mai 1890. constatirt, dass in Wyoming die Zahl der Analphabeten geringer ist als in irgend einem anderen Staate Nordamericas. 80 Procent aller Frauen machen von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Das Familienleben habe absolut nicht darunter gelitten, ebensowenig die Verehrung, die alle Amerikaner den Frauen erweisen. Bei der Wahl der Candidaten sehen sie sehr auf die Moralität derselben. Das Frauenwahlrecht hat in Wyoming das Hazardspiel verboten und die Prostitution abgeschafft, ebenso hat es die Sonntagsruhe eingeführt und die Arbeitsbedingungen in den Minen verbessert, die Anwesenheit der Frauen an der Urne haben den Wahlen eine Ordnung und Ruhe verliehen, die in den Vereinigten Staaten bis dahin ungekannt waren. Alles zusammenfassend, sagt Plunkett: Niemals ist einer socialen Reform so viel Misstrauen begegnet, als wie die Zulassung der Frauen zum Wahlrecht, und niemals hat eine sociale Reform – wenigstens in Wyoming – eine moralischere und glücklichere Wirkung ausgeübt als diese.«

Als im Jahre 1889 die Unterhandlungen eingeleitet wurden, das Territorium Wyoming in einen Unionsstaat zu verwandeln, da wurde auch die Frage erörtert, ob das Frauenwahlrecht aufzugeben oder beizubehalten sei. Eines der Kammermitglieder erklärte: »Es sei besser ein bescheidenes Territorium mit dem Frauenwahlrecht zu bleiben, als ein Staat ohne Frauenwahlrecht zu werden.« Diese Erklärung ist um so charakteristischer für das Vertrauen, das das Frauenwahlrecht sich errungen hat, als die Erhebung eines Territoriums zum Range eines Staates gleichbedeutend mit der Mündigsprechung desselben ist. Und dieser heissersehnten Mündigsprechung verlustig zu gehen, riskirte die grosse constituirende Versammlung, indem sie einstimmig sich für Beibehaltung des Gleichberechtigungsprincips erklärte. Am 10. Juli 1890 ward Wyoming trotz seines oben citirten Paragraph VI in den Staatenbund der Nordamerikanischen Republik aufgenommen.

Ein Jahr, nachdem Wyoming den ersten Schritt auf dem Wege der politischen Gleichberechtigung der Frauen gethan hatte, folgte ihm das benachbarte Territorium Utah. Hatten die Mormonen das Frauenwahlrecht durchgesetzt, um die Vielweiberei zu erhalten, so gelang ihnen dies mit Hülfe der Mormonenweiber so gut, dass der Congress sich genöthigt sah, im Jahre 1882 sämmtlichen Polygamen und Bigamen und ihren Frauen das Wahlrecht zu entziehen, und als die Feststellung der Letzteren zu Schwierigkeiten Anlass gab, entzog im Jahr 1887 die sogenannte Edmundsbill, die gleichzeitig alle Güter und Kirchen der Mormonen mit Beschlag belegte, sämmtlichen Frauen Utahs das Wahlrecht.

Die Bevölkerung von Utah, die nicht zu den Mormonen gehörte, war jedoch mit dieser Verfügung durchaus nicht einverstanden, ihr Gerechtigkeitsgefühl lehnte sich dagegen auf, alle Frauen die Missbräuche der Mormonen entgelten zu lassen und als der Purificationsprocess sich in Utah vollzogen hatte, als die Vielweiberei endlich aufgehört hatte, und als das Territorium im Begriffe war, die Bevormundung des Bundescongresses abzuschütteln und sich in einen Staat zu verwandeln, da vergass das aufblühende Land seine Frauen nicht, sondern nahm das Frauenwahlrecht in die Verfassung auf. Die Constitution vom 8. Mai 1885 lautet in ihrem für uns massgebenden Theil: Artikel IV. Abtheilung I. Die Rechte der Bürger des Staates Utah, zu wählen oder eine Staatsstellung einzunehmen, dürfen ihnen wegen ihres Geschlechtes weder verneint, noch verkürzt werden. Die männlichen und weiblichen Bürger dieses Staates geniessen gleichmässig alle bürgerlichen und politischen Rechte und Privilegien.

Artikel VI, Abtheilung V bestimmt, dass die passive Wahlfähigkeit für Senat und Repräsentantenhaus nur abhängig ist vom Vereinigten Staatsbürgerrecht, Alter von 25 Jahren und activem Wahlberechtigtsein.

Wie in Wyoming haben die Frauen Utahs mithin das volle active und passive politische Stimmrecht. Ueber die kurzen Erfolge desselben schreibt mir der Gouverneur von Utah, H. Wells, in einem Brief von diesem Jahre: »Ich versichere Sie, dass das Gesetz sehr erfolgreich functionirt und dass die Frauen in unserem Staate jetzt ein mächtiger Factor sind. Ihr Einfluss bewegt sich in den richtigen Bahnen und sie stehen den besten Elementen der männlichen Bürger bei in Verhinderung corrupter Vorgänge bei den Wahlen und im Fernhalten schlechter Elemente von den Staatsämtern.«

Aber der Congress, der den beiden Territorien Wyoming und Utah nicht das Recht bestritten hatte, das Frauenwahlrecht ihrer Constitution einzuverleiben, that es einem dritten Territorium Washington gegenüber, indem er daselbst die Akte, die am 22. November 1883 den Frauen das Stimmrecht verliehen hatte, im Jahre 1886 für null und nichtig erklärte, angeblich weil sie nicht der Vorschrift entspreche, wonach der Inhalt jedes Gesetzes in einer Ueberschrift über dem Texte angegeben sein müsse. Als die Gesetzgebung von Washington sich beeilte, ein neues Gesetz vorzulegen, das einen vollständigeren Titel trug, erklärte der Gerichtshof auch das neue Gesetz für null und nichtig, weil die Gesetzgebung des Territoriums kein Recht hatte, den Frauen das Wahlrecht zu verleihen.

