Henrik Ibsen
Brand
Henrik Ibsen

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Zweiter Akt

(Unten an dem von schroffen Bergwänden umschlossenen Fjord. Auf einer kleinen Anhöhe in der Nähe die alte, verfallene Kirche. Ein Unwetter zieht herauf.)

(Volk, Männer, Weiber und Kinder, teils am Strande, teils weiter oben in Gruppen. In ihrer Mitte sitzt der Vogt auf einem Stein; ein Schreiber hilft ihm bei der Verteilung von Korn und Lebensmitteln. Ejnar und Agnes stehen in einiger Entfernung, von einer Anzahl Leute umringt. In dem von der Ebbe freigelegten Sande liegen ein paar Boote. Brand wird auf dem Kirchenberg sichtbar, ohne zunächst noch von der Menge bemerkt zu werden.)

Ein Mann (arbeitet sich durch das Gedränge.)
Macht Platz!

Ein Weib.           Ich war zuerst da!

Der Mann (schubst sie zur Seite.) Pack'
Dich weg!
(Drängt sich zum Vogt vor.)
                Herr, gebt mir meinen Sack!

Der Vogt.
Geduld.

Der Mann.
            Daheim ist bittre Not;
Da hungern vier sich – fünf sich tot!

Der Vogt (spaßend.)
He? Zählen ist ein schwierig Ding!

Der Mann.
Eins lag im Sterben, als ich ging.

Der Vogt.
Die Liste, Schreiber!
(Zu dem Bauern, während er in seinen Papieren blättert:)
                                Tritt zurück!
Du stehst doch drin –? Ja. 's war Dein Glück.
(Zum Schreiber.)
Der Nummer Dreißig ausgeteilt! –
Na, Leute, nur nichts übereilt!
Niels Schneesumpf!

Ein Mann.                   Hier!

Der Vogt.                           Dein Teil heut macht
Nur halb so viel als vordem, da
Ihr nun doch weniger –

Der Mann.                       Ja, ja.
Mein Weib starb akkurat heut nacht.

Der Vogt (notiert.)
Fällt weg. Gespart wird nie genug.
(Zu dem sich Entfernenden.)
Doch bloß nicht jetzt in vollem Zug
In eine neue Eh'!

Der Schreiber (kichert.)
                          Hi, hi!

Der Vogt (scharf.)
Worüber lachen Sie?

Der Schreiber.         Weil Sie,
Herr Vogt, so spaßig reden.

Der Vogt.                               Wie –?
Mir ist durchaus nicht so zu Mut.
Doch macht ein Scherz gar manches gut.

Ejnar (tritt mit Agnes aus der sie umgebenden Gruppe.)
Nun gibt die letzte Tasch' nichts mehr, –
Notizbuch, Beutel, alles leer; –
Ein Bettler schier komm' ich an Bord
Und helf' mit Uhr und Stock mir fort.

Der Vogt.
Ja, Ihr zwei kamt zur rechten Stund'.
Was ich gesammelt, ist zum Lachen.
Ein jeder weiß, es macht nicht satt,
Wenn leere Hand, halbvoller Mund
Mit dem, der nichts zu beißen hat,
Ihr karges Mahl gemeinsam machen.
(Bemerkt Brand und zeigt auf ihn.)
Willkommen! Trieb Sie der Bericht
Der Hungersnot nach dieser Küste,
So schonen Sie Ihr Ränzel nicht!
Wir nehmen jeglichen Betrag,
Denn unser Vorrat geht zur Rüste; –
Zween Fischlein in der Armut Wüste
Sind keine Mahlzeit heutzutag.

Brand.
In eines Abgotts Namen sind
Zehntausend Körbe Spelt im Wind.

Der Vogt.
Ich lud Sie nicht zu Worten ein.
Dem leeren Bauch sind Worte Stein.

Ejnar.
Du weißt nicht, wie das Volk hier litt,
Sonst fühltest Du sein Elend mit!
Hier ist ein Grab voll bittern Wehs.
Hier liegen Leichen –

Brand.                           Ja, ich seh's.
An jedes Aug's bleigrauem Rand
Erkennt man hier des Richters Hand.

Der Vogt.
Und trotzdem bleibt Ihr Herz wie Stahl?

Brand (tritt hernieder unter die Menge und spricht mit Nachdruck:)
Wär's Leben hier gedrückt und schal,
Ging' trägen Gangs in Eintagsnot,
Erbarmte mich dies Schrein nach Brot.
Wenn Du auf Vieren kriechen mußt,
Erwacht das Tier in Deiner Brust.
Schleicht Tag um Tag in dumpfer Ruh',
Im Schlaftrott, wie ein Leichenzug,
Da raunt Dir leicht Verzagtheit zu,
Du seist getilgt aus Gottes Buch.
Euch aber ist der Herrgott gut,
Euch träuft er Todesangst ins Blut,
Euch geißelt er bis dicht vors Grab,
Nimmt wieder Euch, was er Euch gab –

Mehrere Stimmen (unterbrechen ihn drohend.)
Er höhnt uns noch in unsrer Not!

