Friedrich Huch
Tristan und Isolde
Friedrich Huch

Friedrich Huch

Tristan und Isolde

Ein Schattenspiel

 

5 Prolog

        Fußhohe Schatten werden sich bewegen
Auf künstlich-hellem, glattgespanntem Leinen,
In schwarzem Umriß werden sie sich regen,
Und losgelöst von der Materie scheinen.
Doch hinterm Tuch, mechanisch fein erdacht,
Da stehn sie nochmals, die vor Euch verhandeln,
– Aus Pappe kunstreich jedes Glied gemacht –
So daß die Spieler doppelt vor Euch wandeln.
Vergeßt dies nicht! Und also vorbereitet
Seht unser Stück, das nun vorüberschreitet.

6 Personen:

Tristan

Isolde

Brangäne

König Marke

Kellermeister


7 Erster Akt

Weinkeller König Markes.

Isolde, Brangäne.

Isolde. In welchem Maß, Brangäne, müssen die dreidimensionalen Götter empfinden, – die unsere Philosophen »Menschen« nennen, wenn es uns, ihre Schattenträume, schon so grauenvoll herumwirft! Du kannst dich unmöglich in meine Lage zu König Marke versetzen!

Brangäne. Glücklicherweise brauche ich das auch gar nicht. Ich habe mich noch nie mit dieser Frage beschäftigt. Er ist, ganz unter uns gesagt, in jeder Beziehung untauglich; nur zur Jagd reicht es noch aus. Und seine ganze Ritterschar – was sind das für Geschöpfe!

Ach, unter den Vasallen allen
Kann nur Herr Tristan mir gefallen!

Isolde. Das klingt ja, als hättest du deine Gedanken mit ihm schon lange beschäftigt! Geradezu auswendig gelernt!

8 Brangäne. Aber gnädige Frau! Ich verfiel nur unwillkürlich in den Ton der gebundenen Hof spräche!

Isolde. Du erinnerst mich an das, was ich selbst tun sollte. Mein Gram würde überfließen, wollte ich ihn noch weiter in so ungebundener Form ausströmen lassen; besser, ich beherrsche mich und fülle ihn in strenge Maße ab.

Trost suchte ich für meines blutigen Herzens Jammer
Hier in des glutigen Weines Herzenskammer.
Doch ach! Er wütet wie zuvor, und nichts
Verlor er von der Kraft seines Gewichts!

Brangäne. Da hattet Ihr eine große Auswahl von Marken, feuerflüssiger als der, der mit ihnen nur den Namen gemeinsam hat. Oder tränket Ihr, um den Unterschied nicht allzu groß zu machen, immer »extra trocken?«

Isolde. Brangäne, laß solche Scherze! Mir ist totenernst zu Sinn! Hör weiter und blick dort in die Ecke: Jene furchtbar-geheimnisvolle Flasche entdeckte ich durch Zufall, tief versteckt in einem Winkel.

9 Ihr schauervoller Anblick ließ mich zittern,
Mit grausig-kaltem Hauch mein Herz umwittern.

Brangäne. Laßt doch die Hofsprache lieber wieder weg! Ich kann gar nichts mitempfinden.

Isolde. Gut, und ich werde mich dir zu Liebe auf das banalste ausdrücken: Du siehst, ihre Etikette trägt einen Totenkopf und gekreuzte Knochenbeine. Reinige die Flasche säuberlich von jenem Schilde, bringe sie mir in den Park und heiße Tristan dorthin kommen. Gegen ihn richtet sich mein ganzes Gefühl der Rache. Es wird eine entsetzliche Doppeltragödie geben. Dir, liebes Kind, vermache ich hiermit für deine treuen Dienste meine sämtlichen Kleider. Leb wohl, auf ein letztes Wiedersehn im Parke! Ab.

Brangäne. Ich bin erschreckt, und mit Bekümmern
Seh ich sie toll sich selbst zertrümmern.
Jedoch im Grunde ist's vernünftig,
Denn das ist klar: wie sollt ich künftig
In all den schönen Kleidern gehn,
Wär sie lebendig noch zu sehn?!
10 Kleidung braucht der Tote nicht:
Erde deckt ihn Schicht um Schicht. Ab mit der Flasche.

Kellermeister tritt auf.

Kellermeister. Ja ja, man hat mehr vom Leben als andere Leute, denn man kommt leichter dazu. Den Wein habe ich in der Flasche, und die Liebe auch. Beide gehn dieselbe Straße, aber es ist doch ein gewaltiger Unterschied zwischen diesen Brüdern! Gemächlich zieht der eine seinen Weg, während der andere staubbedeckt und heiß ans Ziel kommt. Wie oft habe ich nun schon das alte Familienerbstück des Königs heimlich entkorkt und ein ganz, ganz kleines Schlückchen davon einer guten Flasche Weines zugesetzt, die dann ihre Wirkung tat wo sie es sollte. Verdünnt muß man den Trank kredenzen; unverdünnt käme vielleicht Gott weiß was für eine fürchterliche Wirkung. Deshalb habe ich auch den Totenkopf darauf gemalt, – nein, eigentlich nicht deshalb, sondern damit mir niemand anders an die Flasche geht. Der gute alte Herr hat sie nie berührt, und jetzt ist er gedächtnisschwach geworden, dafür habe ich ein deutliches Gefühl, ein Gefühl, das sozusagen von innen kommt. Er geht zur Ecke und beugt sich nieder. 11 Ja wo ist sie denn? Hier stand sie doch noch gestern abend um halb zehn?! Wer mag sie genommen haben? – Nun, die Wirkung wird es offenbaren. Aber – wie auch alles kommt: ich weiß von nichts! Für mich war es ein Gift! Deshalb habe ich auch den Totenkopf darauf gemalt! Und wenn die Flasche nicht mehr voll war, dann wird der, der sie jetzt geholt hat, schon öfter dagewesen sein. Das kann ich nicht beweisen, aber ich kann es behaupten; denn: könnte es nicht so sein, wenn ich nicht wüßte, daß es nicht so ist? Ab.

Verwandlung:

Park, Tisch, auf ihm die Flasche.

Brangäne, gleich darauf Isolde.

Brangäne. Tristan naht! Durch die Alleen
Könnt Ihr ihn von fern schon sehn!

Isolde. Sieht er den Tod gemalt, dann wird er schwerlich
Zu glauben sich entschließen, ich meint's ehrlich!
Hab ich dir nicht befohlen, jenes Schild
Ganz zu beseitigen mitsamt dem Bild?

12 Brangäne. Himmel, das habe ich wirklich vollkommen vergessen! Ich weiß nicht, aber ich war so zerstreut!

Isolde. Die Kleider spukten dir wohl schon im Sinn:
Recht oberflächlich lebst du doch dahin!

Brangäne. Dies Wort prallt durchaus von meiner Oberfläche ab! Niemand kann mehr geben als er hat! Wenn wirklich Götter von drei Dimensionen existieren – Ihr spracht vorhin im Keller von ihnen – so scheint mir, daß sie vom rein Geistigen noch mehr entfernt sein müssen als unsere nur zweidimensionale Welt. Und könnten sie wohl das Kunststück vollbringen, das unsere Philosophen ausführen, wenn sie sich beim Denken aufs Eindimensionale reduzieren? Auf eine einzige grade Linie? Gibt es etwas noch Geistigeres?

Isolde. Davon habe ich nie gehört! Wie machen sie es, und warum machen sie es?

