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Dritter Akt

Wild zerklüftetes Hochgebirge mit steil abfallenden Abgründen im Hintergrund. Schneebedeckte Gipfel erheben sich rechts und verlieren sich hoch oben in treibenden Nebeln. Links in einer Geröllhalde liegt eine alte, halb verfallene Hütte. Es ist früher Morgen. Der Tag graut; die Sonne ist noch nicht aufgegangen.

Frau Maja kommt rot und erhitzt die Halde links herunter. Ulfheim folgt ihr halb zornig, halb lachend und hält sie am Arm fest.

Frau Maja  versucht sich loszumachen. Lassen Sie mich los! Lassen Sie mich los, sag' ich!

Ulfheim. Na, na, – das fehlte bloß noch, daß Sie beißen. Sie sind ja ungeberdig wie ein Marder.

Frau Maja  schlägt ihn auf die Hand. Sie sollen mich loslassen, hab' ich gesagt! Und ruhig sein –

Ulfheim. Da sollte mich doch –

Frau Maja. Dann geh' ich keinen Schritt weiter mit Ihnen! Hören Sie – keinen einzigen Schritt –!

Ulfheim. Hoho, – wo wollen Sie in dieser Felsenwildnis ohne mich hin?

Frau Maja. Ich springe einfach die Wand dort hinunter, wenn's sein muß –

Ulfheim. Um zermalmt und zermahlen dazuliegen – als leckeres, blutiges Fressen für Hunde – was? Läßt sie los. Bitt' schön. Springen Sie die Wand hinunter, wenn Sie Lust haben. Sie ist schwindelnd steil. Nur ein schmaler Steig führt hinunter, und der ist fast ungangbar.

Frau Maja  säubert ihr Kleid mit der Hand und sieht ihn mit zornigen Augen an. Mit so einem Menschen wie Sie muß man auf die Jagd gehen!

Ulfheim. Sagen Sie lieber: Sport treiben.

Frau Maja. Ach so, Sie nennen das hier Sport?

Ulfheim. Ja, ich nehme mir die ehrerbietige Freiheit. – Diese Art Sport, sehen Sie, lieb' ich am meisten.

Frau Maja  wirft den Kopf zurück. Nun – da muß ich aber sagen –! Nach einer kleinen Pause; blickt ihn forschend an. Warum haben Sie denn da oben die Hunde losgelassen?

Ulfheim  blinzelt und lächelt. Um ihnen auch ein kleines Jagdvergnügen zu gönnen, verstehen Sie wohl.

Frau Maja. Das ist ja nicht wahr! An die Hunde haben Sie gar nicht gedacht, als Sie sie losgelassen haben.

Ulfheim  lächelt noch immer. Na, weshalb hab' ich's denn sonst getan? Lassen Sie hören –?

Frau Maja. Darum, weil Sie den Lars los sein wollten. Er sollte den Hunden nach und sie wieder einfangen. Und mittlerweile –. Sie sind mir ein Feiner!

Ulfheim. – und mittlerweile –?

Frau Maja  kurz abbrechend. Ja, ja, schon gut.

Ulfheim  in vertraulichem Ton. Lars findet sie nicht so bald. Darauf können Sie Gift nehmen. Der kommt nicht eher mit ihnen zurück, als bis es Zeit dazu ist.

Frau Maja  blickt ihn zornig an. Hm, das kann ich mir denken.

Ulfheim  greift nach ihrem Arm. Denn sehen Sie, Lars – der kennt meine Sportgewohnheiten.

Frau Maja  weicht ihm aus und mißt ihn mit den Augen. Wissen Sie, wie Sie aussehen, Herr Ulfheim?

Ulfheim. Doch wohl wie ich selbst.

Frau Maja. Aufs Haar getroffen. Leibhaftig wie ein Faun.

Ulfheim. Ein Faun – ?

Frau Maja. Ja, grad' wie ein Faun.

Ulfheim. Ein Faun – das ist so 'ne Art Untier, was? Oder so was wie 'n Waldteufel, nicht?

Frau Maja. Jawohl, grad' so einer wie Sie! So einer mit Bocksbart und Beinen wie ein Ziegenbock. Ja, und Hörner hat der Faun auch!

