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Die stille Revolution

Der römische Hauptmann

An einem Vorfrühlingstag nachmittags war die Exekution beendet. 33 Jahre nach Christi Geburt. Die drei Kreuze standen gegen den Himmel vor der Stadt. Das Volk, das der Exekution beigewohnt hatte, kehrte nachhause zurück und unterhielt sich angeregt. Der Friseur Brantl sagte, er sei gegen die Todesstrafe. Es waren keine Kinder dabei, die wußten noch nichts von der bösen Welt. Und ein Liebespaar.

Die drei Leichen hingen an den Kreuzen. Es war ein politischer und zwei kriminelle Delinquenten.

Auch die Henker gingen nachhause. Und die Soldaten auch, die die Ordnung aufrechterhalten haben. An der Spitze der Herr Hauptmann, in einer feschen Uniform die Leutnants. Mit Musik.

Der Hauptmann war mit Leib und Seele Soldat. Er kümmerte sich sein Leben lang über nichts, als soldatische Bücher. Er hatte die Kadettenschule besucht.

Ansonsten war er unverheiratet. Er sprach wenig und war beliebt wegen seiner Gerechtigkeit.

Im letzten Krieg tötete er 14 Feinde in einer Schlacht, konnte aber keiner Fliege etwas zu leide tun.

Die Exekution war ihm peinlich. Er liebte derartige Schaustellungen nicht. Er war natürlich absolut für die Staatsautorität.

Hätte er Christus, den Nazarener, nicht hingerichtet, sondern wäre bereits Christentum gewesen, wäre er sicher ein Heiliger geworden.

Der römische Hauptmann hat es erkannt: nicht Zweifel über die Berechtigung der Hinrichtung, sondern Zweifel daran, ob der Gekreuzigte nicht Recht gehabt hatte. Das Herandämmern einer neuen Zeit, der Untergang einer anderen.

Nie waren ihm solche Gedanken gekommen, aber jetzt standen sie plötzlich vor ihm. –

Zuhause angelangt zog er sich um. Dann ging er ins Kasino.

Dort traf er Kameraden.

Dann Schlaf. Soll er die Konsequenzen ziehen? Soll er Christ werden? Verzichten? Soll er den bunten Rock ausziehen?

Dann schreibt er einen Brief.

Dann geht er sich rasieren.

Dann Dienst.

Dann zum Tee zur Gräfin.

»Man sollte was unterschlagen«, sagte der Hauptmann, »nur weg! Weg!«

 

An dem Busen seiner Geliebten vergißt er die ganze Geschichte mit der Kreuzigung.

Die stille Revolution (I)

Im dritten Stock wohnte ein Student. Er studierte Jus, wußte aber nicht, was er werden wollte, sollte.

Die Straße war eng und kurz, der Himmel grau. Es begann leise zu regnen.

Der Sommer ging vorbei. Der Sommer 1913 –

Der Student schrieb ein Gedicht.

Er war nämlich verliebt.

Aber es wurde kein Liebesgedicht. Ganz im Gegenteil. Es wurde ein Gedicht, das in einem überheizten Glashause spielte, ein wildes, anklägerisches Gedicht, ein tief resigniertes, von einem Sohne, der seine Mutter umbringt. Es war sprachlich einwandfrei, aber es ließ dennoch kalt, denn der Student liebte seine Mutter nicht.

Denn seine Mutter war eine dumme Frau, die mit dem Leben nicht fertig wurde. Sie saß in einer Sechszimmerwohnung, und wurde immer hysterischer. Sie war so eifersüchtig auf ihren Gatten, der ein Frauenarzt war.

Der Frauenarzt war ein braver Mann und wurde mit ihr nicht fertig. Es war die Tyrannei der Spießerinnen, der spießbürgerlichen Vampyre. Aus Achtung vor dem Weibe, wurden sie von den Männern verpatzt. Die Männer damals gingen auf jede Laune ein, weil sie höflich waren und korrupt.

Der Student hatte gerade das Gedicht fertiggestellt, fertiggedichtet, als die Post kam. Es war ein Brief von dem literarischen Zirkel dabei, dort zu erscheinen.

Der Zirkel wurde von einer Gräfin geführt, die für die Literatur schwärmte, für die moderne. Sie verstand nichts davon, aber sie war für die Freiheit. Unter Freiheit verstand sie die Erlaubnis, Wörter wie Hose, Korsett, etc. aussprechen zu können. Sie hörte den Vorlesungen zu und wenn das Wort Hose oder Korsett kam, applaudierte sie und rief »Bravo!«

In diesem Zirkel wollte der Student sein Gedicht vorlesen.

Es hieß: »Der Knabe als Muttermörder.«

Die Gräfin wird »Bravo!« schreien, dachte der Student, schon beim Titel!

Dann verließ er sein Zimmer und ging über die Straße.

Damals war der Verkehr noch gering. Es gab nur wenig Autos. Die Lastfuhrwerke gingen im Schritt und die Wagen wurden von einem Pferde gezogen oder von zwei. Eine eigentliche Gefahr Lebensgefahr bildeten nur die Straßenbahnen. Und die Equipagen, wenn die Pferde wild wurden, durchgingen, vor einer Trambahn scheuten.