Brangäne. Es ist ein halb innerer, halb äußerlicher Drehungsprozeß: sie drehen sich so gegen unsere materielle 13 Weltlampe, daß ihres Wesens Schatten, ja ihr Wesen selbst sich immer mehr zusammenzieht, bis es, wie ein Pfahl, zur Linie wird. Sie tun es, um sich nach Möglichkeit in das rein Geistige zu verlieren, um alles Oberflächliche, das sie im Anschaun der Begriffe stören könnte, auszuschalten. Deshalb nennt man sie dürr. Ich habe einmal in so ein Buch hineingeschaut und spürte selbst noch etwas von jenem Prozeß: es drehte sich in mir ganz leise.

Isolde. Wie du mit einemmal gebildet redest, jetzt, wo ich den Verkehr mit dir aufgeben muß, wo ich im Begriff bin mich aufzulösen, nicht in eine Linie, sondern, mit Überspringung jener schon geläuterteren Welt, in einen Punkt, der emporschwebt in die ewigen Gefilde des Nichts! Mir graust es, aber es muß sein. Leb wohl!

Brangäne. Lebt wohl! Es geh Euch gut in jenen Höhn,
Und für die Kleider dank ich noch recht schön! Ab.

Isolde. Tristan naht! Und dieser Augenblick
Beschließt mein ganzes, tragisches Geschick.
14 Ein letztes Mal will ich still Einkehr halten
Im eignen Selbst: dann mag das Schicksal walten. Senkt den Kopf.

Tristan nähert sich langsam, bis er in einiger Entfernung stehen bleibt.

Tristan. Die bittre Person! Da steht sie und wartet!
Welch alberner Plan! Wie dumm abgekartet!
Gift wär in der Flasche ?! Ich kenn sie manch Jahr lang:
Ein köstlicher Wein ist es, uralter Jahrgang!
Wie oft stieg der König mit mir in den Keller,
Und sagte: ich dürfe Bordeaux, Muskateller
Und Rheinwein und Steinwein und alten Burgunder–
Kurz alles nach Herzenslust trinken: Ein Wunder,
Ein Heiligtum aber war diese Bouteille,
Fromm zu verehren wie eine – – –

Ja, hier kam ein Fremdwort, wie es alte Leute anwenden, das sich auf Bouteille reimen konnte. Hieß es nicht: merveille? Ich weiß nicht mehr. Schau! jetzt hat der alte Herr gar einen Totenkopf auf diese altmodisch-unmöglich gebauchte Flasche gemalt, damit ihm ja – aber auch ja keiner drangeht! Und Isolde glaubt im Ernste, es sei Gift drin!

15 Isolde hebt den Kopf. Ich bin fertig mit meiner Einkehr in mich selbst; jetzt dürfte Tristan sein Selbstgespräch auch bald beenden.

Tristan. Eigentlich war es doch abscheulich von mir sie zu verheiraten; ich habe eine Ahnung, als könnte sie . . . oder als könnte das Schicksal . . . Dummheit! Frisch ins Gefecht!

Isolde hat den Kopf wieder erhoben; sie wartet.

Er nähert sich.

Verzeiht mir gnädige Frau, ich bitte,
Daß ich die Pflichten unsrer Sitte
Nicht gleich erfüllt: Der Königin
Leg ich mein Herz zu Füßen hin!

Isolde. Mein Herre Tristan, nur gemach!
Gefährlich ist die Königin: Schach
Sagt sie dem lockren Ritter an!
Dem losen, ehrbefleckten Mann!

Tristan. Wo viele Tugenden sich einen,
Da werden Flecken reizvoll scheinen.
16 Das Beispiel wähl ich von der Rose:
Die äußren Blätter, locker, lose,
Und leicht gesprenkelt, matt im Glanze:
Als Folie heben sie das Ganze!
Geruht mir recht zu geben, denn Ihr wißt
Daß »Blatt« und »Folie« identisch ist.

Isolde. Herr Tristan: Solche Spielerein
Des Witzes waschen Euch nicht rein!

Tristan. Nun, ich gesteh es: ich war schlecht!
Jedoch in Einem tat ich recht:
Morold habe ich erschlagen
Wie den Siegfried einst der Hagen.

Isolde. Beruft Euch nicht auf die Geschichte:
Ihr steht Euch selbst im eignen Lichte!

Tristan. Es war übereilt, ja ja;
Etwas unzart, ein faux pas.
Jedoch ein schroffes Bild erwählt
Oft zartrer Sinn, der sich verhehlt:
17 Verlobt war Morold Euch: dies Wort
Reißt einen Ritter blindlings fort.
Nur dies kann meine Tat entschuldigen:
Ich tat sie nur, um Euch zu huldigen!

Isolde. O unbegrenzter Kränkung Zone:
Nun dien ich gar noch seinem Hohne!
Herr Tristan! Sieben Jahre schwanden,
Und in der Zeit bliebt Ihr abhanden.
Dann wart Ihr plötzlich wieder da –
So sorglos, wie wenn nichts geschah!
Ihr kamt mit einer Hochzeitsbarke
Und führtet mich zu König Marke!
Ich dachte: Hat der König nur
Ein wenig, irgendeine Spur
Von meines Herzens Ideal,
Dann ist's ja gleich, dann ist's egal!
Doch wie, wie war er? Ach! uralt!
Jammergreises Spottgestalt!
In seines Reiches Diöcesen
Lebt kein solch zweites Schattenwesen!

Tristan. Ein Schattenwesen? Gnädige Frau,
Ihr nehmt den Ausdruck nicht genau;
Er ist von peinlichem Gewichte:
Ihr steht Euch selbst im eignen Lichte!

18 Isolde. Höhnt nur so fort! Zweideutigkeit
Wies Euer Wesen allezeit!
Doch nun ist's aus! Eindeutig droht
Dort auf dem Tisch die Flasche – Tod!
Für Euch wie für mich selber!

Tristan.                                       Ah!
Dacht ich's mir doch, als ich sie sah!

Isolde. Ich ahnte schon, Tristan verständ's,
Sah er das Schildlein mit Tendenz,
Und bat Brangänen, von der Flaschen
Die Etikette abzuwaschen.
Sie hat's vergessen! Ihr vermißt
Auch Gläser auf dem Tisch. Mir ist
Die doppelte Unachtsamkeit
– Ich sag es offen – herzlich leid.

Tristan. Der wohlgefügten Rede Sinn
Zielt, scheint mir, kurz pointiert dahin:
Der Fall war etwas peinlich, denn er hätte
Zu viel teils, teils zu wenig Etikette.

19 Isolde. Habt Ihr nichts Ernsteres zu sagen?
Sagt es jetzt gleich, denn Euren Tagen
Ist nun ein Ziel gesetzt; gar bald
Verändert sich Euch die Gestalt,
Schrumpft Ihr zu eines Schattens Schatten,
Könnt Euch kein Wörtlein mehr verstatten,
Steht Ihr vor allen Lebens Geber,
Urewigem Gestaltenkleber.

Tristan. Erhabene Fürstin! Herrin deines Knechtes!
So fleh ich um Gewährung jenes Rechtes,
Das jedem Sünder zugesteht die Sitte:
Erfüllung einer allerletzten Bitte!
Laßt mich den Trank alleine trinken,
Laßt mich auf eine Bank dann sinken;
Eingehn laßt mich in den Hafen,
Tiefsten Friedens Glück verschlafen,
Bis des Wächters Hand mich schüttelt,
Wieder ins Bewußtsein rüttelt!

