Henrik Ibsen
Gespenster
Henrik Ibsen

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Akt

Zimmer wie vorher. Alle Türen stehen auf. Die Lampe brennt noch immer auf dem Tische. Draußen ist es dunkel. Nur ein schwacher Feuerschein links im Hintergrunde.

Frau Alving, ein großes Tuch über dem Kopf, steht hinten im Blumenzimmer und sieht hinaus, Regine, die auch ein Tuch um hat, steht ein wenig hinter ihr.

Frau Alving. Niedergebrannt, alles! Bis auf den Grund.

Regine. Es brennt noch in den Kellern.

Frau Alving. Daß Osvald nicht heraufkommt! Es ist ja nichts mehr zu retten.

Regine. Soll ich ihm vielleicht den Hut hinunterbringen?

Frau Alving. Nicht einmal seinen Hut hat er auf?

Regine zeigt nach dem Vorzimmer. Nein, da hängt er.

Frau Alving. So laß ihn hängen. Er muß doch gleich kommen. Ich werde selbst nachsehen. Durch die Gartentür ab.

Manders kommt aus dem Vorzimmer. Ist Frau Alving nicht hier?

Regine. Sie ist eben hinunter in den Garten.

Manders. Das ist die entsetzlichste Nacht, die ich je erlebt habe.

Regine. Ja, ist das nicht ein grauenhaftes Unglück, Herr Pastor?

Manders. Ach, sprechen Sie nicht davon! Ich darf nicht einmal dran denken!

Regine. Aber wie mag es nur zugegangen sein –?

Manders. Fragen Sie mich nicht, Jungfer Engstrand! Woher soll ich das wissen? Wollen Sie vielleicht auch –? Ist es noch nicht genug, wenn Ihr Vater –?

Regine. Was ist mit ihm?

Manders. Er hat mich rein verdreht im Kopf gemacht.

Engstrand kommt durch das Vorzimmer. Herr Pastor –!

Manders wendet sich erschrocken um. Sind Sie hier auch hinter mir her?

Engstrand. Ja, Donnerwetter –! Herrjesus, nein! Aber das ist doch zu scheußlich, Herr Pastor!

Manders geht auf und ab. Leider, leider!

Regine. Was ist denn?

Engstrand. Ach, sieh mal, es kam von dieser Andacht her. Leise. Jetzt ist er auf den Leim gegangen, mein Kind! Laut. Und daß ich schuld sein muß, daß Herr Pastor Manders sich so etwas hat zu schulden kommen lassen.

Manders. Aber ich versichere Ihnen, Engstrand –

Engstrand. Es hat aber doch kein anderer als der Herr Pastor mit dem Licht herumgefuchtelt.

Manders bleibt stehen. Ja, das behaupten Sie. Aber ich erinnere mich wahrhaftig nicht, ein Licht in der Hand gehabt zu haben.

Engstrand. Aber ich habe doch ganz deutlich gesehen, daß Herr Pastor das Licht packten und es mit den Fingern schneuzten und die Schnuppe in die Hobelspäne schmissen.

Manders. Und das haben Sie gesehen?

Engstrand. Na gewiß doch.

Manders. Das ist mir ganz unbegreiflich. Es ist doch sonst meine Gewohnheit nicht, das Licht mit den Fingern zu putzen.

Engstrand. Ja, es sah auch ruppig genug aus, – das tat es. Aber kann es denn wirklich den Hals kosten, Herr Pastor?

Manders geht unruhig auf und ab. Ach! fragen Sie mich nicht!

Engstrand geht mit ihm. Und versichert haben Herr Pastor auch nicht?

Manders immer im Gehen. Nein, nein, nein; Sie hören es ja.

Engstrand hinter ihm her. Nicht versichert. Und sich sachte aus dem Staube zu machen und die ganze Pastete anzustecken. Herrjeh, Herrjeh, was für ein Unglück!

Manders trocknet sich den Schweiß von der Stirn. Ja, Engstrand, das dürfen Sie schon sagen.

Engstrand. Und daß so was mit einer wohltätigen Anstalt passieren muß, wo Stadt und Land ihren Vorteil von haben sollten, wie es heißt. Die Zeitungen werden den Herrn Pastor wohl nicht mit Glacéhandschuhen anfassen.

Manders. Darüber mache ich mir ja gerade die Gedanken. Das ist beinahe das Schlimmste bei der ganzen Sache. Die gehässigen Angriffe und Beschuldigungen –! Ach, es ist gräßlich, daran zu denken!

