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Erstes Bild

Kleiner Privathafen vor einer Villa am Meer, unweit von Pompeji.

Die Villa ist der ländliche Lustsitz des reichen punischen Bankiers K. R. Thago, eines naturalisierten Römers. Hier wohnt er im Frühling mit seiner Tochter Idiotima und deren Gatten Gloriosus.

Rechts im Vordergrunde sieht man einige Säulen der Villa, links im Hintergrunde liegt das Meer. Dort ankert die Luxusgaleere des Bankiers.

Das Stück beginnt mit einem lebenden Bild: Zahlreiche Sklavinnen und Sklaven schleppen vom Ufer Gepäckstücke auf das Schiff, Kisten, Truhen, Fässer, Schläuche, Geschirr. Sie werden von einem Aufseher mit Nilpferdpeitsche in drohender Pose beaufsichtigt. Im Vordergrunde stehen von links nach rechts: Gloriosus, stolz auf den Knauf seines Schwertes gestützt; neben ihm kauert der Sklavenlausbub Paegnium auf dem Boden und putzt seinen Schild; dann Idiotima, umgeben von drei Kammersklavinnen, die noch etwas am Saum ihres Kleides zu nähen haben und ihr mit einer Brennschere auch noch Löckchen ins Haar brennen; dann K. R. Thago persönlich mit der achtzehnjährigen Hetäre Lemniselenis und deren Dienerin Matrosa, einer Person im gefährlichsten Alter, die sich etwas abseits hält, denn der Bankier tätschelt gerade der Hetäre Wange. Ganz im Vordergrunde steht Toxilus als Prologus, in einen weißen Radmantel gehüllt, eine Pergamentrolle in der Hand.

Alle Personen tragen pompejanische Masken, die die wesentlichen Züge ihrer Charaktere, so wie man sich selbe eben landläufig vorstellt, darstellen sollen. In diesem Sinne steht Toxilus mit der typischen Prologmaske vor dem Publikum. K. R. Thago ist ein gütiger Börsianer, Lemniselenis ein freches Dirnchen, Matrosa eine alte Dirnchenmutter, Idiotima gepflegt, versnobt, mit dem leeren Lächeln der Gesellschaftsdame, Gloriosus eitel und aufgeblasen, Paegnium ein pfiffiger Spitzbub, der Aufseher roh und niederträchtig, die Sklaven und Sklavinnen niedergedrückt, geschunden, bemitleidenswert armselig, so wie es sich eben gehört.

Es ist ein herrlicher Tag, ohne Wellen und Wolken.

Toxilus  zum Publikum:

Als Prologus beginne ich mit einem Zitat aus Plautus: Format »Oh Publikum! Laßt euch behaglich auf euere Sitze nieder, bezahlt oder unbezahlt – das ist nicht die Frage. Die Frage ist vielmehr: ob ihr satt oder hungerig hierher gekommen seid? Denn wer bereits genachtmahlt hat, der hat das bessere Teil erwählt; doch wer hungert, esse sich an unseren Witzen satt – aber wem zu Hause das Nachtmahl steht, der ist ein Narr, ein großer Narr, daß er uns zulieb nüchtern hergekommen ist!« Er nimmt seine Maske ab. Erlaubt, daß ich mich vorstelle: ich heiße Toxilus und bin hier der Oberkammersklave. Jawohl: Sklave! Denn der Götter Fügung gab mir das Pech, dem Sklavenstande anzugehören, obwohl ich eigentlich innerlich eine Herrennatur bin – ein Mann voll geistiger Kraft und Gewandtheit, voll Witz und Gesundheit, dem sich eine Umgebung willig unterordnet, meine Mitsklaven nämlich, jedoch auch – Leise – meine Herrschaft! Ich sag es leise, denn sie steht da hinter mir und soll es nicht hören, sonst setzt es was ab, und das wollt ihr doch meinem Buckel nicht gönnen!

Laut, indem er sich seines Mantels entledigt.