Isolde. Das klingt beinah wie Blasphemie!
Die Antwort – ich erspare sie.
Geh, Tristan, Knecht, und hole
Vom Tisch die Todphiole!

20 Während Tristan den Arm nach der Flasche ausstreckt, erscheint die riesige Schattenhand des Regisseurs, die sie vom Tisch nimmt und in Tristans Hand befestigt.

Tristan. Dem Trank muß Märchenwonne innewohnen:
Schon vor dem Trunke zeuget er Visionen! Trinkt sehr lange.

Isolde. Die Flasche ragt schon beinah steil!
Halt, Tristan! Gönnt mir auch mein Teil!

Die gleiche Erscheinung; nun hält Isolde die Flasche.

Isolde. Um Gott was ist dies? Wie's mich graust!
War's doch, als schöbe eine Faust
Die Flasche fest in meine Hand –
Gigantisch wie aus Geisterland!
Hielt ich mein Los erst selbst in Händen –
So fühl ich nun: Jetzt tut sich's wenden! Trinkt.

Tristan. Mir beginnt der Kopf zu brausen,
Ich bekomme Ohrensausen:
Wirkt dies die Kraft des alten Schnapses?

21 Isolde. 's ist Vorspiel gänzlichen Collapses!
Ach, mein Herz jagt in der Brust
Wie zu allerhöchster Lust!
Und doch fühl ich: 's ist nur eben
Übergang zu neuem Leben!

Tristan. Fühl ich nicht die Glieder beben?
Spannen sie sich nicht zum Leben?
Treibt nicht allerhöchste Lust
Schäumend-wild durch meine Brust?
Isolden seh ich noch ganz klar,
Sie ist genau so wie sie war:
Scharf von Gesicht, spitz, degoutant,
Und trotzdem scheint sie intressant!

Isolde. Tristan – daß Ihr's wißt: Euch haß ich!
Gern mit Euch dies Reich verlaß ich!
Einmal muß ich es noch sagen:
Da Ihr Morold mir erschlagen
Gegen alle Gastgebühr,
Tristan, seht: Dafür, daführ–
Test du das Schiff aufs neu zur See,
Du Aben– –teurer Mann! Du E–
Länder . . . trennten dich und mich,
Du Ungeheuer . . . lieb ich dich!

22 Um Gotteswillen, ich kann nicht mehr so reden wie ich will, es kommt ganz anders, was ist denn das?

Tristan. Ich ahne etwas wie Verbrechen,
Doch noch kann ich in Versen sprechen:
Pfui, Isolde! Nur um Schlingen –
Nur – – umschlingen laß dich, Holde!

Nein! Nur um mir Schlingen zu legen, – wollte ich sagen, und dann sollte etwas ganz Anderes kommen! Meine Arme heben sich bloß um mich zu verteidigen! Gnädige Frau, ich bitte um alles in der Welt: Gehn Sie mir aus dem Weg! Ich kann nicht anders, ich muß auf Sie los! Meine Beine laufen ganz von selbst, das heißt, ich spüre so etwas wie eine Maschine, gegen deren Gewalt ich wie Pappe bin!

Isolde. Tristan – – ich fühle mich von derselben Kraft getrieben, aber vielleicht geht's gut und wir rennen aneinander vorbei!

Sie bewegen sich mit erhobenen Armen gerade auf einander los, prallen zusammen, halten sich umarmt, stoßen sich dann heftig zurück und retirieren in ihre vorige Stellung.

23 Tristan. O Gott, ich spür einen neuen Stoß!

Isolde. Ich bin schon im Gange!

Tristan. 's geht wieder los! Dasselbe Spiel.

Isolde. Und doch – was für eine süße Empfindung –
Mit einem Mann so in engster Verbindung!
Geliebter! Kommt's zum dritten Kuß,
Küß ich dich, weil ich will und muß!

Dritte Umarmung, in der sie verharren.

Isolde. O, welches Glück in deinem Arm!

Tristan. Begreif ich jetzt erst deinen Charme?
Und saß die Erlösung nun in der Flaschen,
Oder unter meines Panzers Maschen?!

Isolde. Fast scheint es mir: war sie nicht da,
Dann ständen wir uns nicht so nah.
24 Doch sie nur preisen wär verkehrt:
Auch ohne Flasche hab ich Wert!

Tristan. Flammende Wahrheit sprach dein schöner Mund!
Als meinen Schlachtruf tu ich künftig kund
Die Worte tief ergreifend und erhaben –
– Ich laß sie auch in meinen Schild eingraben,
Wer sie nicht glaubt, fällt durch mein Schwert:
»Auch ohne Flasche hat sie Wert!«
Jedoch ich seh, du hältst sie immer noch
In deiner Rechten; bitte laß mich doch
Einmal noch kurz an ihre Öffnung hin:
Ich glaube, es ist noch ein wenig drin!

Isolde. Dazu bin ich gern erbötig;
Ich selber habe es nicht nötig.

Tristan. Ich meinte es nur parenthetisch.
Laß es! Es wäre unpoetisch!
Und Liebe, – ach was wäre sie,
Verklärte sie nicht Poesie!
Laß uns poetisch sein, Isolde,
Du meiner Sehnsucht Sternendolde!

25 Isolde. Laß sehn ob ich mit schlichtem Sinn
Wohl auch etwas poetisch bin.
    Hebt die Flasche.
Totenkopf und Gift
Weiset hier die Schrift.
Laß mich dir erklären,
Was die Zeichen lehren:
Mit dem Tod ist alles aus,
Nur die Liebe wächst noch draus.
Gift – nun, in gewissem Sinn
Ist auch wohl was Giftiges drin.
Ach, ich fühle jeden Tropfen
Feuerbrennend in mir klopfen.
Auch in dir fühl ich es knistern,
Doppelglut will sich verschwistern.
Laß mich dein sein, laß dich mein sein,
Laß uns ewig im Verein sein!

Tristan. Auf! Auf ins Schloß! Der König hat's verlassen:
Er ist auf Jagd mit allen seinen Sassen.
Ha! und das schert mich nicht mal groß:
Von heut ab werd ich rücksichtslos!
Negieren wollen wir die Welt,
Bejahen nur, was uns gefällt!
26 Dein Ja, mein Ja soll stets aufs neu verkünden,
Wie wir uns siegreich stets aufs neu verbünden.
O ewig intressante Unterhaltung!
O ewiges Ja, in ewiger Neugestaltung!

27 Zweiter Akt

Zimmer im Schloß.

Brangäne, Kellermeister.

Kellermeister. Ihr glaubt also, lange werde das nicht mehr so fortgehn?

Brangäne. Wie ich schon sagte. Wäre der König nicht so blind und so taub, – er müßte etwas bemerken, denn sie nehmen nicht die geringste Rücksicht. Der Hoheit seiner Person droht die Gefahr in den Schein der Lächerlichkeit zu kommen: Ei ei, schon wieder eine neue Flasche? sagt er ganz ahnungslos und verwechselt das Geräusch ihrer schamlosen Küsse mit dem Aufziehn der Pfropfen. . . . Und solche Verstellung! Drunten im Park – sagte die Königin – wolle sie mit Tristan sterben. Ich traute meinen Augen nicht, als ich die beiden in höchst animierter Stimmung in den Privatgemächern der Königin verschwinden sah, während ich grade heruntergehn wollte um nachzusehn, ob sie schon tot wären.

