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Am nächsten Morgen. Wieder scheint die Sonne, doch diesmal wie durch Nebel, trotz des blauen Himmels. Die Sklaven und die Sklavinnen sitzen vor der Villa und frühstücken. Matrosa, mit einem Verband um den Kopf, Paegnium und der Aufseher sind auch dabei.
Aufseher zu Paegnium: Du hättest ihm ein Bein stellen sollen, zimperlicher Bursche!
Paegnium Ich?
Aufseher Jawohl, du! Mit Einbrechern muß man deutlich dischkurieren! Bein stellen und schon drauf, Daumen in die Augen, Knie auf die Brust, Knöchel verdrehen, Arm auskegeln, Tritt übers Schienbein und ein Schlag mit der Kante der äußeren Handfläche nach der Gurgelgegend – das hätt sich gehört! Aber nicht weglaufen mit Hilfegeplärr! Dann hätten wir jetzt diese Wegelagerer und das Geld in der Kasse wär gerettet!
Matrosa Du redest dich leicht mit deiner Muskulatur! Aber dies schmächtige Bürscherl hätts mit einem solchen Halunken aufnehmen sollen?! Du hättest den sehen sollen, der mir eine über den Schädel gehaut hat – breit wie ein Bär und stark wie ein Ochs!
Paegnium Und außerdem warens zu dritt!
Aufseher Zu dritt – zu dritt! Wie ich in deinem Alter war, habs ichs mal mit sechs allein aufgenommen – mit sechs Riesen, die kleinere Bäum mit der linken Hand samt den Wurzeln aus der Erde gerissen haben, und zwar aus einem steinigen Boden –
Matrosa unterbricht ihn: Nanana! Du renommierst schon manchmal, wie unser Herr Gloriosus!
Aufseher herrscht Matrosa an: Vergleich mich nicht mit dem Trottel, ja?!
Die Sklaven lachen.
Aufseher herrscht die Sklaven an: Ruhe! Lacht nicht! Kuscht und freßt!
Ein Sklave Kusch selber und friß!
Aufseher schnellt empor: Was?!
Der Sklave Vergiß es nur ja nicht, daß du keine Peitschen mehr hast! Freu dich lieber, daß wirs vergessen, daß du mal eine gehabt hast! Glotz nicht so blöd, sonst schütt ich dir meine Suppe ins Gesicht!
Aufseher überaus perplex: Was sagt man!
Paegnium Kusch und friß.
Aufseher Wie bitte?! Das wagst du? Mir? Dem älteren Mann?!
Paegnium Du bist ein Sklav, genau wie ich!
Aufseher So? Na paß nur auf, was ich dir geben werde –
Paegnium wird immer frecher: Nichts. Du hast ja nichts.
Aufseher Mich sollen doch alle Götter strafen –
Paegnium fällt ihm ins Wort: Das wünsch ich dir auch als guter Freund.
Aufseher Jetzt steht die Welt nimmer lang!
Eine Sklavin schrill: Hoffentlich! Hoffentlich geht bald alles unter!
Stille.
Paegnium Apropos untergehen: wo unsere Herrschaft jetzt wohl segeln mag?
Matrosa Segeln wird sie kaum, denn es weht ja nicht das geringste Lüftchen –
Ein Sklave Es ist schwül, als käm ein Wetter.
Paegnium Ich seh noch keine Wolke –
Eine Sklavin Oh, das geht rasch!
Aufseher Ohne Wind wird nur gerudert, gerudert.
Die Sklaven singen:
Bet und ruder! ruft die Welt
Bete kurz, denn Zeit ist Geld!
An die Kette pocht der Tod
Bete kurz, denn Zeit ist Brot!
Und Du ackerst und Du säst
Und Du nietest und Du nähst
Und Du hämmerst und Du spinnst
Sag, oh Sklav, was Du gewinnst!
Wirkst am Webstuhl Tag und Nacht
Schürfst im Erz- und Kohlenschacht
Füllst des Überflußes Horn
Füllst es hoch mit Wein und Korn.
Alles ist Dein Werk! Oh sprich
Alles, aber nichts für Dich!
Und von allem nur allein
Die Du schmiedst, die Kette, Dein –
Was Ihr hebt ans Sonnenlicht
Schätze sind es für den Wicht
Was Ihr kleidet und beschuht
Tritt auf Euch voll Übermut.
Bet und ruder! ruft die Welt
Bete kurz, denn Zeit ist Geld!
An die Kette pocht der Tod
Bete kurz, denn Zeit ist Brot –
Aufseher zu Matrosa: Wieviel war denn eigentlich in der Kasse?
Matrosa in Gedanken: In was für einer Kasse?
Aufseher Na in unserer Kasse, die gestern geplündert worden ist!
Matrosa Ahso! Keine Ahnung –
Paegnium Das weiß nur Toxilus persönlich, denn er hat die Schlüssel zur Kasse.
Matrosa horcht unwillkürlich auf: Toxilus? Soso.
Aufseher horcht auf; zu Matrosa: Was heißt das? Dieses eigentümliche »soso«?
Stille.
Aufseher Du willst doch damit nicht soso etwa ausdrücken, daß unser allseits verehrter Freund Toxilus soso die Finger im Spiel dabei –
Matrosa fällt ihm ins Wort: Ich will nichts gesagt haben!