Dieses Vorgehen des Congresses wirkte so einschüchternd auf das Territorium, dass, als es im November 1889 zum Rang eines Staates erhoben wurde, es nicht wagte, bei Einreichung seiner Verfassung an den Congress darin das Frauenstimmrecht aufzustellen.

Einen um so grösseren Sieg brachte das Jahr 1893 den Frauen. Das Silberland Colorado, ein zehnmal so dicht bevölkertes Land als Wyoming und doppelt so viel Einwohner als Utah zählend, erhob im November jenes Jahres das Frauenwahlrecht mit einer Majorität von 7500 Stimmen zum Gesetz, nachdem es dasselbe im Jahre 1877 mit einer Mehrheit von 9000 Stimmen verworfen hatte. Ein vielsagender Umschwung!

Die massgebende Abtheilung I des Gesetzes des neunten Congresses lautet: »Jede weibliche Person ist berechtigt, an allen Wahlen theilzunehmen in der Weise, wie die männlichen Personen ihr Wahlrecht ausüben dürfen, gemäss der Verfassung und den Gesetzen dieses Landes und gemäss der Qualifikation hinsichtlich Alter, Bürgerrecht, Aufenthaltszeit innerhalb des Staats und aller anderen Qualificationen, die das Gesetz von den männlichen Personen zur Ausübung des Wahlrechts verlangt.«

Die Frauen griffen nunmehr energisch in die zerfahrenen politischen Verhältnisse des Landes ein und wendeten sich hauptsächlich gegen die Corruption. Die von ihnen geschlagene Partei versuchte sich zu rächen, indem sie das Frauenwahlrecht als verderblich hinstellen wollte. Um diesen böswilligen Erfindungen ein Ende zu machen, wurde am 18. December 1896 nach dreijähriger practischer Bestätigung des Frauenwahlrechts folgende Erklärung verkündet:

»Wir, Bürger des Staates des Colorado, wünschen als Freunde der Wahrheit und Gerechtigkeit unser Zeugniss abzulegen über den Werth des Frauenwahlrechtes.

Wir glauben, dass die grössten Güter, der Friede des Staates und der Nation, gewonnen haben durch die Ausübung des gleichberechtigten Wahlrechts. Die prophezeiten Uebel sind nicht eingetroffen. Die wohlthuenden Erfolge hingegen, die man sich hiervon versprach, sind eingetroffen oder in der Entwicklung begriffen. Ein sehr grosser Procentsatz der Frauen von Colorado haben ihre Verantwortlichkeit als Bürger gewissenhaftest ausgeübt. 1894 gehörte mehr als die Hälfte der Stimmen bei den Wahlen für den Gouverneur Frauen an. 85-90 Procent sämmtlicher Frauen von Colorado stimmten damals. Die genaue Ziffer der letzten Wahlen konnte noch nicht festgestellt werden, aber die begründete Annahme geht dahin, dass die Verhältnisszahl der wählenden Frauen ebenso gross war wie in früheren Jahren.

Die Stimme guter Frauen wie die guter Männer kann sich nicht ganz frei machen von den schlimmen Resultaten, die der Missbrauch unseres gegenwärtigen politischen Systems mit sich bringt; aber die Stimmen der Frauen sind merklich gewissenhafter als die der Männer und werden sicherlich einen bedeutsamen Factor bilden in der Herbeiführung besserer Zustände.«

Folgen die Unterschriften des gegenwärtigen Gouverneurs, zweier Ex-Gouverneure, des zukünftigen Gouverneurs, verschiedener Senatoren, Parlamentsmitglieder, Mitglieder des Obersten Gerichtshofs, des Apellationsgerichtshofs, Universitätsrectoren und Professoren und einer grossen Anzahl anderer officieller Persönlichkeiten.

Mir selbst schrieb der Staatssecretär von Colorado, A. B. Mcgaffey: »Unter der gegenwärtigen Constitution haben Frauen in Colorado genau dieselben Bürgerrechte wie Männer, ohne den geringsten Unterschied ... Die Leute von Colorado sind vollständig befriedigt über das Experiment. Die Frauen dieses Staates wählen ebenso zahlreich wie die Männer und betheiligen sich an allen Wahlen und zwar sowohl an den Staats- und Grafschafts- als auch an den städtischen Wahlen ... Ein Argument, das stets gegen das Frauenwahlrecht gebraucht wurde, war dasjenige, dass es die Frau ihrer Würde und Weiblichkeit berauben und dass es sie degradiren würde an der Politik und den Wahlen theilzunehmen. Diese Befürchtung hat sich in Colorado durchaus nicht bestätigt. Wenn eine Aenderung stattgefunden hat, so ist es die, dass der Standard der Conventionen, politischen Versammlungen und Wahlen ein höherer geworden ist ... Wir können nicht bemerken, dass unsere Frauen irgend etwas eingebüsst haben an jenen characteristischen Eigenschaften, die die Menschheit am meisten bewundert und es ist im Gegentheil über alle Zweifel erwiesen, dass die Frau ihre guten Eigenschaften behalten und gleichzeitig Bürgerpflichten ausüben kann ... Im Ganzen kann ich getrost und ohne einen Widerspruch von denjenigen, die Gelegenheit hatten, die Ausübung des Frauenwahlrechts in unserem Staate zu beobachten, befürchten zu müssen, versichern, dass es ein zweifelloser Erfolg war und dass es einen noch zunehmenden wohlthuenden Einfluss ausüben wird, je vertrauter die Frauen mit den ihnen auferlegten neuen Pflichten werden.«

Der vierte Staat der Union, der die Gleichberechtigung der Frau proclamirte, war Idaho. Am 11. Januar 1895 nahm der Senat, am 17. das Repräsentantenhaus und am 21. der Gouverneur folgendes Verfassungs-Amendement an: Abtheilung I. Die Abtheilung II der Constitution von Idaho sei wie folgt abgeändert: Jeder männliche und weibliche Bürger der Vereinigten Staaten im Alter von 21 Jahren, der sich im Staat oder Territorium sechs Monate und im Wahldistrict dreissig Tage vor Beginn der Wahl aufgehalten hat und gesetzmässig in den Wahllisten figurirt, sei zum activen Wahlrecht berechtigt.« Dieses Amendement ist vom Volk von Idaho angenommen worden.