28 Kellermeister. Ja ja, das Leben ist wie jenes unbekannte Göttertier unserer Apokalypse, von dem so ahnungsvoll und rätselhaft geschrieben steht: Es wechselt die Farbe.

Brangäne. Die Königin hatte mir ihre sämtlichen Kleider vermacht; die kann ich nun alle wieder langsam zusammenstücken, denn ich hatte sie größtenteils schon aufgetrennt um sie umzuarbeiten, da ich etwas kleiner bin als Isolde. Es ist wirklich nach jeder Richtung hin ein Ärgernis. Und dabei behaupten die beiden, sie hätten die Giftflasche wirklich ausgeleert. Haben sie das – nun, dann war kein Gift drin, darauf will ich Gift nehmen! Sie behaupten auch, es sei ein Liebestrank gewesen, aber das ist nur eine Ausrede. Sie werden die Flasche wohl ausgeschüttet haben, sind dann in den Keller gegangen und haben irgend etwas anderes getrunken. Und wenn es wirklich ein Liebestrank war: Hat man denn nicht sein moralisches Rückgrat?!

Kellermeister. So so! Seid Ihr so moralisch? Ich kenne eine gewisse junge Dame, ein kleines allerliebstes Fräulein . . .

29 Brangäne. Ich weiß schon was Ihr sagen wollt! Aber erstens ist Isolde weit älter als ich, und zweitens hättet Ihr mich mit solchen Mitteln nie gefangen!

Kellermeister. Aber liebes Kindchen, er war ja noch dazu stark verdünnt!

Brangäne. Wer war verdünnt?

Kellermeister. Wer verdünnt war?

Brangäne. Nun ja, Ihr sagtet doch eben selbst . . .

Kellermeister. So? Nun, Tristan, wenn Ihr an den etwa denkt, der ganz gewiß nicht! Er ist sogar seither sehr geschwollen! Er macht große Worte, wie ich sie vordem nie von ihm hörte!

Brangäne. Da habt Ihr recht! Lächerliche Worte sind es; er redet Isolden nach, oder sie ihm. »Symbol« ist jetzt ihr drittes Wort. Und wißt Ihr, was sie damit meinen? die Flasche!

30 Kellermeister. Was ist denn das: Symbol?

Brangäne. Symbol ist das, was nicht bedeutet was es ist, sondern etwas Höheres, wofür man nichts kann. Und statt »Flasche« sagen sie jetzt »Pokal«. Gestern überraschte ich Tristan, wie er wieder bei dem Dinge war; es sah aus, als wolle er über sich in die Luft emportrompeten, während es ihm doch nur darum zu tun war, die letzten armseligen Tropfen zu bekommen.

Kellermeister. Ich muß Euch etwas erzählen, aber sagt es nicht weiter, sonst komme ich um meine Stellung: Der König, so sagte unsere gnädige Frau kürzlich, hätte tausend Flaschen davon trinken können und es hätte nichts genützt. Sie sagte sogar, er könne dies Getränk ruhig als Tafelwasser genießen.

Brangäne. Nun das glaube ich wohl. Marke bleibt trocken, und alles auf die Jagd gehn nützt ihm auch nichts; aber Tristan und Isolde, fürchte ich, sitzen auch bald irgendwie auf dem Trocknen. Still! da kommt Tristan; ich ziehe mich zurück; er hat mich 31 heute früh so in den Arm gekniffen, daß er mir noch jetzt weh tut. Ich will mit Tristan nichts zu tun haben, wenn mir dies auch zeigt, daß ich keine Tränke nötig habe um bemerkt zu werden. Lebt wohl! Es hat mir gut getan, mich einmal ganz in der natürlichen Volkssprache zu erholen. Die Hofsprache ist vornehmer, aber sie strengt an. Ab.

Tristan tritt auf, mit gesenktem Kopf.

Kellermeister. Ich will etwas bei Seite treten, damit er mich nicht sogleich sieht.

Tristan langsam.
Großer Gott, wie ist's nur möglich,
Daß sich alles gar so – kläglich
Wandelt? Daß mit Haß erfüllt,
Was sich erst von selbst – empfiehlt?!

Ich kann nicht einmal mehr in anständigen Reimen sprechen; Gott gebe mir Stärke! . . . Ich zermartere mir den Kopf, wie eigentlich unsere Gefühle zustande kommen: Ich fand Isolde häßlich und habe oft heimlich über sie gelacht. Ich weiß genau, daß ich bei der ersten Umarmung nichts empfand; bei der zweiten auch – fast nichts. 32 Erst bei der dritten. Und jetzt . . .? Aber: kann ein Trank etwas in einem erwecken, das nicht schon vorher im Innern schlummerte? Ich halte das für unmöglich; der Trank war nicht der Grund, sondern nur die Veranlassung. Er hebt den Kopf. Was ist das für ein Schatten dahinten? Fast wie der Schatten des Kellermeisters; nein, er ist es selbst. He, Kellermeister!

Kellermeister. Um Vergebung, gnädiger Herr! aber ich stand da nur so in Gedanken. Und auch eigentlich das nicht einmal: Mir ist, als führe erst jetzt wieder Leben in mich hinein, wo ich gebraucht werde.

Tristan. Gedanken ziemen sich auch nicht den Untern,
Da sie zu eignem Denken nur ermuntern;
Denn wie des Denkens Frucht auch wär:
Holzäpfel bleiben stets vulgär.
Wenn ich jetzt trotzdem Euch mein Herz erschließe,
Schutzsuchend seine Not vor Euch ergieße,
So ist's weil es von selber überquillt,
Und Ihr des Mittels Herr seid, das es stillt.

Kellermeister. Gnädiger Herr, Ihr erschreckt mich!

33 Tristan. Ich werde offen reden; Wahrheit nur –
Nur sie – schafft meinem Unglück Remedur.

Kellermeister. Remedur? was ist das?

Tristan. Remedur ist, kurz gesprochen, wenn man einen Schaden bessert; aber unterbrecht mich nicht wieder, obgleich Euer schlichter Sinn mir gefällt. Hört also:

Ich und Isolde – o wohin ist sie geschwunden,
Die Zeit, in der wir taumelnd uns gefunden!
Was ward aus der Musik, die in uns dröhnte,
Die wir's nicht wußten, daß sie uns nur höhnte ?!
In reinstem Dur erst, tönt sie jetzt in Moll!
Doch nein! Das machte nicht mein Unglück voll:
Sie brüllt jetzt laut in Dur- und Mollakkorden
Auf einmal – – die mich seelisch töten, morden!
Wenn Ihr nichts fühlt bei diesem starken Bild,
Das mir von selbst aus meinem Innern quillt,
Weiß ich auch andre; längst sind sie gesucht,
In meines Herzens Kammer längst gebucht:
Mein Los – so wähnt ich – künstlerisch betrachtet,
Wär etwas weniger fürchterlich umnachtet.
Doch was hat man am End von dergleichen
Bilderreichen Vergleichen!

34 Kellermeister. Gnädiger Herr, drunten werden ein paar Fässer abgezogen, ich muß hinabgehn, die Knechte saugen sich sonst so voll wie ein Löschpapier voll Tinte.