Frau Alving kommt aus dem Garten. Er ist nicht dazu zu bewegen, die Löscharbeiten aufzugeben.

Manders. Ah, da sind Sie, werte Frau!

Frau Alving. Nun sind Sie um Ihre Festrede doch herumgekommen, Herr Pastor.

Manders. Ach, ich hätte mit Freuden –

Frau Alving mit gedämpfter Stimme. Es ist wohl das Beste, daß es so und nicht anders gekommen ist. Dieses Asyl wäre keinem zum Segen geworden.

Manders. Glauben Sie?

Frau Alving. Glauben Sie es nicht?

Manders. Aber es war doch ein ungeheuer großes Unglück.

Frau Alving. Sprechen wir in aller Kürze davon wie von einer geschäftlichen Sache. – Warten Sie auf den Herrn Pastor, Engstrand?

Engstrand an der Vorzimmertür. Ja, das tue ich.

Frau Alving. Dann setzen Sie sich so lange.

Engstrand. Danke schön; ich kann ebensogut stehen.

Frau Alving zu Manders. Sie fahren vermutlich mit dem nächsten Dampfschiff?

Manders. Jawohl. Es geht in einer Stunde.

Frau Alving. Dann haben Sie wohl die Güte, alle Papiere wieder mitzunehmen. Ich will kein Wort mehr hören von dieser Sache. Ich habe jetzt andere Dinge im Kopf –

Manders. Frau Alving –

Frau Alving. Ich schicke Ihnen Vollmacht nach, alles nach Ihrem Belieben zu ordnen.

Manders. Das will ich herzlich gern übernehmen. Die ursprüngliche Bestimmung des Legats muß ja nun leider ganz geändert werden.

Frau Alving. Das versteht sich.

Manders. Ja, dann denke ich, ich ordne es vorläufig so, daß das Gehöft Solvik an den Distrikt fällt. Den Grund und Boden kann man doch keineswegs für ganz wertlos erklären. Irgend eine nützliche Bestimmung wird sich doch wohl dafür finden lassen. Und die Zinsen des Barbestandes, der in der Sparkasse steht, könnte ich vielleicht sehr passend zur Unterstützung dieses oder jenes Unternehmens verwenden, das anerkanntermaßen der Stadt von Vorteil ist.

Frau Alving. Ganz wie Sie wollen. Mir ist das alles jetzt ganz einerlei.

Engstrand. Vergessen Sie mein Seemannsheim nicht, Herr Pastor!

Manders. Natürlich, – ganz recht, ja. Aber das will genau überlegt sein.

Engstrand. Zum Teufel das Überlegen – Ach Herrjesus!

Manders mit einem Seufzer. Und leider weiß ich auch nicht, wie lange ich noch die Sachen unter mir haben werde. Ob nicht die öffentliche Meinung mich nötigen wird, zurückzutreten. Das hängt doch alles von dem Ausgang der Branduntersuchung ab.

Frau Alving. Was sagen Sie da?

Manders. Und über den Ausgang läßt sich im voraus gar nichts bestimmen.

Engstrand tritt näher. I, aber natürlich. Denn hier steht Jakob Engstrand und ich.

Manders. Ja, ja, aber –?

Engstrand leiser. Und Jakob Engstrand ist nicht der Mann, der einen würdigen Wohltäter in der Stunde der Not in der Patsche sitzen läßt, wie man zu sagen pflegt.

Manders. Aber, mein Lieber, – wie –?

Engstrand. Jakob Engstrand ist sozusagen mit einem Rettungsengel zu vergleichen, Herr Pastor!

Manders. Nein, nein, das kann ich wirklich nicht annehmen.

Engstrand. O, das müssen Sie nun doch schon. Ich kenne einen, der hat schon einmal anderer Leute Schuld auf sich genommen – ja!

Manders. Jakob! Drückt ihm die Hand. Sie sind ein seltener Mensch. Na, Sie sollen aber auch Ihr Seemannsasyl kriegen; darauf können Sie sich verlassen.

Engstrand will danken, kann aber vor Rührung nicht.

Manders hängt die Reisetasche um die Schultern. Und nun fort. Wir zwei reisen zusammen.

Engstrand an der Tür des Speisezimmers, leise zu Regine. Komm mit, Mädel! Du sollst es haben wie der Herrgott in Frankreich.