Aufseher Soso. Er braust plötzlich auf. Aber das wär ja allerhand!
Paegnium Natürlich hat er seine Finger dabei.
Matrosa Was redest du da?! Schämst du dich nicht?!
Paegnium Ich weiß Bescheid.
Matrosa Nichts weißt du, nichts, Lausbub verteufelter!
Aufseher zu Matrosa: Ich versteh deine eigentümliche Aufregung nicht –
Matrosa fällt ihm ins Wort: Ich kann es nicht leiden, daß jemand beschuldigt wird ohne zwingende Beweise – oh, ich kenn das selber! Wie oft hat man mich schon verleumdet!
Aufseher schreit: Also was ist los?! Hat er die Finger im Spiel – ja oder nein?!
Paegnium Ich hab ihn nämlich zuvor belauscht, bei Lemniselenis –
Matrosa unterbricht ihn: Was?! Er steckt schon wieder bei ihr?!
Paegnium Er steckt noch immer bei ihr!
Matrosa Skandal! Na, lang dauerts nimmer, der Dordalus muß ja jeden Moment erscheinen –
Aufseher unterbricht sie brüllend: Dordalus hin und her! Was ist also mit seinen Fingern?!
Paegnium Sie stecken drin! Er hat das Geld!
Alle Sklaven die interessiert nähergetreten waren: Das Geld?!
Paegnium Toxilus hat das Geld!
Aufseher schnappt außer sich nach Luft: Mich trifft der Schlag – Er muß sich setzen.
Paegnium zu den Sklaven: Grad hat er es seiner Lemniselenis erzählt, wie sich der Oberdieb wieder hergeschlichen, knapp vor Sonnenaufgang, und wie ihm der Gauner das Geld abgezählt überreicht hat – sechshundert Silberlinge!
Aufseher schnellt wieder empor: Wieviel?!
Alle Sklaven Sechshundert?!
Paegnium Ja. Stille.
Aufseher zu den erstarrten Sklaven: Hört ihr das? Hört ihr es, wie sich euer Toxilus benimmt – euer Abgott, euer Wohltäter, euer Götterliebling?! Wenn ihr müde von des Tages Last im Keller ruht, räubert er die Kasse aus, aber wenn die Herrschaft zurückkommt, kriegt ihr die Prügel, ihr, inklusive mir, weil hier eingebrochen worden ist – aber diese Prügel sind euch vielleicht am End noch wurscht, ihr Haus- und Hofteppen, ihr seid es ja im Stand und kümmert euch nur um die Prügel, die ich austeil! Was sagt ihr nun zu Toxilus?!
Alle Sklaven nehmen langsam, fast feierlich, ihre Masken ab; alle Leidenschaften werden sichtbar; im Sprechchor:
Wir alle, jeder und jede, hätten das Geld auch genommen
Wenn uns die Gnade der Götter hätt einen Weg gewiesen
Um ohne Gefahr und frei von lästiger Störung
Die Kasse der Herrschaft zu plündern.
Wir alle
Hätten so gerne gestohlen
Ohne an die Unbill der Unschuld zu denken.
Doch in diesem Falle
Wo von der Missetat keiner und keine von uns etwas hat
Holen wir uns den Missetäter, ihn zu verprügeln nach
Noten!
Aufseher Nach Noten!
Alle außer Matrosa: Toxilus! Toxilus!
Lemniselenis tritt rasch aus der Villa: Ihr ruft seinen Namen?! Er schläft grad und träumt – oh still, wecket ihn nicht auf!
Aufseher lacht höhnisch hellauf.
Nicht doch, nicht so laut! Sie blickt nach der Villa. Reißt ihn nicht aus Morpheus Armen –
Aufseher Moment! Er entledigt sich seiner Jacke und krempelt die Ärmel hoch – und auch alle Sklaven tun desgleichen, soweit sie welche haben.
Lemniselenis ahnt Unheil, sehr besorgt: Um aller Götter Willen – was wollt ihr von meinem Mann?
Aufseher herrscht sie an: Her mit dem Geld! Wir sind im Bilde und wissen alles!
Alle Sklaven Alles! Alles!
Aufseher Her mit den sechshundert Silberling und zurück damit in die Kasse!
Alle Sklaven
Oh Freund, nicht in die Kasse gebe der Mann das Geld zurück. Das Geld, das er durch frevle Tat in tiefer Nacht sich erworben Lieber verteile er es unter uns, wenn er es eh schon besitzt Damit auch wir uns an seinem Verbrechen erfreuen!
Aufseher Ah da schau her!
Toxilus der während der Sklaven Chor verschlafen und gähnend aus der Villa trat, dann die Ohren spitzte, ruft nun plötzlich: Nur auf ein Wort, oh Freunde!
Alle bemerken ihn erst jetzt; drohend: Toxilus!
Toxilus Mitsklaven! Wie rührt mich zu innerst unser Schicksal Das mich mit allen Fasern der Seele an euch kettet –
Er muß gähnen.
Hier steht ihr nun vor mir
Söhne und Töchter aus allen Teilen der Welt
Und wollt mit mir teilen das Geld
Das ich gestohlen –
Er muß wieder gähnen.
Die Sklaven werden angesteckt und müssen auch gähnen.
Aufseher zu den Sklaven: Gähnt nicht! Er wickelt euch ein!