Es ist wohl kaum einem Zufalle zuzuschreiben, dass es vier Nachbarstaaten sind, die den Frauen die von ihnen begehrten politischen Rechte gewährt haben, sondern es spricht dafür, dass gerade das nahe und gute Beispiel mit dazu beigetragen hat, alle Vorurtheile zu entkräften und ad absurdum zu führen.

In den älteren Staaten ward der Kampf ein härterer, hier stellte sich ähnlich wie in Europa die historische Tradition hindernd in den Weg und nur stückweise liessen und lassen sie sich ein Recht nach dem anderen von den Frauen abringen. Aber die Kämpferinnen für Gleichheit und Gerechtigkeit liessen sich davon nicht abschrecken, sie agitirten, petitionirten, protestirten und bombardirten sämmtliche Senate und Repräsentantenhäuser der Unionsstaaten und wenn ihnen die Bedingungen für eine Verfassungsänderung noch nicht reif genug schienen, so begannen sie mit der Forderung geringerer Rechte, die die Stellung der Frau verbesserten und gleichzeitig den Weg bahnten zur Gewährung der Hauptforderung. So verlangten und erhielten sie in einigen zwanzig Staaten das Schulwahlrecht, das Recht, als Schulräthinnen und Schulcuratorinnen ernannt zu werden, gleiche Eigenthumsrechte für Mann und Frau, das Vormundschaftsrecht, gleiche elterliche Gewalt für Vater und Mutter, das Recht als Fabrikinspectorinnen, Hospital-Irrenärztinnen, gerichtliche Verwalterinnen und Polizeimatronen ernannt zu werden, die Hinaufsetzung des Schutzalters für Mädchen u. a. m.

Was diese Errungenschaften im Laufe weniger Decennien bedeuten, welch eine Revolution sie in der Frauenwelt und in den Ansichten über die Frau hervorgerufen haben, welch immensen Fortschritt sie darstellen, das wird Einem erst so recht klar, wenn man die Pionierinnen dieser Bewegung über die Anfänge derselben hört. Ein wahrhaft rührendes Bild bot die Versammlung derselben am vierzigjährigen Jahrestag des ersten Frauencongresses, am International Council of Women, der vom 25. März bis zum 9. April 1888 in Washington tagte. Vierzig Jahre lang hatten diese Vorkämpferinnen treu zusammen gearbeitet, die edlen Männer, die den Frauen am schwierigen Anfang beigestanden hatten, hatten ebenso treu ausgehalten wie die Frauen und wo der Tod eine Lücke eingerissen hatte, da wurde sie von der unbegrenzten Dankbarkeit und Liebe, die den Dahingeschiedenen gewidmet wurde, verklärt. Die Ueberlebenden aber zogen Vergleiche zwischen einst und jetzt, zwischen dem ersten Frauencongress und diesem, die das Herz aller Anwesenden höher schlagen machten.

Mrs. Elisabeth Cady Stanton, eine der verdientesten Frauen, die den ersten Anstoss zum ersten Congress gegeben und ihn einberufen hatte, ergriff zuerst das Wort. Nachdem sie das Zustandekommen und den Verlauf des ersten Congresses geschildert, kam sie zu den Resultaten desselben. »Ich versichere Sie, meine Freunde,« sagte sie, »ich war entzückt vom Verlaufe. Ich hatte die Constitution und die Unabhängigkeitserklärung gelesen und den Genius unserer Regierung verstanden, ich hatte die Meinungen grosser Männer gelesen und ich fand, dass sie alle zu Gunsten des Frauenwahlrechts gesinnt sind. Nun, sagte ich, wird die Welt unser Argument sofort acceptiren. Es ist gerecht, und Jedermann muss das sofort einsehen. Denken sie sich nun mein Erstaunen nach der Freude, die ich über den Erfolg hatte, denn wir hatten ein volles Haus, Lucretia Mott und ihre Schwester Martha C. Wright und andere hatten wundervolle Reden gehalten und wir hatten einen brillanten Vorsitzenden, James Mott, den Gatten von Lucretia Mott, einen stattlichen distinguirten Mann. Da erhielten wir nach einigen Tagen die Zeitungen. Ich glaube, jede einzelne Zeitung vom Staate Maine bis Louisiana veröffentlichte unsere Erklärung mit Commentaren und zogen die ganze Sache in's Lächerliche. Ich war paff. Es war mir nicht eingefallen, dass irgend etwas an der Sache lächerlich gemacht werden könne. Mein guter Vater, der damals am Obersten Gerichtshof in New-York war, nahm, als er davon hörte, den Nachtzug nach Seneca Falls, um zu sehen, ob ich verrückt geworden wäre. Wenn ich nicht eine besonders gute Constitution und ein glückliches Temperament gehabt hätte, ich glaube, ich wäre in ein Irrenhaus gesteckt worden. Von allen Seiten hörte ich nichts als »lächerlich«. Viele Frauen, die im ersten Enthusiasmus ihren Namen unter die Erklärung gesetzt hatten, zogen sie nach wenigen Tagen zurück. Die Männer waren consternirt über ihre Mütter, Schwestern und Frauen. Die Demüthigung, die ich fühlte, war unbeschreiblich.« Die muthige Kämpferin erzählt dann, wie sie trotzdem weiter arbeitete, wie sie in der tapferen, bereits erwähnten Susan B. Anthony, dem Napoleon der amerikanischen Frauenbewegung, wie sie genannt wird, eine Mitstreiterin fand, wie sie ihre Köpfe zusammensteckten zu einem Schlachtenplan, wie sie in jedem Jahre Petitionen aussandten und zwar in folgender Weise: Elisabeth Cady Stanton verfasste alle Petitionen, Reden und Resolutionen, und da sie als Mutter von vier Kindern ihr Heim nicht immer verlassen mochte, so musste Susan B. Anthony sie übermitteln, vortragen u. s. w.