Regine wirft den Kopf in den Nacken. Merci! Geht ins Vorzimmer und holt das Reisegepäck des Pastors.

Manders. Leben Sie wohl, Frau Alving! Und möge der Geist der Ordnung und der Gesetzlichkeit recht bald seinen Einzug halten in dieses Haus.

Frau Alving. Leben Sie wohl, Manders! Sie geht auf das Blumenzimmer zu, während sie Osvald durch die Gartentür eintreten sieht.

Engstrand, indem er und Regine dem Pastor beim Anziehen des Paletots helfen. Leb' wohl, mein Kind. Und wenn Dir etwas passieren sollte, so weißt Du ja, wo Jakob Engstrand zu finden ist. Leise. Kleine Hafengasse, hm –! Zu Frau Alving und Osvald. Und das Haus für die fahrenden Seeleute, das soll heißen »Kammerherrn Alvings Heim«. Und wenn ich das Haus nach meinem Kopf führen darf, dann kann ich wohl versprechen, daß es dem seligen Herrn Kammerherrn keine Unehre machen wird.

Manders in der Tür. Hm – hm! Kommen Sie nur, mein lieber Engstrand. Leben Sie wohl! Leben Sie wohl! Er und Engstrand durch das Vorzimmer ab.

Osvald geht an den Tisch. Von was für einem Haus hat er da gesprochen?

Frau Alving. Von einer Art Asyl, das er zusammen mit dem Pastor Manders gründen will.

Osvald. Das wird auch abbrennen, wie die ganze Geschichte hier.

Frau Alving. Wie kommst Du darauf?

Osvald. Alles wird abbrennen. Nichts bleibt übrig von dem, was an Vater erinnert. Ich verbrenne ja auch.

Regine sieht ihn betroffen an.

Frau Alving. Osvald, mein armer Junge, Du hättest nicht so lange da unten bleiben sollen.

Osvald setzt sich an den Tisch. Ich glaube beinah, Du hast recht.

Frau Alving. Laß Dir das Gesicht abtrocknen, Osvald; Du bist ganz naß. Trocknet ihm das Gesicht mit ihrem Taschentuch.

Osvald blickt gleichgültig vor sich hin. Danke, Mutter.

Frau Alving. Bist Du nicht müde, Osvald? Willst Du vielleicht schlafen?

Osvald ängstlich. Nein, nein – nicht schlafen! Ich schlafe nie; ich stelle mich nur so. Schwermütig. Das kommt noch früh genug.

Frau Alving sieht ihn bekümmert an. Ja, Du bist wahrhaftig krank, mein Herzensjunge.

Regine gespannt. Herr Alving ist krank?

Osvald ungeduldig. Schließt alle Türen zu! Diese tödliche Angst –

Frau Alving. Schließ sie zu, Regine. Regine schließt zu und bleibt an der Vorzimmertür stehen. Frau Alving legt ihr Tuch ab; Regine ebenso.

Frau Alving rückt einen Stuhl neben Osvald und setzt sich zu ihm. So! Nun will ich mich zu Dir setzen –

Osvald. Ja, tu das. Regine soll auch hier bleiben. Regine soll immer um mich sein. Du wirst mir doch den Liebesdienst leisten, Regine – nicht wahr?

Regine. Ich verstehe nicht –

Frau Alving. Liebesdienst?

Osvald. Ja, – wenn es nottut.

Frau Alving. Osvald, ist denn nicht Deine Mutter da, Dir einen Liebesdienst zu leisten?

Osvald. Du? Lächelt. Nein, Mutter, den leistest Du mir nicht. Lächelt schwermütig. Du! Haha! Sieht sie ernst an. Übrigens wärst Du ja die Nächste dazu. Heftig. Warum kannst Du nicht Du zu mir sagen, Regine? Warum nennst Du mich nicht Osvald?

Regine leise. Ich glaube nicht, daß die gnädige Frau damit einverstanden wäre.

Frau Alving. Nur ein Weilchen noch, und es ist Dir erlaubt. Setz' auch Du Dich hierher zu uns.

Regine setzt sich bescheiden und zögernd an die andere Seite des Tisches.

Frau Alving. Und nun, mein armer Schmerzensjunge, nun will ich Dir die Lasten von der Seele nehmen –

Osvald. Du, Mutter?

Frau Alving. – alles, was Du Gewissensbisse und Reue und Vorwürfe nennst –

Osvald. Und das glaubst Du zu können?