Toxilus Ich wickle nicht! Weder euch ein, noch mich heraus! Beim Jupiter, das hat ein Toxilus nicht nötig! Kennt ihr mich denn nicht mehr, mich, eueren Freund – habt ihr es denn vergessen, wie oft ich euch beschützte vor Hoffart, Wut und Übermut unserer Herrschaft?! Und – Er deutet auf den Aufseher – vor jenem! Hab denn nicht ich ihm erst gestern seine Peitsche genommen – ja oder nein?!
Aufseher Jawohl! Damit ich dir nicht auf die Finger klopfen kann, wenn du die Kasse öffnest!
Alle Sklaven zum Aufseher: Gib Ruh! Gib Ruh! Sie gähnen.
Toxilus Ihr alle, jeder und jede, habt schon mal »Danke!« zu mir gesagt – »Danke!« für irgendeinen, großen oder kleinen, Dienst. Aber heute, Freunde, laßt auch mich mal danken dürfen – euch danken! Gewährt mir die Bitte, erlaubt es mir, seid so gut –
Die Sklaven krempeln die Ärmel wieder herab.
Toxilus lächelt leise. Gewiß, wer würds nicht verstehen, wenn ihr mich steinigen wolltet, denn ich hab ja sechshundert Silberlinge in der Tasche! Und ihr denkt, ich hätte an euere Buckel nicht gedacht, nicht an die Prügel, die ihr für mein Geld kassiert – oh Irrtum! Natürlich hab ich mit euerer Unschuld gerungen, und hab es aber trotzdem gestohlen!
Aufseher Er brüstet sich noch! Er muß plötzlich heftig gähnen.
Toxilus zum Aufseher: Gähne nicht, wenn sich ein braver Mann vor braven Menschen verteidigt!
Alle Sklaven Heil Toxilus! Heil!
Toxilus zu den Sklaven: Lange hab ich alles erwogen und hielt eine Waage in der Hand. Dann warf ich meine Ehrlichkeit und euere Buckel in die eine Schale und in die andere legte ich säuberlich die Silberling – und siehe! Die Silberlinge wogen schwerer! Ganz droben, fast unsichtbar hoch, hingen euere Buckel und meine Ehrlichkeit – und ganz tief herunten das Geld. Aber es wog nur deshalb so schwer, weil ich es nicht für mich geraubt, sondern für eine Sklavin, die ich freikaufen möchte. Es geht um eueresgleichen! Helft mir! das ist meine Bitte an euch. Rettet sie! das sei euer Dank an mich. Kauft sie frei – Lemniselenis!
Eine Sklavin Was, die?! Das nennst du eine Sklavin?! Das wär mir eine feine Sklavin – nichts arbeiten, nur auf seidenen Kissen herumlümmeln und sich parfümieren! Für sowas soll ich meinen Buckel hinhalten?! Nein, nie-nie! Kauf eine häßliche frei, eine arme Sklavin, aber keine Reiche!
Lemniselenis Oh Schwester! Was weißt du von der reichen Sklaven Leid! Ich liege auf Kissen und Polstern – doch mein Herz liegt auf Stein. Was weißt du von der armen Schönheit Kummer? Wie schwer ist es Liebe zu geben für Lohn –
Die Sklavin Lüg nicht! Lieben ist leichter, als arbeiten!
Ein Sklave zur Sklavin: Sei so gut!
Die Sklavin Laß mich, Mann! Zu Lemniselenis. Hochmütige Gans!
Lemniselenis Du hast recht, wenn du mich beschimpfst – und doch nicht recht. Ja, ich lüge fast immer, aber diesmal lüge ich nicht, so wahr es einen Jupiter gibt, eine Venus und einen Phöbus Appolon! Es war nicht Hochmut, daß ich wegsah, wenn ich an euch vorbeiging – es war Angst, Angst vor eueren Augen. Aber jetzt seh ich euch alle an und möchte keinen von euch vergessen, möchte immer schauen in der Armut Gesicht – und wenn ihr mich jetzt freikauft, dann will ich es vor allen Göttern versprechen, daß ich immer für euch sorgen werde! Betrachtet mich als euer Schwert! Schickt mich als freien Menschen unter unsere freien Feinde hinein! Ich mähe sie alle nieder – jeden und jede, die mir begegnen! Ihr braucht nur zu befehlen und ich hol mir die Seuche, die euch am bekömmlichsten dünkt, um unsere Feinde auszurotten – ich möchte sie alle ausrotten und als letzte dann mich selbst, als die letzte Freie! Nicht mitzulieben, mitzuhassen bin ich da! Sie umarmt Toxilus.
Alle Sklaven Heil Lemniselenis! Heil!
Wir kaufen Dich frei! Wir kaufen Dich frei!
Mit dem Pfeil dem Bogen
Kommt der Schütz gezogen!
Über Berg und Tal
Rauscht der Wasserfall!
Heil! Heil! Heil!
Ein Wort ist ein Pfeil!
Toxilus unterbricht die Sklaven: Halt! Warum solch sinnlos Reden, Freunde?! Warum berauscht ihr euch am Wort? Denkt doch lieber, denkt!
Alle Sklaven horchen auf: Denken? Sie sehen sich gegenseitig an und denken dann, jeder für sich.
Stille.
Toxilus Nun?
Alle Sklaven Wir denken, doch es kommt nichts dabei heraus. Wir denken, es müßt uns wer was sagen. Wir denken, daß wir warten.