»Martha C. Wright, Mrs. Seward, Susan B. Anthony und ich«, erzählt Mrs. Stanton weiter, »wir consultirten oft, wie wir die Agitation aufrecht erhalten könnten. Wir quälten und bestürmten unsere Gesetzgeber mit der »Woman's Property Bill« in New-York, dem ersten Staat, der diese Bill annahm, dem ersten Staat der Welt, der den verheiratheten Frauen Eigenthumsrechte gab. Bis dahin waren wir unter dem alten englischen Gemeinen Recht, unter dem die Frauen thatsächlich Sklavinnen waren, ohne irgend welche Rechte, die die weissen Männer zu respectiren gezwungen gewesen wären. Jahr auf Jahr wurden uns neue bürgerliche Rechte gewährt. Dann machten wir eine Attaque auf die Schulen und Universitäten, trotzdem es eine Zeit gab, in der man in keiner Unterrichtsfrage und Versammlung eine Frauen-Stimme hören wollte, trotzdem sechs- bis siebenhundert wie die Mauerblümchen ringsherum sassen ... Lächerlich machen war die Hauptwaffe der Presse. Wir wurden in allen Blättern so caricirt, bis die Mehrzahl der Leute wirklich glaubte, Frauen, die als Rednerinnen auftreten, hätten Hörner und Klauen. Und heute! Wie hat sich das Bild seither verändert! Trotzdem unsere erste Versammlung in einer kleinen Methodistenkirche stattfand und viele von den folgenden im Freien, in Scheunen, in Hotelzimmern, haben wir heute nach vierzig Jahren das schönste Gebäude der Capitale, eine grossartige Zuhörerschaft und die schmeichelhaftesten Notizen Seitens der Presse von einem Ende der Welt bis zum anderen. Das ist eine grosse Ermuthigung für die anwesenden Frauen und ich möchte eine kleine Lehre daran knüpfen. Sobald man eine grosse Wahrheit erkennt, spreche man sie aus, wenn sie auch im Anfang lächerlich gemacht wird, wenn sie der Zeit widersteht, wenn die Jahre schwinden, wird sie doch anerkannt.«

Und seit dieser Rede ist wieder ein Decenium ungefähr in's Land gezogen und wieder haben die Frauen in den Vereinigten Staaten enorme Fortschritte zu verzeichnen, drei Staaten haben seither, wie oben gezeigt, den Frauen die absolute Gleichberechtigung gewährt, andere begnügten sich mit einer relativen, aber sie alle, alle werden die relative in eine absolute umwandeln. In den meisten wird die Forderung alljährlich wiederholt, in vielen, und zwar in den aristokratischsten, wie in Massachusetts, Rhode-Island, wurde sie bereits vom Senat angenommen und nur von der bei Verfassungsänderungen nothwendigen Volksabstimmung verworfen, ein gleiches Schicksal hatten auch die jüngeren Staaten Michigan, Ohio, Nebraska, Oregon, Indiana, Wisconsin. Es ist zweifellos, dass in einem so demokratischen Lande, wie die Union es ist, das demokratische Gleichberechtigungsprincip immer tiefer in's Volk dringen muss, und dies im Verein mit den ausgezeichneten Erfahrungen, die das Frauenwahlrecht überall da gezeitigt hat, wo es gewährt wurde, wird nicht verfehlen, in absehbarer Zeit die ganze Union im Gleichheitslicht erstrahlen zu lassen.

Ist es zu einer wissenschaftlichen Doctrin geworden, dass man an der Stellung, die die Frauen in einem Lande einnehmen, den Grad der Cultur desselben messen kann, so führt dieselbe bei einem Vergleich zwischen den Vereinigten Staaten von Nordamerika und Deutschland zu einem vernichtenden Urtheil über das Letztere. Dort die absoluteste Gleichberechtigung im Staat, in der Bildung, im Erwerbsleben, eine dominirende Stellung im socialen Leben, eine dankbarst angenommene Theilnahme am communalen und Staatsleben, hier nach Jahrzehnte langem Ringen minimalste Rechtszugeständnisse, Ausschliessung jeder höheren Bildung, widerwillig ertheilte Zulassung zu den niedrigen und schlecht bezahlten Erwerbsarten, absolute Ausschliessung von allen staatlichen und städtischen Aemtern, von allen academischen Berufsarten; im socialen Leben wird den deutschen Frauen die Ueberzeugung ihrer geistigen Inferiorität auf Schritt und Tritt gezeigt, und trotzdem das »Ewig-Weibliche«, die Angst der Gefährdung desselben als Schild gegen jedes höhere Streben der Frau stetig benutzt wird, beweist man ihm sonst nicht all zu viel Hochachtung und Verehrung; ihre Theilnahme am Wohlergehen der Commune wird stets zurückgewiesen und zwar selbst in der ureigensten Domäne der Frau, der Wohlthätigkeit, der Armenpflege, wie Beispiele aus der allerjüngsten Zeit beweisen. Und nun erst am Staatsleben, an der Politik! Eine helle Lache schlägt Demjenigen, der eine solche Möglichkeit voraussetzt, entgegen. Die abgedroschensten, tausendmal widerlegten Einwendungen scheut man sich nicht, einem solchen Ansinnen entgegenzusetzen. Die Möglichkeit der Theilnahme der Frauen am Staatsleben wirkt auf Deutsche wie ein rothes Tuch auf einen Stier. Bürgerrechte und Unweiblichkeit schweben ihnen als identische Ungeheuerlichkeiten vor. Ob sich das Gros der also Urtheilenden bewusst ist, was die Forderung derselben eigentlich bedeutet? Was ist denn eigentlich das Object dieses so streng verpönten Wahlrechts? Es ist die Erzwingung des constitutionellen Systems und des Parlamentarismus. Es ist die lebendige und innige Antheilnahme der ganzen Nation an dem staatlichen Leben mit directer Beeinflussung desselben durch den Vertretungskörper, Kammer, mit dem Grundgedanken, dass seitens des Monarchen oder Regierung keine gesetzgeberische Handlung vorgenommen werden darf, ohne des Volkes Zustimmung und keine executive Massregel, ohne dass die geldlichen Mittel bewilligt sind.