Ulfheim. Ei, ei, – der hat auch Hörner?

Frau Maja. Ein paar greuliche Hörner, wie Sie, jawohl.

Ulfheim. Sie können die Hörnerchen sehen, die ich habe ?

Frau Maja. Ja, mir ist, als könnte ich sie ganz deutlich sehen.

Ulfheim  zieht die Hundeleine aus der Tasche. So ist's wohl am besten, ich binde Sie mal 'n bißchen.

Frau Maja. Sind Sie vollständig verrückt geworden?! Binden wollen Sie mich –?

UlfheimSoll ich schon Teufel sein, so lassen Sie mich's auch ganz sein. Sieh mal an! Sie können also die Hörner sehen?

Frau Maja  beruhigend. Na ja, na ja, – nun seien Sie hübsch artig, Herr Ulfheim. Unterbricht sich. Aber wo ist denn eigentlich Ihr Jagdschloß, von dem Sie mir ein Langes und Breites vorgeredet haben? Das sollte ja hierherum irgendwo liegen?

Ulfheim  zeigt auf die Hütte. Hier haben Sie's unmittelbar vor Augen.

Frau Maja  blickt ihn an. Der alte Schweinekofen da?

Ulfheim  lacht sich in den Bart. Der hat schon mehr als eine Königstochter beherbergt.

Frau Maja. Und dadrin hätte der eklige Kerl die Königstochter in der Gestalt eines Waldbären besucht, wie Sie mir erzählt haben?

Ulfheim. Jawohl, Frau Jagdkameradin, – hier war's. Mit einladender Handbewegung. Wenn Sie gefälligst eintreten wollen, –

Frau Maja. Brr! Nicht mit der Fußspitze möcht' ich –! Brr!

Ulfheim. Ach, eine Sommernacht kann da ein Pärchen recht angenehm verschlafen. Oder auch gleich einen ganzen Sommer – wenn's sein soll.

Frau Maja. Danke schön! Dazu müßte besonderer Appetit gehören. Ungeduldig. Aber jetzt hab' ich sowohl Sie wie auch Ihre Jagdpartie satt. Ich will ins Hotel zurück, – eh' man da unten aufsteht.

Ulfheim. Wie denken Sie sich den Abstieg von hier?

Frau Maja. Das müssen Sie besser wissen als ich. Irgendwo wird sich doch wohl ein Abstieg hier finden.

Ulfheim  zeigt nach dem Abgrund. I freilich; eine Art Abstieg gibt es schon – über die Wand da hinunter –

Frau Maja. Na, also –. Sie sehen, mit ein bißchen gutem Willen –

Ulfheim. – aber versuchen Sie's bloß, diesen Weg zu gehen.

Frau Maja  besorgt. Sie halten es nicht für möglich ?

Ulfheim. Nie und nimmermehr. Wenn ich Ihnen nicht helfen darf.

Frau Maja  unruhig. Na, so kommen Sie und helfen Sie mir! Wozu sind Sie sonst da?

Ulfheim. Soll ich Sie auf den Rücken nehmen –

Frau Maja. Unsinn!

Ulfheim. – oder Sie lieber auf den Armen tragen ?

Frau Maja. Kommen Sie jetzt nicht wieder mit diesen Dummheiten.

Ulfheim  mit verbissenem Grimm. Ich hab' einmal ein junges Ding von der Straße aufgelesen und sie auf meine Arme gehoben. Auf Händen hab' ich sie getragen. Und wollte sie so durchs ganze Leben tragen, – auf daß ihr Fuß nicht an einen Stein stoße. Denn sie hatte damals recht ausgetretene Schuhe, als ich sie fand –

Frau Maja. Und trotzdem haben Sie sie aufgehoben und auf Händen getragen?

Ulfheim. Ich hab' sie aus dem Dreck emporgehoben und sie über dem Boden getragen – so hoch und so vorsichtig, als ich nur konnte. Mit einem brummenden Lachen. Und wissen Sie, was ich zum Dank dafür gekriegt habe?

Frau Maja. Nein. Was denn?