Toxilus mit ganz leiser Ironie: Auf was warten wir denn?
Matrosa plötzlich: Toxilus! Was geschieht denn eigentlich mit mir, wenn Lemniselenis frei wird?
Toxilus Mit dir? Da du gewissermaßen nur die Zuwaag bist – wirst mit ihr gekauft und verkauft und wirst also auch mit ihr frei!
Matrosa überglücklich: Frei?! Ich auch?!
Toxilus Logisch!
Matrosa Frei! Oh großer Gott im Himmel – nein, daß ich das noch durft erleben! Achtundfünfzig Jahre bin ich nun gefangen und plötzlich frei, frei – wie dank ich dir, mein lieber Gott! Sie sinkt in die Knie, bekreuzigt sich, betet unhörbar, bekreuzigt sich wieder und steht auf.
Alle sahen ihr verblüfft zu.
Aufseher zu Matrosa: Was hast denn jetzt getan?
Matrosa Ich habe gebetet.
Toxilus Gebetet? Seit wann betet man denn so?
Matrosa Zu meinem Gott betet man so.
Aufseher Was ist denn das für ein Gott?
Matrosa Niemand kann ihn sehen –
Toxilus wirft einen Blick auf Lemniselenis: Aha! Und du triffst ihn unter der Erde?
Matrosa Noch muß er sich verstecken, denn er ist unser Vater – der liebe Gott der Sklaven.
Stille.
Toxilus zu Matrosa: Was predigt denn dieser neue Gott?
Lemniselenis sanft: Daß alle Menschen Brüder sind.
Alle Sklaven Alle?
Matrosa Ja. Ob reich, ob arm, ob frei oder unfrei – alle Menschen sind Kinder unseres Vaters im Himmel. Alle, alle!
Dordalus, der Sklavenhändler aus Pompeji, kommt von links; er schreitet neben einer Sänfte einher, die von Trägern getragen wird; in der Sänfte sitzt ein Praetor aus Pompeji; einige Liktoren eskortieren das Ganze.
Dordalus zu den Trägern: Halt!
Die Träger halten.
Zum Praetor. Wir sind nämlich bereits am Ziel, Euere hochwohlgeborene Exzellenz!
Praetor Endlich! Doch behalt deine orientalischen Titeln für dich, ich bin der Praetor von Pompeji und das genügt! Er steigt aus der Sänfte und sieht sich um. Hm. Also dies ist jene Villa –
Dordalus Jawohl, oh Praetor!
Praetor blickt auf das Dach der Villa: Köstlich, dieser Fries – gelungene Raumeinteilung.
Dordalus Wirkt wie ein Tempel, und doch wohnt nur ein gerissener Gauner drin –
Praetor fällt ihm ins Wort: Ich kenne den Herrn!
Dordalus Ich bin zwar kein Antipunist, doch wahr ist, was wahr ist: die Römer haben die Welt, die Punier das Geld!
Praetor Wie abgeschmackt! Schaff mir lieber endlich deine Hetäre herbei, ich bin ja schon überall wund – fünf Stunden in einer Sänfte, wer hält denn das aus!
Dordalus Sofort-sofort! Zu den Sklaven. He, Sklavengesindel! Verfluchtes Pack, wo steckt denn das herrlichste Geschöpf Lemniselenis, das lieblichste Kind von Lemnos? Ich bin Dordalus, euer Händler!
Lemniselenis Hier bin ich!
Dordalus zum Praetor: Dort ist sie!
Praetor Ich habs gehört, ich bin nicht taub!
Dordalus Sie ist das entzückendste –
Praetor unterbricht ihn schroff: Ich bin nicht blind!
Stille.
Praetor betrachtet Lemniselenis; plötzlich. Dreh dich um! Lemniselenis lächelt leise, wirft einen flüchtig-schalkhaften Blick auf Toxilus und dreht sich um.
Dordalus zum Praetor: No?
Stille.
Praetor betrachtet Lemniselenis: Hm. Als Richter verdiene ich pro Prozeß normalerweise fünf bis zehn Silberlinge, und wenn ich ein Auge zudrück fünfzig, zwei Augen hundert. Aber heutzutag langt den meisten Leuten leider schon ein Auge, sie lassen sich lieber ein bisserl foltern, es hat halt niemand ein Geld. Zu meines Vaters Zeiten kosteten ein paar Hetären zwanzig Silberlinge und an einem Prozeß verdiente man hundert – hundert pro Auge! Zu Lemniselenis. Dreh dich wieder um!
Lemniselenis folgt und scheint amüsiert zu sein.
Dordalus Zwanzig Silberling für ein paar Hetären – das muß aber schon hübsch lang her sein!
Praetor betrachtet noch immer Lemniselenis: Das war noch seinerzeit, wie der Vesuv ausgebrochen ist – wenn nämlich alles unter der Lava liegt, prozessieren die Leut am liebsten wegen ihrer Grundstücksgrenzen. Also: was soll das Kind kosten?
Dordalus Wenig.
Praetor Wenig ist garnichts.
Dordalus Bei mir ist wenig ein bisserl mehr.
Praetor Wieviel?
Dordalus Nicht viel –
Dordalus Sagen wir – was sagen wir?
Praetor Was weiß ich!