Der Student ging an den Geschäften vorbei.

In den Buchauslagen lagen die neuesten Werke der Neuromantiker. Sie waren in Leder gebunden. Der Student dachte, er möchte auch mal so gebunden sein.

Er wich einem Auto aus.

Er haßte die Technik. Es schien ihm unfein, über sie zu sprechen.

Es war etwas untergeordnetes.

Er ahnte noch nicht, daß ein Jahr später ein Krieg ausbrechen würde, in dem die Technik siegen wird.

Es war eine satte, müde Welt – und er träumte vom Zusammenbruch. Die Ahnung des Zusammenbruches lag auf ihm, er wußte, daß die Dichter ihrer Zeit immer voraus seien und er wußte, daß alles zusammenbrechen würde. Da hatte er ja auch recht, aber er hatte es sich nicht überlegt, daß er dann keine Gedichte mehr wird schreiben können, kein Geld von seiner hysterischen Mama wird bekommen können, daß dann wirklich alles aus sein wird.

Es war das Gefährlichste: er kokettierte mit dem Nichts. Und wußte nicht, daß er kokettierte.

Auch jetzt kokettierte er, da er zu seinem Mädel ging. Er holte es aus einem Warenhaus ab. Dort wartete er. Die großen Glasfenster waren erleuchtet. Es warteten nur Männer. Darunter ärmere, auch einige Kavaliere, um die Ecke stand sogar eine Equipage.

Endlich kam das Mädel.

Sie war blond und hübsch.

Sie schien traurig.

»Was ist dir?« fragte der Student.

»Ach«, sagte sie. »Du wirst mich ja doch nie heiraten. Das Leben verweht, vergeht – «

Sie gingen durch die Anlagen und durch einen Park. Die Blätter fielen und man hörte aus der Ferne das Läuten der Trambahnen. Sie setzten sich auf eine Bank.

»Was ist dir?« fragte wieder der Student.

»Ich bin ein armes Mädel«, sagte sie, »und du nützt mich eigentlich nur aus.«

»Ich?!«

»Ja.«

»Wie kannst du sowas sagen?!«

»Ich war gestern bei einer Freundin. Dort war ihr Onkel. Der hielt uns große Reden und er hat recht. Ihr nützt uns nur aus.«

»Aber entschuldige, kennt er mich denn?!«

»Nein.«

»Nun, wie kann ers denn wissen, daß ich dich ausnütze?«

»Er meint es im Prinzip!«

»Da gibt es kein Prinzip, und das laß ich mir nicht bieten! Ich werde den Kerl zur Rede stellen!«

»Aber Liebster, mach doch keine Sachen! Er steht doch tief unter dir! Er ist doch nur ein Eisendreher, er arbeitet in der Fabrik, laß ihn reden, schau der Mond kommt jetzt und die Sterne – «

Der Student küßte sie und sie schmiegte sich an ihn.

Er fühlte ihre Wärme, aber der Onkel ließ ihm keine Ruhe. Wie kommt der dazu, zu sagen, daß er sie ausnützt?!

»Ich werde ihn doch zur Rede stellen«, sagte er plötzlich, aber sie zog ihn ängstlich zu sich herab.

Ein Polizist ging vorbei.

Er war bei ihr.

Hernach: »Ich muß den Onkel sprechen!«

Er hat mit ihr einen kleinen Krach.

Sie sagt am Schluß: »Ja, der Onkel hat doch recht: arm und reich vertragen sich nie.«

Arm und reich?

Der Student dachte nach: was soll das? –

Er ging nachhaus und wusch sich die Hände. Er zog sich um und ging dann zur Einladung der Gräfin.

Dort trug er das Gedicht vor.

Die Gräfin sagte »Bravo!«

Es waren noch andere Damen da, elegante und so, aber dem Studenten gingen zwei Wörter nicht mehr aus dem Sinn. »Arm« und »reich«. Er sah die eleganten Damen, die ihm Komplimente machten für seinen Knaben als Muttermörder-Zyklus, und er mußte immer an das Mädchen denken im Warenhaus.

Und an ihren Onkel.

Er wird den Onkel sprechen.

Nach der Gräfin ging er mit zwei Freunden weg. Sie gingen noch in ein Cabaret.

»Es ist eigentümlich«, sagte der Eine, »die Zweiteilung des Weibes. Die einen sind Heiligen, die anderen Dirnen. Auch die männliche Seele ist zweigeteilt.«

Aber den Studenten interessierte nur die Zweiteilung »Arm und reich«.

Er ging ins Cabaret.

Dort sang eine Sängerin ein Lied von einem Straßenleuchter, der Lampen andreht und seine Tochter am Strich sieht. Es war sehr sentimental und hat den Studenten zu tiefst erschüttert.

Er betrachtete das Lied als ein Fingerzeig Gottes.

