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Erster Akt

Bürgerliches Wohnzimmer. Im Hintergrunde zwei Türen: die rechts führt in ein kleines Vorzimmer und ist sie offen wird die Haustüre sichtbar. Links über einem runden Tische die Lampe. Rechts ein Fenster neben einem Sofa. An den Wänden Familienfotografien in goldenen Rahmen. Spätnachmittag.

Herbert Müller am Fenster, wartet; erblickt auf dem Tische einen Teller Backwerk; fixiert ihn; nähert sich ihm; lauscht – steckt sich rasch ein Stück in den Mund, kaut. Ilse Klamuschke achtzehnjährig altklug; tritt durch die linke Türe ein.

Müller schluckt.

Ilse Sogleich kommt Mama. Sogleich.

Müller verlegen, nur um etwas zu sagen: Ilse. Ich dachte mir eben wieder: in zwei Jahren.

Ilse unterbricht ihn: Man soll nie Pläne machen.

Müller Man muß Pläne machen! Freilich: ob selbe Körperlichkeit annehmen steht in einem besonderen Kapitel. Ilse verbeißt ein Lachen. Denkt an das Backwerk. Warum lachst du?

Ilse Sei nicht böse, bitte. Nur: unlängst fiel mir auf wie häufig du das Wort »Kapitel« gebrauchst. Hör ich es nun, muß ich lachen.

Müller atmet unterdrückt erleichtert auf: Folglich erscheine ich dir häufig lächerlich. Danke.

Ilse Aber!

Müller gereizt: Folglich ist ein Kapitel für sich, daß – Er stockt da. Ilse ihn erschrocken anstarrend. Lächelt. Hast es nicht gehört?

Ilse Was?

Müller Das Wort.

Ilse Nein.

Müller innig und eitel: Ilselein. Siehst du: Mann soll der Mann sein und die Frau überhört ihr eigenes Lachen und –

Ilse gereizt: Quatsch! Ich hab es doch gehört!

Müller Was?

Ilse Das Wort. Wähle nun: lachen oder lügen? Müller starrt sie an.

Mutter Klamuschke tritt durch die linke Türe ein: Es freut mich Sie endlich begrüßen zu können, Herr Müller. Meine Tochter hat mir vieles über Sie erzählt und ich habe Sie also bereits gekannt eh ich Sie sah. Müller verbeugt sich und lächelt überlegen. Mutter setzt sich und bietet ihm Platz an. Müller setzt sich. Stille. Seit mein Mann starb ist es still bei uns geworden, obwohl mein Sohn mit seiner Frau zu uns zog. Sie kennen ja meinen Sohn? Früher: vom Schwimmverein. Das ist nun auch vorbei. Er ist den ganzen Tag über in der Bank beschäftigt. Wir eigentlich warten nur auf ihn. Stille. Ich hörte Sie arbeiten an einem wissenschaftlichen Werke –

Müller Oh.

Mutter Sie tanzen wohl gerne?

Müller Manchmal. Wichtig. Ich behandle gegenwärtig auf Grund intuitiver Beobachtungen das Ketzer- und Hexenwesen mit besonderer Berücksichtigung der Schwangerschaft. Seit frühester Kindheit reizt mich nämlich das Verbrecherische irgendwie. Es dämmert stark. Ilse dreht das Licht an. Mutter starrt ihn an. Es ist sehr interessant. Mutter nickt.

Müller weicht ihrem Blicke aus, betrachtet seine Schuhspitzen; dann die Lampe.

Mutter erhebt sich: Sie müssen mich entschuldigen. Es ist sehr interessant. Doch: wenn Ilse noch essen will bevor Sie tanzen gehen –

Müller verabschiedet sich: Versteht sich! Dann: in einer guten Stunde hole ich Fräulein Ilse ab. Gnädigste!

Ilse begleitet ihn ins Vorzimmer; schließt die Türe. Mutter allein; denkt nach, nickt, murmelt; setzt sich.

Mathilde Klamuschke ist schwanger im siebenten Monat; tritt von linksher ein; leise: Ist er fort?

Mutter erhebt sich wie geweckt: Ja.

Mathilde Wo nur Paul so lange bleibt?

Mutter Monatsende, Abschluß: das gibt Arbeit. – Hast du die Kartoffeln schon geschält?

Mathilde Alle Kartoffeln?! Ilse soll doch auch – Ilse ist wieder eingetreten; unterbricht sie: Ich tu schon! Tu schon.

Mathilde Aber nichts Richtiges! Bücher lesen und so!

Ilse Du Kuh!

Mutter Schweigt! Der Müller hört das noch ins Treppenhaus! Stille.

Ilse Ich zieh mich jetzt um.

Mathilde Und ich soll die Kartoffeln schälen.

Ilse Ach, du Aschenbrödel!

Mathilde reißt sich die Schürze vom Leibe: Eher verhunger ich!

Ilse Einmal geht man aus.

Mutter Zieh dich nur um. Ilse ab durch die linke Türe.

Mathilde Was ist denn dieser Müller für ein Mensch?

Mutter Er scheint recht klug zu sein.

Mathilde Klüger als Ilse?

