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Sechstes Bild

Im Gartenlokal des Josef Lehninger.

Die italienische Nacht der Ortsgruppe Kaltenbrunn des Republikanischen Schutzbundes ist nun korrekt gesprengt – nur der Vorstand sitzt noch unter den Lampions, und zwar: der Stadtrat Ammetsberger mit Adele, Betz, Engelbert und Kranz. Letzerer schnarcht über einen Tisch gebeugt. Es geht bereits gegen Mitternacht und Adele fröstelt, denn es weht ein kaltes Windchen.

Betz Was tun, spricht Zeus.

Engelbert Heimwärts?

Stadtrat schnellt empor: Und wenn die Welt voll Teufel wär, niemals! Wir lassen uns unsere italienische Nacht nicht sprengen! Kameraden, wir bleiben und weichen nicht – bis zur Polizeistund! Er setzt sich wieder.

Engelbert Hört hört!

Stadtrat steckt sich nervös eine Zigarre an.

Kranz erwacht und gähnt unartikuliert; zu Betz: Du, ich hab jetzt grad was Fesches geträumt.

Betz Wars angenehm?

Kranz Sehr. Ich hab nämlich grad was von einer Republik geträumt und das war eine komplette Republik, sogar die Monarchisten waren verkappte Republikaner –

Betz Also das dürft ein sogenannter Wunschtraum gewesen sein.

Kranz Ha?

Engelbert Wie wärs denn mit einem kleinen Tarock?

Stadtrat Tarock?

Engelbert Einen Haferltarock –

Kranz Haferltarock!

Stadtrat Das wär ja allerdings noch das Vernünftigste –

Engelbert Karten hab ich – Er setzt sich mit dem Stadtrat und Kranz unter den hellsten Lampion, mischt und teilt. Eine Idee!

Betz kiebitzt.

Stadtrat Erster!

Engelbert Zweiter!

Kranz Letzter!

Stadtrat Solo.

Kranz Und das Licht leuchtet in der Finsternis – Er spielt aus. Jetzt weht der Wind stärker.

Adele erhebt sich und fröstelt: Alfons!

Stadtrat läßt sich nicht stören: Bitte?

Adele Wann gehen wir denn endlich?

Stadtrat Zweimal sag ichs nicht! Eichel!

Adele Ich erkält mich noch –

Stadtrat Das tat mir aber leid, Herz!

Kranz Und Herz!

Engelbert Und Herz!

Betz nähert sich Adele: Wir bleiben bis zur Polizeistund, Frau Stadtrat.

Adele Wann ist denn Polizeistund?

Betz Um zwei.

Adele Und jetzt?

Betz Jetzt gehts gegen zwölf.

Adele Oh Gott.

Stadtrat zu Betz: So laß sie doch bitte!

Pause.

Adele Hier hol ich mir noch den Tod.

Betz Oder eine Lungenentzündung.

Pause.

Der schönste Tod ist ja allerdings der Tod für ein Ideal.

Adele Ich kenn kein Ideal, für das ich sterben möcht.

Betz lächelt leise: Auch nicht für die Ideale, für die sich Ihr Herr Gemahl aufopfert?

Adele Opfert er sich denn auf?

Betz Tag und Nacht.

Adele Sie müssens ja wissen.

Betz Es ist natürlich alles relativ.

Pause.

Adele Glaubens mir, daß ein Mann, der wo keine solchen öffentlichen Ideale hat, viel netter zu seiner Familie ist. Ich mein das jetzt menschlich. Sie sind ein intelligenter Mann, Herr Betz, das hab ich schon bemerkt.

Stadtrat Über was unterhaltet ihr euch denn dort so intensiv?

Betz Über dich.

Stadtrat Tatsächlich? Habt ihr denn kein dankbareres Thema?

Adele boshaft: Alfons!

Stadtrat Na was denn schon wieder?

Adele Ich möcht jetzt gern noch ein Schinkenbrot.

Stadtrat Aber du hast doch bereits zwei Schinkenbrote verzehrt! Ich meine, das dürfte genügen! Er zündet sich eine neue Zigarre an.

Adele Wenn du deine Zigarren –

Stadtrat unterbricht sie: Oh du unmögliche Person! Pfui! – Und ziehen tut sie auch nicht, weil du mir nichts vergönnst! Er wirft wütend seine Zigarre fort. Eine unmögliche Zigarre!

Adele erhebt sich: Ich möcht jetzt nachhaus.

Stadtrat Also werd nur nicht boshaft, bitte!