Ulfheim  blickt sie an und nickt lächelnd. Hörner hab' ich gekriegt. Dieselben Hörner, die Sie so deutlich sehen. – Ist das nicht eine putzige Geschichte, Frau Bärentöterin?

Frau Maja. O ja, ganz putzig. Aber ich weiß eine Geschichte, die ist noch putziger.

Ulfheim. Und wie ist die?

Frau Maja. Folgendermaßen. Es war einmal ein dummes Mädelchen, das lebte bei Vater und Mutter. – Aber in ziemlich dürftigen Verhältnissen. Da platzte ein großmächtiger Herre in all diese Dürftigkeit hinein und hob das Mädelchen auf seine Arme – wie Sie – und reiste weit, weit fort mit ihm –

Ulfheim. Wollte sie so gerne bei ihm leben?

Frau Maja. Ja; denn, sehen Sie, sie war dumm.

Ulfheim. Und er war wohl, was man so ein richtiges hübsches Mannsbild nennt?

Frau Maja. Ach nein, er war gar nicht besonders hübsch. Aber er wußte ihr einzureden, er würde sie auf einen Gott weiß wie hohen Berg führen, allwo Licht und Sonnenschein über die Maßen sei.

Ulfheim. Er war also Bergsteiger, der Mann?

Frau Maja. Jawohl, in seiner Art.

Ulfheim. Und da hat er das Mädel mit sich hinaufgenommen –?

Frau Maja  wirft den Kopf zurück. Ei ja, gar herrlich hat er sie mit sich hinaufgenommen –. Ach nein, er hat sie in ein kaltes, feuchtes Bauer gelockt, wo weder Sonne noch frische Luft war – nach Ihrer Meinung wenigstens – sondern nur alles vergoldet und großer versteinerter Menschenspuk rings an den Wänden.

Ulfheim. Das mochte ihr, Gott verdamm' mich, so passen!

Frau Maja. Aber finden Sie die Geschichte nicht doch ganz putzig?

Ulfheim  blickt sie eine Weile an. Hören Sie mal, meine liebe Jagdkameradin –

Frau Maja. Nun? Was gibt's denn nun wieder?

Ulfheim. Sollten wir zwei unsere lumpigen Existenzen nicht zusammenwerfen?

Frau Maja. Haben der Herr Lust, Flickschneider zu werden?

Ulfheim. Ja, warum nicht. Könnten wir zwei nicht versuchen, die Fetzen da und dort zusammenzuflicken, – so daß schließlich doch noch so was wie 'n Menschenleben herauskäme?

Frau Maja. Und wenn die Jammerlappen nun ganz zerschlissen wären – was dann?

Ulfheim  mit einer energischen Handbewegung. Dann stehen wir da, stolz und frei, – als wir selbst.

Frau Maja  lacht. Sie mit Ihren Bocksbeinen, ja!

Ulfheim. Und Sie mit Ihren –. Na, verfolgen wir's nicht weiter.

Frau Maja. Ja, kommen Sie – und verfolgen wir endlich den Weg weiter.

Ulfheim. Stopp! Wohin, Kamerad?

Frau Maja. Ins Hotel, wohin sonst.

Ulfheim. Und hinterher?

Frau Maja. Dann sagen wir einander hübsch Lebewohl und Dank für die Begleitung.

UlfheimKönnen wir uns trennen, wir zwei? Meinen Sie, wir können es?

Frau Maja. Ja, gebunden haben Sie mich meines Wissens doch nicht.

Ulfheim. Ich habe Ihnen ein Schloß zu bieten –

Frau Maja  zeigt auf die Hütte. Eins wie das da?

Ulfheim. Nein, bis jetzt ist es noch nicht eingestürzt.

Frau Maja. Und am Ende auch alle Herrlichkeit der Welt?

Ulfheim. Ein Schloß, sag' ich –

Frau Maja. Danke! Von Schlössern habe ich gerade genug.

Ulfheim. – mit prächtigen Jagdgründen, Meilen und Meilen im Umkreis.

Frau Maja. Gibt's auch Kunstwerke in diesem Schloß?

Ulfheim  langsam. Nein, – Kunstwerke allerdings nicht; aber –

Frau Maja  erleichtert. Nun, das wär' auch noch besser.