Frau Alving. Ja, jetzt kann ich es, Osvald. Vorhin, wie Du auf die Lebensfreude zu sprechen kamst, da rückte mir auf einmal mein ganzes Dasein in eine neue Beleuchtung.

Osvald schüttelt den Kopf. Davon verstehe ich kein Wort.

Frau Alving. Du hättest Deinen Vater kennen sollen, als er noch ein ganz junger Leutnant war. In dem loderte die Lebensfreude, Du!

Osvald. Ja, das weiß ich.

Frau Alving. Wie Sonntagswetter wirkte sein bloßer Anblick. Und dann – was für eine unbändige Kraft und Lebensfreude waren in ihm!

Osvald. Und nun –?

Frau Alving. Und nun mußte so ein Kind der Lebensfreude, – denn er war damals wie ein Kind – mußte er hier in einer Mittelstadt seine Tage verbringen, die keine Freuden zu bieten hatte, sondern nur Vergnügungen. Mußte sie hier verbringen, wo er keinen Lebenszweck fand; er hatte bloß ein Amt. Wo die Aufgabe, der er sich mit seiner ganzen Seele hätte widmen können? Er hatte nur Geschäfte. Auch nicht einen Kameraden zu haben, der fähig gewesen wäre, zu empfinden, was Lebensfreude ist; – nur Tagediebe und Zechbrüder –!

Osvald. Mutter –!

Frau Alving. So kam es, wie es kommen mußte.

Osvald. Und wie mußte es denn kommen?

Frau Alving. Du selbst hast vorhin gesagt, wie es Dir ergehen würde, wenn Du daheim bliebst.

Osvald. Willst Du damit sagen, daß Papa –?

Frau Alving. Deinem armen Vater fehlte jedes Ventil für die überströmende Lebensfreude, die in ihm war. Auch ich brachte ihm kein Sonntagswetter ins Haus.

Osvald. Auch Du nicht?

Frau Alving. Man hatte mich etwas gelehrt von Pflichten und dergleichen, und ich hatte lange und fest daran geglaubt. Alles lief da auf Pflichten hinaus, – auf meine Pflichten und auf seine Pflichten und –. Ich fürchte, Osvald, daß ich Deinem armen Vater das Haus unerträglich gemacht habe.

Osvald. Warum hast Du mir darüber nie etwas geschrieben?

Frau Alving. Bisher habe ich es nie in dem Lichte gesehen, daß ich es Dir, seinem Sohne, gegenüber hätte berühren können.

Osvald. Und wie hast Du es denn gesehen?

Frau Alving langsam. Ich sah nur das eine, – daß Dein Vater ein gebrochener Mann war, ehe Du geboren wurdest.

Osvald mit gedämpfter Stimme. Ah –! Er steht auf und geht ans Fenster.

Frau Alving. Und dann verfolgte mich tagaus, tagein nur immer der eine Gedanke, daß Regine im Grunde ebensogut in dieses Haus hier gehörte – wie mein eigenes Kind.

Osvald wendet sich schnell um. Regine –!

Regine fährt auf und fragt mit gedämpfter Stimme: Ich –!

Frau Alving. Ja, nun wißt ihr es beide.

Osvald. Regine!

Regine vor sich hin. Mutter war also so eine.

Frau Alving. Deine Mutter hatte viele gute Seiten, Regine.

Regine. Ja, aber sie war doch so eine. Ich habe es mir schon manchmal gedacht; aber –. Ja, gnädige Frau, lassen Sie mich bitte gleich auf der Stelle fort.

Frau Alving. Ist das Dein Ernst, Regine?

Regine. Allerdings.

Frau Alving. Du hast natürlich Deine Freiheit, aber –

Osvald nähert sich Regine. Fort? Jetzt? Du gehörst doch hierher.

Regine. Merci, Herr Alving, – ja, nun darf ich ja wohl Osvald sagen. Freilich nicht auf die Art, wie ich's mir vorgestellt hatte.

Frau Alving. Regine, ich bin gegen Dich nicht offenherzig gewesen –

Regine. Ja, das war eine Sünde und Schande! Hätte ich gewußt, daß Osvald kränklich ist, so –. Und nun, wo zwischen uns ernstlich doch nichts werden kann –. Nein, ich kann wirklich nicht hier auf dem Lande herumlaufen und mich für kranke Leute abschinden.

Osvald. Nicht einmal für einen, der Dir so nahe steht?