Adele Ich geh –

Stadtrat Ich bleib.

Adele So komm doch!

Stadtrat Nein! Bleib, sag ich!

Adele Nein, ich muß doch schon wieder um fünfe raus, deine Hemden waschen und –

Stadtrat Du bleibst, sag ich!

Adele Hier hol ich mir noch den Tod –

Stadtrat Du bleibst und basta! Verstanden?!

Adele setzt sich wieder und lächelt geschmerzt.

Stadtrat Spiele!

Engelbert Weiter!

Kranz Spiele auch!

Engelbert Und zwar?

Kranz Gras!

Stadtrat Schnecken! Bettel! Jawohl, Bettel! Und herauskommen tu ich selber – Er gewinnt rasch und lacht schallend.

Stille.

Betz Warum gehen Sie eigentlich nicht allein nachhaus?

Adele Weil er mich allein nicht läßt.

Betz Nicht läßt? Auch allein nicht läßt? Er hat doch kein Recht über Ihre Person – Meiner Seel, da erscheint er mir nun plötzlich in einem ganz anderem Licht, obwohl ich darauf gewartet hab – Alfons Ammetsberger, mein alter Kampfgenosse – fünfunddreißig Jahr – Jaja, das wird wohl das Alter sein. Ob ich mich auch so verändert hab?

Stadtrat zu Betz: Ich bitt dich Betz, so laß sie doch in Ruh!

Wirt erscheint; er ist schwer besoffen und grüßt torkelnd, doch keiner beachtet ihn; er grinst: Guten Abend, Leutl!

Schweigen.

Auch gut! Boykottiert mich nur, boykottiert mich nur! Mir ist schon alles wurscht, ich wein euch keine Träne nach! Überhaupt sind die Reaktionäre viel kulantere Gast – Euere jungen Leut saufen ja so bloß a Limonad! Feine Republikaner! Limonad, Limonad!

Kranz Halts Maul!

Wirt plötzlich verträumt: Ich denk jetzt an meinen Abort. Siehst, früher da waren nur so erotische Spruch an der Wand dringstanden, hernach im Krieg lauter patriotische und jetzt lauter politische – glaubs mir: solangs nicht wieder erotisch werden, solang wird das deutsche Volk nicht wieder gesunden –

Kranz Halts Maul, Wildsau dreckige!

Wirt Wie bitte? – Heinrich, du bist hier noch der einzig vernünftige Charakter, was hat jener Herr dort gesagt?

Betz Er hat gesagt, daß du dein Maul halten sollst.

Wirt Hat er? Dieser schlimme Patron – Apropos: ich hab eine reizende Neuigkeit für euch liebe Leutl!

Kranz Wir sind nicht deine lieben Leutl!

Wirt Was hat er gesagt?

Betz Daß wir nicht deine lieben Leutl sind, hat er gesagt.

Wirt Hat er das gesagt? - Alsdann: meine Herren! Ich beehre mich, Ihnen eine hocherfreuliche Mitteilung zu machen: Sie sind nämlich umzingelt, meine Herren, radikal umzingelt!

Stadtrat horcht auf.

Betz Wer ist umzingelt?

wirt Ihr, meine Herren!

Engelbert Wieso?

Wirt Meine Herren! Ich habs nämlich grad erfahren, daß euch die Herren Faschisten verprügeln wollen –

Stadtrat erhebt sich.

Wirt Die Herren Faschisten behaupten nämlich, daß ihr, meine Herren, das Denkmal weiland Seiner Majestät verdreckt habt und jetzt haben die Herren Faschisten eine pfundige Wut im Bauch und wollen Seine Majestät rächen! Hurrah!

Kranz Vom wem hast denn das?

Wirt Vom Martin seiner Anna.

Stadtrat Hier hat niemand eine Majestät verdreckt, merk dir das!

Wirt Oh bitte!

In der Ferne eine Trillerpfeife.

Na? Er grinst. Habt ihr das jetzt gehört? Jetzt gibts Watschen, meine Herren! Signal. Alarm!

Kranz Was war denn jetzt das?

Wirt Mussolini persönlich.

Engelbert Irrtum!

Stadtrat Lüge! Infame Lüge!

Wirt drohend: Hurrah! Er fällt um.

Kranz zum Wirt: Du Judas!