Dordalus Wären also, sagen wir, zirka – für einen Praetor von Pompeji –
Praetor unterbricht ihn: Wenn ich kaufe, bin ich kein Praetor, sondern ein einfacher freier Bürger!
Dordalus Ojjweh, das hab ich nicht gern!
Praetor Gern oder nicht gern, mir wirds jetzt zu dumm! Zeit ist auch Geld, also sagen wir: fünfzig!
Dordalus Fünfzig? Fünfzig Silberlinge? Für diese Figur, diese Haar, diese Beine, diese –
Praetor unterbricht ihn: Also wieviel?!
Dordalus Nicht unter dreihundert!
Praetor Dreihundert?! Und das nennst du wenig?!
Dordalus frech: Bei mir ist das wenig! Stille.
Praetor zu Lemniselenis: Dreh dich nochmal um –
Lemniselenis dreht sich um.
Praetor betrachtet sie wieder. Hm. Eigentlich hab ich mir ja was anderes vorgestellt –
Dordalus Wieso?
Praetor Offen gesagt: mein Fall ist das nicht. Die ist mir zu zart –
Dordalus wird nun immer gehässiger: Was Ihr nicht sagt!
Praetor Die Zarten gehen einem nämlich leicht auf die Nerven und ich brauch etwas fürs Gemüt, ich neige eh zu Melancholie.
Dordalus Ihr kauft sie also nicht?
Praetor Nein.
Lemniselenis verbeißt das Lachen: Darf ich mich wieder umdrehen?
Praetor Dreh dich nur, Kind –
Lemniselenis dreht sich wieder um.
Dordalus zum Praetor: Und wer zahlt die Sänfte hin und her?
Praetor Du.
Praetor Ja.
Dordalus Und wenn ich mich weiger?
Praetor Dann verurteil ich dich dazu.
Dordalus Oh Merkur, Gott der Kaufleute, hilf einem ehrlichen Handelsmann!
Praetor Du und ein ehrlicher Handelsmann?! Lästere nicht! Verspricht, mir in Pompeji eine überirdische Hetäre zu zeigen, eine reine griechische Aphrodite, ich vertag einen ganzen Prozeß, laß mich da mühsam heraustragen und was muß ich sehen?! Ein armseliges Geschöpf mit überall nichts dran – falsch eingehänkte Füß, abstehende Ohren, schiefer Mund, gelbe Haar, wo sie ihre Nase hat, erkennt man überhaupt erst nach längerem Hinschauen – und schielen tut sie auch!
Toxilus kann sich nicht mehr beherrschen: Was?! Lemniselenis schielt?!
Praetor zu Dordalus: Wer redet da zu mir?
Dordalus Was weiß ich, was gehts mich an!
Toxilus Ich rede, ich! Wie könnt Ihr es wagen, an diesem göttlichen Geschöpfe ein Haar in der Suppe –
Lemniselenis unterbricht ihn erschrocken: Halt, nicht –
Toxilus unterbricht sie: Nein, das halt ich nicht aus! Ich laß das nicht zu! Abstehende Ohren, hat er gesagt! Schiefer Mund, hat er gesagt! Gelbe Haar, falsch eingehänkte Füß! Oh Götter, nein-nein, jetzt werde ich es aller Welt beweisen, was an dir dran ist, und zwar überall dran – denn ich, ich versteh was von der Schönheit der Damenwelt!
Praetor Ein vermessener Bursche!
Toxilus Dordalus, du alter Hafen, schäbiger Mist voll Gier und Neid – hier, hier hast du sechshundert Silberlinge – Er zückt einen Geldbeutel.
Dordalus Sechshundert?!
Toxilus Jawohl, sechshundert! Denn Lemniselenis ist sechstausend wert! Nimm es, räudiger Geldgeier, ich kauf das Mädchen frei!
Dordalus Ein Wohltäter! Gemacht, Herr, gemacht! Aber das Geld müßt Ihr leider behalten, ich hab ja die Dame nur in Kommission zum Verkauf – wenn Ihr sie freikauft, dann gehört das Geld nicht mir, sondern dem Herrn Präsidenten Thago!
Toxilus perplex: Wem?
Dordalus Nun, dem Herrn, der hier wohnt. Legt es in seine Kasse!
Toxilus Wohin?!
Dordalus In seine Kasse. Mit Freikaufereien hab ich leider nichts zu tun –
Praetor fällt ihm ins Wort: Aber vielleicht ich, und zwar in meiner Eigenart als Richter! Es will mir nicht recht in den Kram, daß da irgendsoein Bursche für eine Hetäre, die mir mißfällt, mirnichts-dirnichts sechshundert Silberlinge – Er fixiert Toxilus. Wer seid Ihr denn? Euer Name?
Toxilus wird etwas unsicher: Toxilus.
Praetor Auch ein Name! Euer Stand?
Toxilus Ich bin hier der Oberkammersklave –
Dordalus fällt ihm ins Wort: Sklave?!
Praetor Ahnt ich es doch, daß hier etwas nicht geheuer! Nun, sag mir mal, Toxilus, wieso kann ein unfreier Mann zu soviel Geld kommen?
Toxilus Nur durch der Götter Fügung und die Gnade seiner Herrschaft. Mein Herr hats mir geschenkt.
Praetor Wie kann ein Mensch nur so dumm lügen!