Regine. Nein wirklich, auch das nicht. Ein armes Mädchen muß seine Jugend ausnützen; denn sonst ist man auf dem Hund, ehe man sich dessen versieht. Und ich habe auch Lebensfreude in mir, gnädige Frau!

Frau Alving. Ja, leider; aber wirf Dich nur nicht weg, Regine.

Regine. Na, wenn es so kommt, so soll es wohl so sein. Gerät Osvald seinem Vater nach, so muß ich wohl meiner Mutter nach geraten. – Darf ich fragen, gnädige Frau, ob Herr Pastor Manders um diese Geschichte mit mir weiß?

Frau Alving. Pastor Manders weiß alles.

Regine mit ihrem Tuch beschäftigt. Ja, dann muß ich zusehen, so schnell wie möglich mit dem Dampfschiff wegzukommen. Mit dem Pastor wird man immer so nett fertig; und dann finde ich doch auch, daß ich gerade so gut auf ein bißchen Geld Anspruch habe, wie er – der eklige Tischler.

Frau Alving. Das sei Dir gegönnt, Regine.

Regine sieht sie fest an. Gnädige Frau hätten mich schon auch erziehen können wie ein Kind von einer Standesperson; das hätte sich besser für mich gepaßt. Wirft den Kopf in den Nacken. Ach, Quark, ist mir auch egal! Mit einem erbitterten Seitenblick auf die zugekorkte Flasche. Ich habe auch schon noch einmal Gelegenheit, Champagnerwein zu trinken mit Leuten von Stande.

Frau Alving. Und wenn Du eine Heimat brauchst, Regine, so komm zu mir.

Regine. Nein, danke schön, gnädige Frau. Pastor Manders, der nimmt sich meiner schon an. Und wenn es ganz schief gehen sollte, so weiß ich ja ein Haus, wo ich hingehöre.

Frau Alving. Und das wäre?

Regine. Kammerherrn Alvings Asyl.

Frau Alving. Regine, – jetzt sehe ich, – Du wirst zugrunde gehen!

Regine. Ach was! Adieu. Grüßt und geht durchs Vorzimmer ab.

Osvald steht am Fenster und sieht hinaus. Ist sie weg?

Frau Alving. Ja.

Osvald murmelt vor sich hin: Eine dumme Geschichte, das!

Frau Alving tritt hinter ihn und legt ihre Hände auf seine Schultern. Osvald, mein lieber Junge – es hat Dich wohl sehr erschüttert?

Osvald wendet ihr das Gesicht zu. Die Sache mit Vater, meinst Du?

Frau Alving. Ja, mit Deinem unglücklichen Vater. Ich fürchte, es hat zu heftigen Eindruck auf Dich gemacht.

Osvald. Was fällt Dir ein?! Es kam mir allerdings höchst überraschend; aber im Grunde kann es mir doch ganz gleich sein.

Frau Alving zieht ihre Hände zurück. Ganz gleich! Daß Dein Vater so grenzenlos unglücklich war!

Osvald. Natürlich empfinde ich Teilnahme für ihn, wie für jeden andern, aber –

Frau Alving. Sonst nichts? Für Deinen eigenen Vater!

Osvald ungeduldig. Ach, Vater – Vater. Ich habe Vater ja gar nicht gekannt. Nur das eine ist mir von ihm im Gedächtnis geblieben, daß er mir einmal eine Übelkeit verursacht hat.

Frau Alving. Entsetzlicher Gedanke, das! Sollte ein Kind nicht unter allen Umständen Liebe für seinen Vater fühlen?

Osvald. Wenn ein Kind seinem Vater nichts zu verdanken hat? Ihn gar nicht gekannt hat? Hältst Du denn wirklich noch fest an dem alten Aberglauben, Du, die doch sonst so aufgeklärt ist?

Frau Alving. Und das sollte nur Aberglauben sein –!

Osvald. Ja, das mußt Du doch einsehen, Mutter. Das ist doch so eine von den Anschauungen, die auf der Welt gang und gäbe sind und –

Frau Alving erschüttert. Gespenster!

Osvald geht durchs Zimmer. Ja, Du kannst sie schon Gespenster nennen.

Frau Alving leidenschaftlich. Osvald, – dann liebst Du mich auch nicht!

Osvald. Dich kenne ich doch wenigstens–

Frau Alving. Ja, kennst mich; – das ist aber auch alles!