Mutter ruhig: Sag: kannst du klagen, daß ich mein eigenes Kind besser behandle?

Mathilde boshaft: Welches Kind?

Mutter starrt sie an: Bist ein schlechter Mensch, Thilde.

Mathilde Vielleicht bin ich einer geworden. Gewesen bin ichs nicht. Doch, wenn man sieht – und ständig diese Leichenhausmiene seit das Kind unterwegs –

Mutter unterbricht sie: Das ist nicht wahr!

Mathilde Doch, das ist wahr. Niemand kennt Rücksicht: muß genau so kochen, räumen, schuften –

Mutter Wer übernahm die Führung meines Hauses?

Mathilde Nie wollt ich dich verdrängen.

Mutter Aber du hast es getan.

Mathilde Glaub: auch ich könnt mich beklagen.

Mutter Dann nörgle nicht! Sondern tus!

Mathilde Nein. Es ist ja zwecklos: er ist den ganzen Tag über in der Bank – und ich hätte die Hölle.

Mutter Die haben wir alle.

Paul Klamuschke tritt in Hut und Mantel verstört von rechtsher ein; läßt die Vorzimmertüre offen.

Mathilde Endlich! – Was ist dir denn?

Paul zur Mutter: leise: Er steht drunten.

Mutter Wer? Begreift, verstummt; dann leise: Hast ihn gesprochen?

Paul barsch: Nein, das weißt du! – Nur gesehen: unten am Gitter. Schien zu überlegen ob er uns beehren soll.

Mathilde Daß er immer wieder kommt!

Paul Als hätten wir Geld! Als hätt er uns noch zuwenig bestohlen!

Mathilde Still!

Die Drei lauschen. Stille; dann ertönt kurz die Glocke.

Mutter Laßt mich allein.

Paul unterdrückt: Aber gib ihm nichts!

Mutter nickt nein: Mathilde: die Kartoffeln.

Mathilde Nein. Ich werde Wurst aufschneiden. Ab mit Paul nach links.

Mutter allein; geht langsam durch das Vorzimmer und öffnet die Haustüre.

Wenzel Klamuschke verwahrlost; tritt ohne Gruß an ihr vorbei in das Wohnzimmer; geht umher; bleibt manchmal vor einem Gegenstande stehen und lächelt.

Mutter folgte ihm mit den Blicken: Was willst du?

Wenzel Ja –

Mutter Geld hab ich keins.

Wenzel fixiert sie. Stille.

Wenzel Schäm dich nicht.

Mutter Meinst du ich schämte mich vor dir?

Wenzel Ach so. Er geht wieder umher. Vor mir darf man sich ja nicht schämen. Bin ja ein Dieb. Hab vom fremden Tellerchen gegessen. Und – Freilich, freilich. Aber dieser Tisch! Am Sonntag gab es Rostbraten mit Endiviensalat. Oder Endiviensalat mit Rostbraten. Und dann stritt man sich dort um den Eckplatz am Sofa. Einer schrie, einer gab nach und las Lokalnachrichten: immer wieder. Jeden Tag. – Eine soll mir sogar ähnlich sehen wurde behauptet.

Mutter Bist nur gekommen um wieder weh zu tun?

Wenzel sachlich: Nein. Ich wollte auch nie weh tun. Jedoch es ist mein Fehler, daß ich laut denke und tue. Bin nämlich der verlorene Sohn, nur möcht ich wissen wer mich verloren hat.

Mutter Wie gerne du dich reden hörst.

Wenzel Ja: wenn man unverstanden bleibt.

Mutter Boshaft wie immer.

Wenzel Nein: dumm.

Mutter horcht auf. Stille.

Mutter leise: Wenzel –

Wenzel unterbricht sie: Jetzt geh ich.

Mutter schlägt um: So geh! Wir haben doch nichts miteinander gemein.

Wenzel Glaubst du?

Stille.

Mutter Was willst du noch hier?

Wenzel sieht um sich: Wollte nur sehen – wie es euch geht. Er grinst.

Mutter starrt ihn an: Jetzt wird mir bange.

Wenzel leise: Es ist nichts geschehen. Nichts. – Ich ging nur vorbei – Er geht an die Haustüre und öffnet sie; überlegt einen Augenblick, schlägt die Türe von innen zu und bleibt während des Folgenden im Vorzimmer stehen von Niemandem bemerkt. Paul von linksher.

Mutter dumpf: Wieder gehorcht.

Paul Ja. Er hätte dich auch wieder schlagen – Er stockt da.

Ilse in einem billigen Ballkleid eintritt; zur Mutter: Da: bitte: den Knopf krieg ich nicht zu.

Mutter knöpft ihr am Rücken einen Knopf zu. Ruft. Mathilde! Das Essen!

Mathilde tritt eben mit Schüssel und Tellern ein: Zu Befehl, gnädiges Fräulein! Zu Befehl! Sie deckt den Tisch. Alle setzen sich um ihn und essen. Wenzel hinter der rechten Türe, sieht ihnen eine kleine Weile zu; geht dann indem er die Haustüre geräuschlos öffnet und schließt. Die Vier essen.


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