Ulfheim. Also, wollen Sie mit mir gehen, – so lang und so weit, wie ich will?

Frau Maja. Ja, wenn nicht ein zahmer Raubvogel wäre, der mich bewachte –!

Ulfheim  wild. Dem schießen wir eins in die Flügel, Maja!

Frau Maja  sieht ihn einen Augenblick an und sagt entschlossen: So kommen Sie denn und tragen Sie mich durch die Tiefe hinunter.

Ulfheim  schlingt den Arm um ihren Leib. Es ist höchste Zeit! Der Nebel ist über uns –!

Frau Maja. Ist der Weg hinunter furchtbar gefährlich?

Ulfheim. Der Bergnebel ist gefährlicher.

Sie macht sich los, tritt an den Rand des Abgrundes und sieht hinunter, fährt aber rasch zurück.

Ulfheim  geht ihr entgegen und lacht. Es wird Ihnen wohl etwas schwindlig?

Frau Maja  matt. Das auch. Aber sehen Sie selbst mal nach, was für zwei da heraufkommen –

Ulfheim  tritt an den Abgrund und beugt sich über den Rand. Das ist ja nur Ihr Raubvogel – und seine fremde Dame.

Frau Maja. Können wir nicht an ihnen vorbei, – ohne daß sie uns sehen?

Ulfheim. Unmöglich. Der Steig ist zu schmal. Und einen anderen Abstieg gibt es nicht.

Frau Maja  ermannt sich. Gut denn, – so wollen wir ihnen hier Trotz bieten.

Ulfheim. Das war gesprochen wie ein echter Bärentöter, Kamerad!

Professor Rubek und Irene erscheinen am Rande der Tiefe. Er hat sein Plaid über den Schultern, sie trägt einen Pelzmantel lose über ihr weißes Gewand geworfen und eine Kapuze aus Schwanenpelz.

Professor Rubek,  erst zur Hälfte über der Felsenkante sichtbar. Wie, Maja! Wir zwei müssen uns noch einmal begegnen?

Frau Maja  mit angenommener Sicherheit. Zu Diensten. Bitte, nur näher zu treten.

Professor Rubek steigt ganz herauf und reicht Irene, die ebenfalls ganz nach oben kommt, die Hand.

Professor Rubek  kalt zu Frau Maja. Du bist also die ganze Nacht in den Bergen gewesen, Du auch, – wie wir?

Frau Maja. Auf der Jagd bin ich gewesen, jawohl. Du hast mir ja Urlaub gegeben.

Ulfheim  zeigt nach der Tiefe. Sind Sie den Steig da herauf gekommen?

Professor Rubek. Das haben Sie doch gesehen.

Ulfheim. Und die fremde Dame auch?

Professor Rubek. Ja, versteht sich. Mit einem Blick auf Frau Maja. Diese fremde Dame und ich, wir gedenken fortan nicht mehr getrennte Wege zu wandeln.

Ulfheim. Wissen Sie, daß der Weg, den Sie gekommen sind, Ihnen das Leben hätte kosten können –?

Professor Rubek. Wir haben ihn trotzdem versucht. Denn im Anfang hat er gar nicht so schlimm ausgesehen.

Ulfheim. Nein, im Anfang ist kein Ding schlimm. Aber, eh' man sich's versieht, kann man an einer Stelle stehen, wo man weder vorwärts noch rückwärts kann. Und dann sitzt man fest, Herr Professor! Bergfest, wie wir Jäger sagen.

Professor Rubek  blickt ihn lächelnd an. Das sollen wohl Sprüche der Weisheit sein, Herr Ulfheim?

Ulfheim. Gott bewahre mich davor, Sprüche der Weisheit zu liefern! Eindringlich, zeigt in die Höhe. Aber sehen Sie nicht, daß das Unwetter über unsern Köpfen ist! Hören Sie nicht die Windstöße?

Professor Rubek  horcht. Es klingt wie das Vorspiel zum Auferstehungstag.

Ulfheim. Das ist der Wirbelsturm von den Gipfeln, Mann! Sehen Sie nur, wie die Wolken sich über uns wälzen und senken! Bald umhüllen sie uns wie ein Leichentuch.

Irene  fährt zusammen. Das kenn' ich, das Tuch.