Osvald. Und ich weiß auch, wie lieb Du mich hast; schon dafür muß ich Dir doch dankbar sein. Und jetzt, wo ich krank bin, kannst Du Dich mir doch auch so sehr nützlich machen.

Frau Alving. Ja, nicht wahr, Osvald! O, fast möchte ich Deine Krankheit segnen, weil sie Dich nach Haus zu mir getrieben hat. Denn ich sehe schon: ich habe Dich nicht, ich muß Dich erringen.

Osvald ungeduldig. Ja, ja, ja; das sind alles solche Redensarten. Vergiß nicht, daß ich ein kranker Mensch bin, Mutter. Ich kann mich nicht so viel mit anderen beschäftigen; ich habe genug mit mir selbst zu tun.

Frau Alving leise. Ich will genügsam und geduldig sein.

Osvald. Und auch fröhlich, Mutter!

Frau Alving. Ja, mein lieber Junge, da hast Du recht. Geht zu ihm. Habe ich Dich nun von allen Gewissensbissen und Selbstvorwürfen befreit?

Osvald. Ja, das hast Du. Aber wer befreit mich nun von der Angst?

Frau Alving. Der Angst?

Osvald geht durchs Zimmer. Regine hätte es getan für ein gutes Wort.

Frau Alving. Ich verstehe Dich nicht. Was ist mit der Angst – und mit Regine?

Osvald. Ist es schon sehr spät in der Nacht, Mutter?

Frau Alving. Es geht schon auf den Morgen. Sieht hinaus vom Blumenzimmer. Der Tag fängt schon an zu grauen auf den Höhen oben. Und es wird schönes Wetter, Osvald! Um ein Weilchen wirst Du die Sonne sehen.

Osvald. Darauf freue ich mich. Ach, es gibt doch noch so manches, woran ich mich erfreuen und wofür ich leben kann –

Frau Alving. Das sollte ich meinen!

Osvald. Wenn ich auch nicht arbeiten kann, so –

Frau Alving. Ach, Du wirst auch schon bald wieder arbeiten können, mein lieber Junge. Jetzt brauchst Du ja nicht mehr über diese quälenden und niederdrückenden Gedanken nachzugrübeln.

Osvald. Nein, es war gut, daß Du diese Einbildungen mir von der Seele gewälzt hast. Und wenn ich erst noch über das Eine fort bin – Setzt sich aufs Sofa. Jetzt wollen wir plaudern, Mutter –

Frau Alving. Ja, tun wir das. Sie schiebt einen Lehnstuhl an das Sofa und setzt sich ganz nahe zu ihm.

Osvald. – und indessen kommt die Sonne. Und dann wirst Du es wissen. Und dann habe ich nicht mehr diese Angst.

Frau Alving. Was, sagst Du, werde ich wissen?

Osvald ohne auf sie zu hören. Mutter, hast Du nicht vorhin gesagt, es gäbe nichts auf der Welt, was Du nicht für mich tun würdest, wenn ich Dich darum bäte?

Frau Alving. Freilich habe ich das gesagt!

Osvald. Und Du bist nach wie vor dazu bereit, Mutter?

Frau Alving. Darauf kannst Du Dich verlassen, mein lieber, einziger Junge. Ich lebe ja doch für nichts anderes als nur für Dich allein.

Osvald. Ja, ja; so sollst Du denn hören –. Du, Mutter, Du hast eine starke, kraftvolle Seele. Du mußt ganz ruhig sitzen bleiben, wenn Du es vernimmst.

Frau Alving. Aber was ist denn so furchtbares –!

Osvald. Du sollst nicht aufschreien. Hörst Du? Versprichst Du mir das? Wir wollen sitzen bleiben und ganz ruhig drüber reden. Versprichst Du mir das, Mutter?

Frau Alving. Ja, ja, ich verspreche es Dir; so rede doch nur!

Osvald. Ja, so sollst Du denn erfahren, daß der Zustand der Müdigkeit – und die Unfähigkeit, an eine Arbeit zu denken, – daß das alles nicht die eigentliche Krankheit ist –

Frau Alving. Aber was ist denn die Krankheit?

Osvald. Die Krankheit, die ich als Erbschaft empfangen habe, die – zeigt auf die Stirn und fügt ganz leise hinzu: die sitzt hier drin.

Frau Alving fast sprachlos. Osvald! Nein – nein!