Und nun erlaubt, daß ich euch die Szenerie erläutere: ihr seht hier ein lebendes Bild. Wir sind zwei Stund zu Fuß von Pompeji. Rechts der ländliche Lustsitz meiner Herrschaft, links im Hintergrunde das Meer, und um die Ecke – Er deutet nach links hinauf – raucht der Vesuv. Ihr könnt ihn nicht sehen, doch sollt ihr im Laufe unseres Spieles noch manches über ihn hören! Ja. Doch kehren wir zum Sichtbaren zurück! Im Hafen ankert die Luxusgaleere meines Herren – Er deutet auf K. R. Thago – Präsident des Romanisch-phönizischen Kreditinstitutes K. R. Thago! Leise. Er ist ein gebürtiger Punier, ließ sich jedoch in Rom naturalisieren, opferte dortselbst unseren Göttern und hat dabei allerhand Geld gemacht – jetzt tätschelt er gerade die Wange seines Fräulein Hetäre, namens Lemniselenis, die Alte daneben ist des Kindlein Dienerin Matrosa – ich vertrag mich mit ihr recht gut. Jaja, mein Herr tätschelt gerne, wenn er sich verabschiedet – er möcht nämlich mit seiner Tochter Idiotima und derem Gatten Gloriosus nach Kreta in die Sommerfrische segeln, denn Kreta ist zur Zeit der letzte Schrei. Die Herrschaften warten nur noch, bis die Sklaven und Sklavinnen das viele Gepäck auf die Galeere gebracht haben, der Rüpel dort hinten mit der Nilpferdpeitsche ist der Aufseher, ein roher, niederträchtiger Mensch –

Aufseher  fällt ihm ins Wort: Was bin ich?!

Toxilus  Hast es nicht gehört? Zweimal sag ichs nicht.

Aufseher  Ich wäre ein roher, niederträchtiger Mensch?!

Toxilus  Hab ich das gesagt?

Aufseher  Jawohl!

Toxilus  Dann wirds schon stimmen –

Aufseher  Es stimmt aber nicht! Da schau her! Er reißt seine Maske herunter, ein rundes, gutmütiges Gesicht wird sichtbar. Ist das das Antlitz eines Prügelwarts?

Toxilus  perplex: Komisch, daß ich dein Gesicht noch nie gesehen hab – hm. Nein, roh und niederträchtig sieht es nicht aus, eher ein bisserl blöd –

Aufseher  braust jähzornig auf: Ein solches Wort noch und – Er hebt drohend seine Peitsche.

Toxilus  herrscht ihn an: Schäm dich, immer nur die Peitsche, die Peitsche!

Aufseher  Scham her, Peitsche hin! Ich erfüll ja nur meine Pflicht! Er knallt mit der Peitsche und brüllt die Sklaven und Sklavinnen, die die Gepäckstücke tragen, an. Vorwärts – vorwärts! Nur nicht getrödelt, gewurstelt, geschlafen, sonst weck ich euch auf, Sklavenpack!

Alle Sklaven tragen hurtig ihre Lasten auf die Galeere.

Aufseher  zählt die an ihm vorbeigeschleppten Gepäckstücke: 84, 85, 86, 87 – los – los! Wir haben noch 164 Stück! Er knallt wieder mit der Peitsche.

Idiotima zuckt etwas zusammen.

Toxilus  zum Publikum: Nachdem ich euch alles erklärt habe, darf ich nun wohl gehen – ich muß nämlich rasch auf das Schiff, um nachzusehen, ob auch alles richtig verstaut wird. Ich komme wieder, wenn ich muß! Rasch ab auf die Galeere.

Aufseher  brüllt einen alten Sklaven grimmig an: Tempo – tempo! 107, 108, 109 – hast nicht gehört, altes Stück Elend?! Er knallt abermals mit der Peitsche.