Frau Maja  will Ulfheim fortziehen. Machen wir, daß wir hinunter kommen.

Ulfheim  zu Professor Rubek. Mehr als einem kann ich nicht helfen. Halten Sie sich, solange der Sturm tobt, in der Hütte dort auf. Ich schicke dann Leute herauf und lasse Sie beide holen.

Irene  voll Schrecken. Uns holen! Nein! Nein –!

Ulfheim  barsch. Die Leute werden nötigenfalls Gewalt brauchen. Denn hier geht's um Tod und Leben. Jetzt wissen Sie's. Zu Frau Maja. Kommen Sie denn – und vertrauen Sie sich getrost Ihrem Kameraden an.

Frau Maja  klammert sich an ihn. Wie ich singen und jubilieren will, wenn ich mit heiler Haut hinunter komme!

Ulfheim  beginnt abzusteigen und ruft den andern zu: Warten Sie also drinnen in der Jagdhütte, bis die Männer mit Seilen kommen und Sie holen.

Ulfheim, Frau Maja in den Armen, klettert eilig, aber vorsichtig den Abgrund hinunter.

Irene  blickt eine Weile mit schreckensstarren Augen auf Rubek. Hast Du gehört, Arnold? – Es wollen Männer heraufkommen und mich holen! Viele Männer werden heraufkommen –

Professor Rubek. Sei nur ruhig, Irene!

Irene  in wachsendem Entsetzen. Und sie, die Schwarze, – die wird auch kommen. Denn jetzt muß sie mich längst vermißt haben. Und dann wird sie mich packen, Arnold! Und mir die Zwangsjacke anlegen! Ja, – denn die hat sie bei sich im Koffer. Ich hab' sie selbst gesehen –

Professor Rubek. Kein Mensch auf der Welt soll Dich berühren!

Irene  mit irrem Lächeln. O nein, – dagegen hab' ich schon selbst ein Mittel.

Professor Rubek. Was für ein Mittel meinst Du?

Irene  zieht das Messer hervor. Dies hier!

Professor Rubek  greift danach. Ein Messer hast Du bei Dir –!

Irene. Immer, immer. Tag und Nacht. Im Bett auch.

Professor Rubek. Gib mir das Messer, Irene!

Irene  verbirgt es wieder. Du bekommst es nicht. Das kann ich selber gut gebrauchen.

Professor Rubek. Wozu willst Du es hier brauchen?

Irene  blickt ihn fest an. Es war für Dich bestimmt, Arnold.

Professor Rubek. Für mich?

Irene. Eines Abends, als wir am Taunitzer See saßen –

Professor Rubek. Am Taunitzer –?

Irene. – vor dem Bauernhäuschen – und mit Schwänen spielten und Wasserlilien –

Professor Rubek. Nun, und –, nun und –?

Irene. – und als ich Dich so mit des Grabes eisiger Kälte sagen hörte – ich sei in Deinem Leben nichts andres gewesen als eine Episode –

Professor Rubek. Das hast Du gesagt, Irene! Nicht ich.

Irene  fährt fort. – da griff ich nach dem Messer. Denn ich wollte es Dir in den Rücken stoßen.

Professor Rubek  düster. Und warum hast Du da nicht zugestoßen?

Irene. Weil ich zu meinem Entsetzen gewahr wurde, daß Du schon tot warst – schon lange tot.

Professor Rubek. Tot?

Irene. Tot! Tot, Du wie ich. Da saßen wir am Taunitzer See, wir zwei starren Leichen, – und spielten miteinander.

Professor Rubek. Ich nenne das nicht tot. Doch Du verstehst mich nicht.

Irene. Wo ist sie denn, Deine Leidenschaft für mich, diese flammende Leidenschaft, mit der Du rangst und kämpftest, als ich frei vor Dir stand als das auferstandene Weib?

Professor Rubek. Unsere Liebe ist gewißlich nicht tot, Irene.

Irene. Die Liebe, – die von dieser Welt ist – von dieser köstlichen, wundersamen, dieser rätselvollen Welt – die Liebe ist tot in uns beiden.

Professor Rubek  leidenschaftlich. O Du, – eben diese Liebe, – die brennt und loht in mir so heiß wie je.