Der Vogt.
Er gönnt Euch nicht das bißchen Brot!

Brand (schüttelt den Kopf.)
O hülf' Euch doch mein rotes Blut
Gleich eines Heilquells Wunderflut,
Ich öffnete der Adern Deich,
Bis jede Vene leer und bleich.
Doch damit mißverständ' ich Ihn!
Seht, Gott will Euch dem Staub entziehn!
Ein rechtes Volk, – ist's auch nicht stark, –
Entsaugt dem Unglück Macht und Mark;
Der Geist steigt adlergleich empor,
Vom Auge sinkt des Eintags Flor,
Der Wille wirft sein Haupt zurück
Und weiß: ihm wird des Sieges Glück.
Doch wen nicht adelt, was ihn schmerzt,
Der hat, daß Gott ihm hilft, verscherzt!

Ein Weib.
Da zieht ein Wetter auf, seht, seht, –
Wie durch sein Wort herbeigeweht!

Ein Anderes.
Gott straft ihn noch! Ich sag's vorher!

Brand.
Dein Gott tut keine Wunder mehr!

Die Weiber.
Welch' Wetter!

Stimmen aus der Menge.
                        Steinigt, stecht ihn fort!
Was will der Unmensch hier am Ort!

(Das Volk schart sich drohend um Brand. Der Vogt tritt dazwischen. Ein Weib, verwildert und zerrissen, kommt den Berg hinabgeeilt.)

Das Weib (schreit der Menge zu:)
In Jesu Namen, steht mir bei!

Der Vogt.
Was gibt's? Wo fehlt's? Red' frank und frei!

Das Weib.
Ich brauch' nicht Euer Brot und Geld!
Mich traf das Ärgste von der Welt!

Der Vogt.
Nun, was denn? Sprich!

Das Weib.                         Ich kann nicht –! Wo
Ist Euer Pfarrer?

Der Vogt.               Danach rufst
Du hier umsonst –

Das Weib.                 Verloren! O!
Hart warst Du, Gott, daß Du mich schufst!

Brand (nähert sich ihr.)
Vielleicht ist doch ein Priester hier.

Das Weib (ergreift ihn am Arm.)
So hab' Erbarmen, schaff' ihn mir!

Brand.
Erst sprich! So tu' ich, was ich kann.

Das Weib.
Quer überm Fjord –

Brand.                       Nun, was?

Das Weib.                                   Mein Mann –
Kein Brot – drei magre Kinderlein – –
Sag', er ist nicht verdammt! Sag' nein!

Brand.
Sprich erst.

Das Weib (zeigt auf ihre Brust.)
                  Verdorrt war ich und leer;
Nicht Gott, nicht Menschen halfen mehr;
Das Jüngste lag am Tod, – da trug's
Mein Mann nicht mehr, – und er – erschlug's –!

Brand. Erschlug's –?

Das Volk (entsetzt.)
                          Sein Kind!

Das Weib.                               Im selben trat
Ihn an die Sünde seiner Tat!
Anfiel die Reu' ihn wie ein Brand,
Ans eigne Leben legt' er Hand.
O komm, trotz Sturm und Wellennot!
Er flucht dem Leben, bebt vorm Tod,
Die Leich' im Arm liegt er und nennt
Des Bösen Namen ohne End'!

Brand (für sich.)
Ja, hier ist Not.

Ejnar (bleich.)     Er stirbt verdammt.

Der Vogt.
Der Mann gehört nicht in mein Amt.

Brand (kurz, zu der Menge.)
Ein Boot los! Und begleit' mich einer!

Ein Mann.
Bei diesem Wind? Das wagt Dir keiner!

Der Vogt.
Den Fjord rund läuft ein Steig –

Das Weib.                                   Nein, nein, –
Der Weg ist jetzt zu ungewiß;
lch kenn' ihn, doch der Sturzbach riß
Dicht hinter mir den Holzsteg ein!

Brand.
Ein Boot macht los!

Ein Mann.                   Unmöglich jetzt,
Wo sich die See so widersetzt!

Ein Anderer (zeigt nach dem andern Ufer.)
Dort kommt's herunter, – Fels und Strauch!
Der ganze Fjord ist Staub und Rauch!

Ein Dritter.
Solang' der Sturm so drohend spricht,
Enthebt der Propst Dich Deiner Pflicht!

Brand.
Ein Sünder, dessen Stunde schlägt,
Verzieht nicht, bis ein Sturm sich legt!
(Springt in ein Boot und zieht das Segel auf.)
Ihr wagt das Schiff?

Der Eigentümer.     Das wohl; – doch bleib!

Brand.
Wohlan! Wer wagt nun seinen Leib?

Ein Mann.
Ich nicht.

Ein Anderer.
              Ich auch nicht. Bei dem Wehn!

Mehrere.
Das hieß' blind ins Verderben gehn!

Brand.
Ja, Euer Gott hülf' keinem fort,
Doch meiner, wißt, ist mit an Bord!

Das Weib (ringt die Hände.)
Er stirbt!