Tristan. Ich will mich also kurz fassen; und da mich die Hofsprache abzieht von der zweckvoll-platten Anwendung der Worte, will ich ihre gewundenen, wohlgepflegten Kiespfade verlassen und mich auf die breite Landstraße des Volkes begeben, die mehr Freiheit und Bewegung verstattet. Also: Isolde und ich tranken einen Liebestrank. Über seine Bedeutung will ich mich hier nicht auslassen; wir liebten uns, und wir lieben uns noch, jetzt aber nur mehr auf eine gewisse Weise: Sind wir getrennt, so denken wir mit höchster Abneigung an einander, sowie wir uns aber zu Gesicht bekommen, wirkt der Trank wieder. Ich kann mir nicht anders denken, als daß jenes Geistige, das wir beim Wein die Blume nennen, sich verflüchtigt habe, so daß nur das Grobe, Spritmäßige in uns noch fortwirkt. Wir haben dergleichen Erscheinungen auch anderswo bemerkt, wo keine Tränke im Spiel waren, wo es sich nur um einfache, gewöhnliche Liebe handelte. Immerhin: Wir tranken ihn, anfangs war es anders – nachdem wir beide ein gewisses 35 Widerstreben überwunden hatten – und es muß auch wieder anders werden. Ich sehe aber nur ein einziges Mittel: Wir müssen weitere Flaschen von diesem Trank bekommen, die jetzige ist blank und leer als käme sie frisch aus der Glasfabrik.

Kellermeister. Mein guter Herr, es gab aber nur diese eine Flasche!

Tristan. Das macht Ihr mir nicht weiß! Ich erinnere mich zwar, als Kind stets nur diese eine als außergewöhnlich bemerkt zu haben, aber so geht es Kindern immer: Das Außergewöhnliche erscheint ihnen einzig in seiner Art, und später sehn sie, daß es davon noch mehr auf der Welt gibt, ja daß es nicht einmal außergewöhnlich war! Also schafft mir eine zweite Flasche, vorerst.

Kellermeister. Ich kann es nicht.

Tristan. So! Ich habe aber Mittel Euch zu zwingen! Wie kam es denn, daß die Flasche nicht mehr voll war, als Isolde sie holte? Ich habe auch etwas nachgedacht, inzwischen! Und hättet Ihr sie nicht vorher für Euch selbst gebraucht, so wäre jetzt 36 noch soviel da, als damals fehlte, wie wir die Flasche bekamen! Und darum sage ich Euch: Tut Ihr nicht was ich will, so seid Ihr die längste Zeit Kellermeister gewesen! Kerkermeister werdet Ihr dann, aber nicht so, daß Ihr Meister des Kerkers seid, sondern daß der Kerker Euch meistert! Lebendig-tot seid Ihr dort unten, eine taub-glotzende Puppe, ohne jede Ansprache!

Kellermeister. Lieber gnädiger Herr, ich will alles tun was Ihr befehlt! Genau dieselbe Flasche kann ich Euch nicht schaffen, das ist unmöglich. Aber ich will Euch mit einem andern Trank aufwarten, Euch und der Königin; der soll Euch hinwegtäuschen über das Elend, dem Ihr jetzt verfallen seid, ja zeitweilig wird es Euch vielleicht scheinen, als sei es der erste, echte Trank – – wenn Ihr ihn nur im rechten Momente anwendet.

Tristan. Tut das, und somit Gott befohlen.

Kellermeister will gehn.

Tristan. Halt! noch eines: Wenn nun alles Unheil wirklich nur aus der Flasche käme, sagt: wie lange kann es dauern?

37 Kellermeister. Nun, Ihr habt etwa das Hundertfache von dem getrunken, was andere in mir bekannten Fällen tranken, – und die tranken es stark verdünnt. Bei denen dauerte es ein paar Tage – Ihr könnt Euch also auf eine recht lange Zeit gefaßt machen.

Tristan. Gibt es bei größeren Portionen nicht so etwas wie Rabatt?

Kellermeister. Daß ich nicht wüßte! Überdies täuscht Ihr Euch, gnädiger Herr: Wenn ich ein starkes Gift ganz langsam nach und nach nehme, so ist das doch nicht dasselbe, als wenn ich es auf einmal trinke. Im ersten Fall schwächt sich die Wirkung ab, im zweiten wirkt sie tötlich – das heißt, auf Euch angewandt: fürs ganze Leben.

Tristan. Also auf alle Fälle dann wenigstens nachhelfen, wie ich sagte.

Kellermeister will abermals gehn.

Tristan. Halt! noch etwas, nebenbei: Ich habe meinen Kriegsschild zum Waffenschmied bringen lassen, 38 damit er mir eine gewisse Devise darauf eingrabe; bestellt das wieder ab!

Kellermeister. Sehr wohl, gnädiger Herr. Ab.

Tristan. Dieses Ganze kommt mir so äußerlich vor! Wüßt ich doch ein inneres Mittel!

Ach, da sehe ich Brangänen!
Könnt ich doch an sie mich lehnen,
Mein müdes Haupt in ihrem Schoß!
Weh! wär ich von Isolden los!

Sollte Brangäne als lebendiges Gegenmittel nicht viel besser wirken?

Fern durch das Dunkel glimmt ein Licht, ein Hoffnungsscheit!
O, glich es jener Fackel, die in alter Zeit
Leandern neue Kraft gesandt vom Horizonte,
Wenn er die Fluten teilte nachts im Hellesponte!

Brangäne tritt auf.

Brangäne. Tiefsinnig scheint Ihr, Herr, zerstreut!

39 Tristan. Ihr ahnt, was mich bedrückt! Noch heut
Sucht ich am Arm Euch zart zu halten,
Ihr aber sucht mich auszuschalten!
Aus eures Geists verschlungnen Gängen
Wollt Ihr den Tristan ganz verdrängen!
Fast mathematisch scheint Ihr mir gemessen!
Läßt sich kein Tröpflein Mitleid pressen
Aus Eurer herben Wesenheit?
Fühlt Ihr denn nicht, wie's in mir schreit
Nach einem Herz, das mich versteht?
Zeigt Wärme doch, wenn auch diskret!
Ihr spielt die Rolle der Vertrauten:
Ich kann Euch sagen: Nie erbauten
Dergleichen kraftlose Gestalten
Die Götter! Wenn sie wirklich walten
Und aus des Chaos dunklen Räumen
Zuschauend unser Schauspiel träumen –
Dann, glaubt mir: Nur die Leidenschaft
Leiht uns in ihren Augen Kraft!
Sich selbst nur woll'n sie in uns sehn!
Deshalb laßt mehr mich noch erflehn!
Was ich erflehe, ziert Euch:
Befreit, emanzipiert Euch!

Brangäne. Errat ich, was Ihr verschleiert laßt:
Nun, ich war schon darauf gefaßt.

40 Tristan. Wir irren auf halblichten Wegen,
Doch gehn wir beide uns entgegen.
Brangäne, Süße! Teure!
Nehmt mich! Ich bin der Eure!
Erhöre mich, Geliebte, Holde,
Du meiner Sehnsucht Sternendolde!

Brangäne. Holde? Dolde? Diese Apostrophierung klingt, als wäre sie ursprünglich für eine andere gemacht worden, und zwar genau nach Maß! Bin ich jetzt gut genug, dies abgelegte Schuhwerk auszutreten? Laßt es an den Versfüßen sitzen, die es bisher getragen haben; meine eigenen Fußfersen lehnen sich dagegen auf.