Am nächsten Tage sagte er zu dem Mädel: »Ich möchte deinen Onkel sprechen, aber ich versprich es dir, es gibt keinen Krach.«

»Gut«, sagte das Mädel, »aber sei gut zu ihm, er ist ein alter Mann.«

Und sie erzählte ihm, er könnte den Onkel dort und dort treffen, in einem Restaurant Ceres.

Am nächsten Tag ging der Student hin.

Es war ein vegetarisches Restaurant.

Der Onkel hatte einen Spitzbart.

Der Student hört zum erstenmale das Wort »Masse«.

Verwirrt verließ der Student das Lokal.

Er traf noch einigemal das Mädel, aber dann wars aus.

Er schrieb auch keine Gedichte mehr.

Sie gefielen ihm nicht.

Die stille Revolution (II)

Es war eine tiefe Nacht, als ich auf den Unbekannten wartete. Über den Wiesen lag der Nebel, aber man konnte ihn nicht sehen, nur riechen, so finster war die Nacht.

Im fernen Dorfe schlug die Uhr halbacht. Jetzt müßt er doch schon hier sein! Wo er nur bleibt?

Ein Auto fuhr vorüber. Ich stellte mich hinter einen Baum und die Scheinwerfer trafen mich nicht. Ich sollte nämlich nicht gesehen werden, daß ich auf den Unbekannten wartete. Endlich hörte ich Schritte – ein Mann. Ist er es. Ich stand auf der Straße und wartete.

Nein, er war es nicht. Es war der Gendarm.

Als er mich sah, stutze er einen Augenblick, dann trat er näher und erkannte mich. »Ach, Sie sinds! Was treiben denn Sie da auf der Landstraße mitten in der Nacht?«

»Ich geh nur etwas spazieren«, sagte ich.

»Jaja«, sagte er. »Was soll man denn auch tun? Haben Sies gehört, daß sie heut das Werk stillegen – so gehts dahin! Diese wirtschaftliche Depression bringt uns alle noch um!«

»Und derweil hätt ein jeder zu leben auf der Welt, wenn die Güter ein bisserl gerechter verteilt werden möchten.«

Er sah mich aufmerksam an, er stutze.

»Also machens mir nur keine Dummheiten«, sagte er. »Denkens es gibt auch noch andere Arbeitslose, Millionen und Sie sind nicht der einzige. Sie könnens auch nicht ändern.«

»Ich allein auch nicht, aber die Millionen schon.«

Er stutze wieder und drohte mir dann mit dem Finger.

»Sie, Sie«, sagte er und lächelte. »Das sind gefährliche Vergleiche.«

Und dann beugte er sich nah zu mir her:

»Ich kanns ja verstehen, wenn ihr jungen Leut murrt und wenns euch nicht paßt, daß ihr keine Arbeit habt und keine Aussicht, aber machts nur keine Dummheiten, Jugend neigt immer zu Radikalismen – ich, wie ich jung war, da war ich ein Militarist, alles hab ich erobern wollen, dann war ich aber im Krieg, und dann wars anders bei mir – «

»Kriege wirds immer geben«.

»Erinnern Sie sich an den Krieg? Wie alt sinds denn überhaupt?«

»Zwanzig«.

»Na dann warens beim Kriegsausbruch noch nicht da.«

»Ich bin ein Kriegskind.«

»Aha.«

»An den Krieg kann ich mich nicht mehr erinnern.«

»Aber Sie sind ja schon zwanzig, warum sagens, daß Sie neunzehn sind?«

»Bloß so.« »Komisch. In unserer Jugend haben wir uns älter gemacht und ihr macht euch jünger. Also nichts für ungut und auf Wiedersehen!«

»Auf Wiedersehen, Herr Kommissar!«

»Wiedersehen!«

Ich sah ihm nach.

Ja, jetzt ist alles anders.

In deiner Jugend, Herr Gendarm, hat noch ein jeder zu fressen gehabt. Du konntest auch ein Gendarm werden, aber ich? Ich kann mir ja nichts leisten, keine Unterhaltung und nichts – am liebsten tät ich mich schon manchmal erschießen.

Da klopfte mir jemand auf die Schulter – ich fuhr herum.

Ein Herr stand vor mir mit einer dunklen Brille.

»Parole?« fragte er.

»Schmierseife«, sagte ich.

Aha, das war der Unbekannte.

»Ich wart schon eine ganze Weile, bis Sie sich mit dem Gendarmen ausdischkuriert haben. Was reden Sie denn soviel mit ihm?«

»Er hat mit mir geredet und ich wiegte ihn nur in Sicherheit.«

»Schön«, sagte der Unbekannte. »Hoffentlich kann man Ihnen vertrauen.«

»Na hörens mal!«

»Also gut«, und er zog einen dicken Brief aus der Tasche.

»Von Ihnen weiß es niemand, daß Sie zu uns gehören. Gebens den Brief heimlich dem Bürgermeister. Niemand soll es bemerken, dem Ortsgruppenleiter. Alle Parteimitglieder werden überwacht.«

Dann ging er.

»Gehts bald los?«

»Ja.«

Gottseidank!


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