Brand (ruft vom Boote aus:)
              Wenn sich nur einer stellt,
Der schöpft und vorn am Fock sich hält!
Hier gab doch grad' manch wackrer Mann; –
Gebt mehr noch! Gebt Euch selbst noch dran!

Mehrere (zurückweichend.)
Verlang' das nicht!

Ein Einzelner (drohend.)
                            Gib's auf, Dein Spiel!
Was Gott zuviel, ist Gott zuviel.

Mehrere Stimmen.
Das Wetter wächst!

Andere.                       Die Kette sprang!

Brand (hakt sich mit dem Bootshaken fest und ruft dem fremden Weibe zu:)
So komm denn Du; doch säum' nicht lang'!

Das Weib (weicht zurück.)
Ich? Wo kein Mensch –?

Brand.                               Nur Gott vertraut!

Das Weib.
Ich kann nicht!

Brand.                 Nicht –?

Das Weib.                         Die Kinder, schaut!

Brand (lacht auf.)
Sand ist der Grund, darauf Ihr baut!

Agnes (wendet sich mit glühenden Wangen rasch nach Ejnar um, legt ihm die Hand auf den Arm und sagt:)
Hast Du gehört?

Ejnar.                     Der gibt sich nicht!

Agnes.
Mit Gott! So kennst Du Deine Pflicht!
(Ruft Brand zu:)
Sieh her, hier springt Dir einer bei,
Der Deiner, hoff' ich, würdig sei!

Brand.
So komm!

Ejnar (bleich.)
                Ich?

Agnes.                   Geh! Ich opfre Dich!
Die Blindheit, die mich schlug, entwich!

Ejnar.
Eh' ich Dich kannte, hätt' ich mich
Freiwillig selbst geopfert, – jetzt –

Agnes (bebend.)
Jetzt –?

Ejnar.       – wär' zuviel aufs Spiel gesetzt; –
Ich kann nicht!

Agnes (weicht zurück.)
                        Was hast Du gesagt?

Ejnar.
Ich darf nicht!

Agnes (mit einem Aufschrei.)
                      Jetzt, Gott sei's geklagt,
Hat reißend sich, sturmüberfegt,
Ein Weltmeer zwischen uns gelegt!
(Zu Brand.)
Ich komme!

Brand.             Gut; so fahren wir!

Die Weiber (entsetzt, während sie in das Boot springt.)
Hilf, Jesus!

Ejnar (greift verzweifelt nach ihr.)
                  Agnes!

Die ganze Menge (eilt hinzu.)
                              Halt! Bleibt hier!

Brand.
Wo liegt die Hütte?

Das Weib (zeigt hinaus.)
                            Dreh' das Schiff
Dort drüben um das schwarze Kliff!
(Das Boot stößt ab.)

Ejnar (schreit ihnen nach.)
Der Mutter denk, der Brüder! Mord'
Ihr Glück nicht!

Agnes.                   Hier sind drei an Bord!

(Das Boot segelt ab. Das Volk schart sich auf den Höhen zusammen und verfolgt es mit höchster Spannung.)

Ein Mann.
Er macht's!

Ein Anderer. Glaub's nicht!

Der Erste.                           Jawohl! Ich seh',
Er hat das Achter schon in Lee!

Der Andere.
Ein Windstoß! Hei, der traf sie gut!

Der Vogt.
Seht, – da entführt er ihm den Hut!

Ein Weib.
Schwarz, wie ein Rabenflügelpaar,
Schlägt wild im Sturm sein nasses Haar!

Erster Mann.
In Rauch und Dampf steht alles!

Ejnar.                                           Still!
Was schrie da grad' so grell und schrill?

Ein Weib.
's kam von den Höhn.

Ein Anderes (zeigt nach oben.)
                                Da steht die Gerd
Und johlt, wie er vorüberfährt!

Erstes Weib.
Schaut, wie sie in ein Bockshorn stößt
Und Stein um Stein vom Abhang löst!

Zweites Weib.
Jetzt wirft sie's Horn ins Heideland
Und tutet durch die hohle Hand!

Ein Mann.
Ja, tut' und gröhl' nur, wüster Troll,
Den Mann, den irrst Du keinen Zoll!

Ein Anderer.
Wenn's wieder not tut, – steuert er,
Geh' ich bei schwererm Sturm aufs Meer.

Erster Mann.
Was war er?

Ejnar.                 Pfarrer.

Zweiter Mann.             Was er war, –
Er war ein Mann; so viel ist klar!
In ihm war Trotz und Kraft und Mut.

Erster Mann.
Der tät' uns hier als Pfarrer gut!

Viele Stimmen.
Ja, der tät' uns als Pfarrer gut!
(Sie zerstreuen sich über die Höhen.)

Der Vogt (sucht seine Papiere und Bücher zusammen.)
Es war zum mind'sten inkorrekt,
Daß er den Kopf hierein gesteckt
Und ohne zwingendes Motiv
Gefahr an Leib und Leben lief. –
Ich sorg' gewiß für allesamt, –
Doch allzeit nur in meinem Amt.
(Ab.)


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