Toxilus Hoher Praetor! Die Wahrheit –
Praetor unterbricht ihn: Kein Wort mehr, Schluß! Wir werden die Dinge ordentlich klären, tröste dich! Dein Herr ist verreist?
Toxilus wird immer unsicherer: Ja, in die Sommerfrische.
Praetor Und wann kommt er wieder?
Toxilus Bei meinem Herrn dauert der Sommer manchmal ein halbes Jahr. Er ist nach Kreta –
Praetor fällt ihm ins Wort: Ein halbes Jahr? Dann werden wir es also erst im Winter erfahren, ob du im Frühling die Wahrheit gesprochen hast. Bis dahin wirst du mich wohl nach Pompeji begleiten müssen – Zu seinen Liktoren. Verhaftet ihn!
Lemniselenis Nein! Oh hoher Praetor, er sagt die Wahrheit, glaubet mir, auch wenn Ihr mich nicht für schön findet! Ich selber war ja dabei, wie der Herr ihm das Geld gab, ich schwör Euch jeden Eid, der Euch heilig ist! Aber wenn Ihr ihn jetzt trotzdem einkerkert, dann kerkert auch mich ein – auch mich! Sie weint.
Praetor lächelt: Ach, ist Amor mit im Spiele? Leise zu Lemniselenis, damit es Dordalus nicht hört. Liebes Kind, im Vertrauen: ich finde dich sehr schön – und ich hab dich zuvor nur deshalb für häßlich befunden, weil du mir zu teuer warst. Verzeihe einem armen Richter – jetzt lächelst du wieder! Ich bin auch kein Unmensch und würde dir gerne deinen Toxilus gönnen, aber Recht muß Recht bleiben, sonst hört sich unsere menschliche Gesellschaft auf und alles geht drunter und drüber –
Bagnio kommt mit seinem Prügel rasch hinter der Villa hervor und ruft: Toxilus! Toxilus! Das Schiff ist untergegangen, das ganze Schiff!
Matrosa Was für ein Schiff, um Gottes Willen?!
Bagnio hocherfreut: Das Schiff Euerer Herrschaft!
Toxilus Was redest du da?!
Alle Sklaven Untergegangen?!
Bagnio Und ob! Ich lag heut früh auf meinem Felsen, von dem man das halbe Meer überschaut – von dort verfolgte ich Euere Fregatte! Plötzlich, aus heiterstem Himmel heraus, ballt sich da ein Gewitter zusammen, ein Blitz und bumm! der Kahn ist futsch! Habedieehre mit Mann und Maus! Euere Herrschaft ist nicht mehr! Alles ersoffen, alles!
Aufseher Ersoffen?!
Bagnio erblickt erst jetzt den Praetor und erschrickt:Huj, der Praetor von Pompeji!
Praetor Wer bist du?
Praetor Keine Ahnung!
Bagnio Sehr angenehm! Zu Toxilus. Er hat mich zwar schon ixmal verdonnert, aber wahrscheinlich sah er mir dabei nie in die blauen Augen – Er grinst und will seine Hand auf Toxilus Schulter legen.
Toxilus Rühr mich nicht an, ich bin verhaftet!
Bagnio erschrickt sehr: Verhaftet?! Bimbambum!
Praetor Jetzt nicht mehr. Toxilus, du bist frei!
Lemniselenis hochbeglückt: Frei?!
Praetor Du sagst es – denn wo kein Kläger, kein Angeklagter, und die Beweise seiner Schuld liegen am Meeresgrund – Er blickt zum Himmel empor.
Lemniselenis Fein, fein! Sie umarmt sich mit Toxilus.
Alle Sklaven sehen beglückt aus.
Praetor blickt noch immer empor:
Schrecklich ist manchmal das Walten der Götter
Rätselhaft ihr Urteil
Unfaßbar für einen irdischen Richter.
Oh Jupiter!
Du erschlägst das Recht mit Deinem Blitz
Und läßt das Unrecht triumphieren –
Sagt, Götter, was habt Ihr vor mit unserer Welt?!
Stille.
Praetor wendet sich langsam lächelnd an seine Liktoren: Kommet! Wir warten umsonst auf Antwort – Ab nach links mit Dordalus und den Liktoren.
Lemniselenis Freude, doppelte, dreifache Freude!
Alle Sklaven Freude, Freude, Freude!
Musik erklingt.
Toxilus Jetzt laßt uns singen – die Herrschaft ist hin!
Lemniselenis Singen und tanzen!
Bagnio Und saufen!
Toxilus zu den Sklaven: Hinein mit euch, öffnet alle Schränke und Truhen! Ziehet die Fetzen der Herrschaft an!
Bagnio Und was ihr nicht anziehen könnt, das zerfetzt in Stücke!
Toxilus Wein her! Alle Fässer, alle Flaschen!
Bagnio Zerschlagt das Glas!
Toxilus Scherben bringen Glück! Toxilus und Lemniselenis laden euch ein zu ihrem Ball! Und wenns auch nur paar Stunden dauern sollt – wagt es doch mal, frei zu sein! Wagt es!
Bagnio Zertrümmert alles! Alles – alles!
Alle Sklaven befolgen mit Jubel die Ratschläge, kommen aus der Villa in den Kleidern der Herrschaft mit Wein und Braten und Torten; sie singen:
Es öffnet sich heute des Sklavenzwingers Tor
Da kugelen die Sklavelein ganz haufenweis hervor!