Idiotima  zuckt abermals zusammen: Oh saget ihm, er knalle nicht so mit der Peitsche! Er schlage lieber, dann gibts nicht diesen schrillen Ton! Meine Nerven vertragen keine Disharmonien, ich bin geschwächt –

Gloriosus  Paegnium! Wo bleibt mein Schild?

Paegnium  reicht ihm den Schild: Aufzuwarten, gnädiger Herr!

Gloriosus  blickt auf seinen Schild, wie in einen Spiegel: Ich kann mich in meinem Schild nicht sehen. Wo bin ich? Du sollst meinen Schild so putzen, daß ich ihn als Spiegel benützen kann – begreifs doch endlich, daß ich mit Mars verwandt bin! Er reicht ihm wieder seinen Schild. Putz ihn, sonst erledig ich dich, wie jene fünfhundert in Kapadozien im vorigen Herbst – fünfhundert mit einem Streich, obwohl mein Schwert abgestumpft war!

Paegnium putzt eifrig den Schild.

Idiotima nimmt langsam ihre Maske ab; eine verhärmte, früh gealterte Frau wird sichtbar.

Die Kammersklavinnen stürzen sich sofort eifrigst auf die Maske, schminken und pudern sie.

Idiotima  blickt zum Himmel empor:

Ach, Wölklein in der Höh, nur du erkennst mein Weh: mein Gatte ist ein Berufsmensch. Er liebt nur sein Schwert, seinen Schild, seinen Panzer – was gilt ihm der Venusberg neben einem befestigten Hügel? Nichts, oh nichts! Er fürchtet nur immer, ob seine Rüstung auch richtig glänzt. Heut zieht er sich schon seit gestern an, er legte sich gar nicht zu Bett in der Nacht, er zog sich nur an – Ich frage mich oft: warum kennt mein Gatte keine Gemütlichkeit?

Gloriosus  Ein böses Wort! Viel lieber als in die Sommerfrische zöge ich in einen flotten Krieg, viel lieber würde ich blutige Dinge vollbringen, als friedlich meine Brust in der Sonne bräunen – denn meine Brust sehnt sich nach der befreienden Tat!

Idiotima  einfach: Ich hasse den Krieg.

Gloriosus  Versündig dich nicht! Wenn das Mars hört!

Idiotima  Laß mich aus mit deinem Gott! Wenn mein Vater kein Krösus wär, wäre mein Gatte ein friedlicher Hirte, aber das Geld meines Vaters läßt ihn nicht arbeiten – so langweilt er sich auf dem Felde der Ehre zu Tode.

Gloriosus  reißt sich wütend die Maske herab; ein feminines Gesicht mit ängstlichen Augen wird sichtbar; er fixiert unsicher Idiotima; plötzlich herrscht er sie an: Du nimmst den Mund voll, als hättest du mir einen Sohn geschenkt!

Idiotima will schreien, doch die Kammersklavinnen binden ihr rasch, fast gewalttätig, die frischhergerichtete Maske um.

K. R. Thago  zu Lemniselenis: Wohl begreif ich deine Trauer, mein süßes, teuerstes Geschöpf, du kostspieliges, du – denn ich fahr nun fort und laß dich da. Doch sei beruhigt: ich laß auch mein Geschäft da, Handel und Wandel, die Börse, das Kontor – mögen die Papiere fallen oder sich heben: ich muß ruhen! Der Arzt hats mir verordnet, es wird Zeit, er kennt mein Leiden –

Lemniselenis  Was fehlt Euch eigentlich, Herr Präsident?

K. R. Thago  Mein Leiden, Kind, ist nicht der Ausfluß des üppigen Lebens, sondern der Erregung über das Leben in Geschäften. Verlieren regt auf, aber verdienen noch mehr – und viel verdienen, das legt sich aufs Herz, denn viel verdienen ist Schmerz, teuer erkaufter Schmerz.

Lemniselenis 

Der Sommer mag kommen, der Herbst vergehen, meine Lieb zu Euch wird auch dann noch bestehen.

Denn Ihr habt mich gekauft.

