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Über die Ansprache des weiblichen Geschlechtes zu höherer Geisteskultur

Ich ergreife mit Schüchternheit diesen öffentlichen Weg, mit Euch, liebe Schwestern, zu sprechen. Der Gegenstand, den Ihr berührtet, ist schon von so viel Würdigern behandelt worden, daß ich mich vor der Bemerkung fürchte, nichts Besseres sagen zu können; doch Eure erneute Klage, welche durch den Platz, wo sie erschienen, zur öffentlichen Sache ward, entschuldigt mich, daß ich auf eben dem Wege Euch einige Beobachtungen an's Herz lege.

Ihr klagt, meine Schwestern, daß unserm Geschlechte zur höhern Ausbildung Hindernisse in Weg gelegt werden, und wälzt die ganze Schuld auf die Männer. Laßt uns doch einig werden, worin diese höhere Ausbildung besteht, und inwiefern sie das männliche Geschlecht hintertreiben will.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß es einer von uns entgangen sei, daß die Natur beiden Geschlechtern ganz verschiedne Wege zu ganz verschiednen Zielen anwies; dieses Ziel zu erreichen ist zur innigen Vereinigung, zur vollendeten Veredlung beider notwendig. In diesen Satz tief einzudringen ist hier nicht der Platz; von Euch, meine Schwestern, muß dieser nie zu vereinigende, nie zu vertauschende Unterschied beider Geschlechter beobachtet worden sein, denn Eure Klagen beweisen Euer reges Gefühl. Laßt uns also sogleich betrachten, was sich bei unsern jetzigen Verhältnissen gegen die Männer auf Natur, und was sich auf Ausartung gründet.

Wäre der Mann je fähig, des Weibes Stelle einzunehmen, als Pflegerin der Kinder, Vorsteherin des Haushalts, Bewahrerin des Schicklichen und Zarten im gesellschaftlichen Vereine, und wird, der es versucht, nicht verächtlich unserm Geschlechte?

Kann das Weib in des Mannes Bestimmung als Bürger und Staatsmann überschreiten, ohne die Obliegenheit ihres Geschlechtes zu vernachlässigen, ohne unliebenswürdig, und also unnatürlich zu scheinen in den Augen des Männergeschlechts? Von dieser Regel, die kein liebenswürdiges Weib, also keines, wie die Natur es verlangt, ableugnen kann, gibt es für beide Geschlechter Ausnahmen. Wenn das Weib, von dem Drange der Umstände hingerissen, die männliche Tat weiblich vollbringt, findet sie in dem Herzen des Mannes ihren Versöhner. Prüfen wir, welche Empfindung große Taten der Weiber in der Geschichte, wirklich vollbracht, bei Männern hervorbringen. Portia und Arria, die Weiber der Gallier und die Märtyrinnen der Unabhängigkeit in Numantia – und in neuern Zeiten manche, deren Andenken hier nur leidenschaftliche Empfindung erregte, – wir kennen von ihnen einzelne Handlungen, wir wissen, oder wir ahnen von ihnen, daß sie nicht nur Hausfrauen, auch würdige Matronen gewesen sind. Ein ganzes Leben voll Männer-Verdienst bleibt immer ein Feind weiblichen Liebreizes; Semiramis, Elisabeth, Christina, Katharina – die tolle Verkappung einer d'Eon wäre hier ein unzeitiger Spott – lassen dem Manne, wenn er sie des Fürstenglanzes entkleidet hat, immer ein unbehagliches Gefühl, und das Weib im Kreise seiner stillen Pflicht staunt sie mit einem mitleidigen Lächeln an. Von Künstlerinnen spreche ich nicht. Kunst ist der Ruf einer Gottheit, ihm widersteht der Mensch nicht; aber zur Vollendung unsers Geschlechtes gehört das Künstlerinnen-Leben nicht, denn dieses fordert ein ganzes Leben, und jene Vollendung auch. Danken wir den Weibern, welche dieses ganze Leben opferten, um uns den Genuß ihrer Kunst zu schenken, und streben mit kindlichem Sinne unsrer Vollendung nach.