Der Ausbau dieses primären Objects des Wahlrechts ist der Parlamentarismus, das Princip, das diejenigen politischen Parteien der Volksvertretung, die in der jeweiligen Session die Mehrheit besitzen, gewohnheitsmässig die Besetzung der Executive mit Männern ihres Vertrauens verlangen und dass die oberste Regierungsgewalt (Monarch oder Präsident) diesem Ansinnen einen directen Widerstand nicht entgegensetzt. Das System des Parlamentarismus hat den grossen Vortheil, dass Conflicte zwischen dem Monarchen oder dem Präsidenten und der Kammer unmöglich sind.

Diese Conflicte, soweit sie politischer Natur sind, denn die blossen Interpretationsconflicte könnten und werden auch von den in vielen Staaten bestehenden Staatsgerichtshöfen gelöst, wie gesagt, diese Conflicte zwischen Regierungsgewalt und Volksvertretung können sich, wie die Erfahrung lehrt, bis zum völligen Daniederliegen der Staatsmaschine zuspitzen und deshalb ist der Parlamentarismus die Harmonie zwischen Kammermehrheit und Regierungsgewalt, der fortgeschrittene Ausbau des Objects des Wahlrechts, da er aber weder in den deutschen Einzelstaaten, noch im Deutschen Reiche de jure oder de facto eingeführt ist, beschränken wir uns auf die Aufzählung der Rechte der Volksvertretung im einfachen constitutionellen System.

Primäres Recht der Volksvertreter ist das der Gesetzgebung. Kein Einzelstaatsgesetz ist gültig ohne Zustimmung des respectiven einzelstaatlichen Landtages, kein Reichsgesetz kann ohne den Mehrheitsbeschluss des Reichstages erlassen werden. Das ist der Kernpunkt des Wahlrechts, denn, haben die Vertreter, die im Sinne des allgemeinen Stimmrechts den Volkswillen zum Ausdruck bringen (während freilich die Wahlsysteme mit Census die Stimmen compacter Massen unterdrücken), eine Regierungsvorlage verworfen, so haben sie sich im Gegensatz zur stumpfen, ohnmächtigen Unterwerfung früherer Jahrhunderte die Freiheit bewahrt, oder sie haben Gesetzen, die aus eigener oder fremder Initiative hervorgegangen sind, ihre allein ausschlaggebende Zustimmung ertheilt, so haben sie den Willen der Volksmehrheit bethätigt und sein Schicksal schafft sich ein Volk selbst.

Neben diesem Cardinalpunkt der Thätigkeit der Volksvertretung betheiligt sie sich ferner bei der Ausübung zahlreicher Verwaltungshandlungen. Hierzu gehören die Feststellung des Haushalts, die Genehmigung zum Verkauf von Staatsgut, die Aufnahme von Geldanleihen, Uebernahme von Garantien, Subventionen, Genehmigung von Staatsverträgen und unter gewissen Verhältnissen völkerrechtlichen Verträgen. Die Volksvertretung hat das Recht der Controlle über die Verwaltung, dann das Adressen-, Interpellations-, Beschwerde- und Petitionsrecht und schliesslich steht speciell dem Reichstag das Recht zu, innerhalb der Competenz des Reiches Gesetze vorzuschlagen und an ihn gerichtete Petitionen dem Bundesrath, sesp. dem Reichskanzler zu überweisen.

Ist von all diesen, eben aufgezählten Rechten ein Einziges, das die Frau nicht ebensogut braucht wie der Mann? Giebt es irgend ein Einzelstaats- oder Reichsgesetz, das die Frau nicht entweder als Frau, oder als Mutter, als Gattin, als Schwester, als Tochter oder als Berufsperson angeht? Ist sie nicht an dem Interesse für die Verwaltung des Landes genau so betheiligt wie der Mann? Wird sie nicht zu den Staats- und Stadtsteuern genau so herangezogen wie er? Leidet sie nicht unter schlechten staats- und volkswirthschaftlichen Verträgen in eben demselben Maasse wie er? Muss sie sich nicht allen Gesetzen genau so unterwerfen wie er? Ja, trägt sie nicht bei gleichen Vergehen, sogar oftmals stärkere Lasten als der Mann? Es giebt kein Recht, das der Mann als Bürger hat, das nicht auch die Frau braucht und sie braucht es nothwendig, damit auch ihr Standpunkt, damit auch ihr Interesse seinen Ausdruck findet. Helene Lange sagt »Frauenwahlrecht« von Helene Lange, Berlin. sehr richtig: »Als man das allgemeine Stimmrecht einführte, erkannte man damit formell an: jeder Stand kann nur allein seine eigenen Interessen vertreten; sollen daher bei der Volksvertretung die Interessen aller zur Geltung kommen, so müssen auch alle Stände und Berufsklassen zur Vertretung gelangen können. Das ganze Parlament wird dann mit derselben Sicherheit wie beim Parallelogramm der Kräfte in seinen Beschlüssen die Auffassung der stärksten, d. h. durch die zahlreichsten Vertreter zur Geltung gekommenen Parteien, d. h. den Willen des Volkes darstellen. Dabei ist vieles fictiv, da die Wahlen unter dem Hochdruck der Regierung, der Kirche oder anderer Machthaber stehen; das Schema aber ist richtig gedacht. Bis auf eine Kleinigkeit. Obwohl niemand an den oben ausgeführten Wahrheiten ernstlich zweifelt, ist eine Fiction doch immer aufrecht erhalten worden, die nämlich, dass die Männer zugleich die Interessen der Frauen wahren. Musste man auch zugeben, dass die Gesetzgebung in ihren Resultaten die Ansicht der stärksten parlamentarischen Parteien repräsentirte, so verschloss man sich der höchst einfachen Wahrheit, dass alle Gesetzgebungen in ihren Gesammtresultaten die Auffassung der Männer repräsentiren und nach dem oben erörterten Grundsatz nie die wirklichen Interessen der Frauen berücksichtigen, sondern nur auf Nutzen und Frommen der Männer berechnet sein konnten.«