Die Männlein und die Weibelein
Sie wollen alle Freie sein
Sie kugelen, sie kugelen
Bald hin und bald her
Zu unterst, zu oberst
Das freut sie umso mehr!
Lemniselenis
Auf dem Meer ist so still, wie die ewig Ruh
Kein Orkan drückt der Matrosen Schuh
Wölklein, die siehst schon von weitem wehen
Heut wirds auch ohne Ruder gehen –
Ihr Sklaven, wir wollen nach Kreta fahren
Kreta ist jenseits aller Gesellschaftsgefahren
In Kreta, dort ist der Wein so süß
Dort ist das zweite Paradies –
Wir segeln, wir segeln in die Sommerfrisch
Lustig im Wasser schwimmt mit uns der Fisch
Der uns zur Zeit verspeist gerad
Tief drunten im Meeresgrab –
Alle außer Matrosa, die sich während des ganzen Balles abseits hält, applaudieren.
Aufseher bereits etwas betrunken:
Denn auf den Meeren, da wohnt die Freiheit
Ja auf den Meeren ist es schön
Allwo die hohen Herren, samt ihrer Freiheit
Können untergehen!
Toxilus zum Aufseher: Geistreich! Sehr witzig!
Aufseher gekränkt: Wenn du mir schon die Peitsche nimmst, dann klatsch wenigstens, wenn ich sing! Nicht schön von dir!
Bagnio klopft mit seinem Prügel auf Toxilus Schulter:
Fuchs du hast die Gans gestohlen
Gib sie wieder her
Sonst wird dich der Praetor holen
Mit seinem Paragraphenheer –
Aufseher zu Lemniselenis:
Prosit ex!
Trink aus du kleine Hex!
Allgemeiner Tanz.
Alle
Ojje, ojje, wie rührt mich das
Wie rührt mich das, wie rührt mich das
Viel zu lang habt Ihr gelebt
Das Kaputtsein kam zu spät!
Lemniselenis
Der Blitz schlug ein –
Hurrah, wie fein!
Er schlug sie alle tot
Alle, alle tot!
Der Blitz schlug ein –
Alle
Hurrah, wie fein!
Er schlug sie alle tot
Alle, alle tot!
Ojje, ojje, der Kopf ist ab
Der Kopf ist ab, der Kopf ist ab
Wie rührt mich das, wie rührt mich das
Wie rührt, wie rührt mich das!
Lemniselenis tanzt mit Toxilus:
Ach, wie ist es möglich dann
Daß ich dich hassen kann!
Hasse Dich so schrecklich lieb
Du meiner Freiheit liebster Dieb!
Aufseher
Hieb um Hieb!
Dick und dünn!
Paegnium Zwirn, Zwirn, Zwirn!
Bagnio
Zwirn ist kein Strick
Dünn oder dick!
Er macht die Geste des Gehenktwerdens.
Toxilus
Dick oder dünn
Strick ist kein Zwürn!
Er macht die Geste des Einfädelns.
Bagnio und Toxilus
Laßt uns entwürrn!
Toxilus
Zwirn, Zwirn, Zwirn
Ein Kopf ist noch kein Hirn
Ein Hut ist noch kein Kopf
Ein Hals ist noch kein Kropf
Gedacht, getan, etcetera
Für unsereins sind nur wir da!
Alle
Gedacht, getan, etcetera
Für unsereins sind nur wir da!
Lemniselenis tanzt mit Toxilus einen Walzer:
Hunde, die bellen, die beißen nicht
Sklaven, die klagen, die morden nicht
Herren, die gut sind, die gibt es nicht
Die gibt es nicht, die gibt es nicht!
Alle tanzen Walzer, summen die Melodie und singen nur die letzte Zeile:
Die gibt es nicht, die gibt es nicht!
Paegnium hatte sich einen Helm des Gloriosus aufgesetzt und betrachtet sich in einem seiner Schilde:
Putz den Schild
Putz, putz, putz!
Nur kein Trutz
Trutz, Trutz, Trutz!
Wo bin ich, wo bin ich?
Seh mich nicht, blend ich Dich –
Er schreit plötzlich. Wo seid Ihr jetzt, stolzer Gloriosus?! Erhabener Tepp, siehst du dich jetzt?! Wer putzt dort deinen Schild, wer?! Kämpfst mit tausend Haifischen, Polypen und Seeschlangen und hast sie alle besiegt, was?!
Alle lachen.
Aufseher nun total betrunken:
Ich gerbt es gern in alle Häute ein
Ich ätzt es gern in jedes Herrn Bein
Dein ist mein Schmerz
Dein ist mein Schmerz
Und soll er ewig, ewig dein bleiben –
Er fällt um. Alle lachen.
Paegnium plötzlich:
Zwirn, Zwirn, Zwirn!
Toxilus
Ein Kopf ist noch kein Hirn!
Wieder allgemeiner Tanz.
Bagnio
Gedacht, getan, etcetera
Alle
Für unsereins sind nur wir da!
Lemniselenis
Flieg, Delphin, flieg –
Ein Krieg ist noch kein Sieg
Ein Sieg ist noch kein Frieden
Wo ist mein Herr geblieben?
Der Blitz schlug ein –
Hurrah, wie fein!
Er schlug sie alle tot
Alle, alle tot!