Tristan. Mag sein, daß ich dies Bild schon früher brauchte,
Doch das Gefühl, das es erzeugt, verrauchte!
Neu steigt es nun als Phönix aus der Aschen,
Mit jungem Flügelschlag, rauschendem, raschen
Die Sternendolde wird zur Sternenwelt,
Durch deine Liebe erst verklärt, erhellt!
Laß mich versuchen mich zu sammeln,
Mein Unglück vor dir auszustammeln:
41 Hör denn: Ich lieb Isolden nicht!
Hör denn: Ich fürchte ihr Gesicht!
Sehn wir uns – 's ist nicht zu ändern –
Sind wir wie mit Eisenbändern
Aneinander angekettet:
Du nur bist es, die mich rettet!
Ach Brangäne, zieh mich stärker!
Hilf mir, hilf mir aus dem Kerker!
O, willst du mir Hilfe spenden?
Deine Gunst an mich verschwenden?

Brangäne. Gnädiger Herr, Ihr wißt genau:
Mein Gefühl für Euch ist lau.

Tristan. Einstens spracht Ihr zu Isolde
Worte von unschätzbarem Golde:
»Ach, unter den Vasallen allen
Kann mir Herr Tristan nur gefallen.«

Brangäne. Woher wißt Ihr das?

Tristan.                                   Sie sagte
Es mir selber! und sie wagte
42 Fortzufahren: »Vor Brangänen
Darf ich dich wohl sicher wähnen;
Natur hat recht an ihr gegeizt:
Nichts hat sie, was die Männer reizt!«

Brangäne. Da soll sie sich täuschen!

Tristan.                                           Und sagte weiter:
»Wäre Brangäne ein bißchen gescheiter,
Dann wüßte sie auch: Eine Garderobiere
Macht nie im Leben besondre Karriere.«

Brangäne. Hier habt Ihr meine Hand, Tristan!
Ich bin die Eure! Nehmt sie an!

Tristan. Ach, des Lebens Glück
Kehrt mir nun zurück!

Kellermeister tritt auf.

Kellermeister. Gnädiger Herr, hier bringe ich gleich eine Doppelflasche.

Tristan. Flasche? Flasche?

43 Kellermeister. Ihr habt sie doch selber befohlen, gnädiger Herr.

Tristan. Ich befohlen? Du bist nicht bei Verstand, Alter! Nimm sie wieder mit! Meinetwegen trink sie selber!

Kellermeister geht langsam ab – für sich. Dies ist ja sonderbar! Diese ganze Szene ist sonderbar. Nun, sie haben's zu verantworten. Große Leute mögen ihr Pferd nach Belieben tanzen lassen, mein Karren geht geradeaus nach des Herrn Befehl. Es erfordert Takt, die richtigen Befehle von den unrichtigen zu unterscheiden. Erst befahl er mir die Flasche zu bringen, jetzt befiehlt er mir, sie wieder mitzunehmen. Ich werde sie ihm auf sein Zimmer stellen; damit erfülle ich keinen der beiden Befehle und doch beide zugleich. Das letzte aber was er sagte – ich solle sie selber trinken – war kein Befehl, sondern eine höchst zweifelhafte Erlaubnis; deshalb erlaube ich mir, mich von dieser Erlaubnis mit Verlaub zu beurlauben. Ab.

Tristan. Faßt diesen Trank ganz harmlos auf,
Brangäne; ach, ich kam nur drauf
44 Aus Not ihn zu bestellen,
Mein Herz gleichsam zu prellen!
Wein ist es! ganz gewöhnlicher!
Durch ihn hofft ich versöhnlicher
Das Los mir zu gestalten,
Aufrechter mich zu halten!

Brangäne. Ich versteh's! Doch, Tristan wißt,
Daß es zwischen uns nichts ist,
Wenn Ihr mich nicht ehelicht!
Später! Gleich – das mein ich nicht.

Tristan für sich. Ich kann ihr ja vorläufig mein Wort geben.
laut: So schwöre ich dir: Unbedingt
Heirat ich dich, sowie's gelingt,
Die Mauern ganz zu sprengen,
Die jetzt mich noch umengen!
Schon wanken sie! Das Zauberwort – schon schallt es!
Die Mauer klafft – und durch das Hohl des Spaltes
– Besser als Thisben einst und Pyramus –
Glückt uns, Geliebte, nun der erste Kuß!

Er will Brangäne umarmen, wird aber im letzten Augenblick heftig und unsichtbar zurückgerissen.

45 Tristan. Was? Was bedeutet dies? Ein Negativum? Genau so stark wie Isolde gegenüber das Positivum? Ein Gegenteil? Ein Gegenpol? Ein Gegengewicht? Ein Pendant? Heutzutage, wo man alles, was an ein Pendant erinnert, so ängstlich vermeidet? Ich finde das geschmacklos – wen auch immer die Verantwortung trifft!

Brangäne, kehr dich nicht daran!
Fangen wir noch einmal an!
Es muß gehn!

Brangäne. Jetzt nicht, Schatz, ich höre Isolde.

Tristan. Isolde?! Um Gottes willen, da muß ich fliehn; ich habe eine Ahnung, als wenn ich gerade jetzt mit doppelter Gewalt in ihre Arme stürzen würde! Schnell ab.

Isolde tritt ein.

Isolde. Es tat soeben in mir einen Ruck nach vorwärts, also muß Tristan im Augenblick noch hier gewesen sein. Gott sei dank, daß er schon fort ist.

46 Brangäne. Herrin – eine kleine Reise
Würd Euch zerstreun! Was meint Ihr?

Isolde.                                                   Weise
Könnt ich vielleicht den Ratschlag nennen,
Tat ich seinen Grund nicht kennen:
Du warst mit Tristan hier allein!

Brangäne. Herrin, ich will Euch von ihm befrein!

Isolde. Befrein, um ihn dann selbst zu frein!

Brangäne. Mein Eid soll Euch bestätigen, Herrin . . .

Isolde. Meineid! wolltst du sagen, Närrin!

Brangäne. So hört: Bei der Dreieinigkeit . . .

Isolde. Von Einigkeit sind wir drei weit!

47 Brangäne. Im Namen des Allerhöchsten schwör ich . . .

Isolde. Wie? Auch Herrn Markes Namen hör ich?

Brangäne. Nun denn, so schwör ich beim Abendmahle . . .

Isolde. Da ging's schon an! im großen Saale!

Brangäne. Herrin, Ihr wollt mich nicht begreifen!

Isolde. Du irrst! Meine Gedanken schweifen
Nur über's Ziel, das du mir steckst!
Wie du die Worte auch dehnst und reckst:
Ich seh verborgnen Sinn verhüllt,
Denn jetzt fühl ich mich ganz erfüllt
Von jenem Etwas, das »Instinkt«
Gelehrte nennen! Er ertrinkt
Zuweilen fast in von Gedanken
Und von Vernunft erfüllten Schranken:
Zur Zeit sind meine Schranken leer,
Drum um so üppiger wuchert er!
48 Auf den Gedanken einer Reise
Kam ich bis jetzt noch nicht; ich weise
Sie aber rundweg ab von mir,
Aus kluger Eifersucht; mir dir
Soll Tristan sich die Zeit vertreiben,
Und mit dir leben, lieben, leiben?!
Ich sag dir: Nichts wird draus!
Ich bleib bestimmt zu Haus!

49 Dritter Akt

Halle im Schloß.