Erscheint dieses Urtheil auch hart, so ist es leider doch all zu gerecht und entspricht durchaus den Thatsachen. Man sehe sich unsere heutige Gesetzgebung an, man sehe sich unsere socialen Zustände an, alles ist auf den Mann zugeschnitten. Und es berührt förmlich peinlich, beschämend für die deutsche Nation, wenn deutsche Männer, Academiker, die Frauenfrage in Deutschland zu ihrem Studium machen und statt wie ihre französischen und englischen Collegen sich auch wirklich in dasselbe weit genug zu vertiefen, um ein objectives Urtheil zu gewinnen, mit vorgefasster Meinung an die Arbeit gehen und die unmöglichsten logischen Sprünge machen, um ihre kurzsichtige Voreingenommenheit auch ihren Lesern beizubringen. Ein Muster dieser Art liefert Dr. Julius Duboc. »Fünfzig Jahre Frauenfrage in Deutschland.« Leipzig 1896. Er greift die politische Gleichberechtigungsforderung erst vorsichtig an, indem er die Gleichwerthigkeit der Geschlechter annimmt. Er meint Wunder welch treffendes Beispiel er ausspricht, indem er die Gesammtsumme der Männer und Frauen mit zwei Kaufleuten vergleicht, wovon Socius A. den Aussendienst, Socius B. den Innendienst verrichtet, Beide sich vortrefflich ergänzen und keiner es wagen würde, auf das Gebiet des Andern hinüberzugreifen. Seine Nutzanwendung ist zu platt, um sie hier zu wiederholen. Die Antwort aber so einfach, dass wir sie uns nicht schenken können. Socius A. hat den Aussendienst, Socius B. den Innendienst übernommen, kraft freier Vereinbarung und weil die Erfahrung jedweden auf seinen richtigen Platz stellte. Der Frauenantheil ist ihnen aber zwangsweise angewiesen und ihre Befähigung im Aussendienst ist noch nie erprobt worden. Die Hauptsache aber ist, dass A. und B. in der Harmonie ihres Geschäfts durchweg solidarische Interessen haben, während doch die historische Gestaltung der Dinge es mit sich gebracht hat, dass beim männlichen und weiblichen Geschlecht Interessenconflicte unvermeidlich sind.

Indem Duboc sich weiter den Anschein giebt, als ob er die Tauglichkeit der Frau für das politische Handwerk prüft, besteht seine ganze Untersuchung darin, dass er einige Behauptungen über die Nervosität der Frauen aufstellt, über ihre Geneigtheit sich von Gefühlseindrücken bestimmen zu lassen und das Persönliche zum Nachtheil des Sachlichen zu berücksichtigen, ihre Vorliebe, die Ganzheiten in Einzelheiten zu zerlegen, und ihre Unfähigkeit, dem grossen zu opfern und nie den Blick für das Ganze zu verlieren. Behauptungen dieser Art beweisen nichts. Wenn Duboc die Frauen auf ihre politische Tauglichkeit hätte prüfen wollen, dann hätte er solche Frauen als Beispiel anführen müssen, die in der Lage waren, sie auszuüben und sich nicht begnügen dürfen mit Hypothesen, denn die obige Behauptung ist nichts weiter als eine hypothetische Behauptung. Dr. Duboc hat sich einige nervöse Hausfrauen seiner Bekanntschaft angesehen, er hat sie vielleicht beim Wäscheauszählen getroffen, hat sie mit ihren Dienstboten herumzanken hören (Hausfrauen müssen sich in ihrer überschüssigen Zeit doch auch dieselbe vertreiben, wenn man sie zu nichts Ernsterem zulässt), und flugs formulirte er sein Argument, die Frauen sind nicht tauglich für Politik, denn u. s. w. u. s. w. (siehe oben). Man wird mir vielleicht entgegnen, Beispiele von Frauen, die das Recht Politik auszuüben besassen oder besitzen, existiren nicht. Das ist ein Irrthum, in welchen auch der Verfasser von »Fünfzig Jahre Frauenfrage« befangen zu sein scheint. Eine ganze Reihe von Frauen haben nicht allein politische Rechte gehabt, sondern haben Politik gemacht und haben sie glänzend gemacht. »Wäre es möglich, ohne psychologische Untersuchung, nur durch Schlüsse, die aus der Erfahrung gezogen sind, über etwas abzuurtheilen, wir könnten zu dem Satz kommen: diejenigen Dinge, welche man den Frauen nicht zu thun erlaubt, sind gerade die, zu welchen sie die meiste Befähigung besitzen; so ist ohne Zweifel ihr Beruf für die Regierungskunst bei den wenigen Gelegenheiten, die ihnen zur Ausübung derselben geboten waren, glänzend zu Tage getreten ... Wir wissen, welche kleine Zahl regierender Königinnen die Geschichte im Vergleich zu den Königen aufzuweisen hat. Von dieser kleinen Zahl hat nun aber verhältnissmässig ein weit grösserer Theil Talent für die Regierung gezeigt, obschon viele davon den Thron zu sehr verschiedenen Zeitpunkten, also unter ganz verschiedenen Bedingungen eingenommen haben. Merkwürdig ist ausserdem, dass die gekrönten Frauen sich, wie sich an vielen Beispielen erweisen lässt, häufig durch Vorzüge ausgezeichnet haben, die der herkömmlichen Vorstellung vom weiblichen Character schnurstracks entgegen sind, nämlich Willenskraft, Festigkeit und hohe Einsicht.« »Die Hörigkeit der Frau«. S. a. a. O. Diese auf geschichtlicher Basis beruhenden Feststellungen John Stuart Mills schlagen die hypothetischen Behauptungen Dubocs vollständig und Herr D. wird mir doch zugeben, dass zum regieren selbst beim Parlamentarismus immer noch etwas mehr gehört als einfach seine Stimme an der Wahlurne abzugeben. Dass alle vortrefflichen Königinnen, Kaiserinnen, Statthalterinnen und Regentinnen Ausnahmenaturen waren, ist absolut ausgeschlossen, da sie nicht kraft ihrer Persönlichkeit, sondern kraft ihrer Geburt zur Regierung gelangten. »Hätten aber Königin Elisabeth oder Königin Victoria nicht den Thron geerbt, so würde man ihnen auch nicht das kleinste Theilchen einer politischen Wirksamkeit anvertraut haben, in welcher sich doch die erstere den bedeutendsten Staatslenkern ebenbürtig gezeigt hat.«