Wirt auf dem Boden: Ich bin kein Judas, meine Herren! Ich bin euch doch innerlich immer treu geblieben, sogar noch nach der Revolution! Aber was ist denn das jetzt für eine verkehrte Welt! Früher, da war so ein Sonntag das pure Vergnügen, und wenn mal in Gottes Namen gerauft worden ist, dann wegen irgendeinem Trumm Weib, aber doch schon gar niemals wegen dieser Scheißpolitik! Das sind doch ganz ungesunde Symptome, meine Herren!

Betz Natürlich sind das zuguterletzt ja auch nur Aggressionstriebe –

Und wieder die Trillerpfeife.

Stadtrat Kameraden! Der Mensch ist ein schwaches Rohr im Winde, in Bezug auf das Schicksal, ob er nun Monarchist ist oder Republikaner. Es gibt nun mal Augenblicke im Leben, wo sich auch der Kühnste der Stimme der Vernunft beugen muß, und zwar gegen sein Gefühl! Kameraden, das wäre doch ein miserabler Feldherr, der seine Brigaden in eine unvermeidliche Niederlage hineinkommandieren tat! In diesem Sinne schließe ich nun hiemit unsere italienische Nacht! Vis major, höhere Gewalt! Wo ist mein Hut?

Betz Ich bleib.

Stadtrat Wieso?

Betz Ich bin da nämlich etwas anderer Meinung –

Stadtrat Da dürft es doch wohl keine andere Meinung geben!

Betz Findst du? Wir haben doch in Bezug auf das verdreckte Denkmal ein absolut reines Gewissen.

Engelbert Sehr richtig!

Betz Und infolgedessen find ich es nicht richtig, so davonzulaufen.

Stadtrat Nicht nicht richtig, klug! Diese Faschisten sind doch bekanntlich in der Überzahl und infolgedessen bekanntlich zu jeder Schandtat jederzeit bereit! Wo ist mein Hut?

Betz Ich bleib. Und wenn sie mich verhaun!

Stille.

Stadtrat fixiert ihn höhnisch: Ach, du bist ein Katastrophenpolitiker?

Betz Ich bleib.

Stadtrat Viel Vergnügen.

Betz Danke.

Stadtrat Wo ist mein Hut?

Betz Lieber Prügel als feig. Stille.

Stadtrat Findst du?

Adele Ich finds auch.

Stadtrat Du hast hier überhaupt nichts zu finden!

Adele Ich finds aber!

Stadtrat nähert sich ihr langsam; unterdrückt: Du hast hier nichts zu finden, verstanden?!

Adele Ich sag ja nur, was ich mir denk.

Stadtrat Du hast hier nichts zu denken.

Adele boshaft: Findst du?

Stadtrat Blamier mich nicht, ja!

Adele Nein.

Stadtrat kneift sie.

Adele Au! Au –

Stadtrat Wirst du dich beherrschen?!

Adele Au, Alfons! Au –

Stadtrat Daß du dich beherrschst! Daß du dich –

Adele reißt sich kreischend los: Au – Du mit deinem Idealismus!

Stadtrat Oh du unmögliche Person!

Adele Oh du unmöglicher Mann! Draußen Prolet, drinnen Kapitalist! Die Herren hier sollen dich nur mal genau kennen lernen! Mich beutet er aus, mich! Dreißig Jahr, dreißig Jahr! Sie weint.

Stadtrat mit der Hand vor den Augen: Adele! Adele –

Und wieder die Trillerpfeife, und zwar in der Nähe.

Kranz Da!

Stille.

Stadtrat nimmt langsam die Hand von den Augen: Wo ist mein Hut?

Wirt hat sich schwerfällig erhoben: Mit oder ohne Hut – Du bist und bleibst umzingelt – Er rülpst und torkelt ab.

Stille.

Adele weinerlich: Hättest du zuvor die jungen Leut nicht nauswerfen lassen, würd sich jetzt niemand hertraun – Jetzt sind wir doch lauter alte Krüppel –

Engelbert Oho!

Stadtrat Herr im Himmel!

Engelbert Sehr richtig!

Adele grinst plötzlich.

Stadtrat Lach nicht!

Adele Wenn ich dich so seh, find ich das direkt komisch, wie du da den jungen Menschen im Weg herumstehst – Sie schluchzt wieder.

Stadtrat Heul nicht!

Adele Das sind die Nerven –

Kranz Die typische Weiberlogik.

Stadtrat Wir zwei sind getrennte Leut.