König Marke mit einem Buche.

Marke. Das Leben gleicht dem Strom der Jahrestage;
Das Kind erwacht in duftigem Lenzeshage,
Es wächst zum Knaben lieblich dann heran,
So wie die Blüt' als Knospe erst begann.
Der Sommer reift verheißungsvolle Frucht,
Die Traube glüht in sonneroter Bucht;
Es färbt der Herbst die grünen Blätter fahl,
Und bald ist alles stille, starr und kahl;
Die Bäume schlafen ein, und weiß und kalt
Ragt schneebedeckt und regungslos der Wald.

Die Verse gefallen mir, obgleich sie viel Fremdwörter enthalten: rot – grün – weiß – das klingt mir alles transzendentalphilosophisch. Nun, unser Land hat auch seine Vorteile: es steht im Zeichen der Frömmigkeit, und wenn ich einmal sterbe, braucht man nichts für die Trauer auszugeben. Doch hoffe ich, daß ich noch vor meinem Tode das Gnadengeschenk des Alters erhalten werde, das unsern befangenen Blick ein wenig lichtet: 50 Den grauen Star meine ich . . . Isolde läßt sich recht wenig blicken; sie liebt wohl die Einsamkeit; sie stammt ja auch von einer Insel, die ganz für sich allein im Meere liegt. Weiter hat es wohl keine Gründe, hoffe ich. Aber ich will die Luft nicht länger mit dem Schall meiner Stimme belästigen, ich will wieder lesen. Liest.

Brangäne tritt auf.

Brangäne. Jetzt werde ich ihm alles sagen, es bleibt mir nichts anderes übrig. Er muß dann entweder Tristan oder Isolde wegschicken, und ich bleibe dann auf alle Fälle bei Tristan. Jetzt kommt ein furchtbares Experiment: Ich will mich ihm zu Füßen werfen! Ich bin darauf nicht organisiert, vielleicht schlage ich mir die Nase entzwei, und meine Dessous kommen auf alle Fälle zum Vorschein; aber um der guten Sache willen muß es geschehn!

Fällt vorn über, ihre Fußklötze werden sichtbar.

Erhabne, höchste Majestät!
Brangäne, Eure Dienerin, fleht
Recht huldvoll gegen sie zu sein,
Ihr ein geneigt Gehör zu leihn!

51 Marke. Sprich mein Kind, ich hör dich,
Und was ich kann, gewähr ich.

Brangäne für sich. Gott sei Dank, ein populärer, leutseliger Reim. Steht auf.

Eure Frau – wie soll ich sagen –
Frau Isolde – – ihr Betragen –
Sie zeigt sich gegen Euch nicht gut,
Da sie Herrn Tristan lieben tut!

Marke. Ha meine Ahnung! Mein Schwert! Wo ist mein Schwert! Er wankt.

Brangäne. Majestät, ich bitte, setzt Euch!

Marke. Mich setzen, wo du mich entsetzt hast? Mein Schwert, wo ist mein Schwert!

Brangäne. Seine Worte schießen wie ein wildes Wasser aus ihrem gewohnten Versfluß.

52 Marke. Nein! Nicht mein Schwert! Einen andern Tod sollen sie sterben, der sie viel radikaler aufzehrt! Ich kenne meine Pappenheimer!

Mit einem Holz laß ich sie streichen!
Verkohlen soll es ihre Leichen,
Nachdem zum Himmel sie geloht:
Sie sterben mir den Streich-Holz-Tod!

Brangäne. Majestät, ich würde suchen
Sie nur etwas zu verfluchen!
Trennt sie! Tristan sei verbannt!
Wißt Ihr nicht ein andres Land,
Wohin Ihr ihn könntet ein wenig empfehlen?
Ich könnte das gleiche Los ja erwählen!

Marke. Kind, dein gutes Herze ziert dich,
Und dein Opfermut, er rührt mich!
Ich weiß noch nicht, was ich beschließen werde,
Doch weiß ich Eines: Diese unsre Erde
Erbeben wird sie unterm Donner unsres Zorns! Ab.

Brangäne. Ich erwartete noch eine Schlußzeile, die sich auf »Zorns« reimen würde, aber vielleicht dachte er, 53 das lang hinhallende Rollen seines Endverses wäre genügend, um die Pause auszufüllen. Nun, ich bin zufrieden. Ab.

Tristan, Isolde.

Tristan vorerst allein. Aus! alles aus! Ich hoffte mich an Brangäne wieder aufzurichten, einen Ausweg gefunden zu haben aus diesem Irrsal, aber Isolde hat etwas erfahren – Gott weiß wie – und nun bleibt mir nur die Flasche. Sie hat sich ebenfalls eine kommen lassen, wie ich bemerkte . . . In meiner Verzweiflung kam ich auf den Gedanken, mir mein inneres Labyrinth auch äußerlich vorzuführen und dadurch meinen Zustand wenigstens künstlerisch zu genießen. Durch das Nachtschattenwäldchen gelangte ich in den Spiegelirrsaalpavillon des Königs. Ein Dämon trieb Isolde zu dem Gleichen. Die wie ich hoffte bereits nachlassende Kraft des Trankes wirkte plötzlich verhundertfacht, es kam zu einer Attacke wie wir sie nie erlebten, dazu gab es Beulen und Stöße gegen die Spiegel, es war ein wüstes Durcheinander unzähliger Tristans und Isolden, bis die lebenden Originale endlich wirklich aufeinander prallten. – O Gott! da 54 kommt Isolde! Ich habe nicht mehr die Kraft mich fortzuschleppen, aber ich hoffe, meine Schwäche überwindet augenblicklich alles andere, so daß ich ihr wenigstens ruhig gegenüberstehen kann.

Isolde tritt auf. O Gott! da ist Tristan. Aber ich hoffe, meine Schwäche wird stärker sein als das, was ich nicht meine Stärke nennen möchte. – Tristan! Wie furchtbar geht es uns!

Tristan. Ich habe mir schon manchmal einzubilden versucht, daß wir – wie alle andern Wesen – nur ein Traum der Gottheit seien. Aber das hilft nichts.

Isolde. Tristan, vielleicht weiß ich ein Mittel, daß es uns weniger schlecht gehe.

Tristan. Ich glaube es nicht.

Isolde. Ganz visionär kam ich darauf, als ich vorhin in halber Ohnmacht lag.

55 Tristan. So sage es.

Isolde. Brangäne sprach einmal davon, daß unsere Philosophen es verstünden, den Sinn so sehr von der äußeren Welt abzulenken, daß sie sie nicht mehr sehn, und daß ihre eigenen Körper fast verschwinden, daß sie nurmehr eine gerade Linie bilden. Sollten wir nicht auch versuchen, wie die Philosophen zu tun? Wird dann nicht dein Anblick mir, mein Anblick dir mehr Ruhe geben?

Tristan. Das könnten wir doch höchstens nur dann, wenn wir allein sind. Die grade Linie verwundet hier bei Hofe. Außerdem weiß ich nicht, wie man das macht.

Isolde. Ich weiß es auch nicht.

Tristan. Wie soll man sich aus seinem gewohnten Gleis begeben?!

Isolde. Das wäre noch das wenigste: Entgleist sind wir schon lange. Wie, o wie erreicht man jenen Zustand innerlichster Kontemplation?