Und auch an Frauen der Gegenwart, die politische Rechte ausüben, hätte Duboc Beispiele gehabt und zwar an den Frauen Wyomings, Utahs, Colorados, Idahos, Neuseelands, Südaustraliens und Mans. Aber davon scheint Dr. D. nichts bekannt zu sein. Bei Besprechung der ausserdeutschen Verhältnisse der Gegenwart citirt er als französischen Gewährsmann nur Agenor von Gasparin, der die Schreckensweiber der Revolution, bekanntlich der Abschaum der Menschheit, als Beweis dafür erbringt, dass die Frauen kriegerischer als die Männer sind, während in der That die Propagirung des Friedensgedankens in unserem Jahrhundert hauptsächlich dem Einfluss der Frau zuzuschreiben ist und in Bezug auf die Vereinigten Staaten weiss er nur von einem Protest einiger New-Yorkerinnen gegen das Frauenwahlrecht zu berichten und dass auch die Frauen Massachusetts demselben nicht günstig zu sein scheinen, weil von 400 000 weiblichen Stimmgebern sich nur 17 000 an der Wahlurne eingefunden hatten. Weibliche Proteste gegen das Stimmrecht hat es mehr als einen in Amerika gegeben, aber die Zahl der Protestlerinnen war stets verschwindend klein gegen die der Anhängerinnen des Wahlrechts. Die weibliche Stimmenabgabe in Massachusetts jedoch beruht auf einer Mystification des Verfassers, weder haben die Frauen in Massachusetts das Wahlrecht, noch haben sie es je gehabt. Die anderen vier amerikanischen Staaten jedoch, von denen Herr D. anscheinend nichts weiss, wie auch die australischen, haben, wie ich bereits bei Behandlung derselben gezeigt habe, alle Befürchtungen Dubocs glänzend widerlegt, weder haben sie sich von kirchlichen, noch von persönlichen Motiven, noch von der Leidenschaft leiten lassen, sondern einzig und allein von ihrer ehrlichen Ueberzeugung, die hauptsächlich moralische und anständige Gesinnung bei den Candidaten wünschte, weder haben in Folge dessen Familienzwiste stattgefunden – gefährden denn die Meinungsunterschiede von Mann und Frau über ihre Lieblingsdichter, Künstler u. s. w. bei uns den Ehefrieden? – noch hat die Häuslichkeit darunter gelitten, sondern die Resultate waren überall, wie ich bereits durch die Erklärungen und Mittheilungen competentester Augenzeugen gezeigt habe, vorzügliche und beweisen aufs Schlagendste, wie alle gegentheiligen Behauptungen, die sich nicht auf Erfahrung begründen, nur Hypothesen sind.

Wenn Duboc daher von einigen deutschen Pastoren in Südaustralien berichtet, dass sie an die weiblichen Mitglieder ihrer Gemeinden ein Rundschreiben gerichtet haben, in welchem sie dieselben auffordern, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen, um dieses »unnütze Gesetz aufzuheben«, so giebt das nicht die allgemeine Meinung Südaustraliens, sondern nur die des deutschen Philisters wieder, der sich nirgends verleugnet. So ganz kann ihn auch derjenige deutsche Akademiker, der die deutsche Frauenbewegung in letzter Zeit am ausführlichsten behandelt hat, trotzdem dem Erstgenannten unendlich überlegen, nicht verleugnen. Professor Gustav Cohn »Die Deutsche Frauenbewegung.« Berlin 1896. hat sich in den Geist der deutschen Frauenbewegung viel mehr versenkt als Duboc, er hat begriffen, dass die Frauenbewegung einen Culturfortschritt bedeutet »in seinem Zusammenhange mit der internationalen Gemeinschaft der Gegenwart, in seiner Begründung für die Verbesserung des Lebens. An solchem Massstabe gemessen ist es auch nicht die einzelne Seite des Neuen, obgleich an sich wichtig und kennzeichnend für das Ganze, keine blinde Vorliebe etwa für die Förderung des Frauenstudiums, keine Vorliebe, welche die unvermeidlichen Schwierigkeiten und Schattenseiten der Einbürgerung des Neuen verkennt – es ist der Geist eines neuen Zeitalters, der zu Worte gelangt, es ist die Ueberzeugung, dass es unmöglich ist, diesem Geiste die Pforten zu verschliessen. Das Culturgesetz, dass man nicht zurückbleiben darf, wo die ganze Welt vorwärts geht, gilt nicht bloss für Panzerschiffe und Schiessgewehre, nicht bloss für Eisenbahnen und Telephone, es gilt auch für das geistige Leben und die Entwickelung der geistigen Gaben. Wie immer so sind es namentlich in diesem Falle blendende Vorurtheile, welche dem Neuen in den Weg treten, bestechende Schlagworte, welche sich mit sittlicher Entrüstung waffnen, wo sie eigentlich in sittlicher Beschämung verstummen sollen.«