Ihr werdet unwillig rufen: davon war nie die Rede, sondern von den Schwierigkeiten, die wir finden, neben unserm weiblichen Berufe uns intellektuell zu entwickeln, und wenn wir dahin streben, dem unbilligen Tadel der Männer zu entgehen. –

Gut, meine Schwestern, ich mußte die lebendige Ansicht, daß das Weib einer andern Entwickelung bedürfe wie der Mann, daß das Weib ganz Weib, der Mann ganz Mann sein müsse, damit in beiden die höchste Würde der Menschheit dargestellt werde, erst zwischen uns anerkannt sehen, ehe ich untersuchte, welche Art von Entwicklung unserm Geschlechte denn verwehrt wird? So wie wir unsre Kinder und uns selbst immer für eine bessere Menschheit erziehen, als die gegenwärtige, deren Mängel uns drücken; so müssen wir, wenn wir nachfragen, wer mißbilligt unsre höhere Entwicklung? auch nicht von der Zahl ausgearteter Männer sprechen, die, weil sie die Würde ihres Geschlechtes aus den Augen verloren, die Bestimmung des unsern nicht mehr zu erkennen imstande sind. Wir haben anerkannt, welcher Wirkungskreis dem Weibe von der Natur angewiesen ist; hindern uns denn wohl männliche Männer, nachdem wir ihn vollendet haben, an geistiger Bildung, geistigem Genüsse? werden solche Männer nicht anerkennen, daß wahre Geistesbildung das Gefühl für die Pflicht erhöht, die Kraft zu ihrer Erfüllung vermehrt? Wissen sie nicht, daß des Lebens ewig frischer Kranz darin besteht, Genuß in der Pflicht zu finden, und aus Pflicht zu genießen – das heißt: in klarer Erkenntnis unsrer Bestimmung zu leben? Gewiß, so tun männliche Männer, und sie müßt Ihr nicht beschuldigen, wenn Euch die Klagen vieler Weiber zu Ohren kommen, die Verblendung oder Notwendigkeit eine Wahl treffen hieß, in welcher das Mißverhältnis intellektueller Ausbildung oder Bedürfnisse das Unglück ihres Lebens macht; Ihr müßt auch nicht die seichten Äußerungen der Männerklasse für etwas rechnen, die in großen und kleinen Zirkeln lieber den geistlosen Törinnen, als gebildeten Weibern ihre Aufmerksamkeit schenkt. Klagt in Rücksicht dieser Eure Langmut gegen diese Gecken viel mehr als die Zuversicht an, mit der sie ihre Vorteile benutzen. Warum erlauben ihnen die Weiber diesen Ton, der aus Nachlässigkeit, Plattheit, Geistesarmseligkeit zusammengesetzt ist, um nur für jeden Preis die Ehre ihrer Gegenwart zu erkaufen? Muß diese Nachsicht diesem nie reifenden Geschlechte nicht Geringschätzung gegen unser Geschlecht lehren? Muß sie nicht ihre Ansicht der Ehe, der Gattinnenwürde bestimmen? Wird einer dieser Männer, wenn er die Geckerei als Mittel zum Zwecke braucht, nicht, wie die meisten, in der Unschuld ihres Herzens, weil sie gar nichts Besseres zu erkennen wissen, wird er eine Gattin haben wollen, wie die Weiber sind, denen er seine beleidigende Huldigung zollt? Diese Männer ziehen das ungebildete Weib vor, weil ihnen ihre Salons-Göttinnen als gebildet ausgegeben wurden, – und das Urteil dieser Männer haltet Ihr für ein Hindernis, nach reiner Ausbildung zu streben?