Irene. Und ich? Hast Du vergessen, wer ich jetzt bin?

Professor Rubek. Sei meinetwegen wer und was Du willst! Für mich bist Du das Weib, das meine Träume in Dir sehen.

Irene. Ich hab' auf der Drehscheibe gestanden – nackt – und mich nach Dir den Augen vieler hundert Männer preisgegeben.

Professor Rubek. Wer anders als ich trieb Dich dahinauf. Verblendet, wie ich damals war, – stellt' ich das Gebilde aus totem Ton über das Glück des Lebens – das Glück der Liebe.

Irene  sieht zu Boden. Zu Spät! Zu spät!

Professor Rubek. Was auch immer dazwischen liegt, – nicht um eines Haares Breite hat sich Dein Wert in meinen Augen verringert.

Irene  erhobenen Hauptes. Auch in den meinen nicht.

Professor Rubek. Nun also! Dann sind wir ja frei. Und noch ist es Zeit für uns, zu leben, Irene.

Irene  blickt ihn schwermütig an. Der Lebenstrieb ist tot in mir, Arnold. Jetzt bin ich auferstanden. Und spähe nach Dir. Und finde Dich. Und da seh' ich, – Du und das Leben, Ihr seid Leichname, – wie ich einer gewesen.

Professor Rubek. O, wie bist Du im Irrtum! Das Leben in uns und um uns, das gährt und braust wie zuvor.

Irene  lächelt und schüttelt den Kopf. Dein junges, auferstandenes Weib sieht das ganze Leben auf der Leichenstreu liegen.

Professor Rubek  nimmt sie ungestüm in seine Arme. So wollen wir beiden Toten ein einziges Mal das Leben bis auf die Neige kosten – bevor wir in unsere Gräber zurückkehren.

Irene  mit einem Freudenschrei. Arnold!

Professor Rubek. Aber nicht hier im Dämmer. Nicht hier, wo uns das nasse, häßliche Linnen umflattert –

Irene  von Leidenschaft hingerissen. Nein, nein, – empor zum Licht und zu all der strahlenden Herrlichkeit! Empor auf den Berg der Verheißung.

Professor Rubek. Dadroben wollen wir unser Hochzeitsfest feiern, Irene, – Geliebte!

Irene  stolz. Mag immer die Sonne auf uns sehen, Arnold.

Professor Rubek. Alle Mächte des Lichts mögen auf uns sehen. Und alle Mächte der Finsternis auch. Ergreift ihre Hand. So willst Du mir folgen, Du meine begnadete Braut?

Irene  wie verklärt. Ich folge willig und gern meinem Herrn und Gebieter.

Professor Rubek  zieht sie mit sich fort. Durch die Nebel müssen wir erst, Irene, und dann –

Irene. Ja, – durch alle die Nebel. Und dann hoch hinauf bis zur Zinne des Turms, die da leuchtet im Sonnenaufgang.

Die Nebelwolken senken sich dichter auf die Landschaft. Rubek und Irene steigen Hand in Hand über das Schneefeld rechts empor und verschwinden in den niedrig ziehenden Wolken. Jähe Sturmstöße jagen und pfeifen durch die Luft.

Die Diakonissin erscheint in der Geröllhalde links. Sie bleibt stehen und sieht sich stumm und spähend um.

Frau Maja  fern aus der Tiefe singend und jubelnd.

Ich bin frei! Ich bin frei! Ich bin frei!
Der Gefangenschaft Zeit ist vorbei!
Ich bin frei wie ein Vogel! Bin frei!

Plötzlich hört man ein donnerähnliches Getöse vom oberen Teile des Schneefeldes her. Eine Lawine gleitet und wirbelt mit rasender Schnelligkeit talwärts. Man sieht undeutlich, wie Rubek und Irene in den Schneemassen mitgerissen und begraben werden.

Die Diakonissin schreit auf, streckt die Arme nach den Fallenden aus und ruft: Irene! Steht eine Weile stumm; dann schlägt sie ein Kreuz vor sich in die Luft und sagt: Pax vobiscum!

Frau Majas Gesang und Jubel hallt noch von fern aus der Tiefe.


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