Trotz dieser Erkenntniss bleibt Professor Cohn auf halbem Wege stehen und zwar vor dem Wahlrecht. Er ist klug genug und hat in die Bewegung tief genug hineingeblickt, um zu wissen, dass die Entziehung desselben auf die Dauer nicht möglich ist, also verlangt er sie nur für die Gegenwart noch. Seine Gründe erscheinen mir nicht logisch. Weil England in politischer Hinsicht stets unser Vorbild war, weil es uns auch heute darin überlegen ist, kann es diesen Schritt versuchen. »Wir hegen als Zuschauer das Vertrauen, dass sie die Staatsweisheit in den inneren Reformen, die sie bisher ausgezeichnet, auch dabei beweisen werden. Aber alles das, was sie uns hier zeigen, lehrt uns gerade, wenn wir nicht mechanisch, sondern mit historischem Verständniss ihr Beispiel befolgen wollen, uns vor ferneren kühnen Sprüngen in der Entwickelung unserer Wahlrechte zu hüten.«

Wenn England stets in politischer Hinsicht ein gutes Vorbild war, das man getrost befolgen durfte, dann ist es nicht recht ersichtlich, warum wir bloss in dieser Frage »Zuschauer« bleiben sollen. Ich glaube, die Anschauung Prof. Cohns ist darauf zurückzuführen, dass er der Ansicht ist, die deutschen Frauen selbst wünschen das Wahlrecht vorläufig nicht, er bezeichnet es als einen lobenswerthen Characterzug der deutschen Frauenbewegung, dass sie die staatsrechtliche Seite dieser Gleichstellung hintan gesetzt habe. Dieses zweifelhafte Lob verdient die deutsche Frauenbewegung nicht, die deutsche Frauenbewegung hat von vornherein eine absolute Gleichberechtigung des Weibes, mithin auch die politische erstrebt, aber sie traute sich nicht, diese wie in dem demokratischen England und dem noch demokratischeren Amerika zu betonen, sie begriff die Gefahr, die in einem solchen Vorgehen in einem conservativen Lande wie Deutschland gelegen hätte und verschleierte im Anfang ihre Ziele. »Wir mussten vorsichtig vorgehen,« berichtet die Mutter der deutschen Frauenbewegung, die unendlich verdiente Louise Otto Peters, auf jedem Blatte ihrer Erinnerungen. »Das erste Vierteljahrhundert des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins.« Leipzig 1890. Aber trotz dieser Vorsicht legte die zweite nicht minder verdiente Veteranin der Bewegung, Auguste Schmidt, an der ersten deutschen Frauenconferenz am 15. October 1865 sehr klar und unverhüllt die Ziele der Frauenbewegung auseinander, die unbedingt auf die absolute Gleichberechtigung gerichtet waren, mithin auch die politische einschloss, ohne dass diese besonders genannt zu werden brauchte. Sie entwickelte die natürliche Berechtigung der Frauen, sich aus der bisherigen Unterordnung zu der ihnen gebührenden Gleichberechtigung neben dem Manne emporzuheben. »Einen neuen Lebensodem werde die Wiedergeburt der Frau in die Schöpfung bringen; Menschen werden wollen die Frauen und theilnehmen am Kranz der Arbeit und des Sieges

Wenn trotzdem die Frauenfrage in Deutschland im Beginne hauptsächlich zu einer Erwerbs- und Bildungsfrage gemacht wurde, so lag es eben in den Verhältnissen des Landes, in dem blinden Conservatismus, der alles Neue hasste, der jeden Culturfortschritt, besonders wenn er die Frau betrifft, verabscheute und dem jede Verbesserung nur stückweise abgerungen werden konnte. Wenn die Bewegung trotz all dieser Hindernisse auch bei uns so anschwellen konnte, so spricht das am besten dafür, wie mächtig sie ist, wie sie auch fernerhin alles sich ihr Entgegenstemmende wie ein Orkan wegwischen wird und sie fühlt sich jetzt auch stark genug, um ihre Ziele nicht mehr verschleiern zu brauchen. Auf der letzten Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins wurde das Frauenwahlrecht laut und feierlich gefordert. Helene Lange, eine der besonnensten jüngeren Vorkämpferinnen, hat in ihrer bereits erwähnten Abhandlung über das Frauenwahlrecht dasselbe mit ausgezeichneter und unwiderleglicher Motivirung verlangt, die Socialdemokratie, die, wollte sie sich nicht der grössten Inconsequenz zeihen lassen, das Frauenwahlrecht in ihr Programm aufnehmen musste, hat in deutschen Frauenkreisen ebenfalls sehr propagirend gewirkt für den politischen Gleichheitsgedanken. Kurz, die grosse Masse der Frauen selbst steht der Forderung durchaus nicht mehr fern. Sie wissen, das Frauenwahlrecht ist unter den gegebenen politischen und socialen Verhältnissen das einzige Mittel, um der Stimme der Gerechtigkeit, des socialen und geschlechtlichen Friedens, der Harmonie im Völkerleben Geltung zu verschaffen, und die Männer sollten wissen, dass es auch ihnen zu Gute kommen wird, wenn eine falsche Galanterie nicht mehr von ihnen verlangen wird, in der Frau die bessere, sondern die adäquate Hälfte zu sehen, die mit ihnen arbeitet, mit ihnen denkt, alle ihre Pflichten, aber dafür auch alle ihre Rechte mit ihnen theilt.

 

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