Osvald. Nicht schreien. Ich kann es nicht vertragen. Ja, Du, die sitzt hier drin und lauert. Und sie kann ausbrechen zu jedweder Zeit und Stunde.

Frau Alving. O, wie entsetzlich –!

Osvald. Nur ruhig jetzt! So steht es mit mir –

Frau Alving springt auf. Es ist nicht wahr, Osvald! Es ist nicht möglich! Es kann nicht so sein!

Osvald. In Paris habe ich einen Anfall gehabt. Er ging bald vorüber. Aber als ich erfuhr, wie es um mich gestanden hatte, da überkam mich eine Angst, so rasend und so wild; und da reiste ich nach Haus zu Dir, so schnell ich konnte.

Frau Alving. Das ist also die Angst –!

Osvald. Ja, denn es ist unbeschreiblich ekelhaft, siehst Du. Wäre es nur eine gewöhnliche, tödliche Krankheit gewesen –. Denn vor dem Tode habe ich keine Furcht; wenn ich auch gern noch möglichst lange leben möchte.

Frau Alving. Ja, ja, Osvald, das sollst Du!

Osvald. Aber das da ist so entsetzlich ekelhaft. Gewissermaßen wieder zum Wickelkind zu werden; gefüttert zu werden und so weiter –. Ach, es ist unbeschreiblich!

Frau Alving. Das Kind hat die Mutter, die es pflegt.

Osvald springt auf. Nie und nimmer! Gerade das will ich nicht! Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß ich vielleicht viele Jahre so daniederliegen muß, – und alt und grau dabei werde. Und am Ende könntest Du auch noch vor mir wegsterben. Setzt sich in Frau Alvings Stuhl. Denn es braucht nicht gleich tödlich zu enden, sagte der Arzt. Er nannte es eine Art Gehirnerweichung oder so ähnlich. Lächelt schwermütig. Ich finde, der Ausdruck klingt so schön. Ich muß dabei immer an Vorhänge von kirschrotem Seidensamt denken, – an etwas, woran sich's delikat herunterstreichen läßt.

Frau Alving schreit auf. Osvald!

Osvald springt wieder auf und geht durchs Zimmer. Und nun hast Du Regine mir genommen! Wenn ich wenigstens die gehabt hätte. Sie würde mir schon den Liebesdienst geleistet haben.

Frau Alving geht zu ihm hin. Was meinst Du damit, mein Herzensjunge? Gibt es auf der Welt denn irgend einen Liebesdienst, den ich Dir nicht leisten würde?

Osvald. Als ich mich in Paris von dem Anfall erholt hatte, da sagte der Arzt, wenn der Anfall wieder käme, – und er kommt wieder –, so wäre keine Hoffnung mehr.

Frau Alving. Und er war herzlos genug, Dir das –

Osvald. Ich verlangte es von ihm. Ich sagte ihm, ich hätte Verfügungen zu treffen –. Lächelt lustig. Und das hatte ich auch. Zieht eine kleine Schachtel aus der inneren Brusttasche hervor. Mutter, siehst Du das hier?

Frau Alving. Was ist das?

Osvald. Morphiumpulver.

Frau Alving sieht ihn entsetzt an. Osvald, – mein Junge?

Osvald. Ich habe mir zwölf Kapseln zusammengespart –

Frau Alving greift danach. Gib mir die Schachtel, Osvald!

Osvald. Noch nicht, Mutter. Er steckt die Schachtel wieder in die Tasche.

Frau Alving. Das überlebe ich nicht!

Osvald. Du wirst schon müssen. Hätte ich Regine jetzt hier gehabt, so hätte ich ihr gesagt, wie es um mich steht, – und hätte sie um den letzten Liebesdienst gebeten: sie hätte mir geholfen; das weiß ich bestimmt.

Frau Alving. Nimmermehr!

Osvald. Wenn das Gräßliche über mich gekommen wäre, wenn sie mich hilflos hätte daliegen sehen, wie ein ganz kleines Wickelkind, aufgegeben, verloren, hoffnungslos, – keine Rettung mehr –

Frau Alving. Um alles in der Welt hätte Regine das nicht getan!

Osvald. Regine hätte es getan. Regine hatte ein so wundervoll leichtes Herz. Und sie hätte es auch bald satt gehabt, so einen Kranken wie mich zu pflegen.

Frau Alving. Dann sei dem Himmel Lob und Dank, daß Regine nicht da ist!

Osvald. Ja, nun mußt Du mir also den Liebesdienst leisten, Mutter.