56 Tristan. Vielleicht durch eine Art von Selbsthypnose! Streng dich an, bemühe dich mit äußerster Konzentration, dich und mich als Linien zu denken, ich werde es ebenso machen, wir helfen uns gegenseitig, vielleicht gelingt es dann.

Pause.

Beide drehn sich sehr langsam und stehn sich endlich als Linien gegenüber.

Tristan. O himmlisches Gefühl des beinah Nichtses!

Isolde. Ich glaube, so könnte ich dich fast lieben!

Tristan. Ich dich vielleicht auch! Es ist ein sublimes Gefühl in mir, wie wenn man eine starke Entzündung ganz leise kitzelt!

Isolde. Bei mir ist es fast wie ein völliger Nullpunkt.

Tristan. Ja, wie wenn der Sturm nachläßt und es für einen Augenblick vollkommen windstill ist!

57 Isolde. So muß es sein, wenn man am Nordpol steht: Nach allen Seiten gibt es da nur Süden.

Tristan. Oder umgekehrt am Südpol: Nach allen Seiten gibt es da nur Norden.

Isolde. Gefiel dir mein Bild nicht? Mußt du es gleich umkehren? Es spricht daraus solche Kälte, und Mangel an Interesse für mein eignes Seelenleben.

Tristan. Im Gegenteil! Ein Eingehn auf dein Seelenleben! . . . Wir beide harmonieren jetzt wundervoll mit einander: Wir sind zwei Parallelen, die sich nicht schneiden.

Isolde. »Zwei Parallelen« war falsch gesagt; denn es ist selbstverständlich, daß es zwei sind. Hast du schon einmal eine Parallele gesehn?

Tristan. Wir befinden uns in den Eisgefilden der Gedanken. Unsere Körper sind zu geistig, zu gothisch, möchte ich fast sagen.

58 Isolde. Fühlst du das auch? Ich wollte es nur nicht aussprechen: aber mich beginnt stark zu frieren, die Umrisse meiner Linie, wenn man das sagen kann, sind wie Eis.

Tristan. Mir geht es ebenso! Aber laß uns möglichst lange noch so bleiben: ich sehe doch nun gleichsam Oasen in der Wüste unserer Zukunft – wenngleich dir dieses Bild wahrscheinlich wieder falsch gewählt erscheint.

Isolde. Es war nicht das Bild, das ich beanstandete, sondern nur die Ausdrucksweise.

Tristan. Wie wundervoll abgeklärt das klingt! . . . Ach Isolde, deine Linie beginnt sich zu verbreitern! Dreh dich doch bitte nicht! Ich muß mich sonst auch drehn!

Isolde. Feigheit, daß du die Sache umdrehst! Ich drehe mich, weil du dich drehst!

59 Tristan. Das ist gemeine Verleumdung! Ich drehe mich nicht! Es dreht mich!

Marke und Brangäne treten ein. Tristan und Isolde stehn sich wieder in ganzer Figur gegenüber und stürzen sich aufs heftigste in die Arme.

Tristan. Isolde!

Isolde. Tristan!

Marke. Noch eben wollt ich fluchen diesen beiden,
Wollt sie noch eben voneinander scheiden,
Doch steh ich nun ergriffen vor dem Bilde;
Erschüttert wendet sich mein Herz zur Milde!
Gerührt seh ich: Solch Größentum im Lieben
Steht ohne Beispiel da, trotz Ben Akiben!
So tret ich, Tristan, dir Isolde ab,
Und denk in Zukunft bloß noch an mein Grab!

Tristan halblaut. Isolde, laß mich doch los, laß mich doch fliehn! Du hältst mich ja wie mit Eisenklammern!

60 Isolde ebenso. Ich? das ist eine Lüge! Du hältst mich!

Marke. Isolde, Tristan, Euer Dank
Scheint etwas scheu, – nicht frei und frank;
Ihr braucht Euch wirklich nicht zu schämen,
Um meinetwillen nicht zu grämen!

Brangäne. Sie sprachen jetzt ein wenig
Nur mit sich selbst, Herr König!
Doch sag ich frei: die neue Wendung
Verwundert mich! Andre Vollendung
Verhießet Ihr in Wort und Blick!

Tristan. Brangäne, fühl es, mein Geschick!

Brangäne. Liebtet Ihr mich wirklich, so könntet Ihr Euch recht wohl von Isolde freimachen!

Marke. Was? Wie? Wie? Was? Was hör ich da?
Du stehest auch Brangänen nah?

61 Isolde. Das möchte sie wohl! Aber Brangäne bekommt ihn nie, niemals! Sie ist ihm nur nachgelaufen!

Marke. Das hört in Zukunft gänzlich auf!
Bei meiner Kron'! ich schwöre drauf!
Brangäne, dich verheirat ich
Ins Ausland! Gleich! unweigerlich!

Brangäne. Das ist mir ganz egal!
Ich finde allemal
Noch nebenbei was Gutes,
Ich bin getrosten Mutes!

Marke. Aber Tristan und Isolde, was habt Ihr denn eigentlich?! Ihr macht ja Bewegungen wie zwei Hirsche, die sich in ihren Geweihen verfangen haben! Der Vergleich ist etwas falsch gewählt, aber dafür bin ich Jäger.

Brangäne. Erlaubt, Herr König: das sind nur
Erscheinungen, wie die Natur
Sie manchmal zeigt, zieht's sie im Streite
Nach der bald, bald nach jener Seite!
62 Der Wunsch, voll Dank vor Euch zu knien,
Möcht sie wohl auseinander ziehn,
Doch Herzen, die so flammend brennen,
Die können sich nur mühsam trennen.
Seht selbst! Es scheint, als ob die Liebe
Obsiegte jenem andern Triebe!

Marke. Wohl wahr! Du hast Psychologie in dir!
Fest fügt die Meisterin Liebe ihr Scharnier!
Genießt denn euer Glück vorerst zu zwein!
Brangäne, lassen wir sie jetzt allein!
Ich bin ein wenig matt; am heutigen Tage
Gab's etwas viel; da hilft nur eins: ich jage!
Jedoch zu Abend gibt's ein großes Fest,
Denn euer Bündnis, dauernd wie Asbest,
Vom Volk soll's froh gefeiert werden heute,
Mit Fahnen, Wimpeln, Böllerschuß, Geläute!
Mein Herold hoch zu Roß greif die Kandare,
Und trag ins Land die schmetternde Fanfare!

Marke und Brangäne ab.

Tristan. Öde – öde.

Isolde. Öde – öde.

63 Tristan. Das Stück ist aus, Isolde; die Götter schaun auf diese kleine Weltenbühne und spotten unser; ach, und ich bin müde. Ich sehne mich danach in einen Kasten gesperrt zu werden, in dem ich Ruhe hätte. Wenn es nur keine Auferstehung gäbe.

Isolde. Aber die gibt es, leider.

Tristan. Ich hoffe, nicht! Wir beide sind nur klägliche, verzerrte Schatten höherer, ewiger Gestalten; wir Schatten aber gehören in die Unterwelt.

Beide ab.

Kellermeister tritt auf. Ich wollte fragen . . . Wie? Ist niemand mehr da? Habe ich mich verspätet? Es ist hier so entsetzlich leer und kalt; mich friert. Mir scheint, meine Rolle ist ausgespielt, man braucht mich nicht mehr; aus Vorsicht werden jetzt alle Temperenzler. Nun, meinetwegen; ich lege mich auf den Rücken und schlafe. Ab.

Der Vorhang fällt langsam.

Ende.