Toxilus  erscheint rasch auf der Galeere und springt auf den Kai: Euere Hochwohlgeborenen! Die Segel sind gesattelt, der Anker gelichtet, das Gepäck verpackt und die Ruder sind ruderbereit – es schwimmt alles in Butter, schiffet Euch ein!

Idiotima Endlich! Ab auf die Galeere.

Gloriosus  zu Paegnium: Her damit! Er nimmt ihm seinen Schild ab und betrachtet sich in ihm; entsetzt, denn er sieht sich ohne Maske. Was? Das soll ich sein?! Er herrscht Paegnium an. Ich seh mich noch immer nicht! Wart nur, Bube, wenn ich heimkehr, laß ich dich blenden! Rasch ab auf die Galeere.

Paegnium nimmt seine Maske ab; ein mageres, trotziges Knabengesicht wird sichtbar; er wischt sich mit dem Arme den Schweiß von der Stirne und fächelt sich mit der Maske.

K. R. Thago  zu Lemniselenis: Kurz und gut, mit einem Wort: jetzt wirds aber höchste Zeit, daß ich mich einschiff, und du – du kehrst morgen wieder zu Dordalus zurück.

Lemniselenis  entsetzt: Was sagt Ihr?! Wohin?! Zu Dordalus?!

K. R. Thago  Ja. Nach Pompeji.

Lemniselenis  wie zuvor: Ich soll wieder zum Sklavenhändler?! Ihr wollt mich abermals wieder weiter verkaufen?

Sie reißt sich die Maske ab; ein schönes Kind mit traurigen Augen und einem frühverbitterten Zug starrt K. R. Thago verzweifelt an.

K. R. Thago  stutzt unwillkürlich etwas: Warum so verzweifelt? Vielleicht erwirbt dich ein Besserer, Schönerer, Reicherer –

Lemniselenis  unterbricht ihn: Es gibt keinen Reicheren als Euch! Oh bringt mich nicht wieder auf den Sklavenmarkt! Es folget so selten was Besseres nach!

K. R. Thago  Aber – aber, großes Kind! Was hast du dir denn vorgestellt? Und außerdem möcht man doch nur dein Gutes –

Lemniselenis 

Wollet lieber das Schlechte, mein Herr!

Gewährt mir weiter Euere Huld, ich bleib Euch nichts schuld! Wenn Ihr heimkehrt von Euerer Sommerfahrt, wird von mir alles in bar bezahlt – jeder Groschen ein Kuß, wenn ich nur nicht wieder auf den Sklavenmarkt muß.

K. R. Thago  Wer weiß, ob ich zurückkehr? Ob das Schiff nicht versinkt? Wer befiehlt dem Sturm, dem Meer – Neptun oder ich? Bin ich dem Neptun sein Vertrauter? Na also! Abgesehen davon, daß ich dich jetzt ein halbes Jahr umsonst ernähren müßt! Vorsicht ist die Mutter der Weisheit und Sparsamkeit ist eine Weltanschauung. Verkenne mich nicht, mein Kind!

Stille.

Lemniselenis  Jetzt weiß ich bald nicht mehr, was ich glauben soll, Herr Präsident.

K. R. Thago  Glaub, was du willst, aber verschleuder dich nur nicht zu preiswert – Er geht auf die Galeere zu.

Toxilus  zu K. R. Thago: Gute Erholung, frohe Fahrt!

K. R. Thago  zu Toxilus: Danke. Er hält und wendet sich nochmals Lemniselenis zu; mit erhobenem Zeigefinger. Du bist unter Brüdern sechshundert Silberlinge wert – Ab auf die Galeere.

Lemniselenis  schreit plötzlich auf: Nein!! Sie verbirgt ihr Gesicht in den Händen.

Matrosa  nimmt langsam die Maske ab; eine brave alte Frau wird sichtbar; sie legt ihren Arm um Lemniselenis' Schulter und tröstet sie: Gebe dem Kaiser, was des Kaisers ist –


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