Frau Alving schreit laut auf. Ich!

Osvald. Bist Du nicht die Nächste dazu?

Frau Alving. Ich! Deine Mutter!

Osvald. Gerade deshalb.

Frau Alving. Ich, die Dir das Leben gegeben hat?

Osvald. Ich habe Dich nicht um das Leben gebeten. Und was für ein Leben hast Du mir denn gegeben? Ich will es nicht länger! Du sollst es zurücknehmen!

Frau Alving. Zu Hilfe! Zu Hilfe! Läuft hinaus ins Vorzimmer.

Osvald ihr nach. Geh nicht von mir! Wo willst Du hin?

Frau Alving im Vorzimmer. Dir einen Arzt holen, Osvald! Laß mich fort!

Osvald ebenfalls draußen. Du kommst nicht fort. Und herein kommt keiner. Ein Schlüssel wird im Schloß umgedreht.

Frau Alving kommt wieder herein. Osvald, Osvald, – mein Kind!

Osvald folgt ihr. Du willst mich wie eine Mutter lieben, – und kannst mich leiden sehen in dieser namenlosen Angst?!

Frau Alving nach kurzer Pause mit vollkommener Selbstbeherrschung. Hier meine Hand darauf.

Osvald. Du willst –?

Frau Alving. Wenn es nötig sein wird. Aber es wird nicht nötig sein. Nein, nein, nun und nimmermehr!

Osvald. Wir wollen es hoffen. Und laß uns zusammen leben, so lange wir können. Ich danke Dir, Mutter. Er setzt sich in den Lehnstuhl, den Frau Alving ans Sofa geschoben hat. Der Tag bricht an; die Lampe auf dem Tisch brennt weiter.

Frau Alving nähert sich behutsam. Fühlst Du Dich nun ruhig?

Osvald. Ja.

Frau Alving über ihn gebeugt. Es ist eine grauenhafte Einbildung von Dir gewesen, Osvald. Alles nur Einbildung. Du hast die vielen Aufregungen nicht vertragen können. Nun mußt Du aber ausruhen. Daheim bei Deiner Mutter, mein Herzensjunge. Auch Deine leisesten Wünsche sollen Dir erfüllt werden, – wie damals, als Du noch ein kleines Kind warst. – So. Nun ist der Anfall vorüber. Siehst Du, wie leicht es ging. Ach, ich wußte es wohl. – Und siehst Du, Osvald, was wir für einen herrlichen Tag bekommen? Strahlender Sonnenschein. Jetzt kannst Du die Heimat erst richtig sehen. Sie geht an den Tisch und löscht die Lampe aus. Sonnenaufgang. Der Gletscher und die Bergspitzen im Hintergrunde liegen im hellen Morgenlichte.

Osvald sitzt im Lehnstuhl, mit dem Rücken nach dem Hintergrund, ohne sich zu rühren; plötzlich sagt er: Mutter, gib mir die Sonne.

Frau Alving am Tische, stutzt und sieht ihn an. Was sagst Du?

Osvald wiederholt dumpf und tonlos: Die Sonne. Die Sonne.

Frau Alving stürzt hin zu ihm. Osvald, was ist mit Dir?

Osvald scheint im Stuhl zusammenzuschrumpfen; alle Muskeln geben nach; das Gesicht ist ausdruckslos; die Augen stieren blöde vor sich hin.

Frau Alving bebend vor Entsetzen. Was ist das! Schreit laut auf. Osvald! Was ist Dir! Wirft sich neben ihm auf die Knie und rüttelt ihn. Osvald! Osvald! Sieh mich an! Kennst Du mich nicht?

Osvald tonlos wie zuvor. Die Sonne. – Die Sonne.

Frau Alving springt verzweifelt auf, rauft sich mit beiden Händen das Haar und schreit: Das ist nicht zu ertragen! Flüstert wie erstarrt. Das ist nicht zu ertragen! Nimmermehr! Plötzlich. Wo hat er sie nur? Fährt pfeilschnell über seine Brust hin. Hier! Weicht ein paar Schritte zurück und schreit: Nein, nein, nein! – Ja! – Nein; nein! Sie steht ein paar Schritte von ihm entfernt, die Hände in das Haar vergraben, und stiert ihn in sprachlosem Entsetzen an.

Osvald sitzt unbeweglich nach wie vor und sagt: Die Sonne. – Die Sonne.

 


 


 << zurück