Es scheint also fast, Eure ganze Anklage müßte einen andern Gegenstand wählen; Ihr müßtet die Männer anklagen, nicht Männer zu sein, und deswegen uns zu verhindern, daß wir nicht ganz Weiber sein könnten. Würde das aber nicht gegenseitige traurige Vorwürfe häufen? Bewies' es am Ende mehr, als daß der Fehler an beiden Teilen liegt? Gehen wir also ganz von dieser Ansicht ab, und betrachten unsre Lage innerhalb unsers Geschlechtes. Ist unsre Forderung an größere Geistesentwicklung auf die Vervollkommnung aller weiblichen Tugenden gegründet? ist das gebildete wirklich das einfachere Weib? die tätigere Hausfrau? die bessere Mutter? unterrichtet sie ihre Töchter, statt sie in Institute zu schicken? macht ihre Bildung es ihr leicht, an des Gatten Ideenkreise teilzunehmen, ihm eine zwanglose, seine Gedanken aufhellende Gesellschaft zu werden? eine bescheidne, aber teilnehmende Zuhörerin seiner Gespräche mit seinen Kollegen und Freunden? ist der nach Bildung Strebenden der Haushalt nicht zu gemein? die Handarbeit der Nähterin übergeben? der stille Abend im Kreis' ihrer Kinder ein lästiger Aufenthalt, weil sie Zuhörer, nicht Stoff zum Denken bedarf? die Amtsinteressen ihres Mannes nicht stockfremd, weil sie mit der neuesten Modelektüre keine Gemeinschaft haben? – Versetzt Euch einen Augenblick außer Euerm Zeitalter, denkt Euch in die Stelle einer gebildeten Frau vergangner Jahre, denn es gab deren immer, nur hatten sie die Form ihres Zeitalters – und stellt Euch vor, was sie denken müßten, wenn sie den Gang unsrer jetzigen Bildung sähen. Die Töchter aus der Mütter Augen entfernt in Anstalten, wo männliche Aufseher die Mädchen von einer Lehrstunde in die andre schicken ohne Kenntnis ihres Gemüts, ohne Zeit, ohne Beruf, ohne Gelegenheit, den Moment zu treffen, wo die Wissenschaft mit dem Gefühle vermählt, und so zur Veredlung der Seele erhoben werden kann; junge Weiber, die beim Vortrag der unangemessensten Gegenstände mit Männern vermischt in Hörsälen sitzen, in Stunden, wo vielleicht ihr Säugling vergeblich nach der Mutter Brust weint; Matronen, die mit Dichtern und Künstlern ein Zwitterverhältnis stiften, in dem sich die Ästhetik ärmlich, mit den Sinnen, mit der Torheit wenigstens, abfinden muß; wenn diese grelle Ansicht in tausend Abstufungen bei einem großen Teile der nach Bildung strebenden Weiber auch nur im schwächsten Schatten paßt, so ziemt doch auch den männlichen Männern nicht, wenn sie sich vor unsrer heutigen Bildung fürchten.

Besser muß es also mit den Männern werden und mit uns, und wir müssen mit der Besserung anfangen, denn in unsre Hände legte der Schöpfer die erste Entwicklung von der Menschheit Wohl. Indem wir nach einer höhern Geistesbildung streben, müßten wir zu einer größern Häuslichkeit zurückkehren, und dadurch in dem Manne alle Furcht vor der Ausbildung unsres Geschlechtes zerstören. Erlerne jede Mutter so viel Wissenschaft, wie sie bedarf, um ihre Tochter einst wieder zu unterrichten; erlerne jede Gattin die Gegenstände, welche es ihr leichter machen, ihres Mannes Gesellschafterin zu sein, – deshalb soll das Weib sowenig Brotwissenschaft treiben, als Belletristin werden; sie soll genug allgemeine Kenntnisse erwerben, um an allem Wissenswürdigen, an allem, was das Menschenwohl befördert, an allem, was ihrem Vaterlande, oder vielmehr ihres Gatten Vaterlande, wichtig ist, teilnehmen zu können; diese Fähigkeit gibt ihr die Mittel in die Hand, ebensowohl ihren Gatten zu ihrem Lieblingsfache herüberzuschmeicheln, wie in das seine mit Leichtigkeit einzugehen. Wenn wir liebevoll und ohne Anmaßung diesen Weg betreten, wird das Männergeschlecht in seiner Besserung auch nicht zurückbleiben, – denn daß es seine Mängel fühlt, dürfen wir ja nicht zweifeln, seit seine bessre Erziehung der Grundstein geworden ist, auf den unsre Nation ihr Heil gründet. Ein Mann, wie Fichte ihn gebildet haben will, wie Pestalozzi ihn zu erziehen verspricht, ein Mann, wie das eiserne Schicksal unsers Vaterlandes ihn bilden sollte, wenn wir nicht alle moralisch verwitwet, verwaiset, der Söhne beraubt, schambedeckt unser Antlitz verhüllen sollen – so einen Mann wird die pflichterfüllte Tochter, die häusliche Gattin, die sorgfältige Mutter nur mehr ehren, wenn sie ihren heiligen Beruf durch Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft inniger kennenlernt, und liebenswürdiger ausübt.


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