Kranz Langes Haar, kurzer Verstand! – Aber offen gesagt: ich finds ja schon auch, daß es sozusagen etwas überstürzt war, den Martin so mirnix-dirnix auszuschließen, samt seinem Anhang – er hat doch einen ziemlichen Anhang, einen starken Anhang, und nicht den schlechtesten Anhang – und er hat doch sozusagen gar nicht so unrecht gehabt –

Stadtrat Findst du?

Kranz Wenn wir jetzt auch solche Kleinkaliber hätten, als wie diese Faschisten, dann müßten wir uns jetzt nicht unschuldig verhaun lassen, sondern könnten uns wehren – wehren – das ist doch logisch, ha?

Stadtrat Logisch –

Engelbert Logisch oder nicht logisch! Nach den Statuten mußten wir Martin ausschließen!

Und abermals die Trillerpfeife.

Kranz Hörst deine Statuten? Hörst sie? Ich scheiß dir was auf solche Statuten!

Engelbert Hört, hört!

Kranz Das sind doch ganz veraltete Statuten!

Engelbert Natürlich gehören auch Statuten ab und zu geändert, die Welt ist doch in lebendigem Fluß –

Stadtrat unterbricht ihn: Findst du?

Betz Ja. Er nähert sich ihm. Alfons. Nicht nur Menschen, auch Statuten altern – und alte Statuten erreichen oft das Gegenteil von dem, was sie bezwecken wollen und werden unbrauchbar und lächerlich –

Stadtrat Findst du?

Kranz Also ich möchte hiemit offiziell dafür plädieren, daß unseres Kameraden Martin überstürzter Ausschluß wieder rückgängig gemacht werden soll!

Stadtrat Rückgängig?

Kranz Jawohl!

Stadtrat sieht sich fragend um.

Betz Ja.

Engelbert Hm.

Stadtrat zu Engelbert: Ja oder nein?

Stille.

Engelbert Ja.

Stille.

Stadtrat Wo ist mein Hut?

Adele reicht ihm seinen Hut: Da.

Stadtrat setzt den Hut tief in die Stirne; tonlos: Umzingelt. Überfallen. Meuchlerisch. Schlange an der Brust. Auch du mein Sohn Brutus –

Adele Undank ist der Welten Lohn.

Stadtrat Ich werd mich aus dem politischen Leben zurückziehn – jetzt geh ich nirgends mehr hin – höchstens, daß ich noch kegeln werd oder singen –

Adele Endlich, Alfons.

Riesiger Tumult vor dem Gartenlokal

Kranz bewaffnet sich mit zwei Gartenstühlen: Jetzt! Da!

Engelbert weicht ganz zurück.

Stadtrat scheint nichts zu hören, stiert vor sich hin und zeichnet kleine Zeichen in die Luft.

Betz lauscht.

Martin betritt rasch den Garten.

Engelbert Martin!

Stille.

Martin lächelt: Zu Befehl, Herr! Ich gestatte mir nur zu melden, daß hier niemand mehr eine Angst zu haben braucht, denn die Herren Faschisten sind soeben vertrieben worden, und zwar mit Schwung! Ihr Besuch hat nämlich uns gegolten, mir und meinen Genossen, nicht euch! Und wir sind halt nun mal so veranlagt, daß wir für unsere Taten einstehen, selbst wenn so eine Tat auch mal eine richtige Blödheit gewesen sein sollt.

Martins Genossen sind ihm nun in den Garten gefolgt.

Kranz Also das ist sehr edel von euch, nicht andere Unschuldige für eure Blödheiten büßen zu lassen!

Betz Martin! Du weißt, daß ich dich sehr schätz –

Engelbert unterbricht ihn: Martin! Ich bin durch den Gang der Dinge zu der Überzeugung gekommen, daß dein Ausschluß ungerechtfertigt ist, und ich bedauer es ehrlich, daß ich ihn so überstürzt gefordert hab.

Betz Im Namen des Vorstandes bitte ich dich, wieder unser Kamerad zu werden.

Martin verbeugt sich leicht: Danke. Aber leider seid ihr zu spät dran, denn es wurde bereits ein neuer Schutzbund gegründet.

Engelbert Setzt sich.

Stadtrat trocknet sich verstohlen einige Tränen ab.

Kranz stiert Martin fassungslos an.

Martin zu Betz: Aber im Namen unseres jungen Schutzbundes kann ich dir nur mitteilen, daß es uns freuen würde, dich als unseren Kameraden begrüßen zu können –

Betz verbeugt sich leicht: Danke.

Martin lächelt: Es tut mir nämlich schon lange weh, daß ich dich in der Gesellschaft seh –

Ende


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