Bagnio nähert sich Matrosa:
Du Prügel in meiner Linken
Was soll Dein heiteres Blinken?
Siehst mich so freundlich an
Morgen kommst wieder du daran –
Matrosa stößt Bagnio von sich. Es donnert und die Musik spielt plötzlich ganz leise. Alle hören auf zu tanzen und horchen auf; sie blicken nach dem Himmel und bemerken es erst jetzt, daß er sich bezogen hat; die Sonne verschwindet.
Lemniselenis bange: Was war das?
Matrosa Es donnert.
Bagnio Das kommt vom Meer – Pause.
Toxilus Es kommt nicht her.
Matrosa Abwarten!
Toxilus Es verzieht sich –
Es donnert wieder.
Bagnio zuckt etwas zusammen: Ich glaub, es kommt –
Toxilus Aber nichts kommt! Das geht an uns vorbei und Schluß! Weiter!
Wieder laute Musik und allgemeiner Tanz.
Alle
Ojje, ojje, der Kopf ist ab
Der Kopf ist ab, der Kopf ist ab
Viel zu lang habt Ihr gelebt
Das Kaputtsein kam zu spät!
Lemniselenis Der Blitz schlug ein –
Alle
Hurrah, wie fein!
Er schlug sie alle tot
Alle, alle tot!
Heftiger Blitz und Donner, die Musik verstummt, Sturmstoß – rasch wird es finster. Alle schrecken sehr zusammen.
Bagnio Es regnet!
Alle Es gießt, es gießt! Flieht, flieht! Sie fliehen in die Villa, nur Toxilus, Lemniselenis und Matrosa bleiben unter dem Vorbau bei den Säulen stehen.
Zweiter Sturmstoß.
Bagnio Na servus! Also ich vertrag alles, nur kein Wetter! Da krieg ich Nerven! Rasch ab in die Villa.
Wolkenbruch.
Toxilus Ein Wolkenbruch. Zu dumm!
Lemniselenis Einmal wär man in seinem Element gewesen –
Stille.
Matrosa Habt ihr keine Angst?
Toxilus Wir? Warum?
Matrosa Vor dem Blitz.
Toxilus Nein. Hin ist hin!
Matrosa Und was kommt dann?
Toxilus Frag nicht so dumm –
Es blitzt stark, ohne zu donnern.
Lemniselenis zuckt sehr zusammen: Oh! Sie verbirgt das Antlitz an der Brust ihres Toxilus.
Toxilus Fürchte dich nicht –
Lemniselenis Wenn der mich trifft!
Toxilus streichelt sie: Er trifft uns nicht.
Matrosa Wer hat dir das verraten?
Toxilus Frag nicht so dumm!
Dritter Sturmstoß – dann wieder Stille.
Matrosa singt leise und spöttisch:
Zwirn, Zwirn, Zwirn
Ein Kopf ist noch kein Hirn
Ein Hut ist noch kein Kopf
Ein Hals ist noch kein Kropf
Gedacht, getan, etcetera
Für unsereins sind nur wir da –
Toxilus Mir scheint, es freut dich, daß unser Ball verregnet?
Matrosa Ja.
Toxilus Wie freundlich! Jetzt glaub ichs bald, du würdest auch singen, wenn uns beide da der Blitz träf –
Matrosa fällt ihm ins Wort: Ihr habt es verdient, daß er Euch trifft – Euch alle!
Toxilus Hoppla!
Matrosa Du tust ja, als hättest du deinen Herrn erschlagen – aber den Blitz sandte ein Anderer! Einer, der unsere Leiden sah – doch wird er uns ebenso erschlagen, wenn wir in unserem Feinde nicht auch den Bruder erkennen –
Toxilus etwas ironisch: Aha! Wieder dieser neue Gott –
Matrosa Immer und ewig.
Stille.
Lemniselenis plötzlich zu Matrosa: Ich möcht gern mal mit. Zu deinem Gott. Aber ich hab Angst.
Matrosa Warum?
Lemniselenis Weil man so tief hinunter muß unter die Erde.
Matrosa lächelt: Halb so schlimm –
Lemniselenis Und finster ists drunten!
Matrosa Halb so finster, wie hier! Es brennen immer viele Kerzen.
Lemniselenis wie ein Kind: Ach fein! Die hab ich gern! Zu Toxilus. Du kommst doch auch mit?
Toxilus Warum?
Matrosa Du wirst es nicht bereuen.
Toxilus horcht auf.
Es ist eine andere Welt.
Stille.
Lemniselenis Ich bin schon neugierig.
Matrosa Ja, es ist herrlich bei uns. Und dann singen wir.
Toxilus lächelt, fast traurig: Schöner wie wir zuvor?
Matrosa heiter: Das will ich meinen!
Stille.
Lemniselenis zu Toxilus: Nicht traurig sein –
Es wird langsam wieder heller.
Matrosa blickt empor: Es geht vorbei –
Lemniselenis blickt empor: Ja.
Toxilus blickt auch empor, sagt aber nichts.
Die Sklaven in der Villa – fangen wieder an zu singen:
Der Blitz schlug ein –
Hurrah, wie fein!
Er schlug sie alle tot
Alle, alle tot!
Toxilus ruft plötzlich in die Villa hinein: Ruhe! Ruhe!
Stille.
Ein Sonnenstrahl bricht durch.
Lemniselenis umarmt Toxilus.